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Mittelalter für die Gegenwart „Kognitive Entgrenzung“ und wissenschaftlicher Stil in den Mittelalterforschungen Michael Borgoltes von Benjamin Scheller Michael Borgolte darf ohne Zweifel als einer der prägenden Historiker des Mittelalters seiner Generation gelten. Sein Name steht wie kein anderer für die Etablierung einer transkulturellen Mittelalterforschung in vergleichender und beziehungsgeschichtlicher Perspektive, die bestrebt ist, die überkommene Beschränkung des Gegenstandsbereichs der Mittelalterforschung auf die Geschichte einer vermeintlich homogenen lateinisch- christlichen Kultur oder gar auf die Nationalgeschichte zu überwinden. An ihre Stelle tritt bei Borgolte ein religiös-kulturell plurales Mittelalter, zunächst in europäischer und dann immer mehr in globaler Perspektive. Die 21 Aufsätze aus den Jahren 1992 bis 2013, die dieser Band versammelt, stellen dabei nur einen kleinen Ausschnitt aus Michael Borgoltes umfangreicher wissenschaftlicher Produktion dar. 1 Ziel dieser Auswahl ist es, die Weiterentwicklung des Konzeptes der transkulturellen Mittelalter- forschung bei Borgolte und seine Umsetzung auf wichtigen wissenschaftlichen Feldern nachvollziehbar zu machen. Michael Borgolte steht jedoch nicht nur für die „kognitive Entgrenzung“ der Mittel- alterforschung. 2 Er steht auch für einen spezifischen wissenschaftlichen Stil. Dieser Stil ist bereits an andere Stelle umfassender charakterisiert worden. 3 Hier reicht es daher aus, eine Eigenschaft dieses wissenschaftlichen Stiles herauszugreifen, ohne den die „kognitive Entgrenzung“ der Mittelalterforschungen Michael Borgoltes, die schritt- ————————————— 1 Vgl. das Schriftenverzeichnis (Stand: Januar 2013): http://www.geschichte.hu-berlin.de/bereiche- und-lehrstuehle/migei/dokumente/publikationen-borgolte (letzter Zugriff: 6. September 2013). Eine Auswahl von Borgoltes Schriften zum mittelalterlichen Stiftungswesen ist verzeichnet in: Michael Borgolte, Stiftungen und Memoria. Hrsg. von Tillmann Lohse. (StiftungsGeschichten, Bd. 10.) Berlin 2013, 421–425; eine vollständige Publikationsliste wird erscheinen in: Tillmann Lohse / Benjamin Scheller (Hrsg.), Europa in der Welt des Mittelalters. Colloquium für und mit Michael Borgolte (im Druck). 2 Mittelalter in der größeren Welt. Mediävistik als globale Geschichte, in diesem Bd., 533–546, hier 535 (Vortrag vom 3. November 2011; Videoaufzeichnung unter http://www.geschichte.hu-berlin. de/ringvorlesung; letzter Zugriff 6. September 2013). Die Erstveröffentlichungen der in diesem Band versammelten Aufsätze sind unten, 547–549, nachgewiesen. 3 Benjamin Scheller, „Philosophischer Kopf“ und akademischer Unternehmer. Der Wissenschaftler Michael Borgolte, in: Lohse / Ders. (Hrsg.), Europa in der Welt des Mittelalters (wie Anm. 1). Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/4/14 1:04 PM

Mittelalter in der größeren Welt (Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung) || Mittelalter für die Gegenwart „Kognitive Entgrenzung“ und wissenschaftlicher

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Mittelalter für die Gegenwart

„Kognitive Entgrenzung“ und wissenschaftlicher Stilin den Mittelalterforschungen Michael Borgoltes

von Benjamin Scheller

Michael Borgolte darf ohne Zweifel als einer der prägenden Historiker des Mittelaltersseiner Generation gelten. Sein Name steht wie kein anderer für die Etablierung einertranskulturellen Mittelalterforschung in vergleichender und beziehungsgeschichtlicherPerspektive, die bestrebt ist, die überkommene Beschränkung des Gegenstandsbereichsder Mittelalterforschung auf die Geschichte einer vermeintlich homogenen lateinisch-christlichen Kultur oder gar auf die Nationalgeschichte zu überwinden. An ihre Stelletritt bei Borgolte ein religiös-kulturell plurales Mittelalter, zunächst in europäischer unddann immer mehr in globaler Perspektive. Die 21 Aufsätze aus den Jahren 1992 bis2013, die dieser Band versammelt, stellen dabei nur einen kleinen Ausschnitt ausMichael Borgoltes umfangreicher wissenschaftlicher Produktion dar.1 Ziel dieserAuswahl ist es, die Weiterentwicklung des Konzeptes der transkulturellen Mittelalter-forschung bei Borgolte und seine Umsetzung auf wichtigen wissenschaftlichen Feldernnachvollziehbar zu machen.Michael Borgolte steht jedoch nicht nur für die „kognitive Entgrenzung“ der Mittel-

alterforschung.2 Er steht auch für einen spezifischen wissenschaftlichen Stil. Dieser Stilist bereits an andere Stelle umfassender charakterisiert worden.3 Hier reicht es daheraus, eine Eigenschaft dieses wissenschaftlichen Stiles herauszugreifen, ohne den die„kognitive Entgrenzung“ der Mittelalterforschungen Michael Borgoltes, die schritt-

—————————————1 Vgl. das Schriftenverzeichnis (Stand: Januar 2013): http://www.geschichte.hu-berlin.de/bereiche-

und-lehrstuehle/migei/dokumente/publikationen-borgolte (letzter Zugriff: 6. September 2013). EineAuswahl von Borgoltes Schriften zum mittelalterlichen Stiftungswesen ist verzeichnet in: MichaelBorgolte, Stiftungen und Memoria. Hrsg. von Tillmann Lohse. (StiftungsGeschichten, Bd. 10.)Berlin 2013, 421–425; eine vollständige Publikationsliste wird erscheinen in: Tillmann Lohse /Benjamin Scheller (Hrsg.), Europa in der Welt des Mittelalters. Colloquium für und mit MichaelBorgolte (im Druck).

2 Mittelalter in der größeren Welt. Mediävistik als globale Geschichte, in diesem Bd., 533–546, hier535 (Vortrag vom 3. November 2011; Videoaufzeichnung unter http://www.geschichte.hu-berlin.de/ringvorlesung; letzter Zugriff 6. September 2013). Die Erstveröffentlichungen der in diesemBand versammelten Aufsätze sind unten, 547–549, nachgewiesen.

3 Benjamin Scheller, „Philosophischer Kopf“ und akademischer Unternehmer. Der WissenschaftlerMichael Borgolte, in: Lohse / Ders. (Hrsg.), Europa in der Welt des Mittelalters (wie Anm. 1).

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2 Benjamin Scheller

weise Ausweitung ihres räumlichen Bezuges vom lateinischen Europa auf die ganze imMittelalter bekannte Welt nicht zu verstehen ist: eine strikte Gegenwartsorientierung.Geradezu bekenntnishaft betont Borgolte in vielen seiner Schriften, dass die Erfor-

schung der mittelalterlichen Geschichte in Beziehung zu Erfahrungen der Gegenwartstehen müsse. Am prägnantesten vielleicht in einem Vortrag, den er 2011 an derHumboldt-Universität zu Berlin hielt, dem Standort seines Wirkens seit 1991: „Ich habejedenfalls meine Rolle als Professor für Mittelalterliche Geschichte von Anfang an soverstanden, dass sich hier exzellente Forschung und der Dialog mit der jüngeren Ge-schichte beziehungsweise der Öffentlichkeit gegenseitig bedingen.“4

Eine solche Gegenwartsorientierung war und ist in der Mittelalterforschung jedochalles andere als unumstritten. Denn viele Fachkolleginnen und -kollegen sahen undsehen die Aufgabe der Wissenschaft vom Mittelalter nicht darin, Bezüge zwischen jenerEpoche, die wir als Mittelalter bezeichnen, und der Gegenwart herzustellen, sondern, imGegenteil, die Alterität des Mittelalters herauszuarbeiten.5 Diese Alterität, als Vorstel-lung einer essentiellen Andersartigkeit des Mittelalters gegenüber der Neuzeit, wirdvielfach sogar als genuin betrachtet. Denn sie liegt dem Epochenbegriff des Mittelaltersals solchem ja zugrunde. Seine Konstruktion beruhte auf den Gedanken einer ‚Zentral-zäsur‘, die ein älteres Zeitalter radikal vom gegenwärtigen: eben der ‚neuen Zeit‘schied.6

Allerdings ist Alterität versus Gegenwartsorientierung nur ein scheinbarer Gegen-satz, der auf einem Missverständnis über das Verhältnis von Gegenwartsinteressen undhistorischem Gegenstand beruht. Keine historische Forschung kann des Gegenwarts-bezugs entbehren, welcher Epoche sie sich auch verschrieben hat. Dies haben die be-deutenden Theoretiker der Geschichtswissenschaften immer wieder betont. Dabei sindGegenwartsbezug und die Anerkennung der Alterität vergangener Wirklichkeit keineGegensätze, sondern vielmehr untrennbar miteinander verbunden.Max Weber hat gezeigt, dass es die „großen Kulturprobleme“ der Gegenwart sind,

die der Wissenschaft „ihren Standort und ihren Begriffsapparat“ geben7:

—————————————4 Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 2), 533.5 Hans-Werner Goetz, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung,

Darmstadt 1999, 7; Hans Robert Jauß, Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Ge-sammelte Aufsätze 1956–1976. München 1977. Zum Problem vgl. zuletzt: Klaus Ridder / SteffenPatzold (Hrsg.), Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Konti-nuität. (Europa im Mittelalter, Bd. 23.) Berlin 2013; darin u. a.: Michael Borgolte, Über europä-ische und globale Geschichte des Mittelalters. Historiographie im Zeichen kognitiver Entgrenzung,47–65.

6 Joachim Heinzle, Einleitung: Modernes Mittelalter, in: Ders. (Hrsg.), Modernes Mittelalter. NeueBilder einer populären Epoche. Frankfurt am Main / Leipzig 1994, 9–29, hier 10.

7 Max Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Ders.,Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hrsg. von Johannes Winckelmann. 7. Aufl. Tübin-gen 1988, 146–214, hier 214; eine der besten Zusammenfassung der Weberschen Grundgedankenzur Wissenschaftslehre ist immer noch Detlev Peukert, „Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt

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Mittelalter für die Gegenwart 3

„Wenn wir von dem Historiker und Sozialforscher als elementare Voraussetzungverlangen, daß er Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden könne, und daß er fürdiese Unterscheidung die erforderlichen ‚Gesichtspunkte‘ habe, so heißt das lediglich,daß er verstehen müsse, (…) die Zusammenhänge herauszuheben, welche für uns be-deutsam sind. Wenn immer wieder die Meinung auftritt, jene Gesichtspunkte könntendem ‚Stoff selbst entnommen‘ werden, so entspringt das der naiven Selbsttäuschung desFachgelehrten, der nicht beachtet, daß er von vornherein kraft der Wertideen, mit denener unbewußt an den Stoff herangegangen ist, aus einer absoluten Unendlichkeit einenwinzigen Bestandteil als das herausgehoben hat, auf dessen Betrachtung es ihm alleinankommt.“8Als Problemstellung, die auf einen bestimmten Stoff gerichtet ist, verdanktdie Geschichtswissenschaft wie alle Kulturwissenschaften ihre Existenz also dem Ge-genwartsbezug. Denn nur aus den Erfahrungen der Gegenwart kann sie ihre leitendenGesichtspunkte gewinnen.Doch bestimmen nicht nur Gegenwartsinteressen die Perspektive der historischen

Forschung auf die vergangene Wirklichkeit. Die historische Forschung ermöglicht aucheine neue Perspektive auf die Gegenwart und die sie prägenden Ereignisse und Pro-zesse. Johann Gustav Droysen zufolge ist das Ergebnis historischer Forschung „nichtdie Vergangenheit, sondern ein Etwas, dessen Elemente, wie latent und eingehüllt im-mer, in unserer Gegenwart liegen. (...) Und indem wir diese gewissen Dinge in derGegenwart so forschend erschließen und aufklären, entwickeln wir latente Reichtümerunserer Gegenwart und zeigen, wie viel mehr sie enthält als nur das auf der OberflächeLiegende.“9 Um uns darüber aufklären zu können, was unsere Gegenwart jenseits desOffensichtlichen auch noch enthält, muss die historische Forschung die Fremdheit undAndersartigkeit der vergangenen Wirklichkeit herauspräparieren.Versuche, das Mittelalter und die Gegenwart miteinander in Beziehung zu setzen,

sind in der Regel genetisch. Sie haben das Ziel, die Genese der Gegenwart aus dem Mit-telalter herzuleiten. So fragt etwa Michael Mitterauer in seinem Buch „Warum Euro-pa?“ nach den „mittelalterlichen Grundlagen eines Sonderwegs“ und nimmt dabei MaxWebers Fragestellung auf: „Welche Verkettung von Umständen hat dazu geführt, daßgerade auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kulturerscheinungen auftraten,welche doch – wie wenigstens wir uns gerne vorstellen – in einer Entwicklungsrichtung

—————————————nun der Abend“. Max Webers „unzeitgemäße“ Begründung der Kulturwissenschaften, in: Ders.,Max Webers Diagnose der Moderne. Göttingen 1989, 11–26, hier 13.

8 Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (wie Anm. 7),181.

9 Johann Gustav Droysen, Historik. Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung derVorlesungen (1857). Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/1858) und in derletzten gedruckten Fassung (1882) hrsg. von Peter Leyh. Stuttgart / Bad Cannstatt 1977, 219.

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4 Benjamin Scheller

von universeller Bedeutung und Gültigkeit lagen?“10 Ebenfalls in Anknüpfung anWeber plädiert auch Otto Gerhard Oexle für eine „Verknüpfung von Mittelalter undModerne“, und zwar als die Frage „nach der mittelalterlichen Genese der modernenKultur“.11

Allerdings erscheint die Auffassung von der universellen Gültigkeit des okzidentalenModells vielen in unserer globalisierten Gegenwart weniger evident als zu Beginn desletzten Jahrhunderts.12 Und eine kritische Rezeption Max Webers führte nicht zuletztdazu, dass neben der okzidentalen auch andere, „multiple Modernen“ zusehends in denBlick gerieten.13

Michael Borgoltes Mittelalterforschungen versuchen daher nicht, den Hiatus zwi-schen unserer Gegenwart und dem Mittelalter zu überbrücken, indem sie die Herkunftersterer aus letzterem postulieren. Von solchen genetischen Narrativen grenzt Borgoltesich deutlich ab.14 Ihre Struktur weist für ihn eine zu große Nähe zum Mythos auf, derdie Gegenwart in einen diachron-kausalen Zusammenhang bringt mit Ursprungsmäch-ten.15 Allzu leicht können sie seiner Meinung nach zur Legitimierung des gegenwärtigBestehenden oder Erwünschten missbraucht werden.16

Für Borgolte führt kein direkter Weg aus dem Mittelalter in unsere Gegenwart. DasVerhältnis von Mittelalter und Gegenwart ist bei ihm nicht genetisch, sondern parabo-lisch. Mit den Worten der amerikanischen Publizistin Barbara Tuchman bezeichnet er

—————————————10 Michael Mitterauer, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs. München

2003, 9; nach Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1. 9. Aufl. Tübin-gen 1988, 1.

11 Otto Gerhard Oexle, Das entzweite Mittelalter, in: Gerd Althoff (Hrsg.), Die Deutschen und ihrMittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter. Darmstadt 1992,7–28, hier 25; vgl. zuletzt Ders., Die Gegenwart des Mittelalters. (Das Mittelalterliche Jahrtau-send, Bd. 1.) Berlin 2013.

12 Bernd Schneidmüller / Annette Seitz, „Transkulturelle Mediävistik – Ein Schlußwort“, in: Dies. /Michael Borgolte / Juliane Schiel (Hrsg.), Mittelalter im Labor. Die Mediävistik testet Wege zueiner transkulturellen Mittelalterforschung. (Europa im Mittelalter, Bd. 10.) Berlin 2008, 557–566, hier 564.

13 Shmuel N. Eisenstadt, Die Vielfalt der Moderne. Ein Blick zurück auf die ersten Überlegungen zuden „multiple modernities“, in: Themenportal Europäische Geschichte (2006), URL: http://www.europa.clio-online.de/2006/Article=113 (letzter Zugriff 6. September 2013); vgl. auch Ders., DieVielfalt der Moderne. Weilerswist 2000.

14 Vom Sacrum Imperium zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. MittelalterlicheReichsgeschichte und deutsche Wiedervereinigung, in diesem Bd., 13–30, hier 15 (zuerst 1992).

15 Europas Geschichten und Troia. Über die Zeit, als die Türken Verwandte der Lateiner undGriechen waren, in diesem Bd. 211–225, hier 217 (zuerst 2001); vgl. auch Mythos Völkerwande-rung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“, in diesem Bd., 445–473, hier 445(zuerst 2010).

16 Vor dem Ende der Nationalgeschichten? Chancen und Hindernisse für eine Geschichte Europasim Mittelalter, in diesem Bd., 31–59, hier 33 (zuerst 2001).

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das Mittelalter als „fernen Spiegel unserer eigenen Wirklichkeiten“.17 Im Medium derGeschichte des Mittelalters möchte Borgolte unsere Gegenwartserfahrungen im Wort-sinne reflektieren. Dabei muss das Mittelalter in Beziehung zu uns gesetzt und gleich-zeitig in seiner Andersartigkeit beschrieben und analysiert werden. Denn andernfallskönnte der ferne Spiegel kein neues Licht auf unsere eigenen Wirklichkeiten werfen.Doch welches sind die „großen Kulturprobleme“ der Gegenwart, die den Forschun-

gen Michael Borgoltes, für dieser Band steht, ihren Standort gaben und geben und zuderen Analyse sie gleichzeitig beitragen sollen? An erster Stelle ist hier ohne Zweifeldas gegenwärtige Europa zwischen Integration und Desintegration zu nennen. Ange-sichts der immer wieder aufflammenden Diskussion über etwaige kulturelle GrundlagenEuropas betont Borgolte, dass Europa in seiner Geschichte weder klare Grenzen hatte,noch kulturell ausschließlich christlich geprägt war: „Die Frage nach den GrenzenEuropas hat schon Herodot nicht beantwortet, weil ihm der Westen unbekannt war, undmindestens seit dem Mittelalter gilt das Gleiche für den Osten. Zweifellos könnten nurdie Politiker, nicht aber die Historiker, über Europas Grenzen entscheiden, doch würdensie dabei mit der Geschichte Europas selbst brechen müssen. Das Schlüsselproblem istbekanntlich, ob Russland und die Türkei, die Staaten und die Völker, zu Europa gehö-ren sollen oder nicht. Wird die Frage bejaht, und zwar nur in einem der beiden Fälle,dann würden die Grenzen unseres Kontinents bis zum Stillen Ozean oder zum BergArarat, also weit nach Asien hinein, vorgeschoben, so dass die Rede von Europa sinnloswürde; wird sie aber verneint, verlöre Europa einen Teil seiner Geschichte. Denn nichterst seit Peter dem Großen, sondern seit der Konversion der Rus’ zum orthodoxenChristentum gehört Russland Europa an, während die muslimischen Türken als Erbenvon Byzanz schon seit dem 14. Jahrhundert auf europäischem Boden heimisch gewor-den sind.“18

An die Stelle des christlichen Abendlandes tritt bei Borgolte ein mittelalterliches Eu-ropa einer „monotheistischen Trias“, und damit ein Europa, dessen Bild offenkundigdurch Gegenwartserfahrungen geprägt ist, gleichzeitig jedoch ein ganz anderes ist alsdas der Gegenwart: „Christen, Muslime und Juden prägten die Geschichte Europas imMittelalter; seitdem sich die Angehörigen dieser drei Religionen in Europa zur Geltungbringen konnten, hat sich die Geschichte des Kontinents von seiner antiken Vorge-schichte signifikant geschieden. Die Welt der Antike war eine Welt des Polytheismus,das Mittelalter wurde die Epoche des Monotheismus, ausgeprägt in drei Religionen,unter denen das Christentum eindeutig dominierte. Keiner dieser Formen der Gottesver-ehrung war die von allen angestrebte, je besondere Einheit beschieden, aber im europä-ischen Christentum war die Trennung in eine lateinische, auf Rom ausgerichtete Kircheim Westen und die Orthodoxie im Osten mit dem Kaiser von Konstantinopel an der—————————————17 Christliche und muslimische Repräsentationen der Welt. Ein Versuch in transdisziplinärer Mediä-

vistik, in diesem Bd., 283–335, hier 284 (zuerst 2008); Barbara Tuchman, Der ferne Spiegel. Dasdramatische 14. Jahrhundert. Düsseldorf 1980.

18 Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 2), 535.

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Spitze am folgenreichsten. Unter dem Aspekt der Religionen betrachtet, lässt sichEuropa im Mittelalter nicht nur vom Altertum, sondern auch von der Moderne deutlichtrennen: Denn dem monotheistischen Europa des Mittelalters steht eine neuere und vorallem gegenwärtige Lebenswelt gegenüber, in der Religion überhaupt, ganz sicher aberder dogmatisierte Eingottglaube an Verbindlichkeit für die Gestaltung des Lebens starkeingebüßt hat.“19

Die These vom monotheistischen Mittelalter stellt allerdings keine Revision, sonderneine Relativierung der Auffassung von einem christlich geprägten Europa des Mittel-alters dar: „Die immer noch bestehende, wenn auch nicht ungestörte Einheit der Kirchewar für die Entstehung Europas von unschätzbarem Gewicht. Man muss sich, um ihrenhistorischen Rang zu erfassen, nur einmal vorstellen, was es zu bedeuten gehabt hätte,wenn alle Germanen nach dem Beispiel der Goten den Arianismus angenommen undgegen das nizänische Glaubensbekenntnis Roms und Konstantinopels behauptet hätten.Kontrafaktische Spekulationen sind ja nicht unnütz, wenn sie helfen, der tatsächlichenGeschichte Profil zu verleihen. Arianische Kirchen, die sich von Goten, Vandalen, Bur-gundern und Langobarden ausgehend auch bei Franken, Angelsachsen und später beiden Deutschen durchgesetzt hätten, wären gewiss Landeskirchen geblieben, wohl nurmit schwachen Bindungen untereinander und vor allem ohne Zusammenhang mit demOrbis Romanus. Die Synthese zwischen den Resten der antiken Mittelmeerwelt unddem nördlichen Europa wäre unter diesen Umständen unmöglich gewesen, das mit-telalterliche Europa hätte zumindest seinerzeit gar nicht entstehen können.“20 Auf einerZeittafel zur europäischen Geschichte des Mittelalters, die Borgolte versuchsweise ent-warf, stammen denn auch die allermeisten Ereignisse aus Lateineuropa, und zwar auf-grund „der durch den Vergleich erkennbaren größeren Reichweite bei der Wirkung derbetreffenden Ereignisse“.21

Michael Borgolte hat die These von der monotheistischen Trias in zwei großen Mo-nographien entfaltet.22 Außerdem spielte sie eine tragende Rolle für die Konzeption desSchwerpunktprogramms „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischenMittelalter“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 2005 bis 2011.23 Viele derAufsätze in diesem Band sind in der einen oder anderen Weise auf diese großen Pro-—————————————19 Die Anfänge des mittelalterlichen Europa, oder Europas Anfänge im Mittelalter?, in diesem Bd.,

227–241, hier 232f. (zuerst 2007).20 „Europa ein christliches Land“. Religion als Weltstifterin im Mittelalter?, in diesem Bd., 135–

155, hier 149 (zuerst 2000).21 Zwischen Erfindung und Kanon. Zur Konstruktion der Fakten im europäischen Hochmittelalter,

in diesem Bd., 79–112, hier 97 (zuerst 2004).22 Europa entdeckt seine Vielfalt 1050-1250. (Handbuch der Geschichte Europas, Bd. 3.) Stuttgart

2002; Christen, Juden, Muselmanen. Das Erbe der Antike und der Aufstieg des Abendlandes, 300bis 1400 n. Chr. (Siedler Geschichte Europas.) München 2006.

23 Vgl. Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg / Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Inte-gration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter. (Europa im Mittelalter, Bd.18.) Berlin 2011.

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jekte Borgoltes bezogen, entweder als programmatische Aufsätze, die sie vorbereiten24,oder aber als flankierende Studien, in denen das Grundkonzept der großen Projekte anspezifischen Phänomen abermals erläutert wird.25

Das Ergebnis von Borgoltes Beschäftigung mit der Geschichte der drei großen mo-notheistischen Religionen im Europa des Mittelalters ist nicht zuletzt eine Relativierungvon Jan Assmanns kontrovers aufgenommenen Thesen über die Rolle des Monotheis-mus in der Geschichte von Intoleranz und Gewalt:26 „Assmann hat den Monotheismusals eine Wende bezeichnet, die ‚entscheidender als alle politischen Veränderungen derWelt‘ gewesen sei. Dabei sei es nicht auf die Unterscheidung zwischen dem einen Gottund den vielen Göttern angekommen, sondern auf ‚die Unterscheidung zwischen wahrund falsch in der Religion, zwischen dem wahren Gott und den falschen Göttern, derwahren Lehre und den Irrlehren, zwischen Wissen und Unwissenheit, Glaube und Un-glaube‘. Die monotheistische Wende mit ihrer ‚mosaischen Unterscheidung‘ von ‚wahrund falsch‘ habe fatalerweise Juden, Christen, Muslime und Heiden, Rechtgläubige undHäretiker gegeneinander in Stellung gebracht und ‚sich in einem Unmaß von Gewaltund Blutvergießen manifestiert‘. Die monotheistischen Religionen müssten intolerantsein, während die heidnischen – oder polytheistischen – Religionen Ketzerei und Häre-sien nicht gekannt hätten.“27

Dem hält Borgolte entgegen: „Ohne Zweifel lassen sich für [Assmanns] Auffassungaus der Geschichte des Mittelalters dichte Belege beibringen. Genannt seien nur dieJudenmassaker, -pogrome und -verfolgungen im byzantinischen Frühmittelalter, untermuslimischer Herrschaft in Andalusien, im lateinischen Christentum während derKreuzzüge und in der Zeit der Schwarzen Pest. Trotz dieses unbestreitbaren Befundesmuss aber auch betont werden, dass Christen, Juden und Muslime lange Zeiten hin-durch neben- und miteinander lebten. Man muss auch klar zwischen dem Verhältnis derMonotheisten untereinander und zu den anderen Religionen unterscheiden. Denn essteht fest, dass Juden, Christen und Muslime die Polytheisten kompromisslos bekämpftund zuletzt – jedenfalls als anerkannte Religion – in ihrer Herrschaftszone auch ausge-rottet haben, dass sie sich untereinander aber auch mit rechtlichen und religiösen Sank-tionen schützten.“28 Zwischen den Angehörigen der monotheistischen Religionenbestand im Mittelalter zudem eine erkennbare „Affinität“. Dort wo etwa Christen undMuslime mit Polyteisten und Dualisten konfrontiert waren, konnten sie sich wechsel-

—————————————24 Vor allem: Vor dem Ende der Nationalgeschichten? (wie Anm. 16).25 Kulturelle Einheit und religiöse Differenz. Zur Verbreitung der Polygynie im mittelalterlichen

Europa, in diesem Bd., 157–191 (zuerst 2004).26 Jan Assmann, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur. München / Wien 1998;

Ders., Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus. München / Wien 2003.27 Die Geburt Europas aus dem Geist der Achsenzeit, in diesem Bd., 243–257, hier 244f. (zuerst

2007).28 Juden, Christen und Muslime im Mittelalter, in diesem Bd., 401–424, hier 405 (zuerst 2011).

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seitig als Monotheisten erkennen und grenzten sich in ihrer „transreligiöse[n] Gemein-samkeit der Eingottgläubigen“ von diesen ab.29

Künftige Forschungen zu den Beziehungen zwischen den monotheistischen Religio-nen im Mittelalter werden vielleicht zeigen, dass die Frage, wie intolerant bzw. tolerantmonotheistische Religionen waren, sich weniger an der Frage des Umgangs mit denjeweils Andersgläubigen zeigte, als beim Umgang mit denjenigen, deren religiöseZugehörigkeit und Identität mehrdeutig war, kurz: an der Frage der Hybriditäts- bzw.Ambiguitätstoleranz des Monotheismus.30

Die Bedeutung der Monotheismus-These für die Mittelalterforschungen MichaelBorgoltes wird auch daran deutlich, dass sie gleichsam die Brücke bildet zu den Arbei-ten zu Globalgeschichte des Mittelalters und damit zu jenen Forschungen, deren Ge-genwartsbezug in einem zweiten großen Thema unserer Zeit liegt: der Erfahrung derGlobalisierung.Der Ansatz eines monotheistischen Mittelalters führt „über Europa hinaus. Denn

während sich die drei Religionen auf unserem Kontinent im Mittelalter allgemeindurchsetzten, verbreiteten sie sich nach ihren Ursprüngen im östlichen Mittelmeerraumzugleich über die beiden anderen Erdteile. Nur das römische Christentum war seit derVölkerwanderung so gut wie exklusiv europäisch, während schon die griechischeOrthodoxie weit nach Asien und sogar nach Afrika hineinreichte. Im Unterschied zuEuropa dominierte im Vorderen Orient der Islam. Vom Atlantik bis zum Indus kannman geradezu von einer monotheistischen Weltzone sprechen, die stets von einem Mit-und Nebeneinander verschiedener Eingottreligionen gekennzeichnet war. Es fragt sich,ob die künftige Mediävistik mit der Formel vom ‚monotheistischen Mittelalter‘ nichteinen Ansatz gewinnen könnte, ihre Epoche über Europa hinaus in der viel beredetenGlobalgeschichte zu verankern.“31

Globalgeschichte konzipiert Borgolte in Anknüpfung an Jeremy Bentley, der darun-ter die Analyse von Prozessen versteht, die die Grenzlinien von Gesellschaften undkulturellen Regionen überschreiten.32 Als wichtigste Dimensionen solcher cross-cultural interaction bzw. transkulturellen Verflechtung hat Bentley dabei Migrations-bewegungen, imperiale Expansionen und Handelsbeziehungen profiliert. Globalge-

—————————————29 Juden, Christen und Muslime im Mittelalter (wie Anm. 28), 402.30 Vgl. Benjamin Scheller, Migrationen und kulturelle Hybridisierungen im normannischen und

staufischen Königreich Sizilien (12.–13. Jahrhundert), in: Michael Borgolte / Matthias M. Tisch-ler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien,Afrika. Darmstadt, 167–186.

31 Christliche und muslimische Repräsentationen der Welt (wie Anm. 17), 284f.32 Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Europa. Ein neuer Pflug für

alte Forschungsfelder, in diesem Bd., 425–444, hier 427 (zuerst 2009); Jerry H. Bentley, Cross-Cultural Interaction and Periodization in World History, in: American Historical Review 101,1996, 749–770, hier 749.

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Mittelalter für die Gegenwart 9

schichte des Mittelalters untersucht diese Formen der transkulturellen Verflechtung imRahmen der damals bekannten Oikumene: Europa, Afrika und Asien.33

Wie bei der Geschichte Europas nimmt also auch bei der Globalgeschichte des Mit-telalters das Konzept der Transkulturalität eine zentrale Position ein, allerdings nichtmehr in komparatistischer, sondern in beziehungsgeschichtlicher Absicht.34

Mit dieser Verschiebung der Perspektive wandelt sich auch der Blick auf die Kultu-ren des Mittelalters. Während die vergleichende Perspektive sie zwar nicht als gegebene„Essenzen“, zumindest aber als idealtypische Konstrukte voraussetzt und sogar voraus-setzen muss, lenkt die beziehungsgeschichtliche den Blick auf die Transformation vonKulturen im Prozess des transkulturellen Austauschs: „In transkultureller Perspektivegibt es keine reinen, sondern (…) nur ‚hybride‘ Kulturen, in denen sich Elemente ver-schiedener Herkunft vermischt und gegebenenfalls etwas ganz Neues ergeben haben.“35

Vor allem an Migrationsprozessen und Fernreisen, weniger an der Betrachtung desFernhandels36, hat Borgolte das heuristische Potential dieses Ansatzes in einer Reihevon Studien erprobt und ist dabei zu grundsätzlichen Neubewertungen gekommen. Sokonnte er mit Hilfe der Differenzierung von Migration und Expansion zeigen, dass dieMigrationsprozesse der ‚germanischen‘ gentes der Vandalen, Burgundern, Goten undLangobarden für die politische Landschaft des frühmittelalterlichen Europa eine gerin-gere Rolle spielten als kulturell plurale Prozesse der Expansion: „Wer Migrationen undExpansionen je für sich oder auch im Wechselspiel betrachtet ernst nimmt, kann nichtverkennen, dass sich in Europa von Anfang an verschiedene Kulturen gebildet haben,neben der lateinisch-christlichen mindestens auch die byzantinische und die muslimi-sche. An den ‚Ursprüngen Europas‘ hatten jedenfalls nicht nur, nicht einmal in ersterLinie, die migrierenden, sondern vor allem die expandierenden Völker und Staatenentscheidenden Anteil. Für die begrenzte Bedeutung der Migrationen spricht auch, dasseines der wichtigsten Kulturvölker des werdenden Europas, die Iren, nicht gewandertwaren, während die Slawen ihre ungeheuer große räumliche Verbreitung im Osten wohleher durch Expansion als durch Migration erreichten.“37

Vor allem aber machen diese Studien deutlich, dass eine transkulturelle Mittelalter-forschung, anders als die Theoretiker der Transkulturalität, nicht bei dem Postulat steh-en bleiben kann, dass es nur hybride Kulturen gegeben habe und gebe, sondern zeigen—————————————33 Kommunikation: Handel, Kunst und Wissenstausch, in diesem Band, 493–532, hier 494 (zuerst

2010).34 Vgl. aber: Vor dem Ende der Nationalgeschichten? (wie Anm. 16), 54: „Es handelte sich [bei der

transnational zu konzipierenden europäischen Mediävistik] um eine übergreifende Disziplin, diedurch Beziehungsanalysen und Vergleiche die Befunde der Einzelwissenschaften zusammenführtund diese aus eben der Zusammenschau mit neuen Fragen aus verwandten Bereichen wieder zustimulieren vermag.“

35 Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Europa (wie Anm. 32), 431.36 Vgl. aber: Kommunikation: Handel, Kunst und Wissenstausch (wie Anm. 33).37 Mythos Völkerwanderung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“ (wie Anm.

15), hier 472.

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10 Benjamin Scheller

muss, zu welchen Prozessen der Hybridisierung es in den untersuchten Kulturen imMittelalter durch transkulturelle Verflechtung kam und welche konkreten, sozialen undpolitischen Umstände solchen Hybridisierungen auch entgegenstanden.38 Andernfallsbliebe sie bei der reinen Bestätigung ihrer Prämissen stehen.Gegenwartsbezogene Geschichtsforschung, die die großen Themen ihrer Zeit im Me-

dium der Geschichte reflektiert, ist nicht frei von Risiken. Denn die großen Fragen derGegenwart können morgen schon von anderen „Kulturproblemen“ verdrängt werden.Gegenwartsbezogene Geschichtswissenschaft ist daher immer auch ein Wechsel auf dieZukunft.Zwar ist es Schicksal jedweder Forschung überholt zu werden. Wer verantwortungs-

bewusst mit ihren humanen und finanziellen Ressourcen umgehen will, wird jedochimmer versuchen müssen abzuschätzen, ob die Kulturprobleme von heute uns auchmorgen noch angehen werden. Es spricht alles dafür, dass dies für jene Fragen, die diehier versammelten Aufsätze Michael Borgoltes inspiriert haben, zutrifft.

—————————————38 Eine langobardische „Wanderlawine“ vom Jahr 568? Zur Kritik historiographischer Zeugnisse

der Migrationsperiode, in diesem Bd., 475–492, hier 491 (zuerst 2013).

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