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I Theorie des Lernfilms Was ist ein Lernfilm? In welchem Verhältnis stehen Lehrpersönlichkeit und Autorschaft? Warum müssen Lernfilme interessant, unterhaltsam und überzeugend sein? Wie lässt sich das Bildungspotenzial von Lernfilmen für den Lernerfolg aktivieren? Welche Bedeutung hat die Zielgruppe für die erfolgreiche Konzeption von Lernfilmen? Wodurch unterscheiden sich wissenschaftliche und künstlerische Lernfilme? Wie lässt sich das Potenzial des Lernfilms für die Wissenskommunikation nutzen? Welchen Beitrag leistet die Lernfilmrezeption für die allgemeine und fach- liche Bildung? Welchen Beitrag leistet die Lernfilmproduktion für die Fach- und Medien- kompetenz? II Rhetorische Gestaltung von Lernfilmen Was ist Filmrhetorik und worin liegt ihr Nutzen für den Lernfilm? Drei Methoden der Lernfilmrhetorik Fünf Entwurfsphasen der Lernfilmrhetorik Die Ästhetik des Lernfilms – Rhetorische Stilfiguren Auswahl wichtiger rhetorischer Gestaltungsmittel III Fazit Zehn didaktische Kriterien für die Definition von Lernfilmen Zehn didaktische Kriterien für die erfolgreiche Gestaltung von Lernfilmen Zehn didaktische Kriterien für die Analyse, Beurteilung und Bewertung von Lernfilmen Didaktik des Lernfilms – Lehren und Lernen durch audiovisuelle Medien AXEL BUETHER

Didaktik des Lernfilms– Lehren und Lernen durch ... · dung. Als Kunst und Wissenschaft des Lehrens und Lernens nimmt die Didaktik das gesamte Bildungspotenzial des Mediums Film

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I Theorie des LernfilmsWas ist ein Lernfilm?In welchem Verhältnis stehen Lehrpersönlichkeit und Autorschaft?Warum müssen Lernfilme interessant, unterhaltsam und überzeugend sein?Wie lässt sich das Bildungspotenzial von Lernfilmen für den Lernerfolgaktivieren?Welche Bedeutung hat die Zielgruppe für die erfolgreiche Konzeption vonLernfilmen?Wodurch unterscheiden sich wissenschaftliche und künstlerische Lernfilme?Wie lässt sich das Potenzial des Lernfilms für die Wissenskommunikationnutzen?Welchen Beitrag leistet die Lernfilmrezeption für die allgemeine und fach-liche Bildung?Welchen Beitrag leistet die Lernfilmproduktion für die Fach- und Medien-kompetenz?

II Rhetorische Gestaltung von LernfilmenWas ist Filmrhetorik und worin liegt ihr Nutzen für den Lernfilm?Drei Methoden der LernfilmrhetorikFünf Entwurfsphasen der LernfilmrhetorikDie Ästhetik des Lernfilms – Rhetorische StilfigurenAuswahl wichtiger rhetorischer Gestaltungsmittel

III Fazit Zehn didaktische Kriterien für die Definition von LernfilmenZehn didaktische Kriterien für die erfolgreiche Gestaltung von LernfilmenZehn didaktische Kriterien für die Analyse, Beurteilung und Bewertung vonLernfilmen

Didaktik des Lernfilms – Lehren und Lernen durchaudiovisuelle Medien

AXEL BUETHER

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1 Vgl. KNUT HICKETHIER: Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart 2012.2 Vgl. Eine Vielzahl von Lernenden aus aller Welt nutzen heute die Online-Angebote führen-

der Bildungseinrichtungen wie der Harvard University, die unabhängig von Zeit, Raumund Geld aufgerufen werden können. http://online-learning.harvard.edu/courses[22.01.2018].

Axel Buether

I Theorie des Lernfilms

Was ist ein Lernfilm?Der Begriff des Lernfilms ist bisher in den Wissenschaften noch nichtklar umrissen, weshalb ich diese Definition aus Perspektive der Didaktikvornehmen möchte. Filme sind audiovisuelle Medien für die Kommunika-tion von Mensch und Umwelt.1 Grundsätzlich können Menschen von jedemFilm etwas lernen, unabhängig von Genre, Format und Gattung, wenn diefolgenden drei Kriterien erfüllt sind:

a) Der Film erregt die Aufmerksamkeit der Rezipierenden.b) Der Film initiiert die Wahrnehmung einer Botschaft.c) Der Film bewirkt einen Lernprozess.

Lernen ist ein relationaler Vorgang. Ein Lernprozess ist erfolgt, wenn derFilm Emotionen und Vorstellungen beim Rezipierenden auslöst, die eineAnpassung von Gedächtnisinhalten (Wissensvermittlung) und / oder Ver-haltensänderungen (Erfahrungserwerb) bewirken. Hieraus wird deutlich,dass der Erfolg von Lernfilmen nicht auf dem Werk gründet, sondern aufden Wirkungen, die beim Rezipierenden ausgelöst werden. Durch dasFormat des Lernfilms lässt sich das Bildungspotenzial audiovisueller Medienwirksam und methodisch aktivieren. Die Konzeption, Produktion undRezeption von Lernfilmen dient der Förderung von Lehr- und Lernprozes-sen. Lernfilme ermöglichen Lernenden das zielgerichtete und methodenge-leitete Erreichen von definierten Lernzielen. Lehrende können Lernfilmezur Ergänzung ihrer Präsenzlehre einsetzen oder hierdurch gezielt undsystematisch über diese Hinauswirken.2 Hier zeigen sich viele Parallelen zuden Einsatzfeldern von Texten und Büchern, die das didaktische Potenzialihrer Autorinnen und Autoren sowohl beschränken als auch erweitern.

Lernfilme dienen der Förderung von Bildungsprozessen wie Wissensver-mittlung, Erfahrungserwerb, Verstehensprozesse und Persönlichkeitsbil-

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dung. Als Kunst und Wissenschaft des Lehrens und Lernens nimmt dieDidaktik das gesamte Bildungspotenzial des Mediums Film in den Blick undgeht damit über bekannte Formate wie den Dokumentarfilm oder dasErklärvideo hinaus. Die Didaktik des Lernfilms setzt sich sowohl mitdem ”Lehren und Lernen durch Filmrezeption“, als auch mit dem ”Lehrenund Lernen durch Filmproduktion“ auseinander. Lernen beinhaltet nicht-assoziative Vorgänge wie Habituation und Sensitivierung, assoziativeVorgänge wie Konditionierung sowie komplexere kognitive Formen wieImitation und Einsicht. Alle Lernformen können im Lernfilm zur Anwen-dung kommen, wie:

Habituation: Lernen durch Gewöhnung der Rezipierenden an die ge-•zeigten Lernformen, Inhalte und Methoden Sensitivierung: Lernen durch Steigerung der allgemeinen Wahrneh-•mungs- und Empathiefähigkeiten von RezipierendenKonditionierung: Lernen durch Erfolg und Belohnung der Rezipieren-•den (Unterhaltung durch eine spannende Geschichte, Partizipation aneiner interessanten Problemlösung, Erhalt einer Antwort auf einegestellte Frage)Imitation: Lernen durch Nachahmung, Nachbildung, Wiederholung,•Verhaltensanpassung der RezipierendenEinsicht: Lernen durch Bedeutungsvermittlung, Erfassung von Sinn-•zusammenhängen, Erfahrungs- Vorstellungs- und Anschauungsbildung,eigenständige Erkenntnis sowie sinnlich-emotionales Begreifen

In welchem Verhältnis stehen Lehrpersönlichkeit und Autorschaft?Die Persönlichkeit der Lehrperson ist nach dem aktuellen Stand der Bil-dungsforschung der entscheidende Faktor für den Lernerfolg.3 Die Rolleder Lehrperson wird im Lernfilm durch die Autorschaft definiert, welchedie geistigen Urheberinnen und Urheber des Werkes bezeichnet. Die Au-torschaft wird durch das sprachlich gefasste Lernfilmkonzept (Storyforming– Was ist das Lernziel?) und das bildsprachlich gefasste Storyboard(Storytelling – Wie wird das Lernziel erreicht?) erbracht. Die Autorschaftfür die kreative Umsetzung des Storyboards obliegt der Regie. Im Zentrum

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3 Vgl. JOHN HATTIE: Lernen sichtbar machen, Hohengehren 2013.

Didaktik des Lernfilms

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der Autorschaft von Lernfilmen steht die Auseinandersetzung mit derDidaktik, der Kunst des Lehrens und Lernens. Die Produktion von Lern-filmen ist Teamarbeit. Die didaktischen Leistungen von Konzeption, Story-board und Regie sind ent- scheidend für den Lernerfolg. Didaktisch wirksamsind aber auch andere Beiträge, wie die der Sprecherinnen und Sprecher,Darstellerinnen und Darsteller, Kameramänner und -frauen, Szenenbild-nerinnen und Szenenbildnern und Filmeditorinnen und Filmeditoren, umnur einige der vielen möglichen Beteiligten zu nennen. Professionelle Lehrpersonen können direkt oder indirekt in Lernfilmeeinbezogen werden. Zu Demonstrations-, Erklärungs- und Veranschau-lichungszwecken kann gezeigt werden, wie authentische Personen in ihremTätigkeitsfeld agieren. Darüber hinaus können sie ihr Wissen und ihreErfahrungen als Interviewpartnerinnen und -partner oder in beratenderFunktion vermitteln. Eine Sonderform des Lernfilms bildet die filmischeDokumentation von Vorträgen renommierter Lehrpersonen, die mittelsLicht, Ton, Kameraperspektive und Bildregie wirkungsvoll in Szene gesetztwerden. In vielen Wissensfilmen und Erklärvideos werden die Lernendenvon Sprecherinnen oder Sprechern durch den Lernprozess geführt. DieAnschaulichkeit der sprachlichen Darstellung wird durch Nutzung textlicher,grafischer, gestischer, bildlicher und räumlicher Vermittlungstechnikenhergestellt. Sobald nicht mehr die Lehrenden, sondern die Lernenden inErscheinung treten, kehrt sich der Lernprozess um. Die Rezipierendenpartizipieren über Vermittlungsformen wie Anschauung, Einfühlung undMitdenken an einem simulierten Lernprozess, den sie gemeinsam mit demProtagonisten oder der Protagonistin durchleben. Wenn auf direkte Instruk-tionen und Belehrungen verzichtet wird, sind die Rezipierenden gefordert,sich Wissen und Erfahrungen selbst anzueignen. Bei der Konzeption vonLernfilmen kann zudem eine Lehrperson eingeplant werden, die das Errei-chen des Lernziels und den nachhaltigen Lernerfolg durch Filmbesprechun-gen oder Aufgaben zu Fragestellung und Inhalten sichert. Die Thematik kanndurch Integration in weiterführende Lehrveranstaltungen weiterentwickeltund vertieft werden. Anders als in realen Lehr-Lernsituationen können Leh-rende und Lernende im virtuellen Medium des Lernfilms nicht interaktivaufeinander einwirken. Die Lehrperson kann nicht unmittelbar auf die in-dividuellen Fragen und Aussagen der Lernenden eingehen, da die Filmre-zeption in einem linearen Prozess verläuft. Die filmische Erzählung kann

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zwar angehalten, doch nicht didaktisch wirksam modifiziert werden. Die An-passung der Lehr- und Lernfunktionen an die Bedürfnisse der Rezipierendenwird sich in Zukunft durch digitale Techniken wie ”künstliche Intelligenz“und ”interaktive Funktionen“ grundlegend verändern. Digitale Lernfilme wieHypervideos werden voraussichtlich aus einer Vielzahl möglicher Lernein-heiten bestehen, deren Auswahl und Reihenfolge vom Programm an dasspezifische Leistungsvermögen einzelner Rezipierender angepasst werdenkönnen. Jeder Mensch würde hierdurch ein optimales Lernangebot erhalten,das persönliche Interessen berücksichtigt, die Anforderungen interaktiv demindividuellen Leistungsvermögen anpasst und Möglichkeiten für Lernfort-schritte antizipiert.4

Warum müssen Lernfilme interessant, unterhaltsam und überzeugendsein?Lernen ist anstrengend und verbraucht Energie, die für Aktivitäten desmenschlichen Gehirns gebraucht wird und je nach Anforderung bis zu40 % des Gesamtenergiebedarfs erreichen kann. Wenn Menschen etwaslernen müssen, was sie nicht interessiert und von dessen Bedeutung sie nichtüberzeugt sind, hat das biologisch determinierte Abwehrreaktionen wieLernschwierigkeiten, Überanstrengung, Überforderung, Stress und Aggres-sion zur Folge. Menschen lernen nicht effizient, wenn sie dazu gezwungenwerden. Extrinsische Lernmotivationen, wie Messungen, Bewertungen undSanktionierungen von Lernleistungen durch Noten sind daher nicht sehreffektiv für das Erreichen von Lernzielen und ungeeignet für die nachhaltigeSicherung des Lernerfolgs. Intrinsische Lernmotivationen, wie Neugier, Lustund Interesse am Lerngegenstand, wirken hingegen schneller, effektiver undnachhaltiger. In aktuellen Forschungen der Neuropsychologie wird dieseMotivationsform daher auch als ’gehirngerecht‘ bezeichnet.5

Intrinsische Lernmotivation ist nicht nur ’gehirngerecht‘, sondern im Kon-text von Lernfilmen auch mediengerecht. Das spezifische Bildungspotenzialaudiovisueller Medien kann sich nur dann voll entfalten, wenn Rezipierendevom Anfang bis zum Ende aufmerksam zuhören und genau hinschauen.

5

4 Vgl. CARMEN ZAHN: Wissenskommunikation mit Hypervideos. Untersuchungen zum De-sign nichtlinearer Informationsstrukturen für audiovisuelle Medien (InternationaleHochschulschriften Bd. 412), Münster / New York / München / Berlin 2003.

5 Vgl. GERHARD ROTH: Bildung braucht Persönlichkeit. Wie Lernen gelingt, Stuttgart 2015.

Didaktik des Lernfilms

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Lernen fordert die Aktivierung informationsspezifischer Gehirnareale, derenVerknüpfungsstruktur und Leistungsfähigkeit mit der bewältigten Heraus-forderung wächst. Die verbal und anschaulich wahrgenommenen Inhaltevon Lernfilmen müssen beim Rezipierenden emotionale und kognitiveWirkungen entfalten, damit Lernen stattfinden kann. Form und Inhaltmüssen die Lernenden zur gedanklichen Reflexion, Verständnisbildung undkritischen Bewertung anregen. Der Lernerfolg steht in Relation zu demInteresse, das die Lernenden für Form und Inhalt der filmischen Erzählungentwickeln. Wenn die intrinsische Motivation der Zielgruppe durch dasMedium des Lernfilms gelingen soll, muss die filmische Erzählung ästhetischwirksam, inhaltlich interessant, emotional unterhaltsam und argumentativüberzeugend gestaltet werden. 6

Wie lässt sich das Bildungspotenzial von Lernfilmen für den Lernerfolgaktivieren? Das spezifische Bildungspotenzial audiovisueller Medien kann sich nur dannvoll entfalten, wenn Stärken systematisch für das Erreichen des Lernzielsund die nachhaltige Sicherung des Lernerfolgs genutzt werden. Die vorhan-denen Schwächen des Mediums müssen bekannt sein, damit sie wirkungs-voll reduziert oder kompensiert werden können.

Stärken von Lernfilmen:Durch die effektive Nutzung auditiver und visueller Wahrnehmungen•lassen sich die beiden wichtigsten Sinnesleistungen des Menschen fürBildungsprozesse aktivieren.Durch realitätsnahe Bild- und Tonsequenzen lassen sich Anschaulich-•keit, Kontinuität und Authentizität im Erzählungs-, Erklärungs- undVeranschaulichungsprozess erzeugen.Durch gezielte Schnitte des Bild- und Tonmaterials lassen sich Wieder-•holungen, Vor- und Rücksprünge, Einschübe, Bild- und Toncollagen etc.erzeugen, wodurch sich einzigartige Freiräume für die Gestaltung vonLehr- und Lernprozessen eröffnen.

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6 Vgl. MANFRED SPITZER: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg/ Berlin 2007.

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Durch zeitliche Gestaltung des Bild- und Tonmaterials lässt sich das•Lerntempo an die Komplexität der Inhalte und die Voraussetzungen derZielgruppe anpassen:

Die Geschwindigkeit der bildlichen Vermittlung kann durch Zeit--raffer und Schnitte beschleunigt oder durch Zeitlupen und Wieder-holungen verlangsamt werden.Die Geschwindigkeit der sprachlichen Vermittlung kann auf direk--tem Weg durch Anpassung des Sprechtempos und auf indirektemWeg durch Mittel wie Zusammenfassung oder Vertiefung modifi-ziert werden.Die Zeitwahrnehmung der Rezipierenden kann durch Auswahl-oder Komposition von Musik und Geräuschen modifiziert werden.

Durch räumliche Gestaltung des Bild- und Tonmaterials lässt sich die•Wahrnehmung an die Komplexität der Inhalte und die Voraussetzungender Zielgruppe anpassen:

Auswahl und Wechsel von Bildausschnitten, Ton und Sprache er--möglichen die systematische Fokussierung und Steuerung desLernprozesses.Auswahl und Wechsel der Perspektive liefern wirksame Einsichten-in den Lernprozess, da Verstehen mit der Bildung eines Standpunk-tes einhergeht.Auswahl und Wechsel von Abstand, Schärfe, Licht und Farbigkeit-der Bilder sowie Deutlichkeit, Klang und Lautstärke des Tons er-möglichen dynamische und atmosphärisch wirkungsvolle Erzähl-formen.

Schwächen von Lernfilmen:Durch die Verhinderung der Nutzung haptischer, olfaktorischer, gusta-•torischer, kinästhetischer und vestibulärer Wahrnehmungen lassen sichwichtige Sinnesleistungen des Menschen nicht für Bildungsprozesse ak-tivieren.Direkte Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden sind im•Lernfilm unmöglich, was viele didaktisch wirksame Handlungen ver-hindert, wie:

die Bildung von Vertrauensverhältnissen und persönlichen Be--kanntschaften

7Didaktik des Lernfilms

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die Nutzung individueller Stärken, die aktive Erzeugung von Betei--ligung oder die Integration von Hintergrundwissen durch gezielteFragen und Diskurse die spontane Reaktion auf sichtbar werdende Lernschwächen und-Verständnisschwierigkeiten durch Ermutigungen, Pausen, Themen-wechsel, emotionale Ansprachen, weiterführende Erklärungen, Be-antwortung von Rückfragen oder vertiefende Exkurse

Hieraus wird deutlich, dass Lernfilme auf Dauer kein Ersatz für den persön-lichen Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden sein können. Sie sindein Medium der Vermittlung, mit dem sich das Gelingen von Lehr- undLernprozessen effektiv unterstützen lässt. Dennoch lassen sich einige derSchwächen des Mediums Lernfilm mindern oder erfolgreich kompensieren,wenn das vorhandene emotionale und kognitive Gedächtnispotenzial derLernenden systematisch mobilisiert wird. Durch atmosphärische Inszenie-rungen sinnlich wirksamer Erfahrungsqualitäten lässt sich das multisensuelleErfahrungspotenzial von Individuen erfolgreich aktivieren. Die meistenRezipierenden können haptische Qualitäten von Oberflächen emphatischspüren, wenn diese mittels Fokus, Perspektive, Licht, Farben, Formen undGeräuschen wirkungsvoll in Szene gesetzt werden. Wenn haptische Sinnes-eindrücke audiovisuell erfahrbar werden sollen, müssen die Wirkungen vonFormen und Oberflächen erlebbar werden. Das funktioniert besonderswirkungsvoll, wenn Rezipierende miterleben können, wie Menschen die inSzene gesetzten Inhalte ihrer Umwelt berühren und ertasten. Dieses rhetori-sche Prinzip lässt sich auf viele Sinneserfahrungen übertragen. Olfaktorischeund gustatorische Sinneseindrücke werden erlebbar, wenn Rezipierendeanschaulich und akustisch nachvollziehen, wie Menschen die in Szenegesetzten Inhalte ihrer Umwelt riechen und schmecken. Die Erzeugung vonNähe durch Zoomeinstellungen ist ein weiteres effektives filmisches Mit-tel zur Intensivierung sinnlich-emotionaler Erlebnisse. Pulserhöhungen,Gliederzuckungen und emotionale Ausrufe lassen sich beobachten, wennRezipierende so nah an Menschen herangebracht werden, dass sie sich denWirkungen der intensiven Sinneserlebnisse nicht entziehen können. DieserEmpathieeffekt wird sehr häufig bei medialen Berichterstattungen wichtigerEreignisse eingesetzt, um Zuschauer zu mobilisieren und zu binden. Darüberhinaus sind Rezipierende, die Leid und Freude der Protagonisten teilen, offen

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und bereit, aus den Erfahrungen anderer Menschen zu lernen. Das Wahrneh-mungsphänomen lässt sich durch die Funktion der Spiegelneuronen erklären,durch die der Mensch auch virtuelle Erlebnisse mit allen Sinnen spüren kann.7

Welche Bedeutung hat die Zielgruppe für die erfolgreiche Konzeptionvon Lernfilmen?Lernfilme werden für konkrete Zielgruppen von Lernenden hergestellt,deren Rezeptionsfähigkeiten sich auf Grund vieler bildungsrelevanterFaktoren wie Alter, Geschlecht, Wissen, Erfahrung, Kultur, Sozialisierungund Religion unterscheiden. Lernfilme können sowohl künstlerisch als auchwissenschaftlich gestaltet werden. Form und Inhalt müssen ästhetischen undfachlichen Ansprüchen von Lehrenden und Lernenden standhalten. Lern-filme sind keine freien Kunstwerke, sondern Designprodukte, da sich derLernerfolg am Erreichen vorbestimmter Lernziele bei der anvisiertenZielgruppe bemisst. Die ästhetische und fachliche Gestaltung muss soerfolgen, dass Form und Inhalt gleichermaßen die Aufmerksamkeit der Ziel-gruppe wecken, das Erreichen des Lernziels fördern und den Lernerfolgnachhaltig sichern.Pauschale Beurteilungskriterien wie ”richtig und falsch“ sind bei Lernfilmennicht möglich, da Lernform, -ziel und -erfolg dem kognitiven und emotio-nalen Leistungsvermögen der Zielgruppe angepasst werden müssen. Lern-filme zu einem Thema können sich stark unterscheiden, wenn ihreBotschaften an unterschiedliche Zielgruppen wie Kinder, Jugendliche undErwachsene adressiert sind. Rezipierende lernen nur dann erfolgreich, wennsie sich für Form und Inhalt des Mediums interessieren. Wenn sich Rezipie-rende langweilen, kann Lernen nur noch implizit stattfinden. Der Lernstoffwird nicht bewusst wahrgenommen oder umgehend wieder vergessen.Lernen scheitert auch dann, wenn der Lernstoff von den Rezipierendennicht verstanden wird und keine Anbindung an vorhandenes Erfahrungs-wissen erfolgen kann. Vorwissen und Vorerfahrungen der Zielgruppe sindabhängig von Alter, Sozialisierung und Bildung der Individuen. Jede Wirklichkeit ist komplex und bedarf einer didaktischen Reduktion,damit der Lerninhalt von der anvisierten Zielgruppe erfasst und verstanden

7 Vgl. JOACHIM BAUER: Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und dasGeheimnis der Spiegelneurone, München 2006.

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werden kann. Die Zielgruppe kann direkt oder indirekt angesprochen oderdurch den Lernfilm geleitet werden oder sich den Weg zum Ziel selbstsuchen. Rhetorische Mittel für die Ansprache und Überzeugung der Ziel-gruppe werden an anderer Stelle dieses Beitrags aufgezeigt. Die Wirksamkeitvon Lernfilmen lässt sich mit Mitteln der qualitativen und quantitativenForschung evaluieren, wie Diskussionen und Interviews oder Umfragen undLeistungstests. Die Zielgruppe der Lernenden wurde wirksam adressiert,wenn die große Mehrzahl der Rezipierenden das vorgegebene Lernzielerreicht hat und der Lernerfolg nachhaltig gesichert bleibt. Da die Evaluationerst im Anschluss an die Filmrezeption erfolgen kann, muss bei der Konzep-tion und Produktion auf didaktische Erfahrungen mit Lehr- und Lernpro-zessen im Medium Lernfilm zurückgegriffen werden.

Wodurch unterscheiden sich wissenschaftliche und künstlerische Lern-filme?Für die Produktion von Lernfilmen lässt sich der gesamte narrative Raumzwischen Wissenschaft und Kunst, Analyse und Kreation, Ratio und Gefühloder Logik und Intuition nutzbar machen. Mischformen sind effektiv undsinnvoll, wenn Rezipierende gleichermaßen durch rationale wie intuitiveFormen des Verstehens zum Lernziel gelangen.Wissenschaftliche Lernfilme dienen primär der Analyse von Problemen undder Erläuterung von Funktionszusammenhängen. Sie sind dort geeignet, woLösungswege bekannt und erfolgreich erprobt sind. Das Lernziel gründetsich auf die Vermittlung von Methoden, die analytisches Verstehen undsystematisches Handeln fördern. Wissenschaftliche Lernfilme finden häufigAnwendung bei der Vermittlung von Faktenwissen und Erfahrungszusam-menhängen, der Erklärung von Konstruktions- und Rechenoperationensowie der Darstellung von Montageanleitungen und Gebrauchsanwei-sungen. Der Lernerfolg gründet sich auf rationale Verstehensprozesse wielogisches Denken, Erfassung allgemeiner Strukturmerkmale und Funktions-prinzipien, Nachahmung, Transformation und Übertragung, er kann amProzess und Ergebnis durch eindeutige Evaluationskriterien wie richtig oder

10

8 Vgl. Praxisbeispiel für die Nutzung des hermeneutischen Vermittlungspotenzials künst-lerischer Lernfilme im Fach Romanistik: Projekt ”Viducation“ bei Prof. Dr. ULRICH

HOINKES, Romanisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Axel Buether

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falsch bewertet werden. Weit verbreitete Formen des wissenschaftlichenLernfilms sind Erklärvideos und Lernspiele, deren Anspruch und Komple-xität von den Interessen und Lernpotenzialen der Zielgruppe bestimmt wer-den. Regeln und Ziel müssen klar definiert werden, im Prozess erkennbarbleiben und durch rationale Strategien erreichbar sein.Künstlerische Lernfilme dienen primär der Anregung von Verstehenspro-zessen, mit denen sich Wahrnehmung, Denken und Verhalten von Indivi-duen verändern. Anders als in den Wissenschaften lässt sich in der Kunstder Gegenstand der Auseinandersetzung nicht exakt definieren. Es kannnicht eingegrenzt werden, welches Problem untersucht, welche Aussagengetroffen und welche Wirkungen erzielt werden sollen.Kunst ist schöpferische Praxis, die sich in der Formung von Materie undGeist entfaltet. Alle Wissenschaften gründen sich auf eine spezifische Praxisund bedingen einen ganzheitlichen Ansatz, worauf auch das humboldtscheBildungsideal verweist. Künstlerische Lernfilme sind dort geeignet, woProbleme so komplex sind, dass bekannte Erklärungsmuster versagen. Siesind unverzichtbar, wenn Problemdefinitionen, Zielvorstellungen undLösungsstrategien unbekannt, unbefriedigend oder unakzeptabel sind.8

Künstlerische Lernfilme sind geeignet, wo Verstehensprozesse initiiertwerden sollen und eine eigenständige Auseinandersetzung der Rezipierendenmit dem Inhalt gefördert werden soll. Das Lernziel besteht in der Bildungeiner reflektierten Position zum Thema des Lernfilms. Der Lernerfolgoffenbart sich im Diskussions- und Interpretationsprozess, der im Anschlussan die Filmrezeption erfolgen soll. Für den Diskurs können alle Ausdrucks-mittel gewählt werden, angefangen bei der Sprache, über Zeichnung,Grafik, Malerei, Fotografie und Plastik, bis hin zu Film, Theater undRaumgestaltung.Die Nachhaltigkeit des Lernerfolgs zeigt sich an den Wirkungen, die der Lern-film im Prozess der Persönlichkeitsbildung entfaltet. Dazu gehören Persön-lichkeitseigenschaften wie Kritikfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein,Wertschätzung, Empathiefähigkeit und Nachdenklichkeit. KünstlerischeLernfilme fordern individualisierte Evaluationskriterien wie die Eigenstän-digkeit von Gedanken, themenbezogenes Engagement, Improvisationsfähig-keit, Spontanität, Hintergrundwissen, persönlicher Erfahrungshorizont,Überzeugungskraft der Argumente oder das Innovationspotenzial von Ideen.

11Didaktik des Lernfilms

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Wie lässt sich das Potenzial des Lernfilms für die Wissenskommunika-tion nutzen?Während es für analytische Erklärvideos heute einen Markt gibt, der zahl-reiche professionelle Anbieter, Ratgeber im Internet und theoretischeReflexionen im Rahmen von Fachliteratur hervorgebracht hat, wartet dasBildungspotenzial künstlerischer Lernvideos noch auf seine Entdeckung.Niedrige Produktionsstandards, einfache Vertriebsbedingungen und kom-merzielle Vermarktungsmöglichkeiten im Internet fördern die weltweiteHerstellung, Nutzung und Verbreitung von Erklärvideos.9 Sie erleichtern dieInbetriebnahme und den Gebrauch von Produkten aller Art, was so erfolg-reich ist, dass Hersteller zunehmend auf gedruckte Instruktionen undGebrauchsanweisungen verzichten. Die professionelle Entwicklung vonErklärvideos wird durch zahlreiche Tutorien und Handbücher erleichtert.10

Die Produktion von Erklärvideos erfolgt heute primär anwendungsorientiertund unter weitgehendem Verzicht auf künstlerische Vermittlungsstrategien.Auftraggeber verknüpfen ihre Anforderungen in der Regel mit dem Errei-chen konkreter Lernziele und sichern den Lernerfolg mittels Vorgaben undVereinbarungen ab. Die Überprüfung erfolgt häufig durch direktes Nutzer-feedback wie Kommentare und Kritiken. In der schulischen Bildung lässt sich der Verzicht auf künstlerische Vermitt-lungsstrategien ebenfalls beobachten. In Standards zur Lehrplanentwicklungwird die Vorgabe konkreter Lehrinhalte, Lehrziele und standardisierterLernerfolgskontrollen gefordert.11 Die modularisierte und durch Kom-petenzraster strukturierte Form der Prüfungsordnungen von Hochschulenund Universitäten macht deutlich, dass Lernerfolg nur noch im Rahmenallgemeinverbindlicher Standards akzeptiert wird. Da diese Standards imUnterricht nicht immer vollständig erreicht werden, finden sich heuteeine Vielzahl von Erklärvideos auf werbefinanzierten Videoportalenwie YouTube oder gebührenfinanzierten Online-Nachhilfeportalen wie

”Sofatutor”, die sowohl autodidaktisch als auch professionell produ-ziert werden. Besonders erfolgreiche YouTube-Lernplattformen wie ”The-SimpleClub” erreichen mit ihren kostenfreien Nachhilfeangeboten einMillionenpublikum.12

Im Bereich der Vermittlung wissenschaftlicher Lehre und Forschung domi-nieren weiterhin Fachbücher und Fachzeitschriften. Lernfilme werden

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bisher nur selten zur Wissenskommunikation zwischen Experten und Laiengenutzt. Die allgemeine Zugänglichkeit von Fachwissen und aktuellenForschungsergebnissen könnte durch den Einsatz von Lernfilmen wirkungs-voll verbessert werden.Idealistische Bildungsziele, wie die ganzheitliche Förderung der Persönlich-keit, die Befähigung zum eigenständigen Denken und Handeln oder zumfreiheitlichen demokratischen Diskurs, können durch künstlerische Lern-filme wirksamer gefördert werden. Künstlerische Filme, zu denen auchExperimentalfilme, Kurzfilme und Videokunst gehören, stellen ein hoch-interessantes Repertoire für Bildungszwecke dar. Um das Lernpotenzialvon künstlerischen Filmen systematisch für konkrete Lernzwecke nutzbarzu machen, müssen Lehrende kunstgeschichtliches Wissen erwerben, kunst-praktische Erfahrungen machen und kunstpädagogische Methoden an-wenden können. Wer dabei gleich an ein Kunststudium denkt, hat das hum-boldtsche Bildungsideal nicht verstanden, nach dem alle akademischenFachrichtungen in Künsten und Wissenschaften gleichermaßen gebildet seinsollten.13

Welchen Beitrag leistet die Lernfilmrezeption für die allgemeine undfachliche Bildung?Filme sind Kulturprodukte und damit Teil des immateriellen Wissensspei-chers von Mensch und Gesellschaft, der sowohl allgemeine als auch fachlicheBildungszwecke erfüllt.14 Für die Produktion und Rezeption von Lernfilmengelten daher spezifische Anforderungen, die auf das Bildungsziel abgestimmtwerden müssen:

13Didaktik des Lernfilms

9 FELIX MAYR: Erklärvideos – Konzeption und Auswirkungen auf die Kundenbindung, Saar-brücken 2016.

10 Vgl. ROMAN SIMSCHECK / SAHAR KIA: Erklärvideos einfach erfolgreich, München 2017.11 Vgl. Lehrplanentwicklung Allgemeinbildung. QUA-LiS NRW, https://www.qua-

lis.nrw.de/aufgabenschwerpunkte/lehrplaene-allgemeinbildung/index.html [27.02.2018].12 Was ist TheSimpleClub? https://www.youtube.com/watch?v=HgqqUvGTfl0

[27.02.2018].13 Vgl. Die Universität zwischen Humboldt und McKinsey. Perspektiven wissenschaftlicher

Bildung. JULIAN NIDA-RÜMELIN: Humanismus als Leitkultur. Ein Perspektivenwechsel,München 2006.

14 JAMES MONACO: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie desFilms und der Neuen Medien, Hamburg 2012.

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Die Rezeption von Lernfilmen leistet einen Beitrag zur Allgemeinbildung,wenn hierdurch:a) sensitiveundempathischeFähigkeitenzurSelbst-undUmweltwahr-

nehmung gefördert werdenb) wissenschaftliche Fähigkeiten zur Erkenntnis, Analyse und Darstel-

lung komplexer Informationen gefördert werdenc) künstlerische Fähigkeiten wie ästhetische und kulturelle Bildung

vermittelt werden d) allgemeine Verständnisfähigkeiten medialer Gestaltung in Bild,

Sprache, Musik, Schauspiel, Szenografie, Dramaturgie, Schnitt undRegie gefördert werden

e) allgemeine Kommunikations- und Verständigungsfähigkeiten geför-dert werden

Die Rezeption von Lernfilmen leistet einen Beitrag zur fachlichen Bildung,wenn hierdurch:a) fachspezifische Fähigkeiten zur Wahrnehmung, Beobachtung und

Analyse von Umweltereignissen gefördert werdenb) wissenschaftliche Fähigkeiten zur Erkenntnis, Analyse und Dar-

stellung fachspezifischer Problemfelder gefördert werdenc) audiovisuelle Strategien zur Vermittlung fachspezifischer Probleme

durch mediale Gestaltung in Bild, Sprache, Musik, Schauspiel, Sze-nografie, Dramaturgie, Schnitt und Regie gefördert werden

d) fachspezifische Kommunikations- und Verständigungsfähigkeiten gefördert werden

Welchen Beitrag leistet die Lernfilmproduktion für die Bildung vonMedienkompetenz?Die Konzeption, Produktion und Veröffentlichung von Lernfilmen erfordertspezifische Medienkompetenz, die medientechnische, mediendidaktische,medienwissenschaftliche und mediengestalterische Fähigkeiten und Fertig-keiten beinhaltet. Die methodische Bildung dieser Medienkompetenz er-folgt durch den Entwurf und die Umsetzung von Lernfilmprojekten.Hierdurch ergeben sich mannigfaltige Synergieeffekte, da fachliche, didak-tische und mediale Kompetenzen gleichermaßen gefördert werden.15 Die

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Produktion audiovisueller Medien fordert den Einsatz unterschiedlicherDarstellungstechniken wie Film, Fotografie, Animation, Skizze, Grafik,Schrift, Sprache, Geräusch, Musik, Szenenbild, Kostümbild, Plastik, Schau-spiel und Tanz. Lernfilmspezifische Medienkompetenz zeigt sich an der Artund Weise, wie die Form des Werks den Inhalt zur Anschauung bringt undder Zielgruppe das Erreichen des Lernziels ermöglicht. Darstellungsformenund dargestellte Inhalte, die den Lernerfolg beeinträchtigen, müssen kritischbesprochen und bewertet werden. Bildkompetenz ist erforderlich, woInhalte visualisiert, wirkungsvoll in Szene gesetzt und in das filmischeGeschehen eingebunden werden müssen. Sprachkompetenz wird benötigt,wo eine Geschichte das Erreichen des Lernziels sichert, wo Bildmaterialbeschrieben, erklärt oder als Illustration eines sprachlichen Geschehenseingesetzt wird. Musikalische Kompetenz wird benötigt, wo Musik undGeräusche Lernprozesse unterstützen oder selbst zum Lerninhalt der fil-mischen Erzählung werden. Bei der Entscheidung für eine wissenschaftliche oder künstlerische Formder filmischen Erzählung muss die Erreichbarkeit des Lernziels im Vorder-grund stehen. Dabei müssen die Interessen und die soziokulturelle Bildungder Zielgruppe gleichermaßen berücksichtigt werden. Das Filmmaterialkann vollständig selbst produziert werden oder Archivmaterial enthalten.Für die Veröffentlichung werden nicht nur technische und kommunikativeKompetenzen benötigt, sondern auch solide Kenntnisse im Urheber- undNutzungsrecht. Lernfilme sind schöpferisch, analytisch, didaktisch undtechnisch anspruchsvolle Werke, die häufig von kleinen Teams ausgeführt

15

15 In einem fachübergreifenden Forschungs- und Modellprojekt zur Konzeption und Pro-duktion von Lernfilmen im Rahmen fachdidaktischer Projektseminare an der BergischenUniversität Wuppertal wurde diese Strategien unter Leitung des Autors Prof. Dr. AXEL

BUETHER erfolgreich erprobt. An der Konzeption, Produktion und Veröffentlichung vonwissenschaftlichen und künstlerischen Lernfilmen waren Studierende der allgemeinbilden-den Fächer Chemie, Biologie, Physik und Romanistik sowie der gewerblich-technischenFachrichtung Mediendesign beteiligt. Unterstützt haben dieses Projekt: Prof. ERICA VON

MOELLER (Design audiovisueller Medien), FRIDHELM BÜCHELE (Mitarbeiter am LehrstuhlDidaktik der visuellen Kommunikation), Prof. Dr. GELA PREISFELD (Zoologie und Didaktikder Biologie), Prof. Dr. JOH. GREBE-ELLIS (Physik und ihre Didaktik), Prof. Dr. MICHAEL

W. TAUSCH (Chemie und ihre Didaktik) sowie Prof. Dr. MATEI CHIHAIA (Romanistik Lit-eraturwissenschaft). Die besten Ergebnisse wurden auf der Bildungsplattformwww.colour.education publiziert.

Didaktik des Lernfilms

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werden. Zentrale Aufgabenfelder wie Drehbuch, Produktion, Filmregie,Szenografie, Grafik, Kamera, Licht, Ton, Musik, Schnitt und Farbkorrekturerfordern nicht nur fachliche, sondern ebenso auch soziale, gestalterischeund kommunikative Kompetenzen. Die Lernfilmproduktion ist nur dannzweckmäßig, wenn die hierdurch erzielten Lernerfolge nicht durch andereLernmedien in kürzerer Zeit, in höherem Maß oder mit größerer Nachhal-tigkeit erreicht werden können. Die hierfür notwendige Urteilskraft kannnur durch ganzheitliche Bildung von Medienkompetenz erworben werden,was Aufgabe der Allgemeinbildung sein sollte. Die eigenständige Produktion von Filmen ist weitaus effektiver als die reineRezeption, da Fähigkeiten und Fertigkeiten der Filmschaffenden gleicher-maßen gefördert werden.16

Die Produktion von Lernfilmen leistet einen Beitrag zur Medienkompetenz,wenn hierdurch:a) Analyse- und Urteilsfähigkeiten zu thematischen Interessen sowie

altersbedingten und soziokulturell gebildeten Wahrnehmungsfähig-keiten der Zielgruppe gefördert werden

b) Fachwissen zu historischen, narrativen, kreativen, rhetorischen, visuellen, auditiven, schauspielerischen, darstellenden und drama-turgischen Mitteln der Filmgestaltung erworben wird

c) mediengestalterische und medientechnische Kompetenz im Feld der Planung, Produktion, Postproduktion, Publikation und Evalua-tion von Filmmedien erworben wird

d) Fachwissen zur Filmgestaltung bei eigenen filmischen Produktion-en sowohl selbstständig als auch in Teamarbeit erfolgreich angewendet werden kann

II Rhetorische Gestaltung von Lernfilmen

Was ist Filmrhetorik und worin liegt ihr Nutzen für den Lernfilm? Der altgriechische Begriff Rhetorik bezeichnet die Redekunst.17 Die weitverbreitete und bis heute genutzte Kommunikationstechnik gibt Vortragen-

16

16 AXEL BUETHER: Kunst als Dialogprozess, in: Aktuelle Positionen der Kunstdidaktik, hg. v.MARTINA IDE u. a., München 2016, S. 143–160.

17 ARISTOTELES: Rhetorik, Stuttgart 1999.

Axel Buether

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den ein methodisches Werkzeug für den Aufbau überzeugender Reden andie Hand. Alle sinnvollen Argumentationspfade wie auch die Interessen desPublikums werden psychologisch analysiert, um die Wirkung der Ansprachezu maximieren. Ziel ist es, das Publikum von eigenen Positionen nachhaltigzu überzeugen und Veränderungen im Denken und Handeln zu bewirken.Der Überzeugungsakt funktioniert, wenn das Publikum während des Vor-trags lernt, indem es aufmerksam den Gedankengängen der Vortragendenfolgt und am Ende zur gewünschten Einsicht gelangt. Die Rhetorik findetbis heute Anwendung und gehörte bis vor wenigen Jahrzehnten noch zurAllgemeinbildung. Es ist bezeichnend, dass aktualisierte Formen der Rhe-torik wie das Buch ”Thank you for Arguing“ gegenwärtig zur Standardlite-ratur vieler Eliteuniversitäten der Welt gehören.18

Die verbalen Mittel der Rhetorik wurden bereits zu Zwecken der Analyseund visuellen Kommunikation auf die Bildsprache19, das Design20 und dieRaumgestaltung21 übertragen, wo sie erfolgreich angewendet werden. So istes nur folgerichtig, dass die rhetorischen Methoden und Mittel auch für dieFilmanalyse angewendet werden.22 Im Bereich der Filmgestaltung, insbe-sondere bei der Entwicklung des Storyboards, finden rhetorische Methodenund Mittel häufig Anwendung, selbst wenn sie nicht immer als solchebenannt werden.23 Ich möchte daher an dieser Stelle den Versuch unterneh-men, die Methoden und Mittel der Rhetorik explizit für das Medium Lern-film zu instrumentalisieren.

Drei Methoden der LernfilmrhetorikDie drei Methoden der Lernfilmrhetorik zielen auf die Wirkungen, die beimRezipierenden ausgelöst werden sollen. Sie lassen sich einzeln oder bessernoch in Kombination anwenden:

17

18 JAY HEINRICHS: Thank you for Arguing, New York 2007.19 JOACHIM KNAPE (Hrsg.): Bildrhetorik, Baden-Baden 2007.20 GESCHE JOOST / ARNE SCHEUERMANN: Design als Rhetorik, Basel 2008.21 AXEL BUETHER: Die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz. Neurobiologische Grund-

lagen für die methodische Förderung der anschaulichen Wahrnehmung, Vorstellung undDarstellung im Gestaltungs- und Kommunikationsprozess, Halle 2010.

22 KLAUS KANZOG: Grundkurs Filmrhetorik, München 2001.23 ROBERT MCKEE: Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens, Berlin 2011. – AXEL

MELZENER: Kurzfilm-Drehbücher schreiben. Die ersten Schritte zum ersten Film, Ober-Ramstadt 2010.

Didaktik des Lernfilms

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A. Docere: Wissensvermittlung durch logische ArgumentationDie Wissensvermittlung beginnt in jedem Lernfilm mit einer zentralen Fra-gestellung bzw. einer These, die das Lernziel bezeichnet. Die Rezipierendenwerden hierdurch aufgefordert, selbst nach der Antwort zu suchen bzw. ihrNichtwissen einzusehen und der zielführenden Argumentationskette biszum Ende zu folgen. Der Weg zur Beantwortung der Fragestellung bzw. zurBegründung der These muss für den angesprochenen Rezipierenden logischnachvollziehbar sein. Die Form des Wissensfilms muss daher so gestaltetsein, dass der Inhalt von der Zielgruppe verstanden wird und alle zur Beant-wortung der Fragestellung notwendigen Argumente eigenständig überprüftwerden können.B. Delectare: Aufmerksamkeit durch Interesse am ThemaMenschen sind von Natur aus neugierig und mit einem Lerntrieb ausgestat-tet, der sich für das Erreichen von Lernzielen und die nachhaltige Sicherungvon Lernerfolgen nutzbar machen lässt. Ein Lernfilm soll daher Aufmerk-samkeit erzeugen und thematisches Interesse bei der adressierten Zielgruppewecken. Diese Intention lässt sich wirkungsvoll durch die Erzählung einerspannenden Geschichte erreichen. Die emotionale Gestaltung der Thematiksoll bei der Zielgruppe Lustgefühle wecken und den Spieltrieb aktivieren.Die kognitive Gestaltung der Thematik soll hingegen Wissbegierde erzeugenund den Forschergeist ansprechen. Da wir nur etwas von der Umwelt lernen,wenn wir das äußere Geschehen aufmerksam verfolgen, braucht jeder Lern-film eine dramaturgische Struktur. Die Dramaturgie des Lernfilms muss beiden Rezipierenden vom Anfang bis zum Ende Spannung erzeugen. Die Ent-wicklung einer wirkungsvollen Spannungskurve ist fester Bestandteil jederLernfilmgestaltung. C. Movere: Überzeugung durch Empathie und AkzeptanzLernen ist ein biologisch determiniertes Überlebensprogramm des Men-schen, das auf eigenen Erfahrungen gründet. Menschen sind von Natur ausskeptisch gegenüber Behauptungen, die nicht begründet oder bewiesen wer-den. Auf der anderen Seite sind Menschen ebenso bereit, den ErfahrungenAnderer zu vertrauen, wenn diese für sie glaubwürdig sind. Die Rolle derLehrenden im Lernfilm muss vertrauenswürdig, sympathisch und überzeu-gend gestaltet sein. Lernfilme müssen bei Rezipierenden Empathie weckenund Akzeptanz erzeugen, damit das Lernziel erreicht und der Lernerfolgnachhaltig gesichert wird. Sie gründen auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen,

18 Axel Buether

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das nur hergestellt werden kann, wenn Form und Inhalt gleichermaßen über-zeugend wirken. Überzeugung basiert auf einem aktiven Aneignungsprozess,bei dem sich Rezipierende ihr eigenes Urteil bilden und selbst zur Erkennt-nis finden. Die Ursache der Erkenntnis muss so dargestellt werden, dass sieanschaulich wahrnehmbar und begreifbar wird. Wenn das nicht möglich ist,muss die angegebene Quelle vertrauenswürdig sein. Rezipierende dürfennicht überfordert oder unterschätzt werden. Ihre Meinungen und Ansichtenmüssen ernst genommen werden, was passiert, wenn Inhalt und Fragestel-lung hierauf Bezug nehmen. Niemand darf sich gezwungen fühlen, Meinun-gen und Ansichten teilen oder Antworten und Lösungswege akzeptieren zumüssen. Rezipierende sollen Erklärungen und Begründungen eigenständignachvollziehen können. Nur wenn sie für Ideen, Ziele und Werte begeistertund eingenommen werden, kann sich Bereitschaft und Motivation zu nach-haltigen Veränderungen im Denken, Verhalten und Handeln bilden.

Fünf Entwurfsphasen der Lernfilmrhetorik

1. Inventio – Erfindung der Fragestellung1.1. intellectio Problem erkennen1.1.1. Thema und Fragestellung erkennen1.1.2.Analyse der Ausgangslage/Voraussetzungen/Gegebenheiten1.1.3. Recherche der relevanten Informationen1.1.4. Nützliche und überzeugende Argumente herausfinden 1.1.5. Abwägen der Vor- und Nachteile aller Argumente1.1.6.Topik (tópos - Ort) – Auffinden von Argumentationsmustern1.2. creare Problem erfinden1.1.1. Thema und Fragestellung schöpferisch kreieren1.1.2. Intuitio – Kreativität mobilisieren1.1.3. Diversitas – Varianten produzieren und darstellen1.1.4. Originäre Ideen herausfinden1.1.5. Abwägen des originären Potenzials der Idee

2. Dispositio – Entwurfsprozess und inhaltliche Konzeption2.1. ordo naturalis Die rationale Ordnung2.1.1. Einleitung, Hauptteil und Schluss des Lernprozesses bestimmen2.1.2. Argumente in eine logisch schlüssige und widerspruchsfreie

Abfolge bringen

19Didaktik des Lernfilms

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2.1.3. Zeitliche Ordnung der Lernschritte in eine nachvollziehbare Abfolge bringen

2.1.4. Lerninhalte in den narrativen Zusammenhang integrieren 2.1.5. Grafische Mittel zu Veranschaulichungs- und Erklärungszwecken in

tegrieren2.2. ordo artificialis Die künstlerisch-kreative Ordnung2.1.1. Einleitung, Hauptteil und Schluss auflösen oder vertauschen, wenn

die Unkonventionalität eigenständiges Denken fördert 2.1.2. Vertauschung von Argumenten zulassen, wenn die Verwirrung den

Lernerfolg fördert2.1.3. Auslassung von Inhalten zulassen, wenn die Lücken zum Nachdenken

anregen und den eigenständigen Erkenntnisprozess förder2.1.4. Einbezug sachfremder Themen, wenn Störungen und Ablenkungen

den Lernerfolg fördern2.1.5. Zulassung irrationaler Argumente, insoweit Verwirrung und Zweifel

das eigenständige Denken fördern

3. Elocutio – Dramaturgie und Ausdruck3.1. latinitas Inhaltliche Richtigkeit des Ausdrucks3.1.1. Sachargumente herausarbeiten und möglichst wertfrei darstellen3.1.2. Verwendung und Angabe fundierter und überprüfbarer Quellen3.1.3.Inhaltliche Aussage und Ausdrucksform zur Übereinstimmung

bringen3.1.4. Glaubwürdigkeit herstellen3.2. perspicuitas Zweckmäßigkeit des Ausdrucks2.2.1. Nutzen und Wert der Idee herausarbeiten2.2.2. Form stärkt die Idee unabhängig vom Inhalt2.2.3. Empathie und Neugier wecken2.2.4. Erfolg legitimiert die Mittel3.3. ornatus Schönheit des Ausdrucks3.3.1. Ästhetische Wirkungen erzeugen und herausarbeiten3.3.2. Die Ästhetik der Form sublimiert den Inhalt und gibt ihm Wert3.3.3. Nähe, Neugier, Öffnung, Staunen und Faszination erzeugen3.3.4. Starke Gefühle wie Hoffnungen, Begierden und Wünsche wecken3.3.5. Nicht was, sondern wie etwas hergestellt, gezeigt oder benutzt wird

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4. Memoria – Anschaulichkeit und Merkfähigkeit4.1. imagines Bildliche Vorstellungskraft4.1.1. Lernziel im Filmtitel und Titelbild des Lernfilms symbolisch dar-

stellen4.1.2. Lerninhalt als unterhaltsame einprägsame Geschichte zur Sprache

bringen4.1.3. Verständnisbildende Schlüsselszenen im Storyboard zur Anschauung

bringen4.1.4. Narration im Storyboard didaktisch auf ein zeitliches Minimum redu-

zieren4.1.5. Komplexe Zusammenhänge schrittweise grafisch visualisieren4.1.6. Rhetorische Stilfiguren wirkungsvoll einsetzen4.2. auctores Autorität und Vertrauen herstellen4.2.1. Autorität durch Autorschaft herstellen4.2.2. Glaubwürdigkeit durch wissenschaftliche/künstlerische Methodik

vermitteln4.2.3. Zitate renommierter Persönlichkeiten mit Argumentation verknüpfen4.2.4. Argumente durch Angabe von Referenzen belegen 4.2.5. Quellen und Belege für argumentativ relevante Fakten im Abspann

bezeichnen4.2.6. Transparenz durch einen Kurztext mit Fakten zum Lernfilm

erzeugen4.2.7. Kontext herstellen und weiterführende Informationen angeben

5. Actio – Präsentation und Ausdruck5.1. Stimme Persönlichkeit (verbale Kommunikation)5.1.1. Auswahl der Sprecherinnen oder Sprecher nach Glaubwürdigkeit und

Authentizität5.1.2. Rhythmus und Tempo der Tonspur auf die Lerngeschwindigkeit ab-

stimmen5.1.3. Bedeutungen und Sinnzusammenhänge durch Vertonung bezeichnen5.1.4. Zielgruppe direkt ansprechen, Emotionen wecken und Empathie er-

zeugen5.1.5. Dramaturgie des Lernprozesses durch den klanglichen Ausdruck un-

terstützen

21Didaktik des Lernfilms

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5.2. Habitus Charakter (nonverbale Kommunikation)5.2.1. Auswahl der Schauspielerinnen und Schauspieler nach Glaubwürdig-

keit und Authentizität 5.2.2.Rhythmus und Tempo der Bewegungen auf die Lerngeschwindigkeit

abstimmen5.2.3. Bedeutungen und Sinnzusammenhänge durch Veranschaulichung be-

zeichnen5.2.4.Zielgruppe direkt anschauen, Emotionen wecken und Empathie er-

zeugen5.2.5.Dramaturgie des Lernprozesses durch den bildlichen Ausdruck un-

terstützen5.3. Mimik, Gestik und Haltung Körpersprache5.3.1. Zur Körpersprache gehören der Gesichtsausdruck, alle Bewegungen

von Händen, Armen und Kopf sowie die gesamte Körperhaltung der Lehrperson

5.3.2.Die Körpersprache vermittelt Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Respekt gegenüber den Rezipierenden, welche hierdurch persönlich angesprochen und durch den gesamten Lernprozess geführt werden

5.3.3. Die Körpersprache unterstützt den Lernprozess und die Argumenta-tion, illustriert das Lerngeschehen und zeigt den Lernerfolg an

5.3.4. Die Körpersprache bringt emotionales Engagement zum Ausdruck, erzeugt Empathie und innere Beteiligung der Rezipierenden am Lernprozess

5.3.5. Die Körpersprache unterstützt die Dramaturgie von Handlung und Lernprozess, vermittelt Lockerheit, Aufgeschlossenheit und Sympa- thie, um Lernängsten entgegenzuwirken und Vertrauen aufzubauen

Die Ästhetik des Lernfilms – Rhetorische StilfigurenIn der klassischen Rhetorik galt ”ornatus“ als Bezeichnung für den Rede-schmuck, der heute eine andere Bedeutung hat. Dem Kampf der modernenAvantgarde gegen das Ornament ist auch der Begriff ”Schmuck“ zum Opfergefallen, was negiert, dass sich das Schmücken des menschlichen Körperswie auch die Ausschmückung von Kulturprodukten und Kulturraum wie einroter Faden durch die Kulturgeschichte zieht. In Kunst, Architektur und De-sign wird der Begriff Schmuck heute weitgehend vermieden. Nur im Kunst-handwerk darf noch von Schmuck gesprochen werden. Das liegt an einem

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grundlegenden Missverständnis. Die Wut der modernen Avantgarde galtnicht dem Schmuck selbst, sondern einem Problem des Historismus, dersich frei an historischen Schmuckelementen bediente, um damit die provo-zierende Schlichtheit der aufkommenden Industrieprodukte zu verhüllen.Der semantische Zusammenhang von Form und Inhalt wurde damit aufge-geben. Der historische Begriff ”ornatus“ entspricht weit besser dem zeitge-mäßen Begriff der Ästhetik.A. Die Ästhetik des Lernfilms dient der Förderung des Lernprozesses,

dem Erreichen des Lernziels und dem Lernerfolg. B. Die Ästhetik des Lernfilms soll die Lesbarkeit, Verständlichkeit, An-

schaulichkeit und Prägnanz der inhaltlichen Aussagen und Argumente fördern.

C. Die Ästhetik des Lernfilms soll die emotionale Wirkung der inhalt- lichen Aussagen und Argumente fördern, um Aufmerksamkeit, Inter- esse, Empathie, innere Beteiligung, Einprägsamkeit und Nachhaltig- keit zu erzeugen.

Auswahl wichtiger rhetorischer GestaltungsmittelRhetorische Stilmittel oder Stilfiguren lassen sich erfolgreich für die ästhe-tische Gestaltung von Lernfilmen einsetzen. Sie bieten Filmschaffenden einegroße Vielfalt wirksamer Gestaltungsmittel, die in Sprache und Bild glei-chermaßen zur Anwendung gebracht werden können.24

hyperbel Übertreibungmetapher bildlicher Ausdruckallegorie Gleichnis einer abstrakten Ideeallusion Anspielungonomatopoeia Klangmalerei,Laute/SymboleersetzenWorte/Bilderantiquitas altertümliche Worte/Bildersynonymia Ersetzung eines Wortes/Bildes durch ein gleichbedeu- tendes konzetto geistreich witziges Gedankenspielmetonymie Spiel mit Ursache und Wirkungparadoxon scheinbare Widersprüchlichkeit (Paradox)

23

24 GERD UEDING / BERND STEINBRINK: Grundriss der Rhetorik, Stuttgart 1986.

Didaktik des Lernfilms

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repetitio Wiederholungoxymoron innerer Widerspruchellipsis Auslassungantithese polare Gegenüberstellunghyperbel starke Übertreibungaccumulatio Anhäufung inhaltlich verknüpfter Begriffelitotes Understatementironia Ironieanaphora Wiederholung eines Wortes/Bildes zu Beginn eines Abschnittesregressio erläuternder Rückgriff auf den Anfangsynonymia Wiederholung von bedeutungsähnlichen Worten/ Bildernisokolon parallele Anordnung gleichrangiger Gliederfiguare sententiae Gedankenfiguren, Sinnfigureninterrogatio Frage, auf die keine Antwort erwartet wirdcontrarium Antithese, dialektische Gedankenführungcorrectio Selbstkorrektur, Vorausplanung von Einwändencommoratio Gedankenwiederholungsubnexio Gedankenverknüpfungoccupatio erklärte Auslassunganticipatio Vorgriff auf einen Gedankengangevidentia Augenscheinlichkeit, Sehen über Worte, Sprechen über Bilderconfessio Eingeständnisfictio personae Evozieren nicht vorhandener oder fiktionaler Personenehtopoeia Mimesis, Nachahmung oder Erdichtung anwesender Personenapostrophe Abwendung vom Publikum und Zuwendung anderer Personenaposiopese Redeabbruch, Gedankengang oder Bildfolge abrupt beenden

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III Fazit

Zehn didaktische Kriterien für die Definition von Lernfilmen:Lernfilme sind audiovisuelle Medien, deren Produktion und Rezeption 1.primär der Förderung von Lehr- und Lernprozessen dienen.Lernfilme sind audiovisuelle Medien, die das zielgerichtete und metho-2.dengeleitete Erreichen von Lernzielen ermöglichen.Das analytische Potenzial von Lernfilmen fördert die Wissensvermitt-3.lung und Erfahrungsbildung und ermöglicht die Erklärung und Veran-schaulichung von Ereignissen, Prozesszusammenhängen und Erkennt-nissen.Das künstlerische Potenzial von Lernfilmen fördert Verstehensprozesse 4.und ermöglicht die ästhetische, soziale und kulturelle Bildung der Per-sönlichkeit.Zu den Kennzeichen von Lernfilmen gehören die ”klare Erkennbarkeit 5.des Lernziels“, die ”resonanzerzeugende Adressierung der Zielgruppe“, die ”didaktische Effektivität der Lehrmethode“, die ”verständliche Vermittlung von Inhalten“, die ”sachdienliche Erzeugung von Auf- merksamkeit“, die ”anhaltende Nachhaltigkeit der Lernprozesse“ und die ”kriteriengeleitete Überprüfbarkeit des Lernerfolgs“.Die Adressierung der Zielgruppe bildet den Ausgangs- und Fixpunkt bei 6.der Konzeption und Produktion von Lernfilmen, deren Interessen und Rezeptionsfähigkeiten von individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Sozialisierung, Bildung, Kultur, Religion, Familie und Herkunft be-stimmt werden. Der Einsatz von gestalterischen und technischen Mitteln, wie Bild, Ton,7.Sprache, Bewegung, Perspektive, Farbe, Licht, Ort und Zeit, Schauspiel,Dramaturgie, Kamera und Schnitt, dient im Lernfilm primär dem Lern-erfolg.Grundsätzlich lassen sich wissenschaftliche und künstlerische Formen 8.von Lernfilmen unterscheiden, die in Bezug auf Bildungsziel, Methodik und Ästhetik charakterisierbar sind. Mischformen sind sinnvoll, wenn sie den Lernerfolg fördern.Bei wissenschaftlichen Lernfilmen wird das Lernziel in Form einer klar 9.verständlichen Fragestellung definiert. Der Inhalt spiegelt den Stand von Theorie, Forschung und Praxis im ausgewählten Themenfeld wie

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der. Subjektive Meinungen müssen als solche erkennbar bleiben. Aus-sagen müssen durch Quellen belegt sein. Die fachliche Richtigkeit darf durch inhaltliche Reduktion und künstlerische Mittel nicht beeinträch-tigt werden. Der Inhalt wird soweit didaktisch reduziert, dass die Beant-wortung der Fragestellung am Ende klar und eindeutig möglich ist.

10. Bei künstlerischen Lernfilmen wird das Lernziel von den Wirkungen definiert, die durch Rezeption und Produktion bei Lehrenden und Ler-nenden erreicht werden. Die beabsichtigten Wirkungen (Lernziel) werden von der Intentionalität der Verfasser bestimmt. Der Lernerfolg zeigt sich an den Reaktionen der Rezipierenden. Da der Lernprozess bei künstlerischen Lernfilmen weitgehend implizit erfolgt, muss dieser zur Initiierung von Verstehensprozessen und Sicherung des Lernerfolgs durch didaktische Mittel wie gemeinsame Filmbesprechungen, eigen-ständige Filmanalysen, Interpretationen oder gestalterische Interven- tionen expliziert werden.

Zehn didaktische Kriterien für die erfolgreiche Gestaltung von Lern-filmen

1. Thema bestimmen Am Anfang jeder Lernfilmkonzeption steht die Themenfindung. Der Inhaltmuss narrativ strukturierbar und anschaulich vermittelbar sein. Audiovisu-elle Medien haben eine lineare Erzählstruktur, die zeitliche, räumliche undthematische Sprünge zulässt. 2. Lernziel bestimmen und Fragestellung entwickelnDas Lernziel soll in Form einer verständlichen Fragestellung formuliertwerden, an der sich alle weiteren Lernphasen bis zur vollständigen undschlüssigen Beantwortung orientieren. Die Konzeption, Gestaltung und Pro-duktion von Lernfilmen dient dem Erreichen des Lernziels und der nach-haltigen Sicherung des Lernerfolgs. 3. Didaktische Reduktion der LerneinheitJeder Lernfilm ist eine in sich abgeschlossene Lerneinheit, die das ErreicheneinesvorherdefiniertenLernzielsermöglicht.MittelsdidaktischerReduktionder Komplexität von Fragestellung und Inhalten muss sichergestellt werden,dass der angestrebte Lernerfolg erreichbar ist. Inhalte, die zur Beantwortung

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der Fragestellung notwendig sind, müssen bestimmt, sprachlich strukturiertund anschaulich dargestellt werden. Die Anordnung der Inhalte muss soerfolgen,dasseinnachhaltigerLernerfolggewährleistetwerdenkann.Formenund Inhalte, die zur Beantwortung der Fragestellung unnötig sind, solltenkomplett weggelassen oder alternativ in einem weiteren Lernfilm vermitteltwerden.DieQuantitätdernotwendigenInhalteunddamitdieLängedesLern-films lassen sich durch die Eingrenzung und Erweiterung der Fragestellungsteuern. Mit der Problemlösung können weitere Aspekte, Varianten undWege zum Ziel vermittelt werden. Fachbegriffe wie fachspezifische BilderundGrafikenmüssenerklärtwerden,woFachkenntnisseundVorerfahrungennicht vorausgesetzt werden können. Ungeklärte Fragen sollten nur dann imRaum verbleiben, wenn ein anschließenderDiskurs erfolgt, eine FortsetzunginFormeinerLernfilmreihegeplantistoderweiterführendeQuellengenanntwerden.4. Wahl der VermittlungsmethodeDas Thema entscheidet über die Vermittlungsmethode. Das analytische Po-tenzial von Lernfilmen lässt sich besonders effektiv zur Vermittlung wissen-schaftlicher Themenstellungen nutzbar machen. Analytisch strukturierteLernfilme fördern die Wissensvermittlung und Erfahrungsbildung und er-möglichen die Erklärung und Veranschaulichung von Ereignissen, Prozess-zusammenhängen und Erkenntnissen. Das analytische Potenzial vonLernfilmen lässt sich besonders effektiv zur Anregung von Verstehenspro-zessen nutzbar machen. Künstlerisch strukturierte Lernfilme fördern die äs-thetische, soziale und kulturelle Bildung der Persönlichkeit.5. Titel, Titelbild und InhaltsangabeTitel, Titelbild und Inhaltsangabe (Abstract) eines Lernfilms müssen so ge-staltet sein, dass die Interessen der Zielgruppe erfolgreich angesprochen wer-den und das Lernziel erkennbar wird. Die Einbeziehung und Angabe vonSchlagworten erregt Aufmerksamkeit und erleichtert Menschen wie Algo-rithmen die Suche. 6. ZielgruppenanalyseLernfilme werden für Zielgruppen von Lernenden gemacht, obgleich selbst-verständlich auch ganz andere Rezipierende davon profitieren können. Diefür den Bildungserfolg notwendige neugierige und wissbegierige Grundhal-

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tung der Zielgruppe darf nicht vorausgesetzt, sondern muss durch Inhaltund Dramaturgie des Lernfilms erzeugt werden. Form und Inhalt einesLernfilms müssen so bestimmt und gestaltet werden, dass sie das Erreichendes Lernziels und die nachhaltige Sicherung des Lernerfolgs bei der anvi-sierten Zielgruppe optimal fördern. Lernfilme müssen für die Zielgruppeder anvisierten Lernenden verständlich, interessant und unterhaltsam ge-staltet sein. 7. Ästhetische Gestaltung und RhetorikDie Ästhetik des Lernfilms bestimmt die Form der Wahrnehmung, die wie-derum auf den Inhalt zurückwirkt. Die Art und Weise wie etwas zur Spracheund Anschauung gebracht wird, bestimmt das Werturteil der Rezipierenden.Durch Vernachlässigung der Formebene in der Lernfilmgestaltung könnenwichtige Aussagen verfälscht werden oder ganz verloren gehen. Die Rhetorikist ein bewährtes Mittel zur ästhetischen Gestaltung sprachlich strukturierterInhalte, das sich in der hier beschriebenen Form auch für die Gestaltung vonLernfilmen eignet. Niemand kann zum Lernen gezwungen werden, waslange bekannt und durch den Stand der Neurowissenschaften belegt ist.Lernfilme gründen auf der Kunst, ihr Zielpublikum durch wirksame Argu-mente vom Lernen zu überzeugen. Kognitive und emotionale Faktoren wieNeugier, Spieltrieb, Wissbegier und Lustgefühl sind dafür von Nutzen, wenndie Zielgruppe bis zum Ende am filmischen Geschehen beteiligt bleibt, dasErgebnis verinnerlicht und bei Bedarf nachvollziehbar darstellen kann.8. Stand der Forschung und Praxis recherchieren und überprüfenBei der Themensuche ist auf die Möglichkeit zur fachlichen Überprüfungder Lerninhalte zu achten, da nach wissenschaftlichen Standards ausschließ-lich der Stand von Theorie, Forschung und Praxis gezeigt werden darf.Künstlerische Annäherungen müssen als solche erkennbar bleiben. Kunst-werke oder Künstlerpersönlichkeiten sprechen für sich oder werden durchdie Expertise verschiedener Wissenschaften analysiert, kontextualisiert undeingeordnet. Ungeklärte Probleme, divergente Lösungsansätze, wiederspre-chende Erklärungen sowie unterschiedliche Erfahrungshintergründe müs-sen als solche gekennzeichnet werden. Das kann durch Gegenüberstellungvon Thesen, Erklärungsmodellen und Expertenmeinungen erreicht werden. 9. Erziehung zu Offenheit, Kritik- und DiskursfähigkeitLernfilme sollten weder in Teilen noch im Ganzen belehrend sein, sonderndie Zuschauerinnen und Zuschauer zu einer neugierigen kritischen Haltung

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gegenüber jeder Form von Wissensvermittlung und Erfahrungsbildung er-ziehen. Lernfilme sollten Wissenschaftskritik und eine offene Geisteshaltungfördern, da Wissen und Erkenntnis stets erweitert oder falsifiziert werdenkönnen. Wo das nicht möglich ist, handelt es sich um Glaubensgrundsätzeoder persönliche Meinungen, die als solche zu kennzeichnen sind. Was füreine Frage- bzw. Problemstellung als Antwort oder Lösung richtig ist, kannfür ähnliche Fälle bereits zu missverständlichen oder falschen Aussagen füh-ren. Daher ist es wichtig, dass jeder Lernfilm Rückschlüsse auf Rahmenbe-dingungen, Quellen und Denkstrukturen ermöglicht. Lernfilme sollenDiskussionen, Feedback und Reflexionen sowie kritische Bewertungen zuInhalt, Form und Methoden anregen. 10. Evaluationskriterien und Ergebnissicherung Die Konzeption von Lernfilmen beinhaltet die Bestimmung des Lernziels,was die Überprüfbarkeit des Lernerfolgs gewährleistet. Die Kriterien für dieEvaluation und Bewertung des Lernerfolgs ergeben sich aus der Frage, obund inwieweit die Lernenden der adressierten Zielgruppe das vorgegebeneLernziel erreicht haben. Die Aufstellung der Evaluationskriterien sollteam Beginn der Lernfilmkonzeption erfolgen, da sie wichtige Zielvorgabenim gesamten Konzeptions- und Produktionsprozesses bilden. Die Verschrift-lichung der Kriterien kann in der Inhaltsangabe erfolgen, wodurch Lehrendeund Lernende gleichermaßen Zielvorgaben für den Diskurs und die Evalua-tion des Lernerfolgs erhalten. Für die Ergebnissicherung ist es wichtig, dieunterschiedlichen Zielstellungen von wissenschaftlichen und künstlerischenLernfilmen in den Blick zu nehmen. Wurde die Form einer wissenschaftli-chen Fragestellung gewählt, können konkretes Faktenwissen und Metho-denkompetenz evaluiert werden. Wurde die Form einer künstlerischenFragestellung gewählt, können themenbezogene Verstehensprozesse undMerkmale der Persönlichkeitsbildung evaluiert werden.

Zehn didaktische Kriterien für die Analyse, Beurteilung und Bewertungvon Lernfilmen

Im Zentrum der Beurteilung und Bewertung von Lernfilmen steht derLernerfolg. Die Analyse des Lernerfolgs muss objektiv durchgeführt werdenund zur Bildung von nachvollziehbaren Bewertungskriterien führen. Einguter Lernfilm sichert die im Vorfeld fixierten Lernziele bei der anvisierten

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Zielgruppe. Das Qualitätskriterium für einen guten Lernfilm ist das Maßdes Lernerfolges, das im Vorfeld festgelegt und im Nachgang evaluiert wer-den kann. 1. Definition des LernzielsWurde das Lernziel klar definiert? Welche Relevanz hat die Fragestellungdes Lernfilms für die allgemeine oder fachliche Bildung? 2. Filmrhetorisches Konzept Erzeugen die Fragestellung und das Erscheinungsbild des LernfilmsAufmerksamkeit und Interesse bei der Zielgruppe? Wurden das Lernvermö-gen und Lernverhalten der Zielgruppe zutreffend analysiert? Ist das Lernzielvon der Zielgruppe erreichbar? Welche rhetorische Methode und welcherhetorischen Mittel werden zur Ansprache, Überzeugung und nachhaltigenSicherung des Lernerfolgs bei der Zielgruppe eingesetzt? 3. Inhaltliches VermittlungskonzeptWelches Wissen und welche Erfahrungen sollen den Rezipierenden durchden Lernfilm vermittelt werden? Sind die beschriebenen Inhalte für dasErreichen und die Sicherung des Lernziels notwendig und ausreichend?Sind die beschriebenen Inhalte gut recherchiert und durch Quellen abgesi-chert? Inwieweit dient das Storytelling dem Erreichen des Lernziels und dernachhaltigen Sicherung des Lernerfolgs? 4. Methodisches LehrkonzeptIst eine Lehrmethode erkennbar und inwieweit dient diese dem Erreichendes Lernziels und der nachhaltigen Sicherung des Lernerfolgs? 5. Mediendidaktisches KonzeptIst das Storyboard emotional überzeugend, inhaltlich klar und methodischsinnvoll strukturiert? Werden filmische Mittel wirksam für das Erreichendes Lernziels und die nachhaltigen Sicherung des Lernerfolgs eingesetzt?Wird die notwendige mediendidaktische Reduktion im Storyboard nach-gewiesen? In welchem Kontext ist der Einsatz des Lernfilms besonderseffektiv? 6. Mediengestalterisches KonzeptWelche Funktion hat die mediale Gestaltung für das Erreichen des Lernzielsund die nachhaltige Sicherung des Lernerfolgs? Werden die im Storyboardaufgeführten Gestaltungsideen und Darstellungstechniken methodischsinnvoll eigesetzt? Inwieweit unterstützt die Form des Lernfilms dieVermittlung und den Diskurs des Inhalts?

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7. Medientechnisches KonzeptGibt es eine realistische Planung für den zeitlichen, organisatorischen undtechnischen Ablauf der Filmproduktion (Konzeptphase, Planungsphase,Produktionsphase, Postproduktionsphase) und wie gut wurde diese vor-bereitet? 8. Qualität der UmsetzungWelche ästhetische, inhaltliche und didaktische Qualität hat der Lernfilm?Wie hoch ist der Unterhaltungswert des Lernfilms und welchen Beitragliefert dieser für das Erreichen des Lernziels und die nachhaltige Sicherungdes Lernerfolgs? Wie effektiv ist das Verhältnis zwischen Aufwand undNutzen des Lernfilms für den Lernerfolg der Zielgruppe?9. BildungswertWelchen Bildungswert hat der Lernfilm für die Zielgruppe? Welchen Werthat das Wissen für die allgemeine und fachliche Bildung der Zielgruppe?Welche Emotionen und Gefühle werden bei der Zielgruppe geweckt undgelingt hierdurch die Empathiebildung? Inwieweit ermöglicht der Lernfilmeine individuelle Förderung der Rezipierenden? Gibt es Möglichkeiten zurBinnendifferenzierung unter Beachtung der kognitiven, sozialen, kulturellenund emotionalen Diversität der Zielgruppe?10. EvaluationInwieweit wurde das Lernziel durch die Filmrezeption erreicht? Erreicht derLernfilm seine Zielgruppe? Wie wird der Lernfilm von der Zielgruppebewertet? Gab es einen Diskurs zum Lernfilm und welche Rolle spielt dieserfür den Lernerfolg? Wie nachhaltig ist der Lernerfolg?

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