44
November 2012 VORWÄRTS.DE: WEITERLESEN IM INTERNET! DIE ZEITUNG DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATIE n GEGRÜNDET 1876 vorwärts € 1.30 – A 07665 BESSER ESSEN! GIER UND GEIZ SCHADEN MENSCH UND TIER STEPHAN WEIL HANNOVERS OB EROBERT NIEDERSACHSEN NEUE SERIE: GELEBTE POLITIK FOLGE 1 – HEIDEMARIE WIECZOREK-ZEUL ILLUSTRATION: DOROTHEE MAHNKOPF

vorwärts November 2012

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie. Gegründet 1876. Titel: Besser essen!

Citation preview

Page 1: vorwärts November 2012

November 2012VORWÄRTS.DE: WeiterleseN im iNterNet!

D i e Z e i t u N g D e r D e u t s c h e N s o Z i a l D e m o k r a t i e n g e g r ü N D e t 1 8 7 6

vorwärts€ 1

.30

– a

07

66

5

BESSER ESSEn! gier und geiz schaden Mensch und tier

STEphan WEilhannovers oB eroBert niedersachsen

nEuE SERiE: GElEBTE pOliTikFolge 1 – heideMarie wieczorek-zeul

illu

str

at

ioN

: Do

ro

th

ee m

ah

Nk

opf

Page 2: vorwärts November 2012

Auch Ihre Mutter würde es wollen.Die Sparkassen-Altersvorsorge.

Tun Sie es Ihrer Mutter zuliebe. Und vor allem sich selbst. Mit einer Sparkassen-Altersvorsorge entwickeln wir gemeinsam mit Ihnen ein auf Ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittenes Vorsorgekonzept und zeigen Ihnen, wie Sie alle privaten und staatlichen Fördermöglichkeiten optimal für sich nutzen. Vereinbaren Sie jetzt ein Beratungsgespräch in Ihrer Geschäftsstelle oder informieren Sie sich unter www.sparkasse.de. Wenn’s um Geld geht – Sparkasse.

Sparkassen-Finanzgruppe

DSGV_Vorwarts_AV_P5.indd 1 09.10.12 11:49

Page 3: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts Inhalt 3

tItel

besser essen!

4 zur TaT! – Für einen neuen Verbraucherschutz

5 wie gesund issT schule? – Schüler und ihr Essen

6 essen machT poliTik – Die Auswirkungen unserer

Nahrungsmittelproduktion auf Mensch und Tier

8 wahrheiT oder beTrug? – Die Gütesiegel

9 wissen isT machT – Die Verbraucherpolitik der SPD

9 nur heisse lufT– Ministerin Ilse Aigner tut nichts

Kolumnen

10 global gedachT – Rafael Seligmann

11 berliner Tagebuch – Uwe Knüpfer

12 zwischenruf – Christoph Müller-Wirth

30 medienzirkus – Gitta List

34 das allerleTzTe – Martin Kaysh

Foto

s: W

olF

ga

ng

Qu

ick

els,

ima

go

/sa

bin

e g

ud

at

h, d

irk

ble

ick

er, d

pa p

ict

ur

e-a

llia

nc

e /

ma

rk

us

sch

olz

spd-reiseservice: urlaub gemeinsam mit freunden genießen. die schönsten ziele im Jahr 2013

BeIlage

Themen in diesem hefT

parteI leBen!

15 sTarke werTe – Kongress der Ebert-Stiftung

16 zeig mir dein leben – Die Frauenbrücke Ost-West in der SPD

17 neue serie: gelebTe poliTik Teil 1 – Heidemarie Wieczorek-Zeul

18 der spd-bürgerdialog

20 porTräT – Stephan Weil: Vom Ober-bürgermeister zum Ministerpräsidenten

22 arbeiTsgemeinschafTen in der spd Die Jusos: Linker Stachel im Fleisch der Partei

WIrtschaft

23 guT gemachT – Die Fagus-Werke

24 alles muss auf’s eTikeTT – Streit um die

Kennzeichnung von Lebensmitteln

25 meine arbeiT – Der Landwirt

26 das branchenporTräT – Der Einzelhandel

Kultur

27 grass salzTe nach – Festakt zum 85. Geburtstag

27 »er haT das maul aufgemachT« – Die Schrift-

stellerin Eva Menasse über Günter Grass

28 aufTriTT – Der „vorwärts“ auf der Buchmesse

29 rezensionen – Klaus Wettig: Orte der Sozial-

demokratie

30 galerie – Eiko Borcherding

hIstorIe

31 er war einer von uns – Willy Brandt

und die Jugend

32 vor 40 Jahren – Der SPD-Wahltriumph von 1972

33 wer war’s? – Lothar Pollähne

10 in kürze | 12 leserbriefe

14 parlamenT | 32 impressum

26 räTselseiTe | 27 seiTwärTs

Redaktionsschluss 05. November 2012

diese ausgabe enthält eine Verlags-

sonderVerÖFFentlichung zum thema

»liFestyle« in der heFtmitte

eva menasse: die literatin würdigt günter grass Seite 27

liebe leserin, lieber leser!nehmen wir einmal an, sie werden zu einer casting-show eingeladen, bei ZDf, rtl & co. sie legen einen glänzen-den auftritt hin und bekommen auch noch geld dafür. sagen wir, soviel geld, wie ein casino-Banker jede Woche ein-steckt. Was würden sie tun? ablehnen?

sie merken schon, es geht um peer steinbrück. Das gegreine, gegeifere und geneide über seine Vortragshono-rare regt mich auf. es ist kleingeistig, falsch und niederträchtig. Kaum hat steinbrück seine honorare penibel offengelegt, heult die meute: Ja, hat er denn nicht auch Bücher geschrieben und auch dafür geld bekommen? Ja, hat er! und die Bücher werden gekauft! Der mann kann was. er hat etwas zu sagen und tut das unterhaltsam. Damit kann man heute fast so viel geld ver-dienen wie als flimmersternchen oder tV-moderator.

peer steinbrück hat Bankern die levi-ten gelesen und dafür geld erhalten. man kann sich über diese Banker wun-dern und über die honorierungsprakti-ken der event-Branche. aber doch nicht über steinbrück! Zumal der alles brav versteuert hat. Korrekter geht es nicht.und jetzt verzichtet dieser mann auf künftige honorare! er gibt seine frei-heit auf. statt vom event-VIp-service gepampert zu werden, muss er sich öffentlich abwatschen lassen. nur um Kanzlerkandidat und nach einem langen Jahr ohne freizeit womöglich Kanzler zu werden. um dann weniger zu verdienen als bisher. Warum tut er das? Warum tut er sich und seiner familie das an? Das ist die einzig span-nende, die wirklich irritierende frage in der causa nebeneinkünfte. Womöglich, weil er dienen will – seiner partei und seinem land? Das zu glau-ben fehlt vielen unter uns die phanta-sie. und genau das ist unser problem.n

mit herzlichen grüßen,

uwe KnüpferChefredakteur

SPD-ReiseService

SPDSPDSPD

Verla

gsbe

ilage

vor

wär

ts N

ov. 2

012

Reisen im Freundeskreis

Gemeinsam Mee(h)r erleben

20132013

*Das beeindruckende See-fahrerdenkmal vor der Brücke des 25. April in Lissabon ist während unseres 9. Frühlings-treffens zu sehen. Siehe Seite 4

umbruch_121023_II.indd 1 23.10.2012 14:05:54 Uhr

ihm schmeckt‘s: doch wie gesund ist schulessen? Seite 5

stephan weil: vom rathaus in die staatskanzlei Seite 20

Page 4: vorwärts November 2012

4 TiTel vorwärts 11/2012

Kochen und Essen als Chance: TV-Sterne-Koch Josef Lafer und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bereiten im brandenburgischen Mötzow Produkte aus der Region zu. Im Hintergrund angehende Köche, die von der Initiative „Future for us“ gefördert werden. Sie hilft Jugendli-chen beim Einstieg in das Berufsleben und klärt sie auf über einen aktiven, gesunden Lebensstil. Steinmeier ist Schirmherr der Initiative. Die Jugendlichen, überwiegend mit Migrationshintergrund, hatten früher wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Jetzt bekommen sie eine Ausbil-dung zum Koch. Und können so wieder ein selbstbestimm-tes Leben führen und an der Gesellschaft teilhaben.

VoM PRInzIP zUR TATDER MEnSCH IST, WAS ER ISST Auf der Suche nach einer Politik, die Verbraucher- und Tierschutz verbindet, die sozial und ökologisch ist

E rst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Bertolt Brecht müsste entzückt sein, könnte er

einen Blick in heutige Supermärkte wer-fen: An „Fressen“ herrscht kein Mangel, also bliebe viel Zeit für Moral.

Doch was „fressen“ wir? ein Blick auf Produktionswege und Zusatzstoffe lässt Brechts Wortwahl prophetisch er-scheinen. Künstliche Aromen gaukeln Geschmack vor. Chemikalien sichern Transport- und lagerfähigkeit. Fleisch und Wurst liefern Medikamente mit, die kein Arzt verschrieben hat. Die meisten „lebensmittel“ sind industrieprodukte, vielfach verarbeitet, uniformiert, mani-puliert – und gezuckert.

im weltweit steigenden Zucker-konsum sehen Forscher eine Ursache der ebenfalls weltweiten Zunahme von Diabetes und anderen „Zivilisa-tionskrankheiten“. lebensmittelskandale

werfen alle paar Monate grelle Schlag-lichter auf eine Branche, die gern verdun-kelt, was sie tut. Und der Kunde? lässt sich willig verdummen. Wer will schon wissen, was genau in der Currywurst steckt, warum die Tomaten so glänzen und wie unser Brathuhn gelebt hat?

Seit 2002 ist Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Dennoch ist Deutschland ein eldorado der inten-sivtierhaltung. längst wird hier mehr Fleisch „produziert“, als die Deutschen essen. Hühner- und Schweinemäster ziehen aus Nachbarländern hierhin. ist das ein erfolg agiler Wirtschaftsförde-rung? Oder Frevel an der Umwelt und den Tieren?

Die SPD-Position ist im Prinzip klar. „Die SPD will gesunde lebensmittel für alle Geldbeutelgrößen“, heißt es in einem Programm der Bundestagsfrakti-on. Und sie will „zurück zu einer artge-

rechten Tierhaltung“. Doch was so selbst-verständlich klingt, gleicht in der Praxis der Quadratur des Kreises. eine Rückkehr zu vorindustriellen Produktionsweisen wäre unsozial und ungesund. Bis weit ins 20. Jahrhundert waren Mangel und Hunger auch in europa ständige Beglei-ter des arbeitenden Volkes.

ludwig Feuerbach hat der frühen Arbeiterbewegung diese erkenntnis mitgegeben: „Der Mensch ist, was er isst.“ Schon deshalb sollte er wissen wollen, was er isst. Die fällige Rückbe-sinnung auf Feuerbach erzwingt genau-es Hinsehen, aber auch eine neue land-wirtschaftspolitik, strenge Auflagen, strikte Kontrollen, vielleicht auch neue Zölle – und, in Kindergärten und Schu-len schon, die erziehung zu bewusster und deshalb gesunder und moralisch vertretbarer ernährung. es gilt, den Weg vom Prinzip zur Praxis zu gehen. n UK

Quelle: STATiSTiScheS BundeSAmT

immer Weniger geld für unser essen

Anteil der Ausgaben für Nahrungs-mittel an den Konsumausgaben in Deutschland

1900 1950 1980 2010

44%

20%

57%

14,2%

FoTo

: elS

wey

er +

ho

FFm

An

n

Page 5: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts TiTel 5

Z u viel Fett, zu wenig Vitamine: Das Schulessen hat keinen guten Ruf. Anfang des Jahres bewer-

teten ernährungswissenschaftler der Hochschule Niederrhein in einer Unter-suchung die Qualität der Schulkost als mangelhaft. Nach der Brechdurchfall-epidemie ende September in Ostdeutsch-land steht das Schulessen noch stärker in der Kritik. Schuld an der erkrankung von mehr als 11 000 Menschen waren offen-bar billige Tiefkühl-erdbeeren aus China, die ein Caterer für Schul- und Kita-essen verwendete. Diskutiert wird nun, wie die Qualität des Schulessens verbessert werden kann. elternvertreter fordern unter anderem, vermehrt auf regionale Produkte zurückzugreifen.

Doch vielerorts scheitert es schlicht-weg am Geld. Häufig mangelt es zum einen an der Bereitschaft, zum anderen an den finanziellen Möglichkeiten von eltern und Kommunen, für gutes essen angemessen zu bezahlen. eine warme Schulmahlzeit darf derzeit im Bundes-durchschnitt nur 2,50 euro kosten. Die Preise variieren je nach Bundesland. So werden in Thüringen nur 1,90 euro fällig, in Bayern dagegen 4,20 euro. Während in München die eltern den Beitrag komplett finanzieren müssen, subventioniert der Berliner Senat jedes essen mit 52 Cent. Bei einem Gesamtbetrag von ca. 2 euro blei-ben einem Berliner Caterer nach Abzug der Personal- und Betriebskosten sowie der Mehrwertsteuer nur um die 60 Cent für Zutaten. Täglich Salat oder Rohkost, wie es ernährungsexperten empfehlen, oder gar regionale Produkte, sind bei sol-chen Beträgen nicht drin.

Was kann die Politik tun?Wie viel ein vollwertiges Schulessen kos-tet, machte erst im September eine Studie der Hochschule für Angewandte Wissen-schaften in Hamburg deutlich. ergebnis: Für ein Mittagessen an Grundschulen sollten mindestens 3,17 euro zur Verfü-gung stehen – und damit ein euro mehr als in Berlin bisher üblich. Doch die Ber-liner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) warnt: „ein teures Schulmittages-sen ist nicht gleichbedeutend mit einem qualitativ besseren Schulmittagessen.“ Damit sich die Mehrkosten auch auf dem Teller bemerkbar machen, strebt ihr Senat mehr Qualitätssicherung und -kontrolle an. Wie viel mehr ein Berliner Schulessen künftig kosten wird und wer die Kosten der Preiserhöhung trägt, ist noch offen.

Herr Krüger, verläuft beim Essen für Kinder eine Kluft durch Deutschland? Natürlich gibt es viele Kinder, bei denen die eltern besonders auf ihre gesun-de ernährung achten. Und es gibt sehr viele eltern, die das auch gerne machen würden, aber nicht die entsprechenden finanziellen Mittel haben. Die Kluft zwischen Kindern aus reichen und ar-men elternhäusern macht sich an vielen Dingen fest, an der Kleidung, an Krank-heitsbildern, an Bildungsmöglichkeiten und eben auch am essen.Regionales Gemüse und Fleisch aus artgerechter Haltung kostet meist etwas mehr. Ist das im Budget drin, wenn die Eltern Hartz IV beziehen oder Niedrigverdiener sind? Ganz klar nein. Zahlreiche wissenschaft-liche Untersuchungen zeigen, dass mit den Hartz-iV-Regelsätzen eine ausgewo-gene ernährung kaum möglich ist. Gera-de der ernährungsbedarf für ältere Kinder ist so hoch, dass selbst die Hartz-iV-Sätze der erwachsenen nicht aus reichen. Müssen wir mehr Geld fürs Schul­essen ausgeben? Und wer soll das bezahlen, die Staatskasse oder die Eltern?Da, wo die eltern ein ausreichendes einkommen haben, müssen diese die Kosten tragen, wo das nicht geht, ist die Gesellschaft und damit die öffentliche Hand gefordert. Während die Mahlzeiten an thürin­gischen Schulen nur 1,90 Euro kosten dürfen, stehen in Bayern 4,20 Euro zur Verfügung. Das klingt ungerecht.ist es auch. An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, dass der Föderalismus in Deutschland spätestens bei Fragen, die die Gesundheit von Kindern betreffen, Grenzen haben sollte. Gleichwertige le-bensverhältnisse und Chancengleich-heit sind so nicht zu erreichen. n

Wie gesund isst schule?Mittagessen Die jüngste Brechdurchfall-Epidemie an ostdeutschen Schulen hat eine erneute Diskussion um Preise und Qualität entfacht Von Marisa Strobel

Wer den ganzen tag in der schule ist, braucht eine vollwertige Mahlzeit.

thomas Krüger (sPd) ist Präsident des deutschen Kinderhilfswerks sowie der Bundeszentrale für politische Bildung.

in Hamburg ist man da bereits einen Schritt weiter. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat in diesem Jahr ein fünfstufiges Gebührensystem eingeführt. Je nach ein-kommen zahlen eltern zwischen 70 Cent und 3,50 euro pro essen, die Differenz trägt der Senat. Für Kinder aus einkom-mensschwachen Familien, die das Bil-dungs- und Teilhabepaket beziehen, ist das essen kostenlos. Die Caterer verpflich-ten sich zudem, die Qualitätskriterien der Deutschen Gesellschaft für ernährung (DGe) einzuhalten.

Schulessen ist aber nicht nur Nah-rungsaufnahme. Seit Jahren steigt die Zahl der übergewichtigen Kinder. Da-heim lernen sie immer seltener, sich ge-sund zu ernähren. Daher sehen experten die Schulen mit in der Verantwortung, Schülern eine gesunde lebensweise zu vermitteln. in Rheinland-Pfalz startete deshalb im September eine initiative zur Verbraucherbildung an Schulen. insge-samt 20 lehrer aus zwölf Schulen werden derzeit geschult. Bei ihnen sollen Kinder ausgewogene ernährung und den be-wussten Umgang mit Geld lernen. n

Kinderernährungeinfach ungerecht Thomas Krüger fordert gutes Essen auch für Hartz-IV-Kinder Interview Yvonne Holl

3,17euro kostet ein ausgewoge-nes schulessen mindestens.

QuEllE: HocHScHulE für AngEwAnDTE wISSEnScHAfTEn HAmBurg 2012

2,01euro wird durchschnittlich an Berliner grundschulen pro schulessen gezahlt.

foTo

S: m

IcH

AEl

Tr

IPPE

l/lA

If, l

Ar

S w

ElD

Ing

/BPB

Page 6: vorwärts November 2012

6 TiTel vorwärts 11/2012

EssEn macht PolitiknahrungsmittEl Wie sie hergestellt werden, hat weitreichende Konsequenzen: für Menschen und für Tiere. Eine oft unterschätzte Macht hat dabei vor allem der Verbraucher Von Carl-Friedrich Höck, Marisa Strobel, Tassilo Oestmann und Kai Doering

gEnossEn kochEnfutter-fuers-volk.de

„Politik und essen – Wie passt das zu-sammen?“, fragte sich Christoph Sträs-ser, Bundestagsabgeordneter der SPD aus Münster. Als Antwort entwickelte der begeisterte Hobbykoch 2007 die idee für eine internetseite, „um Menschen an politische inhalte heranzuführen, die sich nicht den ganzen Tag nur mit Politik beschäftigen“. Auf seiner Seite futter-fu-ers-volk.de können sich interessierte im „Küchen-lexikon“ und im „Saison-Kalen-der“ mit informationen über alle Zutaten versorgen, die man zum Kochen braucht. Zusätzlich gibt es Verbraucherinfos, Weintipps und wöchentliche Menüvor-schläge, die Strässer selbst ausprobiert hat. Dazu gehört etwa das „Blindhuhn“, eine Spezialität aus dem Münsterland. Beim einkaufen bevorzugt der 63-Jähri-ge saisonale und regionale Produkte. er

schafE statt PanzErJa zu regionalen Produkten

Manchmal ist ein vermeintlicher Fluch ein wahrer Segen. 2004 schloss die Bundeswehr ihre Kaserne in Münsin-gen. ein wichtiger Arbeitgeber verließ die Schwäbische Alb. es hieß also han-deln. Und so schlossen sich Münsingen und die umliegenden Gemeinden zum „Biosphärenreservat Schwäbische Alb“ zusammen. Auf dem ehemaligen Trup-penübungsplatz weiden nun Schafe. es gibt Streuobstwiesen und Weinanbau. Mithilfe einer gemeinsamen logistik

werden die produzierten lebensmit-tel an die Geschäfte, Restaurants und Märkte in der Region verteilt. Die Ver-braucher profitieren von ökologischen, in der Region hersgestellten lebensmit-teln. Die Betriebe erhalten einen fairen Preis und können von der landwirt-schaft leben. Münsingens Bürgermeis-ter Mike Münzing will allerdings noch mehr: „Münsingen soll sich zu einem Zentrum der Nachhaltigkeit weiterent-wickeln, in dem ökologische, ökonomi-sche und soziale Fragestellungen aufei-nander abgestimmt werden.“

FoTo

s: N

igEl

Tr

Ebli

N/d

dP,

Mic

ha

El l

aT

z/d

dP

QuEllEN: buNd ÖKologischE lEbENsMiTTElWirTschaFT

74Euro wurden pro kopf im Jahr 2010 für Bio­produkte ausgegeben. Das ist in Europa Platz 7 und mehr als das Doppelte des gesamteuro päischen Durchschnitts.

Eine idylle, die selten realität ist: im freien und auf stroh können sich schweine in der massentierhaltung nicht bewegen.

schafe auf dem früheren truppenübungsplatz

E ssen ist mehr als bloße Nahrungs-aufnahme. Die entscheidung für ein lebensmittel ist auch immer

eine entscheidung für die Art und Weise, wie es produziert wird, wie Tiere gehal-ten und Hersteller bezahlt werden. Der „vorwärts“ hat verschiedene Beispiele aus der ganzen Republik zusammenge-tragen, die zeigen, wie essen Menschen bewegt.

zum sauwohl fühlEndas »Neuland«-Prinzip

Schweine, die im Stroh wühlen und sich in Pfützen suhlen – mit den meisten Mastschweinen in Deutschland haben diese Bilder nichts gemein. in der kon-ventionellen Massentierhaltung sind Stroh und Aufenthalte im Freien nicht vorgesehen. Nicht so bei den Bauern, die ihre Tierprodukte unter der Marke „Neu-land“ verkaufen. Der gleichnamige Ver-ein gibt strenge Richtlinien für Haltung und Schlachtung der Tiere vor. 1988 als Alternative sowohl zur konventionellen als auch zur biologischen Fleischpro-duktion gegründet, setzt sich der Verein seither für eine tiergerechte und um-weltschonende Haltung in bäuerlichen

Betrieben ein. Zu den Trägerverbänden gehören unter anderem der Deutsche Tierschutzbund und der Bund für Um-weltschutz und Naturschutz (BUND).

„Neuland bietet kleinen und mit-telständischen Bauern einen Markt für Produkte aus tiergerechter Haltung und das zu fairen Preisen“, erklärt Bun-desgeschäftsführer Jürgen Dettmer das Konzept. Die Neuland-Preise liegen zwischen denen aus konventioneller Produktion und denen für Biofleisch. So kostet beispielsweise ein Kilo Hähn-chenbrust beim Neuland-Metzger um die 16 euro, im Supermarkt 11 euro. Wer Wert auf Bio legt, zahlt dagegen meist 25 euro und mehr.

Neuland- und Bio-Produkte unter-scheiden sich vor allem in der Wahl der Futtermittel. So müssen Neuland-Bau-ern ihren Tieren kein Bio-Futter geben, haben aber auch hier genaue Vorgaben: Verfüttert werden darf nur einheimi-sches, gentechnikfreies Futter.

Bei anderen Regelungen ist Neuland sogar strenger als manch Bio-Anbieter. Neuland-Ferkel zum Beispiel dürfen seit 2008 nur noch mit spezieller Betäubung kastriert werden. in Bio-Betrieben ist das noch nicht Pflicht. QuEllE: sTaTisTischEs buNdEsaMT

Entwicklung dEr SchlachtmEngEn in dEutSchland (2001 bis 2011)

n RindeR n Schweinen GeflüGel

+38%

+73%

-15%

Page 7: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts TiTel 7

fordert eine Kennzeichnungspflicht für lebensmittel, denn „wir als Verbraucher sollten so gut und klar wie möglich in-formiert werden“.

geschlachtet werden – am Tag. Dabei wird in der Bundesrepublik schon jetzt mehr Hähnchenfleisch produziert, als die Deutschen verbrauchen.

Der 2011 eingeweihte Schlachthof verändert die Region und spaltet die Wietzer in Befürworter und Gegner. Bis zu 1000 neue Arbeitsplätze und steigende Gewerbesteuern erhofft sich der Gemeinderat, darunter auch die örtliche SPD-Fraktion. Trotzdem regt sich Protest. Mehr als 1000 Menschen haben sich in der Bürgerinitiative Wie-tze zusammengeschlossen. ihr Wider-stand richtet sich nicht nur gegen die Schlachtanlage, sondern auch gegen mehr als 400 Hähnchenmastbetriebe, die in der Region entstehen sollen.

eines der Probleme: Hühnerkot enthält Ammoniak. Gelangt es in die Umwelt, kann es das Grundwasser be-lasten. „Und es stinkt eben“, sagt Uschi Helmers, die Vorsitzende der Bürger-initiative. Zudem könnten sich von den Masthöfen aus Keime verbreiten, befürchtet Helmers. Das Schlachtun-ternehmen weist die Vorwürfe zurück: Aus den Ställen gelange kaum etwas nach draußen. „Die Bürgerinitiative übertreibt maßlos“, meint auch Rolf

Widerstand in WietzeEin Schlachthof sorgt für Protest

Wietze in Niedersachsen ist eine kleine Gemeinde mit knapp 8000 einwohnern, die am südlichen Zipfel der lünebur-ger Heide liegt. Mit der Ruhe im Ort ist es vorbei, seit hier der größte Geflügel-schlachthof europas errichtet wurde. Noch ist er nur teilweise in Betrieb. Bei voller Auslastung sollen in der neuen Anlage einmal bis zu 432 000 Hähnchen

Ahrens von der SPD-Fraktion Wietze. Protestiert wird auch gegen den Um-gang mit den Tieren. in den großen Mastanlagen drängen sich bis zu 20 Hühner auf einem Quadratmeter. „Wir wollen, dass die Massentierhaltung in Niedersachsen beendet wird“, sagt Helmers. Ahrens entgegnet: „Ob die Tierschutzgesetze ausreichen, muss der Bund entscheiden, nicht die SPD-Frakti-on in Wietze.“ n

ANZeiGe

Foto

S: V

Eit

MEt

tE, d

Pa/

PEt

Er S

tEFF

En

QuEllEn: BundESaMt VErBrauchEr­Schutz und lEBEnSMittElSichErhEit (BVl) 2011, BundESVErBand tiEr­gESundhEit 2005

Umstrittenes Projekt: in Wietze steht europas größter Geflügelschlachthof.

Christoph strässer auf dem Wochenmarkt

1734tonnen antibiotika wurden 2011 an tiere verfüttert. 2005 waren es noch 784 tonnen.

> Patienten mit Fragen zur zahnmedizinischen Behandlung haben viele Möglichkeiten

Eine gute Nachricht gleich vorneweg: Die Zähne der Deutschen werden immer besser. Und haben sie doch einmal Behandlungsbedarf, gibt es für die meisten zahnmedizinischen Probleme gleich mehrere unterschiedliche Behandlungsmöglich-keiten. Viele Therapiealternativen bedeuten natür-lich andererseits, dass man sich umfangreicher informieren und für eine bestimmte Behandlung entscheiden muss. Auch bei intensiver Beratung in der Praxis kann diese Entscheidung manchmal schwer fallen, vor allem dann, wenn man für eine Therapie einen erheblichen finanziellen Eigenan-teil aufbringen muss.

Wer jenseits der zahnärztlichen Praxis zusätzliche Informationen oder eine Entscheidungshilfe braucht, findet sie bei den Beratungsstellen der Zahnärzte-organisationen, die es in allen Bundesländern gibt. Wo die nächste Anlaufstelle zu erreichen ist, er-fährt man unter www.kzbv.de im Bereich für Patien-ten. Die zahnärztlichen Beratungsstellen bieten eine fachlich fundierte und neutrale Beratung, die ent-weder telefonisch oder vor Ort erfolgt. Sie geben allgemeine Auskünfte zu medizinischen Fragen und Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen, aber auch zu individuellen Problemen bei der zahnme-

dizinischen Versorgung wie zum Beispiel Zahnarzt-angst. Sie informieren außerdem zu speziellen Be-ratungsangeboten: In den meisten Bundesländern gibt es beispielsweise ein gesondertes Zweitmei-nungsmodell für Zahnersatz. Versicherte, die vor einer Zahnersatz-Behandlung die unabhängige zweite Meinung eines Experten zur Therapie ein-holen wollen, bekommen sie dort. Nähere Informa-tionen über das Zweitmeinungsmodell gibt es unter www.zahnarzt-zweitmeinung.de.

Abhilfe gibt es auch dann, wenn die Krankenkasse Schwierigkeiten bei der Bewilligung einer bean-tragten Leistung macht. Zahnarzt und Patient können dann einen gemeinsam von Krankenkassen

und Zahnärzteschaft bestellten Gutachter anrufen. Er überprüft, ob die geplante Behandlung fachlich angemessen ist und von der Krankenkasse bezahlt werden muss. Solche Gutachter können auch dann zum Einsatz kommen, wenn der Patient im Nach-gang zu einer Behandlung Beschwerden hat und befürchtet, dass ein Behandlungsfehler vorliegen könnte. Für den Fall, dass es zwischen Patient und Zahnarzt zu Konflikten kommt, gibt es außerdem Schlichtungsstellen: Sie moderieren zwischen bei-den Seiten, suchen einen Interessenausgleich und versuchen eine einvernehmliche Lösung der Pro-bleme zu erreichen. In neun von zehn Fällen gelingt das; langwierige und oft fruchtlose juristische Aus-einandersetzungen können damit im Interesse des Patienten vermieden werden.

Ob es um allgemeine Auskünfte, eine zweite Mei-nung zu einer geplanten Behandlung oder um medizinische Probleme bzw. Konflikte nach dem Zahnarztbesuch geht, die Patientenberatungsstellen der Zahnärzteschaft helfen weiter. Mehrere zehn-tausend Anfragen bearbeiten sie jedes Jahr. Und die Beratungsangebote sind für Patienten in jedem Fall kostenfrei. Guter Rat muss nicht teuer sein.

>> Guter Rat muss nicht teuer sein

© Robert Kneschke – Fotolia.com

225x152_KZBV_AZ_vrw11.indd 1 31.10.12 10:23

Page 8: vorwärts November 2012

8 TiTel vorwärts 11/2012

Der Name kommt sperrig daher. 2000/13/EG – hinter der Zahlen-Buchstaben-Kom-bination verbirgt sich die „Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endver-braucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür“. Was hier in bestem Brüsseler Beamtendeutsch beschrieben wird, ist eine der zentralen Errungenschaften des europäischen Ver-braucherschutzes. Seit ihrer Verabschie-dung im Jahr 2000 müssen Lebensmittel mit Angaben wie Zutaten, Mindest-haltbarkeitsdatum und Herkunftsort versehen sein. Mittlerweile wurde die

Richtlinie mehrfach ergänzt – zuletzt im Herbst 2011. Damals entschied das Europaparlament, dass Hersteller ab 2014 in einer Tabelle angeben müssen, wieviel Kalorien ihr Produkt enthält. Bislang war dies freiwillig. „Eines unserer Hauptan-liegen sind bessere Informationen für die Verbraucher“, sagt auch Matthias Groote, Vorsitzender des Ausschusses für Umweltfragen, Gesundheit und Lebens-mittelsicherheit des Europaparlaments. Sein Ausschuss ist nicht nur der größte, sondern auch einer der einflussreichsten in Brüssel. Das war nicht immer so. Erst 1975 veröffentlichte die EU-Kommission ihr erstes „Aktionsprogramm zum

Verbraucherschutz“. Mehrere Lebens-mittelskandale in den Mitgliedsstaaten waren dem vorausgegangen. Mit der Zunahme des ungehinderten Waren-verkehrs im europäischen Binnenmarkt nahm auch das Bedürfnis nach mehr Schutz der Verbraucher zu. 1987 wurde der Verbraucherschutz mit der Einheitli-chen Europäischen Akte deshalb zur ge-meinsamen Aufgabe erklärt und 1992 im Vertrag von Maastricht festgeschrieben. Seitdem steht der Verbraucherschutz in allen Politikfeldern im Vordergrund. Mit dem „Weißbuch Lebensmittelsicherheit“ verfolgt die EU-Kommission seit dem Jahr 2000 zudem eine klare Strategie: Deren

Eckpunkte sind schärfere Kontrollen, von der Lebensmittelproduktion bis zum Ver-braucher, unabhängige wissenschaftliche Kontrollen sowie strengere Regeln für die Lebensmittel-Etikettierung. 2002 wurde das Schnellwarnsystem RASFF (Rapid Alert System for Food and Feed) einge-führt. Mit seiner Hilfe sollen Warnungen verbreitet werden, falls Gefahren für die Gesundheit der Verbraucher drohen. Ein funktionierender Verbraucherschutz ist schließlich auch im Interesse der Wirtschaft. „Das Wohl der Verbraucher“, heißt es in einem Strategiepapier der EU-Kommission, „ist das Kernstück gut funktionierender Märkte“. n KD

infos für Verbraucher – europa sei Dank!Der EU-Kommission und dem Europaparlament ist der Verbraucherschutz wichtig. Das war nicht immer so

C

H

A

B

E

F

65000produkte tragen derzeit das bio-siegel. im februar 2007 waren es 36 000, ein halbes Jahr nach dessen einführung 2002 waren es 5000 produkte.

QUEllEN: BUNDEsmiNistEriUm ErNäHrUNg, lANDwirtsCHAFt UND VErBrAUCHErsCHUtz

g

buchtippsRichard RickelmannTödliche ernTeWie uns das Agrar- und Lebensmittelkartell vergiftetEcon, Berlin 2012 320 Seiten, 18 Euro ISBN 978-3-4302-0125-4

Hans-Ulrich GrimmVom Verzehr wird abgeraTen Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank machtDroemer, München 2012, 320 Seiten, 18 Euro ISBN 978-3-426-27556-6

Karen DuveansTändig essen Ein SelbstversuchGoldmann, München 2012 336 Seiten, 9,99 Euro ISBN 978-3-442-47647-3

GEO kompaktgesunde ernährung Wie Forscher die Geheim-nisse unseres Essverhaltens enträtselnGruner + Jahr, Hamburg 2012, 155 Seiten, 8,50 Euro ISBN 978-3-6520-0089-5

D

®

a. stiftung Warentest Die staatlich unterstützte Verbraucher-organisation Stiftung Warentest führt transparente und dokumentierte Tests durch, bei denen Gebrauchswert, Taug-lichkeit und weitere, für jeden Test in-dividuell festgelegte Kriterien bewertet werden. Die Verwendung des labels auf Produkten wird kontrolliert.

b. Öko-test Das Magazin ÖKO-Test lässt Produkte in einzeltests überprüfen, ursprüng-lich mit dem Fokus auf gesundheitliche und ökologische Risiken. Mittlerweile fließen weitere Kriterien wie etwa die Gebrauchstauglichkeit mit ein. Auch Dienstleistungen gehören (wie bei Stif-tung Warentest) zum Testspektrum.

c. bio-siegelDas Bio-Siegel garantiert europäische Mindeststandards für den ökologi-schen landbau. Ziel ist es, gesunde und empfehlenswerte lebensmittel her-vorzubringen und die durch landwirt-schaftliche Produktion verursachten Umweltbelastungen zu reduzieren. Seit Juli 2012 gibt es alternativ das eU-Bio-siegel (Sterne in Blattform) mit gleicher Aussagekraft.

D. transfairMenschenwürdige lebens- und Arbeits-bedingungen soll die Kennzeichnung

für „fairen Handel“ gewährleisten, die der gemeinnützige Verein Transfair vergibt. Auf Basis eines lizenzvertrages verpflichten sich lebensmittel-impor-teure zu hohen Standards, die regelmä-ßig von unabhängiger Seite kontrolliert werden.

e. neulanDDas Neuland-label garantiert Fleisch aus artgerechter und umweltschonen-der Nutztierhaltung und wird vom gleichnamigen Verein vergeben. Hinter dessen Gründung standen unter ande-rem verschiedene Umwelt- und Tier-schutzorganisationen. Die Richtlinien für die Vergabe sind transparent, unab-hängige Kontrollen finden regelmäßig statt.

f. tüV Der TÜV prüft die einhaltung beson-ders hoher Standards für lebensmittel-sicherheit. Die Kriterien werden in der kompletten Produktionskette überprüft.

g. tierschutzbunD Der „Hase mit schützender Hand“ kennzeichnet Kosmetika, die keine Ver-bindung zu Unternehmen haben, die Tiere schädigen oder ausbeuten. Der Tierschutzbund führt über diese Pro-dukte auch eine Positivliste. Ab 2013 soll es auch ein entsprechendes label für lebensmittel geben, ähnlich der „Neuland“-Kennzeichnung.

h. DlgFür die Prämierung durch die Bran-chenorganisation DlG (Deutsche land-wirtschafts-Gesellschaft) können sich lebensmittelproduzenten bewerben. Das Siegel wird sehr großzügig verge-ben und bewertet hauptsächlich guten Geschmack und Geruch. n MMP

Wahrheit oDer Werbung?gütesiegel was sie bedeuten und wie hilfreich sie sind: eine Auswahl

Mehr Infos unterlabel-online.de

Page 9: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts TiTel 9

D er stets informierte, immer rati-onale und selbstbestimmte Ver-braucher existiert in der Realität

nicht“, ist sich elvira Drobinski-Weiß si-cher, die verbraucherpolitische Spreche-rin der SPD-Bundestagsfraktion. Bereits im März hat die Fraktion „leitlinien für eine sozialdemokratische Verbraucher-politik“ beschlossen. Das Ziel: „Verbrau-cher müssen in ihren Rechten gestärkt und besser informiert werden, damit sie selbstbestimmt auswählen und den Markt mitgestalten können.“Kein Gen-Food: lebensmittel sollen auch in Zukunft ohne Gentechnik er-zeugt werden. Die SPD setzt sich deshalb für die Reinheit des Saatguts ein.Kennzeichnung: Beim Kauf von lebens-mitteln soll schnell und einfach erkenn-bar sein, was in Produkten enthalten ist. Neben verständlichen Bezeichnungen, klaren inhaltsangaben und aussagekräf-tigen Siegeln fordert die SPD eine Kenn-zeichung von Nährwerten per Ampel-system.Sicherheit: lebensmittel sollen sicher sein. Deshalb will die SPD die lebens-mittelüberwachung ausbauen und verbessern. Zudem sollen ein Sachver-ständigenrat für Verbraucherfragen und eine repräsentative, jährliche Ver-brauchserhebung eingerichtet werden.Kontrolle: Die Verbraucherverbände sol-len gestärkt werden und „Marktwächter“ installieren, die den Markt beobachten, Missstände melden und mit rechtlichen Mitteln bekämpfen.Offene Küchen: Verbraucher sollen erfah-

W ar da nicht was? Hatte Bun-desverbraucherschutzmi-nisterin ilse Aigner nicht

angekündigt, etwas gegen überzogene Dispozinsen zu unternehmen? Und ge-gen einseitige Finanzberatung wegen Provisionen? Und gegen die Abmahn-industrie im internet? Und gegen den Datenmissbrauch bei Facebook & Co.?

Und? Nichts ist passiert, gar nichts. Ge-nauso wenig wie bei Gift in Kinderspiel-zeug, beim Schutz vor teuren Ärzte-Zu-satzleistungen und beim angekündigten Schutz vor Grüner Gentechnik.

Große Worte, noch größere Ankün-digungen, (allerhöchstens) kleine Taten: Aigner ist die Schlagzeile wichtig, nicht die lösung des Problems. Die Ministerin hat kein Konzept und sie hat auch keinen einfluss in der schwarz-gelben Koali tion: Kein Wort zur einseitigen Belastung der Verbraucherinnen und Verbraucher in der energiepolitik. Beim Gesetz über Finanzdienstleistungen wurde sie nicht einmal beteiligt. ihr „eckpunktepapier“ zu Finanzberatungen gammelt seit 18 Monaten vor sich hin. Aus der Studie zu überhöhten Dispozinsen, immerhin aus Steuergeldern bezahlt, ist nichts gefolgt.

Bei lebensmitteln verstösst Aigner rund um die Uhr gegen „Wahrheit und Klarheit“. im interesse der Konzerne will Aigner weiter die regionale Herkunft, den genauen inhalt, die eingesetzten Futtermittel und Arzneien sowie die Behandlung der Tiere verschleiern.

Während sie in Bayern einen enga-gierten Kampf gegen die Grüne Gentech-nik verspricht, verhindert sie in Brüssel genau diese Regeln. Schlimmer noch: Sie betreibt die Aufhebung des Verbots un-getesteter, genetisch veränderter Futter-mittel, macht Deutschland und Bayern so zum Versuchslabor. Noch ein Thema, bei dem die Bayern bei der vermeintli-chen Seehofer-erbin einmal nachhaken sollten. n

ren, ob Kantinen und Restaurants sauber sind. Die SPD fordert deshalb eine einfach verständliche Veröffentlichung der Kont-rollergebnisse von Gesundheits- und Ord-nungsämtern.Tierhaltung: Der Antibiotikaverbrauch in der landwirtschaft soll massiv einge-dämmt werden. Bessere Haltungsbedin-gungen sollen den Tierschutz verbessern.Wettbewerb: Die Marktmacht der Han-delsketten soll gebrochen werden, um Preisdruck zu verringern und Arbeits-bedingungen zu verbessern. Die SPD will wieder einen fairen Wettbewerb herstellen. „Gute Verbraucherpolitik muss die Anbieter stärker in die Pflicht nehmen“, fordert elvira Drobinski-Weiß. Weniger wegwerfen: Die Verschwen-dung von lebensmitteln soll gestoppt werden. Die SPD will dazu eine Strate-gie entwickeln: Überschüssige lebens-mittel sollen an Bedürftige verteilt und eine Alternative für das irreführende Mindesthaltbarkeitsdatum gefunden werden.Ehrlichkeit: Werbung mit gesundheits-bezogenen Aussagen soll nur dann zu-lässig sein, wenn diese wissenschaftlich belegt sind.Die Voraussetzung, all dies zu erreichen, formuliert elvira Drobinski-Weiß gleich mit: „Die SPD muss nach landtags- und Bundestagswahlen das Verbrauchermi-nisterium für sich beanspruchen!“ n

Themenforum für Verbraucher

„Für die SPD ist die Verbraucherpolitik ein unverzichtbarer Baustein ihres Politikangebots“, sagt Ulrich Kelber. Seit vergangenem September ist dieser Stein noch massiver geworden: Das „Themen­forum Verbraucherpolitik“ hat seine Arbeit aufgenom­men. Geleitet wird es vom Bundestagsabgeordneten Kelber und seinem Kollegen Carsten Sieling. „Das Themenforum wird helfen, dass die Verbraucherpoli­tik der SPD stärker wahr­genommen wird“, ist Kelber überzeugt. Beteiligen können sich nämlich nicht nur Partei­mitglieder, sondern alle, die sich für Verbraucherschutz interessieren. „Sie müssen nur gegenüber der SPD die Mitgliedschaft im Themen­forum erklären“, erklärt Ulrich Kelber. Mitentscheiden dürfen alle: „Wir sind antrags­berechtigt zum Bundespar­teitag. Und davon werden wir rege Gebrauch machen.“ n KD

Kontakt:[email protected]

Weitere Artikel zum Thema Verbraucherschutz in dieser Ausgabe:

Seite 24 Alles muss aufs Etikett: Frosta-Geschäftsführer Felix Ahlers fordert Transparenz

Kinderarbeit: Eine Kampagne deckt große Missstände auf

Seite 25 Leben mit Kühen: Die Arbeit eines Landwirts

vorwärts App+

… mehr lesen!

Interview : Manuela Schwesig zum Schulessen

Reportage: Zusatz-stoffe-Museum in Hamburg

Interaktive Grafik: Saisonkalender für den Einkauf

Jetzt herunterladen:vorwärts.de/app

Wissen isT machTVerbraucherschuTz Die SPD will die Konsumenten wachrütteln, schützen und informieren Von Kai Doering

schlagzeilen sTaTT lösungenilse aigner Die Ministerin produziert vor allem eines: heiße Luft Von Ulrich Kelber

Die Leitlinien für eine sozialdemokratische Verbraucherpolitik gibt es unter spdfraktion.de/themen/verbraucherschutz

große Worte, kleine Taten: bundesverbrau-cherministerin ilse aigner (csu)

Foto

S: D

irK

BLe

icK

er, S

eBa

Stia

n K

ah

ner

t/D

Pa

VorWärTs-salongespräch in berlinIm Gespräch mit Experten sammelte die vorwärts­Redaktion Ideen für die aktuelle Titel­geschichte. Mit dabei (v.l.u. im Uhrzeigersinn ): Ralf Wolkenhauer, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft u. Verbraucherschutz, Wilhelm Priesmeier, Tierarzt und SPD­MdB, Micha Heilmann, Gewerkschaft NGG, Jochen Dettmer, Neuland e.V., Martin Wille, Agrar­ soziale Gesellschaft e. V. (stehend), Thomas Schroeder, Deutscher Tierschutzbund, Ute Vogt, SPD­MdB, Katrin Budde, Landesvorsitzende SPD Sachsen­Anhalt, Nele Herrmann­Valente (vorwärts), Stefan Zwoll , Ulrich Kelber, SPD­MdB, Uwe Knüpfer, vorwärts­Chefredakteur. n LH

Page 10: vorwärts November 2012

10 In Kürze vorwärts 11/2012

D er regine-Hildebrandt-Preis 2012 geht an den regisseur Andreas Dresen, den Verein „Wir – Ge-

meinsam in zwickau“ aus Sachsen und das „Bündnis gegen rechts im Kyffhäu-serkreis“ in Thüringen.

Dresen war einer der ersten regis-seure, die sich differenziert mit der Le-benssituation in der früheren DDr und den nachwirkungen der Wiederverei-nigung auseinandergesetzt haben. Sein Film „Halbe Treppe“ wurde u.a. mit dem Deutschen Filmpreis und dem Silbernen Bären der „Berlinale“ ausgezeichnet. Der Verein „Wir – Gemeinsam in zwickau“ arbeitet neben Migrations- und Integrati-onsprojekten für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Das „Bündnis gegen rechts im Kyffhäuserkreis“ hat seit dem Jahr 2000 zahlreiche Präventions-projekte gegen rechts angeschoben.

Geehrt werden die Preisträger am 26. november, dem Todestag der Brandenbur-ger Sozialministerin regine Hildebrandt, im Willy-Brandt-Haus. Der Preis ist mit 20 000 euro dotiert und wird an Personen und Institutionen verliehen, „die im Sin-ne Hildebrandts für Ostdeutschland und seine Menschen wirken“. n KD

Rudolf Müllerehem. MdBzum 80. Geburtstag

Claus-Henning SchapperStaatssekretär a.D. im Bundesinnenministerium Barbara Schmidtbauerehem. MdEPzum 75. Geburtstag

Lieselott Blunckehem. MdBNorbert MeisnerBerliner Finanzsenator a.D.Dieter Schinzelehem. MdB und MdEPHeinz Schreiberehem. MdB und MdEP Marianne TidickMinisterin a.D. in Schleswig-Holstein Heidemarie Wieczorek-ZeulEntwicklungsministerin a.D.zum 70. Geburtstag

HerzlicHen GlückwunscH

europa reGionalGobald denken, lokal handeln – in niedersachsen soll diese Aufforderung nach der Landtagswahl im kommen-den Januar in die Tat umgesetzt wer-den. zuständig dafür ist Birgit Honé, Senatorin am Landesrechnungshof und designierte Ministerin für europa, regionale entwicklung und Landwirt-schaft. Im Oktober berief Spitzen-kandidat Stephan Weil Honé in sein Team. „Wer die regionen fördern will, muss eine Verzahnung zwischen den regionalen Wirtschaftsräumen und der eU organisieren“, betont Honé. Ihr ziel ist eine „multifunktional ausgerichtete, wettbewerbsfähige Landwirtschaft, die den Verbraucher als Verbündeten sieht“. n KD

Männer des Monatserfolgreicher Monat für zwei überzeugte europäer: zuerst wurde Achim Post vom Kongress der Sozialdemokrati-schen Partei europas (SPe) zum neuen Generalsekretär gewählt. Post, der die Internationale Abteilung im SPD-Par-teivorstand leitet, ist der erste Sozial-demokrat aus Deutschland, der diesen Posten bekleidet. ende Oktober kürte dann das Magazin „GQ Gentlemen‘s Quarterly“ Martin Schulz zum „Mann des Jahres“. Der Präsident des europa-parlaments sei ein unbequemer Politiker

„im besten Sinne“ und pflege eine „direkte Sprache“, wie Fernsehmode-rator Klaas Heufer-Umlauf in seiner Laudatio hervorhob. Weitere Männer des Jahres wurden Diskus-Olympia-sieger Robert Harting, Bass-Bariton Thomas Quasthoff und der britische Oscar-Preisträger Ben Kingsley. n KD

in reGines sinnHildebrandt-preis Auszeichnung für Andreas Dresen und zwei Initiativen

den silbernen bären und das bundesverdienstkreuz hat er schon. Jetzt wird regisseur andreas dresen auch mit dem regine-Hildebrandt-preis ausgezeichnet.

neues JaGdrevier

zwölf Goldmedaillen bei paralympi-schen Spielen und vier WM-Titel – das ist die sportliche Bilanz von Verena Bentele. Vor einem Jahr erklärte die von Geburt an blinde Biathletin und Lang-läuferin ihren Abschied vom Leistungs-sport. nun wird die Politik ihr neues Jagdrevier. Auf dem Landesparteitag der bayerischen SPD berief Spitzenkandidat Christian Ude Bentele in sein Wahl-kampfteam. Die 30-Jährige ist darin zuständig für die Bereiche Sport und Inklusion. Ihre erste Probe hat Bentele bestanden: Vor den Delegierten hielt sie eine mitreißende rede. n KD

Global GedacHtVon Rafael Seligmann

Die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika haben ihre Stimme ab-gegeben. Doch trotz des erbitterten Wahlkampfs und aller heiligen Ver-sprechen, für mehr soziale Gerechtig-keit zu sorgen und die Staatsschulden abzubauen, die während des Milliar-den teuren Präsidentschaftsrennens gegeben wurden, deutet nichts auf eine Wende zum Besseren hin.

Wer sich während der heißen Pha-se des Kampfes ums Weiße Haus und nahezu des gesamten Kongresses in den USA umhörte, war überrascht, wie wenig das in den Medien hochge-jazzte Wahlkampffieber die Masse der Amerikaner berührt hat. Diese Gleich-gültigkeit kommt nicht von ungefähr.

Die Indifferenz der US-Bürger und die Sorge des Auslands sind berech-tigt. Seit 30 Jahren verringert sich das realeinkommen der Hälfte der Bürger, während sich die einnahmen der reichsten, die ein Tausendstel der US-Bevölkerung ausmachen, verdop-pelten. In den USA gibt es die teuers-ten Firmen, die besten Universitäten, die meisten nobelpreisträger. Doch die Armut bleibt erschreckend. Dar-an änderte sich nichts, einerlei, ob die Präsidenten Demokraten oder repub-likaner waren.

zuletzt stritten Obama und rom-ney über scheinbar unvereinba-re Konzepte. Der Präsident wollte mehr Staat, romney weniger. Doch beide befürworteten hohe Militär-ausgaben. Daher wird der Krieg in Afghanistan weitergehen und wei-tere Milliarden verschlingen. Die 16 Billionen Dollar Staatsschulden werden zunehmen. Die USA werden in noch stärkere Abhängigkeit von China geraten.

Bemerkenswerterweise wurden Europa und Deutschland während der landesweit übertragenen TV-De-batte zur Außenpolitik nicht einmal erwähnt. Das entspricht den politi-schen Vorstellungen beider Seiten. europa wird entgegen allen Verspre-chungen weiter als nebenschauplatz behandelt werden, da hier weder Kriege stattfinden noch ein Handels-defizit herrscht.es wird zeit, dass europa seine Diffe-renzen überwindet und sich auf eige-ne Beine stellt. n

Foto

s: K

lAu

s-D

Ietm

Ar

GA

bb

ert/

DA

pD, b

Ay

ern

spD

; VIG

net

te:

hen

Dr

IK J

on

As

Page 11: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts In Kürze 11

Mieter entlastenneumietern in Deutschland könnte im kommenden Jahr eine deutliche entlastung winken. Hamburg plant, im kommenden Frühjahr einen Gesetzent-wurf in den Bundesrat einzubringen, der die Maklerkosten künftig nach dem „Bestellerprinzip“ regelt. Damit würde derjenige den Makler bezahlen, der ihn beauftragt. zurzeit sind das in den allermeisten Fällen die Vermieter. Bezahlen müssen jedoch die Mieter. Die SPD-regierten Bundesländer haben bereits zustimmung signalisiert. n KD

Jusos planen 2013„Gerecht – Jetzt oder nie!“ Unter diesem Motto findet vom 16. bis 18. november der Bundeskongress der Jusos in Magdeburg statt. Dort wollen sie den „inhaltlichen Grundstein für den Jugendwahlkampf 2013“ legen. Die Beschlüsse des Kongresses sollen auch in das SPD-Programm zur Bundes-tagswahl einfließen. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wird in Magdeburg ebenso reden wie SPD-Chef Sigmar Gabriel. n KD

Nächstes Jahr werden die Strompreise deutlich steigen. Woran liegt das?rund die Hälfte des Strompreises zahlen die Deutschen an den Staat. Allein die erhöhung der eeG-Umlage von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde wird die Strompreise um mindestens sieben Prozent verteuern. zum Anstieg der eeG-Umlage kommt jetzt noch die erhöhung der netzentgelte hin-zu. Viele Stroman-bieter werden die erhöhung der Abga-ben an ihre Kunden weitergeben. Für ei-ne vierköpfige Fami-lie bedeutet das eine jährliche Mehrbelas-tung von rund 135 euro.700 Unternehmen sind von der Ökostrom-Umlage befreit. Ist das gerechtfertigt?In den letzten Jahren wurden immer mehr Betriebe mit hohem Stromver-brauch von der zahlung der Ökostrom-Umlage befreit. Die Politik erklärt das damit, dass diese Betriebe im internati-onalen Wettbewerb stünden und bei zu hohen Strompreisen nicht mehr wettbe-werbsfähig seien. Durch die Ausnahmen erhöht sich der Betrag, den die privaten

Stromkunden und kleinere Gewerbe-betriebe zu zahlen haben. es ist daher richtig, die rabatte für energieintensive Unternehmen bei der Ökostrom-Umlage jetzt schnell zu überprüfen. Die ener-

giewende ist eine gesell-schaftliche Aufgabe, de-ren Kosten nicht nur von den Privatkunden getra-gen werden können.Was können Verbrau-cher gegen steigende Strompreise tun?Wichtig ist, dass sich Ver-braucher mit ihrem Strom-verbrauch befassen. Die erste Maßnahme sollte sein, die Stromfresser im eigenen Haushalt aufzu-spüren und beispielswei-se alte Geräte mit hohem Verbrauch durch energie-

effiziente Geräte zu ersetzen. Doch durch die Anschaffung von energiesparlampen und modernen Waschmaschinen lässt sich die anstehende Preiserhöhung nicht ausgleichen. Viel effektiver ist der Wech-sel zu einem günstigeren Stromanbieter. Der Wechsel zu einem günstigen Ange-bot spart einer vierköpfigen Familie der-zeit durchschnittlich rund 400 euro im Jahr ein. n KD

Thomas Prangemeier ist Geschäftsführer des Energie-Vergleichsportals „Verivox“.

thoMas prangeMeier

Drei Fragen an

Haben Sie gesehen, wie bedröppelt Angela Merkel gelacht hat, als Löws Jungs gegen Schweden 4:4 verloren? Vielleicht schwante ihr was. Fuß-ball und Politik sollen ja viel gemein haben. Momentan überhöhen Spiel-beobachter Merkels regierungskunst ähnlich wie der TV-Kommentator die Leistung der deutschen elf bis zur 62. Minute. Merkel weiß, sie muss noch zehn Monate durchhalten – aber ohne Özil, Klose, Götze, Reus. Und ihre ersatzbank ist leer. Wer weiß, vielleicht wird Merkels Spiel ja früher abgepfiffen. Am 1. no-vember hat Hans-Dietrich Genscher die SPD besucht. Der 85-Jährige kam in Begleitung des 80jährigen Gerhart Baum, eines überzeugten Soziallibe-ralen – „nicht in Vorbereitung verän-derter regierungskoalitionen“, wie Sigmar Gabriel beteuerte: „Aber wir wollen‘s auch nicht ausschließen.“Genscher sprach zu europa. Die eU sei eine „zukunftswerkstatt für die ganze Welt“, fuhr er allen über den Mund, die derzeit locker über Sein oder nichtsein europas parlieren. nebenbei räumte Genscher mit der neuen „Dolchstoßlegende“ auf, die regierung Kohl/Genscher habe einst die zustimmung europäischer nach-barn zur deutschen einheit mit dem Verzicht auf die D-Mark erkauft. In einem Memorandum vom 26. Febru-ar 1988 (!) habe er den Weg zur Wäh-rungsunion skizziert – eineinhalb Jahre vor dem Fall der Mauer. „Staatskunst“ mahnte Genscher jetzt an. europapolitischer Stillstand wäre rückschritt. „es würde kalt, eiskalt werden für das Land in der Mitte europas“, sollte die eU zerfallen. Der Altmeister tadelte, „wie manche über die Griechen sich ausgelassen haben“. er nahm den namen des FDP-Vorsit-zenden Philipp Rösler nicht in den Mund. In FDP-Kreisen wird schon seit länge-rem nicht mehr darüber spekuliert, ob rösler am ende sei, sondern nur darüber, gegen wen er wann ausge-tauscht wird. Meistens fallen dann die namen Lindner und Brüderle. Bei der SPD brachte Genscher noch jemanden ins Gespräch. Jetzt gehe es um dermaßen viel: „Da macht es ja Spaß, wieder mitzumachen!“ n

Berliner tageBuchNotiert von Uwe Knüpfer

»Nachdem andere versucht haben, mir einen Stein an den Kopf zu werfen, trage ich nun gerne dazu bei, dass daraus ein Bumerang wird, der an ihren eigenen Kopf zurückfliegt.«Peer Steinbrücklegt seine Nebeneinkünfte offen

»Das ist doch früher etwas rafinierter gemacht worden.«Christian Udeironisch über den Versuch der CSU, Einfluss auf die ZDF-Berichterstattung zu nehmen

Foto

:Pet

er V

og

el, B

ea M

ar

qu

ar

dt;

Vig

net

te:

hen

dr

ik J

on

as

MitglieDerBegehren erleichternDas erste Mitgliederbegehren nach Verabschiedung der Parteireform im De-zember 2011 ist gescheitert. Bis zum 24. Oktober beteiligten sich lediglich rund 4800 Genossen an der Entscheidung, sich für oder gegen die Vorrats-datenspeicherung auszusprechen. Das vorgegebene Quorum von 48 500 Un-terschriften wurde damit klar verfehlt. Die Initiatoren, Yasmina Banaszczuk und Dennis Morhardt, sind trotzdem zufrieden. „Der gestartete Dialog mit der Partei legt deutlich die kritische Einstellung der Basis gegenüber der verdachts-losen Vorratsdatenspeicherung offen“, sagt Morhardt. Die Erfahrungen aus dem Mitgliederbegehren wollen er und Banaszczuk nun für eine Reform des Verfahrens nutzen. Gemeinsam haben sie Ideen entwickelt, wie Mitglieder-begehren vereinfacht werden können. „Unser Konzept enthält zahlreiche Vor-schläge, um die Durchführung zu erleichtern, die Basis besser zu informieren und Partizipation zu einer festen Komponente im SPD-Alltag zu machen“, sagt Banaszczuk. So sollen etwa das Quorum von zehn auf fünf Prozent der Mit-glieder sinken und Unterschriften künftig auch im Internet möglich sein. n KD

Yasmina Banaszczuk und Dennis Morhardt übergeben 4800 unterschriften.

Page 12: vorwärts November 2012

12 Meinung vorwärts 11/2012

Brandt war ein Visionärwolf schellerVon seiner Persönlichkeit – so fragil, oft auch wider-sprüchlich sie oft erschien – ging ein Charisma aus, das keinerlei Selbstdarstellung ertrug, wohl aber jene Fähig-keit zur Empathie erkennen ließ, ohne die politisches Auftreten und Handeln nicht glaubwürdig erscheint. Sicherlich wusste Brandt um seine Wirkung. Vielleicht orientierte er sich an jenem Wort von George Orwell, dass „jedes Leben von innen her gesehen nichts weiter als eine Kette von Niederlagen ist“. Jedenfalls hatte er sich die Sentenz des englischen Schriftstellers notiert, dem er während des Spanischen Bürgerkriegs begegnet war, wie der Brandt-Biograph Gre-gor Schöllgen berichtet hat. vorwärts.de/blogs

Politik-UmBrUch erwünschtBjörn roddayFür eine Listenaufstellung zur Bundestagswahl sollten viel mehr Personen und In-halte zählen als die regionale Verwurzelung! Ich bin z.B. weder Pfälzer noch Rheinhesse, noch bin ich im Westerwald aufge-wachsen! Ich bin ein Heidjer mit Königsberger Wurzeln, der -zig mal umziehen muss-te, sich als Franke fühlt und mit einer Griechin verheira-tet ist. Aber ...ich betrachte dennoch Rheinland-Pfalz als meine aktuelle Heimat... Schreck lass nach! Und ja, ich möchte trotz des Makels, dass ich kein lokalpolitischer Keimling eines Ortsvereins meiner Jugend bin, dennoch politische Verantwortung übernehmen! Was für ein Unding!vorwärts.de/blogs

mitreden & Bloggen:

vorwärts.de/Politik/Zwischenruf

D er einsatz für den Frieden ge-hört seit 150 Jahren zu den Programmen und zur prakti-

schen Politik der SPD ebenso wie ihr Kampf für die soziale gerechtigkeit. Der letzte deutsche Friedensnobel-preisträger war Willy Brandt.

Mit enttäuschung muss man als Sozialdemokrat zur Kenntnis neh-men, dass das internationale Frie-densgebot auf den Kopf gestellt wird, mit der orwellschen Formel „die beste Friedenssicherung ist mehr Sicherheit durch Krieg“.

Diese Form von „Friedenssiche-rung durch Krieg oder Kriegsdrohung“ kann aber nur durch stetig wachsen-des Potenzial an Rüstungsproduktion hergestellt werden.

Hier kommt es zu einem grauen-haften, die Staatshaushalte zerrüt-tenden Wettbewerb zwischen den nationen. Deutschland hält dabei im Rüstungsexport international seit Jahren den 3. Platz.

Die Steigerung des Rüstungsex-ports ist denn auch die Devise der Rüstungsindustrie und ihrer Lobby. Äußerlich wird dies manifest durch die Begleitung von zahlreichen Reprä-sentanten der Rüstungsindustrie bei Auslandsreisen der Kanzlerin – ob ins hungernde Angola oder nach indone-sien. Überall werden deutsche Waf-fen in Kriegsgebiete oder solche, die es werden könnten, geliefert.

Von Deutschland geht wieder Krieg aus!

Weit entfernt erscheinen Sozialde-mokraten und gewerkschaftler vom Diktum gustav Heinemanns: „Der Friede ist der ernstfall, hinter dem es keine existenz mehr gibt“.

Wie könnte sonst 2005 eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zur Siche-rung von Arbeitsplätzen die „ Auswei-tung der staatlichen exportförderung

für Rüstungsgüter“ fordern? Die For-derung der Rüstungsindustrie nach Subvention des exports mit Steuer-geldern ist auch 2012 aktuell. „Au-ßenpolitik durch Rüstungsexport“ formuliert eine bekannte deutsche Wochenzeitung.

ist das Schweigen der Partei zu diesen exzessen Teil der offiziellen Politik?

Die vorhandene Alternative „Kon-version“ mit denselben Steuermit-teln wird nicht diskutiert. Dabei hat Rheinland-Pfalz nach Abzug der uS-einheiten vorgemacht, wie aus dem Verlust von 26 000 Arbeitsplät-zen 50 000 höher qualifizierte Arbeits-plätze entstehen können!

Der Dichter georg Herwegh schrieb 1871 in seinem gedicht „epilog zum Kriege“:

…Vereinigt stehen Süd und Norden,Du bist im ruhmgekrönten MordenDas erste [vorerst das dritte] Land derWelt gewordenGermania, mir graut vor dir!

georg Herweghs Warnung ist heute aktueller denn je. n

EntrüstEt Euch!christof MüllEr-Wirth Von Deutschland geht wieder Krieg aus: durch Rüstungsexporte in alle Welt. Und die SPD schweigt. Schluss damit!

ZWischEnruf

Christof Müller-Wirth Dr.rer.pol., geb. 1930, in der SPD seit 1958, ist Herausgeber der Streitschrift „JETZT entrüsten“, Anstifter-Verlag Stuttgart 2012

lEsErbriEfEtriuMph dEr troika10/2012

gratulation zur rechtzeitigen Kür von Peer Steinbrück. ... Mit seiner Finanz- und wirtschaftlichen Kompetenz sowie brillanter Rhetorik ist er Frau Merkel klar überlegen. ... um das bei anscheinend vielen Bürgern erzeugte „Mutti-gefühl“ muss er sich jedoch ge-meinsam mit der Partei noch bemühen und darf die Volkstümlichkeit nicht vergessen. Rainer Vogl, Baden-Baden

Steinbrück, gabriel, Steinmeier – wirklich ein sehr sympathisches Trio. Mit vollem einsatz und Sympathie muss der Wahlkampf gewonnen werden. Uta Fritzsche, Mönchengladbach

nun soll wieder der Mensch im Mit-telpunkt stehen? Bei der wachsenden sozialen Spaltung im niedriglohnsektor und bei der Bildung will man nun die Fliehkräfte der gesellschaft aufhalten. Dieses waren keine handwerklichen Defizite von Schwarz-gelb, sondern von Deregulierung, Hartz-Reformen und Agenda 2010. ... Man muss ausgehend von den grundwerten der SPD so viele Wähler ansprechen wie möglich! Sonst wird man beliebig. Peter Falk, Berlin

eine gute Wahl. ... Der Wechselwunsch ist in der Bevölkerung vorhanden ..., ein Sieg ist möglich, wenn es inner-parteiliche geschlossenheit gibt. Die Bundestagswahl 2013 wird in der Mitte der gesellschaft entschieden, nicht an ihren Rändern. Reinhard Wawziniak, Dortmund

Peer Steinbrück hat in seiner Zeit als Finanzminister erkennbar dazugelernt, was die Verbalisierung politischer Komplexität angeht. ich traue ihm zu, die Architektur einer tragfähigen Reformkonzeption zu entwickeln und umzusetzen. entweder die SPD kommt mit ihm zu einem realisti-schen Verständnis der Welt ... oder wir werden nach Angela Merkel noch mehr Kanzler erleben, die sich die notwen-dige politische Bildung erst im Amt aneignen. André Beßler, Bremen

Was Wird aus dEr rEntE? 10/2012

Jegliche Diskussion über Altersversor-gungssysteme schließt nur die ge- Fo

to: P

RIV

At;

VIg

net

te:

hen

DR

IK J

on

AS

Gut GEbloGGt

Page 13: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts Meinung 13

AnZeigesetzliche Rente ein, alles andere bleibt außen vor. ... Dass endlich begonnen werden muss, die Überprivilegierung der Beamten zu beenden, wird mit so billigen Argumenten wie „neiddiskus-sion“ oder „Alimentationspflichten des Staates“ abgebügelt. ... Da gibt es große unterschiede in der Systematik und da kann man in kleinen Schritten hin zur gerechtigkeit viel erreichen. Joachim Leefmann, Bremen

Die ungleiche Rentenberechnung in Ost und West kann heute, 23 Jahre nach dem Mauerfall, von den Rentnern nicht mehr verstanden werden. ... es wird Zeit, diese ungerechtigkeit aus dem einigungsvertrag zu beseitigen! es ist höchste Zeit, dass die SPD-Führung sich offen gegen diese ungleiche Rentenbe-rechnung stellt. Werner Zschieschack, per E-Mail

nicht jeder, der hart arbeitet, wird auch gerecht entlohnt und bekommt dafür ei-ne entsprechende Rente. ... Was ist denn mit den 400-euro-Jobbern? Arbeiten die nicht auch sehr, sehr hart? Erich Stelzer, Regensburg

Ein klEinEr Schnitt 09/2012

Das Kölner Landgericht hat (mit dem urteil zur Beschneidung, Anm. d. Red.) seine juristische Kompetenz eindeutig überschritten. Das gericht war nicht aufgerufen, über ein Ritual im Juden-tum und in der muslimischen Kultur-welt ganz allgemein zu befinden. es ging nur um einen ärztlichen Kunst-fehler in einem sehr konkreten Fall. Sigurd Schmidt, Bad Homburg

Das sogenannte elternrecht ist das Recht, über einen anderen Menschen zu bestimmen und widerspricht der These, dass jeder Mensch frei geboren ist. ... Tradition ist kein Wert an sich. es war .... bei uns lange Tradition, Kinder

mit dem Rohrstock zu erziehen. Sicher weint niemand dieser Tradition nach. Heinz-Peter Curdts, Bad Homburg

BErichtigung10/2012

in unserer Meldung über den vorwärts-radar ist uns ein Fehler unterlaufen: nicht „der Verein D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt“, sondern network Media im Auftrag des vorwärts-Verlages plant das Online- Angebot auf weitere sozialdemokrati-sche inhalte auszuweiten. Wir bitten um entschuldigung. Die Redaktion

weiterlesen

vorwärts.de

im Internet

Du hast es in der Hand. Tetra Pak Getränkekartons liefern gute Gründe, warum sie zu den öko­logisch vorteilhaften Verpackungen zählen: Sie bestehen über wiegend aus dem nachwachsenden Roh stoff Holz aus ver ant wor tungs voll bewirt­schafteten Wäldern und werden in Deutschland mit Öko strom hergestellt. Und noch ein weiterer von vielen Vorteilen für unsere Umwelt: Nach dem Gebrauch sind Tetra Pak Getränkekartons viel seitig wiederverwertbar.

tetrapak.de

162x207_AZ_Oekologisch_2012_vorwaerts_RZ.indd 1 30.03.12 18:27

Ka

riK

at

ur

: Hei

Ko

Sa

Ku

ra

i

Page 14: vorwärts November 2012

Realwirtschaft stärken150 hochrangige Gäste kamen zum Europäischen

Industrieforum der SPD-Fraktion

Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Ok-tober 150 hochrangige Vertreter und Ver-treterinnen von Unternehmen, Gewerk-schaften und Politik aus ganz Europa zu einem Europäischen Industrieforum eingeladen. Dort tauschten sich die Gäs-te über eine zukunftsfähige Industriepo-litik aus, um das Wachstum zu stärken und die Krise zu überwinden.

Im vergangenen Jahrzehnt hat der Anteil der Industrie an der Wirtschaft vieler europäischer Länder stark abge-

NSU-Morde: SPD diskutiert Folgen

Vor einem Jahr wurde die Mordserie der rechtsextremen Grup-pe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) aufgedeckt. Nach einem Banküberfall in Eisenach fand die Polizei am 4. November 2011 in einem Wohnmobil die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe stellte sich vier Tage später der Polizei. Nach heutigem Ermittlungsstand hat das Trio zwischen 2000 und 2007 neun Kleinunternehmer mit Mi-grationshintergrund und eine Polizistin erschossen.

Kurz vor dem Jahrestag diskutierte die SPD-Fraktion am 1. November mit Experten in einem öffentlichen Fachgespräch über die Konsequenzen, die aus der Mordserie zu ziehen sind. Die Aufdeckung der Morde sei eine Zäsur gewesen, sagte SPD-Frak-tionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Es sei ein schwer zu ertragender Gedanke, dass im demokratischen Deutschland eine von Rassismus und Vernichtungswillen getragene Terrorgruppe jahrelang ungestört agieren konnte. „Fehler und Nachlässigkeit der Behörden haben es für sie leicht gemacht.“

Warum die Sicherheitsbehörden versagt haben, soll seit Januar ein Untersuchungsausschuss im Bundestag aufklären. Dieser för-derte Bedrückendes zutage. „Die Morde sind mit hohem Aufwand untersucht worden, aber das Thema Rechtsextremismus hatte man überhaupt nicht auf der Agenda“, sagte die Obfrau der SPD-Fraktion im Untersuchungsausschuss Eva Högl (SPD). Dabei habe es viele Indizien für einen rechtsextremen Hintergrund gegeben.

Die SPD-Fraktion hat schon im August auf die Zwischenergeb-

nisse aus dem Ausschuss reagiert und Eckpunkte für eine Reform des Verfassungsschutzes vorgelegt. Unter anderem fordert sie, die Verfassungsschutzämter der Länder und des Bundes zu einem In-formationsaustausch untereinander zu verpflichten.

Zum Jahrestag der NSU-Aufdeckung fordert nun Sönke Rix, Sprecher der Arbeitsgruppe „Strategien gegen Rechtsextremis-mus“ der SPD-Fraktion, den Rechtsextremismus noch entschlos-sener zu bekämpfen. „Menschenverachtende Gewalttaten müs-sen härter bestraft werden“, schreibt er in einem Thesenpapier. Rix ruft dazu auf, die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken. Dazu sei es nötig, dass der Bund mehr Geld in die politische Bil-dungsarbeit und in Programme gegen Rechtsextremismus inves-tiert und ihre Finanzierung dauerhaft sichert. n CFH

Debatte UM NebeNeiNküNFte

Die SPD-Bundestagsfrak-tion will die Nebenein-künfte von Abgeordneten transparenter machen. Im Oktober legte sie ein Eck-punktepapier vor, in dem sie fordert, dass Abgeord-nete ihre Nebeneinkünfte „auf Euro und Cent“ genau veröffentlichen müssen. Bisher müssen sie ihre Einnahmen lediglich in drei Stufen angeben: Die erste reicht von 1000 bis 3500 Euro, die zweite bis 7000 Euro und die dritte umfasst alle höheren Beträge. Gegen den Widerstand der SPD hat die Regierungskoali-tion nun beschlossen, am Stufenmodell festzuhalten und es lediglich auf zehn Stufen auszubauen. „Völlig unzureichend“, kritisiert der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Burkhard Lischka. n CFH

nommen. Die Politiker in Großbritanni-en, Irland und anderen Ländern setzten ganz auf den Dienstleistungssektor. Ein Fehler, wie die Finanzmarktkrise ge-zeigt hat. Länder mit starken Industrien – darunter Deutschland – sind wesent-lich besser durch die Krise gekommen.

Schon im Frühjahr 2012 hat Frank-Walter Steinmeier deshalb unter dem Titel „Gemeinsam stärker“ eine Strate-gie für eine industrielle Erneuerung Eu-ropas vorgelegt: Die Realwirtschaft soll

FOTO

S: B

ILD

ScH

öN

(3)

wieder gestärkt werden, indem die Re-gierungen die Infrastruktur ausbauen und technologische Innovationen för-dern. Im Juni beschloss der Europäische Rat einen Wachstums- und Beschäfti-gungspakt.

Das Europäische Industrieforum der SPD-Fraktion in Berlin sollte nun dazu beitragen, die Umsetzung einer neuen Industriestrategie für Europa voran-zubringen. Zu den Gästen zählten un-ter anderem der WTO-Generaldirektor Pascal Lamy und der französische Wirt-schafts- und Finanzminister Pierre Moscovici.

„Wir brauchen eine stärkere Koor-dinierung in Europa“, sagte Peer Stein-brück. Davon sei Europas Wohlstand abhängig. Der aktuellen Regierung stellte SPD-Fraktionschef Steinmeier ein schlechtes Zeugnis aus: „Die Uni-on ist doch längst nicht mehr indus-triefreundlich. Noch viel schlimmer: Diese Regierung ist planlos.“

Steinmeier und die Vorsitzenden des europäischen und des internationalen Dachverbands der Industriegewerkschaf-ten, Michael Vassiliadis und Berthold Huber, legten ein Memorandum für eine „Allianz zur industriellen Erneue-rung Europas“ vor. (Download auf spd-fraktion.de.) „Wir wollen ein Europa, das wieder Vorreiter bei Wettbewerbsfähig-keit und Innovation wird“, schreiben die Autoren. Dabei sollen Ressourcen und Energie effizienter genutzt werden, neue Arbeitsplätze entstehen und die Lebensqualität steigen. n CFH

Impressum

Verlags-Sonder-veröffentlichung

Herausgeber:SPD-Bundestagsfraktion Petra Ernstberger, MdBParl. Geschäftsführerin V.i.S.d.P.

Anschrift: SPD-BundestagsfraktionPlatz der Republik 111011 Berlin

11-2012-VERLAGS-SONDERVERöFFENTLIcHUNG 14

Die Teilnehmer des Forums waren sich einig: Europa braucht eine starke und moderne Industrie.

»Das war ein schwarzer Sonntag für die Koalition.«Frank-Walter Steinmeier,SPD-Fraktionschef, über den „Kuhhandel“ der Regierungs-parteien im Koalitionsaus-schuss. Der Leiter des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy,

Christine Lambrecht, Thomas Oppermann und Eva Högl (v.l.n.r.).

Page 15: vorwärts November 2012

Foto

s: D

irk

ble

ick

er, J

ens

sch

ick

e, p

riv

at

Partei leben!

F reiheit, Gerechtigkeit und Soli-darität. Seit fast 150 Jahren sind das die Grundwerte der SPD. Was

aber bedeuten sie im 21. Jahrhundert? Das wollte die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wissen und lud deshalb im Oktober zur zweitägigen Konferenz „Werte und Politik“ nach Berlin ein.

„Wir möchten die Wertedebatte bele-ben und Politik damit transparenter und demokratischer machen“, sagt der Vor-sitzende der Ebert-Stiftung, Peter Struck. Während der zwei Kongresstage gelingt dies sehr gut: Ex-Präsidentschaftskan-didatin Gesine Schwan diskutiert mit Bischöfin Maria Jepsen über Solidarität, SPD-Fraktionschef Frank-Walter Stein-meier mit dem Politikwissenschaftler Claus Offe über „gutes Regieren“. Politik trifft Philosophie lautet das Prinzip der beiden Tage.

„Die Vorstellung, dass Werte be-schlossen oder verordnet werden kön-nen, ist unrealistisch“, stellt Hans Joas gleich zu Beginn klar. Der Soziologe hat vor fünf Jahren die Grundsatzprogram-me der Parteien unter dem Werte-Ge-sichtspunkt verglichen und festgestellt: „Sie sind sich unglaublich ähnlich – und enthalten alle unglaublich viele For-melkompromisse.“ Ein Ergebnis, für das

Andrea Nahles eine einfache Erklärung hat. „Wenn Konservative über Wer-te sprechen, reden sie scheinbar über dasselbe wie wir, meinen aber etwas anderes“, ist die SPD-Generalsekretärin überzeugt. Diese „Vernebelungsgirlan-den“ entwerteten schließlich die Werte, Politik werde wertelos.

„Wir haben uns abgewöhnt, darüber zu diskutieren, wie wir leben wollen“, stellt Sigmar Gabriel fest. Deutschland brauche jedoch die „Kraft zur Gestal-tung, die über Werte erwächst“. Der SPD-Chef ruft deshalb dazu auf, „um ei-gene Werte zu ringen und eine Debatte zu beginnen, wie wir leben wollen“. Bei Susan Neiman rennt er damit offene Türen ein. „Wer die Aufklärung verteidi-gen will, muss robuste Werte aufzeigen“, fordert die Philosophin. Aus ihrer Sicht ist den Sozialdemokraten der Glaube an die eigenen Werte über die Jahre mehr und mehr verloren gegangen. „Politik wird aber entweder mit Werten oder mit Ängsten gemacht“, weiß Neiman. „Und wer Angst hat, wird wahrschein-lich die schwarz-gelbe Bundesregierung weiter unterstützen.“ n

„Kraft zur Gestaltung“: SPD-Chef Sigmar Gabriel diskutiert am 18. Oktober mit den Philosophen Susan neiman und Julian nida-rümelin über die bedeutung von Werten.

Das Programm sowie eine Dokumentation des Kongresses gibt es unter werteundpolitik.deFragen stellen: vorwärts.de/Parteileben

ChefSaChe

anDrea DireKt!Warum tagt der Parteikonvent am 24. November hinter verschlossenen Türen?Der Parteikonvent soll nicht öffentlich stattfinden – so wurde es in der Partei-reform festgelegt. Beim Parteitag vor einem Jahr, bei dem der Parteikonvent ins Leben gerufen wurde, haben wir uns bewusst entschieden, auf Inszenie-rung zu verzichten und die innerpar-teiliche Debatte in den Mittelpunkt zu stellen. Die Erfahrungen vom ersten Parteikonvent im Frühjahr haben auch gezeigt, dass das eine gute Entschei-dung war.Entwickelt sich Heinz Buschkowsky für die SPD zum neuen Thilo Sarrazin?Nein. Zwischen den Positionen von Heinz Buschkowsky und den abstru-sen biologistischen Thesen von Thilo Sarrazin liegen Welten. Natürlich wird Heinz Buschkowsky innerhalb und außerhalb der SPD kontrovers gesehen und genau so diskutieren wir über das, was er sagt. Die Meinung von Heinz Buschkowsky ist nicht die Position des Parteivorstands. Aber er ist ein enga-gierter sozialdemokratischer Bezirks-bürgermeister und deshalb verdient seine Meinung auch eine sachliche Debatte.Wieviel Beinfreiheit wird die SPD Peer Steinbrück gewähren?Diese Frage lässt sich abstrakt nicht beantworten. Klar ist: Peer Steinbrück ist aus vollem Herzen Sozialdemokrat. In den allermeisten Politikbereichen stimmen die Position der SPD und die von Peer Steinbrück überein. Des-halb bin ich mir sicher, dass wir eine gemeinsame Plattform für die anste-hende Kampagne finden werden. Am besten, wir diskutieren miteinander fair und lösungsorientiert. n

Warum seid Ihr gerade jetzt SPD-Mitglied geworden?Schreibt uns [email protected]

»Darum SinD Wir in Der SPD…«

SOPhie linK mOhammeD miSri

ethnologin und medizin-Student an der universität Göttingen. Das ehepaar ist seit anfang 2012 mitglied der SPD Weende.

Wir setzen uns gegen Rassismus und Diskrimi-nierung ein – und dafür, dass Ausländer fairer von Behörden und auf dem Arbeitsmarkt behandelt werden. Ebenso sind wir für eine Abschaffung der Studiengebühren in Niedersachsen. Mit der SPD können wir beides am besten erreichen. n

StarKe WerteKOnGreSS Die Friedrich-ebert-stiftung ermuntert zu einer rück-besinnung auf die Grundlagen sozialer und demokratischer politik

Von Kai Doering

inhalt

frauenbrüCKe

Für die Verständigung zwischen Ost und West

bürGerDialOG

Themenpaten im Chat Ausblick auf den Endspurt

POrträt

Stephan Weil will Niedersachsen regieren

Gelebte POlitiK

Sozialdemokraten erinnern sich

vorwärts 11/2012 15

Page 16: vorwärts November 2012

16 Pa r t e i L e b e n ! 11/2012 vorwärts

A lles beginnt mit einem Kran-kenhausaufenthalt im Herbst 1991. Ein Jahr zuvor hatten

sich die DDR und die Bundesrepublik offiziell vereinigt. Mittlerweile ist die erste Euphorie Berichten über rechts-extreme Übergriffe und Frustration im Osten gewichen. Mit wachsender Em-pörung liegt Helga Niebusch-Gerich in ihrem Krankenhausbett und liest, „was die Zeitungen an kleinlichen Misstönen berichten“. Haben denn alle vergessen, dass bis vor nicht mehr als zwei Jahren eine der gefährlichsten Grenzen der Welt Ost- und Westdeutsche voneinan-der trennte? Auch nach ihrer Entlassung ist Niebusch-Gerichs Wut nicht geringer. „Wir müssen etwas tun“, fordert sie die Mitstreiterinnen des AsF-Stammtischs in ihrer Heimatstadt Sinsheim auf – und stößt auf offene Ohren.

Gemeinsam organisieren sie einen Aufruf im „vorwärts“, der im Januar 1992 erscheint: „Frauen in der SPD-Sins-heim in Baden-Württemberg wollen die Lebensumstände ihrer Ost-Schwestern jetzt selber kennenlernen – mit einer ,Frauenbrücke Ost-West'. Sie rufen da-zu auf, durch gegenseitige Besuche den jeweils anderen Alltag persönlich zu erfahren.“ Das Motto der Aktion, für das die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt und Brandenburgs Sozialmi-

nisterin Regine Hildebrandt die Schirm-herrschafft übernehmen, lautet: „Zeig mir, wie Du lebst.“

Am letzten Januarwochenende ist es dann soweit: Sieben Frauen aus Baden-Württemberg folgen einer Einladung nach Chemnitz. Es ist eine Reise ins Unbekannte. Sie wird ein voller Erfolg. Am 9. April 1992 gründen die Frauen im Wohnzimmer von Helga Niebusch-Gerich einen Verein. Die „Frauenbrü-cke Ost-West“ ist gemeinnützig und überparteilich. Niebusch-Gerich wird die Vorsitzende. „Wir wollen uns gegen-seitig kennenlernen, um uns besser zu verstehen und unsere Zukunft gemein-sam zu gestalten.“ Dieses Ziel schreiben die Frauen in der Präambel ihrer Sat-zung fest. Im Mai folgt der Gegenbesuch aus Chemnitz, im September gründet sich dort die erste Regionalgruppe des Vereins. „Natürlich hat jede Frau Vor-stellungen vom Leben im anderen Teil Deutschlands. Jetzt können wir erfah-ren, was daran stimmt“, freut sich Helga Niebusch-Gerich.

Doch bald reichen gegenseitige Be-suche nicht mehr aus. Um komplexere Fragen über den anderen Teil Deutsch-lands beantworten zu können, müssen Expertinnen her. So findet im März 1993 das erste große Frauenforum in Pots-dam statt. Ihm folgen noch viele weite-

re überall in Deutschland und auch bei den europäischen Nachbarn. Steht in den ersten Jahren der Unterschied zwi-sche Ost und West im Vordergrund, ent-wickeln sich die Zusammenkünfte über die Jahre zu einem Forum, in dem sich Frauen unabhängig von ihrer Herkunft über Fragen austauschen können, die sie bewegen: Frauen in Politik und Beruf, frauenspezifische Medizin oder Frauen in der Literatur.

Und die Frauenbrücke ruft einen eigenen Preis ins Leben. Zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls verleiht sie am 5. November 1999 in Potsdam zum ers-ten Mal den „Frauenbrücke-Preis für die innere Einheit Deutschlands“. Sie will damit „Menschen in ein besonderes Licht rücken, die sich den gängigen Ossi-Wessi-Vorurteilen widersetzen“.

Am 27. Oktober 2012 wird der Preis zum siebten Mal verliehen. Die Gäste sitzen im ehemaligen Kutschstall am Neuen Markt in Potsdam in Achterrei-hen. Das Gewölbe ist gedämpft beleuch-tet. Die ehemalige Präsidentschaftskan-didatin Gesine Schwan ist gekommen. Hinter ihr sitzt die Publizistin Necla Kelek. „Damals ging es uns darum, uns in Deutschland besser kennenzulernen, um uns besser zu verstehen", blickt Hel-ga Niebusch-Gerich in ihrer Rede auf die Anfangsjahre der Frauenbrücke zu-rück. Sie selbst hat den Vorsitz 2005 ab-gegeben. Mittlerweile lenken Gundula Grommé aus dem Westen und Barbara Hackenschmidt aus dem Osten die Ge-schicke. Der Verein hat 280 Mitglieder in 15 Regionalgruppen. „Die Europäer müssen sich besser kennenlernen", ruft Niebusch-Gerich den Gästen der Preis-verleihung zu. „Unsere Frauenbrücke ist gute demokratische Praxis. So etwas wünsche ich mir auch für Europa.“ n

Mittlerin zwischen Ost und West: Die Frauenbrücke-Gründerin Helga niebusch-Gerich (m.) mit Gesine Schwan und Potsdams bürgermeister burkhard exner

vereint

Zweite vorsitzende der Frauenbrücke Ost-West: die brandenburger SPD-Landtagsabgeordnete barbara Hackenschmidt

Foto

s: D

irk

Ble

ick

er

ZeiG Mir Dein LebenFrauenbrücke OSt-WeSt sie hilft seit 20 Jahren, Vorurteile abzubauen: durch persönliche Begegnungen Von Kai Doering

Page 17: vorwärts November 2012

10/2012 vorwärts 17vorwärts 11/2012 Pa r t e i L e b e n ! 17Fo

toS:

dpa

pic

tu

re-

all

ian

ce

/ H

ein

z W

ieSe

ler

, dir

k B

leic

ker

Geht in die PoLitik! heidemarie Wieczorek-zeuL Vor ihrem 70. Geburtstag gibt »die rote Heidi« einen lebensbericht

S ie war Ministerin für wirtschaft-liche Zusammenarbeit, sie war europapolitische Sprecherin der

SPD, sie ist als „die rote Heidi“ weit über die Grenzen der SPD und Deutschlands hinaus bekannt: Am 21. November wird Heidemarie Wieczorek-Zeul 70 Jahre alt.

Seit 25 Jahren vertritt „HWZ“ den Wahlkreis Wiesbaden im Bundestag. Zwar hat sie angekündigt, 2013 nicht wieder zu kandidieren, aber Politik will sie weiter aktiv betreiben: „Diese Art von Arbeit ist ein Lebenselixier.“

Für die neue vorwärts-Reihe „Gelebte Politik“ erzählt Heidemarie Wieczorek-Zeul von ihrer Kindheit im zerbombten Frankfurt, von ihrer Zeit als Juso-Chefin,

bekundet sie ihren „Riesenrespekt“ vor Gerhard Schröder wegen dessen Nein zum Irak-Krieg.

Vor allem ging und geht es HWZ um Europa – „Europa ist die Frucht des Er-schreckens über zwei Weltkriege und die Nazibarbarei.“ – und um globale Gerechtigkeit. Eine ihrer ersten Taten als Ministerin war die Orchestrierung des Schuldenerlasses für die ärmsten Länder der Welt. Insgesamt 125 Mrd. US-Dollar wurden ab 1999 getilgt. Nicht erst seither ist HWZ überzeugt: „Man kann die Globalisierung gestalten.“

Schließlich: „Man konnte die Welt-bank verändern. Selbst der Internatio-nale Währungsfonds ist heute progres-

siver als die Bundesregierung.“ Für HWZ jedenfalls hat sich längst bestätigt, was ein Professor ihr und ihren Kommili-tonen in den 1960er Jahren zugerufen hat: „Geht in die Politik! Geht in die Par-teien! Ihr könnt mehr bewirken, als ihr glaubt!“

Seit zehn Jahren gebe es jetzt den glo-balen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Malaria und Tbc, erzählt HWZ nicht ohne Stolz: „Ohne diesen Fonds würden neun Millionen Menschen ihr Leben verloren haben.“

Infrage kam für sie nur die SPD. „Ich war immer Reformistin.“ Also habe sie sich 1965 das Telefonbuch geschnappt und die Adresse des Ortsvereins Seck-bach herausgesucht. Drei Monate nach ihrem Antrag habe sich dann jemand gemeldet.

Ausdauer ist eine ihrer Stärken. Be-reits 2002 habe sie eine Studie über die Machbarkeit einer Finanztransaktions-steuer in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: „Du kannst es in einer Region machen – und es ist technisch möglich.“ Damals, bei einer Konferenz in Monterrey, hät-ten sich exakt drei Personen dafür ein-gesetzt: „Chirac, Fidel Castro und ich.“ Heute sei auch Herr Schäuble dafür. n

SPd-Parteitag 1975: Juso-chefin Wieczorek-zeul und ihr Stellvertreter Johano Strasser

ANZEIGE

Ein LEbEn im O-TOn Mit den Erinnerungen Heidemarie Wieczorek-Zeuls beginnt der „vorwärts“ eine neue Reihe: Gelebte Politik. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die viel erlebt haben, berichten über ihre Erfahrungen.

Der vollständige Text (Interview: Uwe Knüpfer, Bearbeitung: Carl-Friedrich Höck, Sprecherin: Vera Rosigkeit) ist im Original-ton in der vorwärts-App-Ausgabe zu hören – und im Internet unter vorwärts.de/Gelebte_Politik

GeLebte PoLitik

Der aktuelle Rechenschaftsbericht der SPD für das Jahr 2011 liegt vor. Dem-nach machten Beiträge und Spenden unserer Mitglieder wieder knapp die Hälfte der Einnahmen der SPD aus.

Weitere wichtige Einnahmequellen waren die Mittel aus der staatlichen Teilfinanzierung (zirka 27 Prozent) und die Einnahmen aus der Unternehmer-tätigkeit bzw. aus dem Vermögen der SPD (zirka 11 Prozent). Der Anteil von Fir-menspenden an den Gesamteinnahmen betrug 2011 zirka 2 Prozent.

Die finanzielle Basis der SPD bilden damit nach wie vor die Beiträge und Spenden unserer Mitglieder.

Seit 2003 trägt die vom Parteitag be-schlossene regelmäßige Anpassung der Mitgliedsbeiträge zu unserer Unabhän-

gigkeit bei. Die Beitragseinnahmen als finanzielle Basis werden so relativ stabil gehalten.

Zum 1. Januar 2013 sollen die Beiträ-ge um 2,5 Prozent erhöht werden. Die Empfehlung des Parteivorstandes orien-tiert sich am Durchschnitt der veränder-ten Nettolöhne und -gehälter im Jahre 2011 gegenüber dem Jahr 2010.

Mitglieder, die den Mindestbeitrag in Höhe von 2,50 Euro zahlen oder ihren Beitrag zum 1.Januar 2013 geändert ha-ben, sind von der Anpassung ausgenom-men. Darüber hinaus können Mitglieder, die sich nicht an der Anpassung beteili-gen können oder möchten, der Anpas-sung widersprechen. Der Widerspruch kann formlos bei einer Geschäftsstelle der SPD vor Ort erfolgen. n

beitraGSanPaSSunG zum 1. Januar 2013

Verantwortung übernehmenAls leistungsfähige Verkehrsdrehscheibe inmitten einer blühenden Kultur-landschaft trägt der Flughafen München zu Wohlstand und Wachstum in unserer Heimat bei. Indem wir den Prinzipien der Nachhaltigkeit folgen, sorgen wir dafür, dass dies auch künftig so bleibt. Wir übernehmen Verantwortung gegenüber Umwelt, Nachbarn, Kunden und Mitarbeitern. Die nachhaltige Weiter entwicklung des Münchner Flughafens sichert Zukunftsfähigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz dieser für den Wir tschafts -standort Deutschland so wichtigen Verkehrsanlage.

www.munich-airport.de

ww

w.re

d.de

0151_AZ_Nachh_2011_99x152_RZ.indd 1 07.04.11 10:54

Page 18: vorwärts November 2012

18 Pa r t e i L e b e n ! 11/2012 vorwärts

Post für die Parteibürger-diaLog Sie schreiben Karten, E-Mails, rufen an, chatten und diskutieren an Info-Ständen und bei Veranstaltungen. Die Bürger sagen der SPD die Meinung – und die Partei sammelt und wertet sie aus

dialog-Karten kistenweise: in der „Werkstatt bürger-dialog“ werden alle Zuschriften gesammelt und in den Computer eingegeben.

M argaretha B. möchte das Kin-dergeld abschaffen. Dafür soll jegliche Bildung künftig kos-

tenfrei sein, vom Kindergarten bis zum Studienabschluss. Auch Schulausflüge, Theaterbesuche und täglich frisches Obst sollen für Kinder aus dem eingesparten Geld finanziert werden. B.s Vorschlag ist einer von Tausenden, die in den vergan-genen Wochen im Willy-Brandt-Haus eingegangen sind. 10 000 Karten des Bürger-Dialogs hat der Postbote in der SPD-Parteizentrale abgegeben. 2000 E-Mails kamen über das Kontaktformular auf spd.de.

Bert W. hat den elektronischen Weg gewählt, um seine Anregung loszuwer-den. „Warum benutzt man nicht den Mittelstreifen der Autobahnen, um dort

den Netzausbau für die Strombeförde-rung voranzutreiben?“, fragt W. Auch Steffen R. hat eine Idee für die deutschen Schnellstraßen: Auf einer Dialog-Karte plädiert er für die „Einführung eines ge-nerellen LKW-Überholverbots auf allen Autobahnen zur Verbesserung des Ver-kehrsflusses“. Eine „verbindliche Frau-enquote nicht nur in Aufsichtsräten, sondern auch für Führungspositionen in Bundesministerien und oberen Bun-desbehörden“ fordert dagegen Sandra K. Aus ihrer Sicht müsse die Politik in diesem Bereich mit gutem Beispiel vor-angehen.

Die Vorschläge, die in den Themen-wochen „Jugend und Bildung“ sowie „Arbeit, Wirtschaft, Energie“ im Willy-Brandt-Haus eingehen, sind vielfältig. Raphael M. fordert „eine härtere Besteu-erung von Kerosin“, Brigitte D. ein „ein-heitliches Schulsystem in allen Bun-desländern“. Erstmal werden nun alle Ideen in der „Werkstatt Bürger-Dialog“ gesammelt, in den Computer eingege-ben und bis zu den Bürger-Konferenzen im kommenden Frühjahr ausgewertet. Dann wird es auch darum gehen, ähn-liche Ideen zu bündeln. Der Vorschlag von Margaretha B., das Kindergeld abzu-schaffen, könnte dann auf die Forderung von Oliver F. treffen. Er will das „Kinder-geld an Schulleistungen koppeln". n KD

sChreib maL WiederVorsChLäge Die Ideen der Bürger sind vielfältig. Sie reichen von Überholverboten bis zur Frauenquote

Werbung für den bürger-dialog: die afa hessen süd beim bezirksparteitag

S o ein Kommentar freut eine Mi-nisterin. „Hallo, ich bewunde-re Sie sehr!“, schreibt Nutzerin

„Galina“ und schickt noch ein Herzchen hinterher. Doris Ahnen lächelt und tippt weiter. Schließlich ist nur wenig Zeit und die Liste der Fragen noch lang. Die rheinland-pfälzische Bildungsmi-nisterin sitzt an einem frühen Montag-nachmittag im Oktober in der „Werk-statt Bürger-Dialog“ im Erdgeschoss des Willy-Brandt-Hauses. Eine Stunde lang stellt sie sich den Fragen, die Nutzer ihr im Live-Chat stellen. Möglich ist das über die Seite der SPD bei Facebook oder über spd.de.

„Sind Sie für das Wahlrecht ab 16?“, möchte etwa „viki12“ wissen. „Bei uns in Rheinland-Pfalz setzen wir uns sehr für das Wahlrecht ab 16 auf kommuna-ler und auf Landesebene ein“, antwortet Ahnen. „Tinchen“ fragt: „Was ist besser für Deutschland: Duale Ausbildung stärken oder alle zum Studium bewe-gen?“ Ahnens Antwort: „Wir brauchen beides und deshalb muss das System vor allem durchlässig sein.“ Und selbst wenn es nicht um die Bereiche „Ju-gend und Bildung“ geht, ist die Minis-terin nicht um eine Antwort verlegen. Als etwa „öällä“ wissen will: „Schalke oder Dortmund?“, gibt Ahnen kurz und

»sChaLKe oder dortmund?«Chats Im Internet stellen sich SPD-Politiker den Fragen der Bürger. Nicht immer geht es dabei bierernst zu Von Kai Doering

im Chat nie um eine antwort verlegen: bildungsministerin doris ahnen

Chat-termine

Gesundheit und Verbraucherschutz

7. november17 bis 18 uhrCarsten Sieling

JuGend und bildunG

12. november13 bis 14 uhrZülfiye Kaykin

Gerechte Gesellschaft

12. november14 bis 14.45 uhrJoachim Poß 19. november10 bis 11 uhrFlorian Pronold

unser europa

26. november17 bis 18 uhrBarbara Hendricks29. november16.30 bis 17.30 uhrRalf Stegner3. dezember13 bis 14 uhrJulian Nida-Rümelin5. dezember18 bis 19 uhrAngelica Schwall-Düren inteGration28. november 16 bis 17 uhrAydan Özoguz freie themenwahl15. november11.15 bis 12.15 uhrAndrea Nahles29. november15.15 bis 16.15 uhrSigmar Gabriel

Die Termine werden regelmäßig unter spd.de/buergerdialog aktualisiert.

weiterlesen

vorwärts.de

im Internet

Page 19: vorwärts November 2012

Pa r t e i L e b e n ! 1918 Pa r t e i L e b e n ! 11/2012 vorwärts

Am 12. November beginnt die Themen-woche „Gerechte Gesellschaft“ des SPD-Bürger-Dialogs. Was macht für Sie eine gerechte Gesellschaft aus?Ungerecht ist es, wenn Banken- und Fi-nanzspekulanten ganze Volkswirtschaf-ten in die Krise reißen und selbst die Sup-pe nicht auslöffeln wollen. Ungerecht ist es, wenn sich Reiche zu wenig an der Finanzierung der Zu-kunftsaufgaben unserer Gesellschaft beteiligen oder sich vor dem Steuerzah-len drücken. Ungerecht ist es, wenn Bil-dung vom Geldbeutel der Eltern abhängt und Menschen von ihrer Hände Arbeit nicht mehr vernünftig leben können. Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den vergangenen Jahren weiter auseinander gegangen. Wir müssen sie wieder zusammendrücken: mit Bildung, die früher ansetzt, mit einem flächende-ckenden Mindestlohn, mit guter Arbeit, aber auch mit höheren Steuern für Reiche und mit der Wiedereinführung der Ver-mögenssteuer.Welche Aufgabe haben Sie als Themen-Experte für die zwei Wochen vom 12. bis 25. November?Ich freue mich vor allem auf die Bürger-Dialog-Stunde am 19. November im Willy-Brandt-Haus. Ich bin an diesem Tag zwischen 10 und 11 Uhr für alle,

die etwas zum Thema „gerechte Gesell-schaft“ wissen wollen, im Live-Chat auf spd.de erreichbar.Als Experte sind Sie vor allem Ansprechpartner während der Themenwoche. Wie geht es aber danach weiter?Alle Eingaben werden gesammelt und sorgfältig ausgewertet. Anfang nächs-ten Jahres werde ich dann zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern über ihre Ideen und Vorschläge auf Bürger-konferenzen diskutieren. Die besten Bürgerprojekte werden schließlich Teil des Wahlprogramms. n

in VorfreudeGerechte GeseLLschaft Florian Pronold sammelt Ideen während der Themenwoche Interview Kai Doering

Post für die ParteibürGer-diaLoG Sie schreiben Karten, E-Mails, rufen an, chatten und diskutieren an Info-Ständen und bei Veranstaltungen. Die Bürger sagen der SPD die Meinung – und die Partei sammelt und wertet sie aus

dialog-Karten kistenweise: in der „Werkstatt bürger-dialog“ werden alle Zuschriften gesammelt und in den computer eingegeben.

Will höhere steuern für reiche: bayerns sPd-chef florian Pronold

knapp zurück „Mainz 05. War am Sams-tag im Stadion, 3:0.“

Der Internet-Chat ist eine weitere Möglichkeit des Bürger-Dialogs, Fragen an die SPD loszuwerden. Die Experten der Themenwochen sind dabei, ebenso die Parteispitze (s. Termine links). Den Auftakt machte Sascha Vogt am 8. Ok-tober. Acht Tage später folgte Peer Stein-brück. „Glauben Sie, Sie können Merkel schlagen?“, wollte „Anonymus“ vom designierten Kanzler-Kandidaten wis-sen. Knappe Antwort: „Sonst säße ich nicht hier!“ Genauer hakte „hannes92“ nach. „Welche außenpolitischen Ak-zente wollen Sie in Ihrer Kanzlerschaft setzen?“, fragte er. Steinbrücks Ant-wort: „In wenigen Worten: Der Akzent wird eindeutig auf der Stabilisierung Europas liegen müssen.“ Bei nur einer Stunde Zeit und einigen hundert Fragen musste Steinbrück viele unbeantwortet lassen. Im November wird es deshalb ei-ne Fortsetzung geben. Immerhin konnte der Kandidat noch loswerden, wovon er

Will als bundeskanzler europa stabilisieren: chat-teilnehmer Peer steinbrück

sich bei Angela Merkel gern eine Scheibe abschneiden würde. „Von ihren Hosen-anzügen.“ n KD

FoTo

S: A

FA U

B o

FFEn

BA

ch

, hEn

Dr

IIK

rA

Uc

h, B

EA M

Ar

qU

Ar

DT

(2),

Fr

An

K o

SSEn

Br

InK

einberufung gemäß § 28 (2) und § 32 organisationsstatut

ParteiKonVentAm Samstag, dem 24. november 2012 findet der zweite Parteikonvent 2012 in Berlin im Willy-Brandt-haus, hans-Jochen-Vogel-Saal, Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin statt.

der antragsschluss für Wahlvorschläge ist donnerstag, der 22. november 2012 um 24 uhr.

Vorläufige Tagesordnung

beginn: 11 uhr

1. eröffnung und Konstituierung

2. rede des Parteivorsitzenden

3. antragsberatung

4. benennung/Wahl von 24 beratenden Mitgliedern des Parteikonvents zum bundesparteitag

5. schlusswort

ende ca. 17.00 uhrFragen stellen und die Protokolle der bisherigen Chats ansehen kann man unter www.spd.de/buergerdialog

Page 20: vorwärts November 2012

S chützentermine sind in Han-nover nahezu unausweichlich. Der 175. Geburtstag des ältesten

Schützenvereins der Stadt ist ein Muss. Erst redet artig der Schirmherr des Ver-eins, Erbprinz Ernst August Junior, dann lockert Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil die Jubelversammlung trocken-humorvoll auf. Danach setzt er sich an den Honoratiorentisch zurück und erzählt von der Wahlkampfveran-staltung des Vortags. Da hat er auf Ein-ladung des SPD-Landtagsabgeordneten Claus Peter Poppe im westniedersächsi-schen Neuenkirchen-Vörden am politi-schen Kartoffelschmaus teilgenommen und den Freunden der köstlichen Knolle erklärt, die sozialdemokratische Kartof-fel sei die Bratkartoffel: „knusprig, wür-zig und schmackhaft“.

Um 20 Uhr strebt Stephan Weil dem letzten Termin des Tages entgegen: dem entspannten Feierabend mit Ehefrau Rosemarie Kerkow-Weil. Als Präsidentin der Fachhochschule Hannover hat auch sie ein knappes Freizeitbudget. Gemein-same Abende sind da etwas Besonderes. Kinderlärm haben sie nicht zu befürch-ten. Der 25jährige Sohn Nils lebt längst außer Haus.

Fit für NiedersachsenAuch wenn dieser Abend bei den Schüt-zen kein Wahlkampftermin ist, wissen doch alle Anwesenden, dass Stephan Weil als Oberbürgermeister und als Kandidat gekommen ist. Für viele ist der Schützenfreund Weil erste Wahl. Er kommt an, ohne volkstümlich da-her zu kommen. Das hatten ihm viele Beobachter nicht zugetraut, als er 2006 die Nachfolge des legendären Herbert Schmalstieg antrat. Die erste Zeitung der Landeshauptstadt sprach seiner-zeit von „großen Fußstapfen“, meinte zu große Fußstapfen und irrte gründ-lich.Eines allerdings verbindet Stephan Weil und seinen Amtsvorgänger: Beide sind Langläufer, politisch wie sportlich betrachtet. Stephan Weil hat immer seine Laufschuhe dabei, um auch vor Wahlkampfauftritten ein paar Kilome-ter mit Bürgerinnen und Bürgern ab-zuspulen. Wer sich darüber wundert, dem wird vom Kandidaten kurz und bündig beschieden: „Ich mache mich fit für Niedersachsen und die SPD macht Niedersachsen fit für die Zukunft.“

Das scheint bitter nötig. Unablässig weist Stephan Weil darauf hin, dass Nie-dersachsen von einer „Stillstandsregie-rung“ geführt werde. Daher führt er auch einen strikt niedersächsischen Wahl-kampf und stellt die bundespolitische Bedeutung der Landtagswahl hinten an. Dass er das „Kanzleramt sturmreif schie-ßen“ soll, wie die „Welt“ posaunte, küm-mert ihn kaum. In Niedersachsen, da ist sich Weil sicher, kann nur mit nieder-

sächsischen Themen gepunktet werden. Also stehen Familien, Kinder und Bil-dung vorne. „Hier tun sich in Niedersach-sen große, große Lücken auf“, sagt Weil, „da müssen wir dringend aufholen“.

Familienfreundlichkeit ist für Ste-phan Weil ein „zukunftsrelevantes“ Aufholthema. Niedersachsen ist in den vergangenen fünf Jahren ans Ende der bundesweiten Geburtenstatistik ge-rückt. Das ist bedrückend, aber nicht erstaunlich, denn auch bei der frühkind-lichen Bildung liegt das Bundesland auf dem vorletzten Platz. Ohne Hannover trüge Niedersachsen bei der Versorgung mit Krippenplätzen die rote Laterne. Das soll eine von Stephan Weil geführte Lan-desregierung schleunigst ändern. Sein kurzfristiges Ziel: Krippenplätze für die Hälfte aller Ein- bis Dreijährigen.

Ein gelernter »Kommunalo«Stephan Weil, der vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister neun Jahre lang Stadtkämmerer war, nennt sich selbst einen gelernten „Kommunalo“. Kommu-nalpolitik ist für ihn „praktizierte Gesell-schaftspolitik“. Die schwarz-gelbe Lan-desregierung hat nach Weils Auffassung die Distanz zwischen der Kommunalpo-litik und der Landespolitik in den vergan-genen Jahren arrogant gesteigert. Dass er selbst auf Distanz zu seinen kommuna-len Wurzeln gehen könnte, sieht er nicht. „Ich habe mich aus dem Rathaus gerade deswegen auf den Weg in die Staatskanz-lei gemacht, weil wir die Kommunen und Regionen stärken müssen“, erklärt Weil. „Das treibt mich an und deshalb werde ich mit tiefer Überzeugung eine Landes-

Botschafter der eigenen Stadt: Stephan Weil trifft in der Ratsstube des Hannoveraner Rathauses eine Wirtschaftsdelegation aus China.

Autogramme für die Kleinsten: Stephan Weil bei der Einweihungsfeier nach der Sanierung der Grundschule Groß-Buchholzer Kirchweg Fo

tos:

Dir

k B

leic

ker

20 PA R t E i L E B E n ! 11/2012 vorwärts

Herr im Haus: Seit 2006 ist Stephan Weil Oberbürgermeister der Stadt Hannover. Sein Büro hat er in einem der schönsten Rathäuser Deutschlands. Hier steht er im Eingangsportal.

LAnGLäufER mit WuRzELnStEPHAn WEiL Aus dem rathaus will er in die niedersächsische staatskanzlei Von Lothar Pollähne

Page 21: vorwärts November 2012

10/2012 vorwärts 21

politik mit dem Gesicht zu den Kommu­nen machen.“

Das wird nicht einfach werden, denn angesichts des demografischen Wan­dels stehen viele Kommunen und Kreise Niedersachsens vor existenziellen Pro­blemen. Eine von Stephan Weil geführte Landesregierung will zügig eine Neuord­nung des kommunalen Finanzausgleichs angehen.

Weil wird wohl auch diese Aufgabe sachlich, nüchtern und offen in Angriff nehmen. Als Vorsitzender der Sozialde­mokratischen Gemeinschaft für Kommu­nalpolitik hat er vor zwei Jahren erklärt: „SPD und Kommunen sind aufeinander angewiesen: Sozialdemokratische Gesell­schaftspolitik ist ohne starke Kommunen, starke Kommunen ohne eine erfolgreiche Bundes­SPD kaum denkbar.“ Dieses Dik­tum gilt auch auf Landesebene. Für die ist Stephan Weil seit dem 27. November 2011 zuständig, als er per Mitgliederentscheid zum Spitzenkandidaten gewählt wurde. Gedrängt hat er sich nicht nach dieser Aufgabe, aber er führt sie seither kom­petent und offensiv aus. Am 20. Januar 2012 wurde Weil zum Vorsitzenden der niedersächsischen SPD gewählt: mit 95,5 Prozent. Das hat ihn ein wenig gewurmt.

Als bekennender Freund des Hannover­schen Erstliga­Fußballklubs, der in der Landeshauptstadt liebevoll „Die Roten“ genannt wird, hätte er gern die „96“ auf der Anzeigetafel gesehen.

Die 96er will Stephan Weil auch als Ministerpräsident im Inland wie im Ausland anfeuern. Und auch Hannovers Schützenwelt muss sich keine Sorgen

Wissbegierig: Stephan Weil beim Besuch der „Hannoverschen Werkstätten“ in Laatzen

vorwärts 11/2012 Pa r t e i L e B e n ! 21Fo

to: D

irk

Ble

ick

er

»SPD und Kommunen sind aufein ander angewie-sen.«Stephan Weil,Oberbürgermeister von Hannover und SPD-Spitzen-kandidat für die nieder-sächsische Landtagswahl

machen, dass ihr Weil mit dem Abschied aus dem Hannoverschen Rathaus untreu werden könnte. Schützentermine sind in Hannover eben nahezu unausweichlich und niemand muss sonderlich hohe Ein­sätze wagen, um auf Stephan Weils Be­teiligung am Schützenausmarsch 2013 zu wetten: als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. n

ANZE IG ENMARKTBerliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Stresemannstraße 30, 10963 BerlinTel.: 030/255 94-166 ■ Fax: 030/255 94-190 ■ E-Mail: [email protected] ■ Geben Sie bitte immer Rubrik, Erscheinungsmonat sowie Ihre Bankverbindung an. ■ Preis: Pro Wort berechnen wir 3,50 Euro inkl. MwSt., für gewerbliche Anzeigen 4,00 Euro zzgl. MwSt. ■ Anzeigenschluss ist jeweils der 10. Tag des Monats.

Kommunalpolitikbesser machenNeue Herausforderungen erfordern moderne Kommunalpolitik.Lesen Sie mehr im Sonderdruck DEMO

TitelModerne KommuneVerwaltung reformieren

Demokratische Gemeinde | Einzelpreis 7,00 | 64 JG. | A 02125

Messe-Sonderausgabe

Moderne Kommune

Verwaltungreformieren

SGK-Regionalbeilage

Exclusiv mit

Kostenloses Probeheft: Berliner vorwärts Verlagsges. mbH, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin,Tel.: (0 30) 2 55 94-130, Fax: (0 30) 2 55 94-199, E-Mail: [email protected], www.demo-online.de

■ URLAUBBerlin/Potsdam

WEINBERG-PENSIONTel.: (03 32 09) 7 04 89

Ostsee/Lubmin – Deutschlands Sonnenküste, Natur pur, Ostsee küsten-Radweg. Herrlich gelegenes Hotel, direkte Strandlage, heimische Küche, familiäre Atmo sphäre. Parkplatz am Haus, ganz jährig geöffnet, Fahrrad-verleih. EZ: 35–70 Euro, DZ: 50–70 Euro, Hotel Seebrücke, Waldstraße 5a, 17509 Lubmin, Tel.: (03 83 54) 35 30, Fax: -3 53 50, E-Mail: andre&[email protected], www.hotelseebruecke.de

3-Zimmer-Komfortfewo – bis 4 Personen/Haustier möglich, 45 – 115 EUR/tgl., Tel: (0 45 09) 71 21 04, Internet: Strandperle 5, Großenbrode

Sylt/List – Erholung pur! Neubau-Komfort-Fewos, 2–4 Per sonen, 31 bis 45 qm, 70 bis 98 Euro pro Tag. Alle Appartements mit eigener Terrasse und Strandkorb. Tel.: (0 46 51) 95 75-25, Fax: -05, mobil: 0171/4 86 37 91, Internet: www.syltpur.de

■ VERSCHIEDENESTierhilfsnetzwerk Europa e. V.

Mitglieder willkommen!www.tierhilfsnetzwerk-europa.de

Brandt Bronze-Skulptur von Thomas Duttenhoefer zum V erkauf. Verkaufspreis Verhandlungs-sache.Telefon: R. Grunz (0 40) 3 19 49 67

120x152_Kleinanzeigen_11_2012.indd 1 26.10.12 13:32

ANZEIGEN

Buche Deinen OV!

vorwärts|buch

Preis auf Anfrage, je nach Umfang und Aufwand. Weitere Informationen erhaltet Ihr bei Ines Klughardt, [email protected], 030/25594 -500

Die Jubiläums-Chronik wird es auch ohne das Ortsvereins-kapitel im Handel geben.

Ergänzt die ersten beiden Kapitel

– Chronik der SPD und– Essays/Interviews von PolitikerInnen und

Promis: u.a. Hannelore Kraft, Andrea Nahles, Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier, Ingo Appelt sowie Günter Grass

mit Euren Texten und Fotos.

Auf Wunsch unterstützen Euch dabei professionelle Lektoren.

150 Jahre SPDJubiläums- chronik mit eurer individuellen Ortsvereinsgeschichte

Foto

: Ull

stei

n B

ild

Jetzt

buchen!

Page 22: vorwärts November 2012

22 Pa r t e i L e b e n ! 11/2012 vorwärts

Singen in SiegenDie Idee, einen Chor zu gründen, kam Astrid Schneider Anfang Oktober auf einer Parteiveranstaltung in Siegen. Beim gemeinsamen Singen wurde der 59-Jährigen bewusst, wie wichtig „das Wissen um die alten Texte und Melo-dien“ ist. Erik Dietrich, ein musikbegeis-terter Juso, übernahm die künstlerische Leitung des Chors und das Unterbe-zirksbüro spendierte ein vorwärts-Lie-derbuch. Schon jetzt hat der Chor zwölf Mitglieder im Alter von 20 bis 70 Jahren. Sie seien zwar „nicht ton-, aber text-sicher“, sagt Schneider. n TO

WormS WächSt„Von der viel beschriebenen Politikver-drossenheit spüren wir nichts“, stellt Rupert Müller fest. Müller ist Mitglieder-beauftragter der SPD Worms-Mitte und freut sich über einen stetigen Zuwachs im Ortsverein. Im Oktober kam mit Jas-min Soller nun das 150. Mitglied hinzu. Die 23-Jährige ist der SPD beigetreten, um sich in die politische Arbeit einzubringen und „sich für ein soziales und weltoffe-nes Deutschland einzusetzen“. n TO

Foto

s: N

ied

erh

eid

e , M

ar

k W

ilk

eNd

or

F

E s gibt natürlich sehr viel Über-einstimmung, wir sind ja alle in einer Partei“, sagt Sascha Vogt

über das Verhältnis der Jusos zur SPD. Deswegen streite die 1904 gegründete Jugendorganisation für die Inhalte der SPD, setze auch „auf ein klareres Profil als linke Volkspartei“, betont ihr Vorsit-zender. Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Bildung für alle stehen im Mittel-punkt ihres Programms.

Um ihre Ziele zu verwirklichen, ver-folgen die Jusos eine Doppelstrategie: Zum einen tragen sie durch ihr Enga-gement in den SPD-Ortsvereinen und ihre Arbeit in den Gremien ihre Inhalte in die Partei. So brachten die Jusos auf dem letzten Parteikonvent einen ju-gendpolitischen Leitantrag zum Thema Ausbildung und Berufseinstieg ein, der mit großer Mehrheit beschlossen wur-de. Bereits in der Vergangenheit hat die Partei Forderungen der Jusos wie den Atomausstieg, die Bekämpfung der Ju-gendarbeitslosigkeit und die Gleichstel-lung der Geschlechter in ihr Programm übernommen. Zum anderen setzen die Jusos auf die Zusammenarbeit mit Ge-werkschaften, attac, Antifa, der Frau-enbewegung und weiteren sozialen Bewegungen, um gesellschaftliche Ver-änderungen voranzubringen.

Wer sich entscheidet, bei den Jusos Mitglied zu werden, muss zwischen 14 und 35 Jahren alt sein. Er kann wäh-

in Magdeburg stattfindet, wird auch der designierte Kanzlerkandidat Peer Stein-brück reden. Von ihm erwarten die Ju-sos „einen Politikwechsel, bei dem unser Grundwert der sozialen Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht“. n TO

Der Linke StacheLim FLeiSch Der ParteiJuSoS Mehr als der Parteinachwuchs der sPd

arbeitSgemeinSchaFten in Der SPD Folge 8

len, ob er auch Mitglied der SPD wird. In der Wahlfreiheit liegt eine Besonder-heit der SPD-Jugendorganisation. 57 000 der 70 000 Jusos sind auch Mitglied der SPD. Beim diesjährigen Juso-Bundeskon-gress, der vom 16. bis zum 18. November

arbeitsgemeinschaftseit 1904

mitgliederrund 70 000 (davon 13 000 ohne SPD-Mitgliedschaft)

bundesvorstandSascha Vogt (Vorsitz), Matthias Ecke, Susanne Kasztantowicz, Katharina Oerder, Sebastian Roloff, Bettina Schulze, Jan Schwarz, Johanna Uekermann, Julian Zado

kontaktjusos.de Gerecht – Jetzt oder nie! Vom 16. bis 18. November findet der Juso-Bundes-kongress in Magdeburg statt.

auf linkem kurs: der bundesvorstand der Jusos im november 2011, 6. v.r.: Sascha Vogt

ein abenD Für WiLLyAnlässlich des 20. Todestages von Willy Brandt veranstaltete der SPD-Ortsverein in Bassum am 8. Oktober „Einen Abend für Willy – Szenische Lesungen“. Man traf sich in der gut besuchten Mensa der Grundschule der kleinen Stadt in der Nähe von Bremen. Mit kurzen szenischen Darstellungen, Texten und Dialogen erzählten die Genossen aus Brandts Leben: Geburt in Lübeck, Exil in Skandinavien, Bürger-meister von Berlin, Außenminister und Bundeskanzler. Als es um die von Brandt eingeleitete Entspannungspoli-tik zwischen Ost und West ging, brüllte ein Darsteller: „Es wird kein deutsches Land verschenkt – eher wird der Brandt gehängt!“ Das Zitat rief die Erinne-rung daran wach, auf welch radikalen Widerstand Brandt damals mit seiner Politik stieß. Umso verdienstvoller erscheint der Erfolg, den er mit ihr erzielte. n TO

einberufung gemäß § 21, § 22(1) und § 32 organisationsstatut

auSSerorDentLicher bunDeSParteitagsonntag, den 9. dezember 2012 in hannover. deutsche Messe, hannover, Messegelände, 30521 hannover

Der antragsschluss ist der Freitag, 9. november 2012, 24 uhr.

vorläufige tagesordnung

beginn: 11 uhr

1. eröffnung und konstituierung

2. grußwort

3. Vorschlag für einen kanzlerkandidaten

4. rede des kanzlerkandidaten

5. Wahl des kanzlerkandidaten

6. antragsberatung

7. rede des Parteivorsitzenden

ende: ca. 16 uhr

Page 23: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts Wirtschaft 23Fo

to: d

pa p

ict

ur

e-a

llia

nc

e /

ca

rst

en J

an

ssen

aNZEiGE

zeichnung als Kulturerbe zahlreiche Gäste an. „Jetzt richten wir unter dem Dach des früheren späne-hauses ein internationales Besucherzentrum ein“, sagt Presse-Managerin fabienne Goh-res. Die 26-jährige alfelderin setzt auf regionale und thematische Vernetzung. „Es gibt Pläne, mit der stadt hildesheim zusammenzuarbeiten, die ebenfalls Weltkulturerbe ist.“

„Das Denkmal ist voller Leben“, sagt Ernst Greten. Der Urenkel des firmen-gründers carl Benscheidt übernahm zusammen mit seinem Bruder 1974 den schwächelnden Betrieb. allerdings: „Nur mit schuhleisten ist kein Geld mehr zu verdienen“, sagt Greten.

fagus-Grecon, wie der familienbe-trieb offiziell heißt, erwirtschaftet sei-nen Umsatz zu 85 Prozent in anderen Geschäftsfeldern: Mehr als 300 Mit-arbeiter produzieren in der Bauhaus-fabrik spezialmaschinen zur holz-verarbeitung und Messgeräte für den Brandschutz.

Die fagus-Werke sind ein lebendiges Denkmal. Das heißt: am Wochenen-de wird die Werkhalle schon mal für ein Konzert leergeräumt. Und es gibt im stillgelegten Leisten-Lagerhaus eine detailreiche ausstellung mit Einblick in die firmengeschichte. außerdem gibt es Bauhaus-Möbel und natürlich schuh-mode des vergangenen Jahrhunderts.

im 4. stock stehen ungewöhnliche schätze: getragene fußballschuhe von Philipp Lahm und feines schuhwerk von Leni riefenstahl. angela Merkel hat ihre ausgetretenen Wahlkampf-Pumps spen-diert und gleich daneben steht ein ein-zelner schuh des Ex-Bundespräsidenten christian Wulff. n

W er sich mit der Bahn dem unscheinbaren Örtchen al-feld in der Nähe von han-

nover nähert, sieht zunächst malerische buchenbewaldete hügel. Und dann, kurz vor der Bahnstation taucht ein prachtvol-ler, sandgelb geklinkerter industriebau auf: die fagus-Werke. Großzügige fens-terflächen, würfelförmige flachgebäude und ein zierlicher, 50 Meter hoher Was-serturm. Die schlichte fabrikanlage der fagus-Werke gilt als schlüsselwerk der architektonischen Moderne, als ikone des industriebaus.

Vor gut einhundert Jahren wurde das Werk von einem jungen, damals noch unbekannten architekten geplant: Wal-ter Gropius. Es war das Debut des welt-berühmten Begründers der Bauhaus-Be-

wegung. seit 1946 steht das Werk unter Denkmalschutz, ab 1985 wurden die Ge-bäude sukzessive instand gesetzt. im ver-gangenen Jahr hat die UNEscO die Bau-haus-fabrik zum Weltkulturerbe erklärt.

anders als in der Völklinger hütte oder der Zeche Zollverein Essen wird in den fagus-Werken noch immer gearbei-tet. Es ist damit das einzige Kulturdenk-mal weltweit, in dem heute noch pro-duziert wird. in den historischen hallen werden von 40 Mitarbeitern nach wie vor Leisten gefertigt, hölzerne fuß-Mo-delle für die schuhproduktion. früher aus Buche, heute aus giftgrünem Kunst-stoff. Kunden sind namhafte Marken wie Ecco, Lloyd und adidas.

Die fagus-Werke sind auch ausflugs-ziel und ziehen spätestens seit der aus-

Ein formvollendeter Arbeits-platz: Die Fagus-Werke in Alfeld, geplant von Bauhaus-Gründer Walter Gropius.

ProDuktion im DEnkmAlArBEitsWEltEn in den Fagus-Werken in niedersachsen treffen Handwerk und technologie aufeinander Von Maicke Mackerodt

FirmEnPorträt FAGus-GrECon GmBH

GeschäftsfelderFagus: SchuhleistenGreCon: elektronische Mess- und Regelsysteme und BrandschutzeinrichtungenGreCon-Dimter: Keilzinkenanlagen für die Massivholzverarbeitung

firmensitz Alfeld/Hannover

GeGründet 1911

BeschäftiGte Fagus: 40 GreCon: 320GreCon Dimter: 120

www.fagus-grecon.de

Weitere Porträts der Serie:vorwaerts.de/Wirtschaft/Gut_gemacht

GutGEmACHt

Dass er »Kanzler kann«, zu dieser Ansicht hat sich nun auch seine eigene Partei durchgerungen. »Es geht um einen alles in allem doch recht unge-

wöhnlichen Menschen und Politiker.« Andreas Hoidn-Borchers, stern.de O

rigi

nal

ausg

abe

30

0 S

eite

n ¤

14

,90

Auc

h al

s

erh

ältli

ch

Daniel Friedrich Sturm, Dr. phil., schreibt als Parlamentskorrespondent von ›Welt‹ und

›Welt am Sonntag‹ über das (Innen-)Leben der SPD. Er beobachtet und begleitet Peer

Steinbrück seit etlichen Jahren.

Der Vor- und Querdenker: Peer Steinbrück analysiert schonungslos die Lage und zeigt Wege aus der Krise.51

2 S

eite

n ¤

12

,90

Jetzt im Taschenbuch

DER KANDIDAT

Vorwaerts_11_Steinbrueck.indd 1 15.10.12 15:54

Page 24: vorwärts November 2012

24 Wirtschaft vorwärts 11/2012

E s ist eine erschreckend hohe Zahl: 115 Millionen Kinder arbeiten weltweit in gesundheitsgefähr-

denden Jobs, berichtet die internationa-le arbeitsorganisation (iLO). sie bauen samsung-handys zusammen, nähen fußbälle für Puma oder schuften in steinbrüchen. Die Gesamtzahl der Kin-derarbeiter liegt bei 215 Millionen.

Welches Unternehmen auf Kinderar-beit zurückgreift, ist im handel schwer zu erkennen. Der Verein „earthlink“ will das mit der Kampagne „aktiv ge-gen Kinderarbeit“ ändern und bietet ein praktisches computerprogramm an, das beim Online-Einkauf textilprodukte blockiert, deren hersteller in Bezug auf Kinderarbeit in der Kritik stehen. „aVO-iD“ heißt das Browser-Plugin, dass unter www.avoidplugin.com zum Download zur Verfügung steht. aVOiD führt weit mehr als eine Million kritische Produkte und wird laufend aktualisiert.

in Europa sorgte im vergangenen Jahr die reportage „children of the season“ des regisseurs Mehmet Ülger für aufsehen. Er begleitete türkische familien bei der haselnussernte am schwarzen Meer. 70 000 Kinder arbeiten laut der regionalen Lehrergewerkschaft in diesem Bereich, oft bis zu sechs Mo-nate pro Jahr. ihre familien sind finan-ziell von der Unterstützung abhängig, die schulen in den heimatdörfern blei-ben leer. Mehmet cilik, der die Erntear-beiter rekrutiert, erklärt in Ülgers film lapidar: „Was sollen die Leute machen? Die brauchen das Geld!“ Mehr als ein Viertel der türkischen haselnussern-te landet in Deutschland, meist in der süßwarenindustrie. somit steht auch Nussschokolade aus einem deutschen supermarktregal unter dem Verdacht, aus Kinderarbeit zu stammen. n AK

Sind Lebensmittel in Deutschland zu billig?Nein. Dass Lebensmittel günstig sind, ist erstmal etwas Gutes. Der eine gibt eben gerne mehr für Lebensmittel aus und verreist dafür vielleicht weniger. Dafür sind alle Zutaten natürlich. Der andere kauft lieber billige Lebensmittel und nimmt dafür künstliche Zusatzstof-fe in Kauf. Diese freiheit muss man als Verbraucher haben. Nur die Entschei-dungsgrundlage muss stimmen. Und das geht nur, wenn jeder weiß, was in den Produkten enthalten ist.Sie verwenden keine Aromen, Ge-schmacksverstärker oder Farbstoffe. Dafür sind Ihre Produkte teurer. Zahlt sich der Kurs aus?Mittlerweile ja. als wir 2003 unser rein-heitsgebot ins Leben gerufen haben und unsere Produkte im schnitt 15 Prozent teurer geworden sind, haben sie teilwei-

se händler aus den regalen genommen. Nach Einführung unseres reinheitsge-bots haben wir die hälfte unseres Um-satzes eingebüßt. inzwischen haben die Kunden aber gelernt, dass wir ihnen ein besseres Produkt anbieten als her-steller, die künstliche aromen oder Ge-schmacksverstärker verwenden. Es ist nicht leicht, den Kunden verständlich zu machen, dass Qualität eben ihren Preis hat. solange Verbraucher Qualitätsun-terschiede nicht sehen oder schmecken, werden sie im Zweifelsfall anhand des Preises entscheiden.Wie wollen Sie die Unterschiede deutlich machen?aus meiner sicht müssten die Verbrau-cher anhand der Verpackung sehen können, worin die qualitativen Unter-schiede eines Produkts im Vergleich zu einem anderen liegen. solange dies nicht gewährleistet ist, wird die Lebens-mittelindustrie auf dem billigsten Weg produzieren.Was fordern Sie?Erstens müssen Lebensmittel, denen ein aroma zugesetzt wird, mit dem deutlich lesbaren Zusatz „künstlich aromatisiert“ versehen werden. Zweitens müssen alle Zusätze, die der Verstärkung des Ge-schmacks dienen, mit dem Zusatz „Ge-schmacksverstärker“ deklariert werden. Und drittens muss lückenlos alles, was in einem Lebensmittel enthalten ist, auch auf dem Etikett oder zumindest auf der internetseite des herstellers ste-hen.2009 haben Sie probeweise eine Nährwert-Kennzeichnung per Ampel auf einigen Ihrer Produkte einge-führt. Warum haben Sie diese wieder eingestellt?Das Problem war, dass andere hersteller nicht mitgezogen haben. Der hinter-grund der ampel ist ja, dass der Konsu-ment innerhalb kürzester Zeit anhand von farben sehen kann, wie hoch der fett- oder Zuckergehalt eines Produkts ist und nicht erst Zahlenkolonnen stu-dieren muss. ich halte die ampel des-halb für ein sehr sinnvolles und kunden-freundliches instrument. Wenn frosta aber der einzige hersteller mit einer am-pel auf seinen Produkten ist, sind die an-gaben irrelevant, weil die Vergleichbar-keit zu anderen Produkten fehlt.Sind Sie von Ihren Mitbewerbern enttäuscht?ich bin enttäuscht, dass die Lebensmit-telindustrie nicht versucht, insgesamt an einer Gesetzgebung zu arbeiten, die mehr Klarheit schafft. Letztlich liegt das auch in ihrem eigenen interesse. Nicht umsonst sind wir ständig negativ in der Presse, weil wir versuchen, Dinge zu verschleiern. Wenn wir alle trans-parenter arbeiten, gewinnen wir an Glaubwürdigkeit und der Verbraucher an Qualität. n

Alles muss Aufs etikett!kennzeichnung Frosta-Geschäftsführer Felix Ahlers fordert mehr Transparenz Interview Kai Doering

leere schulen während der ernte kinderArBeit Kampagne deckt große Missstände auf

felix Ahlers von „frosta“ kritisiert die eigene Branche: „ich bin enttäuscht, dass die lebensmittelindustrie nicht versucht, mehr klarheit zu schaffen.“

215 millionen kinder müssen weltweit arbeiten, wie hier in der indischen textil - indu strie.

lebensmittelampel (vergrö-ßerte Ansicht): die farben grün-gelb-rot zeigen, wie hoch und damit gesund-heitsschädlich der Anteil von fett, gesättigten fettsäuren, zucker und salz ist.

FoTo

: Nic

olA

us

sch

Mid

T/T

err

e d

es h

oM

Mes

, Gr

eGo

r s

ch

lAeG

er/V

isu

M, F

ro

sTA

WeIterLeSeN

vorwärts.de

im Internet

Page 25: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts Wirtschaft 25

I ch bin Milchbauer. Den Betrieb be-wirtschafte ich mit meinen Eltern, meinem Onkel und zusätzlichen

Erntehelfern bei arbeitsspitzen. Der Betrieb umfasst etwa 150 hektar Land. 90 Prozent sind gepachtet. Wir haben 400 rinder, davon sind 120 Milchkühe.

Mein arbeitstag beginnt kurz nach 5 Uhr, egal ob sommer ist oder Winter, sonn- oder feiertag. Die Kühe werden gemolken, gefüttert und die Kälber ge-tränkt. Wir misten aus und streuen ein. Das dauert drei stunden. Nach dem Mel-ken kommen die Kühe im sommer auf die Weide, nachts bleiben sie im stall. Von 8.30 bis 9 Uhr frühstücken wir.

Danach arbeiten wir auf den feldern, auf dem hof und im stall, unterbrochen von 25 Minuten Mittagspause. Um 15 Uhr holen wir die Kühe zum Melken

vermarktet die Eier unserer Legehen-nen. Die verkaufen wir ab hof, auf dem Wochenmarkt, an der haustür, an Gast-wirtschaften, hotels und altenheime.

Gegen 19 Uhr essen wir abendbrot. Dann ist „feierabend“, wenn nicht eine Ernte ansteht. Vor dem schlafengehen sehen wir im stall nach, ob alles in Ord-nung ist. Oft leisten wir nachts Geburts-hilfe, wenn eine Kuh kalbt. außerdem bin ich ehrenamtlich aktiv: bei der frei-willigen feuerwehr, beim Bundesver-band Deutscher Milchviehhalter und als sPD-stadtrat in tornesch.

Landwirt ist ein sehr schöner Be-ruf. Die arbeit mit und in der Natur ist sehr abwechslungsreich und spannend. aber finanziell wird es immer schwie-riger. Dieses Jahr sind die Kosten für die Pacht um 11 000 Euro und für Diesel um 7000 Euro gestiegen. Wegen der Dürre in den Usa hat sich der Einkaufspreis für Kraftfutter fast verdoppelt. Die Preise für unsere Produkte, besonders Milch, liegen dieses Jahr unter denen von 2011. sollte sich an dieser situation nicht bald gravierend etwas ändern, müssen wir unseren Betrieb schließen. n

Aufgezeichnet von Susanne Dohrn

vorwaerts.de/Wirtschaft/Meine_Arbeit

wieder von der Weide und füt-tern die tiere. alle zwei tage gegen 18 Uhr wird die Milch abgeholt. Mitte des Monats er-halten wir von der Meierei die abrechnung für den Vormonat. Erst dann erfahren wir den Preis für unsere Milch. auch wenn

wir schlachtrinder oder Getrei-de verkaufen, erfahren wir den Preis erst viel später. ich glaube, so etwas gibt es fast nirgendwo: dass der abnehmer den Preis bestimmt, wenn der „handel“ nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Meine Mutter

aNZEiGE

meine Arbeit

LAndwirt ingo Früchtenicht 38 Jahre, lebt in Esingen (Holstein)

Ausbildung Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt

Status Selbstständig

Verdienst 2520 Euro brutto im Schnitt laut Bauernverband

Arbeitszeit 70 Wochenstunden, Urlaub selten oder gar nicht

Foto

: Dir

k B

lEic

kEr

Leben mit den Kühen »Nach dem Abendbrot um 19 Uhr ist Feierabend – wenn keine Ernte ansteht.«

Vorfreude inklusive!

AZ

218

10.1

2

Internet: www.spd-reiseservice.deoder besuchen Sie uns auf www.hmrv.de

SPD-Rundumschutz

Alles inklusive schon ab

16,– EUR pro Person weltweit!

Egal, ob Wanderurlaub in Österreich, Kreuzfahrt im Mittelmeer oder Gruppenreise in die Türkei.

SPD Reiseservice und HanseMerkur Reiseversicherung – Ihre langjährigen Partner für einen perfekten Urlaub – von Anfang an!

❍ Reise-Rücktrittsversicherung ❍ Urlaubsgarantie (Reiseabbruch-Versicherung) ❍ Reise-Krankenversicherung❍ Notfall-Versicherung inkl. Schutzengel auf Reisen❍ Reisegepäck-Versicherung

Ausgezeichnete Leistungen

AZ 218_1012_SPD Magazin_225x152.indd 1 25.10.12 09:24

Page 26: vorwärts November 2012

26 Wirtschaft vorwärts 11/2012

Jobmotor mit SchattenSeiteneinzelhandel Bei Auszubildenden ist die Branche sehr beliebt. Die Karrierechancen sind gut. Trotzdem erlebt mancher im Ruhestand eine böse Überraschung Von Susanne Dohrn

F ast alles, was wir brauchen, müs-sen wir kaufen. Die mehr als drei Millionen Beschäftigten im Ein-

zelhandel machen das erst möglich. „Der Einzelhandel ist ein Jobmotor“, sagt der hauptgeschäftsführer des handelsver-bands Deutschland (hDE) stefan Genth. „Kaufmann oder -frau im Einzelhandel“ ist der beliebteste ausbildungsberuf.

„sehr viele frauen und Männer ar-beiten gerne in dieser Branche, weil sie den Kontakt mit Kunden und Kundin-nen mögen“, so Ulrich Dalibor von der Gewerkschaft ver.di. Untersuchungen von hDE und ver.di zeigen aber: Bezah-lung und arbeitszeiten sind aus sicht vieler Beschäftigter unbefriedigend. hinzu kommt, dass von den drei Milli-onen Beschäftigten gut 900 000 gering-fügig beschäftigt sind, knapp 800 000 arbeiten in teilzeit. Dalibor: „Viele frau-en, mit ihrer gebrochenen Erwerbsbio-grafie, werden im ruhestand böse Über-raschungen erleben, weil sie mit ihrer rente kaum auskommen dürften.“

Diesen Nachteilen steht die sicher-heit der Jobs gegenüber. Vor allem frau-en schätzen zudem die flexiblen arbeits-zeiten. auch aufstiegschancen reizen viele: „Der Einzelhandel ist eine der wenigen Branchen, in denen man auch ohne studium schon mit Mitte Zwan-zig in gut bezahlte führungspositionen gelangen kann“, sagt Wilfried Malcher, zuständig für Bildung und Berufsbil-dung beim hDE. Knapp 70 Prozent der führungskräfte sind demnach über die berufliche aus- und fortbildung in ihre Position gelangt. Nur 15 Prozent sind di-rekt von der Uni gekommen. Der frau-enanteil auf filialleiterebene beträgt 40

Prozent, bei den Geschäftsführern sind es immerhin noch 27 Prozent.Verkäufer, Kaufleute im Einzelhandel sind die klassischen Einsteigerberufe und bieten mit entsprechender Wei-terbildung die Möglichkeit, Karriere zu machen. Voraussetzung: Mindestens haupt- oder realschulabschluss, rech-nen sollte man können. ausdrucksfä-higkeit, sorgfalt und die fähigkeit, mit Kunden umzugehen sind ebenfalls gefragt. Kaufleute erwerben im 3. aus-bildungsjahr zusätzlich Kompetenz in Marketing, Personal und Datenverarbei-tung. arbeitgeber sind z.B. Bekleidungs-, Parfümerie- und Lebensmittelgeschäfte sowie Baumärkte.Fachlageristen, Fachkräfte für Lager-logistik nehmen Waren an und lagern diese sachgerecht, stellen Lieferungen zusammen und leiten Güter an die ent-sprechenden stellen im Unternehmen weiter. Voraussetzungen sind haupt-, oder realschulabschluss, Ordnungs-sinn, Organisationstalent und Verant-wortungsbewusstsein, dazu die Lust an „Papierkram“ und an der arbeit am Pc.

bezahlung und arbeitszeiten werden kritisiert: dennoch ist ein Job als einzelhandelskaufmann oder -fau der beliebteste ausbildungsberuf.

daS branchenportrÄt

Ausbildung Verdienst Arbeitsmarktchancen

Verkauf / Kaufleute Verkäufer 2, Kaufleute 3 Jahre

2300 – 2500 Euro Gut, Aufstiegsmöglichkeit z.B. zum Filialleiter, Einkäufer, Bezirksleiter

Lagerlogistik Fachlagerist 2, Fachkraft für Lagerlogistik 3 Jahre

2300 – 2500 Euro Starke Nachfrage, Weiterbildungs- und Aufstiegs-möglichkeiten zum Meister oder Logistiker

Gestaltung /visuelles Marketing

3 Jahre 2300 – 2500 Euro Stark nachgefragte Ausbildung, Weiterbildung zum Fachwirt „Visual Merchandising“, Aufstieg bis zur unternehmerischen Selbstständigkeit möglich

Filialleitung Abgeschlossene Berufs-ausbildung, Berufspraxis, Weiterbildung

Ab 3500 Euro Gut, weil die Branche nach wie vor expandiert

tipp!

Mehr Informationen zu den Berufen, den Ausbildungs - voraussetzungen und Karrierechancen im Internet unter: berufenet. arbeitsagentur.de einzelhandel.de

auf einen blick

berufe & chancen

FoTo

: im

Ag

o/S

ven

LA

mB

eRT

zahl der unternehmen:

400 000

QueLLe: HDe, STAnD SepTemBeR 2012

zahl der auszubildenden im einzelhandel:

160 000

der einzelhandel ist die dritt-größte Wirtschaftsbranche in deutschland. Jahresum-satz in Milliarden Euro:

422

zahl der beschäftigten in millionen:

3 Der Beruf ist branchenunabhängig, ar-beitsplätze gibt es in Betrieben mit La-gerwirtschaft und Logistikzentren. Gestalter für visuelles Marketing präsentieren Waren und planen Ver-anstaltungen im Geschäft, z.B. Pro-motion-Events. Voraussetzung sind realschulabschluss oder abitur, hand-werkliches und zeichnerisches Ge-schick sowie sinn für Ästhetik. Dazu Lust am Umgang mit dem computer und Überzeugungskraft, um Konzepte durchzusetzen. sie arbeiten in Kauf-, Mode- und Möbelhäusern und sind bei Kongresszentren, ausstellungsveranstal-tern oder Werbeagenturen gefragt.Filial- oder Marktleiter sorgen für den reibungslosen ablauf in der filiale. sie leiten und koordinieren die annahme der Waren und deren Präsentation und verantworten die Kosten der filiale ge-genüber der Geschäftsführung bzw. der Bezirksleitung. sie setzen Marketing- und Vertriebsstrategien um. in ihrer Verkaufsstelle leiten sie das Personal, erarbeiten Einsatzpläne und erledigen Verwaltungsarbeiten. n

Page 27: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts Kultur 27

F ast fünfhundert Gäste, darunter Altkanzler Gerhard Schröder und der Maler Markus lüpertz, die

Schriftsteller Feridun Zaimoglu, tilman Spengler und Eva Menasse, drängen sich im Hof unter die Heizschirme. Es ist bit-ter kalt. Auf der Bühne versucht Helge Schneider am Klavier mit seinem trio, etwas jazzige Summertime-Atmosphäre aufkommen zu lassen.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsi-dent torsten Albig würdigt Grass als „streitbaren Geist und Impulsgeber für die Gesellschaft“, doch – so Albig mit Blick auf die fröstelnden Gäste – was Grass sagt und schreibt, kann keinen kalt lassen. „Ich teile nicht alles, aber es lohnt sich, sich mit ihm auseinander-zusetzen.“ Grass setze politische Streit-gespräche in Gang, die enorm wichtig seien. „unsere Gesellschaft ist nur dann stark, wenn sie diese Debatten aushält.“

Eva Menasse traut sich in ihrer rede, aus der allgemeinen Festtagsharmonie ein wenig auszubrechen und auf das in der Öffentlichkeit heftig umstritte-ne israelkritische Gedicht „Was gesagt werden muss“ einzugehen: „Ich halte das Gedicht für eine torheit“, so die ös-terreichische Schriftstellerin, lobt aber gleichwohl den Dichter für „seine kämp-ferische lust, sich täglich aufs Neue mit der Welt zu verwickeln, koste es, was es wolle. Gewiss aber kostet es den geisti-gen ruhestand.“

Auch die Israel-Kritik ist ThemaDer literaturwissenschaftler Hein-rich Detering kritisiert dann in seinem Beitrag noch einmal die in der jüngsten Kritik vorgenommene Konzentration auf einen „winzigen text“, die Kritik an Israel in dem Gedicht. Im Blick auf das Grass’sche Gesamtwerk zeigt er auf, dass der Dichter alles andere als ein Antise-mit sei. Wer das lebenswerk des Dichters als „von Antisemitismus durchzogen“ denunziere, habe die genaue lektüre er-setzt durch den vermeintlichen Blick in das unterbewusstsein des Autors. „Sein lebenswerk ist ein Kunstwerk in genau-em Sinne des Wortes.“

Schließlich ergreift Günter Grass das Wort. Er sei Eva Menasse dankbar, dass sie das strittige thema aufgegriffen ha-be. „Ich hoffe, dass sie recht behalten, dass mein Gedicht eine torheit ist.“ Nicht zurücknehmen werde er aber die Kritik daran, dass eine Kieler Werft u-Boote als deutsche Wiedergutmachung an Israel liefere, die in der lage seien, atomare Mit-telstreckenraketen abzuschießen. „Ja, es war eine torheit, das so auszusprechen. Aber es war eine notwendige torheit.“ Da erinnert man sich an den legendären ersten Satz in Grass‘ roman „Der Butt“: „Ilsebill salzte nach“, und man erkennt: Auch der Dichter salzt nach, wenn es ihm erforderlich erscheint.

Dann liest er noch 40 Minuten aus sei-nem neuen Gedichtband „Eintagsflie-gen“ vor. landschaftsgedichte, Nach-rufe, Erinnerungen – unpolitische Gedichte. Nicht alles eben ist politisch bei Günter Grass. n

Günter Grass salzte nachFestakt Das zehnjährige Bestehen des Günter-Grass-Hauses und der 85. Geburtstag des Literatur-Nobelpreisträgers – doppelter Anlass für ein großes Fest in Lübeck Von Werner Loewe

neue ausstellung im lübecker Grass-haus: Der literatur-nobelpreisträger mit ehefrau Ute und Museumsleiter Jörg-Philipp thomsa

Geburtstagsgäste: schriftstellerin eva Menasse (v.l.), schleswig-holsteins Ministerpräsident torsten albig und alt-Bundeskanzler Gerhard schröder

»Es war eine notwendige Torheit.«Günter Grass über sein Gedicht zur Iran-Politik der Regierung Netanjahu

Foto

s: D

pA p

ict

ur

e-A

LLiA

Nc

e/M

Ar

ku

s sc

Ho

Lz/t

Ho

rst

eN W

uLF

F

„Ich stehe hier trotz des Israel-Ge-dichts von Günter Grass, das, wie Sie wissen, den titel trägt »Was gesagt werden muss«. Diesen titel nehme ich nun für mich selbst in Anspruch, wenn ich sage: Ich halte dieses Gedicht für eine torheit, und es hat mich bei seinem Erscheinen auf diese resigniert-verzweifelte Weise wütend gemacht, mit der man sonst auf Naturkatastrophen reagiert. [...]Wenn ich also zutiefst davon über-zeugt bin, dass dieses Gedicht eine torheit ist, dann muss der Geschwis-ter-Satz lauten: Menschen machen Fehler. Auch Günter Grass macht Fehler. [...] Wer den Mund aufmacht, macht sich angreifbar. Das ist eine tatsache. Wir als Gesellschaft sind aber vital darauf angewiesen, dass Menschen diesen Mut haben, dass sie frei denken und sprechen, dass sie auch das unmoderne, das unan-genehme, meinetwegen auch das törichte formulieren, dass sie sich jedenfalls gegen den Mainstream stellen, der so mitreißend doch nur unsere Faulheit bedient. [...]trotz allen inhaltlichen Wider-spruchs weigere ich mich, das irre-gegangene Israel-Gedicht als Sum-me und Bilanz eines 85jährigen Künstlerlebens zu begreifen, wie es manchen nun so herrlich in den Kram zu passen scheint. Das ist es nicht. Das Gedicht nicht, nicht die paar Monate in der Waffen-SS und nicht das merkwürdig späte Ge-ständnis. [...] Günter Grass hat ein großes, spektakuläres, ungezügel-tes literarisches Werk geschaffen [...] Aber die zweite große lebensleis-tung des Günter Grass ist die Selbst-verständlichkeit, mit er sich immer eingemischt hat, lieber würde ich ja sagen: mit der er das Maul auf-gemacht hat. Er hat seine Meinung gesagt, wann immer es ihm nötig schien. Er nimmt bis heute keine rücksicht darauf, ob es gerade mo-dern ist, sich als Schriftsteller zur Weltlage zu äußern oder ob, wie seit etlichen Jahren, gepflegtes Elfen-beinturmsitzen für einzig standes-gemäß gehalten wird. [...] Er macht weiter, er wird weitermachen und sich einmischen, so lange er kann.“ n

Dieser Auszug aus der Rede von Eva Menasse erscheint mit freundlicher Geneh-migung der Autorin.

eva Menasse üBer Grass

»er hat Das MaUl aUFGeMacht«

Aus unserem AntiquAriAt

Kurt Beck (HG.): »schlagt der Äbtissin ein schnippchen, wählt sPD!« Günter Grass und die Sozialdemokratie vorwärts/buch 2007, 163 Seiten, jetzt 24,80 Euro, ISBN 978-86602-280-5

Page 28: vorwärts November 2012

28 Kultur vorwärts 11/2012

E s ist nicht immer einfach, einen Blick auf die Bühne des vorwärts-Stands auf der Frankfurter Buch-

messe zu erhaschen. Zu dicht ist die traube von Menschen davor. Sie wol-len die Politiker und Autoren sehen, die hier diskutieren. Manchmal streiten sie, manchmal analysieren sie Probleme. und manchmal sprechen sie vor der ro-ten Wand über literatur.

Aus allen Nähten platzt der Stand, als in diesem Jahr der Wirtschaftswissen-schaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz auf den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück trifft. Sie sprechen über Stiglitz‘ aktuelles Buch „Der Preis der ungleichheit“, reden über die Spaltung der uS-amerikanischen und der deut-schen Gesellschaft. Auch nach diesem Gipfeltreffen bleibt der vorwärts-Stand Anziehungspunkt fürs Publikum. Dafür sorgen Gäste wie die SPD-Generalsekre-tärin Andrea Nahles, Franz Müntefe-ring, der Porsche-Betriebsrat uwe Hück, der Sozialphilosoph Oskar Negt und vie-le andere. n BG

PressestimmenIm Wechselspiel von Analyse und Poin-ten ging es über die Zeit hinaus weiter. Wenn die Buchmesse zugleich Hand-lungsplatz kunstvoller rhetorik sein will, dann gehörte diese Diskussion zu ihren großen Momenten. Stiglitz und Steinbrück, das passte. Im Publikum wurde die Behauptung laut: Die Sozi-aldemokraten haben jetzt auch ihren Professor. FAZ zur Buchmesse

Buschkowsky wollte am „vorwärts“-Stand aber tatsächlich weniger eine Debatte über die misslungene Integ-ration in seinem Stadtteil führen, son-dern pries die Vorzüge Neuköllns, nicht zuletzt die industriellen: Jacobs, Phillip Morris oder Niederegger lassen oder lie-ßen hier produzieren ... Der Tagesspiegel

steinbrück trifft nobelPreis- träger buchmesse Politiker diskutieren am vorwärts-Stand mit Autoren

1| freut sich über die Presseresonanz: sPD-kanzlerkandidat Peer steinbrück auf dem vorwärts-stand. hier diskutierte er mit Wirtschafts-nobelpreisträger Joseph stiglitz über die wachsende spaltung der gesellschaft, in den usA und in Deutschland.

7| sPD-generalsekretärin Andrea nahles mit einem besonders jungen fan. 8| hessens sPD-chef thorsten schäfer-gümbel (l.) dis-kutiert mit dem Politikwissenschaftler claus leggewie. 9| lobte seine heimat: neuköllns bürgermeister heinz buschkowsky

5| Der Wirtschaftswissenschaftler und nobelpreisträger Joseph stiglitz erklärt, wie die schere zwischen Arm und reich immer wei-ter aufgeht – nicht nur in den usA. 6| gespannte gesichter: zahlreiche gäste am „vorwärts“-stand auf der frankfurter buchmesse.

2| susanne schmidt, tochter von Altkanzler helmut schmidt, analysiert die finanzmarktkrise . 3| nina scheer (l.) im gespräch mit vorwärts-Volontärin marisa strobel über ihr buch „energiewende fortsetzen“. 4| Jutta Allmendinger spricht über bildung.

1

2

5

7 8

3 4

6

9

Fotos und Berichtevorwärts.de/Kultur/Buchmesse_2012

Foto

S: v

or

rt

S

Page 29: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts Kultur 29

ANZEIGE

S eit mehr als 150 Jahren prägen Sozialdemokraten deutsche Ge-schichte. Klaus Wettig hat sich

auf Spurensuche begeben. Er hat nach „Orten der Sozialdemokratie“ gesucht –und ist allüberall fündig geworden.

Grabstätten, ehemalige Konzentra-tionslager, Folterkammern und Gefäng-nisse. Wer Wettig folgt, erkennt rasch: Der Weg der Sozialdemokratie ist kein leichter gewesen. Viele Männer und Frauen haben oft große Opfer gebracht,

nicht wenige ihr leben gelassen – weil sie rückgrat hatten und es ihnen ernst war mit dem Verlangen nach Freiheit und Gerechtigkeit.

Wo die Emslandlager der Nazis, KZs in ravensbrück oder Dachau stan-den, erinnern exzellente Ausstellungen an terror und Widerstand. In Berlin- Hohenschönhausen „riecht“ das ehe-malige Stasi-Gefängnis noch förmlich nach DDr. Jede Ost-Nostalgie vergeht Besuchern hier rasch. Doch Klaus Wettig

leitet seine leser auch, von Bundesland zu Bundesland wandernd, zu Orten des Aufbruchs. Zu den Gründungsstätten der frühen Sozialdemokratie und zu architektonischen Monumenten der Moderne wie der Zentrale des Metall-arbeiterverbandes in Berlin – das Willy-Brandt-Haus sieht wie dessen junger Bruder aus.

Nicht immer ist die Sozialdemokra-tie mit ihrem Erbe pfleglich umgegan-gen. In der DDr hat die SED gezielt Ge-schichts-Politik betrieben – etwa indem sie den „Friedhof der Sozialisten“, die letzte ruhestätte vieler Sozialdemokra-ten, zu einer Weihestätte für SED-Kader umfunktionierte. Klaus Wettigs Buch leistet hier einen wichtigen Beitrag zur re-Konstruktion von Geschichte.

Wenn es einen „Genius loci“ gibt, tut die SPD gut daran, ihre Spuren zu pflegen. Klaus Wettigs Buch mag sie als Pflegeanleitung nehmen. n

Klaus WettigOrte der deutschen sOzialdemOkratieEin Reisebuchvorwärts|buch 232 Seiten, 15 Euro ISBN 978-388602-921-7

Spuren, überallKlaus Wettig macht 150 Jahre SPD nach-erlebbar

Von Uwe Knüpfer

Rezensionen

Die Favoriten Der leSer im internet

Klaus SchererWahnsinn amerika Piper Verlag, München 2012, 288 Seiten, 18,99 Euro ISBN 978-3-492-05531-4

Friedrich Paul HellerPinOchet. eine täter-biOgraPhie in chile Schmetterling Verlag, Stuttgart 2012, 352 Seiten, 24,80 Euro ISBN 3-89657-097-8

Jenny Erpenbeckaller tage abendAlbrecht Knaus Verlag, München 2012 288 Seiten, 19,80 Euro ISBN 978-3-89965-510-0

weiteRlesen

vorwärts.de

im Internet

Foto

: hen

Dr

iK r

au

ch

www.monde-diplomatique.de

Wer bekommt die Seltenen Erden aus China? Was machen die Neonazis in Europa? Welche Folgen hat der Landraub für Afrika? Wann kommt der Happy Planet Index für das gute Leben? Antworten auf diese und alle anderen wichtigen Fragen von morgen gibt der neue Atlas der Globalisierung.

Das Navigationssystem für die Zukunft

Der neue Atlas der Globalisierung ist da!

176 Seiten, über 150 Karten und Infografiken, broschiert, 14 €, ISBN 978-3-937683-38-6 gebunden, mit Download, 24 €, ISBN 978-3-937683-39-3

atlas_vorwarts_225x152.indd 2 11.10.12 14:51

Page 30: vorwärts November 2012

30 Kultur vorwärts 11/2012

D ie Darstellung von landschaf-ten, mal idealisiert, mal rea-listisch, in der neueren Kunst

auch verfremdet und abstrahiert, hat ei-ne lange tradition. Mit der renaissance im 15. und 16. Jahrhundert beginnt eine Blüte malerischer und grafischer land-schaftsbilder, die bis zum Expressionis-mus in unterschiedlichsten Stilformen anhält. Die Kette großer landschafts-bildner reicht von leonardo, Dürer, ti-zian über Brueghel, Vermeer, rubens, rembrandt oder van Gogh bis zu Monet, liebermann, Nolde und Hockney oder richter.

Der Faszination von landschaft er-legen ist auch der Künstler Eiko Bor-cherding. Er setzt das klassische Motiv jedoch mit zeitgenössischer Bildtechnik um. Seine der schwedischen landschaft entnommenen Motive („Höstarken“) sind Fotografien, die auf lichtempfind-liche Druckplatten gelegt und belichtet

werden; die Platten werden anschlie-ßend grafisch überarbeitet. So entste-hen Fotogravuren mit Kaltnadelradie-rung – eine reiz- und phantasievolle Mixtur aus realität und künstlerischer Intuition. n

Faszination LandschaFtJunge zeitgenössische Kunst exklusiv für die vorwärts-Leser empfohlen von Björn Engholm

Vig

nEt

tE: H

End

rik

Jo

na

s; F

oto

s: E

iko

Bo

rc

HEr

din

g, p

riV

at

vorwärts gaLerie

eiKo Borcherding

1977 in Aurich geboren, studierte von 2000 bis 2002 an der Fachhochschule Hannover und von 2002 bis 2006 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaf­ten HAW in Hamburg.

2009 erhielt er ein Auslands­stipendium in Schweden, 2010/11 ein Arbeits­stipendium der Nolde­Stif­tung Seebüll. Seine Arbeiten zeigte er in zahlreichen Aus­stellungen, unter anderem in Hamburg, Schleswig, Os­nabrück, Leipzig, Oldenburg, Wilhelmshaven, Seebüll und Berlin.

Seit 2011 hat er einen Lehr­auftrag für Zeichnen an der HAW. Eiko Borcherding lebt und arbeitet in Hamburg.eikoborcherding.de

Serie „HöStarken“ schwedisch: herbstblätter Radierung, Blatt Nr. 10 Maße: 27 x 18,8 cm Auflage: 20 ExemplarePreis: 160 Euro

Ja, ich KauFe Kunst

Hiermit bestelle ich:

_______ Exemplare der radierung nr. 10 aus der serie „höstarken“ à 160,00 Euro

(inkl. Mehrwertsteuer und Versand)

name

pLZ, ort, straße

datum, Unterschrift

Kunsthandel hoffschild, goethestr. 8, 23564 Lübecktelefon 0171/1935842, Fax 0451/598544, e-Mail: [email protected]

Es war einmal ein König, pardon, ein Parteivorsitzender, der glaubte, König zu sein. Er liebte seine unter-tanen, pardon, Wählerinnen und Wähler wie ein Vater. Er sorgte sich tag und Nacht um ihr Wohlergehen, nichts beschäftigte ihn so sehr wie das Glück der braven Bewohner in seinem Königreich, pardon, Freistaat. Das regieren machte ihm viel Freude. und nichts wünschte er sich sehnli-cher, als dass dies für immer so blei-ben möge.

Doch gab es in seinem reich auch eine rote Fee, genannt Sozialdemo-kratische Partei, die wollte ihm sei-ne Freude nicht gönnen! Sie heckte einen Plan aus: Übers Jahr, wenn die Einwohner wieder einmal entschei-den sollten, ob sie ihren König, par-don, Ministerpräsidenten für eine weitere legislaturperiode behalten wollten oder nicht, wollte sie den be-liebten Oberbürgermeister der schö-nen landeshauptstadt als Gegenkan-didaten aufstellen!

Eine beunruhigende Nachricht sei das, befand unser wackerer landes-vater, und was ihn noch viel mehr beunruhigte: Schon bald würden die, äh, Medien davon Kunde geben – o je! Da er sein Wahlvolk um keinen Preis in unruhe versetzt wissen wollte, sann er darüber nach, wie das wohl zu verhindern sei.

Er beschloss, der tradition seiner Ahnen zu folgen, rief seinen Mar-schall, pardon, Parteisprecher zu sich und befahl: Sorge du dafür, dass die-se, äh, Fernsehanstalt nicht schwatz-hafter ist, als der König erlaubt! Der tat, wie ihm geheißen – und griff zum telefon. O weh, nicht nur war die Sendeanstalt widerspenstiger als erwartet, sie petzte auch noch. „Einflussnahme“ nannte man nun draußen im lande, was doch nur gut gemeint gewesen war! Die Medien-vertreter waren empört, die unterta-nen ungehalten.

„Was hast du nur getan, Mar-schall!“, rief der Parteivorsitzende da, „bist du denn von allen guten Geis-tern verlassen?“ Da nahm der treue Marschall seinen Hut und verzog sich stumm in die Provinz. und wenn der König Glück hat, dann schweigt er dort auch weiterhin. n

MedienzirKusVon Gitta List

Page 31: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts Historie 31Fo

to: J

.H. D

ar

cH

ing

er/F

rie

Dr

icH

-eb

ert-

StiF

tu

ng

; ill

uSt

ra

tio

n: H

enD

rik

Jo

na

S

D a sitzt er im blassblauen Cord-hemd, die Zigarette lässig im Mundwinkel, spielt auf der

Gitarre und schaut versonnen in die abendliche Landschaft. Das Plakat hing in den 70ern in so gut wie jeder Juso-Wohngemeinschaft: Willy im Urlaub in seiner zweiten Heimat Norwegen, einer von uns und doch himmelhoch ent-rückt. im restaurativen Klima des Kalten Krieges verkörperte er das Versprechen eines anderen, besseren Deutschlands.

ich erinnere mich an die Bundes-tagswahlkämpfe 1961 und 1965. Günter Grass trommelte für den deutschen Ken-nedy, ab 1965 mit der Wählerinitiative unter dem von Walt Whitman entlehn-ten Motto Dich singe ich Demokratie. eine Kampfansage an die alten Männer um Adenauer mit ihrer ‚Kanzlerdemo-kratie’ und ihrer Keine-experimente-Politik. Die Musik des transatlantischen Fortschritts umwehte ihn.

Willy und John F. Kennedy am 13. März 1961 im Weißen Haus, das Foto, aus der Zeitung ausgeschnitten, hing über meinem Bett im studentenwohn-heim. Als Willy Brandt, ein Widerständ-ler, ein emigrant, 1969 – im dritten Anlauf – endlich Bundeskanzler wur-de, fühlte ich mich, in einer kosmopo-litischen Familie in den Niederlanden geboren und erst seit wenigen Jahren inhaber eines deutschen Passes, endlich in Deutschland wirklich zu Haus.

Der antiautoritären Bewegung be-gegnete er nicht in erster Linie mit Ab-wehr oder gar mit Haß. seine reaktion

war Neugier, Verständnis für die Un-geduld der Jugend und Gesprächsbe-reitschaft. „Mehr Demokratie wagen!“, das Motto, das er über seine erste re-gierungserklärung setzte, war uns ein Zeichen des Aufbruchs. er ließ sich von der Unterwanderungshysterie, die auch manchem sozialdemokraten den Blick trübte, nicht anstecken, wollte die auf-begehrende Jugend gewinnen, für sich, für die sache, die er vertrat, für die er ins exil gegangen war: für die sozialdemo-kratie.

Während andere über Disziplinie-rung, Abgrenzung und rausschmiss nachdachten, nahm er den Protest als Anstoß zu reformen, setzte sich mit den Kritikern in der eigenen Partei ausei-nander, hörte zu. Die Willywähler von 1972 dankten es ihm.

Offen für die Ideen der JugendWas Herbert Wehner ihm diffamierend nachredete – „der Herr badet gern lau“ – war auch, was sein Verhältnis zur kri-tischen Parteijugend anging, falsch. ich kann mich nicht erinnern, dass er uns Jungsozialisten je nach dem Munde ge-redet hätte. er hatte nur nicht verdrängt, daß er selbst als junger sozialist der Par-teiführung gegenüber widerspenstig gewesen war, daß er aus Protest gegen die tolerierung der Brüningschen Politik durch die sPD-Führung sogar zur sAP ge-wechselt war. Von Anfang an versuchte er, die Kritiker in den eigenen reihen in die reformarbeit einzubinden. er inter-essierte sich für die neuen ideen, die von

den Jungsozialisten in die Partei hinein-getragen wurden. erhard eppler hatte sein ohr, wenn es um Ökologie, um die Dritte Welt ging. Als Vorsitzender der sozialistischen internationale war er es, der in der Nord-süd-Kommission eine gerechtere Verteilung im Weltmaßstab als Bedingung für Frieden anmahnte.

Bis heute fasziniert mich der Mut und die Beharrlichkeit, mit der er seit Mitte der 60er zusammen mit egon Bahr die festgefahrene Deutschland- und ostpolitik in Bewegung brachte. Das war nun weiß Gott kein spezielles Jugendthema. Und doch gab es wohl kein Feld der Politik, auf dem die Jung-sozialisten der Führung der Partei so be-reitwillig folgten. Heute, zwanzig Jahre nach der implosion des sowjetimperi-ums und der deutschen Vereinigung können wir die Früchte einer Politik genießen, von der wir damals hofften, dass sie europa und die Welt grundle-gend verändern würde.

ich eigne mich nicht zum Fan. Aber Willy Brandt war und ist für mich in vielem ein Leitstern. er verkörperte den Politiker, den ich in den 50ern und 60ern herbeigesehnt hatte: charismatisch und pragmatisch zugleich, mit einer eigenen sprache. einer, der nicht schon fertig war, wie all die anderen, die uns von oben herab belehrten: ein suchender, ein europäer und Weltbürger wie ich. n

Junge Anhänger: In Dortmund grüßen Kinder den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt auf seiner Wahlkampfreise 1965.

Er WAr EInEr von unS WIlly BrAnDt Die Jugend liebte ihn. Denn von ihm fühlte sie sich respektiert und verstanden. kein SPD-Politiker vor oder nach ihm faszinierte junge Menschen so sehr Von Johano Strasser

Johano Strasser (geboren 1939) war von 1970 bis 1975 stellv. Bundesvorsitzender der Jusos und einer ihrer wichtigsten Vordenker

DIE SErIE

Folge 2: Willy Brandt und die Jugend

Im nächsten Heft Folge 3:Willy Brandt und die SPD

»Ich eigne mich nicht zum Fan, aber Willy Brandt war und ist für mich ein Leitstern.«Johano Strasser

Page 32: vorwärts November 2012

32 Historie vorwärts 11/2012

A nfang der siebziger Jahre ist die hohe Zeit der erfolgreichen sozialliberalen ostpolitik. Nie-

mals zuvor war die Zustimmung zu so-zialdemokratischer Politik in Deutsch-land so groß wie in diesen Jahren, die mit Willy Brandts Ankündigung, mehr Demokratie zu wagen, einen kulturellen Umschwung und das ende der von kon-servativem Geist beherrschten Nach-kriegszeit einleiteten. time Magazine kürt Brandt 1970 zum Mann des Jahres. im oktober 1971 erhält er in oslo den Friedensnobelpreis. Als regierender Bür-germeister von West-Berlin war er eine international bekannte Persönlichkeit geworden. er führte die stadt durch die harten Jahre nach dem Mauerbau, er empfing John F. Kennedy im schöneber-ger rathaus. Als Bundeskanzler repräsen-tiert er das andere, das demokratische, das sowohl die Freiheit wie den Frieden liebende Deutschland.

Brandts Mehrheit wackeltDoch Anfang der siebziger Jahre sind die Mehrheiten prekär. Am 24. Januar 1972 lehnt der Bundesausschuss der CDU einstimmig die ostverträge ab. immer wieder hat es Übertritte aus den reihen der FDP- und sPD-Bundes-tagsfraktion zur CDU/CsU gegeben. Die Meinungen im Land sind geteilt, die emotionen schlagen Wellen. es ist fast wie in einem Bürgerkrieg, der ohne Waffen ausgetragen wird. Am 25. April 1972 stellt oppositionsführer rainer Barzel (CDU) einen Misstrauensantrag im Bundestag. er wird knapp abge-lehnt. regungslos sitzt Willy Brandt zurückgelehnt auf der regierungsbank im Bonner Bundestag, während ausge-zählt wird. erst nach Bekanntgabe des ergebnisses hellt sich sein Gesicht auf. stehende ovationen. Doch bei dieser Abstimmung ist es, wie man später erfahren wird, nicht mit rechten Din-gen zugegangen. Geld war im spiel, um stimmen zu kaufen, Parteiübertritte wurden mit sicheren Listenplätzen und anderen Zusagen belohnt.

Die Ablehnung des Misstrauens-antrags löst eine Welle breiter Zustim-

Der TriumphVor 40 Jahren Im November 1972 erringt die SPD mit knapp 46 Prozent der Stimmen den größten Wahlsieg ihrer Geschichte Von Rolf Hosfeld

Die Wahlnacht 1972 in Bonn: helmut Schmidt, herbert Wehner und Willy Brandt

Wahlkampf 1972: SpD-Kundgebung in paderborn

mung für Willy Brandt im ganzen Land aus. seine Mehrheit bleibt dennoch in-stabil. Am 20. september stellt er des-halb die Vertrauensfrage und schlägt dem Bundestag Neuwahlen für den 19. November vor. ein turbulentes Jahr geht mit diesen Wahlen zu ende.

Die Stimmung dreht sichAm 8. November 1972 wird der Grund-lagenvertrag zwischen der Bundesrepu-blik und der DDr unterzeichnet, mitten im Wahlkampf. Wieder, wie bei den letz-ten Wahlen, hat sich eine engagierte so-zialdemokratische Wählerinitiative um Günter Grass formiert, die Prominente wie Hardy Krüger, inge Meysel, sebas-tian Haffner und andere für die sPD mobilisiert und unermüdlich trommelt. eine Flut von Aufklebern und Kleinan-zeigen für Willy Brandt überschwemmt das Land.

Die stimmung hat sich in eine rich-tung geändert, die man am besten als „Freiheit von der Angst“ bezeichnen könnte, und die immer mehr dazu führt, dass sozialdemokratische Gedanken das Meinungsklima beherrschen. „Deut-sche, wir können stolz sein auf unser Land. Wählt Willy Brandt“, plakatiert die sPD bundesweit.

tatsächlich wird der 19. November 1972 zum größten triumph der sozial-demokraten in ihrer Geschichte. Mit 45,8 Prozent wird die sPD zum ersten Mal stärkste Partei im Bundestag. es ist auch die stunde des größten persönli-chen triumphs für den Politiker Willy Brandt. senator edward Kennedy gratu-liert ihm mit den Worten: „Willy, i like winners“.

etwas mehr als ein Jahr später allerdings sollte Brandt schon nicht mehr im Amt sein. Am 8. Mai 1974 tritt er nach der enttarnung Günter Guillaumes, eines langjährigen DDr-spions im Bundeskanzleramt, zurück. „er lässt Deutschland in großem Maße gereinigt von schuld zurück und in der Lage, eine rolle zu spielen, die seiner stärke angemessen ist“, kommentiert die Londoner times diese Zäsur: „Das sollte genug für einen Mann sein.“ n

Foto

S: J

.H. D

ar

cH

ING

er /

Fr

IeD

rIc

H-e

ber

t-St

IFt

uN

G (3

)

umjubelt: Willy Brandt auf dem SpD-parteitag in Dortmund am 2.10.1972

vorwärts-Impressum Die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie gegründet 1876 von W. Hasenclever und W. Liebknechtherausgeberin: Andrea Nahles redaktionsadresse: Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 610322, 10925 Berlin; Tel. 030/25594-520, Fax 030/25594-390, E-Mail: [email protected] Chefredakteur: Uwe Knüpfer (V.i.S.d.P.) redaktion: Lars Haferkamp (Textchef); Dagmar Günther (CvD); Hendrik Rauch (Bildred.); Kai Doering (Redaktion), Yvonne Holl (App); Vera Rosigkeit (Online); Dr. Susanne Dohrn, Birgit Güll und Werner Loewe (redaktionelle Mitarbeit); Carl-Friedrich Höck und Marisa Strobel (Volontäre) Fotografie: Dirk Bleicker Layout: Jana Schulze Korrespondenten: Jörg Hafkemeyer (Berlin), Renate Faerber-Husemann (Bonn), Lutz Hermann (Paris) Geschäftsführung: Guido Schmitz anzeigen: Nicole Stelzner (Leitung strategische Unternehmensentwicklung und Verkauf); Nele Herrmann Valente, Manfred Köhn, Simone Roch, Carlo Schöll, Franck Wichmann und Ralph Zachrau (Verkauf) Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 35 vom 1.1.2012 Verlags-Sonderseiten: verantw. Guido Schmitz Vertrieb: Stefanie Martin, Tel. 030/25594-130, Fax 030/25594-199 herstellung: metagate Berlin GmbH Druck: Frankenpost Verlag GmbH, Poststraße 9/11, 95028 Hof abonnement: IPS Datenservice GmbH, Postfach 1331, 53335 Meckenheim; Tel. 02225/7085-366, Fax -399; bei Bestellung Inland: Jahresabopreis 22,– Euro; für Schüler/Studenten 18,– Euro; alle Preise inkl. Versandkosten und 7 Prozent MwSt.; Ausland: Jahresabopreis 22,– Euro zzgl. Versandkosten. Das Abo verlängert sich um ein Jahr, wenn nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Für SPD-Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten (bei Änderungen bitte an den SPD-UB wenden). Bankverbindung: SEB Berlin, BLZ 100 101 11, Konto-Nummer 174 813 69 00Bei Nichterscheinen der Zeitung oder Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages im Falle höherer Gewalt besteht kein Anspruch auf Leistung, Schadensersatz oder Minderung des Bezugspreises. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen.

Page 33: vorwärts November 2012

11/2012 vorwärts Rätsel 33

kreuzworträtselDie Fragen und das Kreuzworträtsel darunter ergeben die Lösung.

Die richtige Lösung schicken Sie bitte bis zum 29. November 2012 per Post an vorwärts, Postfach 610322, 10925 Berlin oder per E-Mail an [email protected]. Bitte Absender nicht vergessen und ausreichend frankieren! Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir zehn Bücher.

WAAGERECHT

1 Ertrag, Nutzen

6 meerkatzenartiger Affe

9 zu keiner Zeit

10 Kraftfahrzeug, Wagen

11 Nervosität, Erregung

13 Dasein, Existenz

16 Matrose

18 Presskohlestück

21 verführen, betören

25 Unwille, Ver-drossenheit

28 englisches Bier

29 Stadt an der Mosel

30 starke Belastung; Ärger (ugs.)

31 Altersruhegeld

32 seemännisch: Windschattenseite

34 Bogen auf zwei Säulen, Pfeilern

37 Anschauung, Meinung

39 Gebirge zwischen Europa und Asien

40 Ausruf der Verwunderung

41 Zeitmesser

42 gerade Auf-gekommenes

43 kurze Werbe-sendung (engl.)

SENKRECHT 1 Kuhantilope 2 Sportruderboot 3 Fragewort 4 nicht weit 5 Nasenloch des

Pferdes 6 Hafendamm 7 größte Insel der

Großen Antillen 8 Teil des Gesichts 12 Spaß; Unfug 14 Titel arabischer

Fürsten 15 dt. Mitbegründer

des Marxismus (Friedrich)

17 Abk. für et cetera 18 Begriff aus Jazz und

Popmusik

19 Kreuzesinschrift 20 Laubbaum,

Vogelbeerbaum 22 Vorsilbe: zwischen

(lateinisch) 23 römischer Staats-

mann und Feldherr 24 eine Pflanze 26 Nachlass empfan-

gen 27 germanischer

Wurfspieß 30 Verfassung, Satzung 32 Fluss zum Rhein 33 Bruder Jakobs im

Alten Testament 35 Lehrgang 36 kaufmänn.: heute 38 persönl. Fürwort

1 2 3 4 5 6 7 8

9 10

11 12 13 14 15

16 17

18 19 20

21 22 23 24

25 26 27 28

29 30

31

32 33 34 35 36

37 38 39

40 41

42 43

4

3

2

1

?

V on der Verleihung der ehren-bürgerwürde durch seine Hei-matstadt wird er regelrecht

überrumpelt. erst eine halbe stunde vor der Aushändigung der Urkunde erfährt er davon und fragt seinen Nach-Nach-folger: „Bist Du verrückt geworden?“

2004 verleiht ihm die stadt Regens-burg ihren „Brückenpreis“. sein ganzes politisches leben lang hat er sich auf das Brückenbauen verstanden, etwa als Präsident der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ oder als Präsident des „Deutschen Polen Instituts“. sein be-rühmtester Brückenbau kostet ihn zwei-mal beinahe das leben. In der stadt, die nach einer Brücke benannt ist, verüben kroatische Nationalisten Attentate auf den eU-Administrator. entnervt, und das ist ungewöhnlich für den Arbeiter-sohn, gibt er sein eU-Mandat zurück.

Auch in seiner Heimatstadt, deren Bürgerschaft er seit 1955 angehört, ist er als „Brückenbauer“ aktiv. Zum Wohle der stadt bringt er Kaufleute, Industrie, Arbeitnehmer und Politik immer wieder „an einen tisch“ und sorgt für hansea-tischen Zusammenhalt: 1963 als Innen-senator und vom 28. November 1967 an als Bürgermeister. Ab 1971 ist er noch auf einem anderen Gebiet als Brücken-bauer tätig: als senator für kirchliche Angelegenheiten. 18 Jahre lang amtiert er als Regierungschef, dann tritt er auf eigenen Wunsch am 17. september 1985 zurück, um sich hinfort anderen „Brü-ckenbauarbeiten“ zu widmen.

sein Credo ist bezeichnend: „Am en-de zählen nicht Worte, sondern taten. Man muss hier eine neue Brücke bauen und da ein paar trümmer wegräumen, das ist doch alles keine große Politik.“ n

Unter allen Einsendern verlosen wir eine vorwärts-Tasche. Bitte schicken Sie das Lösungswort mit dem Stichwort „Wer war’s“ bis 29. November 2012 per Post oder per E-Mail an: [email protected]

HistoriscHes Bilder-rätsel

Die Lösung des Bilder-Rätsels aus der vergangenen Ausgabe lautet: martHa fucHsDie vorwärts-Tasche hat gewonnen:

Eric Kornmüller,68782 Brühl

Die Lösung des jüngsten Preisrätsels lautete: Baer Gesucht wurden außerdem: Brandt und Berlin Jeweils ein Buch gewannen:

Edith Gilleßen-Schneider, 40595 Düsseldorf

Gudrun Nehring, 24943 Flensburg

Günter J. Hein, 97469 Gochsheim

Christian Kuly, 57319 Bad-Berleburg

Claudia Remus, 14712 Rathenow

Antonia Fleischmann, 10961 Berlin

Alfred Elger, 64521 Groß-Gerau

Rainer Diebler, 04617 Gerstenberg

Wilfried Dahlbeck, 44869 Bochum

Ursula Gensicke, 18609 Ostseebad Binz

wer war’s?Er gilt als Brückenbauer: In seiner Heimatstadt, deren Bürgermeister er 18 Jahre lang war, ebenso wie international Von Lothar Pollähne

Gewinner

Der gebürtige Hamburger... kam schon als Kind in seine heutige Heimat und studierte in einer bekannten Universitätsstadt, die am selben Fluss liegt wie seine Heimatstadt. Seit genau sechs Jahren ist er der oberste Bürger. Sein Vorname?

Aufgewachsen... ist er in einer Stadt, deren Wappen Ähnlichkeit mit dem Hamburger Stadtwappen aufweist und die die größte Stadt des flächenmäßig zweitgrößten Bundeslandes ist.

Es gibt zwEi wEgE, DAs PrEisrätsEl zu lösEn: Ratefüchse beantworten zuerst die beiden Fragen. Die jeweils dritten und vierten Buchstaben der beiden Lösungsworte ergeben in der richtigen Reihenfolge die Lösung. Es geht aber auch einfacher: Die grauen Felder im Kreuzwort rätsel ergeben in der richtigen reihenfolge das lösungswort. Gesucht werden zwei Personen mit demselben Nachnamen: ein Staatsgründer und ein zweifacher Oscar-Preisträger.

1 2 3 4

1 2 3 4 5 6 7 8

1 2 3 4 5 6 7

Foto

: Dpa

pIc

tu

rE-

aLL

Ian

cE/

Ma

rt

In a

tH

Enst

äD

Brückenbauer als eu-administrator: der Gesuchte 1996 auf der Brücke von mostar, die den bosnischen und den kroatischen teil der stadt verbindet

Page 34: vorwärts November 2012

34 Das allerletzte vorwärts 11/2012

bringt, deren ausscheidungen irgend-wie erdbeerig schmecken. Wobei hier der Vorteil ist, dass weder Baum noch Bakterie Chemie sind. Weshalb der Jo-ghurt auch als „reines Naturprodukt“ verkauft werden darf.

trauen dürfen wir dem kleinen Metzger in der stadt. Bei mir um die ecke ist so einer. Nach irgendeinem der vielen lebensmittelskandale präsentierte er die „Wurst des Monats“. Ich stellte mir die dazugehörige Jury vor, besetzt mit Vertretern der gesellschaftlich relevan-ten Gruppen, wollte schon den Quoten-platz der Vegetarier dort einnehmen, als er seinen „Pizza-leberkäse“ zum Monats-sieger kürte. Diese Kombination über-stieg meine Vorstellungskraft. Ich fragte an der theke nach. Der Metzger schnitt beherzt ein stück der siegerwurst ab, wollte es über die theke reichen, als ich ihn kurz stoppte mit dem Hinweis auf meine fleischlose ernährung. er lächel-te, schob mir den leberkäse fast in den Mund und erklärte: „Macht nix, da ist praktisch gar kein Fleisch drin.“ Ich lobe mir das ehrliche Handwerk. n

N eulich gab es in Fallingbostel einen Chemieunfall in einer le-bensmittelfabrik. Man nehme

nur einmal die Begriffe: lebensmittel, Chemie und Fabrik, guten appetit. In der Fernsehreklame hingegen wird jedes Produkt von sterneköchen liebevoll von Hand zusammengerührt. Wür-den all die Markenartikel wirklich so aufwändig hergestellt, kostete die tiefkühlpizza bald zwanzig euro, und Gangster würden aus den autos keine Navis mehr klau-en, sondern schokoriegel, die man im Handschuhfach vergessen hat.

Wir haben jetzt gelernt, dass erd-beeren oft gar nicht von glücklichen rumänischen Wanderarbeitern in der norddeutschen tiefebene gepflückt wer-den. Plötzlich gab es da diesen erdbeer-

schleim aus China, blöderweise mit Noroviren behaftet. Während die Hälf-te der ostdeutschen schüler noch mit Brechdurchfall im Bett lag, beeilte sich der lieferant der schulkantinen mit-zuteilen, die lebensmittel selbst, also

die erdbeeren an und für sich, seien einwandfrei. so wie die zuckerin-

dustrie darauf hinweist, nicht der zucker mache Kinder fett, dafür seien die Kalorien ver-

antwortlich. Klar, auch die atom-bombe selbst ist harmlos, es sind nur die blöden strahlen.

Die erfreuliche Nachricht aus Chi-na: Immerhin sind in unserem Joghurt richtige erdbeeren. Bislang war ich da-von ausgegangen, dass der Geschmack im Joghurt erzeugt wird, indem man Baumrinde mit Bakterien zusammen-

seitwärts Nahrungskette von David Füleki

Und das is alles in deinem Farmhouse

Burger drin!

Der Hunger treibt's rein …

17_nahrungskette.indd 1 19.10.12 08:50

»Die Zuckerin-dustrie weist darauf hin, nicht der Zucker mache die Kinder fett, dafür seien die Kalorien verantwort-lich.«Martin Kaysh

So eine tolle WurSt! und faSt ohne fleiSch!GuteS eSSen Kann man der Lebensmittelindustrie trauen? Wohl kaum. Der Werbung? Erst recht nicht. Aber dem kleinen Metzger um die Ecke? Sie werden sich wundern!

Von Martin Kaysh

ILLu

Str

At

Ion

: ch

rIS

tIn

A B

rEt

Sch

nEI

DEr

Martin Kaysh ist Kabarettist, Alternativkarnevalist („Geierabend“) und Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.

Page 35: vorwärts November 2012

Politik für die Zukunft unserer kommunen

Am 22. und 23. November 2012 findet der bundesweite Kommunalkongress der Demokratischen Gemeinde – kurz DEMO – in Berlin statt. Fachleute aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft werden wieder in Vorträgen, Diskussionen und querdenkenden Einwürfen den Dialog mit den kommunalen Entscheidungsträ-gerinnen und -trägern suchen.

In diesem Jahr stehen die Themen Kom-munalwirtschaft, Kultur, Sozialpolitik und Kommunalfinanzen im Vordergrund. Dabei wird es um Rekommunalisierung ebenso gehen wie um Teilhabe für jeden an der Kultur, die Soziale Stadt und – in Zeiten der Finanznot (un-)verzichtbar wie nie – den Bürgerhaushalt.

Gerade für kommunalpolitisch Verant-wortliche und Engagierte waren die DEMO-Kommunalkongresse der letzten Jahre immer ein ergiebiger Treffpunkt für Austausch und Networking. So wird es auch dieses Jahr sein – beim mittlerweile 7. DEMO-Kommunalkongress.

Wir laden Euch herzlich ein, mit unseren Expertinnen und Experten zu diskutieren. Bringt Euch ein in die Debatte und trefft viele andere gleichgesinnte Sozialdemo-kraten. Gemeinsam Kommunalpolitik bes-ser machen – unter diesem Motto wird auch der diesjährige DEMO-Kommunal-kongress stehen.

Für weitere Informationen zum Programm und unseren Referenten besucht uns un-ter www.demo-kommunalkongress.de

Wir würden uns freuen, Euch in Berlin begrüßen zu dürfen.

Barbara BehrendsChefredakteurin DEMO

Programmdonnerstag, 22.11.2012

10.30 Einlass und Akkreditierung11.30 Grußwort12.00 auftaktvortrag:

Kommunalpolitik heute13:00 Pause / Mittagessen

14:00-15:30 Parallele Workshops

• nachhaltigkeit und kommunalwirtschaft Rekommunalisierung

• kommunale kultur Kultur und Teilhabe• kommunale sozialpolitik Soziale Stadt• kommunalfinanzen Bürgerhaushalt

15:30-16:00 Kaffeepause

16:00-17:30 Café kommunal

• nachhaltigkeit und kommunalwirtschaft• kommunale kultur• kommunale sozialpolitik• kommunalfinanzen

17:30 Pause/Bustransfer ins Willy-Brandt-Haus

18:30 Ankunft und Empfang im Willy-Brandt-Haus

19:00 Preisverleihung und Abendveranstaltung im Willy-Brandt-Haus

Verleihung der Kommunalfüchse für herausragende kommunalpolitische Projektein den Kategorien:· kommunalpolitisches Projekt einer Kommune

meinungen

der demo-kommunal-kongress ist für mich…

„… eine der wenigen Veranstaltungen, auf der Erfahrungen nicht geschönt dargestellt werden. So können Kommunalpolitike-rInnen nicht nur von guten Beispielen, sondern auch aus Schwierigkeiten anderer Kommunen lernen. So kann verhindert werden, dass sich Fehler wiederholen.“Dr. Brigitte Fronzek, Bürgermeisterin der Stadt Elmshorn

„… ein fester Termin, weil er Kopf und Herz der sozialde-mokratischen Kommunal-politik anspricht. Ich freue mich jedes Jahr darauf.“Dr. Magnus Jung, Frakti-onsvorsitzender der SPD im Kreistag St. Wendel und kommunalpol. Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Saar

„… ein wichtiger Treffpunkt für die Kommunalpolitik, weil wichtige Themen nicht nur theoretisch, sondern direkt aus dem Leben gegrif-fen behandelt werden, und weil man dort viele Kontakte mit Kolleginnen und Kol-legen aus den Rathäusern knüpfen kann.“Christian Vogel, Vorsit-zender der SPD-Stadtrats-fraktion Nürnberg

„… hat einen festen Platz in meinem Kalender, weil ich mich hier kompakt und umfassend über aktuelle Entwicklungen in der Kom-munalpolitik informieren kann. Sehr gut finde ich, dass der Ablauf ausreichend Zeit lässt, um Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.“Tanja Sagasser, Stadträtin in Heilbronn und Geschäfts-führerin der SGK Baden-Württemberg

„Dafür steht der DEMO-Kommunalkongress: Du musst die Änderung sein, die Du in der Welt zu sehen wünschst.“Thorsten Krüger, Bürger-meister der Stadt Langen (Landkreis Cuxhaven)

Der DEMO-Kommunal-kongress wird erstmals CO2-neutral durchgeführt. Der Energiedienstleister und Ökostromanbieter ENTEGA gleicht die Gesamtemissionen der Veranstaltung über ein Waldschutzprojekt aus.

– ANZEIGE –

niCht VerPassen: 7. demo-kommunalkongress

»kommunalPolitik besser maChen«

· kommunalpolitische Strategie einer Fraktion· kommunalpolitisches Engagement von/für Frauen

· kommunalpolitisches Lebenswerk

Anschließend kommunaler Abend mit Buffet und Musik sowie Führungen durch das Willy-Brandt-Haus.

freitag, 23.11.2012

09:00 Einlass und Akkreditierung09:30 Grußwort10:00 auftaktvortrag:

Kommunalpolitik heute11:00 Kleiner Imbiss

12:00-13:30 Parallele Workshops

• nachhaltigkeit und kommunalwirtschaft Stadtwerke zu Zeiten der Energiewende

• kommunale kultur Kultur in der Finanzkrise

• kommunale sozialpolitik Demografischer Wandel – Gesundheitsversorgung in der Kommune

• kommunalfinanzen Alternative Finanzierungsmöglichkeiten – ÖPP, Fördermittel von Land, Bund und EU

13:30 Pause14:00 abschlussforum – agenda

2020: Kommunen der Zukunft

15:00 Ende

Vollständige Infos zu Programm und Referenten unter www. demo-kommunalkongress.de

anmeldung

· per Fax an: 030/25594-499 · per Post an: DEMO – Demokratische Gemeinde, -Kommunalkongress-, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin

· online unter www.demo-kommunalkongress.de

hiermit melde ich mich verbindlich als teilnehmer/in am 7. demo- kommunalkongress an. die teilnahme kostet inkl. 19% mehrwertsteuer:

69,00 euro für DEMO-Abonnenten und SGK-Mitglieder 149,00 euro für Kommunalpolitiker/innen und Verwaltungsmitglieder 299,00 euro für Vertreter/innen der Wirtschaft

Bitte zutreffendes ankreuzen. Sonderkonditionen für Fraktionen: 200,00 euro für bis zu 5 teilnehmer/innen

Vorname* Nachname*

Firma/Kommune/Organisation

Straße + Hausnummer*

PLZ/Ort*

E-Mail-Adresse*

Datum* Unterschrift*

*Pflichtfelder

Weitere Infos unter www.demo-kommunalkongress.de

olitik 22. + 23.

november 2012

station berlin

Luckenwalder Str. 4-6,

10963 Berlin

Page 36: vorwärts November 2012

Die Beleuchtung von Stadien, die Beheizung von Privathaushalten, die Versorgung der deutschen Industrie mit Energie: Erdgas ist der vielseitigste aller fossilen Brennstoffe und kann Deutschlands Energiebedarf auf zuverlässige und kostengünstige Weise decken. Erfahren Sie mehr unter goodideas.statoil.com. Es gab noch nie eine bessere Zeit für gute Ideen.

Deutsche Leidenschaft.Angetrieben durch Gas aus Norwegen.

Page 37: vorwärts November 2012

Foto

: get

ty

ima

ges

V e r l a g s - S o n d e r v e r ö f f e n t l i c h u n g 1 1 / 2 0 1 2

Wie viel ist zu viel?Zwischen Rauchverbot und Fettsteuer:

Wie viel Genuss ist erlaubt? Wo endet ein gesunder Lebensstil? Und wann soll der

Staat eingreifen? Ein Themenspezial

Page 38: vorwärts November 2012

LifestyLe 11-2012-Verlags-sonderVeröffentlichung 02

Glattgebügelte LebensstileVon der gelenkten Lebensführung zur gelenkten Demokratie? Wie viel

der Staat den Bürgern zutrauen sollte. Von Manfred Parteina

Kein Eis zu viel: Wie weit soll staatliche Fürsorge in den persönlichen Lebensstil eingreifen?

die effekte der globalisierung und andere einflüsse machen unsere lebensverhält-nisse immer komplexer. Bedarf es deshalb mehr denn je der fürsorglichen hand des staates, die korrigierend eingreift, das in-dividuum und die gemeinschaft vor schä-den bewahrt?

der staat schützt den Verbraucher im Bereich der kommerziellen Kommunikati-on, nicht nur durch das Verbot irreführen-der, belästigender oder jugendgefährden-der Werbebotschaften. ist es aber seine hoheitliche aufgabe, jedem tatsächlichen oder vermeintlichen fehlverhalten der Bürger per gesetz zu begegnen? gilt das auch für Konsequenzen höchstpersönli-cher entscheidungen, etwa wenn unver-nünftiges ernährungsverhalten zu Über-gewicht geführt hat?.

Mit seiner fürsorge greift der staat in individuelle lebensverhältnisse ein. genau deshalb warnen einige vor dem Kurssturz der freiheit. sie warnen vor der staatlichen regulierung und davor, wie ein Vati- und Mutti-staat die Bürgerschaft bevormun-det wie Kinder.

die dichte der Vorschriften nimmt zu, und man kann das als schleichende unterwan-derung der freiheitlich-liberalen ordnung werten. immer mehr regeln durchdrin-gen den alltag – bis hin zur europäischen Vorschrift der zugelassenen akustik des schließens von Müllcontainern, des stof-fes, aus dem dachziegel sind und der art des Beleuchtungsmittels für die heimische stehlampe.

Lebensstile steuern oder den Bürgern selbst vertrauen?

Wer die augen davor verschließt, erkennt nicht die gefahr, die in all dem zumindest lauert: die behördliche steuerung der le-bensführung. die kommerzielle Werbung wird dabei in die Pflicht genommen (etwa Warnaufdrucke, Verbote gesundheitsbe-zogener Werbung).

ob all die regulierung initiativen lähmt und innovationen abwürgt, kann wohl niemand vorhersagen. Brüssel hat ein Programm für „Better regulation“, also bessere regulierung, auflegt. das bedeu-tet nicht zwangsläufig eine abkehr von

der lenkung der lebensführung in europa. „Better regulation“ bannt die gefahr einer „gelenkten demokratie“ nicht. Vielmehr darf Brüssel den Bürgerinnen und Bürgern europas durchaus lebenskompetenz zu-trauen.

auch Werbung können die Wählerin-nen und Wähler des europäischen Parla-ments beurteilen. der damalige Bundes-kanzler gerhard schröder (sPd) schrieb 1999 in der Juli/august-ausgabe des „vor-wärts“: Kritik an der Werbung beruhe eher auf einem elitären Kulturverständnis als auf einer tatsächlich drohenden gefahr der Manipulation. der Marktwirtschaft und demokratie innewohnende Konkur-renzmechanismus sorge nicht zuletzt ge-rade mit hilfe von Werbung dafür, dass qualitativ schlechte alternativen als solche erkennbar würden. sein fazit: „der erfolg von 50 Jahren sozialer Marktwirtschaft und gelebter demokratie wäre ohne Wer-bung so nicht denkbar.“ glattgebügelte lebensstile, im gesellschaftspolitischen Windkanal zur unkenntlichkeit vereinheit-licht, waren das nicht.n

foto

s: g

ett

y iM

ag

es, Z

aW

Manfred Parteina ist Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW)

Page 39: vorwärts November 2012

03 xx-2012-Verlags-sonderVeröffentlichung LifestyLe03 11-2012-Verlags-sonderVeröffentlichung LifestyLe

Reden hilft: Jugendliche über Alkohol aufklären

Der Umgang mit Alkohol will gelernt sein. Verbote bringen wenig, bewährt haben sich Gespräche im Elternhaus und Initiativen wie

„Klartext reden“ vom Arbeitskreis Alkohol und Verantwortung.

ein glas Wein zum essen, die flasche Bier zum fußballgucken– alkohol ist aus unse-rer gesellschaft nicht wegzudenken. nicht wegzudenken ist damit auch das thema alkoholmissbrauch, das nicht zuletzt bei Jugendlichen und Kindern ein großes Pro-blem darstellt.

Zwar sind die Zahlen rückläufig: laut einer aktuellen studie der Bundeszentra-le für gesundheitliche aufklärung (BZga) ist der anteil der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren, die mindestens ein-mal im Monat volltrunken waren, inner-halb der letzten vier Jahre von 20,4 auf 15,2 Prozent gesunken. gleichzeitig be-deutet das, dass sich immer noch mehr als 700 000 Jugendliche einmal im Monat einen Vollrausch antrinken.

schnell wird hier nach schärferen gesetzlichen regelungen beim Jugend-schutz gerufen. Zuletzt wurden Pläne des Bundesfamilienministeriums bekannt, die vorsahen, die sperrstunde für Jugendliche auszuweiten. ohne Begleitung eines erzie-hungsberechtigten müssten Jugendliche unter 16 Jahren öffentliche Veranstaltun-gen mit alkoholausschank bereits um 20 uhr verlassen. Konzerte oder Vereinsfeste wären damit für teenager tabu.

Eltern spielen als Vorbilder eine wichtige Rolle

dabei sind die bestehenden gesetzli-chen regelungen schon heute eindeutig: grundsätzlich darf nur alkohol trinken, wer volljährig ist. ausnahmen gibt es für Jugendliche ab 16 Jahren bei Bier und Wein. „Wenn es darum geht, den alko-holmissbrauch von Jugendlichen weiter einzudämmen, bedarf es keiner weiteren oder gar verschärfenden neuen gesetz-lichen regelung“, sagt die jugend- und familienpolitische sprecherin der sPd-Bundestagsfraktion caren Marks. sie be-zeichnet die Verschärfung als realitätsfern und absurd. „unser Jugendschutzgesetz ist gut und maßvoll ausgestaltet.“

foto

s: M

üll

er/W

WW

.Kla

rt

ext-

red

en.d

e, s

ieg

ert/

WW

W.K

lar

tex

t-r

eden

.de

Wenn es darum geht, Ju-gendlichen einen verantwor-tungsbewussten Umgang mit Alkohol beizubrigen, spielen Eltern als Vorbilder und Gesprächspartner eine wichtige Rolle.

einen anderen ansatz verfolgen deshalb Präventions- und aufklärungskampag-nen. ihr Ziel ist es, Jugendlichen einen verantwortungsbewussten umgang mit alkohol beizubringen. dabei spielen nicht

zuletzt die eltern eine zentrale rolle. ge-nau deshalb setzt die initiative „Klartext reden“ bei der Prävention im elternhaus an. auf der Website www.klartext-reden.de, betrieben vom „arbeitskreis alkohol und Verantwortung“ des spirituosen-verbandes Bsi in Kooperation mit dem Bundeselternrat, finden eltern neben informationen auch ein online-training, das sie befähigen soll, mit ihren Kindern über das thema alkohol zu sprechen. da-neben bietet die initiative regelmäßige Praxis-Workshops, in denen eltern unter anleitung von Psychologen und suchtex-perten erfahrungen austauschen und rat einholen können.

die BZga-Kampagne „Kenn dein limit“ spricht vor allem junge erwachsene an und warnt sie über provokative Plakate, und Videos vor exzessivem trinken.

die rückläufigen Zahlen der letzten Jahre bestätigen diese Präventionsan-sätze. BZga-direktorin elisabeth Pott unterstreicht: „sie sind und bleiben un-verzichtbar, um langfristige Verhaltens-änderungen beim alkoholkonsum junger Menschen zu erreichen.“ n

Aufklärung ist der Schlüssel: Der Anteil an Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren, die einmal im Monat volltrunken waren, ist in den letzten vier Jahre von 20,4 auf 15,2 Prozent gesunken.

Page 40: vorwärts November 2012

LifestyLe 11-2012-Verlags-sonderVeröffentlichung 04

Anders essen mit Brüssel? Die Europäische Union bemüht sich um klare und einheitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln.

Der Verbraucher soll wissen, was in der Verpackung steckt. Doch wie weit geht staatliche Fürsorge und wo beginnt Bevormundung? Der Vorsitzende des Ausschusses für Lebensmittelsicherheit im

EU-Parlament Matthias Groote diskutiert mit Dr. Werner Wolf, Präsident des Spitzenverbandes der deutschen Lebensmittelwirtschaft.

Dr. Werner Wolf ist Präsident des Spitzenverbandes der deutschen Lebensmittel-wirtschaft, dem BLL (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V.)

Mit der Lebensmittelampel sollen Ver-braucher den Fett-, Salz- und Zuckerge-halt eines Lebensmittels auf den ersten Blick erkennen. Die Ampelfarben rot, gelb und grün signalisieren einen hohen, mittleren oder niedrigen Gehalt dieser Bestandteile. Viele Verbraucherverbände und Krankenkassen fordern die Ampel, in Großbritannien gibt es sie bereits. Trotzdem hat das Europäische Parlament die EU-weite Einführung 2010 abgelehnt. Lässt die EU den Verbraucher im Stich?

Matthias Groote: nein, im gegenteil. die ampel, wie sie geplant war, führt in die irre. es muss gewährleistet sein, dass tra-ditionell gefertigte Produkte wie beispiels-weise deutsches Bio-Brot, aus nachhaltig angebautem schrot und Korn, ausnahme-regelungen bekommen, damit diese nicht vor einer roten ampel stünden.

Werner Wolf: die eu hat die aus ernäh-rungswissenschaftlicher sicht einzig rich-tige entscheidung getroffen. eine farbliche Bewertung einzelner lebensmittel mag zwar im ersten Moment für den Verbrau-cher einfach klingen, wird den komplexen ernährungswissenschaftlichen erkennt-nissen aber nicht gerecht. die Qualität und ausgewogenheit der ernährung wird nicht durch ein einzelnes lebensmittel bestimmt, sondern nur durch die summe dessen, was insgesamt gegessen wird. Wenn ein Verbraucher dem irrglauben er-liegt, er dürfe nur noch Produkte mit grü-nem oder gelbem Punkt essen, wird dies zu einer einseitigen ernährung führen.

Eine EU-Verordnung schränkt gesundheitsbezogene Aussagen auf Lebensmittel-Verpackungen stark ein. Slogans wie „Stärkt die Abwehrkräfte“ sind nur noch zulässig, wenn die Euro-päische Behörde für Lebensmittelsicher-heit (EFSA) die Wirkung bestätigt hat. Ein Beitrag zu mehr Transparenz und Verbrauchersicherheit?

Werner Wolf: grundsätzlich begrüßen wir einheitliche eu-richtlinien. aber die eu-Verordnung zu den nährwert- und gesund-heitsbezogenen angaben, die sogenannte artikel-13-liste, hat mit transparenz und Verbrauchersicherheit gar nichts zu tun. Bewertet wird hier nicht die sicherheit von lebensmitteln, die immer gegeben sein muss, sondern die frage, welche gesund-heitsbezogenen angaben als wissenschaft-lich anerkannt gelten und deshalb zugelas-sen werden können und welche nicht.

Matthias Groote: die Verordnung ist ein wirkungsvoller Beitrag gegen irreführen-de Werbung und somit im ureigenen in-teresse der Verbraucher. Werbung muss wahr und klar sein. ist dies nicht der fall, gehört sie nicht auf die Verpackung. frei-willig wird es nicht klappen. deshalb ist es

gut, dass die efsa erst prüft. so hat sie von mehreren tausend vorgeschlagenen aus-sagen nur wenige hundert akzeptiert, um die Verbraucher zu schützen.

Werner Wolf: hier möchte ich kurz klar-stellen: gesundheitsbezogene Werbeaus-sagen durften bereits vor der neuen eu-Verordnung nur dann verwendet werden,

wenn sie wissenschaftlich abgesichert und belegbar, also zutreffend, waren. ge-ändert hat sich deshalb vor allem, dass es nun der europäische gesetzgeber ist, der entscheidet. Wenn nun aussagen zur ge-sundheit verboten werden, die bislang als allgemein anerkannt galten, so kann das unterschiedliche gründe haben. in vielen fällen lagen der efsa schlicht nicht aus-

Page 41: vorwärts November 2012

05 11-2012-Verlags-sonderVeröffentlichung LifestyLe

Anders essen mit Brüssel? Die Europäische Union bemüht sich um klare und einheitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln.

Der Verbraucher soll wissen, was in der Verpackung steckt. Doch wie weit geht staatliche Fürsorge und wo beginnt Bevormundung? Der Vorsitzende des Ausschusses für Lebensmittelsicherheit im

EU-Parlament Matthias Groote diskutiert mit Dr. Werner Wolf, Präsident des Spitzenverbandes der deutschen Lebensmittelwirtschaft.

Aufmacher Symbolfoto - wird noch ausgetauscht

Matthias Groote ist Mitglied der Sozialdemokratischen Fraktion im EU Parlament und Vorsitzender des Aus-schusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

reichend wissenschaftliche daten für die entscheidung vor.

Dänemark hat eine Steuer auf gesättigte Fette in Nahrungsmitteln eingeführt. Pizza, Butter & Co. werden teurer. Auch andere Industriestaaten diskutieren darüber. Kriegt man so das Problem Übergewicht in den Griff?

Matthias Groote: einfache antwort: nein. Zu großes Übergewicht ist von Übel – für die Person und letztlich für die gesell-schaft. not tut eine intensive aufklärung über die gesundheitlichen folgen von Übergewicht. sie muss vermitteln, wie die Menschen sich einigermaßen gesund er-nähren. Mit höheren steuern kommen wir nicht weiter. das schlechte Beispiel dafür

foto

s: B

itB

ur

ger

Br

au

gr

uPP

e g

MB

h; g

ett

y iM

ag

es, e

ur

oPä

isc

hes

Pa

rla

Men

t

sind Zigaretten. der Konsum sinkt nicht, dafür wächst der schwarzmarkt.

Werner Wolf: sondersteuern auf lebens-mittel sind eine rein fiskalische Maßnah-me und als staatliche Bevormundung anzusehen. ihre sozialen folgen sind pro-blematisch. solche steuern treffen vor al-lem Bevölkerungsschichten mit geringem einkommen unverhältnismäßig stark. im Übrigen diskutiert die dänische regie-rung die abschaffung dieser steuern. das Ziel, durch die einführung einer steuer auf gesättigte fette den Verzehr von fetthal-tigen lebensmitteln zu senken, konnte nämlich – und das ist nicht verwunder-lich – bisher nicht erreicht werden. Bei der entstehung von Übergewicht spielen viele faktoren eine rolle. dazu gehören neben dem ernährungsverhalten insbesonde-re die geringe körperliche aktivität, aber auch die genetische Veranlagung und so-zioökonomische faktoren. hier sind ganz-heitliche ansätze gefragt, z. B. bessere aufklärung, Bildung und die optimierung von Bewegungsangeboten.

Lebensmittelampel und Fettsteuer richten sich an Erwachsene. Wie bringt man Kindern gesundes Essverhalten bei?

Matthias Groote: auch hier gilt: Kein diktat vom staat. eltern müssen Vorbild sein. Kindergarten und schule müssen das elternhaus unterstützen oder ver-suchen, schlechte Vorbilder zu korrigie-ren. schulmensen müssen gesunde und ausgewogene Kost servieren, was leider nicht immer der fall ist. das mag einen euro mehr kosten, aber den müssen wir in Kauf nehmen. Wer als Kind gesunde Kost schätzen gelernt hat, wird als er-wachsener nicht darauf verzichten wol-len. auch hier gilt: Was hänschen nicht lernt, lernt hans nimmer mehr. oder nur sehr schwer.

Werner Wolf: Wir als lebensmittelwirt-schaft setzten uns in zahlreichen initiati-ven für eine entsprechende Verbraucher-aufklärung ein und unterstützen z. B. im rahmen der Plattform ernährung und Be-wegung e. V. einen gesundheitsfördernden lebensstil bei Kindern und Jugendlichen. Wir müssen auf einen ganzheitlichen ansatz achten und die Bedeutung von Bewegung und aktivität vermitteln. Wir erwachsenen müssen uns unserer Vor-bildfunktion bewusst sein. also, gemein-sam einkaufen gehen, kochen und aktiv sein. außerdem ist es wichtig, dass man die Begriffe „gesund“ und „ungesund“ im Zusammenhang mit der lebensmittelaus-wahl meidet. es geht um eine ausgewoge-ne ernährung, die wir unseren Kindern mit auf den Weg geben müssen. da lautet die wichtigste Botschaft: Vielseitig essen: es ist alles erlaubt, aber in Maßen! n

Page 42: vorwärts November 2012

LifestyLe 11-2012-Verlags-sonderVeröffentlichung 06

foto

s: B

at

deu

tsc

hla

nd

, Ba

t a

ust

ra

lien

Ad Schenk, Deutschland-Chef von British American Tobacco, warnt vor großem wirtschaftlichem Schaden durch Einheitsverpackungen von Tabakprodukten.

„Sinnvoll regulieren, statt bevormunden“

Der Chef von British American Tobacco Deutschland Ad Schenk über die geplante Tabakregulierung der Europäischen Union.

Rauchverbote in Kneipen, Einschränkung der Werbung: Wie sehr stört es Sie, das Schmuddelkind der Branche zu sein?

Wir sind eine legale industrie, die legale Produkte für erwachsene Konsumenten herstellt. Mit dem Konsum von tabak sind erhebliche gesundheitliche risiken verbun-den – daher ist eine sinnvolle regulierung unserer Produkte durchaus angemessen. Was mich stört ist die tendenz, raucher zu stigmatisieren und auszugrenzen. Zudem werden derzeit regulierungen diskutiert, die darauf abzielen, den informierten Ver-braucher zu bevormunden.

Sie sprechen die von der EU geplanten Einschränkungen bei der Herstellung und Vermarktung an. Etwa Warnhinweise, die 75 Prozent der Zigarettenpackung einnehmen oder das Verbot von

Zusatzstoffen wie Menthol. Wie wird die Tabakbranche reagieren?

Wir sind für eine sinnvolle regulierung. Was die eu jedoch derzeit plant, geht über jegliches vernünftige Maß hinaus. Zigaret-ten und Packungen sollen standardisiert, ganze Produktsegmente verboten und der industrie jedwede form von innovation untersagt werden. das wäre ein massiver eingriff in die unternehmerische freiheit und eine gängelung und Bevormundung des Verbrauchers in bislang ungekann-tem ausmaß. aus meiner sicht verstoßen diese Pläne zudem ganz elementar gegen Markenrechte. Warnhinweise, die zwei drittel der Verpackung bedecken, dienen nicht der information von Konsumenten. sie sind eine mutwillige Zerstörung des Packungsdesigns. da kommt die neutrale einheitsverpackung durch die hintertür.

auch die standardisierung von tabakpro-dukten wird nicht zu weniger rauchern führen. all diese Maßnahmen bedrohen den Wettbewerb, richten großen wirt-schaftlichen schaden an und erleichtern schmuggel und Produktfälschungen.

Trotz Rauchverbot in Gaststätten bewegt sich der Tabakkonsum in Deutschland auf stabilem Niveau. Warum sträuben Sie sich so gegen das Rauchverbot?

Wir sträuben uns nicht grundsätzlich gegen rauchverbote, ganz im gegenteil. Wir bekennen uns klar zum nichtraucher-schutz und sind deshalb auch für rauch-verbote, etwa in öffentlichen gebäuden. in der gastronomie jedoch, also da, wo man sich freiwillig aufhält, sollte rauchern die Möglichkeit gegeben werden, ihr glas Wein mit einer Zigarette zu genießen. Wir treten dafür ein, dass in eckkneipen und separaten raucherräumen geraucht wer-den kann. in den meisten Bundesländern funktioniert das wunderbar. gerade hat hamburg eine entsprechende regelung erlassen. Zudem sollte jedem Wirt die Wahlfreiheit überlassen bleiben, selbst zu entscheiden, ob er seine Kneipe als raucher- oder nichtrauchergastronomie führen möchte. n

AbsAtz versteuerter zigAretten 2002 bis 2011

in Millionen Stück

145 152,7

132 603,2

111 761,2

95 826,7

93 465,5

91 497,3

87 978,9

86 606,8

83 564,5

87 555,8

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

Quelle: statistisches BundesaMt

Die Gesundheit im Fokus, die Industrie im Nacken

Die EU-Kommission will sie, die Tabakindustrie fürchtet sie: die Einheitszigarette. Wie viel Gleichheit verträgt der Wettbewerb?

in australien sind sie beschlossen, europa will nachziehen: standardisierte Zigaret-tenverpackungen. ab dezember gibt es in australien neutrale einheitspackungen, bedruckt mit großen Bildern von Krebsge-schwüren und raucherlungen. der Mar-kenname darf nur klein und ohne logo auf der Packung stehen.

auch die eu-Kommission berät eine re-vision ihrer tabak-Produktrichtlinie. sie will das rauchen in europa weiter eindämmen. die neuen regulierungen sehen standar-disierte Verpackungen und Zugangsbe-schränkungen für Zigarettenautomaten vor. neue Vorschriften für Kautabak und Kräuterzigaretten werden ebenso disku-tiert wie die einschränkung der Präsenta-tion im laden.

das hauptaugenmerk liegt auf den neuen Verpackungsvorschriften. sie sollen dafür sorgen, dass Zigaretten weniger at-traktiv für junge Menschen sind. „Zigaret-ten sollten abschreckend aussehen, nicht ansprechend“, forderte der ehemalige eu-gesundheitskommissar John dalli, der die

neuen Pläne ausgearbeitet hat. ein Blick auf eine Zigarettenpackung müsse klar machen, dass das Produkt die gesundheit schädigen könnte.

diskutiert werden einheitlichere Pa-ckungsgrößen und -formen. die bisheri-gen Warnhinweise will die eu-Kommission deutlich vergrößern. Vereinheitlicht würde auch der inhalt des Päckchens: Mindestens 20 Zigaretten pro Packung, einheitlicher durchmesser und keine Zusatzstoffe wie Menthol. neben aufmachung und inhalt überlegt die eu-Kommission die Präsenta-tion einzuschränken: in läden dürfte jeder hersteller nur eine Marke präsentieren. die weitreichende tabakregulierung hat nicht nur eine gesundheitspolitische di-mension. sie reicht in die Bereiche indust-rie- und ordnungspolitik. Wie weit dürfen unternehmen eingeschränkt werden? die tabakindustrie verweist darauf, dass sie ein legales Produkt anbietet und es mit hilfe von Werbung und Markenimage verkaufen möchte. das könnte künftig schwer werden. n

Größerer Warnhinweis, abschreckendes Foto: Ab Dezember dürfen Zigaretten in Australien nur noch in Einheitspackungen wie dieser verkauft werden.

Page 43: vorwärts November 2012

07 11-2012-Verlags-sonderVeröffentlichung LifestyLefo

tos:

Pr

iVa

t

Sabine Bätzing-Lichtenthäler ist SPD-Bundestagsabge-ordnete und die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung.

Helge Klassen ist Nichtrau-cher und betreibt seit 44 Jah-ren die Kneipe „Zartbitter“ in der Bonner Südstadt.

Waren sie in den letzten drei Jahren mal im restaurant und hat sich neben ihnen jemand, vielleicht ein tourist, eine Ziga-rette angezündet? ich wette mit ihnen, das ist ihnen aufgefallen. Warum? früher war es doch üblich, dass in restaurants ge-raucht wurde. schließlich galt es als nor-mal. aber heute merken sie es sofort, weil in restaurants nicht geraucht wird.

Kennen sie jemanden, der sich darüber beschwert, der fordert, wieder zum alten Zustand zurückzukehren? Wie geht es ih-nen? selbst Menschen, denen der nicht-raucherschutz völlig egal war, genießen es, ohne Qualm zu essen und stören sich am rauch in restaurants. und der „day af-ter“ ist besser als früher: Keine verqualm-

nichtraucherschutz ist wichtig. Vor allem da, wo man dem rauch nicht entgehen kann: in Behörden, auf Bahnhöfen, spiel-plätzen oder in schulen. aber warum an orten, wo es jedem freisteht, über seinen aufenthalt zu entscheiden?

solange wir nicht über ein rauchver-botsgesetz sprechen, verstehe ich nicht, dass in meiner einraumkneipe in der Bon-ner südstadt künftig nicht mehr geraucht werden darf. Wer wird hier geschützt: die raucher vor sich selbst oder die nichtrau-cher? Vor ihrer freien entscheidung? die haben sie. es gibt heute viele gastrono-miebetriebe mit rauchfreien angeboten. der deutsche hotel- und gaststättenver-band (dehoga) spricht von 80 Prozent.

ten Klamotten, kein haarewaschen in der nacht, weil man mit dem gestank nicht schlafen kann.

die Ängste, dass durch die rauchfreien restaurants die gastronomie einen um-satzeinbruch erfährt, haben sich nicht be-wahrheitet. im gegenteil: selbst die gas-tronomen geben zu, dass der rauchfreie speiseraum angenehmer ist.

Wenn wir die rauchfreiheit in cafes, restaurants, in Bahnen, in öffentlichen gebäuden mittlerweile für so selbstver-ständlich halten und so sehr genießen, warum sollte das denn dann nicht auch in Bars und diskotheken so sein? umso mehr weil die studien des deutschen Krebsfor-schungszentrums eindeutig belegen, um

eine ganz andere frage ist die der wirt-schaftlichen auswirkungen. Meine gäste kommen zum Klönen, zum trinken und zum rauchen. ich fürchte, dass viele bei einem rauchverbot zu hause bleiben wür-den. gleiches gilt für geschlossene ge-sellschaften: davon habe ich 15 bis 18 im Jahr und sie tragen erheblich zur Kosten-deckung bei. diese leute feiern künftig zu hause, in garagen, in Vereinshäusern. die schwarzgastronomie würde blühen und ich nach 44 Jahren (!) von außen die tür zumachen. da stehen dann auch drei Mit-arbeiter plus anhang. neue Kundschaft für die arge.

gastronomie kennt keinen morali-schen Zeigefinger. Wir wollen gäste nicht

wie viel gefährlicher das Passivrauchen ist, wenn man sich dazu auch noch heftig be-wegt, wie das in clubs und diskotheken ja nicht unüblich ist. Wer tiefer einatmet, in-haliert auch mehr rauch und mehr krebs-erregende substanzen.

ich bin überzeugt, und das bestätigen uns die erfahrungen aus anderen eu-ländern, dass nach weiteren drei Jahren, in denen Bars und diskotheken rauchfrei gewesen sind, keiner mehr diskutiert über pro und contra, sondern sich alle darüber freuen, bei sauberer luft zu tanzen, ihren cocktail in einer Bar zu trinken und dem gegenüber dabei ohne rauchschwaden tief in die augen schauen zu können. Wet-ten dass! n

zu besseren Menschen machen. deshalb gibt es so vielfältige angebote.

Man mag beklagen, dass zu viele Menschen rauchen. aber 30 Prozent der erwachsenen, die viel ausgehen und le-gal rauchen, vor die tür setzen? Von den auseinandersetzungen mit in ihrer ruhe gestörten anwohnern ganz zu schweigen. ich bin gespannt, was die „tugendwäch-ter“ als nächstes planen: einschränkungen beim alkohol, bei ungesundem essen, bei zu lauter Musik, bei Kartenspielen?

Besonders ärgert mich: der nichtrau-cherschutz ist in deutschland weit ge-kommen. aber viele Politiker tun jetzt so, als ob alles nichts wert ist, solange in den Kneipen noch geraucht werden darf. n

»Selbst Menschen, denen der Nichtraucherschutz völlig egal war, genießen es, ohne Qualm zu essen.«

»Gastronomie kennt keinen moralischen Zeigefinger. Wir wollen Gäste nicht zu besseren Menschen machen.«

Rauchverbot in Bars? Gehört das Rauchen in Kneipen und Diskotheken bald ganz der

Vergangenheit an? Wo die einen den Untergang der Kneipenkultur sehen, freuen sich andere auf rauchfreie Zustände. Ein Pro und Contra zum heftig diskutierten Rauchverbot in Bars und Clubs.

Pro

Contra

Page 44: vorwärts November 2012

LifestyLe 11-2012-Verlags-sonderVeröffentlichung 08

Jeder nur ein Stück Pizza? Selbstbegrenzung kann vernünftig sein, anderen vorzuschreiben was und wie viel gut für sie ist, ist anmaßend

ist es unvernünftig, am tag zwanzig tas-sen Kaffee zu trinken oder fünfzig Zigaret-ten zu rauchen? die antwort fällt schon deshalb schwer, weil die frage selbst „un-vernünftig“ ist. Wir deutschen haben uns mit Kant angewöhnt, der Vernunft zu un-terstellen, sie könne erkennen, was wir tun sollen. doch diese unterstellung geht zu weit. die Vernunft sagt uns zwar, welchen Weg wir einschlagen sollen, um unser Ziel zu erreichen. Zum Ziel selbst aber sagt sie nichts, und formen kann sie es schon gar nicht. sie ist nur die sklavin unserer lei-denschaften, wie Kants englischer Kollege david hume erkannte.

Frei von der VernunftWer die gesundheit dem genuss vorzieht, dem wird die Vernunft von Koffein und nikotin abraten. Zuraten wird sie dem, der seine Vorlieben anders reiht. insofern ist der Mensch frei – auch frei von der Vernunft –, seinen genetisch wie kulturell geprägten leidenschaften nachzugehen. Verhielte es sich anders, gäbe es keinen vernünftigen Widerstand gegen regulierungen. Wir sä-hen deren vermeintlichen sinn ein. Wider-stand wäre bestenfalls kindlicher trotz.

obwohl es freiheit zur unvernunft so gesehen nicht gibt, kann man fragen, ob und, falls ja, wann unfreiheit vernünftig sei? Wenn z. B. die Bürger einer gesell-schaft allen gleiche rechte gewähren wol-len, dann ist es für sie vernünftig, das heißt zweckdienlich, eines jeden freiheit dort zu beschneiden, wo sie die freiheit der ande-ren abschnürt. staatliche Bevormundung, die darüber hinausgeht, muss den Bürgern jedoch unvernünftig, weil nicht zweckdien-lich, erscheinen. Kurz gesagt, selbstbegren-zung kann vernünftig sein, fremdbegren-zung aber ist anmaßend – so als wüsste man (besser), was für den anderen gut ist. so mancher glaubt, die demokratie würde dem besagten ideal zur nötigen Vernunft verhelfen, gäbe es da nicht regulierungs-

foto

s: g

ett

y iM

ag

es, P

riV

at

Prof. Hardy Bouillon ist Professor of Philosophy & Economics an der SMC University, Vienna Außerdem ist er außerplan-mäßiger Professor im Fach Philosophie an der Universität Trier

wütige und unfähige Bürokraten, die dage-gen hielten. gewiss, Übereifer und inkom-petenz gibt es, unter Bürokraten genauso wie unter Vertretern anderer Berufe. aber sie bilden nicht den Kern des Problems. dass die demokratie fremdbegrenzt, ist ein Webfehler unserer staatsform.

Sich selbst Grenzen setzen die regulierung in demokratien ist von der Wissenschaft gut untersucht. die so-genannte Public choice school erklärt das handeln der Politiker und Bürokraten mit den anreizen, denen sie in der demokratie ausgesetzt sind. es geht darum, im spiel

Impressum

Verlagsbeilage Lifestyle

Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbh, Postfach 610322, 10925 Berlin, tel. 030/25594-320, fax -390, e-Mail: [email protected]

geschäftsführung: guido schmitz redaktion: network Medialayout: Jana schulzeherstellung:metagate Berlindruck: frankenpost Verlag gmbh, hof

Verleitet Freiheit zur Unvernunft?

Der Mensch ist frei, seinen Leidenschaften nachzugehen – das muss er auch bleiben.

Von Prof. Hardy Bouillon

der wechselnden Koalitionen die konträ-ren Wünsche konkurrierender interessen-gruppen geschickt zu bündeln.

das gelingt nur durch unfeinen Kuh-handel. und der hat einen feinen namen: log rolling. Mal wird die eine interessen-gruppe bedient, mal die andere. am ende wimmelt es vor regulierungen. es ist fast wie eine facebook-einladung zur Party im elterlichen Wohnzimmer. am ende hat man mehr freunde, als der Vorgarten (und die Polizei) fassen kann. hier wie da ist die rückbesinnung auf die selbstbegrenzung sinnvoller als der ruf nach der ordnenden hand des staates. n

Vor dem hintergrund verschiedener er-nährungsassoziierter erkrankungen sowie der Übergewichtsproblematik, wird die lebensmittelwirtschaft immer wieder mit der forderung nach einer reduzierung bestimmter nährstoffe in lebensmitteln konfrontiert. auch auf politischer ebene werden Maßnahmen zur Verringerung des salz-, Zucker-, fett- und/oder energie-gehalts in lebensmitteln diskutiert. dabei ist festzuhalten, dass dort, wo es techno-logisch sinnvoll und möglich ist und die Verbraucherakzeptanz gegeben ist, die le-bensmittelwirtschaft bereits erfolgreich

reduktionsmaßnahmen umsetzt, z. B. bei dem gehalt an trans-fettsäuren aus teil-gehärteten fetten oder beim salzgehalt in verarbeiteten lebensmitteln.

den reduktionsmaßnahmen sind aber technologische und sensorische grenzen gesetzt. so erfüllt salz eine wichtige kon-servierende funktion und übt so unmit-telbaren einfluss auf die haltbarkeit der Produkte aus. fett ist ein geschmacks-träger und träger von fettlöslichen Vita-minen und aromastoffen. es beeinflusst das schmelzverhalten und dient der struk-turgebung. darüber hinaus trägt es zur

sättigung bei. ein fettersatz ist daher nur in grenzen möglich. generell müssen ge-schmack, aussehen, Mundgefühl, etc. in vergleichbarer Qualität zu den ursprungs-produkten erhalten bleiben, um eine Ver-braucherakzeptanz zu gewährleisten.

Zudem müssen reduzierte nährstoffe durch andere stoffe substituiert werden. die nachfrage bestimmt das angebot – deshalb muss die Wahl der rezeptur in der Verantwortung der unternehmen bleiben. staatliche Vorgaben würden im hinblick auf die Kostenintensität für die neuent-wicklung gerade kleine und mittelständi-sche unternehmen stark belasten. n

Prof. Matthias Horst ist Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebens-mittelkunde

Staatsdiät oder Rezepturvielfalt?

Kommentar von Prof. Matthias Horst