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efragt in einer Abiturzeitung nach ihren Zukunftsträumen, antwortet eine türkischstäm- mige Abiturientin, dass sie in ein paar Jahren hoffentlich ausgewan- dert sein werde und fügt in Klam- mern Istanbul als ihr Wunschziel hinzu. In der dynamischen Stadt am Bosporus, in der fast ein Viertel der Einwohner der Türkei leben und die nach den Plänen ihres ehemaligen Oberbürgermeisters und gegenwärti- gen türkischen Ministerpräsidenten Erdogan noch einmal in giganti- schem Ausmaß erweitert werden soll, gibt es mittlerweile einen mo- natlich wachsenden „Stammtisch“ remigrierter Akademikerinnen und Akademiker aus Deutschland. Gleichzeitig weisen in Integrations- erklärungen deutsche Politiker zu- frieden darauf hin, dass die Zahl der Schulabbrecher unter Migranten ste- tig sinke und die der Abschlüsse an weiterführenden Schulen kontinuier- lich steige. Nimmt man die Anstrengungen in den Kindergärten und Kinderta- gesstätten hinzu, so ergibt sich das Bild, dass Integration mittlerweile von klein auf angelegt ist, an einem bestimmten Punkt aber noch immer scheitert. Denn es ist nicht nur das Geld, das in die Weltmetropole in Kleinasien lockt. Es ist auch die Chancenungleichheit auf dem hiesi- gen Arbeitsmarkt. Und damit ver- bunden die schmerzlich empfundene Abwertung der Person. Die Anstren- gungen der Landesregierung, Inter- kulturalität zu fördern und auf eine offene Gesellschaft hinzuwirken, sind daher nur zu begrüßen. Eine Ungleichbehandlung bekla- gen auch die Vertreter islamischer Verbände, wenn die Religion zum Thema wird. Ob es um die flächen- deckende Einrichtung von islami- schem Religionsunterricht geht, um den seelsorgerischen Zugang zu Ge- fängnissen und Krankenhäusern, um die Diskriminierung von Kopftuch- trägerinnen oder um die Erhebung von Kirchensteuern – die rechtliche Gleichstellung mit anderen Reli- gionsgemeinschaften wird vermisst. Und dies zu Recht. Denn weder der Bund noch die Länder dürfen nach höchstrichterlichem Beschluss eine Religion bevorzugen respektive benach teiligen. Dennoch gibt es Gründe, warum noch kein Staatsver- trag mit muslimischen Vertretern ab- geschlossen wurde. Die wesent- lichen betreffen den Organisations- grad und die Frage nach einer ein- heitlichen islamischen Vertretung. Mit der Einrichtung des „Runden Tisches Islam“ in Rheinland-Pfalz wird die islamische Repräsentanz in Zukunft direkt zwischen Vertretern der Landesregierung und muslimi- schen Verhandlungspartnern ausge- handelt werden. Es ist zu erwarten, dass einige wichtige Fragen dabei kontrovers diskutiert werden: Soll es eine oder mehrere islamische Reli- gionsgemeinschaften geben? Werden bestehende Verbände bestätigt oder wird es eine neue Organisations- form, zum Beispiel eine „Islamische Religionsgemeinschaft Rheinland- Pfalz“, geben? Welche religiösen Kompetenzen wird diese für sich in Anspruch nehmen können? Wird sie die alleinige Entscheidungsinstanz in religiösen Angelegenheiten sein? Was geschieht mit den Organisatio- nen, die nicht in die „Religionsge- meinschaft“ aufgehen? Welchen Ein- fluss werden Organisationen und Be- hörden aus den jeweiligen Her- kunftsländern nehmen? Neben diesem politischen Auf- bruch ist noch eine andere Entwick- lung wahrzunehmen. Mit der Ein- richtung islamischer Lehrstühle an hiesigen Universitäten zeichnet sich eine neue Form und Ausgestaltung der Theologie ab. Diese wird lang- fristig islamische Einstellungen und Lebensformen in Deutschland beein- flussen. Und ihre Protagonisten wer- den manchen Kampf mit den Vertre- tern konservativer Einrichtungen ausfechten. Obwohl es in Rheinland- Pfalz bisher keinen islamischen Lehrstuhl gibt, sollte dieses Poten- zial bei den Verhandlungen am „Runden Tisch“ dennoch nicht außer Acht gelassen werden. Die Landes- regierung könnte auf kreative Weise solche liberalen Strömungen inte- grieren. Liest man migrationspolitische Stellungnahmen und Forderungen, so ist die Zeit, in der Integration als Anpassung an und Einpassung in be- stehende Verhältnisse gedeutet wur- de, vorüber. Das Zauberwort lautet Pluralität. Dies gilt mit den Erstver- handlungen am „Runden Tisch Is- lam“ auch für die Religion. Doch Pluralität ist ein denkbar unpräziser Begriff. Daher wird es eine Aufgabe des Runden Tisches sein, auch auf Details und Inhalte zu achten und kritische Punkte anzupacken. Darun- ter fallen das Negativbild des Islam in der deutschen Öffentlichkeit und die Diskriminierung auf dem Woh- nungs- und Arbeitsmarkt. Darunter fallen der Einfluss radikal-islami- scher Strömungen auf junge Mus- lime und neo-osmanische Gesell- schaftsbilder. Darunter fallen patriar- chalische Gewaltstrukturen und die strukturelle Diskriminierung von Frauen im islamischen Familien- recht. Wenn nicht nur politisches Kalkül die Verhandlungen bestimmt, hat der Runde Tisch die Chance, we- sentlich Einfluss auf das Zusammen- leben der Menschen in Rheinland- Pfalz zu nehmen. Wird diese Chance verspielt, wäre dies umgekehrt ein Indiz dafür, dass zur Ausprägung ei- nes Zusammengehörigkeitsgefühls mehr als (religions-)politische Ver- handlungen gehören. Georg Wenz Istanbul: Auswanderungsziel junger in Deutschland lebender Türken. (Foto: epd) Interkulturalität als politische Aufgabe Von Runden Tischen, Integration und Gemeinschaftsgefühl I n dieser Ausgabe: Der Runde Tisch Islam in Rheinland-Pfalz Migrationsforschung und Parallelgesellschaft G PROTE TE Ausgabe 50 AUS DER EVANGELISCHEN AKADEMIE DER PFALZ 29. 4. 2012 X

Evangelische Kirche der Pfalz - PROT E TE X · 2012-04-26 · den Evangelischen Akademien in Deutschland wird diese Frage kon - trovers diskutiert. ... Begleitende Tagungsreihe zum

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Page 1: Evangelische Kirche der Pfalz - PROT E TE X · 2012-04-26 · den Evangelischen Akademien in Deutschland wird diese Frage kon - trovers diskutiert. ... Begleitende Tagungsreihe zum

efragt in einer Abiturzeitungnach ihren Zukunftsträumen,antwortet eine türkischstäm-

mige Abiturientin, dass sie in einpaar Jahren hoffentlich ausgewan-dert sein werde und fügt in Klam-mern Istanbul als ihr Wunschzielhinzu. In der dynamischen Stadt amBosporus, in der fast ein Viertel derEinwohner der Türkei leben und dienach den Plänen ihres ehemaligenOberbürgermeisters und gegenwärti-gen türkischen MinisterpräsidentenErdogan noch einmal in giganti-schem Ausmaß erweitert werdensoll, gibt es mittlerweile einen mo-natlich wachsenden „Stammtisch“remigrierter Akademikerinnen undAkademiker aus Deutschland.Gleichzeitig weisen in Integrations-erklärungen deutsche Politiker zu-frieden darauf hin, dass die Zahl derSchulabbrecher unter Migranten ste-tig sinke und die der Abschlüsse anweiterführenden Schulen kontinuier-lich steige.

Nimmt man die Anstrengungenin den Kindergärten und Kinderta-gesstätten hinzu, so ergibt sich dasBild, dass Integration mittlerweilevon klein auf angelegt ist, an einembestimmten Punkt aber noch immerscheitert. Denn es ist nicht nur dasGeld, das in die Weltmetropole inKleinasien lockt. Es ist auch dieChancenungleichheit auf dem hiesi-gen Arbeitsmarkt. Und damit ver-bunden die schmerzlich empfundeneAbwertung der Person. Die Anstren-gungen der Landesregierung, Inter-kulturalität zu fördern und auf eineoffene Gesellschaft hinzuwirken,sind daher nur zu begrüßen.

Eine Ungleichbehandlung bekla-gen auch die Vertreter islamischerVerbände, wenn die Religion zumThema wird. Ob es um die flächen-deckende Einrichtung von islami-schem Religionsunterricht geht, um

den seelsorgerischen Zugang zu Ge-fängnissen und Krankenhäusern, umdie Diskriminierung von Kopftuch-trägerinnen oder um die Erhebungvon Kirchensteuern – die rechtlicheGleichstellung mit anderen Reli-gionsgemeinschaften wird vermisst.Und dies zu Recht. Denn weder derBund noch die Länder dürfen nachhöchstrichterlichem Beschluss eineReligion bevorzugen respektivebenach teiligen. Dennoch gibt esGründe, warum noch kein Staatsver-trag mit muslimischen Vertretern ab-geschlossen wurde. Die wesent-lichen betreffen den Organisations-grad und die Frage nach einer ein-heitlichen islamischen Vertretung.

Mit der Einrichtung des „RundenTisches Islam“ in Rheinland-Pfalzwird die islamische Repräsentanz inZukunft direkt zwischen Vertreternder Landesregierung und muslimi-schen Verhandlungspartnern ausge-handelt werden. Es ist zu erwarten,dass einige wichtige Fragen dabei

kontrovers diskutiert werden: Soll eseine oder mehrere islamische Reli-gionsgemeinschaften geben? Werdenbestehende Verbände bestätigt oderwird es eine neue Organisations-form, zum Beispiel eine „IslamischeReligionsgemeinschaft Rheinland-Pfalz“, geben? Welche religiösenKompetenzen wird diese für sich inAnspruch nehmen können? Wird siedie alleinige Entscheidungsinstanz inreligiösen Angelegenheiten sein?Was geschieht mit den Organisatio-nen, die nicht in die „Religionsge-meinschaft“ aufgehen? Welchen Ein-fluss werden Organisationen und Be-hörden aus den jeweiligen Her-kunftsländern nehmen?

Neben diesem politischen Auf-bruch ist noch eine andere Entwick-lung wahrzunehmen. Mit der Ein-richtung islamischer Lehrstühle anhiesigen Universitäten zeichnet sicheine neue Form und Ausgestaltungder Theologie ab. Diese wird lang-fristig islamische Einstellungen und

Lebensformen in Deutschland beein-flussen. Und ihre Protagonisten wer-den manchen Kampf mit den Vertre-tern konservativer Einrichtungenausfechten. Obwohl es in Rheinland-Pfalz bisher keinen islamischenLehrstuhl gibt, sollte dieses Poten-zial bei den Verhandlungen am„Runden Tisch“ dennoch nicht außerAcht gelassen werden. Die Landes-regierung könnte auf kreative Weisesolche liberalen Strömungen inte-grieren.

Liest man migrationspolitischeStellungnahmen und Forderungen,so ist die Zeit, in der Integration alsAnpassung an und Einpassung in be-stehende Verhältnisse gedeutet wur -de, vorüber. Das Zauberwort lautetPluralität. Dies gilt mit den Erstver-handlungen am „Runden Tisch Is-lam“ auch für die Religion. DochPluralität ist ein denkbar unpräziserBegriff. Daher wird es eine Aufgabedes Runden Tisches sein, auch aufDetails und Inhalte zu achten undkritische Punkte anzupacken. Darun-ter fallen das Negativbild des Islamin der deutschen Öffentlichkeit unddie Diskriminierung auf dem Woh-nungs- und Arbeitsmarkt. Darunterfallen der Einfluss radikal-islami-scher Strömungen auf junge Mus-lime und neo-osmanische Gesell-schaftsbilder. Darunter fallen patriar-chalische Gewaltstrukturen und diestrukturelle Diskriminierung vonFrauen im islamischen Familien-recht. Wenn nicht nur politischesKalkül die Verhandlungen bestimmt,hat der Runde Tisch die Chance, we-sentlich Einfluss auf das Zusammen-leben der Menschen in Rheinland-Pfalz zu nehmen. Wird diese Chanceverspielt, wäre dies umgekehrt einIndiz dafür, dass zur Ausprägung ei-nes Zusammengehörigkeitsgefühlsmehr als (religions-)politische Ver-handlungen gehören. Georg Wenz Istanbul: Auswanderungsziel junger in Deutschland lebender Türken. (Foto: epd)

Interkulturalität alspolitische Aufgabe Von Runden Tischen, Integration und Gemeinschaftsgefühl

In dieser Ausgabe:

Der Runde Tisch Islam in Rheinland-Pfalz

Migrationsforschung und Parallelgesellschaft

G

PROTE TEAusgabe 50

A U S D E R E V A N G E L I S C H E N A K A D E M I E D E R P F A L Z

29. 4. 2012 X

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Alles begann 1865 mit den Erbsenvon Gregor Mendel, der Gesetzmä-ßigkeiten in der Vererbung vonFarbe und Form erkannte. SechsJahre zuvor hatte Charles Darwin„The Origin of Spe-cies“ publiziert. SeineThese lautete, dass Ar-ten entstehen, indemdie am besten an dieUmwelt angepasstenIndividuen überleben.

Anfang des 20.Jahrhunderts beganndie Suche nach denmolekularen Grundla-gen der Vererbung.Zwar war die Desoxyri-bonukleinsäure (DNS) bekannt, ihreFunktion und Struktur aber unge-klärt. Avery, McLeod und McCartykonnten 1944 zeigen, dass die DNSTrägerin der Erbsubstanz ist. NeunJahre später entschlüsselten Watsonund Crick die dreidimensionaleStruktur der DNS, die zu einer Ikoneder Genetik avancierte.

Richard Dawkins veröffentlichte1976 das Buch „The selfish Gene“,in dem er das Gen als fundamentaleEinheit der natürlichen Selektion be-schreibt, die den Organismus nur alsÜberlebensmaschine benutzt. Wiralle, so Dawkins, seien nichts ande-res als Marionetten unserer Gene.2001 wurde schließlich die vollstän-dige Sequenzierung des mensch-lichen Genoms verkündet.

Diese Sonderrolle der Gene wirdneuerdings immer stärker kritisiert.Die vereinfachende Rede von einemgenetischen Programm, das in derDNS gespeichert ist und alle Anga-ben zur Entwicklung beinhaltet,widerspricht dem aktuellen biologi-schen Kenntnisstand und ist aus bio-philosophischer Sicht problematisch.

Es setzt sich die Einsicht durch,dass die Frage, ob die Gene oder dieUmwelt den Menschen forme, falschgestellt ist. Zahlreiche Beispiele füh-ren vor Augen, wie die Umwelt di-rekt auf das Genom einwirkt und dieAktivität der Gene steuert. Gene undUmwelt sind keine konkurrierendenEinflüsse, sondern wirken zusam-men, um einen Organismus an sei-nen Lebensraum anzupassen.

Ein neues Forschungsfeld unter-sucht dieses Wechselspiel: die Epi-genetik. Die griechische Wortsilbe„Epi“ bedeutet „neben, über“, dasEpigenom bezeichnet also eine neueInformationsebene neben oder überdem Genom. Die Epigenetik unter-

Luitpoldstrasse

Editorial Der zweite Code: Epigenetik

Akademiedirektor Christoph Picker.

Soll eine Evangelische Akademiespezifisch theologische Fragestellun-gen im „Portfolio“ haben? Passt daszum traditionellen Auftrag, sich ingesellschaftspolitische Debatten ein-zuschalten – und damit als Grenz-gängerin über den kirchlichen Kern-bereich hinaus zu wirken? Inden Evangelischen Akademien inDeutschland wird diese Frage kon-trovers diskutiert.

Wenn wir umstrittene Fragen derGendiagnostik auf die Tagesordnungsetzen, wie zuletzt bei einem Stu-dientag der Akademie mit demEvangelischen Trifelsgymnasium inAnnweiler oder bei den LandauerAkademiegesprächen, dann stehenkomplexe biologische, psychologi-sche und juristische Sachverhalte zurDebatte. Selbstverständlich ladenwir Fachleute ein, die differenziertAuskunft geben können. Der Hom-burger Humangenetiker WolframHenn hat das auf beeindruckendeWeise getan. In anderen Fällen sindes Ökonomen, Sozialpolitiker oderMigrationsforscher, die aus ihrerPerspektive die Welt erklären.

Leitwissenschaft der Kirche istdie Theologie. Sie entfaltet die bibli-sche Überlieferung, durchdenkt dasVerhältnis von Gott und Mensch undgibt Antworten auf grundlegendeFragen unserer Existenz: von Elend,Erlösung und Dankbarkeit, vonWürde und Scheitern, von Schuldund Vergebung, Leben und Tod.Wenn die Kirche als gesellschaft-licher Akteur ernst genommen wer-den will, tut sie gut daran, ihre eige-nen Grundlagen ernst zu nehmenund qualifiziert ins Gespräch zubringen. Mit Schlagworten und Be-

troffenheitsurteilen werden wir keinesinnvolle Orientierungshilfe leisten– und wenig zu einer humanen Ge-staltung der Zukunft beitragen.

Die Evangelische Akademie istein Ort, an dem die Ausdrucksfähig-keit und Urteilskraft des christlichenGlaubens eingeübt wird. Im Ge-spräch mit anderen Fachperspekti-ven, Erfahrungswelten und Weltan-schauungen erproben wir die Rele-vanz der christlichen Überlieferung.Und wir kultivieren Theologie. Ge-nauso wie wir von anderen erwarten,dass sie ihre Perspektiven vernünf-tig, differenziert und durchdacht ein-bringen. Das ist nach reformatori-scher Überzeugung übrigens nichtnur eine Angelegenheit von Univer-sitätstheologen und Amtsträgern,sondern aller mündiger Christen.

Ihr Akademiedirektor

Hausmitteilung

Impressum

Erfolgreiche Drittmitteleinwerbung: Die Evangelische Akademie der Pfalzkonnte sich unter zahlreichen Mitbewerbern um Drittmittel des Bundesmi-nisteriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchsetzen. Im Rahmender Förderlinie „Zukunftsprojekt Erde – Begleitende Tagungsreihe zumWissenschaftsjahr 2012“ werden die Akademie-Veranstaltungen „We FeedThe World“ I und II mit insgesamt über 10 000 Euro durch das Bildungs-ministerium gefördert. Beide Workshops sind Teil des neuen Projektes„Junge Akademie Verantwortliches Wirtschaften“, das an der Evangeli-schen Akademie der Pfalz 2012 startet und sich an begabte Schülerinnenund Schüler sowie Studienanfänger richtet, um sie für wirtschaftsethischeFragen zu sensibilisieren. Jan Hendrik Quandt

Herausgeber: Evangelische Akademie der Pfalz, Luitpoldstr. 10, 76829Landau, Tel.: 0 63 41 / 9 68 90-30, Fax: 0 63 41 / 9 68 90-33,e-mail: [email protected], Direktor: Dr. Christoph Picker

Redaktion: Dr. Christoph Picker und Dr. Martin SchuckVerlag: Verlagshaus Speyer GmbH, Beethovenstr. 4, 67346 Speyer,

Tel.: 0 62 32/2 49 26, Fax: 0 62 32/13 23-44 Zuschriften an den Verlag, Redaktion Protexte.

sucht den Einfluss der Umwelt aufdie Gene, wie die Umwelt Markie-rungen im Genom hinterlässt undwelche Folgen sich daraus ergeben.Die epigenetischen Markierungen

sind dauerhaft, werdenbei einer Zellteilung andie Tochterzellen wei -ter ge geben und bildenein Gedächtnis für ver-gangene Ereignisse.

Die Epigenetikeruntersuchen nicht dieAbfolge der Bausteinein der DNS. Sie erfor-schen, welche Faktorendie etwa 25 000 Genedes Erbstranges steu-

ern. Das klassische Dogma der Bio-chemie des letzten Jahrhunderts lau-tete: Der Genotyp bestimmt den Phä-notyp. Dieses Dogma muss nun auf-gegeben werden.

Neue molekulare Vererbungsme-chanismen sind DNS-Methylierung,Modifikation von Histonenden undImprinting. Sie basieren auf der ver-erblichen chemischen Veränderungder DNS oder der Proteine, um wel-che die DNS im Zellkern gewickeltist. Ihre Implikationen sind weitrei-chend: Sie erzwingen einen Paradig-menwechsel in der Vererbungslehre,verändern unser Verständnis vomMenschen und eröffnen neue Per-spektiven in der Medizin.

Die Forschungsergebnisse derEpigenetik bestätigen die sokratischeEinsicht „Scio ut nescio“. Wer hättegedacht, dass es eine Vererbung jen-seits der DNS geben könnte? Dieneue Disziplin lehrt uns Bedacht-samkeit im Urteilen. Der Mensch istweder eine Marionette seiner Genenoch ein kulturelles Ätherwesen. DerMensch ist ein höchst komplexesGefüge aus Natur und Kultur, Genenund Umwelteinflüssen.

Die Erkenntnisse der Epigenetiksind auch in der Biophilosophie zudiskutieren. Gen-Determinismus undGen-Fatalismus werden widerlegt.Neue Handlungsspielräume werdeneröffnet, neue Verantwortungspro-bleme aufgeworfen. Wenn unsereLebensführung genregulative Wir-kung entfaltet, dann erscheinen All-tagshandlungen wie Ernährungsver-halten als Biotechniken. Fügt dietransgenerationale Vererbbarkeit dererworbenen Regulationsmuster derindividuellen Verantwortung der Per-son auch eine transgenerationaleVerantwortung im biologischenSinne hinzu? Katrin Platzer

Die Rede von

einem genetischen

Programm wider-

spricht dem aktu-

ellen biologischen

Kenntnisstand.

Ein altes Problem in Philosophie und Biologie ist die Frage, worin die Es-senz eines Lebewesens besteht. Warum zeigt es sich so und nicht anders?Worin wurzeln seine Eigenschaften und Verhaltensweisen? Die moderneGenetik bietet eine schlüssige Antwort: Die genetische Ausstattung be-stimmt Wesen und Erscheinung eines Lebewesens. Katrin Platzer be-schreibt das neue Forschungsfeld der Epigenetik und geht der Fragenach, wie wir werden, was wir sind.

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eutschland ist ein Einwande-rungsland. Diese Einsicht ließlange Zeit auf sich warten.

Das Thema der Integration von Zu-wanderern spielte über viele Jahr-zehnte eher eine Nebenrolle. Manglaubte, Ausländer müssten lediglichdie deutsche Sprache lernen und sichan die hiesigen Gegebenheiten an-passen, dann würde es mit der Inte-gration schon von alleine klappen.Es bestand der hartnäckige Glaube,Deutschland brauche sich durch dieZuwanderung nicht zu verändern,nicht in seinen Strukturen, nicht inseinem Selbstverständnis. DiesesSelbstverständnis war geprägt vonder Vorstellung einer deutschen Kul-turnation, die Vielfalt nicht verträgt,weil diese eine Gefahr für den Zu-sammenhalt einer vermeintlich ho-mogenen Gesellschaft darstellt. Inte-gration konnte hier zwangsläufig nurAssimilation bedeuten.

Seit gut zehn Jahren setzt sichlangsam ein Konsens durch, wonachDeutschland ein Einwanderungslandist. Politik und Gesellschaft haben inden vergangenen Jahren beachtlicheAnstrengungen unternommen, umdiesem Anspruch gerecht zu werden.

Doch immer wieder erleidet dieser Paradigmenwechsel Rück-schläge. Vor allem die Integrations-debatten der vergangenen Jahre zei-gen, wie fragil diese Entwicklungist. Denn diese Auseinandersetzun-gen bringen mehr Kollateralschädenals Nutzen mit sich. Bisher, so diebittere Erkenntnis, haben sie vor al-lem Ressentiments gegenüber Zuge-wanderten salonfähiggemacht.

Dies ist für vieleenttäuschend. Hatteman doch bereits denEindruck gewonnen,Deutschland mauseresich langsam, abermerkbar zum modernenEinwanderungsland; zueinem Land, das dieVielfalt der Gesell-schaft als Gewinn undVorteil, die Zuwanderung als Berei-cherung betrachtet. Ein Land, dasgleichzeitig Ausgrenzung und Frem-denfeindlichkeit als die größte Ge-fahr einer pluralen Gesellschaft of-fensiv bekämpft. Ein Land, das sichvon der Ideologie der homogenenKulturnation, die keine Fremdkörperverkraftet, löst und sich dem republi-kanischen Geist des Grundgesetzeszuwendet. Dieses rückt nicht diedeutsche Kultur oder die christlicheReligion als Grundpfeiler in denVordergrund, sondern den einzelnenMenschen mit seiner Würde, seinenkulturellen und religiösen Freiheits-rechten.

Genau diese Entwicklung stellenWortführer der Integrationsdebatteinfrage. Sie sehen Deutschlanddurch Zuwanderung bedroht, Inte-grationsverweigerer unterwanderten

das Land, insbesondere der Islam seientschieden zu bekämpfen, selbst da,wo er nur als „Kopftuch“ erscheint.Die deutsche Leitkultur wird wiederzum Kampfbegriff, zur Abgrenzungvon dem Anderen, dem Fremden,

dem Bedrohlichen.Gegen die multikul-

turelle Gesellschaft zuwettern, heißt abernicht nur, die gesell-schaftliche Vielfalt zuleugnen, sondern auchan den Grundfesten un-serer Verfassung zurütteln. „Multikulti“stand nie für Beliebig-keit nach dem Prinzip„Jeder mache, was er

will“, sondern für Gleichheit in Viel-falt und für die konsequente Einhal-tung der Rechte des Einzelnen. ImÜbrigen wäre Deutschland auchohne Muslime und Zuwanderer einmultikulturelles Land, denn hier le-ben verschiedene Generationen mitsehr unterschiedlichen Lebensvor-stellungen zusammen: Gläubige undAtheisten, Konservative und Libe-rale, gut Situierte und sozial Schwa-che. Daher geht diese Debatte unsalle an.

Für die Politik wird deshalb eineder großen Fragen sein, wie sie diesevielfältige Gesellschaft gestaltenmöchte. Die neue rheinland-pfälzi-sche Landesregierung hat sich zumZiel gesetzt, den Weg einer moder-nen Integrationspolitik weiter zu ge-hen. Diese konzentriert sich darauf,Migrantinnen und Migranten anzuer-

kennen und sie wertzuschätzen. Siekehrt sich ausdrücklich ab von derüberholten Strategie, sich an den De-fiziten der Menschen zu orientierenund ihre Anpassung an „unsere“ Ge-sellschaft zu fordern. Dabei gilt es,Integrationspolitik stärker zu einerQuerschnittsaufgabe werden zu las-sen, um die strukturelle Integrationvon Zugewanderten zu verstärken.Strukturelle Integration heißt, dassalle öffentlichen Lebensbereichesich auf die Situation und auf dieBedürfnisse aller Menschen – auchvon Zugewanderten – einrichten undöffnen müssen. Die Strategie dazuist die Interkulturelle Öffnung, diedas Integrationsministerium zu sei-nem Schwerpunktthema für dieseLegislaturperiode erklärt hat.

Interkulturelle Öffnung baut aufeiner sozialpolitischen Haltung auf,die Verschiedenheit anerkennt undgleichberechtigte Teilhabe verfolgt.Sie setzt einen Lern- und Verände-rungsprozess von Menschen und Or-ganisationen in Gang, um Zugangs-barrieren abzubauen.

Interkulturelle Öffnung solltegleichzeitig zum Bestandteil einerPolitik der Vielfalt entwickelt werden. Dazu müssen wir Bereicheder Gleichstellungspolitik (Frauen,Behinderte, ältere Menschen, se-xuelle Orientierung und andere) imSinne einer ganzheitlichen Vielfalt-strategie näher zusammenführenund stärken. Aus diesem Grund hatdie Landesregierung eine übergrei-fende Antidiskriminierungsstelle ge-schaffen.

Wenn wir über gesellschaftlicheVielfalt reden, dann dürfen wir dieReligion nicht aus den Augen verlie-ren. Die Islamfeindlichkeit hat inDeutschland bedenkliche Ausmaßeangenommen. So zeigen jüngsteUmfragen, dass rund 46 Prozent derDeutschen meinen, es gebe zu vieleMuslime in Deutschland, und 52Prozent sind überzeugt, dass der Is-lam eine Religion der Intoleranz ist.

Um dieser Entwicklung zu be-gegnen, brauchen wir zweierlei: Wirmüssen die Diskussion über den Is-lam und über Muslime in Deutsch-land versachlichen. Ängste und feh-lende Kenntnis über den Islam ma-chen viele Menschen anfällig für diepopulistischen Verführungen manchselbst ernannten Islamkritikers.Gleichzeitig brauchen wir eine klareHaltung zum Islam, die keine Zwei-deutigkeiten erlaubt. AbstrakteGrundsatzdebatten über die Frage,ob der Islam in die westliche Gesell-schaftsordnung hineinpasst und ob erüberhaupt mit der Werteordnung ei-ner liberalen Demokratie kompatibelist, sind überflüssig. Muslime sindein fester Teil unserer Gesellschaft –in diesem Punkt gibt es kein Zurück.

Die Landesregierung und diemuslimischen Verbände suchen denregelmäßigen Austausch, um sichgemeinsam mit aktuellen Anliegenund Fragen zu befassen. Daher grün-dete die Landesregierung jetzt denRunden Tisch Islam – nicht um un-verbindlich zu plaudern, sondern umeinen Dialog auf Augenhöhe anzu-stoßen und zu etablieren.

Hintergrund

Wichtiger Schritt zur Integration: Die Islamkonferenz der Bundesregierung. (Foto: epd)

Die Diskussion

über den Islam

und über die

Muslime muss

versachlicht

werden.

D

vielfältig und offenLand unternimmt politische Initiative für Integration

Im vergangenen Herbst wurde der 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Tür-kei gefeiert. Nach über 50 Jahren Einwanderungsgeschichte wächst langsam die Überzeugung, dass Deutsch-land ein Einwanderungsland ist. Miguel Vicente, Beauftragter der rheinland-pfälzischen Landesregierung fürMigration und Integration, erläutert die Gründe, warum ein „Runder Tisch Islam“ notwendig ist.

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slucan begann seinen Vortrag, in-dem er die Tagungsteilnehmer mitZitaten zum deutschen Türkenbild

aus verschiedenen Jahrhunderten kon-frontierte. So sprach Erasmus von Rot-terdam von der „abscheulichen Türken-rasse“, und Martin Luther machte beimKampf gegen die Truppen des Osmani-schen Reichs ein gutes Gewissen, weiles nicht „wider Menschen“ geht, son-dern „ir wider Teuffel streitet“. KarlMay schrieb Ende des 19. Jahrhundertsin seinem Roman „Von Bagdad nachStambul“, der „Türke war ein zwarrauer, aber wackerer Nomade, ein ehr-licher, gutmütiger Geselle“.

Zu Beginn der Erforschung von Be-dingungen gelingender Integrationseien sowohl Wissenschaft als auch Po-litik vom Begriff des „Kulturkonflikts“und dem vermeintlichen Aufeinander-prallen miteinander unverträglicherWerte ausgegangen. Dies sei nicht nurfür Einzelindividuen unterstellt wor-den, sondern habe sich zur Annahmeeiner grundsätzlichen Wertekonfronta-tion zwischen Aufnahme- und Entsen-degesellschaften ausgeweitet. In denersten Jahren der Einwanderung habekaum jemand in Deutschland die In teg -ra ti on der „Gastarbeiter“ gefordert, daden Migranten der Willezur möglichst schnellenRückkehr unterstellt wor-den sei. Tatsächlich zeich-nete sich die erste Genera-tion durch eine starke Bin-dung an die Heimat aus;deutlich wurde das, so Us-lucan, an „materiellen wiepsychischen Investitionenin die Heimatkultur“.

Die Orientierung andie Kultur der Türkei er-wies sich bereits für die nachfolgendeGeneration als Integrationshemmnis, dasie „weder über die kulturell gefestig-ten Basisorientierungen“ verfügte, nochunmittelbar in der Lage war, „kulturelleOrientierungen der Aufnahmegesell-schaft nahtlos zu adaptieren“. Uslucanbetonte, dass vor diesem Hintergrundseit den 1970er Jahren auf die Notwen-digkeit einer sinnvollen Integrations-strategie hingewiesen worden sei. Diefrühe Migrationsforschung habe des-halb versucht, die besondere Problema-tik der Kinder mit Migrationshinter-grund zu erfassen. Dabei sei die An-nahme leitend gewesen, dass Kinderaus Migrantenfamilien gezwungenseien, ihr kulturelles Bezugssystem zuwechseln, und dass dieser Kulturwech-sel zu einem Prozess der Veränderungihrer Identität führen müsse, der not-

wendig einen kulturellen Konflikt nachsich ziehe. Als Ursache für diesen Kon-flikt habe die damalige Forschung –Uslucan berief sich dabei auf eine Stu-die von 1979 – entgegengesetzte Ein-flüsse der Familie auf der einen undEinflüsse des Migrationslandes auf deranderen Seite ausgemacht. Auch sei mitdiesem Ansatz der „bikulturellen Sozia-lisation“ die Idee verbunden gewesen,dass sich die Diskrepanz der beidenKulturen negativ auf die Entwicklungder Kinder auswirke und im Jugendal-ter zwangsläufig zu Identitätsproble-men führe. Als weitere Grundlage die-ses Ansatzes nannte Uslucan die Zumu-tung für Migrantenkinder, sich mit derFrage der Zugehörigkeit zu einer Min-derheit auseinanderzusetzen und eine„ethnische Identität“ auszubilden.

Obwohl der „bikulturellen Soziali-sation“ eine gewisse Alltagsplausibi-lität nicht abgesprochen werden könne,bleibe an diesem Ansatz die Annahmeproblematisch, „dass die Ursachen derProbleme von Migrantenkindern ein-deutig auf den Kulturwechsel und diedamit zusammenhängenden Konfliktezurückgeführt werden“, so Uslucan.Obwohl der Bezug auf zwei Kulturenein wichtiger Aspekt der Situation von

Migranten sei, könneder „Kulturwechsel“ nichteinseitig als Entwick-lungseinschränkung desIndividuums betrachtetwerden; es müsse viel-mehr reflektiert werden,dass die unterschiedlichenkulturellen Hintergründeneben den entwicklungs-hemmenden auch die Ent-wicklung begünstigendeSeiten habe. Begünstigt

werde die individuelle Entwicklungvon Migrantenkindern alleine schondurch die Tatsache der Zweisprachig-keit, weil dadurch die Sprachkompe-tenz gefördert werde, und der kulturel-len Vielfalt als einer Ressource kreati-ver Problemlösungsprozesse in vieler-lei Situationen.

Neuere Ansätze in der Migrations-forschung, die über die Ergebnisse der„bikulturellen Sozialisation“ hinausge-hen, hätten ergeben, so Uslucan, dassMigranten bei der Gestaltung ihres Ver-hältnisses zur Einwanderungsgesell-schaft auf vier unterscheidbare Optio-nen zurückgreifen. Im Einzelnen han-delt es sich dabei um Integration, Assi-milation, Separation und Marginalisie-rung. Während bei Integration und As-similation die Handlungsoptionen stär-ker auf die aufnehmende Gesellschaft

bezogen seien, sei Separation durcheine stärkere Abgrenzung zur aufneh-menden Gesellschaft bei gleichzeitigerHinwendung zur eigenen Ethnie ge-kennzeichnet. Problematisch sei dieMarginalisierung, da bei dieser Optiondie Abgrenzung überwiege, die aller-dings oft als Folge frustrierter Assimi-lations- oder Integrationswünsche ver-standen werden müsse.

Uslucan betonte, dass die vier ge-nannten Orientierungen auch bei denVertretern der Aufnahmegesellschaftvorliegen können. Integration liegedann vor, wenn die Aufnahmegesell-schaft Akzeptanz und Wertschätzunggegenüber der Kultur der Migranten

aufbringe und ihnen dadurch die Über-nahme der eigenen kulturellen Mustererleichtern würde. Die Assimilations-orientierung dagegen sei von der Er-wartung geprägt, dass Migranten ihreeigene Kultur aufgeben und die kultu-rellen Muster der Aufnahmegesell-schaft übernehmen. Distanzierten sichdie Vertreter der Aufnahmegesellschaftvon Migranten und wünschten nicht,dass diese die Kultur des Aufnahmelan-des annehmen, billigten ihnen aber dieBeibehaltung der eigenen kulturellenBezüge zu, so handele es sich um eineOrientierung in Richtung Segregation;eine Exklusion schließlich liege dannvor, wenn die Mitglieder der Mehr-

heitsgesellschaft sich gegenüber Mig -ran ten nicht nur intolerant verhalten,sondern ihnen sowohl die Übernahmekultureller Muster des Aufnahmelandesverweigern als auch das Recht abspre-chen, starke Bezüge zu ihrer Herkunfts-kultur aufrechtzuerhalten.

Stelle man diese unterschiedlichenAkkulturationsorientierungen, die so-wohl bei Migranten als auch bei Vertre-tern der Aufnahmegesellschaft möglichseien, einander gegenüber, so stelleman fest, dass lediglich das Aufein-andertreffen von integrations- und assi-milationsorientierten Haltungen relativunproblematisch sei; alle anderen Hal-tungen wertet Uslucan als problembe-

haftet und sieht darin einen Nährbodenfür Konflikte. Andererseits stünden je-doch auch dem Wunsch nach Integra-tion aus psychologischer Sicht Hinder-nisse entgegen. Bei einer Migrationfa-milie fänden nicht nur bei Kindern,sondern auch bei Erwachsenen Soziali-sationsprozesse statt, was letztlich allePersonen zwinge, ihr Verhaltensreper-toire zu erweitern und umzuorganisie-ren. Dabei könne festgestellt werden,dass eine Hinwendung zu den Stan-dards der Aufnahmekultur in gleichemMaße mit einer Entfernung von denWerten der Heimatkultur korrespon-diere. Die Mehrzahl der Migrantenfa-milien finde keine befriedigende Lö-

sung für den Widerspruch, sich einer-seits integrieren zu wollen, andererseitsaber ihre kulturellen Wurzeln nicht auf-zugeben, so der von Uslucan vorgetra-gene Befund. Ebenso wenig seien diegesellschaftlichen und politischen Rah-menbedingungen für gelingende Inte-gration geklärt, wie die Diskussionenum eine deutsche Leitkultur sowie dieDebatten der zurückliegenden Jahre umZuwanderung und doppelte Staatsbür-gerschaft gezeigt hätten.

In der Migrationsforschung herr-sche jedenfalls Einigkeit darüber, dassdie Vorstellung, die allmähliche Assi-milation der Zuwanderer an die Le-bensformen der Mehrheitsgesellschaftsei ein unumkehrbarer Prozess, in die-ser Form nicht haltbar sei. Vielmehrzeigten Migranten unterschiedliche As-similationsstrategien, wobei sich be-sonders Kinder in ihren Familien star-ken Belastungen ausgesetzt sehen, weilsie sich aufgrund ihrer schulischen So-zialisation im Einwanderungsland ra-scher und intensiver als ihre Eltern miteinem – wie Uslucan es nennt – „bikul-turellen Konflikt“ auseinandersetzenmüssen. Die Folge sei eine „dissonanteAkkulturation“, was bedeute, dass Kin-der immer mehr als „Kulturübersetzer“ihre Eltern bei derAkkultu ra ti on unterstüt-zen müss ten.

In der Folge reicherteUslucan diese eher theore-tischen Überlegungen ausder Migrationsforschungmit Ergebnissen von em-pirischen Erhebungen un-ter türkischen Migrantenan. Dabei präsentierte erErgebnisse einer Untersu-chung zur sozialen Iden-tität türkischer Jugendlicher, wonachsich 57 Prozent der Befragten als „tür-kisch“ verstanden, jedoch auch 30 Pro-zent sich als „bikulturell“ bezeichne-ten. Als ausschließlich „deutsch“ wolltesich nur ein Anteil von einem Prozentverstehen, zwölf Prozent dagegen ord-neten sich keiner dieser Gruppen zu.Die homogenisierende Redeweise von„der türkischen Kultur“ oder „den Tür-ken“ sei im Blick auf diese Personen-gruppe jedenfalls kaum zulässig. Auchdie immer wieder geäußerte Furcht voreiner „Parallelgesellschaft“ sei zwarein beliebtes Debattenthema, werde je-doch nicht durch die Ergebnisse derBefragungen gedeckt.

Weiterhin präsentierte Uslucan Er-gebnisse einer von ihm selbst durch -geführten Befragung über die Werte ori -en tie rung von türkischen Migranten

und Deutschen. Im Ergebnis, so Uslu-can, unterscheiden sich beide Gruppenkaum voneinander: „Für alle sind Familie und familiäre Sicherheit, Frei-heit und Freundschaft die wichtigstenWerte. Auch bei der Frage, was ihneneher unwichtig ist, lässt sich zumindestim Hinblick auf die geringe Bedeutungder Autorität eine Übereinstimmungfinden.“ Allerdings präsentierte Uslu-can auch ein Ergebnis seiner Studie,bei dem sich Deutsche und türkischeMigranten signifikant unterscheiden:„Traditionalität wird in der deutschenStichprobe von Frauen eher geringergeschätzt, in der türkischen Stichprobedagegen von Frauen – im Vergleich zuMännern – eher favorisiert; dagegen istim Geschlechtervergleich der Wert derFreiheit in der deutschen Stichprobefür Frauen größer, in der türkischenStichprobe wird er eher von Männernfavorisiert.“

Uslucan betonte, dass es angesichtsder großen Anzahl an positiven Werte -übereinstimmungen wenig sinnvoll sei,von einer Parallelgesellschaft der Mig -ranten zu sprechen. Allerdings sei fest-zustellen, dass gerade jugendliche Mig -ranten weitaus stärker als deutsche Ju-gendliche eher konservativen Werten

anhängen. Bei der Deu-tung der Daten sei jedochVorsicht geboten, da esbei den türkischen Befrag-ten eine hohe Varianz beider Werteausprägunggebe. Man könne, so Uslu-can, im Blick auf die Her-kunft der türkischen Be-fragten, von einem starkenOst-West-Gefälle ausge-hen – für die Werteorien-tierung sei es mit ent-

scheidend, ob die Familien der Befrag-ten aus dem ländlichen Anatolien oderdem Großraum Istanbul stammen.Ebenso sei festzustellen, dass jüngereMigranten ein deutliches Bedürfnis hät-ten, sich von der Mehrheitsgesellschaftabzugrenzen und offensiv die Differen-zen zu betonen.

Die Erwartungen, dass gerade jün-gere Migranten sich in ihren Wertauf-fassungen an ihre deutschen Altersge-nossen angleichen würden, ließen sichmit den vorhandenen Daten jedenfallsnicht bestätigen, betonte Uslucan. Ins-gesamt, so sein Fazit, sei es jedoch eineweiterführende Aufgabe der ganzenGesellschaft, ein Verständnis von Kul-tur zu entwickeln, das sich als gemein-samer Zukunftsentwurf verstehe undnicht den rückwärtsgerichteten Her-kunftsbezug betone. Martin Schuck

Dokumentation

Auf dem Weg zu gelungener Integration: Eltern-Kind-Treffen in einer Kindertagesstätte mit hohem Anteil türkischer Kinder. (Foto: epd)

Eine Parallelgesellschaft lässt sich nicht empirisch belegenMigrationsforschung zeichnet differenziertes Bild der IntegrationsbemühungenEiner der Referenten der Tagung „Leben in Almanya“ am 11. und 12. Novem-ber 2011 war Haci-Halil Uslucan, Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums fürTürkeistudien und Integrationsforschung sowie Professor für Moderne Tür-keistudien an der Universität Duisburg-Essen. Thema seines Vortrags war:„Parallelgesellschaften: Fakt oder Fiktion? Wie fremd sind uns die Türkenheute noch?“ 50 Jahre nach dem Anwerbeabkommen zwischen der Türkei

und Deutschland präsentierte Uslucan Forschungsergebnisse, die belegen soll-ten, dass die populäre Rede von einer „Parallelgesellschaft“, in der sich Mig -ranten abschotten, zu kurz greift und nicht geeignet ist, die vielfältigen Akkul-turationsorientierungen zu erfassen. Tatsächlich gibt es eine große Anzahl vonÜbereinstimmungen in der Werteorientierung von Migranten und einheim-ischer Bevölkerung, die eine differenzierte Beschreibung notwendig machen.

Integration, Assimi-

lation, Separation

und Marginalisie-

rung sind unter-

schiedliche Strate-

gien der Anpassung.

Zwischen Deutschen

und türkischen

Migranten gibt es

eine hohe Über -

einstimmung bei

wichtigen Werten.

U

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Sehr schnell stellte sich heraus, dassdie Teilnehmergruppe sehr dyna-misch ist. Ihre Dynamik nimmt sienicht nur von der Motivation derTeilnehmerinnen und Teilnehmer,sondern eher von ihrer Heteroge-nität. Es sind unterschiedliche Natio-nalitäten und Sprachen anzutreffen.Freiberuflich Tätige neben Fabrikar-beitern, Studierenden, Theologen,Psychologen, Pädagogen, Juristen,Friseuren sowie Ehrenamtlichen.Das ist nur eine Auswahl der Berufs-bezeichnungen, die während der Vor-stellungsrunde der Teilnehmer gefal-len sind.

Die Heterogenität spiegelt sichauch in den Beweggründen der Teil-nehmerinnen und Teilnehmer wider.Erfahrungen, die manche bei sichselbst oder im Bekanntenkreis ge-macht hatten, führten zur Erkennt-nis, dass auch Muslime einen seeli-schen Beistand und seelische Beglei-tung brauchen.

Einige sahen sich dazu berufen,als Seelsorger helfen zu wollen, dasie seit jeher, wo immer sie Gelegen-

heit haben und Bedarf besteht, Men-schen behilflich sind. Die Ausbil-dung für Islamische Krankenhaus-seelsorge verleiht ihrem AnliegenSinn und Form. Andere dagegenmeinten, als Muslim hier in Deutsch-land und als Teil derGesellschaft sei es ihreAufgabe, einen Anteilan den gesellschaft-lichen Aufgaben mitzu übernehmen. „Diechristlichen Kirchenbieten ihren Gemeinde-mitgliedern und denMitmenschen Seelsorgean. Wir, die muslimi-schen Gemeinden, soll-ten auch unseren Ge-meindemitgliedern und unseren Mit-menschen dies anbieten können. Dasist meine Motivation“, betonte einTeilnehmer.

Es war auch zu hören: „Die sozi-ale Situation der Muslime inDeutschland hat sich geändert. DieFamilie reicht in vielen Notlagennicht mehr aus. Die muslimische Ge-

meinschaft muss sich deshalbweiterentwickeln. Eine IslamischeKrankenhausseelsorge ist nötig.“

Im Laufe der Ausbildung erhal-ten die Teilnehmerinnen und Teil-nehmer theoretische Weiterbildung

in verschiedenen The-menfeldern; dazu gehö-ren die Medizinethik,die Grundlagen derKommunikation sowieInformation über Ge-sprächstechniken. Da-neben standen die Ent-wicklungsgeschichteder christlichen Seel-sorge und ein erweiter-tes Basiswissen zur Is-lamischen Theologie

auf dem Programm.Der praktische Teil der Ausbil-

dung ist nicht nur weitaus umfang-reicher als der theoretische Teil,auch die Theorie selbst wurde konti-nuierlich mit praktischen Aktivitätenvermengt, etwa durch interkulturelleSensibilisierung, Kom mu ni ka tions -training und Rollenspiele.

Werkstatt

„Ich bekomme in

dieser Gruppe

und bei dieser

Ausbildung mehr

zurück, als ich

gegeben habe.“

Das Gefühl der Pioniere Islamische Krankenhausseelsorge befindet sich im Aufbau

Auftakt für die Ausbildung für Islamische Krankenhausseelsorge am Mannheimer Institut für Integration undinterreligiösen Dialog e.V. war nach manchen Schwierigkeiten und Verzögerungen am 27. Januar 2012. Obwohldas Mannheimer Institut bereits einen Ausbildungsdurchgang für Islamische Krankenhausseelsorge mit Erfolgdurchgeführt hatte, war dieser zweite Ausbildungsdurchgang noch lange nicht Routine, da die ganze Entwick-lung der Islamischen Krankenhaus- und Notfallseelsorge immer noch in den Anfängen ist. Sie befindet sich so-zusagen im Zeitalter der Pioniere. Als ich bei der Auftaktveranstaltung die Teilnehmerinnen und Teilnehmerkennengelernt hatte, kam mir zwangsläufig folgender Gedanke: „So müssen sich wohl die ersten Pioniere ge-fühlt haben. Ein Mix von unterschiedlichen Gefühlen, dominiert von Entschlossenheit und Courage mit demklaren Ziel vor den Augen, etwas bewegen und Neues anfangen zu wollen. Die Bedürftigkeit an seelischem Bei-stand und Hilfe für die Patienten im Krankenhaus ist ihnen Ansporn, hier dabei zu sein und ihren Anteil an dengesellschaftlichen Aufgaben zu tragen.“

Gesprächsprotokolle von christ-lichen Seelsorgern wurden analysiertund diskutiert. Dabei wurde derBlick darauf gelenkt, wie das Prob -lem des Beispielgesprächs in einemislamisch geprägten Kulturfeld the-matisiert werden könne und wie sichder Gesprächsverlauf verändernwürde. Sehr großer Wert wird in derAusbildung auf Erfahrungsaustauschgelegt. Vertreter des Krankenhaus-pflegedienstes, des Kli nik so zi al -diens tes, des evangelischen und ka-tholischen Seelsorgedienstes sowieder Friedhofsverwaltung wurden alsReferenten eingeladen. Zudem wur-den muslimische Seelsorger eingela-den, die den ersten Ausbildungs-durchgang für Islamische Kranken-hausseelsorge bereits absolviert hat-ten und seit über einem Jahr alsSeelsorger tätig sind, um über ihreErfahrungen zu berichten. Alle Refe-renten haben ohne notgedrungeneSchönfärberei die Realität mit all ih-ren schwierigen und bitteren Facet-ten wiedergegeben. Angesichts derErfolgserlebnisse und dem Gefühl,dass ihre Hilfe ankommt, würden siejedoch ihre Seelsorgetätigkeit trotzaller schwierigen Umstände nichtmissen wollen. Die Fragen aus derGruppe und der Erfahrungsaustauschmit den Referenten waren intensivund nicht selten emotional. Die Teil-nehmer teilten ihre Leidenserfahrun-gen und -geschichten mit den ande-ren. Dabei flossen auch einige Trä-nen. Mit jeder Sitzung ist die Gruppemehr und mehr zusammengewach-sen.

Nach einigen Sitzungen sagte einTeilnehmer: „Ich bekomme in dieserGruppe und bei dieser Ausbildungmehr zurück, als ich gegeben habeund geben kann. Ich spüre, man wirdbei der Seelsorge selbst geformt.“Ein anderer Teilnehmer bestätigtediese Feststellung mit den Worten:„Bei jeder Sitzung lerne ich so vieleneue Sachen und bekomme so vieleneue Erfahrungen mitgeteilt. Vieles,was ich wusste, wird neu reflektiertund geformt und von unterschied-lichen Standpunkten durchleuchtet.Es gewinnt eine andere Klarheit.Nach jeder Sitzung sage ich mir impositiven Sinne: Worauf habe ichmich denn hier eingelassen?“

Als ich mich von den Teilnehme-rinnen und Teilnehmern verabschie-det habe, waren sie aufgeregt undvoller Tatendrang, da die Prakti-kumswochen bevorstanden. DiePraktikumszeit, in der sie jetzt ste-hen, wird von erfahrenen Superviso-ren begleitet. Im Anschluss an dasPraktikum werden die Supervisorenmit den Teilnehmerinnen und Teil-nehmern intensive Gespräche führenund reflektieren, damit sie mit siche-ren Schritten auf dem Weg zum Isla-mischen Krankenhausseelsorger wei-ter fortschreiten können. So sindauch die Pioniere mit festen Schrit-ten ihren Weg gegangen. Duran Terzi

Enge Zusammenarbeit: Das Institut für Integration und interreligiosen Dialog und die Sultan-Selim-Moschee. (Foto: epd)

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Was verbirgt sich hinter der „Zu-kunftsinitiative Rheinland-Pfalz“?

Die „Zukunftsinitiative Rhein-land-Pfalz“ (ZIRP) stärkt im ge-meinsamen Engagement von Wirt-schaft, Wissenschaft und Politik dasLand als attraktiven Standort. Sievermittelt zwischen den gesellschaft-lichen Gruppen, fördert einen sach-lichen und nachhaltigen Dialog undgibt Impulse für zukunftsweisendeThemen und Projekte. Ermöglichtwird die Arbeit der Initiative durcheinen Trägerverein: 80 Persönlich-keiten, Un ter neh men und Institutio-nen aus Wirtschaft, Politik, Wissen-schaft und Kultur tragen diesebundesweit einmalige Form der öf-fentlich-privaten Zusammenarbeit.

Auf welchem Weg sind Sie zur ZIRPgekommen?

Als Mitarbeiterin der Staatskanz-lei Rheinland-Pfalz, die zuständigwar unter anderem für die ThemenArbeit, Ausbildung, Bildung undFachkräftesicherung, habe ich dieArbeit der ZIRP aufmerksam beglei-tet. Seit Mai 2011 ist die ZIRP-Ge-schäftsstelle organisatorisch ange-bunden an die Staatskanzlei.

Welchen Stellenwert hat die Koope-ration mit einer Einrichtung wie derEvangelischen Akademie der Pfalzfür die Arbeit der ZIRP?

Zur Qualität eines Standorts, andem Menschen gerne leben, arbeitenund ihre Freizeit verbringen, gehörtauch der gesellschaftliche Zu-sammenhalt; die Verbindung in ei-nem Gemeinwesen über Werte. DieEvangelische Akademie der Pfalzthematisiert diese wichtigen Fragendes sozialen Zusammenhalts, einesguten Bildungssystems und der Ge-staltung eines Gemeinwesens.

Eine Veranstaltung von ZIRP undEvangelischer Akademie ist der„Politische Advent“. Dort soll es umtheologische und kirchliche Impulsefür die politischen Gestaltungsauf-

gaben gehen. Welche Impulse kön-nen die Kirchen der Politik geben?

Politische Entscheidungsträgerstehen immer auch in Abwägungs-prozessen und müssen Prioritätensetzen. Elementare gesellschaftlicheWerte wie soziale Gerechtigkeit undTeilhabechancen müssen dabei im-mer wieder austariert und im gesell-schaftlichen Diskurs betont werden.Dazu geben die Kirchen einen wich-tigen Anstoß.

Im Internetauftritt der ZIRP steht einSatz des Theologen und Friedensno-belpreisträgers Albert Schweitzer:„Keine Zukunft vermag wieder gut-zumachen, was du in der Gegenwartversäumst.“ Gibt es innerhalb derZIRP eine Vorstellung, wie eine guteZukunft aussehen könnte?

Die ZIRP will nach ihrem Selbst-verständnis dazu beitragen, dassRheinland-Pfalz als internationalerWirtschaftsstandort, als attraktiverLebens- und Arbeitsraum und zent -raler Ort europäischer Kultur ge-stärkt wird. Dazu gehört, dass siesich mit den großen Herausforderun-gen des demografischen Wandels,der Globalisierung und des Klima-wandels befasst und ihre Auswirkun-gen auf Rheinland-Pfalz analysiert.Letztlich mündet diese Auseinander-setzung immer in die sehr konkreteBeratung von Politik und Wirtschaft.

Menschen

Ort europäischer KulturHeike Arend über die Arbeit der Zukunftsinitiative

Heike Arend ist Geschäftsführerin der „Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz“ (ZIRP), die ihren Sitz bei der Lan-desregierung in Mainz hat und zu den Kooperationspartnern der Evangelischen Akademie der Pfalz gehört.Seit einigen Jahren verantworten die ZIRP und die Evangelische Akademie gemeinsam die Veranstaltungsreihe„Politischer Advent“. Martin Schuck sprach mit Heike Arend über die Zukunftsvorstellung der ZIRP und dieMotive für die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie der Pfalz.

Heike Arend. (Foto: ZIRP)

Freunde suchen Freunde

Einladung zur Mitgliedschaft. Wir unterstützen und beglei-

ten die Arbeit der Akademie. Wir setzen uns mit Fragen der Zeit

auseinander, am liebsten gemeinsam mit anderen. Mit unseren Ak-

tivitäten wollen wir unserer Region neue Impulse geben und einen

Dialog aktueller Themen ermöglichen. Wir engagieren uns nicht

nur persönlich und finanziell , sondern auch ganz bewusst durch

eigene Veranstaltungen wie Vorträge, Ta gungen und Publikationen.

Unser Jahresbeitrag beträgt 30 Euro. Auch über zusätzliche Spenden freuen wir uns

und stellen Ihnen auf Wunsch eine steuerlich anerkannte Spendenbescheinigung aus.

Ihre Vorte i le a ls Mitg l ied: � Sie werden zu den Veranstaltungen der Akade-

mie und des Freundeskreises eingeladen. � Sie werden bei Veranstaltungen mit be-

grenzter Teilnehmerzahl bevorzugt. � Sie erhalten kostenlos die Akademiezeitung

Protexte und Informationen über weitere Veröffentlichungen.

Gesellschaft der Freunde der Evangelischen Akademie

der Pfalz e.V.

So werden Sie Mitglied:

Rufen Sie uns einfach an,

wir schicken Ihnen die Bei-

trittserklärung mit allen wei-

teren Informationen,

Telefon 0 63 41 / 9 68 90-30,

oder schicken Sie uns eine e-

mail: [email protected].

Oder schreiben Sie uns kurz:

Evangelische

Akademie der Pfalz,

Luitpoldstr. 10, 76829 Landau

Werner Simon, Vorsitzender

Die ZIRPIm November 1992 wurde die „Zu-kunftsinitiative Rheinland-Pfalz“von einem kleinen Kreis rheinland-pfälzischer Persönlichkeiten ausWirtschaft, Politik, Wissenschaft undKultur ins Leben gerufen. Nebendem damaligen rheinland-pfälzi-schen Ministerpräsidenten RudolfScharping und WirtschaftsministerRainer Brüderle gehörten unter an-deren der BASF-Vorstandsvorsit-zende Jürgen Strube, der Präsidentder Universität Kaiserslautern, KlausLandfried, der ZDF-Intendant DieterStolte und der Dirigent Klaus Arp zuden Gründungsmitgliedern. Trägerder ZIRP ist eine öffentlich-privatePartnerschaft zwischen Landesregie-rung und etwa 80 Mitgliedern ausunterschiedlichen gesellschaftlichenBereichen.

Die ZIRP betrachtet nach eige-nen Angaben die Förderung des Wis-sens- und Erfahrungstransfers zwi-schen Experten, Entscheidungsträ-gern und der Öffentlichkeit als ihreAufgabe. Umgesetzt wird dies inWorkshops, Vortragsreihen und Po-diumsgesprächen zu wirtschaft-lichen, politischen und wissenschaft-lichen Themen. Im Zentrum stehendabei die fünf Themenfelder Zu-kunftsradar 2030, wirtschaftspoliti-sche Strategien und Initiativen,internationale Zusammenarbeit, Wis-senschaft, Innovation und Techniksowie Kultur.

Die Geschäftsstelle in Mainzwird unterstützt von einem Träger-verein. Dessen Vorsitzende ist dieArbeitsdirektorin der BASF, MargretSuckale; Ministerpräsident KurtBeck ist stellvertretender Vorsitzen-der. Zu den weiteren Mitgliedern desVereinsvorstands gehört auch Kir-chenpräsident Christian Schad.

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Deutschland ist längst ein Einwande-rungsland geworden. Aktuell sindetwa zehn Millionen Menschen nichtdeutscher Herkunft Teil unserer Ge-sellschaft und bestimmen das kultu-relle Leben mit. Erst mit Verspätunghaben Gesellschaft und Politik dieseEntwicklung als Wirklichkeit akzep-tiert und begonnen, sie bewusst inden Blick zu nehmen.

Die Ringvorlesung nimmt Bezugauf die Wirklichkeit der zunehmendmultikulturellen und multireligiösenGesellschaft und stellt sich der Fragenach den Herausforderungen, diesich durch diese soziale Entwicklungfür Wissenschaft, Politik, Religionund Schule ergeben. Insgesamt sindsieben Vorträge vorgesehen. Profes-sor Stephan Merten wird aus sprach-wissenschaftlicher und -didaktischerSicht nach der Rolle der Sprache iminterkulturellen Dialog und nach denin der Diskussion gängigen Sprach-begriffen selbst fragen. Inwieweitsich in der konkreten sprachlichenund kulturellen Begegnung eineinterkulturelle Wirklichkeit ergibt,stellt der Publizist Martin Graff dar,der dabei auf die deutsch-französi-sche Nachbarschaft und den elsässi-schen Dialekt schaut. Aus der Sichtder Pädagogik wird Professor Nor-bert Wenning die Herausforderungenmoderner Pluralitäten in den Blicknehmen. Wie weit sich im gegenwär-tigen Neben- und Miteinander derWeltreligionen die einzelnen Reli-gionen unter Rückgriff auf ihre je-

weiligen Traditionen wechselseitigwahrnehmen und deuten und welcheAuswirkungen das Bewusstsein vonder Vielfalt der Religionen für denWahrheitsanspruch der eigenen Reli-gion besitzt, ist das Themenfeld,dem sich Professor Reinhold Bern-hardt von der Universität Basel zu-wenden wird.

Einen eigenen Block bilden Vor-träge zum politisch-gesellschaft-lichen Problemfeld der Interkultura-lität. Zu Themen dazu werden Fran-cesca Chillemi Jungmann undder frühere Bundesverfassungsrich-ter Professor Udo di Fabio sprechen;weiterhin läuft eine Anfrage bei derrheinland-pfälzischen Integrations-ministerin Irene Alt, von der manAufschluss erwartet, wie die inter-kulturellen Herausforderungen poli-tisch angenommen werden.

Im Anschluss an die jeweiligenFachbeiträge werden sachkundigeKommentatoren eigene Stellungnah-men formulieren, die ergänzend oderkritisch beleuchtend eine Diskussioninitiieren sollen, in die auch das Pu-blikum einbezogen werden kann.

Ziel der Ringvorlesung ist es,Konturen im Sinne einer erstenZwischenbilanz des interkulturellenZusammenlebens in Deutschlandvorzustellen, wobei sowohl diegesell schaftlichen, pädagogischen,sprachlichen als auch die religiösenund politischen Dimensionen vonInterkulturalität berücksichtigt wer-den sollen. Lothar Bluhm

Service

AkademieprogrammStand April 2012

11. und 12. Mai 2012 Tagung in Landau, Butenschoen-HausWenn die Welt aus den Fugen gerät – Katastrophenerfahrung und ReligionKatastrophen erschüttern unser urmenschliches Sicherheitsbedürf-nis. Die Tagung fragt danach, welche rituellen Formen nach Kata-strophen angemessen sind und welche Konsequenzen sich für Prä-vention und ethisch verantwortetes Handeln ergeben. In Zu-sammenarbeit mit der Evangelischen Akademikerschaft Pfalz-Saar.

11. bis 13. Mai 2012 Tagung in Bad Dürkheim, Martin-Butzer-HausSprichst du … zum Beispiel Politik? – Sprache als zentrales Instrument von politischem LebenIm Rahmen der Tagung werden die unterschiedlichen Funktionenpolitischer Sprache untersucht.Für Jugendliche und junge Erwachsene bis 27 Jahre.

Mai bis Juli 2012 donnerstags, 18 bis 20 Uhr, Ringvorlesung in Landau,Hörsaal 2, Campus LandauInterkulturalität – Herausforderungen und Chancen des Bekannten und UnbekanntenIn Kooperation mit dem Fachbereich Kultur- und Sozialwissen-schaften der Universität Koblenz-Landau und dem Erziehungswis-senschaftlichen Fort- und Weiterbildungsinstitut Landau.

29. Mai bis 2. Juni 2012Tagung in Enkenbach, Haus MühlbergDenk, Maschine! – Wie man ein künstliches Subjekt baut und ob wir das tun solltenIm Rahmen der Tagung befassen sich medizinisch-biologische undpsychologische, kognitions-wissenschaftliche und computertechni-sche sowie philosophische und ethische Beiträge kritisch mit demProblem der neuronalen Computersimulation des Geistes.Für Jugendliche und junge Erwachsene bis 27 Jahre.

22. Juni 2012 Autorentagung in Landau, Butenschoen-HausPfälzische Landeskirche im Nationalsozialismus – Ein HandbuchprojektIm Nationalsozialismus gehörten die beiden großen Kirchen zu denwenigen Institutionen, die sich nicht reibungslos gleichschalten lie-ßen. Trotzdem erlag der Protestantismus weithin dessen Versu-chungen. Die Tagung untersucht den Zusammenbruch kirchlicherund demokratischer Strukturen in der Pfalz. In Zusammenarbeitmit dem Verein für Pfälzische Kirchengeschichte.

22. bis 24. Juni 2012Tagung in Bad Dürkheim, Martin-Butzer-HausPolitische Rhetorik – Die Märchen der MachtDie politische Rhetorik zielt unmittelbar auf ein zuhörendes Kol-lektiv, das es zu überzeugen gilt. Im Rahmen der Tagung werdenzentrale Strukturen und Entwicklungen politischer Rhetorik vor-gestellt und aktuelle Probleme politischer Rede diskutiert.Für Jugendliche und junge Erwachsene bis 27 Jahre.

24. und 25. August 2012Tagung in Landau, Butenschoen-HausBarrierefreiheit für die Seele – Inklusion und Nachbar-schaft mit psychisch behinderten Menschen„Inklusion“ ist ein Schlüsselbegriff in der sozialen Arbeit. Am ge-sellschaftlichen Leben sollen alle Menschen teilhaben können.In Zusammenarbeit mit der Evangelischen AkademikerschaftPfalz-Saar und dem Pfalzklinikum Klingenmünster.

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Interkulturalität als ThemaDer „Fachbereich 6: Kultur- und Sozialwissenschaften“ der UniversitätKoblenz-Landau bietet im kommenden Sommersemester in Landau ge-meinsam mit der Evangelischen Akademie der Pfalz und dem EFWI eineRingvorlesung zum Thema „Interkulturalität“ an. Aus unterschiedlichenPerspektiven soll nach den „Herausforderungen und Chancen des Be-kannten und Unbekannten“ gefragt werden.

e-mail: [email protected] � www.eapfalz.de