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Fakultät für Philologie und Künste Lehrstuhl für Germanistik SEMINARARBEIT Problem der Raumgestaltung und Schloss als Symbol der Macht in dem Roman „Das Schloss“ von Franz Kafka 1

Kafka Schloss - Seminararbeit

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Raumwahrnehmung im Kafkas "Schloss"

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Page 1: Kafka Schloss - Seminararbeit

Fakultät für Philologie und Künste

Lehrstuhl für Germanistik

SEMINARARBEIT

Problem der Raumgestaltung und Schloss als Symbol der Macht in dem

Roman „Das Schloss“ von Franz Kafka

Mentor: prof. dr Jelena Volić-Hellbusch Student: Dušica Dinić, 090139

Kragujevac; Juni, 2014

Inhaltsverzeichnis

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Page 2: Kafka Schloss - Seminararbeit

1. Abstrakt 3

2. Einleitung 4

3. Zusammenfassung 5

3.1. Biograpische Elementen in dem Roman 7

4. Max Brod 8

5. Das Schloss als realer Raum 9

6. Übertritt in den imaginären Raum – zweite Dimension 11

6.1. Weg zum Schloss 14

6.2. Der Zeitverlauf 14

7. Bürokratie, Macht und die Gesellschaft im „Schloss“ 16

8. Schluss 18

9. Literaturverzeichnis 19

1. Abstrakt

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Page 3: Kafka Schloss - Seminararbeit

Durch eine immanente Analyse werde ich in diesem Seminararbeit meistens der

Raumdarstellungproblematik aufgreifen aber ich werde auch dem Schloss als der

Obermachtinstanze betrachten. Kafka vollzieht fast in allen seinen Werken eine Verwirrung der

Menschen zu thematisieren – die Verwirrung, die durch unkontrollierbaren Instanzen eingeführt

wird. Verlust von Orientation, sowohl physischer als auch psychischer führt zu einem

verwirrenden und vergeblichen Kampf nach Anerkennung des Helden. Es ist auch kaum ein

Zufall, dass dieser Roman, wie „Die Verschollene“ und „Der Prozess“ unvollendet blieb. Da

diese Kampf eigentlich unendlich ist, weil auch die heutigen Menschen denselben Problemen bei

solchen Institutionen, die bei Kafka die Hauptrollen spielen, finden, zeigt uns das plötzliche

Ende des Erzählens, ohne dass uns ein Ende der Geschichte gegeben wurde. Doch, das Ende für

diesen Roman war geplant, aber meiner Meinung nach, diese Fragmenten tragen ein großer Teil

der Deutungsmöglichkeiten und eine gewisse Symbolik.

2. Einleitung

3

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Kafkas 1922 entstandenes Romanfragment „Das Schloß“ zählt zu den rätselhaftesten

Werken der Literatur weltweit. Das letzte entstandene Romanfragment von Franz beschäftigt

sich mit dem in Der Prozess entworfenen Thema der unendlichen, letztlich scheiternden Suche

des Individuums nach Erkenntnis. In Form einer Parabel auf die Existenzsituation des Menschen

der Moderne schildert Kafka, wie eine anonyme Macht - das Schloss - die Sehnsucht des

Menschen nach Wahrheit und Sinn manipuliert und den Suchenden bannt, unterdrückt und

vernichtet.

Fast alle Werke, die von Kafka geschrieben wurden, gestalten die Isolation, Deformation

und Destruktion des Individuums durch soziale bzw. persönliche Zwänge oder anonyme Macht-

instanzen. Seine realistisch-groteske Erzählweise, die ihn als einen der bedeutendsten

Schriftsteller der Weltliteratur ausweist, zielt dabei auf die unmittelbare Vereinnahmung des

Lesers. Wie die kafkaesken „Helden“ wird der Leser auf die eigene Existenz zurückgeworfen

und mit der Vergeblichkeit jeder Sinn- und Erkenntnissuche konfrontiert. Der einzelne Mensch,

der in die Welt geworfen wurde und diese nicht versteht und selbst von seinen Mitmenschen

nicht verstanden, ja oft gar nicht wahrgenommen wird – das ist die Grundsituation in vielen

Prosastücken Kafkas. Viele Erzählungen Kafkas sind geprägt von undurchschaubaren

Beziehungen, Verwicklungen und unklaren Strukturen der Personen und auch Orte.

3. Zusammenfassung

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Der Schauplatz ist ein Dorf, das zu Füßen eines Schlosses ohne nähere geografische

Bestimmung liegt und von dort aus beherrscht wird. Im Mittelpunkt der Handlung, die nur sechs

Tage umfasst, steht ein Fremder namens K. Er folgt einer angeblichen Einladung aus dem

Schloss und ist von weither angereist, um als Landvermesser zu arbeiten, doch alle Versuche,

mit der Schlossbehörde in Kontakt zu kommen, scheitern. Allmählich beginnt K., sich der

undurchsichtigen Macht des Schlosses zu beugen.

Im ersten Kapitel erreicht der Protagonist K. an einem Winterabend ein ärmliches Dorf bei

einem gräflichen Schloss. Er übernachtet im dörflichen Wirtshaus, dem Brückenhof, wird aber

bald von einem Vertreter des Schlosses geweckt, der erklärt, nur mit Erlaubnis des Schlosses

dürfe man sich im Dorf aufhalten. K. stellt sich als Landvermesser vor, den der Graf Westwest

habe kommen lassen. Es erfolgen zwei Telefonate mit dem Schloss. Im ersten wird von dort K.s

Bestellung bestritten, im zweiten aber dann anscheinend doch bestätigt, so dass K. bleiben darf.

Am Morgen versucht K. zum Schloss zu gehen; auf unerklärliche Weise kann er sich ihm aber

nicht nähern und muss umkehren. Die Dorfbevölkerung begegnet ihm mit Distanz und

Misstrauen. Sie wollen nichts mit ihm zu tun haben und weichen seinen Fragen aus.  Das Schloss

schickt ihm zwei Gehilfen, angeblich, um ihn „aufzuheitern“, wie er erst später erfährt. Der Bote

Barnabas überreicht ihm zweimal Briefe des hohen Beamten Klamm, die wohlwollend scheinen,

denen aber die Realität nicht entspricht. Klamm wird zur zentralen Figur in K.s Denken. Er trifft

das Schankmädchen Frieda, die angebliche Geliebte Klamms. Zwischen K. und Frieda

entwickelt sich eine Liebesbeziehung und Frieda trennt sich von Klamm. Damit werden K.s

Hoffnungen zunichte, Frieda könne ihm den Weg zu den Schlossbehörden ebnen.

Von seiner Gastwirtin erfährt K., dass Klamm grundsätzlich für niemanden aus dem Dorf

zu sprechen sei. Auch die Brückenwirtin ist vor vielen Jahren Klamms Geliebte gewesen und

leitet daraus für sich – ebenso wie für Frieda – eine erhabene Stellung ab. Der Dorfvorsteher, K.s

direkter Vorgesetzter, behauptet, dass ein Landvermesser nicht gebraucht werde und die

Ausschreibung ein Missverständnis gewesen sei.

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K. besteht auf einer Anstellung im Dorf und darf schließlich als Schuldiener arbeiten. Er

wird mit Frieda und den Gehilfen behelfsmäßig in einem der beiden Klassenzimmer der

Dorfschule untergebracht. Neben seinen Aufgaben als Schuldiener sucht K. weiterhin beharrlich

den Kontakt mit Klamm und wartet im Herrenhof viele Stunden vergeblich auf ihn. Ein Verhör

durch Klamms Dorfsekretär Momus lehnt er ab und ignoriert dessen Warnungen ebenso wie die

der Brückenwirtin. Über den Boten Barnabas will K. eine Unterredung mit Klamm erzwingen.

Die lästigen und undurchsichtigen Gehilfen werden von K. entlassen.

Von Barnabas’ Schwester Olga erfährt K. zu seinem Entsetzen, dass Barnabas im Schloss

selbst nur ein Bittsteller sei und über keinerlei Rechte verfüge. Olga vertraut K. das dunkle

Familiengeheimnis an: Seit Olgas und Barnabas’ Schwester Amalia vor drei Jahren einen

Schlossbeamten, von dem sie sich gedemütigt fühlte, abgewiesen hat, versucht die ganze

Familie, im Schloss den Fehler wieder gutzumachen. Da der Fall dort aber nicht aktenkundig sei,

könne man nichts für die ehemals angesehene Familie tun, die vom Dorf inzwischen mit

Verachtung gestraft wird.

Als K. von Olga kommt, teilt sein früherer Gehilfe Jeremias ihm mit, dass Frieda K.

verlassen habe und jetzt mit ihm im Herrenhof wohne und arbeite. Barnabas erscheint mit der

Botschaft, dass Klamms Sekretär Erlanger ihn im Herrenhof erwarte. K. eilt in das Gasthaus und

während er nächtens darauf wartet, dass der schlafende Erlanger aufwacht, kommt es zu einer

Aussprache zwischen ihm und Frieda. Frieda entscheidet sich für Jeremias, der ihr aus

Kindertagen vertraut ist.

Auf der Suche nach Erlanger betritt K. versehentlich das Schlafzimmer des Sekretärs

Bürgel. Dieser erklärt ihm, warum es für einen Hilfesuchenden günstig sei, einem scheinbar

nicht zuständigen Sekretär und insbesondere in der Nacht sein Anliegen anzuvertrauen. K.

schläft während Bürgels Ausführungen ein und wacht erst auf, als Erlanger am frühen Morgen

nach ihm ruft.

Nach einer kurzen Unterredung, in der es um Frieda und Klamm geht, verlässt Erlanger

den Herrenhof. K. bleibt zurück und schläft bis zum Abend im Schankraum. Beim Aufwachen

trifft er das Zimmermädchen Pepi an, das Frieda vorübergehend im Ausschank vertreten hat.

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Pepi versucht, Frieda zu verleumden, doch K. widerspricht. Vor der Tür wartet der Fuhrmann

Gerstäcker auf K., um ihn als Pferdeknecht einzustellen.

Hier endet der Roman, der ebenso wie „Der Verschollene (Amerika)“ und „Der Prozess“

als Fragment in Kafkas Nachlass erhalten blieb.

3.1. Biographische Elementen in dem Roman

Es gibt einige Bezüge zwischen Kafkas Leben und dem Inhalt des Romans und die

Beschreibung der Umgebung und den Menschen in dem Roman. Ein reales Beispiel für das

Schloss könnte der Hradschin in Prag sein, in dessen unmittelbarer Nähe Kafka selbst einige Zeit

lebte. Personelle Bezüge werden zwischen der Romanfigur Frieda und Kafkas früherer

Freundin Milena Jesenská gesehen. In Barnabas’ Schwester Olga kann Kafkas

Lieblingsschwester Ottla entdeckt werden. Die einfache, bedrückte Familie des Barnabas weist

auf Kafkas zweite Verlobte Julie Wohryzek mit ihrer armen Familie hin. Kafka ist beruflich

nicht mit K. zu vergleichen, vielmehr ist sein sicherer Arbeitsplatz als Jurist in einer gehobenen

Stellung bei der Arbeiter-Unfallversicherung ähnlich der Stellung der höheren Beamten des

Schlosses. Bezeichnenderweise residierte diese riesige Versicherung ebenfalls in einem

palastartigen Gebäude in Prag. Er hat den Umgang mit der Bürokratie offensichtlich auf hohem

Niveau beherrscht, im Gegensatz zu seinen Romanhelden, die mit resignativer Passivität vor den

Ordnungslabyrinthen der Bürokratie stehen.

4. Max Brod

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Max Brod, Herausgeber der Werke von Kafka, berichtet, dass geplant war, den Roman mit

K.s Tod enden zu lassen; im gleichen Moment sollte dem Protagonisten vom Schloss die

endgültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erteilt werden. Brod als der Editor der Werke

Kafkas inaugurierte auch die erste Deutung des Romans als Allegorie durch sein Vorwort von

1926:

„Denn was bedeutet das Schloß mit seinen seltsamen Akten, seiner

unerforschlichen Hierarchie von Beamten, mit seinen Launen und Tücken, seinem

Anspruch (und durchaus gerechtfertigten Anspruch) auf unbedingte Achtung,

unbedingten Gehorsam? Dieses Schloß ist genau das, was die Theologen „Gnade“

nennen, die göttliche Lenkung menschlichen Schicksals (des Dorfes), die

Wirksamkeit der Zufälle, geheimnisvollen Beschlüsse, Begabungen und

Schädigungen, das Unverdiente und Unerwerbliche, das „Non liquet“ über dem

Leben aller.“

Grundannahmen der Deutung als religiöse Allegorie richten sich auf das Schloß als

Erkörperung der göttlichen Gnade bzw. des Absoluten, auf K. als den religiösen Sucher, der ein

Leben im Zustand der Unerlöstheit bewältigen müsse.

Einige Notizen, die Kafka hinter sich zurückließ, weisen auf dieser Deutung hin. Das

Schloss wird dann als der Symbol des Gottes angesehen. Menschliche Versuche im Schloss

einzutreten werden dann immer scheitern, weil das Erkenntnis des Gottes nicht möglich ist.

Dieses Motiv ist ein der häufigsten Motive aller Literatur. Es gibt doch viele andere

Interpretationen des Werkes, denn Kafkas Werke so vielfältig sind, dass es unmöglich ist nur ein

Aspekt zu betrachten.

5. Das Schloss als realer Raum

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Das Schloss als handlungsrelevanter Raum wird bereits im ersten Satz des Romans

erwähnt.

„Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom

Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht

der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der

Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die

scheinbare Leere empor.“1

Allerdings ist das Schloss im eigentlichen Sinn noch nicht sichtbar am Beginn. Es liegt in

einer scheinbaren Leere. Das Schloss ist noch kein konkreter oder realer Raum. Das Schloss

existiert (noch) nicht, ist (noch) nicht real. Dann kommt es zur Abgrenzung gegenüber den

bereits angedeuteten traditionellen Assoziationen - das Schloss sieht nicht aus wie ein Schloss,

sondern eher wie ein „Städtchen“.

Durch den Titel Das Schloß wird beim Leser eine bestimmte Erwartungshaltung erzeugt.

Zu vielen Orten gibt es bestimmte Vorstellungen und Traditionen, die in unserer Gesellschaft

verankert sind. Unter einem Schloss stellt man sich, wie im Roman angedeutet, entweder einen

„barocken Prunkbau“ oder eine „alte Ritterburg“ vor.

„Es war weder eine alte Ritterburg noch ein neuer Prunkbau, sondern eine

ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng

aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewußt, daß es

ein Schloß sei, hätte man es für ein Städtchen halten können. Nur einen Turm sah

K., ob er zu einem Wohngebäude oder einer Kirche gehörte, war nicht zu

erkennen. Schwärme von Krähen umkreisten ihn.”2

Die Beschreibungen des Schlosses werden im Lauf des Romans nicht häufiger. Es gibt fast

keine räumlichen Schilderungen. Das Schloss wird immer seltener als topographischer Raum

dargestellt. Die Raumwahrnehmung steht im direkten Zusammenhang mit der Perspektive. Mit

neuen Raumvorstellungen entstehen neue Perspektiven und umgekehrt. Im Schloß spielt vor

1 Franz Kafka: Das Schloss, S.32 ebd. S.6

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allem die persönliche Perspektive die entscheidende Rolle. Die dargestellte Welt wird fast

ausschließlich durch K. vermittelt. Andere Standpunkte werden entweder durch direkte Reden,

durch einen Erzähler, der aber nicht klar abgegrenzt wird, oder durch eine Schilderung aus

mehreren Perspektiven (z.B. Guckloch-Szenen) eingebracht. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei

der Raumwahrnehmung ist der Raumaufbau. Bei Kafka ist ein fragmentarischer Aufbau der

Räume festzustellen. Es wird kein klar abmessbarer Raum beschrieben, sondern isolierte Objekte

mit dem Blick des Protagonisten in den Raum gesetzt. Es kommt zu einem schrittweisen Aufbau

der Räume.

In Zusammenhang mit konkreten Räumen bei Kafka ist es wichtig den Beruf des

Landvermessers zu betrachten. Ein Landvermesser gilt als Repräsentant für euklidische Räume3.

Der Landvermesser hat seinem Beruf entsprechend ein fixes Raummodell und einen räumlichen

Ordnungsanspruch vor Augen. Aber, im Schloss, die Grundlagen für die topographische

Vermessung des Raums fehlen. Das Schloß hat keine fixe, geschlossene, strukturelle Ordnung

und der Landvermesser kann somit seine Tätigkeit nicht ausführen.

„Das ist erstaunlich“, sagte Bürgel mit lebhaftem Werfen des Kopfes und

zog einen Notizblock unter der Decke hervor, um sich etwas zu notieren. „Sie

sind Landvermesser und haben keine Landvermesserarbeit.“4

Landvermesserarbeiten sind im Raum Kafkas einfach nicht möglich. Es gibt keine

eindeutigen Grenzen, keine klar definierten Linien.

6. Übertritt in den imaginären Raum – zweite Dimension

3 In der Mathematik bezeichnet der Begriff „euklidischer Raum“ ein vermessbaren und begrenzten Raum, der zwei- oder dreidimensional sein kann.4 ebd. S. 149

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Mit der Weiterentwicklung der Perspektive und Raumvorstellung wird der reale Raum zum

imaginären Raum. Aus dem euklidischen Raum wird ein fiktiver Vorstellungsraum. Im Schloss

gibt es mehrere Aspekte, die die Entwicklung zum imaginären Raum verstärken. Einer dieser

Punkte ist die topographische Unsicherheit des Schlosses. Nebel und Finsternis sowie das Wetter

behindern die Raumwahrnehmung und erzeugen die „scheinbare Leere“.

„Das Schloß, dessen Umrisse sich schon aufzulösen begangen, lag still wie

immer, niemals noch hatte K. dort das geringste Zeichen von Leben gesehn,

vielleicht war es gar nicht möglich aus dieser Ferne etwas zu erkennen und doch

verlangten es die Augen und wollten die Stille nicht dulden. […] Dieser Eindruck

wurde heute noch verstärkt durch das frühe Dunkel, je länger er hinsah, desto

weniger erkannte er, desto tiefer sank alles in Dämmerung.“5

Die klaren Linien lösen sich auf; die Grenzen verschwinden. Die daraus resultierende

Orientierungslosigkeit wird zusätzlich durch das Wetter verstärkt. Die Orientierungspunkte sind

entweder verdeckt (Schnee) oder nicht sichtbar (Dunkelheit). Sichtbarkeit ist immer in

Verbindung mit Existenz zu sehen. Nach dem Motto – was nicht sichtbar ist, ist nicht existent –

wird die Existenz des Schlosses in der scheinbaren Leere in Frage gestellt. Ebenso muss K. um

seine Existenz kämpfen, denn sogar seine Spuren werden verwischt.

Ein weiterer Punkt, der für das Entstehen imaginärer Räume von Bedeutung ist, ist die

Verfremdung. Die Raumverfremdung ist im Schloss vor allem anhand von

Orientierungslosigkeit und Raumverzerrung zu sehen. Die Verzerrung des Raums entsteht

genauso wie der Verlust der Orientierung durch die Auflösung der konventionellen

Raumdarstellung. Verfremdung gibt es nicht nur bei Landschaften oder Entfernungen sondern

vor allem die Innenräume werden bei Kafka verzerrt. Dieser Aspekt gilt im Schloss zum

Beispiel für den Verschlag der Brückenhofwirtin in der Küche:

„Sie lag in einem durch die leichte Bretterwand von der Küche abgetrennten

fensterlosen Verschlag. Er hatte nur Raum für ein großes Ehebett und einen

Schrank. Das Bett war so aufgestellt, daß man von ihm aus die ganze Küche

übersehn und die Arbeit beaufsichtigen konnte. Dagegen war von der Küche aus

5 ebd. S.59

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im Verschlag kaum etwas zu sehn, dort war es ganz finster, nur das weißrote

Bettzeug schimmerte ein wenig hervor.”6

Im Gegensatz zur Verkleinerung der Räume kann es auch zu einer Ausdehnung der Räume

kommen. Dies gilt zum Beispiel für das gesamte Schloss:

„Der junge Mensch entschuldigte sich sehr höflich, K. geweckt zu haben,

stellte sich als Sohn des Schloßkastellans vor und sagte dann: Dieses Dorf ist

Besitz des Schlosses, wer hier wohnt oder übernachtet, wohnt oder übernachtet

gewissermaßen im Schloß[...].“7

Diese Art der Raumverfremdung, Ausdehnung oder Schrumpfung, ist in vielen Texten

Kafkas zu finden. Diese Effekten führen zur Deutung, dass dieses Schloss einen imaginären

Raum besitzt und sogar sich in einer anderen Dimension befindet. Eine der Zeichen davon ist die

meistens gescheiterte Kommunikation zwischen K. und dem Schloss, bzw. den Beamten des

Schlosses. Im Gegensatz zur direkten Kommunikation innerhalb des Dorfes, gibt es zwischen K.

und dem Schloss keinen direkten Kontakt. Auf der einen Seite spielt die räumliche

Unerreichbarkeit des Schlosses, bzw. Klamms eine Rolle.

„[...]aber von Klamm weiß ich jetzt nichts; ich werde niemals mit ihm

sprechen, er ist mir gänzlich unerreichbar[...]“8

Andererseits ist der Unterschied zwischen Dorf und Schloss/Klamm so groß, dass es

entweder zu Missverständnissen kommt oder Kommunikation gar nicht zu Stande kommt.

Klamm soll mit Ihnen spreche, aber er spricht doch nicht einmal mit Leuten aus dem Dorf, noch

niemals hat er selbst mit jemanden aus dem Dorf gesprochen.

„Sie sind ja gar nicht imstande, Klamm wirklich zu sehen, das ist nicht

Überhebung meinerseits, denn ich selbst bin es auch nicht imstande. Klamm soll

mit Ihnen sprechen, aber er spricht doch nicht einmal mit Leuten aus dem Dorf,

noch niemals hat er selbst mit jemandem aus dem Dorf gesprochen.“ 9

6 ebd. S.457 ebd. S.38 ebd. S.319 ebd. S 29

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Die Kommunikation mit dem Schloss ist also entweder schwer beeinträchtigt oder gar nicht

vorhanden. Sender und Empfänger sind teilweise nicht fixierbar oder es kommt zu einseitiger

Kommunikation. Oftmals erreicht die Botschaft nicht das richtige Ziel oder wird falsch gedeutet.

Falls es zu einer Kommunikation mit dem Schloss kommt, ist diese also nicht direkt, sondern nur

mit Hilfe von Boten, Telefon oder Briefe möglich.

Klamm ist als eine Verkörperung des Schlosses auch unerreichbar. K. versucht mit allen

Möglichkeiten Klamms Blick auf sich zu ziehen. K. scheitert bei allen Versuchen, da Klamms

Anblick nicht zu ertragen ist, bzw. K. überhaupt nicht fähig ist Klamm wirklich zu sehen.

6.1. Weg zum Schloss

K. sieht die Dorfstraße als eine Gerade, die die kürzeste Verbindung zwischen den zwei

zentralen Punkten – dem Brückenhof und dem Schloss – darstellt. Er versucht daher zuerst auf

diesem Weg ins Schloss zu gelangen und scheitert bereits beim ersten Versuch.

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„So ging er wieder vorwärts, aber es war ein langer Weg. Diese Hauptstraße

des Dorfes führte nicht zum Schlossberg, sie führte nur nahe heran, dann aber wie

absichtlich bog sie ab und wenn sie sich auch vom Schloß nicht entfernte, so kam

sie ihm doch auch nicht näher. Immer erwartete K., dass nun endlich die Straße

zum Schloß einlenken müsse, und nur weil er es erwartete ging er weiter; offenbar

infolge seiner Müdigkeit zögerte er die Straße zu verlassen, auch staunte er über

die Länge des Dorfes, das kein Ende nahm.“

Das geometrische Element der Geraden als Verbindung zwischen zwei Punkten ist auf das

Raumkonzept des Schlosses nicht übertragbar. Die Straße hat kein Ende und führt somit nicht

zum Schloss sondern in die Unendlichkeit.

6.2. Der Zeitverlauf

Im Regel stehen Zeit und Raum immer in Zusammenhang. Zeit hängt von dem Raum ab

und umgekehrt. Bei Kafka werden die Gesetze der Physik und der Zeit aufgehoben – Er erzählt

außerhalb der Zeit. Eine lineare Struktur ist mehr vorhanden. Die Zeitangaben und der Versuch,

diese in einen realistischen zeitlichen Rahmen einzufügen, sind zwar vorhanden, aber die

verfremdenden Zeitelemente dienen nur mehr als Kontrast zum natürlichen Zeitverlauf.

K. verbringt sieben Tage im Dorf. Die Zeit im Dorf vergeht aber nicht immer gleich –

manchmal vergeht sie schneller, manchmal langsamer. Es kommt entweder zur Zeitraffung oder

zu zeitlicher Dehnung. Der Zeitverlauf entspricht nicht der empirischen Erfahrung K.s, der

anderen Personen oder des Lesers.

„Als sie - K. erkannte es an einer Wegbiegung - fast beim Wirtshaus waren,

war es zu seinem Erstaunen schon völlig finster. War er so lange fort gewesen?

Doch nur ein, zwei Stunden etwa nach seiner Berechnung, und am Morgen war er

fortgegangen, und kein Essenbedürfnis hatte er gehabt, und bis vor kurzem war

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gleichmäßige Tageshelle gewesen, erst jetzt die Finsternis. „Kurze Tage, kurze

Tage!“ sagte er zu sich, glitt vom Schlitten und ging dem Wirtshaus zu.“10

K. ist entweder zu früh oder spät, aber nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er hat keine

Vergangenheit und keine Zukunft. Seine Heimat und damit seine Vergangenheit sind in

unendliche Ferne gerückt und nicht mehr erreichbar. Gleiches gilt für das Schloss, das er auch in

Zukunft nie erreichen wird. Es kommt gewissermaßen zu einem Stillstand der Zeit. Durch den

Verlust des Zeitbewusstseins kommt es zu einer zeitlichen Isolierung des Dorfes – auch ein

Zeichen, dass das Schloss aber auch das Dorf ein imaginären Raum besitzen.

7. Bürokratie, Macht und die Gesellschaft im „Schloss“

10 ebd. S. 12

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Die Macht des Schlosses spiegelt sich auch in der Personifikation der Schlossbeamten

wider. Das Schloss wird auch in dem Roman personifiziert:

„Wenn K. das Schloß ansah, so war es ihm manchmal, als beobachtete er

jemanden, der ruhig dasitze und vor sich hinsehe, nicht etwa in Gedanken

verloren und dadurch gegen alles abgeschlossen, sondern frei und unbekümmert,

so, als sei er allein und niemand beobachte ihn, und doch mußte er merken, daß er

beobachtet wurde, aber es rührte nicht im geringsten an seiner Ruhe, und wirklich

- man wußte nicht, war es Ursache oder Folge -, die Blicke des Beobachters

konnten sich nicht festhalten und glitten ab.“11

Aber was interessant ist, ist dass die Schlossbeamten die Eigenschaften des Schlosses

übernehmen und nicht umgekehrt. Sie gelten als sehr wichtige Personen für K. mit denen er

Kontakt erreichen will, weil sie die Schlossrepräsentanten sind. Sie dienen als

Verbindungselemente zum Schloss, als sogenannte Hilfsfiguren. K. instrumentalisiert die

Schlossfiguren und reduziert sie auf ihre Verbindungsfunktion.

„Und doch hatte K. nicht den richtigen Sinn dafür; er, der sich mit allen

Kräften um einen Blick Klamms bemühte, schätzte zum Beispiel die Stellung

eines Momus, der unter Klamms Augen leben durfte, nicht hoch ein, fern war ihm

Bewunderung oder gar Neid, denn nicht Klamms Nähe an sich war ihm das

Erstrebenswerte, sondern daß er, K., nur er, kein anderer mit seinen, mit keines

anderen Wünschen an Klamm herankam und an ihn herankam, nicht um bei ihm

zu ruhen, sondern um an ihm vorbeizukommen, weiter ins Schloß.“12

Die Personifikation des Schlosses verbreitet seine Möglichkeit die Dorfbewohner zu

kontrollieren und überwachen. Je mehr Figuren, die das Schloss repräsentieren, es gibt, desto

mehr gehorsam die Bewohner werden.

Das Schloß gewinnt aufgrund seiner realen Unerreichbarkeit und aufgrund der Macht des

Beamtenapparates den Nimbus einer mythischen Macht13. Die Macht im „Schloß“ zeigt sich vor 11 ebd. S. 5912 ebd. S. 6613 Der Heiligenschein (lat. Nimbus, auch Glorienschein, Gloriole, Strahlenschein, Aureole) ist eine Leucht- oder Lichterscheinung um den Kopf oder ganzen Körper einer Personendarstellung. Hier heißt das, dass das Schloss personifiziert und verkörpert wird.

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allem in den repressiven Verkehrsformen und in den Beschädigungen der Dorfbewohner. K. muß

im Laufe seines siebentägigen Aufenthalts erkennen, dass er in dieser Gesellschaft als Fremder

gar keine Rechte hat und daher keine Integration erreicht. Die Gesellschaft ist weder materiell

bereit noch geistig fähig, die Normen ihres Zusammenlebens, die nur auf sie selbst zugeschnitten

sind, zu verändern. Die Dorfbewohner sind gegenüber der Schloß-Bürokratie maximal in ihre

Rolle als Beherrschte eingepasst. Im Gegensatz zu K. haben sie dem Schloß gegenüber keine

Ansprüche und Forderungen. Sie besitzen nicht einmal Wünsche, was die Veränderung ihres

eigenen Lebens betrifft. Das Leben der Dorfbewohner ist auf das Schloß ausgerichtet und

jegliche Veränderung der eigenen Lebensperspektiven würde auch eine Veränderung der

Machtkonstellationen zwischen Dorf und Schloß mit sich bringen. Schon die Vorstellung einer

solchen möglichen Veränderung wird im Dorf tabuisiert. Im Schloß hat die Bürokratie die

Herrschaft erlangt und erhält sie ohne äußere Repressionen aufrecht.

Kafka zeigt diese totalitäre Machtdurchdringung an Gesellschaft, in der die Bürokratie des

Beamtenapparates die einzige gesellschaftliche Institution darstellt, der die Dorfbewohner als

Beherrschte gegenüberstehen. Der bürokratische Apparat ist gerade wegen seiner

Unüberschaubarkeit und Kompetenzüberschneidung von außen faktisch unkritisierbar, dabei

aber vollkommen funktionstüchtig. Alle Erklärungen der Dorfbewohner und der Beamten und

ebenso alle Erkenntnisse, die K. im Laufe seines Aufenthaltes in dem Dorf hat, erweisen die

reale Funktionstüchtigkeit des Apparats. Die Undurchschaubarkeit von außen und die

Kompetenzüberschneidungen im Innern der Behörde sind die Voraussetzung für die Stabilität

der Bürokratie. Die Dorfbewohner sind gefangen und vollständig eingefügt in die Immanenz

ihres Lebensbereiches. Es existieren keine Ideen, keine Hoffnungen und kein Glaube an etwas,

das in irgendeiner Weise über die Grenzen dieser Gesellschaft hinausweist.

8. Schluss

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Kafkas gesammtes Werk ist mehr dem Surrealismus zuzurechnen, als dem

Expressionismus. Surreal heißt nicht wahr und absurd – Eigenschaften, mit denen man das

Schloss beschreiben kann. Innerhalb des Schlossraums ist eine adäquate Repräsentation der

Wirklichkeit nicht mehr möglich. So unerreichbar das Schloss für den Landvermesser ist, so

unmöglich ist es für den Leser den richtigen Schlüssel zu finden.

Der Leser muss beim Lesen etwas ähnliches wie K. erleben: dem Leser ergeht es mit dem

Roman wie Kafkas Held K. mit dem Schloss selber. Wenn er kam das Schloss zu besiegen und

im Schloss einzutreten, wird er zurückverwiesen auf eine ewige Annäherung – so wird der Leser

nie zur einen völligen Interpretation des Werkes sich nähern. Neben dem Motiv unmöglicher

Raumdarstellung, die hier bearbeitet wurde, gibt es viel andere Deutungen, die in Fragmenten

bleiben, genauso wie der Roman selbst. Deshalb ist es sowohl richtig als auch falsh Kafka in

einer literarischen Richtung einordnen zu versuchen, denn jedes Werk ist, das von ihm

geschrieben wurde, eine Gattung und Richtung für sich selbst. So gibt es jetzt ein neuer Begriff,

den die ganze Welt akzeptierte als adäquate Bezeichnung – kafkaesk – und Duden nach, ist der

Begriff ein bildungssprachlicher Ausdruck, der „in der Art der Schilderungen Kafkas: auf

unergründliche Weise bedrohlich“ bedeutet. Nur einer der größten Schriftsteller der ganzen

Literaturgeschichte kann als eine literarischer Richtung für sich selbst betrachtet werden.

9. Literaturverzeichnis

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Page 19: Kafka Schloss - Seminararbeit

Grabert, Willy; Mulot, Arno; Nürnberger, Helmuth: Geschichte der deutschen

Literatur. Bayerischer Schulbuch-Verlag, Freiburg 1986.

Fritz, Martini: Deutsche Literaturgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Komet-Verlag, Köln 2003.

Gigl, Claus J.: Deutsche Literaturgeschichte. 2008

19