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EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Einführung in das deutsche Gesundheitssystem Historie, Grundstrukturen und Basisdaten Working Paper Prof. Dr. Ralph Tunder und Jan Ober 28. Februar 2017 Korrespondenz EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Rheingaustr. 1 65375 Oestrich-Winkel

Historie, Grundstrukturen und Basisdaten · EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Einführung in das deutsche Gesundheitssystem

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EBS Universität für Wirtschaft und Recht

EBS Business School

Health Care Management Institute

Einführung in das deutsche Gesundheitssystem

Historie, Grundstrukturen und Basisdaten

Working Paper

Prof. Dr. Ralph Tunder und Jan Ober

28. Februar 2017

Korrespondenz

EBS Universität für Wirtschaft und Recht

EBS Business School

Health Care Management Institute

Rheingaustr. 1

65375 Oestrich-Winkel

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Inhaltsverzeichnis

Seite | I

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................................. II

Tabellenverzeichnis ................................................................................................................................. II

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................................... III

1. Einleitung ............................................................................................................................................ 1

2. Historie deutsches Gesundheitswesen .............................................................................................. 2

3. GKV im System der sozialen Sicherung ............................................................................................ 12

4. Grundprinzipien des Versorgungssystems im Krankheitsfall ........................................................... 14

5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems .................................................................... 17

5.1 Regulierung ............................................................................................................................... 17

5.2 Finanzierung ............................................................................................................................. 20

5.3 Leistungserbringung ................................................................................................................. 22

5.4 Regulierung, Finanzierung und Leistungserbringung im Zusammenspiel ................................ 24

6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens ............................................................................... 26

7. Das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich...................................................... 34

8. Schlussbemerkung ........................................................................................................................... 39

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Seite | II

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1: Entwicklung der Leistungsausgaben der GKV, Anteile der Leistungsarten

in Prozent, 1960-2015 ............................................................................................................................. 4

Abbildung 2.2: Entwicklung GKV Einnahme-Ausgabe-Salden in Mrd. €, 1970-2015 .............................. 7

Abbildung 5.1: Übersicht Regulierung des deutschen Gesundheitssystems ........................................ 18

Abbildung 5.2: Entwicklung Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträger in Mio., 1992-2014 ........... 22

Abbildung 5.3: Entwicklung der Anzahl ausgewählter Gesundheitseinrichtungen nach Träger .......... 23

Abbildung 5.4: Grundstruktur des deutschen Gesundheitssystems ..................................................... 24

Abbildung 7.1: Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP, 2015 ............................................................ 36

Abbildung 7.2: Gesundheitsausgaben je Einwohner (Kaufkraftparität), 2015 ..................................... 37

Abbildung 7.3: Gesundheitsausgaben nach Finanzierungsträger, 2013 ............................................... 38

Tabellenverzeichnis

Tabelle 2.1: Entwicklung der Arztzahlen in Deutschland, 1955-2015 ..................................................... 3

Tabelle 2.2: Entwicklung Anzahl Krankenkassen, 1960-2015 ................................................................. 5

Tabelle 2.3: Überblick über die wichtigsten Gesundheitsreformen seit 1977 ........................................ 8

Tabelle 3.1: Überblick Versicherungszweige der Sozialversicherung ................................................... 12

Tabelle 5.1: Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträger in Mio., 1992 und 2014 .............................. 20

Tabelle 6.1: Entwicklung ausgewählter Daten des Gesundheitswesens, 1991-2015 .......................... 26

Tabelle 6.2: Entwicklung Gesundheitspersonal nach Einrichtungen in Tsd., 2000-2015 ...................... 28

Tabelle 6.3: Entwicklung Gesundheitspersonal nach ausgewählten Berufen in Tsd., 2012-2015 ........ 30

Tabelle 6.4: Gesundheitsausgaben nach Einrichtungen in Mio., 1995-2014 ........................................ 31

Tabelle 7.1: Ausgewählte Kennzahlen der Gesundheitsversorgung im

internationalen Vergleich, 2014 ............................................................................................................ 35

Page 4: Historie, Grundstrukturen und Basisdaten · EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Einführung in das deutsche Gesundheitssystem

Abkürzungsverzeichnis

Seite | III

Abkürzungsverzeichnis

ABAG Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz

AMNOG Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz

BeitrEntlG Beitragsentlastungsgesetz

BfArM Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

BGBl Bundesgesetzblatt

BIP Bruttoinlandsprodukt

BMG Bundesministerium für Gesundheit

Bpb Bundeszentrale für politische Bildung

BPflV Bundespflegesatzverordnung

BRD Bundesrepublik Deutschland

BSSichG Beitragssatzsicherungsgesetz

BVA Bundesversicherungsamt

BVerfGE Bundesverfassungsgericht

BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

DDR Deutsche Demokratische Republik

DIMDI Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information

DKG Deutsche Krankenhausgesellschaft

FPG Fallpauschalengesetz

G-BA Gemeinsamer Bundesausschuss

GKAR Gesetz über das Kassenarztrecht

GKV Gesetzliche Krankenversicherung

GKV-FinG GKV-Finanzierungsgesetz

GKV-NOG GKV-Neuordnungsgesetz

GKV-SolG GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz

GKV-VSG GKV-Versorgungsstärkungsgesetz

GKV-VStG GKV-Versorgungsstrukturgesetz

GKV-WSG GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz

GMG GKV-Modernisierungsgesetz

GRG Gesundheitsreformgesetz

GSG Gesundheitsstrukturgesetz

IQTIG Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen

IQWiG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung

KZBV Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung

KHG Krankenhausfinanzierungsgesetz

KHKG Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz

KHNG Krankenhaus-Neuordnungsgesetz

KV Kassenärztliche Vereinigung

KZV Kassenzahnärztliche Vereinigung

KVÄG Krankenversicherungsänderungsgesetz

KVEG Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz

KVKG Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz

Page 5: Historie, Grundstrukturen und Basisdaten · EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Einführung in das deutsche Gesundheitssystem

Abkürzungsverzeichnis

Seite | IV

LKG Landeskrankenhausgesellschaft

OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

PEI Paul-Ehrlich Institut

PKV Private Krankenversicherung

RKI Robert Koch-Institut

Page 6: Historie, Grundstrukturen und Basisdaten · EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Einführung in das deutsche Gesundheitssystem

1. Einleitung

Seite | 1

1. Einleitung

Das deutsche Gesundheitssystem unterliegt in den letzten Jahrzehnten einem starken Veränderungs-

druck, der durch vielschichte Einflussfaktoren (Demografische Alterung, medizinischer und medizin-

technischer Fortschritt) hervorgerufen wird. Der resultierende Reformdruck führte zu einer Vielzahl

an Reformen und Gesetzesänderungen im Gesundheitswesen. Diese Dynamik hat aus dem

deutschen Gesundheitssystem ein kompliziertes und verflochtenes Gebilde entstehen lassen. Als

Folge stehen die Akteure des Gesundheitswesens vor ständig neuen Herausforderungen.

Um einen Überblick zu vermitteln, möchte das vorliegende Working Paper vom Health Care

Management Institute der EBS Business School über die wichtigsten Strukturen und Hintergründe

des deutschen Gesundheitssystems informieren. Hierzu wird im nächsten Kapitel zunächst die

geschichtliche Entwicklung des deutschen Gesundheitssystems überblicksartig skizziert. Anknüpfend

daran wird im 3. Kapitel die gesetzliche Krankenversicherung in das System der sozialen

Sicherung eingeordnet und im sich anschließenden 4. Kapitel werden die wichtigsten

Grundprinzipien in der Gesundheitsversorgung in Deutschland thematisiert. Das 5. Kapitel widmet

sich den Grundstrukturen des Gesundheitssystems. Dazu werden die einzelnen Merkmale

Regulierung, Finanzierung und Leistungserbringung erläutert und deren Interdependenzen

herausgestellt. Im Anschluss daran werden im 6. Kapitel die Basisdaten des Gesundheitswesens,

insbesondere die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen und Gesundheitsausgaben, vorgestellt und in

den internationalen Kontext eingeordnet. Eine kurze Schlussbemerkung rundet das Working Paper

ab.

Page 7: Historie, Grundstrukturen und Basisdaten · EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Einführung in das deutsche Gesundheitssystem

2. Historie deutsches Gesundheitswesen

Seite | 2

2. Historie deutsches Gesundheitswesen

Die Vorläufer der gesetzlichen Krankenversicherung, wie wir sie heute kennen, gehen bis in das

Mittelalter zurück. Zwei wesentliche Strukturmerkmale des deutschen Gesundheitswesens, die noch

heute in wichtigen Bereichen anzutreffen sind, sind die zunftmäßige Organisation und die Institution

der gesetzlichen Krankenversicherung (Simon 2016).

Kaufleute und selbständige Handwerker schlossen sich in mittelalterlichen Städten in Gilden und

Zünften zusammen, um zum einen ihre politischen Interessen wirkungsvoller vertreten zu können

und zum anderen, um die Konkurrenz untereinander einzudämmen und die wirtschaftliche Existenz

der Zunftmitglieder zu sichern. Diese Versorgungsgemeinschaften erhielten häufig einen rechtlichen

Status, der mit den heutigen Körperschaften des öffentlichen Rechts vergleichbar ist (Simon 2016).

Zu den weiteren wichtigen Merkmalen des Zunftwesens, welche auch heute noch prägend für das

deutsche Gesundheitswesen sind, zählen die Zwangsmitgliedschaft und das Gegenseitigkeitsprinzip.

Ohne eine Mitgliedschaft war eine Ausübung des entsprechenden Handwerks in der jeweiligen Stadt

verboten. Des Weiteren waren diese Versorgungsgemeinschaften auch Institutionen der sozialen

Sicherung, die sich jedoch zumeist nur auf die gegenseitige Unterstützung der in den Zünften

zusammengeschlossenen Kaufleuten oder Handwerksmeistern beschränkte (Simon 2016).

Mit der Verabschiedung des Krankenversicherungsgesetzes von 1883, Gründungsakt der gesetzlichen

Krankenversicherung in Deutschland, durch Reichskanzler Otto von Bismarck wurde die gesetzliche

Krankenversicherung im ganzen Land vor allem für gewerbliche Arbeiter verpflichtend (Simon 2016).

Von Bismarck versuchte mit seiner Sozialgesetzgebung die seit Mitte des 19. Jahrhunderts erstarkte

politische Arbeiterbewegung zu unterdrücken und die Not der Arbeiterschaft, die im Zuge der

Industrialisierung entstanden ist, durch Sozialreformen abzuschwächen und die Arbeiterschaft

dadurch an das Kaiserreich zu binden. Vorrangiges Ziel der Sozialgesetzgebung von Bismarck war es,

den inneren Frieden zu sichern und die Monarchie zu erhalten. Dies war die Geburtsstunde des

deutschen Sozialversicherungssystems, das oft als Bismarck-System bezeichnet wird. In den

Folgejahren wurden weitere Sozialversicherungssysteme geschaffen: Unfallversicherung (1884),

Rentenversicherung (1889) und die Arbeitslosenversicherung (1927). Als letzter Zweig der Sozial-

versicherung wurde die Pflegeversicherung 1995 eingeführt (Porter & Guth 2012).

Die neuere Geschichte des deutschen Gesundheitssystems kann in zwei Perioden unterteilt werden.

In der ersten Periode lag der Schwerpunkt nach dem Zweiten Weltkrieg und im Zuge des

Wirtschaftswunders auf dem Wiederaufbau und Ausbau des Gesundheitssystems. Diese Periode

dauerte bis ca. 1975 an. Es folgte eine zweite Periode der Kostendämpfungspolitik, die bis heute

anhält (Simon 2016). Während in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ein

staatliches Gesundheitssystem nach sowjetischem Vorbild errichtet wurde, stieß dieses Vorhaben in

den Westzonen auf erheblichen Widerstand und schließlich entschied man sich in der

Bundesrepublik Deutschland (BRD) die Tradition des Bismarck`schen Sozialversicherungssystems

fortzusetzen. Nach der Wiedervereinigung 1989/90 wurde das Gesundheitssystem der

Bundesrepublik nahezu unverändert auf die neuen Bundesländer ausgeweitet. Für weitere

Informationen zum Gesundheitssystem der DDR empfiehlt sich das Buch „Das Gesundheitssystem in

Deutschland“ von Michael Simon in der aktuellen Ausgabe.

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

Seite | 3

Im Jahr 1951 wurde zunächst mit dem GKV-Selbstverwaltungsgesetz die Selbstverwaltung der

Sozialversicherungsträger wieder vollständig hergestellt (BGBl. I, S. 124). Es folgte mit dem Gesetz

über das Kassenarztrecht (GKAR – BGBl. I, S. 513) die Wiedereinführung der Kassenärztlichen

Vereinigungen (KVen) und die Gründung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), denen eine

zentrale Rolle im Gesundheitswesen zugewiesen wurde. Fortan schlossen KVen und Kranken-

versicherungen Gruppenverträge ab, die ihnen die Möglichkeit einräumten, die ambulante

Versorgung regional selbst zu organisieren. Für alle niedergelassenen Ärzte, die gesetzlich

Versicherte behandeln wollten, war eine Mitgliedschaft in der KV verpflichtend. Weiterhin wurde

den KVen das alleinige Recht zugesprochen, Zulassungen an niedergelassene Ärzte zu vergeben

(Porter & Guth 2012).

Nach anfänglichen Nachwuchsproblemen in der Nachkriegszeit nahm das Interesse am Arztberuf

gegen Ende der 1950er Jahre wieder zu. Aufgrund der damals bestehenden Beschränkung konnten

jedoch nicht alle Ärzte eine Zulassung als Kassenarzt erhalten. Daraufhin hob das Bundes-

verfassungsgericht mit dem sogenannten Kassenarzturteil im Jahr 1961 (BVerfGE 11, S. 30 ff.) die

Zulassungsbeschränkung auf und bewirkte eine allgemeine Niederlassungsfreiheit. Dieses Urteil legte

die Grundlage für den anschließenden Anstieg der Arztzahlen (Tabelle 2.1).

Tabelle 2.1: Entwicklung der Arztzahlen in Deutschland, 1955-2015

Stichtag (31.12.)

Berufstätige Ärzte

Einwohner je Arzt

Stichtag (31.12.)

Berufstätige Ärzte

Einwohner je Arzt

1955 84.755 832 1990 237.750 335

1960 92.028 793 1995 273.880 299

1965 107.692 709 2000 294.676 279

1970 126.695 616 2005 307.577 268

1975 149.817 524 2010 333.599 245

1980 173.346 452 2015 371.302 219

1985 198.845 391

Quelle: Bundesärztekammer

Neben diesem Urteil prägte insbesondere eine weitere Reform im Jahr 1955 die Entwicklung der

ambulanten ärztlichen Versorgung: Die Einführung der Einzelleistungsvergütung. Bis dahin wurden

die niedergelassenen Ärzte nach dem Prinzip der Kopfpauschalen vergütet. Unabhängig von dem

tatsächlichen Ressourcenverbrauch erhielten die Ärzte für jeden behandelten Patienten einen

Festbetrag. Das neue System bot dem einzelnen Arzt nun einen Anreiz, sein Leistungsangebot

auszuweiten (Porter & Guth 2012).

Die stationäre Versorgung (Krankenhausversorgung) in den 1950er und 1960er Jahren war geprägt

durch Unterfinanzierung, unzureichende Modernisierung und erheblichen Personalmangel (Simon

2016). Dringend erforderliche Modernisierungs- und Baumaßnahmen konnten nicht durchgeführt

werden, da es keine gesetzliche Verpflichtung der Länder und Gemeinden zur Finanzierung der

Krankenhäuser gab. Zusätzlich wurde der Personalmangel im pflegerischen und ärztlichen Bereich

durch unzureichende Selbstkostendeckung verschärft. Eine im Jahr 1966 vom Bundestag in Auftrag

gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein erheblicher Teil der Krankenhauskosten nicht

gedeckt wurde und das Krankenhauswesen in Deutschland nicht dem internationalen Standard

entsprach (Simon 2016). Als Reaktion auf die Veröffentlichung dieser Studie im Jahr 1969 leitete die

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

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Bundesregierung 1971 die Reform der Krankenhausfinanzierung ein. Das gleichnamige

Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG - BGBl. I, S. 1009) von 1972 und die anschließend erlassene

Bundespflegesatzverordnung (BPflV – BGBl. I, S. 333) von 1973 gewährten den Krankenhäusern den

Anspruch auf Selbstkostendeckung und führten die staatliche Krankenhausplanung, die duale

Finanzierung und die tagesgleichen Pflegesätze ein (Simon 2016).

Das Hauptaugenmerk der Sozialpolitik bis Ende der 1950er Jahre lag vorrangig auf der

Alterssicherung. Das Rentenniveau lag lediglich bei 40 Prozent des Nettoverdienstes und die

Altersarmut war ein vorherrschendes gesellschafts- und sozialpolitisches Problem (Simon 2016). Erst

Ende der 1960er rückte die Gesundheitspolitik in den Mittelpunkt und neben den bereits genannten

Veränderungen im ambulanten und stationären Bereich war der Ausbau der gesetzlichen

Krankenversicherung im Fokus der politischen Bemühungen.

Mit dem Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz (2. KVÄG - BGBl. I, S. 1770) von 1970 wurde

die Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze angehoben und die Möglichkeit des

freiwilligen Beitritts zur GKV geschaffen. Weiterhin wurde die Finanzierung der Lohnfortzahlung – bis

dato größter Ausgabenblock (Abbildung 2.1) – von den Krankenversicherungen auf die Arbeitgeber

übertragen und erst nach sechs Wochen verlagerte sich die Finanzierungsverantwortung auf die

Krankenkassen. Hauptziel dieser Maßnahmen war es, die Einnahmesituation der GKV zu verbessern,

indem der Zugang zur GKV für Besserverdiener geschaffen wurde. In den Folgejahren wurde die

Versichertenpflicht auf weitere Bevölkerungsschichten ausgeweitet wie z.B. Landwirte, Angehörige,

Behinderte und Studenten (Simon 2016). Zeitgleich wurde der Leistungskatalog der GKV in den

Folgejahren ausgeweitet. So wurden z.B. bereits im Jahr 1970 (2. KVÄG) Maßnahmen zur

Früherkennung von Krankheiten in den Regelleistungskatalog der GKV aufgenommen.

Abbildung 2.1: Entwicklung der Leistungsausgaben der GKV, Anteile der Leistungsarten in Prozent, 1960-2015

Quelle: Eigene Darstellung, Datengrundlage Simon (2016) und Statistisches Bundesamt (2017a)

Die Ausweitung des Zugangs zur GKV zeigte in der Folge ihre Wirkung. Betrugen die Versicherten-

zahlen der Gesetzlichen Krankenversicherungen im Jahr 1925 noch lediglich 51 Prozent, lag diese

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

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Zahl 1960 bereits bei 83 Prozent und erreichte im Jahr 2000 erstmals die 90-Prozent-Schwelle (Porter

& Guth 2012). Während die Versichertenzahlen in der GKV über die Jahre stiegen, schrumpfte jedoch

die Zahl der Krankenversicherungen infolge einer Marktkonsolidierung. Im Jahr 1960 gab es noch

über 2.000 Krankenkassen – mit Bezug auf die Bevölkerungszahlen in Deutschland liegt die

durchschnittliche pro Kopf Zahl bei 27.593 Einwohnern je Krankenkasse. Vierzig Jahre später im Jahr

2000 lag die Zahl der Krankenversicherungen nur noch bei 420 mit durchschnittlich 195.857

Einwohnern je Versicherung. Dieser Trend setzt sich bis heute fort (Tabelle 2.2).

Tabelle 2.2: Entwicklung Anzahl Krankenkassen, 1960-2015

Anzahl Krankenkassen

Bevölkerung in 1.000 (Stichtag 31.12)

Einwohner je Krankenkasse

1960 2.028 55.958 1 27.593

1970 1.815 61.001 1 33.609

1980 1.319 61.658 1 46.746

1990 1.147 79.753 69.532

2000 420 82.260 195.857

2010 169 81.752 483.740

2015 123 82.176 668.098 1 Früheres Bundesgebiet (Westdeutschland)

Quelle: Statistisches Bundesamt (2013) und GKV-Spitzenverband (2017), eigene Berechnungen

Der wachsende Zugang zu Leistungserbringern (allgemeine Niederlassungsfreiheit), die neuen

Vergütungsregeln im stationären Bereich, sowie die zunehmende Nachfrage nach Behandlungs-

leistungen (Erweiterung des Leistungskataloges und steigende Versichertenzahlen) hatten einen

deutlichen Anstieg der deutschen Gesundheitsausgaben zur Folge (Porter & Guth 2012). Die

Gesundheitsausgaben der GKV stiegen in den Folgejahren von 12,9 Mrd. Euro (3,7 Prozent des BIP)

im Jahr 1970 auf 32,7 Mrd. Euro (5,9 Prozent des BIP) im Jahr 1975. Bis zum Jahr 1980 haben sich die

Gesundheitsausgaben bis auf 46,1 Mrd. Euro (5,9 Prozent des BIP) mehr als verdreifacht (bpb 2014 &

Statistisches Bundesamt 2009, eigene Berechnung). Dieser rapide Kostenanstieg in den 1970er

Jahren, damals als „Kostenexplosion“ bezeichnet, stellte eine Bedrohung für das umlagebasierte

GKV-System dar.

Zugespitzt wurde die Situation im Jahr 1973 als der drastische Anstieg des Weltmarktpreises für

Rohöl eine Wirtschaftskrise auslöste und die Arbeitslosenzahlen in Deutschland binnen weniger Jahre

wieder stark anstiegen. Dem historischen Tiefststand der Arbeitslosenquote 1970 mit 0,7 Prozent

folgte nach dem Ölpreisanstieg 1973 mit einer Arbeitslosenquote von 1,2 Prozent ein Anstieg

innerhalb von zwei Jahren auf über 4,7 Prozent im Jahr 1975 (Statistisches Bundesamt 2017b). Als

Folge dieser Entwicklungen kam es zu einem grundlegenden Wandel in der Gesundheitspolitik in

Deutschland. Nicht mehr der Ausbau des Gesundheitssystems und die Bedarfsdeckung standen im

Fokus der Politik, sondern die Entwicklung der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ab

Mitte der 1970er Jahre bis heute setzte somit die zweite Periode der Kostendämpfungspolitik ein, die

wiederum in zwei Phasen unterteilt werden kann (bpb 2012).

Die erste Phase der Kostendämpfungspolitik umfasst dabei den Zeitraum von 1975 bis zur

Wiedervereinigung 1990. In diesem Zeitraum ließen die Reformen der Gesundheitspolitik die

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

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Strukturen der Gesundheitsversorgung weitgehend unberührt. Die erste Phase kann somit als

traditionelle Kostendämpfungspolitik bezeichnet werden (bpb 2012). Im Jahr 1977 wurde das erste

Gesetz der neuen Kostendämpfungspolitik, das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz

(KVKG – BGBl. I, S. 1069), verabschiedet. Weitere wichtige Gesetze, die in dieser Phase verabschiedet

wurden, waren das Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz (KHKG – BGBl. I, S. 1568), das Haushalts-

begleitgesetz von 1983 (BGBl. I, S. 1857) und 1984 (BGBl. I, S.1532), das Krankenhaus-

Neuordnungsgesetz (KHNG – BGBl. I, S. 1716) von 1984 und das Gesundheitsreformgesetz (GRG –

BGBl. I, S. 2477) von 1989, um nur die wichtigsten zu nennen.

Das zentrale gesundheitspolitische Ziel war eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik, d.h. die GKV-

Ausgaben sollten den Einnahmen angepasst werden. Während die Strukturen des

Gesundheitssystems unverändert blieben, wurden im Zuge der genannten Reformen vor allem die

Vergütungssysteme reformiert. Mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) von

1977 führte die Bundesregierung die Anbindung der Kassenärztlichen Vergütungen an die

Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen der Krankenkassenmitglieder (Grundlohnsumme) ein.

Seitdem ist zwischen den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesverbänden

(wieder) eine Gesamtvergütung für die Honorierung aller ambulanten ärztlichen Leistungen zu

vereinbaren. Die Erhöhung des Gesamthonorars (Ausgaben) orientiert sich dabei an der Entwicklung

der Grundlohnsumme (Einnahmen).

Mit Inkrafttreten des Krankenhaus-Neuordnungsgesetzes (KHNG) reformierte die Bundesregierung

im Jahr 1984 die stationäre Krankenhausfinanzierung. Der Grundsatz der retrospektiven

Selbstkostenerstattung wurde durch die prospektive Budgetierung abgelöst (Simon 2016). Fortan

mussten Budgets und Pflegesätze zwischen den Krankenkassen und Krankenhäusern individuell für

das kommende Jahr vereinbart werden, deren nachträgliche Erhöhung ausgeschlossen war. Neben

den Pflegesätzen wurde zudem erstmalig die pauschalierte Vergütung eingeführt. Krankenhäuser

konnten nun außerhalb des Budgets auf freiwilliger Basis und auf Grundlage der vorauskalkulierten

Selbstkosten für 16 in der Bundespflegesatzverordnung (BPflV – BGBl. I, S. 1666) aufgelistete

Behandlungen Sonderentgelte vereinbaren, mit denen die Behandlungskosten pauschal vergütet

wurden.

Das Gesundheitsreformgesetz (GRG) im Jahr 1989 lieferte die wohl bedeutendste strukturelle

Veränderung im Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung in der ersten Phase. Mit

Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes wurden Leistungen von Schwerpflegebedürftigen in

das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt. Vorausgegangen waren

langanhaltende Diskussionen in Deutschland über die unzureichende Absicherung im Falle der

Pflegebedürftigkeit, da weder in der gesetzlichen Krankenversicherung noch in der Renten-

versicherung Leistungen der Langzeitpflege Bestandteil des Leistungskataloges waren. Pflege-

bedürftige und Angehörige mussten die Kosten für die ambulante und stationäre Langzeitpflege bis

dahin selbst tragen. Als letztes „Auffangnetz“ der sozialen Sicherung trat die Sozialhilfe ein. Aufgrund

steigender Sozialhilfeausgaben für die Hilfe zur Pflege wurden ab 1991 Pflegeleistungen zu Lasten der

GKV gewährt, die jedoch nur als Übergangslösung für eine geplante Reform der Pflegeversicherung

angedacht war. Nach Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung im Jahr 1995 wurden diese

Leistungen schließlich von der Pflegeversicherung übernommen (Simon 2016).

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

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Neben den veränderten Vergütungsformen in der ambulanten und stationären Versorgung sollte die

Beitragssatzstabilität über die Einführung individueller Zuzahlungen und deren sukzessiver Erhöhung

erreicht werden. Die steigenden Behandlungskosten sollten folglich von der gesetzlichen

Krankenkasse durch Zuzahlungen auf die Versicherten übertragen werden. Einzelne Leistungen wie

z.B. Bagatellarzneimittel für Versicherte über 18 Jahre, die zur Behandlung von leichteren

Erkrankungen (Übelkeit, Erkältungen etc.) eingesetzt werden, wurden bereits 1983 von der

Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen (bpb 2012).

Betrachtet man die Ausgabenentwicklung der GKV im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in

der ersten Phase der Kostendämpfungspolitik, blieben diese Maßnahmen nicht erfolglos. Nachdem

die Gesundheitsausgaben der GKV bis 1980 auf 5,8 Prozent des BIP gestiegen sind, haben sich die

GKV-Ausgaben in den Folgejahren bis heute zwischen 6 und 7 Prozent des BIP eingependelt (bpb

2014). Trotzdem änderten die Maßnahmen der ersten Phase, charakterisiert durch die Ziele

Beitragssatzstabilität und einnahmeorientierte Ausgabenpolitik, bis in die frühen 1990er wenig an

den bisherigen (finanziellen) Anreizen der einzelnen Akteure (bpb 2012). Die Entwicklung der GKV

Einnahme-Ausgabe-Salden (Abbildung 2.2) zeigt, dass bis in die 1990er Jahre durch die traditionelle

Kostendämpfungspolitik der damaligen Bundesrepublik Deutschland die Salden stabil gehalten

werden konnte, diese Politik aber in den frühen 1990er an ihre Grenzen stieß. Der positive Effekt,

den das Gesundheitsreformgesetz von 1989 anfangs erzielte, hielt nicht lange an und bereits zwei

Jahre später im wiedervereinten Deutschland erwirtschaftete die GKV ein Minus von fast fünf

Milliarden Euro.

Abbildung 2.2: Entwicklung GKV Einnahme-Ausgabe-Salden in Mrd. €, 1970-2015

Quelle: Eigene Darstellung, Datengrundlage Statistisches Bundesamt (2017a/2017c)

seit 1991: Daten für Gesamtdeutschland (bis 1990 Daten BRD)

Die Grenzen der bisherigen traditionellen Kostendämpfungspolitik veranlasste die Bundesregierung

neben der Kostendämpfung den Fokus auf strukturelle Veränderungen zu richten. Die zweite bis

heute andauernde Phase der Kostendämpfungspolitik, die in der ersten Hälfte der 1990er Jahre

begann, ist durch wettbewerbsorientierte Strukturreformen gekennzeichnet. Zahlreiche neue

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

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Steuerungsinstrumente mit dem Ziel einer wettbewerblichen Steuerung des Gesundheitswesens

wurden geschaffen und eingesetzt. Seitdem unterliegt das Gesundheitswesen einem starken

Veränderungsdruck mit zahlreichen Reformen (bpb 2012).

Mit Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG – BGBl. I, S. 2266) zum 1. Januar 1993 wurde

die zweite Phase der Kostendämpfungspolitik mit einem Fokus auf strukturelle, wettbewerbs-

orientierte Reformen des Gesundheitswesens eingeleitet. Ein wichtiges Merkmal dieser zweiten

Phase war u.a. die Einführung der freien Kassenwahl, die einen Wettbewerb zwischen den

Krankenkassen um Versicherte auslösen sollte. Der Beitragssatz wurde so zum entscheidenden

Wettbewerbsparameter. Weiterhin wurde durch die Einführung von Pauschalen oder

Individualbudgets das Finanzierungsrisiko von den Leistungsträgern (Krankenkassen) auf die

Leistungserbringer (insbesondere Ärzte und Krankenhäuser) verlagert. Die Bundesregierung leitete

zudem einen Privatisierungsschub von Behandlungskosten ein, die über die bisherige Praxis der

sukzessiven und insgesamt moderaten Anhebung von Zuzahlungen hinausging.

Neben einer drastischen Erhöhung von Zuzahlungen wurden weitere Kernelemente der privaten

Krankenversicherung in die GKV übernommen wie z.B. die Einführung von Selbstbehalten, Beitrags-

rückerstattungen und Kostenerstattung. Gleichzeitig war ein weiteres Ziel der Gesundheitsreformen

seit Anfang der 1990er Jahre, Wettbewerbsverhältnisse zwischen Leistungsträgern und

Leistungserbringern durch die Möglichkeit von Einzelverträgen zu schaffen. Die Liberalisierung des

Vertragsrechts sollte Anreize für die Entwicklung neuer und effizienter Versorgungsformen setzen

(bpb 2012). Die wichtigsten Gesundheitsreformen seit 1977 sind abschließend in Tabelle 2.3

aufgelistet.

Tabelle 2.3: Überblick über die wichtigsten Gesundheitsreformen seit 1977

Jahr Reform und Eckpunkte

1977 Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG)

Arzneimittel-Höchstbeträge

Leistungsbeschränkungen

Bagatell-Medikamente werden nicht mehr bezahlt

Zuzahlungen pro Arznei-, Verbands- und Heilmittel, 50 Cent pro Medikament (vorher 1,25 Euro pro Rezept)

Obergrenze der Eigenbeteiligung bei Zahnersatz von 250 Euro wird gestrichen

1982 Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz (KVEG)

75 Cent pro Medikament

Zwei Euro Zuzahlung bei Verordnung von Brillen und Heilmitteln wie Massagen, Bädern

1983 Haushaltsbegleitgesetz

Ein Euro Zuzahlung pro Medikament

Ein Krankenhaustag kostet 2,50 Euro - höchstens 35 Euro

Krankenversicherung der Rentner nicht mehr beitragsfrei

1989 Gesundheitsreformgesetz (GRG)

"Negativliste” für Medikamente

Festbeträge, die Differenz zu höheren Preisen muss der Patient tragen.

Höhere Rezeptgebühr für Arzneimittel

1,50 Euro Aufschlag bei nicht preisgebundenen Präparaten

Klinik-Zuzahlung wird verdoppelt

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

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Jahr Reform und Eckpunkte

Einführung der Zuzahlung im zahnärztlichen Bereich

1993 Gesundheitsstrukturgesetz (GSG)

Ab 1997 freie Kassenwahl für alle Versicherten

Einführung der Budgetierung

Erhöhte Zuzahlungen für Medikamente

Höhere Zuzahlungen bei Zahnersatz und Heilmitteln sowie für die Krankenhausbehandlung

Beträge für Medikamente werden nach Packungsgröße gestaffelt

1996 Beitragsentlastungsgesetz (BeitrEntlG)

Streichung des Zuschusses zum Zahnersatz für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1978 geboren sind (galt bis 1998).

Keine Erstattung bei Brillengestellen

Höhere Zuzahlungen für Arzneimittel

Leistungskürzungen und Zuzahlungserhöhungen bei Kuren

Absenkung des Krankengeldes

1997 1. und 2. GKV-Neuordnungsgesetz (GKV-NOG)

Höhere Zuzahlungen für Arznei- und Heilmittel (zwischen 4,50 und 6,50 Euro)

"Krankenhaus-Notopfer": Je Krankenhaustag 7 Euro - Kuren bis zu 12,50 Euro

Kassenzuschuss für Zahnersatz bei vor 1979 Geborenen wird gestrichen

Höhere Eigenbeteiligung bei Fahrtkosten

1999 GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz (GKV-SolG)

Wiedereinführung der Budgets für Arzthonorare und Krankenhäuser

Arznei- und Heilmittelbudgets

Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz auch für nach 1978 Geborene

Zuzahlungen für Medikamente und Heilmittel werden gesenkt

2000 GKV-Gesundheitsreformgesetz

Budgetverschärfung für Arzthonorare, Arzneien und Krankenhäuser

Regress bei Überschreitung des Budgets

2001 Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz (ABAG)

Abschaffung Budgets für Heil- und Arzneimittel

2002 Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG)

Kürzung des Sterbegeldes

Weitere Verschärfung der Budgets für Arzthonorare und Krankenhäuser

Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs

Kassenartenübergreifender RSA bis spätestens Ende 2016 um Morbiditätsorientierung erweitern

Einrichtung zusätzlicher Risikopool

2003 Fallpauschalengesetz (FPG)

Gesetzliche Grundlage für eine stufenweise Einführung der DRGs ab 2003 im Krankenhaus

2004 GKV-Modernisierungsgesetz (GMG)

Zehn Euro Praxisgebühr / Quartal

Zehn Prozent Zuzahlung bei Arznei- und Hilfsmitteln (mindestens fünf und höchstens zehn Euro)

Zehn Euro pro Krankenhaustag begrenzt auf 28 Tage

Nicht verschreibungspflichtige AM, Fahrtkosten und Brillen komplett zulasten des Patienten

Streichung von Entbindungs- und Sterbegeld

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

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Jahr Reform und Eckpunkte

Belastungsobergrenze für Zuzahlungen beträgt zwei Prozent (für chronisch Kranke ein Prozent) des jährlichen Bruttoeinkommens

2007 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG)

Krankenversicherungspflicht für alle (ab 01.01.2009)

Rechtsanspruch auf Rehabilitation und häusliche Krankenpflege

Verbesserung der Palliativmedizin

Krankenhäuser dürfen ambulant behandeln

Impfungen und Kuren werden Pflichtleistungen

Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimittel

Zweitmeinung bei speziellen Arzneimittelverordnungen

Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern von Arzneimitteln

Mehr Wettbewerb unter den Krankenkassen

Ein Spitzenverband statt bisher sieben

Ermöglichung von kassenartenübergreifenden Fusionen

Einführung eines einheitlichen Beitragssatzes ab 1. Januar 2009 in der GKV

Gesundheitsfonds

2011 GKV-Finanzierungsgesetz (GKV-FinG)

Erhöhung einheitlicher Beitragssatz von 14,9 auf 15,5 Prozent

Arbeitgeberbeitrag auf 7,3 Prozent festgeschrieben

Neugestaltung Zusatzbeiträge mit Sozialausgleich

Vereinfachter Wechsel von der GKV in die PKV

Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG)

Regelungen zur Preissteuerung bei patentgeschützten Medikamenten

Vorgaben zur Frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln

Bestimmungen zu Erstattungsbeträgen für neue Arzneimittel

Präzise Vorgaben zur Veröffentlichung klinischer Studienergebnisse

Neuregelung der Großhandelszuschläge

2012 GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG)

Sicherung einer wohnortnahen ambulanten Versorgung auf dem Land

Flexiblere regionale Bedarfsplanung und stärkere Einbeziehung der Krankenhäuser in die ambulante Versorgung

2015 GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG)

Termingarantie für Facharzttermine binnen vier Wochen; Einrichtung einer Terminservicestelle

Verschärfung des Abbaus von Überversorgung

Stärkung von Praxisnetzen

Fachgruppengleiche medizinische Versorgungszentren und Einrichtung von MVZs durch Kommunen

Neuregelung der Rechtsgrundlage für Selektivverträge

Einführung des Rechts auf Zweitmeinung

Verbesserung des Entlassmanagements bei Kliniken

Einführung eines Innovationsfonds zur Förderung von Innovationen in der Gesundheitsversorgung mit einem Volumen von 300 Millionen Euro pro Jahr

Verbesserung der Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin und Einstieg in die Förderung der ambulanten Weiterbildung bei grundversorgenden Facharztgruppen

Neuregelung der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit Wegfall der verpflichtenden Richtgrößenprüfung und Regionalisierung der Wirtschaftlichkeitsprüfung

Quelle: Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (2017) und AOK Bundesverband (2017)

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2. Historie deutsches Gesundheitswesen

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Literatur

AOK Bundesverband (2017). Geschichte der GKV-Reformen. Online verfügbar unter: http://aok-

bv.de/hintergrund/reformgeschichte/index.html (10.01.2017).

Bundesärztekammer (2017). Ergebnisse der Ärztestatistik. Online verfügbar unter:

http://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/aerztestatistik/ ( 05.01.2017).

bpb, Bundeszentrale für politische Bildung (2012). Etappen der Gesundheitspolitik 1975 bis 2012. Online

verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72874/etappen?p=0 (07.01.2017).

bpb, Bundeszentrale für politische Bildung (2014). Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen

Krankenversicherung – Kostenexplosion oder moderater Ausgabenanstieg?. Online verfügbar unter:

http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/179084/ausgabenentwicklung-in-der-gkv

(08.01.2017).

GKV-Spitzenverband (2017). Entwicklung der Krankenkassenzahl seit 1970. Online verfügbar unter:

https://www.gkv-spitzenverband.de/presse/zahlen_und_grafiken/zahlen_und_grafiken.jsp#lightbox

(08.01.2017).

Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (2017). Gesundheitsreformen seit 1976. Überblick über 40 Jahre

Gesundheitspolitik. Online verfügbar unter: https://www.kvb.de/ueber-

uns/gesundheitspolitik/gesundheitsreformen/ (10.01.2017).

Porter, M. E. & Guth, C. (2012). Chancen für das deutsche Gesundheitssystem: Von Partikularinteressen zu

mehr Patientennutzen. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg.

Simon, M. (2016). Das Gesundheitssystem in Deutschland. Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise. 5.

unveränderte Auflage, Hogrefe Verlag, Göttingen.

Statistisches Bundesamt (2009). Rezessionen in historischer Betrachtung. Online verfügbar unter:

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/VGR/RezessionBetrachtung.pdf?__blob=publica

tionFile (08.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2013). Datenreport 2013. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland.

Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Datenreport/Downloads/

Datenreport2013.pdf?__blob=publicationFile (08.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017a). Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Ad-hoc-

Tabelle frei gestaltbar unter: http://www.gbe-bund.de (08.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017b). Arbeitsmarkt. Registrierte Arbeitslose, Arbeitsquote nach Gebietsstand.

Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Arbeitsmarkt/

lrarb003.html (08.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017c). Einnahmen und Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in

Deutschland. Zeitreihe (1970-1993). Online verfügbar unter: http://www.gbe-

bund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gast&p_aid=0&p_knoten=FID&p_sprache=D&p_suchst

ring=4262 (08.01.2017).

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3. GKV im System der sozialen Sicherung

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3. GKV im System der sozialen Sicherung

Aus den Artikeln 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 des 1949 in Kraft getretenen Grundgesetzes (GG – BGBl. I, S.

1) der Bundesrepublik Deutschland leitet sich das sogenannte Sozialstaatsprinzip ab. Hier heißt es,

dass die Bundesrepublik Deutschland ein „demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (Art. 20 Abs. 1

GG) ist, dessen verfassungsmäßige Ordnung „den Grundsätzen des republikanischen,

demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen“ (Art. 28

Abs. 1 GG) muss. Die konkreten Ziele, Aufgaben und sozialen Rechte des Sozialstaates sind wiederum

im Sozialgesetzbuch (SGB) formuliert. Danach ist die Aufgabe des Sozialstaates für soziale

Gerechtigkeit und soziale Sicherheit zu sorgen und ein menschenwürdiges Dasein zu sichern (§ 1 Abs.

1 SGB V).

Die soziale Sicherung für den einzelnen ist wiederum in den einzelnen Zweigen der Sozial-

versicherung in Deutschland organisiert. Zu den einzelnen gesetzlichen Sozialversicherungszweigen

zählen die gesetzliche Krankenversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung, die gesetzliche

Rentenversicherung, die gesetzliche Arbeitslosenversicherung und die gesetzliche Pflege-

versicherung. Die GKV ist folglich Teil des umfassenden Systems der sozialen Sicherung. In Tabelle 3.1

sind die einzelnen Versicherungszweige der Sozialversicherung überblicksartig aufgelistet.

Tabelle 3.1: Überblick Versicherungszweige der Sozialversicherung

Versicherungszweig Jahr Gesetzl. Grundl.

Träger Aufgaben und Leistungen

Gesetzliche Krankenversicherung

1883 SGB V Gesetzliche Krankenkassen (u.a. Orts-, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkrankenkassen)

kümmert sich um die Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung der Gesundheit der Versicherten

übernimmt in der Regel die Leistungen für die medizinisch notwendige Hilfe im Falle einer Krankheit, mit Ausnahme von Arbeitsunfällen

zahlt Krankengeld, wenn der Arbeitgeber das Gehalt während einer Arbeitsunfähigkeit nicht weiterbezahlt

Gesetzliche Unfallversicherung

1884 SGB VII Gewerbliche und landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften

Unfallversicherungs-träger der öffentlichen Hand (Gemeindeunfall-versicherungsverbände und Unfallkassen)

kümmert sich um die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufs-krankheiten sowie arbeits-bedingten Gesundheitsgefahren

zielt darauf ab, bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und die Leistungs-fähigkeit wiederherzustellen

entschädigt die Versicherten oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen

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3. GKV im System der sozialen Sicherung

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Versicherungszweig Jahr Gesetzl. Grundl.

Träger Aufgaben und Leistungen

Gesetzliche Rentenversicherung

1889 SGB VI Bundesweite Träger (Deutsche Renten-versicherung Bund, Deutsche Renten-versicherung Knappschaft Bahn See)

Regionalträger („Deutsche Renten-versicherung“ und Name der Region z.B. „Bayern Süd“)

zahlt Altersrenten

sichert die Versicherten vor den finanziellen Folgen der verminderten Erwerbsfähigkeit und des Todes des Ehepartners oder der Eltern ab.

sorgt mit Rehabilitations-maßnahmen dafür, die Erwerbsfähigkeit kranker und behinderter Menschen positiv zu beeinflussen und, wenn möglich, wiederherzustellen.

Gesetzliche Arbeitslosen-versicherung

1927 SGB III Bundesagentur für Arbeit und regionale Arbeitsagenturen

Erbringt u.a. Leistungen zur

Integration der Menschen in Berufsausbildungen und Arbeitsverhältnisse

Sicherstellung des Lebensunterhalts während der Arbeitslosigkeit

Gesetzliche Pflegeversicherung

1995 SGB XI Pflegekassen der Krankenkassen

sichert das finanzielle Risiko der Pflegebedürftigkeit ab

will dem Pflegebedürftigen ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen

erbringt, je nach Grad der Pflege-bedürftigkeit, Geld- oder Sachleistungen, mit denen die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung finanziert werden

Quelle: Stiftung Jugend und Bildung (2016)

Literatur

Stiftung Jugend und Bildung (2016). Hintergrund: Sozialversicherung im Überblick. Online verfügbar unter:

http://www.sozialpolitik.com/artikel/hintergrund-sozialversicherung-im-ueberblick (11.01.2017).

bpb, Bundeszentrale für politische Bildung (2012). Die gesetzliche Krankenversicherung im System der sozialen

Sicherung. Online Verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72496/gkv-

soziale-sicherung?p=all (11.01.2017).

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4. Grundprinzipien des Versorgungssystems im Krankheitsfall

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4. Grundprinzipien des Versorgungssystems im Krankheitsfall

Das System der sozialen Sicherung und Versorgung im Krankheitsfall baut auf einer Reihe von

Grundprinzipien auf, die nicht erst mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland entstanden

sind, sondern tief in der Geschichte und Kultur Deutschlands verwurzelt sind. Obwohl die

nachfolgend genannten Grundprinzipien zumeist nicht oder nur sehr allgemein in der Verfassung

oder im Sozialrecht ausformuliert wurden, besitzen diese eine hohe Bedeutung und werden von den

grundlegenden Werthaltungen und Überzeugungen in der Gesellschaft getragen (Simon 2016).

Viele Besonderheiten des deutschen Gesundheitswesens wurzeln in der Konzeption der gesetzlichen

Krankenversicherung (GKV) im Zuge der Sozialgesetzgebung von Bismarck im Jahr 1983 und den

daran anknüpfenden Entwicklungen (bpb 2012a). So handelt es sich bei den nachfolgend

aufgeführten Grundprinzipien vor allem um Prinzipien, die für die gesetzliche Krankenversicherung

konstitutiv sind. Da jedoch über 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gesetzlich kranken-

versichert sind, haben diese Grundprinzipien eine zentrale Bedeutung für das gesamte System der

sozialen Sicherung und Versorgung im Krankheitsfall (Simon 2016). Die aktuellen Grundprinzipien

sind jedoch keine unveränderbaren Größen, sondern im Laufe der Jahrzehnte entstanden und

können durch die Bundesregierung jederzeit modifiziert oder sogar abgeschafft werden.

Solidarprinzip

Das zentrale und wichtigste Prinzip der sozialen Sicherung und Versorgung im Krankheitsfall und

Basis der GKV ist das Solidarprinzip (auch Solidaritätsprinzip). Solidarität bedeutet vereinfacht

formuliert, dass sich Mitglieder einer definierten Solidargemeinschaft gegenseitig Hilfe und

Unterstützung gewähren (Simon 2016). Die Beitragshöhe der Versicherten in der Solidar-

gemeinschaft richtet sich dabei nach dem persönlichen Einkommen und somit nach der individuellen

finanziellen Leistungsfähigkeit (geregelt in § 3 SGB V). Der Leistungsanspruch orientiert sich jedoch

an der individuellen Bedürftigkeit und folglich ist der Anspruch auf und Umfang von Gesundheits-

leistungen unabhängig von der Beitragshöhe (Simon 2016).

Da Leistungen nach dem Bedarf gewährt werden, sich die Finanzierung jedoch an der Leistungs-

fähigkeit orientiert, kommt es somit zu Umverteilungseffekten (bpb 2013). In der Solidar-

gemeinschaft kann somit zwischen zwei Versichertentypen unterschieden werden. Auf der einen

Seite gibt es die Nettoeinzahler/innen, die mehr einzahlen als sie verbrauchen, und auf der anderen

Seite gibt es die Nettoempfänger/innen, die mehr Leistungen mit höheren Kosten beanspruchen als

sie über ihre Beiträge einzahlen. Nettoeinzahler/innen sind zumeist junge, gesunde Erwerbstätige

ohne oder mit wenigen beitragsfreien Mitversicherten. Nettoempfänger/innen sind hingegen

zumeist chronisch Kranke, ein Großteil der Rentner/innen und Mitglieder mit geringem Einkommen

und vielen Mitversicherten (bpb 2013).

Subsidiaritätsprinzip

Als weiteres Prinzip der sozialen Sicherung und Versorgung im Krankheitsfall ist Deutschland geprägt

durch das Subsidiaritätsprinzip. Die vorab beschriebene Solidarität soll und kann dabei die Eigen-

verantwortung und Selbsthilfe nicht vollständig ersetzen. Daher wird dem Solidarprinzip das

Subsidiaritätsprinzip ergänzend zur Seite gestellt. Dieses Prinzip besagt, dass Lasten, die von

Individuen und kleineren Solidargemeinschaften getragen werden können, auch von diesen

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4. Grundprinzipien des Versorgungssystems im Krankheitsfall

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übernommen werden. Die größere Solidargemeinschaft tritt folglich erst ein, wenn die kleinere

Gemeinschaft überfordert ist (Simon 2016). Das Zusammenspiel von Solidarität und Eigen-

verantwortung in der GKV sind in § 1 SGB V gesetzlich festgeschrieben.

Für die Inanspruchnahme von Solidargemeinschaften lässt sich aus dem Subsidiaritätsprinzip eine

nach ihrer Leistungsfähigkeit gestufte Pyramide ableiten (Simon 2016). Das betroffene Individuum

hat zunächst die Lasten selbst zu tragen, die seiner Leistungsfähigkeit entsprechen und ihm zumutbar

sind (1). Lebens-, Ehepartner und die Familie erbringen danach ihre Unterstützungsleistungen (2).

Werden auch diese durch die notwendigen Unterstützungsleistungen überfordert, tritt eine größere

Solidargemeinschaft wie z.B. die GKV ein (3). Erst als letzte Instanz sollte die Gemeinschaft aller

Staatsbürger als größte Solidargemeinschaft in Anspruch genommen werden (4).

Das Prinzip der Subsidiarität findet sich in der GKV vor allem im Ausschluss von Bagatellarzneimitteln

und Zuzahlungs-, Härtefall- und Überforderungsregelungen wieder.

Bedarfsdeckungsprinzip

Im Krankheitsfall wird den Versicherten der GKV ein Anspruch auf die medizinisch notwendigen

Leistungen gewährt (Simon 2013). Das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) besagt, dass

Sach- und Dienstleistungen im Rahmen der Krankenbehandlung „ausreichend, zweckmäßig und

wirtschaftlich“ sein müssen und „das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ dürfen. Gleichzeitig

werden Leistungserbringer und Krankenkassen in § 70 Abs. 1 SGB V verpflichtet, „eine

bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen

Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten“.

Das Bedarfsdeckungsprinzip wird auch nicht durch den Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 SGB

V) außer Kraft gesetzt, sondern in § 1 Abs. 1 SGB V wird ausdrücklich der Vorrang des Bedarfs-

deckungsprinzips herausgestellt. Hier heißt es explizit, dass eine Beitragssatzerhöhung zulässig ist,

wenn die notwendige medizinische Versorgung anders nicht zu gewährleisten ist.

Sachleistungsprinzip

Im gesetzlichen Krankenversicherungssystem werden den Versicherten die Leistungen im Krankheits-

fall überwiegend als Sachleistungen gewährt. Um dies zu gewährleisten, schließen Krankenkassen mit

Leistungserbringern Verträge ab, in denen sich die Leistungserbringer zur Behandlung von

Versicherten und die Krankenkassen zur Zahlung von vereinbarten Vergütungen rechtlich

verpflichten. Gegen Vorlage einer Versichertenkarte, den die Versicherten jeweils von ihrer

Krankenkasse erhalten, können z.B. von Vertragsärzten, Krankenhäusern und Apotheken Leistungen

kostenlos in Anspruch genommen werden. Die erbrachten Leistungen werden den Krankenkassen

durch die Leistungserbringer in Rechnung gestellt (Simon 2016). Versicherte der GKV können somit

medizinische Leistungen in Anspruch nehmen, ohne selbst in Vorleistung treten zu müssen.

Gegenstück des Sachleistungsprinzips ist das Kostenerstattungsprinzip, bei dem der Empfänger der

medizinischen Leistung die Rechnung vom Leistungserbringer direkt erhält und bezahlt und diese

danach bei seiner Versicherung einreicht (Simon 2016). Das Prinzip der Kostenerstattung kommt

überwiegend in der privaten Krankenversicherung zum Einsatz. Nach § 13 SGB V Abs. 2 gibt es jedoch

auch in der GKV die Möglichkeit der Kostenerstattung als Wahlleistung, die durch eine Satzungs-

änderung der jeweiligen Krankenkasse geschaffen werden kann.

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4. Grundprinzipien des Versorgungssystems im Krankheitsfall

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Versicherungspflicht

Im Kern ist die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland eine Zwangsversicherung. Für alle

Arbeiter und Angestellte, die ein Einkommen unterhalb einer gesetzlich festgelegten Einkommens-

grenze (Versicherungspflichtgrenze) haben, gilt eine Versicherungspflicht. Mit Eintritt in ein

Beschäftigungsverhältnis müssen diese Personen Pflichtmitglied in einer der gesetzlichen

Krankenkassen werden (Simon 2016).

Mit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG – BGBl. I, S. 378) im Jahr 2007

wurde die Versicherungspflicht schrittweise geändert und seit dem Jahr 2009 gilt eine allgemeine

Versicherungspflicht für alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland. Die gesetzliche Grundlage zur

Versicherungspflicht in der GKV bildet § 5 SGB V.

Im Jahr 1993 wurde mit Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG – BGBl. I, S. 2266) die

Wahlfreiheit zwischen allen Krankenkassen, die mittels Gesetz oder Satzungsbeschluss geöffnet

wurden, ab dem Jahr 1997 eingeführt. Die mittels Gesetz oder Satzungsbeschluss geöffneten

Krankenkassen sind dazu verpflichtet, alle versicherungspflichtigen Personen der GKV aufzunehmen

(Kontrahierungszwang).

Selbstverwaltung

Der Grundsatz der Selbstverwaltung ist ebenfalls ein tief in die Geschichte verwurzelter Grundsatz

der Gesundheitsversorgung in Deutschland und reicht bis in das mittelalterliche Zunft- und Gilden-

wesen zurück. Die staatlichen Aktivitäten beschränken sich demnach auf die Rahmensetzung und

Rechtsaufsicht. Die direkte Ausführung und Durchführung von Gesetzen im Bereich der sozialen

Sicherung und Versorgung im Krankheitsfall wurde auf die Organe der sogenannten Selbstverwaltung

übertragen (Simon 2016).

Zu den einzelnen Akteuren der Selbstverwaltungen im Gesundheitswesen zählen die Landesverbände

der Krankenkassen, Kassen(zahn)ärzte sowie die Krankenhausgesellschaften und deren bundesweite

Spitzenorganisationen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bildet das höchste und zugleich

wichtigste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen (bpb 2012b).

Literatur

bpb, Bundeszentrale für politische Bildung (2012a). Bismarcks Erbe: Besonderheiten und prägende Merkmale

des deutschen Gesundheitswesens. Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/

gesundheitspolitik/72553/deutsche-besonderheiten?p=3 (12.01.2017).

bpb, Bundeszentrale für politische Bildung (2012b). Die wichtigsten Akteure im deutschen Gesundheitswesen.

Teil 2: Verbände und Körperschaften der gemeinsamen Selbstverwaltung. Online Verfügbar unter:

http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72575/verbaende-und-koerperschaften?p=all

(12.01.2017.

bpb, Bundeszentrale für politische Bildung (2013). Einer für alle, alle für einen – Das Solidarprinzip in der

gesetzlichen Krankenversicherung. Online verfügbar unter:

http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72358/solidarprinzip?p=all (12.01.2017).

Simon, M. (2016). Das Gesundheitssystem in Deutschland. Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise. 5.

unveränderte Auflage, Hogrefe Verlag, Göttingen.

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

Seite | 17

5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

Das deutsche Gesundheitssystem setzt sich aus dem Zusammenspiel von Regulierung, Finanzierung

und Leistungserbringern zusammen (Simon 2016). Zunächst werden die drei Bereiche Regulierung,

Finanzierung und Leistungserbringer separat betrachtet und anschließend wird die Grundstruktur

des deutschen Gesundheitswesens als Zusammenspiel der drei genannten Bereiche beschrieben.

5.1 Regulierung

Die staatliche Regulierung des deutschen Gesundheitssystems kann dahingehend zusammengefasst

werden, dass die Bundesregierung die oberste und maßgebliche Instanz für die Regulierung des

Gesundheitssystems ist, sich aber weitgehend auf eine allgemeine Rahmensetzung beschränkt und

die Ausgestaltung des konkreten Versorgungssystems den einzelnen Akteuren der Selbstverwaltung

überlässt. Somit kommt den Verbänden und Körperschaften der Selbstverwaltung – Landes- und

Bundesverbände der Krankenkassen, Kassen(zahn)ärzte und Krankenhausgesellschaften sowie dem

G-BA – eine zentrale Rolle im Gesundheitssystem zu. Sollten sich die Verbände und Körperschaften in

Verhandlungen nicht einigen oder entsprechen diese Vereinbarungen nicht den Vorgaben des

Gesetzes, nimmt der Staat vom Recht der Letztentscheidung gebrauch (Simon 2016).

Im internationalen Vergleich ist das Ausmaß der staatlichen Regulierung im deutschen

Gesundheitswesen relativ hoch, da sowohl der Großteil des Leistungskataloges der GKV als auch die

Vergütungssysteme sehr detailliert geregelt sind. Jedoch sind der staatlichen Steuerung

verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt (z.B. Grundrecht auf freie Berufswahl), sodass sich diese

überwiegend auf das Setzen von wirtschaftlichen Anreizen beschränkt. So kann der Staat z.B. den

zugelassenen Krankenhäusern öffentliche Investitionsförderungen zuteilen oder Behandlungen von

GKV Versicherten gewähren oder verweigern (Simon 2016).

Der Staat ist in Deutschland jedoch kein einheitlicher Akteur, sondern die Regulierungsaufgaben sind

auf verschiedene staatliche Ebenen und Institutionen verteilt. In Art. 20 und 28 des Grundgesetzes

(GG – BGBl., S. 1) ist der Föderalismus als grundlegendes Organisationsprinzip der Bundesrepublik

Deutschland seit 1949 festgeschrieben. Kennzeichnend für das föderale System ist die vertikale

Gewaltenteilung und somit die Aufteilung der Macht bzw. rechtlichen Kompetenzen zwischen Bund

und Ländern (bpb 2013). Über den Bundesrat wirken die Länder an der Gesetzgebung des Bundes

mit. Allerdings sind die Mitwirkungsrechte des Bundesrates gegenüber denen des Bundestages

abgestuft. Im Gegensatz zu Zustimmungsgesetzen, für deren Inkrafttreten eine ausdrückliche

Mehrheit im Bundesrat erforderlich ist, kann der Bundesrat bei Einspruchsgesetzen, die vom

Bundestag verabschiedet werden, das Inkrafttreten durch seinen Einspruch lediglich verzögern, aber

nicht verhindern (Simon 2016). Für das Gesundheitssystem ist diese vertikale Gewaltenteilung

insbesondere von Bedeutung, da ein Teil der Gesundheitsgesetzgebung zustimmungspflichtig ist. In

der Vergangenheit führten daher Differenzen zwischen Bundestag und Bundesrat häufig zu

Änderungen von Gesetzesvorlagen oder sogar zum Scheitern von Reformen (Simon 2016).

Auch im Gesundheitswesen sind die Aufgaben und Zuständigkeiten der staatlichen Verwaltung

zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Dabei ist das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) für

das Gesundheitswesen die oberste Verwaltungsbehörde des Bundes. Zu den nachgeordneten

Geschäftsbereichen des Bundesministeriums für Gesundheit, über die das BMG die Dienst- und

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

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Fachaufsicht unterhält, zählen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), das Deutsche Institut für medizinische

Dokumentation und Information (DIMDI), das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und das Robert Koch-Institut

(RKI) (BMG 2017a). In Abbildung 5.1 sind die wichtigsten Regulierungsinstanzen des deutschen

Gesundheitssystems abgebildet.

Abbildung 5.1: Übersicht Regulierung des deutschen Gesundheitssystems

Quelle: BMG (2017b)

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

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Abschließend sind die wichtigsten Aufgaben der einzelnen oben aufgeführten Instanzen nachfolgend

zusammengefasst (BMG 2017b). Weitere detailliertere Informationen über Aufgaben und

Organisation können auf den jeweiligen Webseiten nachgelesen werden.

Bundesministerium für Gesundheit (BMG): Erarbeitung von Gesetzesentwürfen, Rechts-

verordnungen und Verwaltungsvorschriften zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen

Pflegeversicherung, zum Gesundheitsschutz, zur Zulassung, zu den Gesundheitsberufen, zu

Arzneimitteln und Medizinprodukten.

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Arzneimittelzulassung und

-registrierung, Genehmigung klinischer Prüfungen sowie Risikoüberwachung bei Arzneimitteln und

Medizinprodukten, Überwachung des Betäubungsmittelverkehrs.

Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): Bereitstellung von

medizinischen Informationen und Klassifikationen für die Fachöffentlichkeit, datenbankgestützte

Informationssysteme für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Bundesversicherungsamt (BVA): Aufsicht über bundesunmittelbare gesetzliche Krankenkassen,

besondere Verwaltungsaufgaben, Abwicklung des Risikostrukturausgleichs zwischen den Kranken-

kassen, Gesundheitsfonds.

Robert Koch-Institut (RKI): Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere

der Infektionskrankheiten.

Paul-Ehrlich-Institut (PEI): Zulassung biomedizinischer Arzneimittel (z.B. Impfstoffe), Genehmigung

klinischer Prüfungen und Risikoüberwachung bei Arzneimitteln.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Präventionskampagnen, Aufklärungs-

maßnahmen und Modellprojekte (z.B. Kinder- und Jugendgesundheit, Gesund altern, Aids, Sucht).

Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Reduzierung von drogen- und suchtbedingten Problemen,

Koordinierung der Aktivitäten innerhalb der Bundesregierung auf dem Gebiet der Drogenpolitik,

Vertretung in der Öffentlichkeit.

Patientenbeauftragter der Bundesregierung: Stärkung und Weiterentwicklung der Patientenrechte

im Gesundheitssystem, Vertretung von Patientenanliegen in Politik und Öffentlichkeit.

Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Zentrales Entscheidungsgremium der gemeinsamen

Selbstverwaltung zur Steuerung der medizinischen Versorgung, Umsetzung der gesetzlichen

Vorgaben durch Richtlinien (z.B. Verordnung von Arzneimitteln, Einführung neuer Behandlungs-

methoden).

Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG): Vertragsabschlüsse mit dem Spitzenverband Bund der

Krankenkassen (z.B. zum Vergütungssystem DRG).

Kassen(zahn)ärztliche Bundesvereinigung (K(Z)BV): Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen

Versorgung, Abschluss der Bundesmantelverträge mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen.

Spitzenverband Bund der Krankenkassen: Vertragsabschlüsse mit K(Z)BV und DKG, Grundsatz-

entscheidungen zur Versorgung (z.B. Zahnvorsorge, Arzneimittelfestbeträge).

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

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Akkreditierte Patientenverbände: Vertretung von Patienteninteressen in den Gremien der

gesetzlichen Krankenversicherung, u.a. Mitberatungs- und Vorschlagsrecht im G-BA.

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Bewertung von

Diagnose- und Therapieverfahren, Kosten- und Nutzenbewertung von Arzneimitteln, Vorschläge zu

strukturierten Behandlungsprogrammen, hochwertige Patienteninformationen.

Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG): Erarbeitung und

Umsetzung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung und zur Darstellung der Versorgungsqualität im

Gesundheitswesen.

Landeskrankenhausgesellschaften (LKG): Vertragsabschlüsse mit K(Z)V und den Landesverbänden

der Krankenkassen auf Landesebene (z.B. zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus).

Kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen (K(Z)V): Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen

Versorgung, Vertragsabschlüsse mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen,

Verteilung der ärztlichen Vergütung.

Landesverbände der Krankenkassen: Vertragsabschlüsse mit K(Z)V und LKG auf Landesebene (z.B. zu

strukturierten Behandlungsprogrammen), Mitwirkung beim Finanzausgleich der Mitgliedskassen.

Landesgesundheitsministerien: Krankenhausplanung, Investitionen Krankenhäuser (z.B. Gebäude,

Großgeräte), öffentlicher Gesundheitsdienst (z.B. Prävention übertragbarer Krankheiten).

5.2 Finanzierung

Die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung sind im deutschen Gesundheitssystem der größte

Ausgabenträger. Zusammen tragen diese mit einem Anteil von 69,2 Prozent der gesamten

Gesundheitsausgaben in Deutschland (2014) erheblich zur Finanzierung des Gesundheitssystems bei

(Tabelle 5.1). Von den einzelnen Sozialversicherungsträgern trägt die Gesetzliche Kranken-

versicherung mit 58,5 Prozent den mit Abstand größten Anteil der gesamten Gesundheitsausgaben

im Jahr 2014, gefolgt von der Sozialen Pflegeversicherung mit 7,8 Prozent. Die gesetzliche

Unfallversicherung finanziert lediglich 1,6 Prozent und die gesetzliche Rentenversicherung nur 1,3

Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben in Deutschland.

Tabelle 5.1: Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträger in Mio., 1992 und 2014

1992 2014 1992-2014

Ausgabenträger insgesamt 158.966€ 100,0% 327.951€ 100,0% +106,3%

Öffentliche Haushalte 17.628€ 11,1% 14.769€ 4,5% -16,2%

Gesetzliche Krankenversicherung 98.718€ 62,1% 191.767€ 58,5% +94,3%

Soziale Pflegeversicherung 25.452€ 7,8%

Gesetzliche Rentenversicherung 3.530€ 2,2% 4.363€ 1,3% +23,6%

Gesetzliche Unfallversicherung 2.838€ 1,8% 5.213€ 1,6% +83,7%

Private Krankenversicherung 11.679€ 7,3% 29.262€ 8,9% +150,6%

Arbeitgeber 6.957€ 4,4% 13.938€ 4,3% +100,3%

Private Haushalte u. Organisationen 17.616€ 11,1% 43.186€ 13,2% +145,2%

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017a), eigene Berechnungen

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

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Ein weiterer wichtiger Ausgabenträger sind die privaten Haushalte mit 13,2 Prozent (2014), die vor

allem durch Zuzahlungen im Rahmen der GKV und durch individuelle Gesundheitsausgaben wie z.B.

nicht rezeptpflichtige Arzneimittel oder weitere nicht von der Krankenversicherung übernommene

Leistungen zur Finanzierung des Gesundheitssystems beitragen (Simon 2016). Nach den gesetzlichen

Krankenversicherungen sind die privaten Haushalte mittlerweile der zweitgrößte Ausgabenträger.

Neben der Einführung neuer Zuzahlungen haben insbesondere die Erhöhung bisheriger Zuzahlungen

und Einschränkungen des Leistungskataloges der GKV zur Ausweitung des Anteils der privaten

Haushalte beigetragen (Simon 2016).

Die privaten Krankenversicherungen tragen vor allem durch Kostenerstattungen, die sie auf

Grundlage von eingereichten Rechnungen für medizinische Leistungen an ihre Versicherten

auszahlen, zur Finanzierung des Gesundheitssystems bei. Mit einem Anteil von 8,9 Prozent sind die

privaten Krankenversicherungen nach der GKV und den privaten Haushalten der drittgrößte

Finanzierungsträger. Dabei ist ihr Anteil seit Anfang der 1990er (7,3 Prozent) kontinuierlich gestiegen.

Dies ist jedoch weniger auf die steigende Zahl der Versicherten zurückzuführen, sondern vielmehr die

Folge von Leistungsausweitungen und Honorarsteigerungen in der ambulanten privatärztlichen

Versorgung (Simon 2016).

Die Bedeutung der öffentlichen Haushalte zur Finanzierung der Gesundheitsausgaben ist seit den

1990er Jahren deutlich zurückgegangen. Während 1992 noch 11,1 Prozent der Gesundheitsausgaben

von den öffentlichen Haushalten getragen wurden, lag dieser Anteil 2014 nur noch bei 4,5 Prozent.

Die öffentlichen Haushalte finanzieren insbesondere die für den Gesundheitsbereich zuständigen

öffentlichen Verwaltungen (Ministerien, Gesundheitsämter etc.), die Förderung von Investitionen

(v.a. der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen), die Vorhaltung von Ausbildungskapazitäten (u.a.

Medizinische Fakultät) und sie übernehmen die Kosten der Sozialhilfeleistung „Hilfe zur Pflege“

(Simon 2016). Der größte Teil des rückläufigen Ausgabenanteils ist auf die Einführung der sozialen

Pflegeversicherung 1995 zurückzuführen. Diese entlastete insbesondere die Sozialhilfeträger bei der

Finanzierung der Sozialhilfeleistung „Hilfe zur Pflege“ (Simon 2016).

Der Arbeitgeber, als letzter in der Gesundheitsausgabenrechnung ausgewiesener Finanzierungs-

träger, trägt mit einem Anteil von 4,3 Prozent zur Finanzierung des Gesundheitssystems bei. Sein

Anteil hat sich dabei seit den 1990er Jahren kaum verändert. Der ausgewiesene Anteil enthält jedoch

nicht den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge, sondern nur direkte Aufwendungen.

Hierzu gehören u.a. Ausgaben für den betrieblichen Gesundheitsdienst oder die Ausgaben für

Beihilfe der öffentlichen Arbeitgeber für Beamte (Simon 2013). Der Arbeitgeberanteil zur

Sozialversicherung wird analog zum Arbeitnehmeranteil dem Finanzierungsanteil der

Sozialversicherungen zugerechnet.

Der Anteil der Sozialversicherungsträger an den gesamten Gesundheitsausgaben ist, von kleinen

Schwankungen abgesehen, im wiedervereinten Deutschland seit den 1990er Jahren auf einem

weitgehend stabilen Niveau geblieben. Während ihr Anteil im Jahr 1992 bei 66,1 Prozent lag, liegt

dieser zum Vergleich heute bei 69,2 Prozent (2014). Weiterhin ist die soziale Pflegeversicherung seit

Einführung im Jahr 1995 zu einem wichtigen Finanzierungsträger der Gesundheitsausgaben in

Deutschland aufgestiegen und hat insbesondere durch die Übernahme der Sozialhilfeleistung „Hilfe

zur Pflege“ die öffentlichen, steuerfinanzierten Haushalte entlastet.

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

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Abbildung 5.2: Entwicklung Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträger in Mio., 1992-2014

Quelle: Eigene Darstellung, Datengrundlage Statistisches Bundesamt (2017a)

Seit 1992 haben sich die gesamten Gesundheitsausgaben in Deutschland von 158,97 auf 327,95 Mrd.

Euro mehr als verdoppelt. Während die Gesundheitsausgaben der öffentlichen, steuerfinanzierten

Haushalte und die der einzelnen Sozialversicherungsträger im Vergleich zu den gesamte

Gesundheitsausgaben weniger stark gestiegen sind, zeigen vor allem die privaten Haushalte und die

private Krankenversicherung überdurchschnittliche Steigerungsraten, deren Gesundheitsausgaben

sich fast verdreifacht haben.

5.3 Leistungserbringung

Im deutschen Gesundheitssystem erfolgt die Leistungserbringung durch öffentliche, freigemein-

nützige und private Einrichtungen (Simon 2016). Diese Trägervielfalt ist gemäß § 1 Abs. 2 KHG bei der

Durchführung des Gesetzes zu beachten und folglich als gesetzlicher Auftrag vorgegeben. Weiterhin

sollen zur Versorgung im Krankenhaussektor und in der ambulanten und stationären Pflege

insbesondere freigemeinnützige und private Einrichtungen bevorzugt und gefördert werden (§ 1 Abs.

2 KHG und § 73 Abs. 3 SGB XI).

Zu den öffentlichen Trägern zählen u.a. Bund, Länder, Gemeinde, Städte und Sozialversicherungen.

Letztgenannte betreiben insbesondere in den Teilbereichen Rehabilitation und gesetzliche

Unfallversicherung eigene Versorgungseinrichtungen (Simon 2016). Mit Ausnahme der Bundeswehr-

krankenhäuser unterhält der Bund keine Einrichtungen der Pflege und Krankenversorgung. Die

Länder nehmen hingegen eine zentrale Rolle in der Versorgung ein. So werden Universitätskliniken,

die vorrangig Leistungen der Maximalversorgung erbringen, und psychiatrische Landes-

krankenhäuser von den Ländern betrieben und sind somit in öffentlicher Trägerschaft (Simon 2016).

Der Großteil der öffentlichen Kliniken befindet sich jedoch in Trägerschaft von Gemeinden, Städten

und Kreisen, die vor allem Leistungen der stationären Krankenversorgung in eigenen Einrichtungen

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

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erbringen. In der ambulanten Pflege und in der stationären und teilstationären Pflege spielen

öffentliche Träger jedoch kaum eine Rolle (Abbildung 5.3).

Traditionell spielen freigemeinnützige Träger eine tragende Rolle in der Krankenversorgung und

Pflege in Deutschland. Zu den freigemeinnützigen Trägern zählen gemeinnützige Stiftungen,

Wohlfahrtsverbände und kirchliche Träger, die vor allem Krankenhäuser, Sozialstationen und

Pflegeheime betreiben (Simon 2016). Auch wenn der Anteil freigemeinnütziger Krankenhäuser seit

den 1990er rückläufig ist und 2015 erstmals mehr Krankenhäuser in privater (700) als in

freigemeinnütziger (679) Trägerschaft waren, sind weiterhin über ein Drittel aller Krankenhäuser in

freigemeinnütziger Trägerschaft und folglich weiterhin von großer Bedeutung für die Kranken-

versorgung (Abbildung 5.3).

Abbildung 5.3: Entwicklung der Anzahl ausgewählter Gesundheitseinrichtungen nach Träger

Quelle: Eigene Darstellung, Datengrundlage Statistisches Bundesamt (2016a/2016b/2017b/2017c)

Der überwiegende und in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommene Teil der Kranken-

versorgung und Pflege im deutschen Gesundheitssystem wird in privater Trägerschaft erbracht. „Als

privat gelten Unternehmen, Organisationen und Einzelpersonen, die Sach- und Dienstleistungen für

die Krankenversorgung und Pflege zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken erbringen und anbieten“

(Simon 2016, S. 138). Neben privaten Krankenhäusern, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen

und Pflegeeinrichtungen zählen zu den privaten Leistungserbringern die selbständig tätigen

niedergelassenen Ärzte, Praxen sonstiger Gesundheitsberufe, Apotheken und das Gesundheits-

handwerk. Die steigende Bedeutung privater Träger im Krankenhausbereich und in der Pflege seit

den 1990er ist zum einen auf die Privatisierung kommunaler Krankenhäuser, durch die die

Gemeinden von wirtschaftlichen Risiken entlastet werden, und zum anderen auf die Einführung der

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

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Pflegeversicherung im Jahr 1995 zurückzuführen. Als Folge wurden zahlreiche neue private Pflege-

dienste gegründet (Abbildung 5.3).

5.4 Regulierung, Finanzierung und Leistungserbringung im Zusammenspiel

Nachdem die einzelnen Aspekte des deutschen Gesundheitssystems unabhängig voneinander

beschrieben wurden, wird abschließend das Zusammenspiel aus staatlicher Regulierung,

Beitragsfinanzierung und überwiegend freigemeinnütziger und privater Leistungserbringer

betrachtet, dass dem deutschen Gesundheitssystem seine spezifische Grundstruktur verleiht

(Abbildung 5.4).

Abbildung 5.4: Grundstruktur des deutschen Gesundheitssystems

Quelle: Simon (2016)

Der Staat steht dabei über dem gesamten Gesundheitssystem und somit auch jedem Teilsystem.

Dieser gibt mit seiner Rechtsetzung und Rechts- bzw. Fachaufsicht den Rahmen vor und überlässt die

konkrete Ausgestaltung den Selbstverwaltungspartnern, die als Körperschaften des öffentlichen

Rechts organisiert sind. Als Gesetz- und Verordnungsgeber erlässt er Rechtsvorschriften, die für alle

Beteiligten des Gesundheitssystems bindend sind, und überwacht deren Einhaltung. Im Gegenzug

gewährt er den Leistungserbringern und Kostenträgern Rechtsansprüche gegenüber dem Staat. So

erstattet er z.B. einen Teil der Ausgaben für bestimmte Leistungen, die die Krankenkassen im Auftrag

des Staates den Versicherten genehmigen (z.B. Mutterschaftsgeld), oder gestattet den als

bedarfsgerecht anerkannten Krankenhäusern einen Anspruch auf pauschale Investitionsförderung

nach KHG. Zuletzt unterliegen auch die Versicherten der GKV den staatlichen Rechtsvorschriften, die

sich vor allem in der Festlegung des Leistungskataloges der GKV im SGB V bemerkbar machen (Simon

2016).

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5. Grundstrukturen des deutschen Gesundheitssystems

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Innerhalb des vom Staat vorgegebenen Rahmens erfolgt die Leistungserbringung und Finanzierung in

einem Dreiecksverhältnis bestehend aus Krankenversicherung, Versicherten der GKV (Mitgliedern)

und Leistungserbringern. Die Krankenversicherungen oder auch Kostenträger schließen Verträge mit

den Leistungserbringern ab, in denen sich die Leistungserbringer zur Behandlung der Versicherten

und die Kostenträger zur Übernahme der vereinbarten Vergütung für die erbrachten Leistungen

verpflichten. Die Versicherten bezahlen Beiträge an die jeweilige Versicherung und erhalten im

Gegenzug, auch für ihre Familienangehörigen, Versicherungsschutz. Gegen Vorlage der Versicherten-

karte bei den Leistungserbringern erhalten Versicherte Sach- und Dienstleistungen, die über den

Leistungskatalog gesetzlich vorgeschrieben sind oder mit der Krankenversicherung zusätzlich

vereinbart wurden (Simon 2016).

Gesetzlich Versicherte haben im Gegensatz zu privat Versicherten, sofern ein Versorgungsvertrag

zwischen Leistungserbringer und betreffender Krankenkasse abgeschlossen wurde, einen Anspruch

gegenüber dem Leistungserbringer auf medizinisch notwendige Leistungen (Simon 2016). Die

privaten Krankenversicherungen (PKV) schließen hingegen keine Versorgungsverträge mit den

Leistungserbringern ab und somit sind die PKV Versicherten Vertragspartner des jeweiligen

Leistungserbringers (Simon 2016).

Literatur

bpb, Bundeszentrale für politische Bildung (2013). Föderalismus in Deutschland. Online verfügbar unter:

http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/informationen-zur-politischen-bildung/159388/foederalismus-in-

deutschland (13.01.2017).

BMG, Bundesministerium für Gesundheit (2017a). Aufgaben und Organisation des Bundesministeriums für

Gesundheit. Online verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/aufgaben-

und-organisation/aufgaben.html (13.01.2017).

BMG, Bundesministerium für Gesundheit (2017b). Schaubild: Das Gesundheitssystem. Online verfügbar unter:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/M/Ministerium/Plakat_Scha

ubild_Das_Gesundheitssystem_Der_Staat_setzt_den_Rahmen.pdf (20.01.2017).

Simon, M. (2016). Das Gesundheitssystem in Deutschland. Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise. 5.

unveränderte Auflage, Hogrefe Verlag, Göttingen.

Statistisches Bundesamt (2016a). Gesundheit. Grunddaten der Krankenhäuser 2015. Online verfügbar unter:

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Krankenhaeuser/GrunddatenKrankenhaeu

ser2120611157004.pdf?__blob=publicationFile (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2016b). Gesundheit. Grunddaten der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen

2015. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/

VorsorgeRehabilitation/GrunddatenVorsorgeReha2120612157004.pdf?__blob=publicationFile (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017a). Gesundheitsausgaben in Deutschland nach Ausgabenträger. Ad-hoc-Tabelle

frei gestaltbar unter: http://www.gbe-bund.de (23.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017b). Pflegeheime (Anzahl). Ad-hoc-Tabelle frei gestaltbar unter: http://www.gbe-

bund.de (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017c). Ambulante Pflegedienste (Anzahl). Ad-hoc-Tabelle frei gestaltbar unter:

http://www.gbe-bund.de (27.01.2017).

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

Im folgenden Kapitel werden die wichtigsten Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

vorgestellt mit dem Ziel, einen allgemeinen Überblick über die wichtigsten Kennzahlen zu erhalten.

Dabei liegt der Fokus auf der Entwicklung der Beschäftigtenzahlen und der Ausgaben im

Gesundheitssystem. Kennzahlen und Entwicklungen z.B. auf Ebene des GKV-Systems sind nicht

Bestandteil der nachfolgenden Ausführungen.

Im deutschen Gesundheitswesen zählen die Krankenversicherungen, sowohl die GKV als auch die

PKV, und die Einrichtungen der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung zu den

zentralen Institutionen, deren wichtigste Kennzahlen in Tabelle 6.1 dargestellt sind.

Tabelle 6.1: Entwicklung ausgewählter Daten des Gesundheitswesens, 1991-2015

1991 1995 2000 2005 2010 2015

1991 bis 2015

Krankenversicherung

Krankenkassen (GKV) 1.209 960 420 267 169 124 -89,7%

GKV Versicherte (Tsd.) 71.281 71.886 71.253 70.477 69.767 71.449 +0,2%

Krankenversicherungen (PKV) 44 54 50 48 43 49 +11,4%

PKV Versicherte (Tsd.) 6.846 6.994 7.522 7.494 8.896 8.787 +28,4%

Ambulante Versorgung

Vertragsärzte 115.4691 119.939 126.832 131.802 138.472 144.769 +25,4%

Vertragszahnärzte 45.6762 49.866 53.498 55.605 54.245 52.292 +14,5%

Apotheken 20.773 21.753 22.155 21.968 21.859 20.639 -0,6%

Ambulante Pflegeeinrichtungen - - 10.8203 10.977 12.026

4 13.323 +23,1%

Stationäre Versorgung

Krankenhäuser 2.411 2.325 2.242 2.139 2.064 1.956 -18,9%

Betten in Krankenhäusern 665.565 609.123 559.651 523.824 502.749 499.351 -25,0%

Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen

1.181 1.373 1.393 1.270 1.237 1.152 -2,5%

Betten in Vorsorge- Rehabilitationseinrichtungen

144.172 181.633 189.822 174.479 171.724 165.013 +14,5%

Stationäre Pflegeeinrichtungen - - 8.8593 10.424 11.634

4 13.596 +53,5%

Plätze in stationären Pflegeeinrichtungen

- - 645.4563 757.186 845.007

4 877.116 +35,9%

1 Angabe für das Jahr 1993, für das wiedervereinte Deutschland vorher nicht verfügbar

2 Angabe für das Jahr 1992

3 Angabe für das Jahr 1999

4 Angabe für das Jahr 2009

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016a/b) und (2017a-h), KZBV (2016), eigene Berechnungen

Die Krankenversicherungslandschaft hat sich seit den 1990er Jahren vor allem durch eine Vielzahl an

Fusionen stark verändert und aktuell (2015) gibt es in Deutschland noch 124 gesetzliche Kranken-

versicherungen mit weiterhin abnehmender Tendenz. Hingegen ist die Anzahl der privaten

Krankenversicherungen im gleichen Zeitraum um 11,4 Prozent auf 49 gestiegen. Ähnlich verhält es

sich mit der Entwicklung der Versichertenzahlen. Während die Versichertenzahlen in der PKV seit

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

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1991 um ca. 2 Millionen Versicherte gestiegen sind, blieb die Anzahl der GKV Versicherten nahezu

unverändert (+0,2 Prozent). Dies ist vor allem auf die Entwicklung der Arbeitseinkommen

zurückzuführen. Ein zunehmender Teil der abhängig Beschäftigten überschreitet mit seinem

Einkommen die Versicherungspflichtgrenze und nutzt diese Gelegenheit zum Wechsel in die PKV

(Simon 2016). Die Entwicklungen der Versichertenzahlen der jüngeren Vergangenheit zeigen jedoch

erstmals wieder eine signifikante Zunahme der GKV Versicherten. Seit 2010 hat die Versichertenzahl

der GKV um ca. 1,7 Mio. Versicherte zugenommen.

Die ambulante ärztliche Versorgung der über 80 Mio. GKV und PKV Versicherten erfolgt vor allem in

den Praxen der ca. 145.000 niedergelassenen Vertragsärzte und ca. 52.000 niedergelassenen

Zahnärzte. Die ambulante Versorgung mit Arzneimitteln wird durch ca. 21.000 Apotheken und die

ambulante, häusliche Pflege durch ca. 13.000 Pflegeeinrichtungen erbracht. Die Entwicklungen der

Vertragsärzte und -zahnärzte zeigt seit 1991 einen deutlichen Anstieg mit 25,4 bzw. 14,5 Prozent. Im

Vergleich zu den Ärztezahlen ist die Entwicklung der Zahnärzte jedoch in den letzten 10 Jahren

rückläufig. Nach einem Hoch von ca. 56.000 Zahnärzten im Jahr 2005 gibt es aktuell noch ca. 52.000

Zahnärzte.

Die stationäre Versorgung erfolgt in den ca. 1.950 Krankenhäusern mit ca. 500.000 Betten, den ca.

1.150 Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen mit ca. 165.000 Betten und den ca. 13.600

stationären Pflegeeinrichtungen mit ca. 880.000 Plätzen. Neben dem Ausbau der Kapazitäten in

Pflegeheimen ist die Entwicklung der stationären Versorgung in Deutschland seit den 1990er Jahren

insbesondere durch eine sinkende Zahl von Krankenhäusern und Krankenhausbetten

gekennzeichnet. Während die Anzahl der Krankenhausbetten tatsächlich rückläufig ist, zeigt die

Krankenhausstatistik nur zu einem kleinen Teil die tatsächlichen Krankenhausschließungen und

-übernahmen. Die zu einem Krankenhausverbund zusammengeschlossenen Krankenhäuser bestehen

zumeist weiter, werden in der Statistik jedoch nur als eine Einheit erfasst (Simon 2016).

Das Gesundheitswesen in Deutschland hat nicht nur eine zentrale Bedeutung im System der sozialen

Sicherung, sondern hat mit über 5,3 Mio. Beschäftigten im Jahr 2015 – dies entspricht 12,4 Prozent

aller Erwerbstätigen in Deutschland – eine erhebliche arbeitsmarktpolitische Bedeutung (Tabelle 6.2).

Nach Angaben der Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes stieg die Anzahl der

Beschäftigten im Gesundheitswesen seit dem Jahr 2000 um über 33,1 Prozent. Im gleichen Zeitraum

nahm die Gesamtbeschäftigtenzahl in Deutschland im Vergleich jedoch lediglich um 7,9 Prozent zu

(Statistisches Bundesamt 2016c).

Im Jahr 2015 waren 41,2 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen in ambulanten

Einrichtungen und 35,8 Prozent der Beschäftigten in stationären und teilstationären Einrichtungen

tätig. Der größte Tätigkeitsbereich waren Krankenhäuser mit 20,9 Prozent der Beschäftigten, gefolgt

von Arzt- und Zahnarztpraxen mit 19,2 Prozent und Pflegeheimen mit 12,7 Prozent der

Beschäftigten. Die stärksten Beschäftigungszuwächse zwischen 2000 und 2015 gab es in den Praxen

sonstiger medizinischer Berufe, v.a. Physiotherapiepraxen, mit +98,8 Prozent, in der ambulanten

Pflege mit +85,9 Prozent, in der stationären Pflege mit +53,3 Prozent und in der pharmazeutischen

Industrie mit +64,5 Prozent.

Mit über 4 Mio. beschäftigten Frauen (75,8 Prozent aller Beschäftigten) wird der überwiegende Teil

der Berufe im Gesundheitswesen von Frauen ausgeübt. Einzig im Rettungsdienst ist der Frauenanteil

mit 30,5 Prozent der Beschäftigten signifikant niedriger als in den übrigen Einrichtungen. In der

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

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Vorleistungsindustrie, zu denen vor allem die pharmazeutische und medizintechnische Industrie

zählt, ist der Frauen- und Männeranteil der Beschäftigten nahezu gleichverteilt mit 50,7 Prozent

Frauen und 49,3 Prozent Männern.

Tabelle 6.2: Entwicklung Gesundheitspersonal nach Einrichtungen in Tsd., 2000-2015

2000 2005 2010 2015

2000 bis 2015

Gesundheitspersonal insgesamt (davon Frauen)

4.007 (74,1%)

4 345 (74,9%)

4.843 (75,4%)

5.333 (75,8%)

+33,1%

Gesundheitsschutz 39

(66,7%) 39

(66,7%) 35

(68,6%) 35

(68,6%) -10,3%

Ambulante Einrichtungen 1.567

(80,2%) 1.760

(80,8%) 1.986

(80,9%) 2.198

(81,5%) +40,3%

Arztpraxen 586

(81,4%) 634

(81,5%) 651

(81,3%) 678

(81,9%) +15,7%

Zahnarztpraxen 284

(80,3%) 310

(81,0%) 325

(81,2%) 346

(82,7%) +21,8%

Praxen sonstiger med. Berufe 246

(78,5%) 317

(78,5%) 414

(79,2%) 489

(80,4%) +98,8%

Apotheken 186

(83,9%) 205

(83,9%) 217

(83,4%) 224

(82,6%) +20,4%

Einzelhandel 79

(57,0%) 84

(57,1%) 103

(61,2%) 118

(61,9%) +49,4%

Ambulante Pflege 185

(85,4%) 211

(87,7%) 275

(87,6 %) 344

(87,2%) +85,9%

Stationäre und teilstationäre Einrichtungen 1.579

(77,5%) 1.620

(78,0%) 1.764

(78,5%) 1.911

(79,1%) +21,0%

Krankenhäuser 1.021

(74,6%) 992

(74,5%) 1.038

(75,0%) 1.113

(75,7%) +9,0%

Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen

115 (76,5%)

111 (75,7%)

118 (76,3%)

119 (77,3%)

+3,5%

Stationäre und teilstationäre Pflege 443

(84,2%) 517

(85,3%) 608

(85,0%) 679

(85,1%) +53,3%

Rettungsdienst 44

(22,7%) 45

(24,4%) 48

(25.0%) 59

(30,5%) +34,1%

Verwaltung 226

(61,5%) 220

(61,4%) 220

(63,2%) 221

(65,2%) -2,2%

Sonstige Einrichtungen 168

(72,0%) 239

(75,7%) 309

(76,1%) 369

(76,2%) +119,6%

Vorleistungsindustrien 384

(51,0%) 422

(51,4%) 482

(51,2%) 540

(50,7%) +40,6%

Pharmazeutische Industrie 93

(46,2%) 104

(48,1%) 122

(49,2%) 153

(49,7%) +64,5%

Medizintechnische und augenoptische Industrie

111 (45,9%)

121 (45,5%)

134 (44,0%)

155 (43,9%)

+39,6%

Großhandel und Handelsvermittlung 99

(52,5%) 116

(53,4%) 133

(53,4%) 135

(52,6%) +36,4%

Medizinische und zahnmedizinische Laboratorien

82 (61,0%)

81 (60,5%)

93 (60,2%)

97 (60,8%)

+18,3%

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017i), eigene Berechnungen

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

Seite | 29

Unterteilt nach Berufsgruppen bilden Gesundheits-, Kranken- und Altenpfleger mit einem Anteil von

30,2 Prozent aller Beschäftigten die mit Abstand größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Dabei

liegt der Frauenanteil in der Gesundheits- und Krankenpflege bei 81,1 Prozent und in der Altenpflege

bei 85,2 Prozent. Die Krankenversorgung und professionelle Pflege wird in Deutschland folglich

überwiegend von Frauen geleistet und getragen (Tabelle 6.3). Die zweitgrößte Berufsgruppe im

Gesundheitswesen bilden die medizinischen und zahnmedizinischen Fachangestellten mit einem

Anteil von 12,2 Prozent aller Beschäftigten – mit einem Frauenanteil von 98,0 Prozent.

Ärzte und Zahnärzte als Leitprofessionen des Gesundheitswesens folgen an dritter Stelle mit einem

Anteil von 8,3 Prozent aller Beschäftigten. Im Vergleich zu den übrigen Berufsgruppen ist der

Frauenanteil bei den Ärzten und Zahnärzten noch bei unter 50 Prozent. Da im Jahr 1999 jedoch

erstmals mehr Frauen als Männer das Medizinstudium aufgenommen haben und sich der

Frauenanteil der Studienanfänger seitdem stetig erhöht hat (2015 betrug der Frauenanteil über 60

Prozent), wird die Zahl der Ärztinnen und Zahnärztinnen in Zukunft weiter zunehmen (Statistisches

Bundesamt 2017j).

Da die Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2015 einer

umfassenden Revision des Rechenwerks unterzogen wurde und die Beschäftigten ab dem

Berichtsjahr 2012 auf Grundlage einer neuen Berufsklassifikation (KldB-2010) unterteilt wurden

(vorher KldB-92), kann die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen nach Berufsgruppen nur bis 2012

zurückverfolgt werden und mit den Zahlen der alten Berufsklassifikation nicht verglichen werden. Ein

überdurchschnittlicher Anstieg seit 2012 ist vor allem bei den Psychologen und Psychotherapeuten

(+13,9 Prozent) und den Altenpflegerinnen und Altenpflegern (+13,4 Prozent) zu beobachten.

Neben einem hohen Frauenanteil zeigt sich bei der Betrachtung der Erwerbstätigkeit im

Gesundheitswesen noch eine weitere Besonderheit. Im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen

ist das Gesundheitswesen durch einen hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten gekennzeichnet. So

waren von den insgesamt ca. 5,3 Mio. Beschäftigten im Gesundheitswesen im Jahr 2015 ca. 2,7 Mio.

Personen teilzeitbeschäftigt (50,7 Prozent). Dabei unterscheidet sich die Quote der Teilzeit-

beschäftigten nach Berufsgruppen jedoch deutlich. Während im Jahr 2015 nur 21,2 Prozent der Ärzte

und Zahnärzte in Teilzeit arbeiteten, ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in den Pflegeberufen

deutlich höher. In der Gesundheits- und Krankenpflege lag die Teilzeitquote im Jahr 2015 bei 52,7

Prozent und in der Altenpflege sogar bei 64,6 Prozent. Medizinische und zahnmedizinische

Fachangestellte weisen ebenfalls eine hohe Teilzeitquote mit 53,2 Prozent auf (Statistisches

Bundesamt 2017i).

Weiterhin hat die Zahl der Teilzeitbeschäftigten im Gesundheitswesen in den letzten Jahren stark

zugenommen. Während im Zeitraum von 2012 und 2015 die Zahl der Teilzeitbeschäftigten um 9,5

Prozent stieg, nahm die Zahl der Vollzeitbeschäftigten im gleichen Zeitraum nur um 3,0 Prozent zu

(Statistisches Bundesamt 2017i). Dieser Trend zeichnete sich bereits vor 2012 ab und setzt sich, wie

die Zahlen der neuen Berufsklassifikation seit 2012 zeigen, fort (Simon 2016).

Vor diesem Hintergrund ist die starke Zunahme der Beschäftigtenzahlen im Gesundheitswesen

sicherlich differenzierter zu betrachten und relativiert die häufig in der öffentlichen Diskussion

anzutreffende Einschätzung des Jobmotors Gesundheitswesen.

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

Seite | 30

Tabelle 6.3: Entwicklung Gesundheitspersonal nach ausgewählten Berufen in Tsd., 2012-2015

2012 2015

2012 bis 2015

Gesundheitspersonal insgesamt (darunter Frauen)

5.023 (75,7 %)

5.333 (75,8%)

+6,2%

Verkauf drogerie-, apothekenpfl. Waren, Medizinbedarf 51

(94,1%) 52

(92,3%) +2,0%

Verwaltung 73

(89,0%) 78

(88,5%) +6,8%

Medien-, Dokumentations- und Informationsdienste 4

(100,0%) 5

(100,0%) +25,0%

Arzt- und Praxishilfe 607

(98,0%) 649

(98,0%) +6,9%

Medizinisches Laboratorium 98

(90,8%) 101

(90,1%) +3,1%

Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe

976 (81,7%)

1.042 (81,1%)

+6,8%

Human- und Zahnmedizin 418

(44,0%) 443

(45,6%) +6,0%

Darunter Zahnärzte und Kieferorthopäden 71

(40,8%) 73

(43,8%) +2,8%

Psychologie und nichtärztliche Psychotherapie 36

(69,4%) 41

(73,2%) +13,9%

Nichtärztliche Therapie und Heilkunde 360

(78,9%) 392

(78,8%) +8,9%

Darunter Physiotherapie 215

(75,3%) 231

(75,3%) +7,4%

Pharmazie 155

(80,0%) 163

(81,0%) +5,2%

Darunter Apotheker und Pharmazeuten 61

(68,9%) 65

(69,2%) +6,6%

Altenpflege 501

(85,8%) 568

(85,2%) +13,4%

Ernährungs- und Gesundheitsberatung, Wellness 16

(81,3%) 16

(81,3%) +/-0,0%

Medizin-, Orthopädie- und Rehatechnik 147

(50,3%) 153

(51,6%) +4,1%

Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege 47

(78,7%) 49

(79,6%) +4,3%

Andere Berufe 1.533

(67,6% 1.581 (67,3)

+3,1%

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017i), eigene Berechnungen

Im Jahr 2014 wurde in Deutschland für das Gesundheitswesen insgesamt ca. 328 Mrd. Euro

ausgegeben. Dabei entfiel der Großteil der Ausgaben auf die ambulante und stationäre Versorgung.

Einrichtungen der ambulanten Versorgung verursachten 49,8 Prozent und Einrichtungen der

stationären Versorgung 37,6 Prozent der Ausgaben (Tabelle 6.4). Innerhalb der ambulanten

Versorgung wiederum wurde mit einem Anteil von 22,9 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben

am meisten für die Behandlung in Arzt- und Zahnarztpraxen aufgewendet. Der Anteil der Ausgaben

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

Seite | 31

für die Arzneimittelversorgung in den öffentlichen Apotheken lag im Jahr 2014 mit ca. 44,7 Mrd. Euro

bei 13,6 Prozent.

Tabelle 6.4: Gesundheitsausgaben nach Einrichtungen in Mio., 1995-2014

1995 2000 2005 2010 2014

1999 bis 2014

Einrichtungen insgesamt (Anteil an Gesamtausgaben)

186.922€ (100,0%)

213.804€ (100,0%)

241.932€ (100,0%)

290.252€ (100,0%)

327.951€ (100,0%)

+75,4%

Gesundheitsschutz 1.782€ (1,0%)

1.816€ (0,8%)

1.979€ (0,8%)

2.228€ (0,8%)

1.973€ (0,6%)

+10,7%

Ambulante Einrichtungen 87.439€ (46,8%)

102.333€ (47,9%)

117.959€ (48,8%)

143.853€ (49,6%)

163.476€ (49,8%)

+87,0%

Arztpraxen 27.894€ (14,9%)

31.773€ (14,9%)

36.412€ (15,1%)

45.278€ (15,6%)

50.199€ (15,3%)

+80,0%

Zahnarztpraxen 17.780€ (9,5%)

18.507€ (8,7%)

19.290€ (8,0%)

22.363€ (7,7%)

24.880€ (7,6%)

+39,9%

Praxen sonstiger med. Berufe 4.838€ (2,6%)

5.919€ (2,8%)

7.263€ (3,0%)

9.603€ (3,3%)

11.508€ (3,5%)

+137,9%

Apotheken 23.636€ (12,6%)

29.034€ (13,6%)

35.871€ (14,8%)

41.179€ (14,2%)

44.708€ (13,6%)

+89,2%

Gesundheitshandwerk, -einzelhandel

9.373€ (5,0%)

11.312€ (5,3%)

11.988€ (5,0%)

15.389€ (5,3%)

18.863€ (5,8%)

+101,2%

Ambulante Pflege 3.918€ (2,1%)

5.789€ (2,7%)

7.135€ (2,9%)

10.041€ (3,5%)

13.318€ (4,1%)

+239,9%

Stationäre und teilstationäre Einrichtungen

70.810€ (37,9%)

80.710€ (37,7%)

90.423€ (37,4%)

107.811€ (37,1%)

123.402€ (37,6%)

+74,3%

Krankenhäuser 50.956€ (27,3%)

56.221€ (26,3%)

62.052€ (25,6%)

74.573€ (25,7%)

85.924€ (26,2%)

+68,6%

Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen

7.646€ (4,1%)

7.511€ (3,5%)

7.326€ (3,0%)

8.184€ (2,8%)

9.000€ (2,7%)

+17,7%

Stationäre und teilstationäre Pflege

12.208€ (6,5%)

16.978€ (7,9%)

21.046€ (8,7%)

25.054€ (8,6%)

28.478€ (8,7%)

+133,3%

Rettungsdienst 1.731€ (0,9%)

2.056€ (1,0%)

2.566€ (1,1%)

3.095€ (1,1%)

3.920€ (1,2%)

+126,5%

Verwaltung 11.063€ (5,9%)

12.649€ (5,9%)

14.597€ (6,0%)

16.773€ (5,8%)

17.278€ (5,3%)

+56,2%

Sonstige Einrichtungen 6.281€ (3,4%)

7.438€ (3,5%)

7.267€ (3,0%)

8.441€ (2,9%)

10.195€ (3,1%)

+62,3%

Ausland 568€

(0,3%) 634€

(0,3%) 918€

(0,4%) 1.494€ (0,5%)

1.474€ (0,4%)

+159,5%

Investitionen 7.248€ (3,9%)

6.167€ (2,9%)

6.224€ (2,6%)

6.559€ (2,3%)

6.231€ (1,9%)

-14,0%

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016d), eigene Berechnungen

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

Seite | 32

Für die stationäre und teilstationäre Versorgung wurde im Jahr 2014 ca. 123,4 Mrd. Euro (37,6

Prozent) ausgegeben. Davon entfielen mit einem Anteil von 26,2 Prozent der Gesundheitsausgaben

allein 85,9 Mrd. Euro auf die Krankenhausversorgung, gefolgt von der stationären und teilstationären

Pflege mit einem Ausgabenvolumen von 28,5 Mrd. Euro (8,7 Prozent) und der stationären

Rehabilitation mit verursachten Ausgaben von ca. 9,0 Mrd. Euro (2,7 Prozent).

Analog zur Entwicklung der Beschäftigtenzahlen gab es zwischen 2000 und 2014 auch den größten

Ausgabenzuwachs in der ambulanten (+239,9 Prozent) und stationären (+133,3 Prozent) Pflege und

in den Praxen sonstiger medizinischer Berufe, v.a. Physiotherapien, (+137,9 Prozent). Der Ausgaben-

anteil für Verwaltungseinrichtungen im Gesundheitswesen, der in den letzten Jahrzenten häufig

Ansatz zur Kritik war, lag seit 1995 konstant zwischen 5 und 6 Prozent der Gesundheitsausgaben. Die

Einschätzung, dass sich der Verwaltungsapparat immer weiter aufbläht, kann anhand der Daten der

Gesundheitsausgabenrechnung nicht bestätigt werden (Simon 2016).

Der Anteil der Investitionskosten an den Gesamtausgaben seit 1995 ist als einziger Ausgabenbereich

rückläufig. Dieser rückläufige und geringe Anteil an den Gesamtausgaben lässt sich nicht nur damit

begründen, dass es sich im Gesundheitswesen um einen personalintensiven Bereich handelt,

sondern ist vielmehr Folge einer Jahrzehnte anhaltenden Unterfinanzierung von Investitionen im

öffentlichen Bereich. Der gesetzliche Auftrag der Länder, die Investitionskosten im Krankenhaus-

bereich zu finanzieren, wird seit über 20 Jahren unzureichend erfüllt (Simon 2016).

Abschließend soll nochmal betont werden, dass es sich bei den angegebenen Ausgaben in diesem

Kapitel um die gesamten Ausgaben für das Gesundheitswesen in Deutschland handelt (alle

Ausgabenträger). Die Ausgabenentwicklung nur für den Teilbereich GKV wurde bereits in Kapitel 4.2

beschrieben.

Literatur

KZBV, Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (2016). Anzahl Vertragszahnärzte. Jahrbuch 2016. Online

verfügbar unter: http://www.kzbv.de/jahrbuch-2016.768.de.html (27.01.2017).

Simon, M. (2016). Das Gesundheitssystem in Deutschland. Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise. 5.

unveränderte Auflage, Hogrefe Verlag, Göttingen.

Statistisches Bundesamt (2016a). Gesundheit. Grunddaten der Krankenhäuser 2015. Online verfügbar unter:

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Krankenhaeuser/GrunddatenKrankenhaeu

ser2120611157004.pdf?__blob=publicationFile (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2016b). Gesundheit. Grunddaten der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen

2015. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/

VorsorgeRehabilitation/GrunddatenVorsorgeReha2120612157004.pdf?__blob=publicationFile (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2016c). Arbeitsmarkt. Statistisches Jahrbuch 2016. Online verfügbar unter:

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/StatistischesJahrbuch/Arbeitsmarkt.pdf?__blob=publicationFile

(27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2016d). Gesundheit. Ausgaben 1995 bis 2014. Online verfügbar unter:

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Gesundheitsausgaben/AusgabenGesundh

eitLangeReihePDF_2120712.pdf?__blob=publicationFile (27.01.2017).

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6. Basisdaten des deutschen Gesundheitswesens

Seite | 33

Statistisches Bundesamt (2017a). Gesetzliche Krankenkasse (Anzahl). Ad-hoc-Tabelle frei gestaltbar unter:

http://www.gbe-bund.de (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017b). Mitglieder und mitversicherte Familienangehörige der gesetzlichen

Krankenversicherung. Ad-hoc-Tabelle frei gestaltbar unter: http://www.gbe-bund.de (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017c). Private Krankenversicherung. Ad-hoc-Tabelle frei gestaltbar unter:

http://www.gbe-bund.de (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017d). Private Krankenversicherung, Anzahl der Vollversicherten. Ad-hoc-Tabelle

frei gestaltbar unter: http://www.gbe-bund.de (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017e). Vertragsärzte. Ad-hoc-Tabelle frei gestaltbar unter: http://www.gbe-bund.de

(27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017f). Öffentliche Apotheken und Krankenhausapotheken (Anzahl). Ad-hoc-Tabelle

frei gestaltbar unter: http://www.gbe-bund.de (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017g). Ambulante Pflegedienste (Anzahl). Ad-hoc-Tabelle frei gestaltbar unter:

http://www.gbe-bund.de (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017h). Pflegeheime und verfügbare Plätze in Pflegeheimen. Ad-hoc-Tabelle frei

gestaltbar unter: http://www.gbe-bund.de (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017i). Gesundheit. Personal 2000 bis 2015. Online verfügbar unter:

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Gesundheitspersonal/PersonalLange_Reih

ePDF_2120732.pdf?__blob=publicationFile (27.01.2017).

Statistisches Bundesamt (2017j). Studierende. Studienfach Medizin (Allgemein-Medizin). Online verfügbar

unter: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Bildung/lrbil05.html (27.01.2017).

Page 39: Historie, Grundstrukturen und Basisdaten · EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Einführung in das deutsche Gesundheitssystem

7. Das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich

Seite | 34

7. Das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich

Da ein umfassender Vergleich der einzelnen Gesundheitssysteme den Rahmen dieses Kapitels

sprengen würde, konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen auf den Vergleich

ausgewählter Kennzahlen der OECD-Länder mit einem Schwerpunkt auf den Gesundheitsausgaben.

In den OECD-Ländern variiert die Zahl der Ärzte je 1.000 Einwohner zwischen 1,8 in der Türkei und

6,3 in Griechenland (Tabelle 7.1). Deutschland liegt mit 4,1 Ärzten je 1.000 Einwohner über dem

OECD-Durchschnitt von 3,3. Die hohe Arztdichte in Griechenland lässt sich jedoch damit erklären,

dass hier nicht nur praktizierende Ärzte, sondern alle Ärzte – z.B. auch die, die als Manager, Forscher

etc. arbeiten – mit in die Berechnung einfließen und die Arztdichte daher um ca. 5 bis 10 Prozent

überbewertet ist (OECD 2015).

Bei den Krankenpflegerinnen und -pflegern je 1.000 Einwohner liegt der Durchschnitt der OECD-

Länder bei 8,9. Die Türkei hat mit 1,9 Krankenpflegern je 1.000 Einwohner die niedrigste Dichte an

Krankenpflegern, während die Schweiz mit 17,6 Krankenpflegern die höchste Dichte aufweist.

Deutschland liegt auch hier mit 13,1 deutlich über dem OECD-Durchschnitt und, wie bei der

Arztdichte, auf einem Niveau mit den ebenfalls als Vorreiter geltenden Gesundheitssystemen in

Dänemark, Schweden oder Norwegen.

Die höchste Krankenhausbettendichte (Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner) weist Japan mit 13,2

Betten je 1.000 Einwohner und die niedrigste Chile mit 2,1 Betten je 1.000 Einwohner auf. Auch hier

liegt Deutschland mit 8,2 Betten deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 4,7 Betten. Die deutlich

niedrigere Krankenhausbettendichte in den skandinavischen Ländern, die nicht als unterversorgt

gelten, lässt jedoch für Deutschland noch Effizienzreserven vermuten.

Ähnlich verhält es sich mit der Liegedauer im Krankenhaus und den Arztbesuchen je Einwohner.

Deutschland liegt bei der Liegedauer mit 9 Tagen über dem OECD-Durchschnitt (7,5 Tage). Auch hier

sind die skandinavischen Länder Dänemark (5,5 Tage), Norwegen (5,6 Tage) und Schweden (5,8)

deutlich unter der Liegedauer von Deutschland. Die niedrigste Liegedauer weist mit 3,6 Tagen

Mexiko und die längste Liegedauer Japan mit 16,9 Tagen auf.

Bei den Arztbesuchen liegt Deutschland ebenfalls deutlich über dem OECD-Durchschnitt (6,8) mit fast

10 Arztbesuchen je Einwohner im Jahr. Zum Vergleich kontaktieren die Einwohner in Skandinavien

deutlich seltener den Arzt – in Dänemark wird der Arzt im Durchschnitt lediglich 4,5-mal, in

Norwegen 4,3-mal und in Schweden nur 2,9-mal pro Jahr und Einwohner aufgesucht. Diese hohe

Anzahl an Arztbesuchen dürfte in Deutschland vor allem auf den unbeschränkten Zugang, auch von

Spezialärzten, zurückzuführen sein. So üben Allgemein- oder Hausärzte nicht die Funktion des

Gatekeepers aus, der die Versorgung koordiniert.

Page 40: Historie, Grundstrukturen und Basisdaten · EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Business School Health Care Management Institute Einführung in das deutsche Gesundheitssystem

7. Das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich

Seite | 35

Tabelle 7.1: Ausgewählte Kennzahlen der Gesundheitsversorgung im internationalen Vergleich, 2014

Ärzte

Kranken-pfleger

Krankenhaus-betten

Durchschn. Liegedauer

im KH

Arzt-besuche je Einwohner

Lebens-erwartung

je 1.000 Einwohner

Australia 3,5 11,6 3,7 5,5 7,3 82,4

Austria 5,1 8,0 7,6 8,2 6,8 81,6

Belgium 3,0 10,6 6,2 6,6 7,4 81,4

Canada 2,6 9,8 2,7 8,2 7,6 81,5

Chile 2,0 2,0 2,1 5,6 3,5 79,0

Czech Republic 3,7 7,9 6,5 9,4 11,1 78,9

Denmark 3,7 16,5 2,7 5,5 4,5 80,8

Estonia 3,3 5,7 5,0 7,4 6,3 77,2

Finland 3,0 14,1 4,5 10,5 4,2 81,3

France 3,4 9,6 6,2 5,6 6,3 82,8

Germany 4,1 13,1 8,2 9,0 9,9 81,2

Greece 6,3 3,2 4,2 7,0 .. 81,5

Hungary 3,3 6,4 7,0 9,5 11,8 75,9

Iceland 3,8 15,3 3,2 6,1 5,9 82,9

Ireland 2,8 11,9 2,6 5,6 3,8 81,4

Israel 3,5 4,9 3,1 6,8 .. 82,2

Italy 3,9 6,2 3,3 7,8 6,8 83,2

Japan 2,4 11,0 13,2 16,9 12,8 83,7

Korea 2,3 5,6 11,7 16,5 14,9 82,2

Latvia 3,2 4,8 5,7 7,9 5,8 74,3

Luxembourg 2,9 12,0 4,9 8,7 5,9 82,3

Mexico 2,2 2,7 1,6 3,6 2,6 74,8

Netherlands 3,4 10,0 4,7 5,2 8,0 81,8

New Zealand 3,0 10,1 2,8 7,6 3,7 81,6

Norway 4,4 16,9 3,8 5,6 4,3 82,2

Poland 2,3 5,2 6,6 6,9 7,2 77,7

Portugal 4,4 6,1 3,3 .. 4,1 81,2

Slovak Republic 3,4 5,8 5,8 7,3 11,3 76,9

Slovenia 2,8 8,6 4,5 6,9 6,6 81,2

Spain 3,8 5,2 3,0 6,6 7,6 83,3

Sweden 4,1 11,2 2,5 5,8 2,9 82,3

Switzerland 4,1 17,6 4,6 8,5 3,9 83,3

Turkey 1,8 1,9 2,7 4,0 8,3 78,0

United Kingdom 2,8 8,2 2,7 6,9 .. 81,4

United States 2,6 11,2 2,9 4,8 4,0 78,8

OECD 34 3,3 8,9 4,7 7,5 6,8 80,6

Quelle: OECD (2017)

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7. Das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich

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Sowohl die Gesundheitsausgaben pro Kopf als auch die Gesundheitsausgaben als Anteil am BIP

zeigen in den OECD-Ländern ein sehr heterogenes Bild auf. So schwanken die Gesundheitsausgaben

als Anteil am BIP zwischen 16,9 Prozent in den USA und 5,2 Prozent in der Türkei (Abbildung 7.1).

Deutschland liegt mit 11,1 Prozent an vierter Stelle und deutlich über dem OECD-Durchschnitt von

9,0 Prozent. Die skandinavischen Länder Dänemark (10,6 Prozent), Norwegen (9,9 Prozent) und

Schweden (11,1 Prozent) weisen ebenfalls ein überdurchschnittlich hohes Ausgabenniveau für die

Gesundheitsversorgung auf. Weiterhin ist ein Nord-Süd und ein Ost-West-Gefälle zwischen den

Ländern erkennbar. Hier geben nördliche (v.a. Skandinavien) und westliche (v.a. USA, Frankreich,

Deutschland) Länder im Verhältnis zum BIP mehr für die Gesundheitsversorgung aus als die östlichen

(v.a. Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) und südlichen Länder (v.a. Griechenland, Türkei).

Der überwiegende Teil der Gesundheitsausgaben ist in den einzelnen Ländern öffentlich finanziert.

Im OECD-Durchschnitt werden 73,3 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben von öffentlichen

Trägern finanziert. Laut OECD-Statistik werden in Deutschland sogar 84,7 Prozent der gesamten

Gesundheitsausgaben von öffentlichen Trägern gezahlt. Vergleichbar hohe Werte weisen auch hier

wieder die skandinavischen Länder Dänemark (84,0 Prozent), Norwegen (85,9 Prozent) und

Schweden (83,8 Prozent) auf. Lediglich die Vereinigten Staaten, die ihre Gesundheitsausgaben

nahezu hälftig privat und öffentlich finanzieren, sind als Ausnahme zu betrachten. So können nach

Unterteilung zwischen privaten und öffentlichen Trägern auch die weit überdurchschnittlichen

Gesundheitsausgaben als Anteil am BIP in den Vereinigten Staaten relativiert werden. Die

öffentlichen Gesundheitsausgaben als Anteil am BIP liegen mit 8,4 Prozent auf einem Niveau mit

Norwegen (8,5 Prozent) und Frankreich (8,6 Prozent), jedoch noch deutlich unter dem deutschen und

schwedischen Niveau, die 9,4 bzw. 9,3 Prozent der Gesundheitsausgaben als Anteil am BIP öffentlich

finanzieren. Die deutlichen Mehrausgaben in den USA entstehen somit vor allem auf Kosten von

privaten Trägern.

Abbildung 7.1: Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP, 2015

Quelle: OECD (2017)

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7. Das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich

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Analog verhält es sich mit den Gesundheitsausgaben pro Kopf (Abbildung 7.2). Die Vereinigten

Staaten geben auch hier mit 9.451 US-Dollar pro Kopf mit Abstand am meisten für Gesundheit aus.

Das Schlusslicht bildet Mexiko mit 1.052 US-Dollar pro Kopf. Deutschland liegt mit 5.267 US-Dollar

pro Kopf auch hier deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 3.814 US-Dollar. Ein Paradox zeigt sich

jedoch bei der Betrachtung der Zahlen von Luxemburg. Während diese lediglich 7,2 Prozent des BIP

für Gesundheit aufwenden und damit zu den OECD-Schlusslichtern zählen – auf einem Niveau mit

Korea und Ungarn –, liegt Luxemburg bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf mit 7.765 US-Dollar an

zweiter Stelle hinter den Vereinigten Staaten. Dieses verzerrte Bild ist vor allem auf die enorme

Finanzkraft der „Steueroase“ Luxemburg zurückzuführen.

Abbildung 7.2: Gesundheitsausgaben je Einwohner (Kaufkraftparität), 2015

Quelle: OECD (2017)

Ein differenzierteres Bild über die Finanzierungslage der verschiedenen Gesundheitssysteme erhält

man bei der Betrachtung der einzelnen Finanzierungsträger auf Länderebene. So wird nicht mehr nur

allgemein zwischen öffentlichen und privaten Trägern unterschieden, sondern diese werden

wiederum zwischen Staat (general government), sozialer Sicherung (social security), Zuzahlungen

(private out-of-pocket), privater Krankenversicherung (private insurance) und anderen Trägern

(Other) unterteilt.

Die Vereinigten Staaten sind unter den OECD-Ländern das einzige Land, in denen die private

Krankenversicherung eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung einnimmt

und fast zwei Drittel der Gesundheitsausgaben trägt (Abbildung 7.3). Lediglich der Staat finanziert mit

ca. 50 Prozent der Gesundheitsausgaben mehr als die private Krankenversicherung. Private

Zuzahlungen liegen mit ca. 10 Prozent unter dem OECD-Durchschnitt von knapp 20 Prozent.

In Deutschland dominiert das System der sozialen Sicherung als Finanzierungsträger mit ca. 70

Prozent, gefolgt von privaten Zuzahlungen und der privaten Krankenversicherung. Der Großteil der

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7. Das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich

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OECD-Länder ist wie Deutschland durch die soziale Sicherung geprägt. So ist u.a. in Frankreich, Japan

und in den osteuropäischen Ländern die soziale Sicherung Hauptfinanzierungsträger.

Auf Ebene der Finanzierungsträger wird trotz vergleichbarer Ausgabenstrukturen für das

Gesundheitswesen zwischen Deutschland und den skandinavischen Ländern ein großer Unterschied

deutlich. Im Gegensatz zum beitragsfinanzierten deutschen Gesundheitssystem sind Dänemark,

Norwegen und Schweden staatlich finanzierte Gesundheitssysteme, in denen der Staat fast

ausschließlich als Finanzierungsträger fungiert.

Weitere Kennzahlen zu den Gesundheitssystemen und zum Gesundheitszustand der Bevölkerung in

den einzelnen Ländern können auf der Internetseite der OECD in den Health Statistics abgerufen

werden.

Abbildung 7.3: Gesundheitsausgaben nach Finanzierungsträger, 2013

Quelle: OECD (2015)

Literatur

OECD (2015). Health at a Glance 2015: OECD Indicators, OECD Publishing, Paris. Online verfügbar unter:

http://www.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/health-at-a-glance-2015_health_glance-2015-en

(31.01.2017).

OECD (2017). OECD Health Statistics 2016. Online verfügbar unter: http://www.oecd.org/els/health-

systems/health-data.htm (31.01.2017).

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8. Schlussbemerkung

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8. Schlussbemerkung

Die Ausführungen in dem vorliegenden Working Paper des Health Care Management Institute der

EBS Business School sollten dem Leser einen ersten Überblick über die wichtigsten Strukturen und

Entwicklungen des deutschen Gesundheitssystems vermitteln. Der Fokus lag dabei auf einer rein

deskriptiven Darstellung. Zur besseren Einordnung wurde daher zunächst überblicksartig die

historische Entwicklung des Gesundheitssystems dargestellt, die Grundprinzipien des Gesundheits-

systems beschrieben und die GKV als Kern des deutschen Gesundheitssystems in den Kontext des

Systems der sozialen Sicherung eingeordnet.

Der Schwerpunkt des Working Papers lag auf der daran anschließenden Darstellung der Grund-

strukturen des deutschen Gesundheitswesens. Dazu wurden zunächst die einzelnen Merkmale

Regulierung, Finanzierung und Leistungserbringung separat betrachtet. Anschließend wurde deren

Zusammenspiel und Interaktion beschrieben, dass dem deutschen Gesundheitswesen seine

spezifische Grundstruktur verleiht. Als Abschluss wurden wichtige Basisdaten sowohl auf nationaler

Ebene betrachtet als auch ausgewählte Kennzahlen internationaler Gesundheitssysteme verglichen.

Das vorliegende Working Paper ist folglich als erste Einführung in die Grundstrukturen des deutschen

Gesundheitswesens zu verstehen und erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige Bearbeitung aller

relevanten Aspekte des Gesundheitswesens.