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JAHRBUCH D A S K A R R I E R E H A N D B U C H F Ü R J U R I S T E N 2012 /2013 A N DR E A S C A H N ( H R S G.) Leseprobe 11: „Europarecht live – Referendarstation beim Europäischen Parlament"

JURAcon Jahrbuch 2012 / 2013: Leseprobe 11

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  • D A S K A R R I E R E H A N D B U C H F R J U R I S T E N

    2012 /2013

    A N DR E A S C A H N ( H R S G.)

    Leseprobe 11: Europarecht live Referendarstation beim Europischen Parlament"

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    erfahrungsberichte

    Eine Zuweisung zum EP kannin vielen Bundeslndern nebender Wahlstation auch whrendder Verwaltungsstation erfol-gen. Insbesondere Bayern lssteine Zuweisung fr den letztenMonat der Verwaltungsstationund zwei Monate der Anwaltsstation zu. Empfeh-lenswert ist es sicher, eine Station auerhalb derSommerpause des Parlaments im Juli und Augustzu absolvieren. Zu dieser Zeit herrscht im Parlament wie auch in Brssel selbst nur eingeschrnktBetrieb.

    Die Bewerbung sollte man frhzeitig planen, daauch im Fall der Zusage wie bei jedem Auslands-aufenthalt noch einige Zeit zur Wohnungssucheund fr Organisatorisches bentigt wird. Neben derMglichkeit, eine Stage ber den Concours zuergattern, empfiehlt sich fr deutsche Rechtsrefe-rendare, direkt beim Bro des eigenen Europaabge-ordneten anzufragen, da bei der jeweiligen Frakti-on oder gegebenenfalls dem Abgeordneten selbsteine Bewerbung wohl aussichtsreicher ist. Gleichesgilt fr Studenten, die an einem Praktikum interes-siert sind.

    DAs ep eIn pARlAMent, MehReRe sItZe DasEuropische Parlament hat seinen offiziellen Amts-sitz in Straburg und einen Arbeitssitz in Brssel,ganz in der Nhe vieler anderer Organe der Euro-pischen Union. Ein dritter Sitz des Parlaments ist inLuxemburg. Fr die Praxis bedeutet dies Folgendes:Jeden Monat tagt das Parlament fr vier Plenar-tage in Straburg (Straburgwoche). Den Restder Zeit wird im Amtssitz in Brssel gearbeitet, woungefhr jeden zweiten Monat ebenfalls Plenar-tagungen (Miniplenum) und Ausschusssitzun-gen stattfinden. Am Montagvormittag einer Stra-burgwoche reist die Karawane der Bedienstetensamt Bromaterial, welches in groen rechteckigenBoxen per Lkw transportiert wird, nach Straburg

    und kehrt Donnerstagabend wieder nach Brsselzurck. Whrend der Straburgwochen reist imSchnitt wohl ein Drittel der Bediensteten mit. DerRest, insbesondere Praktikanten, arbeitet in Brs-sel weiter.

    DAs pARlAMent In BRssel Im Arbeitssitz inBrssel arbeiten rund 4.500 Menschen in einemgewaltigen Komplex, bestehend aus mehrerenuntereinander verbundenen 15-stckigen Hochhu-sern und Annexgebuden. Der imposante Gebu-dekomplex ist voll ausgestattet, und man mssteihn im Wesentlichen nur noch zum Schlafen verlas-sen. Einmal die Sicherheitskontrolle passiert, kannman sich im Komplex frei bewegen und smtlicheBros und Einrichtungen nach mitunter langen Fu-mrschen und Aufzugsfahrten erreichen. Gerade inden ersten beiden Arbeitswochen ist es blich, dassman sich in den unzhligen Gngen und Stockwer-ken verirrt und alles etwas lnger dauert.

    Der Komplex verfgt ber mehrere Restaurants,Cafs und Bankfilialen. Eine eigene Reinigung,Postfiliale, Friseur, Reisebro und ein Supermarktsind ebenfalls vorhanden. Auch das moderne haus-eigene Sportstudio mit Squashpltzen und Saunadarf an dieser Stelle nicht unerwhnt bleiben. Ins-besondere das Fitnessstudio bietet eine gute Mg-lichkeit, Kollegen, Angestellte oder auch den einoder anderen Abgeordneten einmal fernab vonSitzungs- oder Besprechungszimmern zu treffen.

    Zwar sind alle diese Einrichtungen seit 1999 nichtmehr subventioniert, sie sind aber dennoch, nichtnur wegen der deutlich krzeren Wege, ein groer

    Von september bis november 2010 bot sich MichaelKrnzle die Mglichkeit, eine dreimonatige station beim euro-pischen Parlament (eP) in Brssel und straburg zu absolvie-ren eine hervorragende gelegenheit, hinter die Kulissen dereuropischen gesetzgebung zu blicken.

    europarecht live Referendarstation beimeuropischen Parlamentvon Michael Krnzle

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    Referendarstation beim europischen parlament

    europischen Jgervereinigung verschiedene Wild-delikatessen zu probieren. Diese und zahlreiche andere Veranstaltungen machen das EP lebendig und bieten die Mglichkeit, Kollegen und andere Angestellte des Parlaments auerhalb der Arbeits-zeit besser kennenzulernen.

    leBhAftes stRAssBURG Das Treiben in Stra-burg erscheint noch etwas hektischer und unber-sichtlicher als in Brssel. Dies liegt sicherlich daran, dass eine Woche in Straburg auf vier Tage kom-primiert wird, an denen dann aber eine Flle von Vorhaben verhandelt werden muss. Neben langen Plenarsitzungen finden abends auch Fraktionssit-

    zungen statt, sodass die Arbeitstage leicht lnger werden knnen. Die Sitzungen bieten aber inte-ressante Einblicke in die Arbeit der europischen Gesetzgebung und insbesondere das Zusammen-spiel mit den anderen EU-Institutionen. Oftmals sind Vertreter der EU-Kommission anwesend, die ihren Standpunkt darlegen und Rede und Ant-wort stehen. Man kann leicht nachvollziehen, wie schwierig und langwierig Kompromisse zwischen den verschiedensten Interessen auf europischer Ebene sind.

    Auch in Straburg gibt es einen gewaltigen Parla-mentskomplex, der noch etwas unbersichtlicher und verschlungener als der in Brssel ist. Da man

    Vorteil fr die Angestellten des Parlaments. Gera-de die Preise fr Essen und Kaffee knnen nmlich auerhalb des Parlaments deutlich hher sein.

    kUnst, kUltUR, VeRAnstAltUnGen Die Bib-liothek des Parlaments ist sehr umfangreich und verfgt auch ber die wesentlichen deutschen Kommentare und weitere Literatur fr Rechtsrefe-rendare. Fr Recherchen gibt es zahlreiche Com-puter mit Zugang zu den gngigen Online-Such-maschinen wie beispielsweise Westlaw. Wenn man mal nicht weiterkommt, helfen die wissenschaft-lichen Mitarbeiter der Bibliothek, die Such- und Rechercheauftrge innerhalb einer halben Woche umfassend und in der gewnschten Sprache beantworten knnen. In einem der Lesesle liegen alle gn-gigen europischen Tageszeitungen aus, sodass man auch diesbezglich bestens ausgestattet ist.

    Neben den Abgeordnetenbros befinden sich zahlreiche Stabsstel-len, Fraktionsbros, Pressediens-te und natrlich Sitzungssle samt bersetzerkabinen in den Gebu-den. Nicht nur whrend des Mini-plenums herrscht emsige Betriebsamkeit, da sich hufig Besuchergruppen, Journalisten und Fernseh-teams im Komplex aufhalten.

    Als Anlaufstelle fr verschiedenste Lobbyisten und Besucher ist das Parlament darum bemht, mehr als nur ein Broapparat zu sein. Jeder Abgeordne-te hat die Mglichkeit, seinen Wahlkreis vorzustel-len. Zusammen mit diversen Organisationen und Knstlern veranstalten sie Prsentationen, Vorfh-rungen und Kunstausstellungen im Parlament. Es ergibt sich daher nach der Arbeit regelmig die Gelegenheit, abends noch im Parlament zu bleiben, um beispielsweise einem Konzert eines polnischen Mandolinenorchesters zuzuhren oder bei einer

    Brssel: Die Bibliothek des Parlaments ist sehr umfangreich und verfgt auch ber die wesentlichen deutschen Kommentare

    und weitere Literatur fr Rechtsreferendare. Fr Recherchen gibt es zahlreiche

    Computer mit Zugang zu den gngigen Online-Suchmaschinen wie beispielsweise Westlaw.

  • 160 JURAcon-Jahrbuch 2012/2013 iQB Career services Ag

    erfahrungsberichte

    nur kurze Zeit in Straburg ist, fllt die Orientie-rung noch schwerer und man braucht noch ln-ger fr die Wege in den Gebuden.

    DIe ARBeIt IM pARlAMent Wer der Meinung ist, dass das Parlament lediglich aus den Abge-ordneten und deren Sekretariaten besteht, der irrt sich gehrig! Die Hauptarbeit im Parlament haben die Conseillers / Advisers sowie die Assistants zu stemmen. Sie sind verantwortlich dafr, dass die Grundlage fr Entscheidungen der Abgeordneten geschaffen wird eben dass der Laden luft.

    Ich war einem erfahrenen deutschen Conseiller/ Legal adviser der Fraktion der European Peoples Party (EPP, www.eppgroup.eu) zugewiesen. Da er hauptschlich die Arbeit der EPP im Rechtsaus-schuss betreut, bot sich mir die Mglichkeit, eine Vielzahl tagesaktueller und laufender Groprojekte auf europischer Ebene mitzuerleben. Meine Haupt-aufgabe lag darin, aktuelle Themen fr die Sitzun-gen des Rechtsausschusses vorzubereiten bezie-

    hungsweise Vermerke zu den Themen zu verfassen. Teilweise kam es auch vor, dass Abgeordnete juris-tische Problemstellungen erlutert haben wollten, also ein Briefing wnschten. Hier kam es gerade nicht darauf an, jedes kleinste Detail einer Proble-matik abzuhandeln. Vielmehr sollte dem Abgeord-neten, der nicht mit der Materie vertraut ist, ein

    erster Zugriff und ein berblick zu der Fragestel-lung gegeben werden. Eine interessante neue Pers-pektive, die doch wesentlich von der sonst im Refe-rendariat blichen Sichtweise des Staatsanwalts, Richters oder Rechtsanwalts abweicht.

    Ein paar Beispiele zu Fragestellungen aus mei-nem Arbeitsalltag im Parlament: Welche Aus-wirkungen hat die gutachterliche Stellungnahme des Europischen Gerichtshofs (EuGH) auf die wei-teren Verhandlungen zur Errichtung des Europi-schen Patentgerichts? Ist das franzsische Vorgehen gegen die Roma europarechtswidrig? Auf welche Rechtsgrundlage kann die Verordnung zur Errich-tung einer European Protection Order gesttzt wer-den? Welche Sekundrakte kann die EU-Kommissi-on zur Ausfllung von Detailbereichen der Dienst-leistungsrichtlinie erlassen?

    JURIstIsches hAnDweRksZeUG Arbeitsspra-che war dabei in der Regel Englisch, wobei es auch vorkam, dass einzelne Dokumente nur auf Franz-

    sisch zur Verfgung standen. Man sollte also mit beiden Sprachen zurechtkommen. Das Spannen-de an der Arbeit war, dass aufgrund des neuen Vertragswerks des Lissa-bonner Vertrags viele Normen erst noch im Detail durchdrungen wer-den mssen. An vielen Stellen gibt es dafr schlichtweg noch keine Kommentierung, auf die man sich im Referendariat ja sonst so gerne sttzt. Trotz oder gerade wegen zum Teil groer rechtlicher Unter-

    schiede zwischen den Mitgliedstaaten ist das juris-tische Handwerkszeug Grundlage des Arbei-tens im Parlament. Dabei ist stets von Anfang an zu bercksichtigen, ob ein juristischer Standpunkt auch eine Mehrheit im Ausschuss und im Plenum finden kann beziehungsweise ob er auch prakti-kabel ist.

    Straburg: Neben langen Plenarsitzungen finden abends auch Fraktionssitzungen statt,

    sodass Arbeitstage leicht lnger werden knnen. Die Sitzungen bieten aber interessante

    Einblicke in die Arbeit der europischen Gesetzgebung und das Zusammenspiel mit den

    anderen EU-Institutionen.

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    Referendarstation beim europischen parlament

    Auch Straburg ist eine sehr schne und interessan-te Stadt. Ein Bummel ber den Weihnachtsmarkt ist natrlich Pflicht, wenn man zur richtigen Jahres-zeit dort ist. In der Regel hat man aber sehr wenig Zeit fr Sightseeing, weil eine Straburgwoche sehr

    kurz und arbeitsintensiv ist.

    neUe peRspektIVe, BlIckhInteR DIe kUlIssen Meine Zeit in Brssel und Straburg war sehr abwechslungsreich und spannend. Das EP bietet eine tolle Mglichkeit, aktuelle Vorhaben auf europischer Ebene mitzuverfolgen und hinter die Kulissen der europischen Gesetz-gebung zu blicken. Dabei ist beson-ders die vllig neue Perspektive eine Bereicherung fr das Referendariat

    und eine einmalige Erfahrung. Eine Station beim EP ist jedenfalls wrmstens zu empfehlen.

    hInweIs:

    Der Artikel ist leicht gekrzt in der JuS Aus-gabe 4/2011 erschienen. Der hier erfolgende Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der JuS-Schriftleitung.

    leBen In BRssel UnD stRAssBURG Viel braucht man zur Freizeitgestaltung in und um Brs-sel eigentlich nicht mehr zu sagen die Stadt bie-tet fr jeden etwas! Zahlreiche Praktikantentreffs bieten Gelegenheit, auch auerhalb des Parlaments

    Kontakte zu knpfen und die vielen Bars und Knei-pen kennenzulernen. Was das Nachtleben betrifft, so muss sich Brssel sicher nicht vor anderen euro-pischen Hauptstdten verstecken. Am Wochenen-de bieten sich Ausflge nach Brgge, Antwerpen oder Gent an. Alle diese Stdte sind schnell und unkompliziert per Zug zu erreichen.

    Das Bemerkenswerte an Brssel ist, dass sich viele Mglichkeiten fr interessante Gesprche und Dis-kussionen bieten auch auerhalb des Parlaments. Man findet schnell Anschluss aufgrund der zahl-reichen Praktikanten und Rechtsreferendare in der Stadt. So stellt man teilweise fest, dass sich ein anderer Referendar mit derselben Richtlinie befasst, diese aber aus einer komplett anderen Perspektive betrachtet, weil er beispielsweise fr einen Wirt-schaftsverband ttig ist. Die Landesvertretungen, europischen Institutionen und die vielen Verbn-de gestalten ein abwechslungsreiches Abendpro-gramm, um sich auf der europischen Bhne pr-sentieren zu knnen eine gute Mglichkeit, die Lobby des Parlaments kennenzulernen.

    Michael Krnzle

    Rechtsassessor Wiss. Ass., Akad. Rat a. Z. LMU Mnchen

    Das juristische Handwerkszeug ist Grundlage des Arbeitens im Parlament. Dabei ist stets zu bercksichtigen, ob ein juristischer Standpunkt auch eine

    Mehrheit im Ausschuss und im Plenum finden kann beziehungsweise ob er

    auch praktikabel ist.