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Kirche Arbeitsrecht und Zeitschrift für Mitarbeitervertretungen 2012 1 ISSN 1614 -1903 aus dem Inhalt Kirche Arbeitsrecht und Schweigepflicht am Frauentag – Rosige Zeiten für schwarze Schafe? Die Friedhofsschicht – Verdrängt Wechselschicht die Dauernachtwachen? 2 2 4 7 9 Urlaub nach langer Krankheit – verfällt er oder verfällt er nicht? Arbeitslosengeld – Wer bekommt es wann und wie viel? K A u Foto: Dieter Schütz, pixelio

Arbeitsrecht und Kirche - BAUMANN-CZICHON...2012 Kirche Arbeitsrecht und Zeitschrift für Mitarbeitervertretungen 12012 ISSN 161 4-1903 aus dem InhaltK i r c h e A r b e i t s r e

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2012

KircheArbeitsrecht und

Z e i t s c h r i f t f ü r

M i t a r b e i t e r v e r t r e t u n g e n

2 0 1 21

ISSN 1614-1903

aus dem Inhalt

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Schweigepflicht am Frauentag –

Rosige Zeiten für schwarze Schafe?

Die Friedhofsschicht –

Verdrängt Wechselschicht die Dauernachtwachen?

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Urlaub nach langer Krankheit –

verfällt er oder verfällt er nicht?

Arbeitslosengeld – Wer bekommt es wann und wie viel?

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2 AuK 2012

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der MAV von der Dienststelle

zur Verfügung gestellt wird.

Die MAV beschließt und über-

gibt die ausgefüllte Bestellung

dem Arbeitgeber mit der

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Verlag Kellner in Bremen.

An den

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St.-Pauli-Deich 3

28199 Bremen

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Zur Kenntnis genommen:Arbeitgeber:

Das Dankeschön

KircheArbeitsrecht und

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Liebe Leserin, lieber Leser,

auch wenn die Kirche ihren ›Dritten Weg‹ verteidigt, als ob er zu den

ehernen Fundamenten des Glaubens zählt, dürfen wir in Erinnerung

rufen, dass er in der evangelischen Kirche erst 1976 Einzug gefunden

hat. Bis dahin legten kirchliche Arbeitgeber die Gehälter einseitig

fest, meist durch Bezugnahme auf das Tarifrecht des öffentlichen

Dienstes. Indem die Kirche die Lohnfindung zu ihrer eigenen Sache

machte, initiierte sie zugleich eine Politisierung der Arbeit der Mitar-

beitervertretungen. Denn es wurde deutlich, dass kirchliche Arbeit-

nehmerinnen und Arbeitnehmer eigene Interessen, vor allem andere

als die kirchlichen Arbeitgeber, hatten und haben. Und ab Mitte

der 1980er-Jahre wurden landauf, landab Mitarbeitervertretungen

aktiv und nahmen die Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüsse

ihren Schulungsauftrag verstärkt wahr. Das war die Zeit, die die

›Großen‹ der (bundesweiten) MAV-Arbeit hervorgebracht hat. Und

I m p r e s s u m

Inhalt

Editorial

Schweigepflicht am Frauentag – Rosige Zeiten für schwarze Schafe?

Die Friedhofsschicht – Verdrängt Wechselschicht die Dauernachtwachen?

Urlaub nach langer Krankheit – verfällt er oder verfällt er nicht?

Arbeitslosengeld – Wer bekommt es wann und wie viel?

Das eine, was man kann – das andere, was man soll

Neue Seminare für Mitarbeiterinnen und Mitarbeitervertreter

Rezension: Im Spannungsfeld von Grundrechten und Kirchenautonomie

Aktuelle Meldungen

Hat der Dritte Weg noch eine Zukunft? –25 Thesen

Rechtsprechung

Seminartermine April bis Juli

KAu

Editorial

Arbeitsrecht und KircheZeitschrift für Mitarbeitervertretungen

Redaktion: Bernhard Baumann-Czichon (verantwortlich)Judith Ruthke-Mose(Redaktionsassistenz)Otto ClausMichael DembskiDr. Herbert DeppischMira GathmannProf. Dr. Ulrich HammerMichael HeinrichKlaus Kellner – KK Annette KlausingBarbara KoppRenate Richter

Redaktionsanschrift:Am Hulsberg 8 28205 BremenTelefon: 0421-43933-53Telefax: 0421-439 3333eMail: [email protected]

Verlagsanschrift undAnzeigenverwaltung:SachBuchVerlag Kellner,St.-Pauli-Deich 3 28199 BremenTelefon: 0421-778 66Telefax: 0421-704058eMail: [email protected]

Grafische Gestaltung:Designbüro Möhlenkamp, BremenMarlis Schuldt,Jörg Möhlenkamp

Bezugspreis:Einzelheft Euro 12,90Abonnement: pro Jahr Euro 50,– (4 Ausgaben)Kündigungsmöglichkeit:4 Wochen vor Jahresende.

Nachdruck nur mit Erlaub-nis des Verlags. Die Ver-wendung für Zwecke ein-zelner Mitarbeitervertretun-gen oder deren Zusam-menschlüsse (z. B. fürSchulungen) ist bei Quellenangabe gestattet.Bitte Belegexemplare an den Verlag senden.

Für unverlangt ein-gesandte Manuskripte kann keine Gewähr übernommen werden.

weil das jetzt 25 und mehr Jahre her ist, steht ein

Generationenwechsel an. Die ›alten Recken‹ werden

einer nach dem anderen in den Ruhestand verabschie-

det. Stellvertretend für die vielen, die durch ihre

engagierte und oft mutige Arbeit die Interessen der

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und damit

auch der Kirche – befördert haben, möchten wir an

dieser Stelle Manfred Freyermuth danken. Er ist Ende

März in Freistellungsphase der Altersteilzeit gegangen.

Als Vorsitzender der Mitarbeitervertretung, der

Arbeitsgemeinschaft in Hannover bzw. Niedersachsen

und seit einiger Zeit auch als Mitglied des ver.di-

Gewerkschaftsrates hat er ruhig und beharrlich, aber

immer unüberhörbar und eindringlich Arbeitnehme-

rinteressen verfolgt. Und da es ihm immer um die

Menschen ging und geht, hat er sich stets auch einzel-

ner Kolleginnen und Kollegen angenommen. Wenn

es einen ›Bambi‹ für das Lebenswerk eines Mitarbei-

tervertreters gäbe, wir würden ihn dafür vorschlagen.

Trotz Vorruhestand bleibt er unruhig und uns erhalten

als Berater von ver.di in Kirchenfragen. Das ist gut so.

Herzliche Grüße

Bernhard Baumann-Czichon

C h e f r e d a k t e u r

Bernhard Baumann-Czichon

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Manfred Freyermuth

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2 AuK 2012

Am 8. März 2012 – dem diesjährigen internationalenFrauentag – musste die Schiedsstelle des Diakoni-schen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Ober-lausitz e. V. hierzu eine Frage in rechtlicher Hinsichtbeurteilen, die vor allem auch von politischer Brisanzgeprägt war.

Die Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretun-gen im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schle-sische Oberlausitz e. V. (AGMAV) hatte im Novem-ber letzten Jahres im Internet eine Liste veröffentlicht,auf der Einrichtungen aufgeführt wurden, die Mit-glied im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO) sind und nach Mei-nung der AGMAV die AVR DWBO in Gänze oderteilweise nicht anwenden. Hierzu sah sie sich veran-lasst, da interne schriftliche oder mündliche Gesuchean die Aufsichtsgremien des DWBO, strenger auf dieEinhaltung des ›Dritten Weges‹ zu achten, ungehörtgeblieben waren. Ziel der Veröffentlichung war es,den Druck auf das DWBO zu erhöhen und dort einTätigwerden zu erreichen.

Stattdessen wurde aber jemand anderes tätig. DerGeschäftsführer der Diakonie-Sozialstation Südstern,Karl-Martin Seeberg, hatte gegen die AGMAV einVerfahren eingeleitet – mit dem Ziel, seine Einrich-tung von der Liste zu entfernen. Zusätzlich wollte erin einem weiteren Verfahren gegen seine eigene Mit-arbeitervertretung feststellen lassen, dass diese nichtgegenüber der AGMAV behaupten dürfe, die Diako-nie-Sozialstation Südstern wende die AVR nicht an.

In der Verhandlung am 9. Februar 2012 stellte sichzunächst heraus, dass der Beisitzer auf Arbeitgeber-seite selbst Geschäftsführer einer auf der streitgegen-ständlichen Liste genannten Einrichtung ist. Die Ver-fahren wurden daher wegen eines Befangenheitsan-trags seitens der AGMAV und der MAV Diakonie-Sozialstation Südstern unterbrochen.

Am 8. März wurde das Verfahren – nunmehr inneuer Zusammensetzung der Schiedsstelle – fortge-führt.

Doch nicht nur das Verfahren stand an diesem Tagauf dem Programm, sondern auch eine gemeinsameAktion der AGMAV und des ver.di-LandesbezirkesBerlin-Brandenburg, die vor Beginn der Verhandlungund vor den Türen des DWBO stattfand. Eingefun-den hatten sich annähernd 30 Personen, die die Akti-on verfolgten und unterstützten – alle erschienenenFrauen wurden anlässlich des Frauentages von Ver-tretern der AGMAV mit Rosen empfangen.

Die Aktion von ver.di und der AGMAV zeugtevon ungebrochenem Engagement und einer gutenPrise Humor. Es wurde dem DWBO ein schwarzesSchaf als Schmähpreis verliehen. Ein Schmähpreisdafür, dass das DWBO, anders als in anderen Bun-desländern wie etwa Niedersachsen, keine Konse-quenzen aus der Tatsache ziehe, dass einige Einrich-tungen gegen kirchenrechtliche Grundsätze ver-stießen. Ein Schmähpreis dafür, dass diese fehlendenKonsequenzen wohl von dem einfachen Umstandherrühren, dass man nicht durch Ausschlüsse ausdem DWBO Mitgliedsbeiträge verlieren wolle. EinSchmähpreis dafür, dass die Entscheidungsträger imDWBO keine Anstalten machten, diese Verhältnisseggf. auch ohne Ausschluss der betreffenden Einrich-tungen zu ändern. Ein Schmähpreis für Untätigkeit,wo eine Auseinandersetzung mit den Betroffenennötig wäre.

Der Preis wurde nicht entgegengenommen, aller-dings zeigte auch der DWBO-Vorstand Sinn für Sym-bolik, indem er im Vorfeld ver.di schriftlich mitgeteilthatte, dass ›schwarze Schafe‹ und deren Übergabe imDWBO nicht erwünscht seien. Nur für ›weiße‹ und›diakoniefarbene Schafe‹ sei dort Platz. Entsprechendwar bereits kurz nach Beendigung der Aktion dasschwarze Schaf verschwunden, es fanden sich aller-dings viele blaue Diakonieschafe im DWBO.

Folgte man diesen Diakonieschafen, fand mansich im Flur vor dem Verhandlungsraum wieder.Dort mussten die Parteien und die erschieneneÖffentlichkeit zunächst warten, um bei Aufruf derSache festzustellen, dass im Verhandlungsraumweder ausreichend Platz für die Parteien selbst nochfür die erschienene Öffentlichkeit war. Für die

SCHWEIGEPFL ICHT AM FRAUENTAG

Schweigepflicht

am Frauentag Rosige Zeiten für schwarze Schafe?

Dass in kirchlichen Einrichtungen der ›Dritte Weg‹ teilweise

nicht mehr beschritten wird, ist schon lange kein Geheimnis

mehr. Wie man aber auf diese ›schwarzen Schafe‹ reagiert,

darüber besteht Uneinigkeit – genauso wie darüber, wer in

welcher Form auf diese Verstöße reagieren darf.

V o n N o r a W ö l f l

D i e A u t o r i n

Nora Wölfl,

Rechtsanwältin,

Bremen

[email protected]

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Öffentlichkeit – auch hier zeigten sich nahezu 30 Per-sonen interessiert – waren zwei Stühle vorgesehen.Und dies trotz Vorankündigung des großen Interes-ses. Doch die vorsitzende Richterin zeigte sich flexi-bel und es konnte ein Konsens gefunden werden, dieVerhandlung in einem größeren Raum durchzu-führen.

Die Vorsitzende machte in dieser deutlich, dassdie Schiedsstelle in der Veröffentlichung der›Abweichler-Liste‹ einen Verstoß gegen die in § 22MVG normierte Schweigepflicht sehe. Bei den Ver-gütungsregelungen – um die es im konkreten Falleging – handele es sich nicht um offenkundige Tatsa-chen, die von dieser Schweigepflicht ausgeschlossenseien. Hierbei machte die Vorsitzende wiederholtdeutlich, dass allein die Bewertung in rechtlicherHinsicht maßgeblich sei und dass die Schiedsstellenicht in politischer Hinsicht entscheiden könne.

Die AGMAV nahm durch die sie vertretendeAnwältin aber auch in rechtlicher Hinsicht eineandere Bewertung vor. Die einzelnen Arbeitnehmertreffe keine Verpflichtung, über ihre Vergütung zuschweigen. Dementsprechend sei auch in der Öffent-lichkeit weithin bekannt, dass Vergütungen dergenannten Einrichtungen nicht den AVR DWBO ent-sprächen. Insbesondere seien schon verschiedentlichauf Veranstaltungen von ver.di oder auch in der Pres-se Informationen zur Vergütungspraxis der Einrich-tungen veröffentlicht worden, insofern sei davonauszugehen, dass es sich hier um offenkundige Tat-sachen handele. Und selbst wenn man hierin keineoffenkundige Tatsache sehen wollte, so die Vertrete-rin der AGMAV weiter, sei es doch mehr als nur frag-würdig, ob derjenige, der gegen kirchliches Rechtverstößt, aus kirchlichem Recht für sich in Anspruchnehmen dürfe, dass über diese Verstöße Stillschwei-gen gewahrt wird. Es müsse einer Mitarbeitervertre-tung und ebenso der AGMAV gewährt werden, imRahmen ihres gesetzlichen Auftrags, das Verständnisfür den kirchlichen Auftrag zu fördern, eben solcheAbweichungen zu veröffentlichen.

Der Geschäftsführer derDiakonie-SozialstationSüdstern, Karl-MartinSeeberg, selbst sah inerster Linie nicht dieVeröffentlichung derListe an sich als proble-matisch und unzulässigan, sondern vielmehr,dass seine Einrichtungauf dieser Liste sei,obwohl diese nicht vom›Dritten Weg‹ abweiche.Denn, so der Geschäfts-führer Karl-Martin Seeberg, er habe gar nichts gegeneine Veröffentlichung, er habe nur etwas gegen dieVeröffentlichung falscher Tatsachen.

Das Verfahren endete mit einem Vergleich, in demsich die Parteien unter Wahrung der jeweiligenRechtspositionen einigten, dass die AGMAV die Dia-konie-Sozialstation Südstern aus der im Internet ver-öffentlichten Liste entfernt. Der Geschäftsführernahm daraufhin seinen Antrag gegen AGMAV unddie eigene MAV zurück.

Ob aufgrund dieses Verfahrens noch weitere Ver-fahren anderer Einrichtungen folgen, bleibt abzu-warten. Der Dienstgeberverband im Bereich der Dia-konie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitzhat bereits eine Mitteilung veröffentlicht, die auf denGang des Verfahrens und die Möglichkeit eines sol-chen Vorgehens hinweist.

Auch wenn am 8. März in rechtlicher Hinsichtkeine Entscheidung gefällt wurde – klar ist, dass dieAGMAV ihr erklärtes Ziel – trotz oder gerade wegendieses Verfahrens – in politischer Hinsicht erreichthat. Es findet eine Auseinandersetzung in der Öffent-lichkeit statt, die den Druck auf das DWBO, hin-sichtlich der ›Abweichler‹ tätig zu werden, erhöht.Nun bleibt am Ende nur die Frage offen, wie dasDWBO mit diesen ›Abweichlern‹ umgehen wird.Bleibt es bei den rosigen Zeiten für schwarze Schafe?

SCHWEIGEPFL ICHT AM FRAUENTAG

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KircheArbeitsrecht und

32012

Zwischen Aktion und Verhandlung: Parteien und Öffentlichkeit in Wartestellung –wie geht es mit der Diakonie weiter?

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4 AuK 2012

DIE FRIEDHOFSSCHICHT

Nachtarbeit kann gesellschaftlich sinnvoll sein, sogarnotwendig. Schwestern in Heimen, Wohngruppen undKrankenhäusern wachen, lagern und beruhigen, weilnicht alle ruhig schlafen. Nachtarbeit hilft dann,gesund zu werden oder zu bleiben.

Nachtarbeit kostet aber auch die Gesundheit derer,die sie leisten. Wer nachts arbeiten muss, schläftschlechter und stirbt – statistisch – wohl früher. Dieeuropäischen Parlamentarier warnten zum Auftaktihrer Richtlinie eindringlich vor den Flexibilisierungen,für die sie im Folgenden die Wege bahnten:

Untersuchungen zeigen, dass der menschlicheOrganismus während der Nacht besonders emp-findlich auf Umweltstörungen und auf bestimmtebelastende Formen der Arbeitsorganisation rea-giert und dass lange Nachtarbeitszeiträume fürdie Gesundheit der Arbeitnehmer nachteilig sindund ihre Sicherheit bei der Arbeit beeinträchtigen können.(Punkt 7 der Einleitung zur EU-Richtlinie überbestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung –2003/88/EG)

Was ›nachteilig‹ für Beschäftigte ist, kann für ihreArbeitgeber ein Vorteil sein. Wer anderen die Nachtzum Arbeitstag macht, schläft selbst oft durchausweich und gut. Der Staat verbietet darum jede Arbeitzwischen 20 und 6 Uhr – jedoch nur für Frauen imMutterschutz und für Jugendliche, bis diese 18 Jahrewerden.

Nachtarbeit ist nicht gesund – damit endet dieEinigkeit. Strittig ist bereits, wie stark die Nachtarbeitüber Jahre die Gesundheit zerstört. Viel spricht dafür,dass auch ›gute Arbeit‹ am Tage über die Jahre ihreBelastungsspuren bei den Beschäftigten hinterlässt.

Um wie viel stärker schädigt Nachtarbeit? Wie hängen Ursache und Wirkung zusammen? Ist es dasfehlende Licht, ist es das Hormon Melatonin oderwerden wir durch den gesellschaftlichen Alltag getak-tet? Und wovon hängt diese Wirkung noch ab? Wasverstellt die ›innere Uhr‹, und wie? Können sich dieBeschäftigten davon erholen? Forscher und Arbeits-mediziner streiten.

Der Streit in den Betrieben spitzt sich derweil ganzanders zu. Denn die Krankenhäuser wurden vom Jahr2003 an durch die stockblinden Hände des Marktesgesteuert. Die behandelten ›Fälle‹ wurden dazu erststandardisiert, um sie dann einheitlich auszupreisen.Mit dem Markt schwappen nun unentwegt Rationa-lisierungswellen über die Arbeitsplätze herein.

Wurde damals noch jede Zehnte in der Pflege als›Dauernachtwache‹ beschäftigt, ist es heute kaumnoch jede Dreißigste. Die Nachtschichten müssen nun diejenigen mit abdecken, die zwischen Früh-, Spät- und Nachtschichten wechseln. Diemonatliche Belastung mit Nachtarbeit steigt für dieseWechselschichtarbeiter/innen dabei deutlich an.Zugleich klagen sie über eine Verdichtung der Arbeit.2

Die Manager haben ihre Vorteile bei Drei-Schicht-Modellen schnell erkannt. Sie können dieBeschäftigten flexibler einsetzen und einarbeiten.Damit kompensieren sie offenbar einige Folgen ihresPersonalabbaus.

Arbeitsmediziner richten sich seit Jahrzehnten daraufaus, Belastungen durch die Arbeitsorganisation unterdie Schwelle der Messbarkeit zu drücken. Dies gelingtihnen ganz gut, wenn die Belastungsfolgen schwer zuquantifizieren sind. Ihr zweites Interesse ist es, einenKanon der ›gesicherten arbeitswissenschaftlichenErkenntnisse‹ zu erstellen. Denn vereinzelte For-schungsergebnisse haben in den Betrieben wenigGewicht. Erst Leitlinien aus den Ministerien undihren Ämtern finden den Weg in den Betriebsalltag.Der zieht sich oft über Jahrzehnte.

Wenn Wissenschaftler im Dunkeln tappen,bemühen sie den ›gesunden Menschenverstand‹: WeilNachtarbeit schadet, ist es vernünftig, Nachtarbeit zuverringern. Brauchen oder wollen die Betriebe mehrNachtstunden? Dann sollten eben die einzelnenBeschäftigten weniger nachts arbeiten. Wird dieNachtarbeit in kleineren Dosen auf viele verteilt,könnte sich ihr Schaden abschwächen.

Deutsche Experten erprobten die plausibel schei-nende These in der Praxis. Ende 1998 führte C. Szes-ny für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz undArbeitsmedizin (BAuA) ihren Feldversuch im EssenerAlfried-Krupp-Krankenhaus durch. Vier der etwazwanzig Stationen stellten die Schichtfolgen ihrer

Die FriedhofsschichtVerdrängt Wechselschicht die

Dauernachtwachen?

›Gesundheit für Geld‹ – der ungleiche Tausch der Nacht-

arbeiter/innen ist für sie selbst kein gutes Geschäft. Doch

wer gewinnt, wenn Beschäftigte ihre Dauernachtarbeit

tauschen müssen – mit Schichtwechseln rund um die Uhr?

V o n T o b i a s M i c h e l

Man kann die Wahrheit desInteresses nur hervorbringen,wenn man die Frage nach demInteresse an der Wahrheit zustellen akzeptiert.1

Pierre Bourdieu, 1980

›‹

Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.4

Paracelsus› ‹

1 Pierre Bourdieu: Der Tote packt denLebenden; Schriften zur Politik und Kultur 2, Seite 58.

2 Braun, Klinke, Müller,Rosenbrock: Einfluss der DRGs auf Arbeitsbe-dingungen und Versor-gungsqualität von Pfle-gekräften im Kranken-haus – Ergebnisse einerbundesweiten schriftli-chen Befragung reprä-sentativer Stichprobenvon Pflegekräften anAkutkrankenhäusern inden Jahren 2003, 2006und 2008; artec-paperNr. 173, Januar 2011;www.artec.uni-bremen.de/files/papers/paper_173a.pdf

3 Ebenda.4 Der Arzt Paracelsus im Jahr 1538.

D e r A u t o r

Tobias Michel

Betriebsrat, Forscher

und Entwickler rund

um Arbeitszeiten

[email protected]

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Dauernachtwachen von bis dahin bis zu acht Nächtenauf maximal vier Nächte in Folge um.

Wenig später veröffentlichte sie einen Erfolgsbe-richt: Drei-Schicht für alle auf einer Station sei mög-lich und akzeptabel, wenn jede nach wenigen Tagenwieder aus den Nachtschichten herausrotiert. Die Fol-gen für die Gesundheit der Beschäftigten konnten inden wenigen Monaten nicht untersucht werden. Ausgeblendet blieb auch, dass für dieses Experimentlauter Freiwillige zusammengesucht worden waren.Bis dahin auf den betroffenen Stationen eingesetzteDauernachtwachen ließen sich zuvor wegversetzen.5

Nur vier Jahre später – und ohne weitere Ver-gleichsstudien – galt die plausible Annahme als gesichert:

Durch den Wechsel zwischen Nacht- und Tag-arbeit wird der biologische Rhythmus zwar ebenfalls belastet. Nach den arbeitsmedizinischenErkenntnissen ist ein solcher Wechsel aber weniger gesundheitsgefährdend als ein ständigerEinsatz in Nachtarbeit, auch wenn Arbeitnehmersubjektiv Dauernachtarbeit oft als weniger belastend empfinden (Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin, Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- undSchichtarbeit, S. 12 f.).

Im Gegensatz zum Dauernachtarbeitnehmer hat der in Wechselschicht tätige Arbeitnehmerwährend der Zeiten mit Tagschicht Gelegenheitam sozialen Leben teilzuhaben. Das fördertjedenfalls mittelbar seine gesundheitliche Befindlichkeit.(BAG, in der Begründung zum Urteil vom 27.5.2003 – 9 AZR 180/02)

Interessenvertreter, die in den Betrieben mit den ›Sub-jekten‹ sprechen, berichten: Die Beschäftigten leidenunter den Wechselschichten. Vielleicht irren dieseKolleginnen nicht, wenn sie ›subjektiv Dauernachtar-beit oft als weniger belastend empfinden‹.

Dauernachtwachen arbeiten im Gegenrhythmuszu ihrer inneren Uhr. Das belastet sie. Dagegen arbei-ten Wechselschichtler gänzlich aus dem Takt. Belastetsie das noch mehr? Einer solchen Logik folgte jeden-falls das Arbeitszeitgesetz, als es diese Kolleginnenunmittelbar unter besonderen Schutz stellte:Nachtarbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeitnehmer, die1. auf Grund ihrer Arbeitszeitgestaltung

normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht zu leisten haben oder

2. Nachtarbeit an mindestens 48 Tagen im Kalenderjahr leisten.

(ArbZG §2 Nr. 5 Begriffsbestimmungen)

Auch Tarifverträge wie der TVöD und seine Nachfol-ger machen diesen Unterschied. Kolleginnen in Wech-selschicht erhalten, um ihre Belastung auszugleichen,mehr als Dauernachtwachen: Zusätzlich monatlich65 Euro und zwei weitere Tage Zusatzurlaub im Jahr.

Mörderische Wechselschicht

Internationale Forschungsergebnisse weisen in die-selbe Richtung wie die Erfahrung der Betroffenen. Sobeobachtete eine Zusammenschau verschiedenerUntersuchungen (Metastudie) für Wechselschicht-arbeiter ein dreifach erhöhtes Risiko für Prostata-karzinome. Sie fand für Dauernachtschicht nur einekleine ›nicht signifikante‹ Erhöhung.6

In ihren Leitlinien ›Nacht- und Schichtarbeit‹ fasst die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizinund Umweltmedizin e. V. die Forschungsständezusammen: ›Andererseits ergab eine Metaanalysevon 36 Studien zur unterschiedlichen Beeinträchti-gung der durchschnittlichen Schlafdauer in verschie-denen Schichtsystemen unter anderem, dass Nacht-schichten in schnell rotierenden Schichtsystemen zueiner ausgeprägteren Schlafverkürzung führen alsNachtarbeit in permanenten Nachtschichtsystemen(Pilcher et al. 2000).‹7

Insgesamt bewerten 71 Prozent von Dauernacht-arbeitenden ihre Schlafqualität als gut bis sehr gut,nur 6 Prozent als schlecht oder sehr schlecht. Bei denebenfalls befragten Nachtarbeitenden in rotierenden

DIE FRIEDHOFSSCHICHT

5 Der Autor beobachtetdie Auswirkungen vorOrt und über die Jahreals Betriebsrat desAKK Essen.

6 Kubo, Ozasa, Mikamiund andere: Prospec-tive Cohort Study ofthe Risk of ProstateCancer among Rota-ting-Shift Workers: Findings from theJapan CollaborativeCohort Study; American Journal ofEpidemiology Vol. 164,No. 6, 7.7.2006.

7 Deutsche Gesellschaftfür Arbeitsmedizin undUmweltmedizin e. V.(DGAUM), LeitlinienNacht- und Schicht-arbeit, 2006.

Schichtdienstformen ausSicht der Pflegekräfte.3

2003 2006 2008

anderer Dienstmodus

Bereitschaftsdienst

Dauernachtdienst

Wechselschicht mit Nacht

Wechselschicht ohne Nacht

nur Tagdienst (ohne Schicht)

100%

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

1%0,7%9,8%64,3%16,4%7,7%

0%2,2%5,6%63,5%15,5%13,3%

0%1,7%3,5%64,4%18,9%11,6%

KircheArbeitsrecht und

52012

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MVG: Die evangelische Kirche beschränkt zwar die Gestal-tungsrechte der Mitarbeitervertreter/innen. Wer im Kirchenge-setz sucht, wird dennoch fündig. Wir können – schriftlich –unsere Initiative für eine tatsächlich gesündere Verteilung derArbeitszeit vortragen (§ 47 MVG). Denn aus dem Katalog dermitzubestimmenden Angelegenheiten (§ 40 MVG) lachen unsgleich drei ›Joker‹ an: Maßnahmen zur Verhütung von gesund-heitlichen Gefahren, Festlegung der Arbeitszeiten, Maßnah-men zur Hebung der Arbeitsleistung und zur Erleichterung desArbeitsablaufs.

MAVO: Ganz ähnlich finden bei der Caritas die Interessen-vertreter/innen ihr Antragsrecht in § 37 der MAVO, um die

Schichtfolgen neu und besser zu organisieren. Konkret beziehensie ihre Verbesserungsvorschläge auf § 36 (1) MAVO Nr. 1(Arbeitszeit) und Nr. 10 (Gesundheitsschutz).

BetrVG: Betriebsräte haben einen gesonderten Einstieg über§ 91 BetrVG (Änderung der Arbeitsplätze entgegen der arbeits-wissenschaftlichen Erkenntnisse). Möglicherweise verhakeln siesich jedoch da. Denn die Betriebsleitungen berufen sich bei ihrerEffizienzsteigerung durch Wechselschicht ja gerade auf angebli-che ›arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse‹. Stechen wir daherbesser geradeaus durch und auf unser Ziel zu. Berufen wir unsauf unser Initiativrecht im Rahmen von § 87(1) BetrVG Nr. 2(Schichtfolge) und Nr. 7 (Gesundheitsschutz)!

Das sagen die Gesetze:

DIE FRIEDHOFSSCHICHT

6 AuK 2012

Mitbestimmung: Weil es besser geht!

Vielleicht sind Menschen tatsächlich verschieden.Einige halten sich für Morgenmuffel – die ›Nachteu-len‹. Andere sind Frühaufsteher – die ›Lerchen‹. Bio-logen haben dafür ihren eigenen Begriff geprägt: denChronotyp. Ihre ›Chronobiologie‹ passt Arbeitgebernaus Industrie und Handel gut. Sie suchen Beschäftig-te mit dem ›langfristig stabilen Persönlichkeitsmerk-mal Abendtyp‹, um ihre Maschinen- und Öffnungs-zeiten in die Nacht hinein auszuweiten.

Wir können – mit spitzen Fingern – diese Argu-mente dennoch aufgreifen. Denn eine Beschränkungder Nachtarbeit auf ausdrücklich Freiwillige treibt indie richtige Richtung. Einige entscheiden sich fürNachtarbeit, um so Familienarbeit und Broterwerb,berufsbegleitendes Studium oder eine kulturelle Kar-riere unter einen Hut zu bringen. Es macht wohlUnterschiede, ob Beschäftigte in einer LebensperiodeNachtarbeit wählen oder ob sie diese als unumgäng-liches Übel durchstehen.

Manche Interessenvertreter kalkulieren mit, wasihre Chefs der Irrweg kostet: Die zahlen je verdräng-te Dauernachtwache (Vollkraft) gut 3.500 Euro imJahr drauf. Kosten für die steigende Ausfallquote auf-grund der zusätzlichen Fehltage kämen hinzu.

Vorschläge für die individuelle Ertüchtigung derBetroffenen, Expertentipps für Schlafrituale oderleichte Kost nach Mitternacht – all das wäre kaummehr als weiße Salbe für die Seelenruhe. BetrieblichesGesundheitsmanagement greift nicht nur zu kurz,sondern daneben.

So oder so – Nachtarbeit macht krank. Kollegin-nen, die notwendige Arbeit in der Nacht übernehmen,nützt daher keine Forschung nach gesunder Arbeit.Der Zauberspruch, mit dem wir die ›mörderischeBelastung‹ durch Nachtarbeit ausgleichen können?Arbeitszeitverkürzung!

mehr: www.nachtarbeit.schichtplanfibel.de

Schichtsystemen schliefen lediglich knapp 48 Prozentgut oder sehr gut. Fast 18 Prozent klagten überschlechten oder sehr schlechten Schlaf. Nachtarbei-tende in rotierenden Schichtsystemen leiden dreimalhäufiger unter einem Schlafdefizit als ihre Kollegenin der Dauernacht.8 Andere Untersuchungen fandenkeinen Hinweis auf höhere Risiken für Arbeits- oderWegeunfälle, als sie Dauernachtschicht mit Wechsel-schicht verglichen.9

Die Anzahl der ›Ausfalltage durch Krankheit‹steigt bei Nachtarbeitnehmern. Sie scheint bei denen,die Nachtarbeit in Wechselschicht leisten, etwa dop-pelt so hoch zu sein wie bei Kolleginnen in der Dau-ernachtarbeit.10

Rasch rotierende Schichten fügen der Nachtarbeitoffenbar eine zusätzliche Belastung hinzu. Schlimmernoch – die breitere Verteilung der Nachtschichtensetzt eine vielfache Anzahl von Beschäftigten dieserBelastung aus.

8 Holenweger (GruppeCorso): Gutachten›Dauernachtarbeit‹ –Eine Studie bringt neues Licht in dieNachtarbeit; Zürich,30.6.2004.

9 Petru, Angerer, Witt-mann: Auswirkung vonDauernachtschicht imVergleich zu Wechsel-schicht auf kognitiveund psychomotorischeFähigkeiten; München,Februar 2004.Drake CL; Roehrs T;Richardson G et al.Shift work sleep disor-der: prevalence andconsequences beyondthat of symptomaticday workers, Detroit. In: SLEEP 2004; 27(8):1453–62.

Der Arzt Paracelsus (1693 bis 1541)

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URLAUB NACH LANGER KRANKHEIT

Jetzt stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dieEntscheidung auf die innerstaatliche Rechtspraxishat.

In dem vom EuGH entschiedenen Fall war auf dasArbeitsverhältnis des betroffenen Arbeitnehmers derTarifvertrag für die Metall- und ElektroindustrieNordrhein-Westfalen anwendbar. Dieser sieht vor,dass Urlaub, welcher wegen Krankheit nicht genom-men werden konnte, erst 15 Monate nach Ablauf desbetreffenden Kalenderjahres erlischt. Der EuGHbefand diese Klausel als mit dem Gemeinschaftsrechtvereinbar. Zur Begründung führte er an, dass einunbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen aufbezahlten Jahresurlaub während einer mehrjährigenArbeitsunfähigkeit nicht mehr dem Zweck desAnspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entspreche.Der Urlaub diene zum einen der Erholung von derArbeit und zum anderen der Zurverfügungstellungeines Zeitraums für Entspannung und Freizeit. Zwarentfalteten sich diese Zwecke nur dann vollständig,wenn der Urlaub im laufenden Jahr genommen wer-de. Jedoch verliere die Ruhezeit ihre Bedeutung nichtunbedingt, wenn sie zu einer späteren Zeit nachge-holt wird. Das gelte allerdings nur, wenn der Über-trag eine gewisse zeitliche Grenze nicht überschreite,da irgendwann die positive Erholungswirkung desUrlaubs entfalle.

Für die Länge des Übertragungszeitraums seiendaher zwei Aspekte zu berücksichtigen: 1. Zugunsten der Arbeitnehmer müsse gewährleistet

sein, dass der Übertragungszeitraum die Dauerdes Bezugszeitraums, für den der Anspruchgewährt wird, deutlich überschreite.

2. Zugunsten der Arbeitgeber sei sicherzustellen,dass diese vor der Gefahr der Ansammlung vonzu langen Abwesenheitszeiträumen und denSchwierigkeiten geschützt werden, die sich dar-aus für die Arbeitsorganisation ergeben können.

Im Ergebnis würde ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten diesen beiden Aspekten gerecht.

Die Frage ist, wie sich die Rechtsprechung desEuGH jetzt ins deutsche Recht übertragen lässt. Diewenigsten Tarifverträge dürften einen solch langenÜbertragungszeitraum enthalten. Auch im Bereichder Diakonie und der verfassten Kirche enthalten dieArbeitsvertragsrichtlinien bzw. Dienstvertragsord-nungen keine Regelungen mit derart langen Übertra-gungszeiträumen. Allein mit der Anerkennung einertariflichen Regelungsmöglichkeit, wie der EuGH sieim vorliegenden Fall angenommen hat, ist folglichnicht allzu viel gewonnen.

Das Bundesurlaubsgesetz enthält zumindest inseiner jetzigen Form auch keine Regelung, die einenÜbertragungszeitraum von 15 Monaten vorsieht.

In Betracht käme dann noch eine individualrecht-liche Vereinbarung, um die Entscheidung des EuGHumzusetzen. Aber auch eine solche dürfte schwierig

Aber nicht nur diese Fälle gaben Anlass zur Sorge.Auch die Fälle, in denen die Mitarbeiterin/der Mitar-beiter nach langer Krankheit wieder gesund wurde,waren problematisch, denn diese standen demArbeitgeber trotz Genesung wegen des angesammel-ten Urlaubs erst mal nicht zur Verfügung, sondernwaren im Prinzip gezwungen, zunächst ihren Urlaubanzutreten, wenn er nicht im nächsten Jahr verfallensollte.

Der EuGH hat nun am 22.11.2011 in Abkehr zuseiner Schultz-Hoff-Rechtsprechung entschieden,dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 einzelvertragli-chen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die dieMöglichkeit für einen während mehrerer Bezugs-zeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer,Ansprüche auf Jahresurlaub anzusammeln, dadurcheinschränken, dass sie einen Übertragungszeitraumvon 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf derAnspruch auf Jahresurlaub erlischt.

Urlaub nach langer

Krankheit – verfällt er

oder verfällt er nicht?Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung

auf die deutsche Rechtsprechung

Wie in AuK 4/2011, S. 115 f. berichtet, hat der EuGH mit

Urteil vom 22.11.20111 der unbegrenzten Ansammlung von

Urlaubsansprüchen während einer Arbeitsunfähigkeit einen

zeitlichen Riegel vorgeschoben, nach dem er drei Jahre zuvor

die üblichen Verfallsklauseln verworfen hatte. Üblich waren

Verfallsklauseln von drei bis neun Monaten. Die sogenannte

Schultz-Hoff-Entscheidung hatte vielen Geschäftsführern und

Dienststellenleitungen Sorgenfalten verursacht. Die Mitarbei-

ter und Mitarbeiterinnen, die seit Jahren arbeitsunfähig

erkrankt waren, hatte man zur Vermeidung eines nach Aus-

spruch einer Kündigung drohenden Rechtsstreits unbehelligt

gelassen. Nun aber drohten genau diese ›Karteileichen‹ zu

wahren Kostenfallen zu werden. Nicht nur, dass der Urlaubs-

anspruch von Jahr zu Jahr wuchs, auch der Abgeltungs-

anspruch, der zuvor nur in Betracht kam, wenn zumindest die

Möglichkeit des Urlaubsantritts gegeben war, verfiel jetzt

nicht mehr.

V o n M i r a G a t h m a n n

1. EuGH v. 22.11.2011,NJW 2012, 290.

D i e A u t o r i n

Mira Gathmann,

Fachanwältin für

Arbeitsrecht, Bremen

[email protected]

KircheArbeitsrecht und

72012

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Beispiel

sein, da § 13 Abs. 1, S. 3 BUrlG eine einzelvertragli-che Abweichung von den Regelungen des Bundesur-laubsgesetzes zu Ungunsten des Arbeitnehmers ver-bietet. Nach der zurzeit geltenden Rechtsprechungdes Bundesarbeitsgerichts, die eine Konsequenz derersten Entscheidung des EuGH zur Übertragbarkeitvon Urlaub war, erfasst § 7 Abs. 3, S. 3 BUrlG denFall dauerhafter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr, sodass Urlaub infolge Krankheit zurzeit nicht mehr ver-fallen kann. Jede individualrechtliche Abrede, diehiervon zu Ungunsten des Arbeitnehmers abweicht,dürfte daher wegen Verstoß gegen § 13 Abs. 1, S. 3BUrlG unwirksam sein.

Als arbeitsunfähiger Mitarbeiter im Bereich derDiakonie könnte man jetzt nach momentaner Rechts-lage davon ausgehen, dass Urlaub mangels entspre-chender Regelung nicht verfällt, sondern sich weiter-hin ansammelt. Wahrscheinlicher ist aber eine Anpas-sung der Rechtsprechung der deutschen Arbeitsge-richte an die Rechtsprechung des EuGH.

Das Bundesarbeitsgericht könnte das neue Urteildes EuGH zum Anlass nehmen, seine soeben geschil-derte Gesetzesauslegung, wie sie im Urteil vom24.03.2009 deutlich wurde, wieder aufzugeben undzu seiner ursprünglichen Rechtsprechung zurückzu-

8 AuK 2012

kehren. Danach würde § 7 Abs. 3 BUrlG jedenfallsim Grundsatz doch eine Befristung des Urlaubsan-spruchs auch für den Fall der lange andauerndenArbeitsunfähigkeit vorsehen.

Der EuGH stellt in seiner neuen Entscheidung aufden Sinn und Zweck von Urlaub ab und macht deut-lich, dass ein Ansammeln von Urlaubsansprüchengerade dem Zweck, nämlich Zeit zur Erholung vonder Arbeit zu haben, widerspreche. Ein 15-monatigerÜbertragungszeitraum genüge hierfür allemal.

Diese Begründung des EuGH wird mit an Sicher-heit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei der Aus-legung des deutschen Rechts nicht unberücksichtigtbleiben. § 7 Abs. 3, S. 3 BUrlG könnte daher dahin-gehend richtlinienkonform ausgelegt werden, dass diedarin vorgesehene Frist um ein Jahr bis zum 31. Märzdes darauffolgenden Kalenderjahres zu verlängern ist – mit der Folge, dass der Urlaubsanspruch desarbeitsunfähigen Arbeitnehmers zu diesem Zeitpunktendgültig erlischt, sofern er nicht vorher arbeitsfähigwird und seinen Urlaub tatsächlich noch in Anspruchnehmen kann. Dies müsste konsequenterweise auchgelten, wenn das Arbeitsverhältnis endet und sich derUrlaubsanspruch gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG in einenUrlaubsabgeltungsanspruch umwandelt.

URLAUB NACH LANGER KRANKHEIT

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zur Arbeitszeit

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ARBEITSLOSENGELD

Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld infolge von pflicht-widrigem Verhalten (Sperrzeiten)

Neben den oben genannten Pflichten bestehen weite-re Pflichten in dem Versicherungsverhältnis. Beibestimmten Pflichten führt ein pflichtwidriges Ver-halten nicht nur dann zur Minderung des Arbeitslo-sengeldes, wenn der Anspruch tatsächlich geringerwar. Der Pflichtverstoß selbst führt zu einer selbst-ständigen Minderung des Arbeitslosengeldes – unab-hängig davon, ob die Anspruchsvoraussetzungendaneben weiterhin gegeben sind. Dies beruht aufdem Grundgedanken, dass sich die Versichertenge-meinschaft gegen Risikofälle wehren muss, derenEintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat. Auf-grund dieser Tatsache sieht das Gesetz unterbestimmten Umständen Sperrzeiten vor, in denen derArbeitslose trotz Vorliegen der Voraussetzungen keinArbeitslosengeld erhält. Die Sperrzeiten sind in § 144SGB III geregelt.

a.) Wirkung von Sperrzeiten Eine Sperrzeit führt im Gegensatz zu den im erstenTeil dieses Artikels behandelten Ruhenstatbeständendazu, dass der Anspruch nicht nur hinausgeschoben,sondern tatsächlich gemindert wird. Sperrzeiten ver-mindern die Dauer des Arbeitslosengeldanspruchsim Umfang der Sperrzeit, bei einer Sperrzeit vonzwölf Wochen sogar mindestens um ein Viertel derAnspruchsdauer. Der Anspruch auf Arbeitslosengeldkann auch vollständig erlöschen, wenn wiederholtSperrzeiten auftreten und diese einen Zeitraum vonmindestens 21 Wochen umfassen. Dabei ist zubeachten, dass bei Zusammenfallen mehrerer Sperr-zeiten diese nicht als eine Sperrzeit behandelt werden,sondern dass die Sperrzeiten nacheinander zu laufenbeginnen, den Zeitraum also jeweils verlängern.Insofern sind sie hinsichtlich des Beginns grundsätz-lich nicht an einen bestimmten Tag gebunden.Anders ist dies unter anderem bei einer unwirksamenaußerordentlichen Kündigung, die als ordentlicheKündigung wirksam gewesen wäre. In diesem Fallkann eine Sperrfrist nur am Tag nach dem Ablauf derordentlichen Kündigungsfrist beginnen.

b.) Sperrzeit bei ArbeitsaufgabeWichtigster Fall der Sperrzeiten ist die Sperrzeit beiArbeitsaufgabe. Arbeitslosengeld wird wie viele Ver-sicherungsleistungen nur gewährt, wenn der Versi-cherte selbst nicht den Eintritt des Schadensfalles (dieArbeitslosigkeit) zu vertreten hat. Voraussetzung fürein solches Vertreten-Müssen ist, dass eine ›Arbeits-aufgabe‹ im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB IIIvorliegt, der Arbeitnehmer infolge dieser Arbeitsauf-gabe arbeitslos wurde, er diese Arbeitslosigkeit vor-sätzlich oder grob fahrlässig herbeiführte und er fürdieses Verhalten keinen wichtigen Grund hatte. Alle

Pflichten im Versicherungsverhältnis

Wenn die Tatsachen, die einen Anspruch auf Arbeits-losengeld begründen, vorliegen, bestehen für denArbeitslosen verschiedene Pflichten, denen er nach-zukommen hat, vor allem in Hinsicht darauf, dassder Anspruch durch eine Veränderung der Verhält-nisse eventuell verringert wird oder entfällt. Es müs-sen alle Tatsachen angegeben werden, die für dieBewilligung oder den Umfang des Arbeitslosengeldeserheblich sind. Tatsachen, die der Agentur für Arbeitneben dem Nachweis der eigentlichen Anspruchsvor-aussetzungen unverzüglich mitzuteilen sind, sindetwa ein etwaiges Nebeneinkommen, eine eventuelleKur, die zu Lohnersatzleistungen seitens der Kran-ken- oder Rentenversicherung führt, oder auch einUmzug – unabhängig davon, ob dieser im oderaußerhalb des Gemeindegebietes erfolgt. Sollte demArbeitslosen erkennbar sein, dass der Leistungsbezugzu hoch ist, etwa, weil die Agentur für Arbeit vonfalschen Voraussetzungen ausgegangen ist, so istauch dies der Agentur für Arbeit mitzuteilen. Zu derMitteilungspflicht gehört auch, die zum Nachweiserforderlichen Unterlagen vorzulegen. Die Mittei-lungspflicht besteht auch fort, wenn der Leistungsbe-zug beendet ist, soweit es sich um eine Änderung derTatsachen für den Zeitraum des Leistungsbezugeshandelt.

Werden erforderliche Informationen nicht,unvollständig oder falsch mitgeteilt, kann sich das –auch rückwirkend – auf die Leistungen auswirken –etwa durch eine Rückzahlungsverpflichtung, wennsich aus den tatsächlichen Umständen ergibt, dass dieLeistungen tatsächlich nicht zustanden.

ArbeitslosengeldWer bekommt es wann und wie viel?

Der erste Teil des Artikels beinhaltete die grundsätzlichen

Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld.

Nunmehr geht es darum, dass sich aus dem Versicherungs-

verhältnis auch verschiedene Pflichten ergeben, deren

Nichteinhaltung zu einer Schmälerung des Anspruchs führen

kann. Mit diesen Pflichten und den möglicherweise daraus

resultierenden Sperrzeiten wird sich dieser zweite Teil

des Artikels befassen.

v o n N o r a W ö l f l

D i e A u t o r i n

Nora Wölfl,

Rechtsanwältin,

Bremen

[email protected]

KircheArbeitsrecht und

92012

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10 AuK 2012

ARBEITSLOSENGELD

der klassische Aufhebungsvertrag als ›Arbeitsaufga-be‹, sondern auch die einvernehmliche Verkürzungder Kündigungsfristen oder der Vergleich im Kündi-gungsschutzprozess, der eine kürzere Kündigungs-frist beinhaltet. Auch Abwicklungsverträge, also Ver-träge, die die Abwicklung des Arbeitsverhältnissesnach arbeitgeberseitiger Kündigung regeln, fallenunter Umständen unter diesen Ruhenstatbestand,etwa dann, wenn der Arbeitnehmer sich als ›Gegen-leistung‹ für eine Abfindung verpflichtet, keine Kün-digungsschutzklage zu erheben, denn nach derRechtsprechung des Bundessozialgerichts soll es kei-nen Unterschied machen, ob der Arbeitnehmer aktivan der Kündigung mitwirkt oder ob die aktive Betei-ligung darin liegt, dass er über den Bestand und dieFolgen der Kündigung eine verbindliche Vereinba-rung trifft.

Sperrzeitunschädlich ist es dagegen, wenn derArbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebtoder bei einer betriebsbedingten Kündigung mitAbfindungsangebot nach § 1a KSchG diesesannimmt, denn zur Annahme genügt das Verstrei-chenlassen der Klagefrist, also ein rein passives Ver-halten.

Veranlassung einer arbeitgeberseitigenKündigung

Die Veranlassung einer arbeitgeberseitigen Kündi-gung umfasst die Fälle, in denen der Arbeitnehmerdurch vertragswidriges Verhalten eine verhaltensbe-dingte Kündigung verursacht. Dies gilt auch dann,wenn die verhaltensbedingte Kündigung etwa durcheinen Vergleich in eine betriebsbedingte Kündigungumbenannt wird. Eine solche Vereinbarung bindetdie Agentur für Arbeit auch dann nicht, wenn sievergleichsweise vor dem Arbeitsgericht vereinbartwurde, denn entscheidend ist allein der tatsächlicheGeschehensablauf. Eben aus diesem Grund ist nichtausreichend für die Annahme einer ›Arbeitsaufgabe‹der bloße Verdacht eines vertragswidrigen Verhal-tens. Auch wenn es arbeitsrechtlich die Möglichkeitder Verdachtskündigung gibt, kann diese nicht sperr-zeitauslösend sein, solange nicht tatsächlich ein ver-tragswidriges Verhalten nachgewiesen werden kann.Auch eine personenbedingte Kündigung, also eineKündigung, die sich auf nicht steuerbare Eigenschaf-ten des Arbeitnehmers bezieht, kann sperrzeitauslö-send sein, wenn sie auf außerdienstlichem Fehlver-halten beruht, etwa der Entzug der Fahrerlaubniswegen einer Trunkenheitsfahrt. Insgesamt lässt sichfesthalten, dass eine Sperrzeit wegen Veranlassungder arbeitgeberseitigen Kündigung immer dann ein-treten kann, wenn die Kündigung auf ein demArbeitnehmer vorwerfbares Verhalten zurückzu-führen ist.

diese Voraussetzungen müssen vorliegen, ansonstenkommt keine Sperrzeit in Betracht.

Arbeitsaufgabe

Unter die Arbeitsaufgabe fällt dabei nicht nur dieEigenkündigung des Arbeitnehmers, sondern entspre-chend dem Sinn und Zweck der Vorschrift jeder vomArbeitnehmer verschuldete Verlust des Arbeitsplatzes,so dass als Grund für eine solche Sperrzeit unterUmständen auch der Abschluss eines Aufhebungsver-trags, eines Vergleichs oder die Veranlassung einerarbeitgeberseitigen Kündigung fallen kann. Alleinmaßgeblich für die Frage, ob es sich um eine ›Arbeits-aufgabe‹ im Sinne der Vorschrift handelt, ist, ob derArbeitnehmer die Arbeitslosigkeit durch ein konkre-tes Verhalten, durch aktives Handeln herbeigeführthat. Hierüber entscheidet allein der tatsächlicheGeschehensablauf, d. h. eine Sperrzeit kann auch ein-treten, wenn durch die Eigenkündigung lediglicheiner konkret drohenden Arbeitgeberkündigungzuvorgekommen werden sollte. Haben mehrereGründe zur ›Arbeitsaufgabe‹ geführt, so ist immerder wesentliche Grund maßgeblich.

Eigenkündigung des Arbeitnehmers

Die Eigenkündigung des Arbeitnehmers istgrundsätzlich sperrzeitauslösend. Von Bedeutung istin diesem Zusammenhang lediglich, was unter einerEigenkündigung und dementsprechend unter einer›Arbeitsaufgabe‹ zu verstehen ist. Ob es zum Beispielauch einer ›Arbeitsaufgabe‹ gleichkommt, wenn einsicherer Arbeitsplatz in einen gefährdeten, etwa einenbefristeten Arbeitsplatz, eingetauscht wird, ist strittig.Grundsätzlich hat das Bundessozialgericht diese Fra-ge bejaht, hat aber hierzu auch festgestellt, dass gera-de in einer solchen Konstellation das Vorliegen eineswichtigen Grundes gegeben sein kann. Hierzu weiterunten.

Keine ›Arbeitsaufgabe‹ in diesem Sinne stellen dasAuslaufenlassen einer Befristung (selbst, wenn derArbeitgeber eine Verlängerung angeboten hat), dieAblehnung einer Änderungskündigung oder derNichtantritt einer Stelle dar. Im letzten Fall kann aberggf. eine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung inBetracht kommen, die weiter unten erläutert werdenwird. Ebenso steht es keiner ›Arbeitsaufgabe‹ desArbeitnehmers gleich, wenn die Auflösung desArbeitsverhältnisses im Kündigungsschutzprozess aufAntrag des Arbeitnehmers erfolgt, weil eine Fortset-zung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbarist (§ 9 KSchG).

Aufhebungsvertrag

Wenn der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber einenAufhebungsvertrag abschließt, steht dies ebenfallsder ›Arbeitsaufgabe‹ gleich. Auch hier gilt nicht nur

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ARBEITSLOSENGELD

Ursache

Das Handeln des Arbeitnehmers muss Ursache derArbeitslosigkeit sein. Eine solche Ursächlichkeit istauch gegeben, wenn eine ohnehin eintretende Arbeits-losigkeit durch die ›Arbeitsaufgabe‹ nur vorverlagertwird. Im Falle des Wechsels von einem unbefristetenin ein befristetes Arbeitsverhältnis ist dieser Wechselauch ursächlich für die nach Ende der Befristung eintretende Arbeitslosigkeit, zumindest, soweit dieser befristete Vertrag nicht nochmals verlängertwird.

Verschulden

In einigen Fällen kann es problematisch werden, obdem Arbeitnehmer die Herbeiführung der Arbeitslo-sigkeit vorzuwerfen ist, also ob ihn ein Verschuldendiesbezüglich trifft. Voraussetzung für ein solchesVerschulden ist immer, dass der Arbeitnehmer die Fol-gen hätte voraussehen und anders handeln können.Dabei kommt es auf die persönliche Urteils- und Kri-tikfähigkeit, das Einsichtsvermögen des jeweiligenArbeitnehmers und die besonderen Umstände an.

Hat etwa bei einer verhaltensbedingten Kündigungder Arbeitgeber das Verhalten zuvor nicht abgemahnt,obwohl er hierzu verpflichtet gewesen wäre, so war die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit demArbeitnehmer nicht vorhersehbar, weil er höchstensmit einer Abmahnung, aber nicht mit der Kündigungrechnen musste. Es liegt auch kein Verschulden in diesem Sinne vor, wenn das Verhalten des Arbeitneh-mers krankheitsbedingt nicht steuerbar war. So etwa,wenn der Betroffene alkohol- oder suchtmittelabhän-gig ist, soweit die Sucht bereits als Krankheit zu beurteilen ist. Die Urlaubsüberschreitung als Kündi-gungsgrund rechtfertigt in der Regel eine Sperrzeit,allerdings gibt es auch hier Ausnahmen, so etwa dieÜberschreitung von nur wenigen Tagen wegen Heiratim Ausland. Der Kirchenaustritt einer am katho-lischen Krankenhaus tätigen evangelischen Kranken-schwester ist ebenfalls nicht als grob fahrlässig anzusehen, allerdings gibt es Gerichtsentscheidungen,die davon ausgehen, dass vor dem Kirchenaustrittunter Aufrechterhaltung des bisherigen Arbeitsver-hältnisses zunächst die Suche nach einem anderenArbeitsplatz zu betreiben ist. Bei Kirchenaustrittenaus Glaubensgründen muss hinsichtlich der Vorwerf-barkeit und der Möglichkeit einer vorherigen Arbeits-platzsuche aber auch differenziert werden, aus wel-chen Gründen der Kirchenaustritt konkret erfolgt ist.Erfolgt der Kirchenaustritt zum Beispiel aus der aktu-ellen Entwicklung in der Kirche, wird wohl dieZumutbarkeit der Arbeitssuche und damit die Vor-werfbarkeit des Verhaltens verneint werden müssen,während bei einem längeren Entscheidungsprozessohne konkreten Bezug der Kirchenaustritt ohne vor-herige Arbeitssuche eher als vorwerfbar angesehenwerden müsste.

Wichtiger Grund

Die Sperrzeit tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber fürdie ›Arbeitsaufgabe‹ einen wichtigen Grund hatte. Der wichtige Grund muss tatsächlich vorgelegenhaben, d. h. es kommt hier nicht auf das subjektiveEmpfinden des Betroffenen an, sondern es findet eine objektive Überprüfung statt. Ob der Betroffeneden wichtigen Grund kannte, ist dementsprechendgenauso unerheblich wie das subjektive Empfinden.

Als wichtig wird jeder Grund angesehen, der sei-tens des Arbeitnehmers auch zu einer außerordent-lichen Kündigung führen kann, also etwa Lohnrück-stände von mehr als sechs Monaten trotz Abmahnun-gen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber. Aber auchfehlende Aufstiegschancen können unter Umständeneinen wichtigen Grund darstellen. Ebenso die Herstel-lung der ehelichen Lebensgemeinschaft, wenn derArbeitnehmer seine Arbeitsstelle von der gemeinsa-men Wohnung aus nicht in zumutbarer Weise errei-chen kann und zwar unabhängig davon, ob dieLebensgemeinschaft erstmals hergestellt, fortgesetztoder wiederhergestellt werden soll. Anders ist dies beider nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Eine solchesetzt per se schon ein dreijähriges Zusammenlebenvoraus, so dass sie einen wichtigen Grund nur darstellt,wenn sie entsprechend fortgeführt werden soll. Ande-res kann aber gelten, wenn aus der Beziehung gemein-same Kinder hervorgegangen sind, dann ist auch dieerstmalige Herstellung in der Regel nicht sperrzeitaus-lösend.

Auch Mobbing am Arbeitsplatz kann einen wichti-gen Grund darstellen, allerdings müssen hierzu feind-selige Handlungen objektiv feststellbar sein und derArbeitnehmer muss ernsthaft versucht haben, eineLösung dieses Problems herbeizuführen. Geht es umeine mögliche sexuelle Belästigung, genügt hingegenplausibler Vortrag des Betroffenen, nach dem subjek-tiven Empfinden Opfer einer derartigen Belästigunggeworden zu sein.

Das Bundessozialgericht hat in jüngerer Zeitangekündigt, dass jede Beendigung des Beschäfti-gungsverhältnisses mittels eines Vergleichs durch einenwichtigen Grund getragen sei, wenn die vereinbarteAbfindungssumme den Betrag von 0,5 Monatsver-diensten je Beschäftigungsjahr nicht übersteige. Diessoll auch bei Abwicklungsverträgen gelten oder beiAufhebungsverträgen, wenn der Arbeitnehmer nach-weisen kann, dass er bei drohender arbeitgeberseitigerKündigung nur durch diesen Aufhebungsvertrag eineAbfindung erlangen konnte. In der Praxis der Bundes-agentur für Arbeit ist die Weisungslage entsprechenddieser Ankündigung des Bundessozialgerichts ange-passt worden. Bei einem gerichtlichen Vergleich darfim Übrigen diese Summe auch über- oder unterschrit-ten werden, ohne dass dies sperrzeitauslösend ist,solange keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die-ser Vergleich zu Lasten der Agentur für Arbeit unddamit der Versichertengemeinschaft gehen sollte.

KircheArbeitsrecht und

112012

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12 AuK 2012

ARBEITSLOSENGELD

dabei die Zumutbarkeit der entsprechenden Arbeit.Wann eine Arbeit zumutbar ist, bestimmt sich wie-derum nach § 121 SGB III, der bereits im ersten Teildes Artikels unter dem Begriff der Arbeitslosigkeitbehandelt wurde. Insoweit wird auf die dort gemach-ten Ausführungen verwiesen.

Die Arbeitsablehnung kann sich aus einer direk-ten Nichtannahme der Stelle ergeben, kann aberauch vorliegen, wenn sich der Arbeitslose nichtunverzüglich mit dem potenziellen Arbeitgeber inVerbindung setzt oder das Zustandekommen einesVorstellungsgesprächs verhindert. Der Nichtannah-me einer Stelle ist es gleichzustellen, wenn derArbeitslose durch abschreckendes oder provokantesVerhalten gegenüber dem Arbeitgeber oder übertrie-benen Urlaubs- und Gehaltsforderungen zu erkennengibt, dass er nicht bereit ist, die angebotene Arbeitanzunehmen. Gleiches gilt bei übertriebener Schilde-rung schlechter Eigenschaften oder ähnlichem. Beiwahrheitsgemäßen Aussagen zu Wünschen, Zielenoder Einschränkungen ist die Grenze danach zu zie-hen, ob diese Aussagen im Rahmen dessen liegen,was ein Arbeitgeber von einem an der Arbeitsstelleinteressierten Arbeitnehmer erwartet. Auch wenn derArbeitslose aufgrund vorsätzlichen Fehlverhaltenseine bereits erlangte Stelle nicht antritt, wird eineSperrzeit ausgelöst.

Einer Arbeitsablehnung steht es gleich, wenn derArbeitslose sich weigert, an einer ABM teilzunehmenoder eine Probebeschäftigung nicht annehmen möch-te. Dahingegen tritt eine Sperrzeit nicht ein, wenn einangebotenes Berufsausbildungsverhältnis abgelehntwird, denn es kann dem Arbeitslosen nicht vorge-schrieben werden, welchen Beruf er zu erlernen hat.

Die Sperrzeit tritt nicht ein, wenn der Arbeitslosespätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem er das abge-lehnte Beschäftigungsverhältnis begonnen hätte,einer anderen Arbeit nachgeht; weiterhin tritt sienicht ein, wenn der Arbeitslose über die Möglichkeiteiner Sperrzeit nicht bei Angebot der Stelle von derAgentur für Arbeit ordnungsgemäß belehrt wurde,und zuletzt, wenn der Arbeitslose für die Ablehnungeinen wichtigen Grund hatte. Wichtige Gründe kön-nen hierbei in Ergänzung zur Zumutbarkeit derArbeit zum Beispiel eine Überforderung durch dieStelle, ein Nettoarbeitsentgelt unter dem ALG-Satzoder die Tatsache sein, dass der neue Arbeitgebernicht den Tariflohn oder den ortsüblichen Lohn zahlt.

Hat der Arbeitslose mehrere Stellen abgelehnt,treten mehrere Sperrzeiten ein. Wurde ihm eine Stel-le mehrmals angeboten und hat er jedes Mal abge-lehnt, tritt hingegen nur eine Sperrzeit ein, da einArbeitsloser nicht zur Annahme einer bestimmtenStelle gezwungen werden kann. Wie lange die Sperr-zeit dauert, hängt davon ab, ob der Arbeitslosebereits zuvor einen entsprechenden Pflichtverstoßbegangen hat, also, ob er zuvor bereits eine Arbeitabgelehnt hat. Erfolgt die Arbeitsablehnung zumersten Mal, so tritt eine Sperrzeit von drei Wochen

Wenn der Arbeitnehmer ein unbefristetes Arbeitsver-hältnis in ein befristetes eintauscht, kann es hierfürauch einen wichtigen Grund geben. Einen solchen hatdas Bundessozialgericht unter anderem angenommen,wenn zum Zeitpunkt des Wechsels die konkrete Aus-sicht bestand, dass das Arbeitsverhältnis in ein unbe-fristetes umgewandelt wird und der Arbeitnehmerentweder durch die neue Arbeit zusätzliche Qualifi-kationen erwerben kann, die Beschäftigung denbereits erworbenen Qualifikationen entspricht, derArbeitnehmer ein mindestens 10 Prozent höheresEntgelt erzielt oder die unbefristete Beschäftigung einLeiharbeitsverhältnis war und zugunsten einerregulären Beschäftigung von mindestens zweimonati-ger Dauer aufgegeben wird.

Ein weiterer wichtiger Grund kann bei älterenArbeitnehmern auch darin liegen, dass sie anlässlicheines drastischen Personalabbaus das Beschäftigungs-verhältnis lösen und dadurch andere Arbeitnehmervor der Entlassung bewahren, weil die diesen dro-hende Arbeitslosigkeit vom örtlichen Arbeitsmarktnicht aufgefangen werden kann.

Dauer der Sperrzeit

Die Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt in der Regelzwölf Wochen. Ergibt sich aus den maßgebenden Tat-sachen oder aus Umständen persönlicher oder wirt-schaftlicher Art, dass durch diese Besonderheiten desEinzelfalles eine Sperrzeit von einer Regeldauer alsbesonders hart erscheint, so ist die Sperrzeit zu ver-kürzen. Eine solche besondere Härte wird etwa ange-nommen, wenn der Arbeitnehmer hinsichtlich derSperrzeit unzureichende bzw. bewusst falsche Infor-mationen von einer sonst zuverlässigen Stelle bekom-men hat, wenn der Arbeitnehmer die eigene gesund-heitliche Leistungsfähigkeit falsch beurteilt hat,soweit er hierüber keine entsprechende Belehrungerfahren hat, oder auch, wenn die Verfehlungen, diezur Kündigung geführt haben, nur geringfügig waren.Ebenso kann es zu einer Reduzierung der Sperrzeitkommen, wenn eine ohnehin eintretende Arbeitslo-sigkeit durch die ›Arbeitsaufgabe‹ nur zeitlich vorver-lagert wurde.

c.) Sperrzeit bei ArbeitsablehnungBietet die Agentur für Arbeit dem Arbeitssuchendenoder bereits Arbeitslosen eine Arbeit an, die diesernicht annimmt, so kann ebenfalls eine Sperrzeit ein-treten, soweit sich die Arbeitslosigkeit dadurch ver-längert. Erheblich sind dabei nur Arbeitsangebote derAgentur für Arbeit, die mit einer entsprechendenRechtsfolgenbelehrung versehen sind, nicht Angebo-te einzelner Arbeitgeber direkt an den Arbeitslosen.Für das Angebot der Agentur für Arbeit ist es in derRegel ausreichend, dass diese dem Arbeitslosen denArbeitgeber und die Art der Tätigkeit nennt.

Wichtigstes Kriterium zur Beurteilung, ob eineAblehnung durch den Arbeitslosen erfolgen darf, ist

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ARBEITSLOSENGELD

ein, bei der zweiten Arbeitsablehnung tritt eine sechs-wöchige Sperrzeit ein und ab der dritten Ablehnungbeträgt die Sperrzeit jeweils zwölf Wochen. Härtege-sichtspunkte bleiben hier unberücksichtigt.

d.) Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen

Fordert die Agentur für Arbeit entsprechende Eigen-bemühungen bei der Suche nach einem neuen Arbeits-platz und weist ordnungsgemäß auf die Folgen beiFehlen hin, so kann eine Sperrzeit eintreten, wenn derArbeitslose sich nicht um eine neue Stelle bemüht.

Zu der Aufforderung der Agentur für Arbeitgehört es auch, dass diese die Art der Eigenbemühun-gen ausdrücklich und zumutbar konkretisiert hat,etwa in Form einer Eingliederungsvereinbarung. DieAufforderung muss dabei sowohl die konkrete Benen-nung der Pflichten als auch die Form des Nachweisesdieser Bemühungen, eine Frist und eine ordnungs-gemäße Rechtsmittelbelehrung enthalten. Wann einesolche Aufforderung zumutbar ist, hängt von der Per-sönlichkeit und Leistungsfähigkeit des Arbeitslosenab. Die Sperrzeit tritt nur ein, wenn der Arbeitslosedie geforderten Eigenbemühungen innerhalb der ihmgesetzten Frist nicht nachweist. Ein solcher Nachweiskann zum Beispiel durch Kopien von Bewerbungs-schreiben erfolgen.

Die Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühun-gen beträgt zwei Wochen.

e.) Sperrzeit bei Ablehnung oder Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme

Auch wenn der Arbeitslose eine ihm zumutbare beruf-liche Eingliederungsmaßnahme, für die es bereits eineschriftliche Zusage gibt, ablehnt oder abbricht, führtdies zu einer Sperrzeit, soweit der Arbeitslose ord-nungsgemäß auf diese Folge hingewiesen wurde.

Berufliche Eingliederungsmaßnahmen könnenMaßnahmen sein, die eine Beschäftigungsaufnahmestabilisieren oder mit denen Vermittlungshemmnissefestgestellt, verringert oder beseitigt werden können,aber auch Maßnahmen zur beruflichen Aus- und Wei-terbildung, wobei hier wieder gilt, dass die Ablehnungeines Ausbildungsverhältnisses nicht hierunter fällt,soweit dies gegen die Freiheit der Berufswahl verstößt.Die Maßnahme ist zumutbar, wenn sich aus denUmständen des konkreten Falles ergibt, dass die Maß-nahme geeignet und notwendig ist, um die Eingliede-rungsaussichten des Arbeitslosen zu verbessern.Dabei sind auch Eignung, Neigung und bisherigeTätigkeit zu berücksichtigen. Eine zumutbare Maß-nahme ist etwa dann nicht gegeben, wenn die berufli-che Qualifikation tatsächlich nicht verbessert werdenkann oder der Arbeitslose durch die Maßnahme größ-tenteils unterfordert ist. Auch etwaige Pendelzeitensind entsprechend § 121 SGB III zu berücksichtigen.

Ist eine konkrete Maßnahme vorgeschlagen wor-den, die der Arbeitslose ablehnt, kann eine Sperrzeiteintreten. Der Ablehnung steht es dabei gleich, wenn

der Arbeitslose das Zustandekommen des Weiterbil-dungsverhältnisses absichtlich vereitelt. Hierzu seiauf die Ausführungen zur Arbeitsablehnung verwie-sen. Aber auch wenn eine bereits begonnene Maß-nahme abgebrochen wird, ist dies sperrzeitauslösend.Dem Abbruch steht es wiederum gleich, wenn derArbeitslose von der Maßnahme ausgeschlossen wird,soweit dieser Ausschluss rechtmäßig ist. Dies ist derFall, wenn das Verhalten des Arbeitslosen dazu führt,dass eine Fortsetzung für den Maßnahmeträger oderandere Teilnehmer unzumutbar ist. Erforderlich sindein vorwerfbares Verhalten und die Vorhersehbarkeitdes Ausschlusses, also ein Verschulden, wie es ähn-lich bei der ›Arbeitsaufgabe‹ gegeben sein muss. Inso-fern sei auf die dort gemachten Ausführungen ver-wiesen.

Auch im Falle der Ablehnung und des Abbruchseiner beruflichen Eingliederungsmaßnahme kommtes nicht zu einer Sperrzeit, wenn der Arbeitslose hier-für einen wichtigen Grund hatte, wie es etwa unzu-mutbare Verhältnisse beim Maßnahmeträger sindoder eine Abwesenheit durch längere Krankheit, wasdazu führt, dass die weitere Teilnahme an der Maß-nahme sinnlos wird.

Für den Umfang der Sperrzeit bei Ablehnung oderAbbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahmegelten die Ausführungen zur Arbeitsablehnung ent-sprechend. Zu erwähnen ist hier, dass die verlänger-ten Sperrzeiten nur eintreten, wenn sie auf der glei-chen Sperrzeitvariante basieren, also wenn entwedereine mehrmalige Arbeitsablehnung oder eine mehr-malige Ablehnung einer Eingliederungsmaßnahmevorliegt. Wenn der Arbeitslose erst eine Arbeit unddann eine Eingliederungsmaßnahme ablehnt, so tre-ten jeweils nur zwei dreiwöchige Sperrfristen ein. Zueiner zwölfwöchigen Sperrzeit kann es also nur kom-men, wenn der Arbeitslose entweder dreimal eineArbeit oder dreimal eine berufliche Eingliederungs-maßnahme ablehnt.

f.) Sperrzeit bei MeldeversäumnisWährend des Arbeitslosengeldbezugs bestehen ver-schiedene Meldepflichten für den Arbeitslosen. Dieallgemeine Meldepflicht ist in § 309 SGB III geregeltund umfasst unter anderem die Pflicht zur persönli-chen Meldung bei der Agentur für Arbeit sowie diePflicht, gegebenenfalls zu ärztlichen oder psychologi-schen Untersuchungen zu erscheinen. Auch währendAnspruchsruhezeiten bestehen ggf. weiterhin dieoben aufgeführten Pflichten. Diesen Pflichten hat derArbeitslose grundsätzlich nachzukommen. Tut erdies nicht, erscheint er also nicht zu der von derAgentur für Arbeit bestimmten Zeit an der bezeich-neten Stelle persönlich, kann eine Sperrzeit eintreten.Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn die Agen-tur für Arbeit wirksam zur Erfüllung einer bestimm-ten, tatsächlich per Gesetz bestehenden Meldepflichtaufgefordert hat und dieser Aufforderung eine ord-nungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung beigefügt hat.

KircheArbeitsrecht und

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14 AuK 2012

ARBEITSLOSENGELD

In § 309 SGB III ist abschließend geregelt, zu welchenZwecken eine Aufforderung zur Meldung ergehenkann. Dies sind namentlich die Berufsberatung, dieVermittlung von Ausbildung oder Arbeit, die Vorbe-reitung aktiver Arbeitsförderungsleistungen, die Vor-bereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahrenund die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungendes Leistungsanspruches. Eine Aufforderung zu einemanderen als den gesetzlich geregelten Zwecken istunwirksam.

Eine Sperrzeit tritt auch in diesem Fall nur ein,wenn der Arbeitslose für das Meldeversäumnis keinenwichtigen Grund hatte. Wenn ihm ein Erscheinenunmöglich oder nur erschwert möglich war und sichunter Abwägung der Interessen der Agentur fürArbeit an der Meldung und der Interessen desArbeitslosen ergibt, dass ein Nachkommen der Mel-depflicht nicht zumutbar war, liegt ein solcher wichti-ger Grund vor. Dies kann unter anderem bei plötzli-chen Erkrankungen (auch von nahen Angehörigen),Vorstellungsgesprächen, unaufschiebbaren Nebenbe-schäftigungen oder Terminen bei Gerichten, Behördenoder Ärzten der Fall sein.

Die Sperrzeit bei Meldeversäumnis beträgt eineWoche.

g.) Sperrzeit bei verspäteter Arbeitssuchendmeldung

Eine Sperrzeit kommt zuletzt auch in Betracht, wennsich der Arbeitnehmer zu spät arbeitssuchend gemel-det hat. Erwähnung hat die Pflicht zur Arbeitssu-chendmeldung bereits im ersten Teil des Artikels inAbgrenzung zur Arbeitslosmeldung gefunden, welcheVoraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeldist. Den Arbeitnehmer trifft aber neben der Pflicht zurArbeitslosmeldung bereits zu einem früheren Zeit-punkt die Pflicht, der Agentur für Arbeit mitzuteilen,dass Bedarf für einen neuen Arbeitsplatz besteht.Dabei ist stets zu beachten, dass die Pflicht besteht,sich bei der Agentur für Arbeit spätestens drei Mona-te vor Eintritt der Arbeitslosigkeit, also vor voraus-sichtlicher Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bzw.Ausbildungsverhältnisses, arbeitssuchend zu melden.Erfährt der Arbeitnehmer erst später von der Beendi-gung, so ist er verpflichtet, dies innerhalb von dreiTagen zu tun. Tut er dies nicht, so tritt eine Sperrzeitein, wenn der Arbeitnehmer nicht einen objektivwichtigen Grund dafür hatte, sich nicht zu melden.Dies kann unter anderem bei Krankheit oder Aus-landsaufenthalt der Fall sein, aber auch, wenn eineberufliche Integration selbst bei frühzeitiger Meldungin der Regel nicht hätte realisiert werden können,etwa wegen Pflege-, Erziehungs- oder Betreuungszei-

ten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch,dass keine Aufklärungspflicht hinsichtlich der Pflichtzur Meldung seitens der Bundesagentur für Arbeitoder des Arbeitgebers besteht. Kein wichtiger Grundliegt also dann vor, wenn der Arbeitgeber es unter-lassen hat, in einer Kündigung auf die Arbeitssu-chendmeldung zu verweisen.

Liegt also kein wichtiger Grund vor, kann es zueiner Sperrzeit von einer Woche kommen. DieseSperrzeit beginnt mit dem Tag nach Beendigung desBeschäftigungsverhältnisses und zwar unabhängigvon der Zahl der Tage, die sich der nunmehr Arbeits-lose zu spät gemeldet hat, ebenso unabhängig vomGrad des Verschuldens. Auch nicht von Bedeutungfür den Eintritt der Sperrzeit ist die Frage, ob derAnspruch aus dem gerade beendeten oder einemfrüheren Arbeitsverhältnis entstanden ist, also auswelchem Arbeitsverhältnis die Erfüllung der Anwart-schaftszeit herrührt.

Ausblick:

Zum 1.4.2012 tritt das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt imWesentlichen in Kraft. Hierdurch sollen die arbeits-marktpolitischen Instrumente reformiert und ent-sprechend auch das Leistungsrecht des SGB III neustrukturiert werden. Diese Reform wird zu einerweitreichenden Umstrukturierung und Umnumme-rierung verschiedener Regelungskomplexe des SGBIII führen. Die Regelungen zum Arbeitslosengeldwerden hierdurch von den §§ 117 ff. SGB III in die§§ 136 ff. SGB III übertragen. Inhaltlich wird dieseReform im Regelungskomplex des Arbeitslosen-geldes allerdings keine wesentlichen Änderungennach sich ziehen.

Quellen: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. AuflageNiesel (Hrsg.), SGB III – Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung: Kommentar, 4. Auflage

Die gesetzlichen Grundlagen werden verständlichim SGB – Sozialgesetzbuch (dtv) erläutert, erhältlichbeim SachBuchService Kellner. Siehe Seite 25

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ARBEITSALLTAG IM SPANNUNGSFELD

Sensibilisierung für das über das allgemeine Straf-recht hinaus existierende Nebenstrafrecht und erhebtkeinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die strafrecht-lichen Nebenvorschriften, die dem primären Schutzdes Arbeitgebers dienen sollen, werden an andererStelle vorgestellt werden.

Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)

§ 25 Bußgeldvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oderfahrlässig 1. einer Rechtsverordnung nach § 18 Abs. 1 oder

§ 19 zuwiderhandelt, soweit sie für einenbestimmten Tatbestand auf diese Bußgeld-vorschrift verweist, oder

2. a) als Arbeitgeber oder als verantwortliche Person einer vollziehbaren Anordnung nach § 22 Abs. 3 oder b) als Beschäftigter einer vollziehbarenAnordnung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1

zuwiderhandelt. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 Buchstabe b mit einerGeldbuße bis zu fünftausend Euro, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 Buchstabe a mit einer Geldbußebis zu fünfundzwanzigtausend Euro geahndet werden.

§ 26 Strafvorschriften Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geld-strafe wird bestraft, wer 1. eine in § 25 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a bezeichnete

Handlung beharrlich wiederholt oder 2. durch eine in § 25 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Buch-

stabe a bezeichnete vorsätzliche Handlung Lebenoder Gesundheit eines Beschäftigten gefährdet.

Das Arbeitsschutzgesetz dient dazu, Sicherheit undGesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeitdurch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichernund zu verbessern.

Um dieses Ziel zu gewährleisten, wird die Bun-desregierung durch die §§ 18, 19 ArbSchG, auf wel-che die Bußgeldvorschrift des § 25 Abs. 1 Nr. 1 Arb-SchG verweist, ermächtigt, den Arbeitgebern durchRechtsverordnungen vorzuschreiben, welche Maß-nahmen der Arbeitgeber zu treffen hat, um dieSicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäf-tigten bei der Arbeit zu gewährleisten. Für ein ord-nungswidriges Handeln des Arbeitgebers muss diejeweilige Rechtsverordnung zudem auf den § 25ArbSchG verweisen.

Somit bestimmt sich die konkret ordnungswidrigeHandlung nach den erlassenen Rechtsverordnungen.

Daneben wird in § 25 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG auf§ 22 Abs. 3 ArbSchG verwiesen. Dieser dient zurDurchsetzung der Überwachung des Arbeitsschutzes,

Angesichts solcher Handhabungen vermag es nichtzu verwundern, wenn resistente Keime auf den Kli-nikstationen Einzug halten und Patienten imschlimmsten Fall daran sterben (wie jüngst auf derFrühchenstation des Klinikums Bremen-Mitte, daswegen unklarer Herkunft der totbringenden Keimeendgültig geschlossen wurde).

In dem Bemühen, den arbeitsvertraglichen Vorga-ben zu entsprechen, läuft im hier geschilderten Falldas Reinigungspersonal Gefahr, sich wegen fahrlässi-ger oder gar vorsätzlicher Körperverletzung (§§ 227und 223 StGB, u. U. sogar mit Todesfolge, § 229StGB) strafbar gemacht zu haben.

In vielen beruflichen Bereichen (insbesondere inpflegerischen Berufen) bewegt sich der Arbeitnehmerim Grenzbereich zwischen arbeitsvertraglichen Ver-pflichtungen und strafrechtlichen Sanktionen.

Doch auch der Arbeitgeber läuft im Arbeitsver-hältnis Gefahr, sich strafbar zu machen, wenn eretwa Handlungen begeht, die dem Schutz der Arbeit-nehmer zuwiderlaufen.

Der vorliegende Artikel soll nun im ersten Schrittaufzeigen, welche Strafvorschriften außerhalb desStrafgesetzbuches insbesondere zum Schutz derArbeitnehmer normiert sind. Diese Vorschriften ausdem sogenannten Nebenstrafrecht sind im Arbeits-alltag wenig bekannt. Ferner dient der Artikel der

Das eine, was man

kann – das andere,

was man sollArbeitsalltag im Spannungsfeld

zwischen Arbeitgeber und Staatsanwalt

Ein Bericht im Morgenmagazin des WDR 2 am 27.2.2012

hatte Hygienemängel in Krankenhäusern zum Thema. Hier

schilderte das Reinigungspersonal einer Klinik, das uner-

kannt bleiben wollte, den Umstand, dass die Zeitvorgaben,

binnen derer sie bestimmte Reinigungsvorgänge erledigt

haben müssten, immer kürzer geworden seien und es für sie

zunehmend unmöglich sei, diese Vorgaben zu erfüllen. So

sei z. B. für die Reinigung einer Intensivstation ein Zeit-

rahmen von zehn Minuten veranschlagt. Um diese Zeitvor-

gaben einzuhalten, seien sie gezwungen, sich auf sichtbaren

Schmutz zu konzentrieren. Überprüfungen würden in

Abständen durch sogenannte Sichtkontrollen durchgeführt.

v o n B a r b a r a K o p p

D i e A u t o r i n

Barbara Kopp,

Fachanwältin für

Strafrecht, Bremen

[email protected]

KircheArbeitsrecht und

152012

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16 AuK 2012

ARBEITSALLTAG IM SPANNUNGSFELD

14 entgegen § 17 Abs. 1 einen Jugendlichen anSonntagen beschäftigt oder entgegen § 17 Abs. 2Satz 2 Halbsatz 2 oder Abs. 3 Satz 1 denJugendlichen nicht freistellt,

15. entgegen § 18 Abs. 1 einen Jugendlichen am 24. oder 31. Dezember nach 14 Uhr oder angesetzlichen Feiertagen beschäftigt oder entgegen§ 18 Abs. 3 nicht freistellt,

16. entgegen § 19 Abs. 1, auch in Verbindung mitAbs. 2 Satz 1 oder 2, oder entgegen § 19 Abs. 3Satz 2 oder Abs. 4 Satz 2 Urlaub nicht odernicht mit der vorgeschriebenen Dauer gewährt,

17. entgegen § 21 Abs. 2 die geleistete Mehrarbeitdurch Verkürzung der Arbeitszeit nicht aus-gleicht,

18. entgegen § 22 Abs. 1, auch in Verbindung miteiner Rechtsverordnung nach § 26 Nr. 1, einenJugendlichen mit den dort genannten Arbeitenbeschäftigt,

19. entgegen § 23 Abs. 1, auch in Verbindung miteiner Rechtsverordnung nach § 26 Nr. 1, einenJugendlichen mit Arbeiten mit Lohnanreiz, ineiner Arbeitsgruppe mit Erwachsenen, deren Entgelt vom Ergebnis ihrer Arbeit abhängt, odermit tempoabhängigen Arbeiten beschäftigt,

20. entgegen § 24 Abs. 1, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 26 Nr. 1,einen Jugendlichen mit Arbeiten unter Tagebeschäftigt,

21. entgegen § 31 Abs. 2 Satz 2 einem Jugendlichenfür seine Altersstufe nicht zulässige Getränkeoder Tabakwaren gibt,

22. entgegen § 32 Abs. 1 einen Jugendlichen ohneärztliche Bescheinigung über die Erstuntersu-chung beschäftigt,

23. entgegen § 33 Abs. 3 einen Jugendlichen ohneärztliche Bescheinigung über die erste Nachun-tersuchung weiterbeschäftigt,

24. entgegen § 36 einen Jugendlichen ohne Vorlageder erforderlichen ärztlichen Bescheinigungenbeschäftigt,

25. entgegen § 40 Abs. 1 einen Jugendlichen mitArbeiten beschäftigt, durch deren Ausführungder Arzt nach der von ihm erteilten Bescheini-gung die Gesundheit oder die Entwicklung desJugendlichen für gefährdet hält,

26. einer Rechtsverordnung nach a) § 26 Nr. 2 oder b) § 28 Abs. 2 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist,

27. einer vollziehbaren Anordnung der Aufsichts-behörde nach § 6 Abs. 3, § 27 Abs. 1 Satz 2oder Abs. 2, § 28 Abs. 3 oder § 30 Abs. 2 zuwiderhandelt,

28. einer vollziehbaren Auflage der Aufsichtsbehör-de nach § 6 Abs. 1, § 14 Abs. 7, § 27 Abs. 3oder § 40 Abs. 2, jeweils in Verbindung mit § 54Abs. 1, zuwiderhandelt,

was nach dem ArbSchG staatliche Aufgabe ist. Diefür die Überwachung zuständige Behörde kann imEinzelfall anordnen, welche Maßnahmen der Arbeit-geber zur Erfüllung der Pflichten zu treffen hat, diesich aus dem ArbSchG und den auf Grund diesesGesetzes erlassen Rechtsverordnungen ergeben.

Gemäß § 26 ArbSchG wird darüber hinaus derArbeitgeber oder eine verantwortliche Personbestraft, soweit diese einer Anordnung nach § 22 Abs.3 ArbSchG beharrlich wiederholend zuwiderhandeltoder durch eine Handlung nach § 25 Abs. 1 Nr. 1oder Nr. 2 Buchstabe a ArbSchG das Leben oder dieGesundheit eines Beschäftigten gefährdet.

Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG)

§ 58 Bußgeld- und Strafvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer als Arbeitgeber

vorsätzlich oder fahrlässig 1. entgegen § 5 Abs. 1, auch in Verbindung mit § 2

Abs. 3, ein Kind oder einen Jugendlichen, der derVollzeitschulpflicht unterliegt, beschäftigt,

2. entgegen § 5 Abs. 3 Satz 1 oder Satz 3, jeweilsauch in Verbindung mit § 2 Abs. 3, ein Kindüber 13 Jahre oder einen Jugendlichen, der derVollzeitschulpflicht unterliegt, in anderer als derzugelassenen Weise beschäftigt, (...)

4. entgegen § 7 Satz 1 Nr. 2, auch in Verbindungmit einer Rechtsverordnung nach § 26 Nr. 1, einKind, das der Vollzeitschulpflicht nicht mehrunterliegt, in anderer als der zugelassenen Weisebeschäftigt,

5. entgegen § 8 einen Jugendlichen über die zulässi-ge Dauer der Arbeitszeit hinaus beschäftigt,

6. entgegen § 9 Abs. 1 oder 4 in Verbindung mitAbsatz 1 eine dort bezeichnete Person an Berufs-schultagen oder in Berufsschulwochen nicht frei-stellt,

7. entgegen § 10 Abs. 1 einen Jugendlichen für dieTeilnahme an Prüfungen oder Ausbildungsmaß-nahmen oder an dem Arbeitstag, der der schriftli-chen Abschlussprüfung unmittelbar vorangeht,nicht freistellt,

8. entgegen § 11 Abs. 1 oder 2 Ruhepausen nicht,nicht mit der vorgeschriebenen Mindestdaueroder nicht in der vorgeschriebenen zeitlichenLage gewährt,

9. entgegen § 12 einen Jugendlichen über die zuläs-sige Schichtzeit hinaus beschäftigt,

10. entgegen § 13 die Mindestfreizeit nicht gewährt, 11. entgegen § 14 Abs. 1 einen Jugendlichen außer-

halb der Zeit von 6 bis 20 Uhr oder entgegen § 14 Abs. 7 Satz 3 vor Ablauf der Mindestfreizeitbeschäftigt,

12. entgegen § 15 einen Jugendlichen an mehr alsfünf Tagen in der Woche beschäftigt,

13. entgegen § 16 Abs. 1 einen Jugendlichen anSamstagen beschäftigt oder entgegen § 16 Abs. 3Satz 1 den Jugendlichen nicht freistellt,

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ARBEITSALLTAG IM SPANNUNGSFELD

29. einer vollziehbaren Anordnung oder Auflage derAufsichtsbehörde auf Grund einer Rechtsverord-nung nach § 26 Nr. 2 oder § 28 Abs. 2 zuwider-handelt, soweit die Rechtsverordnung für einenbestimmten Tatbestand auf die Bußgeldvorschriftverweist.

(2) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oderfahrlässig entgegen § 25 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2Satz 1 einen Jugendlichen beschäftigt, beaufsichtigt,anweist oder ausbildet, obwohl ihm dies verboten ist,oder einen anderen, dem dies verboten ist, mit derBeaufsichtigung, Anweisung oder Ausbildung einesJugendlichen beauftragt.

(3) Absatz 1 Nr. 4, 6 bis 29 und Absatz 2 geltenauch für die Beschäftigung von Kindern (§ 2 Abs. 1)oder Jugendlichen, die der Vollzeitschulpflicht unter-liegen (§ 2 Abs. 3), nach § 5 Abs. 2 Absatz 1 Nr. 6 bis29 und Absatz 2 gelten auch für die Beschäftigungvon Kindern, die der Vollzeitschulpflicht nicht mehrunterliegen, nach § 7.

(4) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geld-buße bis zu fünfzehntausend Euro geahndet werden.

(5) Wer vorsätzlich eine in Absatz 1, 2 oder 3bezeichnete Handlung begeht und dadurch ein Kind,einen Jugendlichen oder im Fall des Absatzes 1 Nr. 6 eine Person, die noch nicht 21 Jahre alt ist, inihrer Gesundheit oder Arbeitskraft gefährdet, wirdmit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geld-strafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine inAbsatz 1, 2 oder 3 bezeichnete Handlung beharrlichwiederholt.

(6) Wer in den Fällen des Absatzes 5 Satz 1 dieGefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafebis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu ein-hundertachtzig Tagessätzen bestraft.

§ 59 Bußgeldvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer als Arbeitgeber vor-sätzlich oder fahrlässig 1. entgegen § 6 Abs. 4 Satz 2 ein Kind vor Erhalt

des Bewilligungsbescheids beschäftigt, 2. entgegen § 11 Abs. 3 den Aufenthalt in Arbeits-

räumen gestattet, 3. entgegen § 29 einen Jugendlichen über Gefahren

nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig unter-weist,

4. entgegen § 33 Abs. 2 Satz 1 einen Jugendlichennicht oder nicht rechtzeitig zur Vorlage einer ärzt-lichen Bescheinigung auffordert,

5. entgegen § 41 die ärztliche Bescheinigung nichtaufbewahrt, vorlegt, einsendet oder aushändigt,

6. entgegen § 43 Satz 1 einen Jugendlichen für ärzt-liche Untersuchungen nicht freistellt,

7. entgegen § 47 einen Abdruck des Gesetzes oderdie Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehördenicht auslegt oder aushängt,

8. entgegen § 48 Arbeitszeit und Pausen nicht odernicht in der vorgeschriebenen Weise aushängt,

9. entgegen § 49 ein Verzeichnis nicht oder nicht inder vorgeschriebenen Weise führt,

10. entgegen § 50 Abs. 1 Angaben nicht, nicht rich-tig oder nicht vollständig macht oder Verzeich-nisse oder Unterlagen nicht vorlegt oder einsen-det oder entgegen § 50 Abs. 2 Verzeichnisse oderUnterlagen nicht oder nicht vorschriftsmäßigaufbewahrt,

11. entgegen § 51 Abs. 2 Satz 2 das Betreten oderBesichtigen der Arbeitsstätten nicht gestattet,

12. entgegen § 54 Abs. 3 einen Aushang nichtanbringt.

(2) Absatz 1 Nr. 2 bis 6 gilt auch für die Beschäfti-gung von Kindern (§ 2 Abs. 1 und 3) nach § 5 Abs.2 Satz 1.

(3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geld-buße bis zu zweitausendfünfhundert Euro geahndetwerden.

Das JArbSchG wird den besonders schutzbedürftigenKindern und Jugendlichen in Beschäftigungsverhält-nissen gerecht, indem es strenger als das ArbSchGauf die speziellen Bedürfnisse von Kindern undJugendlichen abstellt.

Die einzelnen Vorschriften, auf welche §§ 58, 59JArbSchG verweisen, bestimmen konkret die Bedin-gungen, unter welchen Kinder und Jugendlichearbeiten dürfen. So werden insbesondere die Arbeits-und Ruhezeiten genau und strenger als im ArbSchGgeregelt.

Bei Verstoß gegen diese Vorgaben drohen demArbeitgeber empfindliche Strafen. So kann bereitseine Ordnungswidrigkeit nach § 59 JArbSchG miteiner Geldbuße bis zu 2.500 Euro geahndet werden, § 59 Abs. 3 JArbSchG. Die Begehung einer Ord-nungswidrigkeit nach § 58 Abs. 1–3 JArbSchG kannsogar mit einer Geldbuße von bis zu 15.000 Eurogeahndet werden, vgl. § 58 Abs. 4 JArbSchG.

Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AentG)

§ 23 Bußgeldvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oderfahrlässig 1. entgegen § 8 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 3, jeweils

in Verbindung mit einem Tarifvertrag nach den§§ 4 bis 6, der nach § 5 des Tarifvertragsgesetzesfür allgemeinverbindlich erklärt oder durchRechtsverordnung nach § 7 Abs. 1 erstrecktworden ist, eine dort genannte Arbeitsbedingungnicht gewährt oder einen Beitrag nicht leistet,

2. entgegen § 17 Satz 1 in Verbindung mit § 5 Abs.1 Satz 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzeseine Prüfung nicht duldet oder bei einer Prüfungnicht mitwirkt,

3. entgegen § 17 Satz 1 in Verbindung mit § 5 Abs.1 Satz 2 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzesdas Betreten eines Grundstücks oder Geschäfts-raums nicht duldet,

KircheArbeitsrecht und

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18 AuK 2012

ARBEITSALLTAG IM SPANNUNGSFELD

4. entgegen § 17 Satz 1 in Verbindung mit § 5 Abs.3 Satz 1 des SchwarzarbeitsbekämpfungsgesetzesDaten nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nichtin der vorgeschriebenen Weise oder nicht recht-zeitig übermittelt,

5. entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 3 Satz 1eine Anmeldung nicht, nicht richtig, nicht voll-ständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise odernicht rechtzeitig vorlegt oder nicht, nicht richtig,nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenenWeise oder nicht rechtzeitig zuleitet,

6. entgegen § 18 Abs. 1 Satz 3, auch in Verbindungmit Absatz 3 Satz 2, eine Änderungsmeldungnicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in dervorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitigmacht,

7. entgegen § 18 Abs. 2 oder 4 eine Versicherungnicht beifügt,

8. entgegen § 19 Abs. 1 eine Aufzeichnung nicht,nicht richtig oder nicht vollständig erstellt odernicht mindestens zwei Jahre aufbewahrt oder

9. entgegen § 19 Abs. 2 eine Unterlage nicht, nichtrichtig, nicht vollständig oder nicht in der vorge-schriebenen Weise bereithält.

(2) Ordnungswidrig handelt, wer Werk- oder Dienst-leistungen in erheblichem Umfang ausführen lässt,indem er als Unternehmer einen anderen Unterneh-mer beauftragt, von dem er weiß oder fahrlässig nichtweiß, dass dieser bei der Erfüllung dieses Auftrags 1. entgegen § 8 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 3, jeweils in

Verbindung mit einem Tarifvertrag nach den §§4 bis 6, der nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes fürallgemeinverbindlich erklärt oder durch Rechts-verordnung nach § 7 Abs. 1 erstreckt worden ist,eine dort genannte Arbeitsbedingung nichtgewährt oder einen Beitrag nicht leistet oder

2. einen Nachunternehmer einsetzt oder zulässt,dass ein Nachunternehmer tätig wird, der entge-gen § 8 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 3, jeweils in Ver-bindung mit einem Tarifvertrag nach den §§ 4bis 6, der nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes fürallgemeinverbindlich erklärt oder durch Rechts-verordnung nach § 7 Abs. 1 erstreckt worden ist,eine dort genannte Arbeitsbedingung nichtgewährt oder einen Beitrag nicht leistet.

(3) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen desAbsatzes 1 Nr. 1 und des Absatzes 2 mit einer Geld-buße bis zu fünfhunderttausend Euro, in den übrigenFällen mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Eurogeahndet werden.

(4) Verwaltungsbehörden im Sinne des § 36 Abs. 1Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sinddie in § 16 genannten Behörden jeweils für ihrenGeschäftsbereich.

(5) Die Geldbußen fließen in die Kasse der Ver-waltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassenhat. Für die Vollstreckung zugunsten der Behördendes Bundes und der unmittelbaren Körperschaften

und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie für dieVollziehung des dinglichen Arrestes nach § 111d derStrafprozessordnung in Verbindung mit § 46 desGesetzes über Ordnungswidrigkeiten durch die in § 16 genannten Behörden gilt das Verwaltungs-Voll-streckungsgesetz. Die nach Satz 1 zuständige Kasseträgt abweichend von § 105 Abs. 2 des Gesetzes überOrdnungswidrigkeiten die notwendigen Auslagen;sie ist auch ersatzpflichtig im Sinne des § 110 Abs. 4des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten.

Das AEntG dient der Durchsetzung von tarifvertrag-lich festgelegten Arbeitsbedingungen, wie beispiels-weise den Mindestentgeltsätzen oder der Dauer vonErholungsurlaub, vgl. im Einzelnen § 5 AEntG.

Nach § 23 AEntG, welcher u. a. auf § 8 AEntG i. V. m dem jeweiligen Tarifvertrag verweist, handeltordnungswidrig, wer die im Tarifvertrag niedergeleg-ten Arbeitsbedingungen nicht gewährt.

Arbeitszeitgesetz (ArbZG)

§ 22 Bußgeldvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer als Arbeitgebervorsätzlich oder fahrlässig 1. entgegen §§ 3, 6 Abs. 2 oder § 21a Abs. 4,

jeweils auch in Verbindung mit § 11 Abs. 2,einen Arbeitnehmer über die Grenzen derArbeitszeit hinaus beschäftigt,

2. entgegen § 4 Ruhepausen nicht, nicht mit dervorgeschriebenen Mindestdauer oder nicht recht-zeitig gewährt,

3. entgegen § 5 Abs. 1 die Mindestruhezeit nichtgewährt oder entgegen § 5 Abs. 2 die Verkür-zung der Ruhezeit durch Verlängerung eineranderen Ruhezeit nicht oder nicht rechtzeitigausgleicht,

4. einer Rechtsverordnung nach § 8 Satz 1, § 13Abs. 1 oder 2 oder § 24 zuwiderhandelt, soweitsie für einen bestimmten Tatbestand auf dieseBußgeldvorschrift verweist,

5. entgegen § 9 Abs. 1 einen Arbeitnehmer anSonn- oder Feiertagen beschäftigt,

6. entgegen § 11 Abs. 1 einen Arbeitnehmer anallen Sonntagen beschäftigt oder entgegen § 11Abs. 3 einen Ersatzruhetag nicht oder nichtrechtzeitig gewährt,

7. einer vollziehbaren Anordnung nach § 13 Abs. 3Nr. 2 zuwiderhandelt,

8. entgegen § 16 Abs. 1 die dort bezeichnete Ausla-ge oder den dort bezeichneten Aushang nichtvornimmt,

9. entgegen § 16 Abs. 2 oder § 21a Abs. 7 Auf-zeichnungen nicht oder nicht richtig erstellt odernicht für die vorgeschriebene Dauer aufbewahrtoder

10. entgegen § 17 Abs. 4 eine Auskunft nicht, nichtrichtig oder nicht vollständig erteilt, Unterlagen

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ARBEITSALLTAG IM SPANNUNGSFELD

nicht oder nicht vollständig vorlegt oder nichteinsendet oder entgegen § 17 Abs. 5 Satz 2 eineMaßnahme nicht gestattet.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen desAbsatzes 1 Nr. 1 bis 7, 9 und 10 mit einer Geldbußebis zu fünfzehntausend Euro, in den Fällen des Absat-zes 1 Nr. 8 mit einer Geldbuße bis zu zweitausend-fünfhundert Euro geahndet werden.

§ 23 Strafvorschriften (1) Wer eine der in § 22 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 5 bis 7bezeichneten Handlungen 1. vorsätzlich begeht und dadurch Gesundheit

oder Arbeitskraft eines Arbeitnehmers gefährdetoder

2. beharrlich wiederholt, wird mit Freiheitsstrafe biszu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 die Gefahrfahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zusechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tages-sätzen bestraft.

Das ArbZG bezweckt, die Sicherheit und denGesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu gewährlei-sten, vgl. § 1 Nr. 1 ArbZG.

Dem Erreichen dieses Ziels dient zunächst die Buß-geldvorschrift des § 22 ArbZG, welche auf diverseVorschriften des ArbZG verweist, die die zulässigeArbeitszeit festlegen und begrenzen. Somit handeltordnungswidrig im Sinne des § 22 ArbZG, wer seineArbeitnehmer über die zulässigen Arbeitszeiten hin-aus beschäftigt.

§ 23 ArbZG stellt darüber hinaus einen wieder-holten Verstoß gegen die gesetzlich vorgeschriebenenArbeits- und Ruhezeiten sowie eine vorsätzliche Wie-derholung und hierdurch eine Gefährdung derGesundheit oder Arbeitskraft des Arbeitnehmersunter Strafe.

Mutterschutzgesetz (MuSchG)

§ 21 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (1) Ordnungswidrig handelt der Arbeitgeber, der vorsätzlich oder fahrlässig 1. den Vorschriften der §§ 3, 4 Abs. 1 bis 3 Satz 1

oder § 6 Abs. 1 bis 3 Satz 1 über die Beschäfti-gungsverbote vor und nach der Entbindung,

2. den Vorschriften des § 7 Abs. 1 Satz 1 oder Abs.2 Satz 2 über die Stillzeit,

3. den Vorschriften des § 8 Abs. 1 oder 3 bis 5 Satz1 über Mehr-, Nacht- oder Sonntagsarbeit,

4. den auf Grund des § 4 Abs. 4 erlassenen Vor-schriften, soweit sie für einen bestimmten Tatbe-stand auf diese Bußgeldvorschrift verweisen,

5. einer vollziehbaren Verfügung der Aufsichts-behörde nach § 2 Abs. 5, § 4 Abs. 5, § 6 Abs. 3Satz 2, § 7 Abs. 3 oder § 8 Abs. 5 Satz 2Halbsatz 1,

6. den Vorschriften des § 5 Abs. 1 Satz 3 über dieBenachrichtigung,

7. der Vorschrift des § 16 Satz 1, auch in Verbin-dung mit Satz 2, über die Freistellung für Unter-suchungen oder

8. den Vorschriften des § 18 über die Auslage desGesetzes oder des § 19 über die Einsicht, Aufbe-wahrung und Vorlage der Unterlagen und überdie Auskunft zuwiderhandelt.

(2) Die Ordnungswidrigkeit nach Absatz 1 Nr. 1 bis5 kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzehntausendEuro, die Ordnungswidrigkeit nach Absatz 1 Nr. 6bis 8 mit einer Geldbuße bis zu zweitausendfünfhun-dert Euro geahndet werden.

(3) Wer vorsätzlich eine der in Absatz 1 Nr. 1 bis5 bezeichneten Handlungen begeht und dadurch dieFrau in ihrer Arbeitskraft oder Gesundheit gefährdet,wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mitGeldstrafe bestraft.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 3 die Gefahrfahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zusechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhun-dertachtzig Tagessätzen bestraft.

§ 21 MuSchG dient dem Schutz von Mutter undKind. Die Norm verweist hierzu auf einzelne Vor-schriften des MuSchG, welche u. a. ein Beschäfti-gungsverbot vor und nach der Entbindung (§ 3, 4, 6MuSchG) und ein Verbot der Mehr-, Nacht- undSonntagsarbeit (§ 8 MuSchG) aussprechen.

Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz(SchwarzArbG)

§ 10 Beschäftigung von Ausländern ohneGenehmigung oder ohne Aufenthaltstitel und zu ungünstigen Arbeitsbedingungen (1) Wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 3 desDritten Buches Sozialgesetzbuch bezeichnete Hand-lung begeht und den Ausländer zu Arbeitsbedingun-gen beschäftigt, die in einem auffälligen Missverhält-nis zu den Arbeitsbedingungen deutscher Arbeitneh-mer und Arbeitnehmerinnen stehen, die die gleicheoder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, wird mitFreiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafebestraft.

(2) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten biszu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt inder Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oderaus grobem Eigennutz handelt.

§ 10a Beschäftigung von Ausländern ohne Aufenthaltstitel, die Opfer von Menschenhandel sind Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geld-strafe wird bestraft, wer entgegen § 4 Absatz 3 Satz2 des Aufenthaltsgesetzes einen Ausländer beschäf-

KircheArbeitsrecht und

192012

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20 AuK 2012

ARBEITSALLTAG IM SPANNUNGSFELD

tigt und hierbei eine Lage ausnutzt, in der sich derAusländer durch eine gegen ihn gerichtete Tat einesDritten nach § 232 oder 233 des Strafgesetzbuchsbefindet.

Zweck des SchwarzArbG ist die Intensivierung derBekämpfung der Schwarzarbeit, § 1 Abs. 1 Schwarz-ArbG.

Doch dienen die §§ 10, 10 a SchwarzArbG dane-ben dem Schutz von Ausländern vor Ausnutzungdurch den Arbeitnehmer. So sind Beschäftigungenausländischer Personen zu Arbeitsbedingungen, diein auffälligem Missverhältnis zu den Arbeitsbedin-gungen deutscher Arbeitnehmer stehen, oderBeschäftigungen von Opfern von Menschenhandelunter Strafe gestellt.

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

§ 119 Straftaten gegen Betriebsverfassungs-organe und ihre Mitglieder (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mitGeldstrafe wird bestraft, wer 1. eine Wahl des Betriebsrats, der Jugend- und Aus-

zubildendenvertretung, der Bordvertretung, desSeebetriebsrats oder der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3oder 5 bezeichneten Vertretungen der Arbeitneh-mer behindert oder durch Zufügung oder Andro-hung von Nachteilen oder durch Gewährungoder Versprechen von Vorteilen beeinflusst,

2. die Tätigkeit des Betriebsrats, des Gesamtbe-triebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Jugend-und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Kon-zern-Jugend- und Auszubildendenvertretung, derBordvertretung, des Seebetriebsrats, der in § 3Abs. 1 bezeichneten Vertretungen der Arbeitneh-mer, der Einigungsstelle, der in § 76 Abs. 8bezeichneten tariflichen Schlichtungsstelle, der in§ 86 bezeichneten betrieblichen Beschwerdestelleoder des Wirtschaftsausschusses behindert oderstört, oder

3. ein Mitglied oder ein Ersatzmitglied des Betriebs-rats, des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbe-triebsrats, der Jugend- und Auszubildendenver-tretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubilden-denvertretung, der Konzern-Jugend- und Auszu-bildendenvertretung, der Bordvertretung, des See-betriebsrats, der in § 3 Abs. 1 bezeichneten Ver-tretungen der Arbeitnehmer, der Einigungsstelle,der in § 76 Abs. 8 bezeichneten Schlichtungsstel-le, der in § 86 bezeichneten betrieblichenBeschwerdestelle oder des Wirtschaftsausschussesum seiner Tätigkeit willen oder eine Auskunfts-person nach § 80 Abs. 2 Satz 3 um ihrer Tätig-keit willen benachteiligt oder begünstigt.

(2) Die Tat wird nur auf Antrag des Betriebsrats, desGesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, derBordvertretung, des Seebetriebsrats, einer der in § 3Abs. 1 bezeichneten Vertretungen der Arbeitnehmer,des Wahlvorstands, des Unternehmers oder einer imBetrieb vertretenen Gewerkschaft verfolgt.

§ 121 Bußgeldvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer eine der in § 90Abs. 1, 2 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 auch in Verbin-dung mit Absatz 3, § 99 Abs. 1, § 106 Abs. 2, § 108Abs. 5, § 110 oder § 111 bezeichneten Aufklärungs-oder Auskunftspflichten nicht, wahrheitswidrig,unvollständig oder verspätet erfüllt.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geld-buße bis zu zehntausend Euro geahndet werden.

Durch die Strafvorschrift des § 119 und die Buß-geldvorschrift des § 121 BetrVG soll sichergestelltwerden, dass der Betriebsrat ungestört seiner Tätig-keit als Arbeitnehmervertretung nachgehen kann.Zudem soll hierdurch die Durchsetzung der Pflichtendes Arbeitnehmers gewährleistet werden.

Dass die dem Schutz der Arbeitnehmer dienendenVorschriften nicht immer Beachtung finden, zeigt deraktuelle Fall der Insolvenz der Wichernstift Altenhil-fe GmbH, bei welcher es sich um eine Tochtergesell-schaft des Vereines Ev.-luth. Wichernstift handelt.Im Rahmen des Insolvenzverfahrens machte hier dermögliche Erwerber der Altenhilfe GmbH, in Perso-nalunion gleichzeitig der Vorstandsvorsitzende desVereins Ev.-luth. Wichernstift, zur Bedingung derRettung der Altenhilfe GmbH, dass der gesamteBetriebsrat sowie deren Vertreter geschlossen ausdem Betrieb ausscheiden. Der Betriebsrat beklagt indiesem Übernahmeverfahren fehlende Unterlagen füreine Sozialauswahl bei den Kündigungen, Hetzkam-pagnen sowie gezielte Falschinformation. Diesesführte in letzter Konsequenz zum geschlossenenRücktritt und Ausscheiden sämtlicher Betriebsrats-mitglieder.

Hier liegen eindeutig Handlungen gemäß §§ 119,121 BetrVG und damit Verstöße gegen den Arbeit-nehmer schützende Vorschriften vor. Die Gewerk-schaft ver.di hat aufgrund dieser Umstände inzwi-schen den Auftrag erteilt, Strafanzeige gegen denehemaligen Altenhilfe-Geschäftsführer und gegenden Vereinsvorstand zu stellen.

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NEUE SEMINARE

in das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes (TV-L undDienstvertragsordnung). (dia-Seminar Nr. 21/2012).

Nicht nur bei Schlecker werden Arbeitsplätze ingroßem Stil abgebaut. So hat ein kleineres Kranken-haus der Diakonie im Herbst 2011 beschlossen, denPersonalbestand um 20 Prozent zu reduzieren. Inzwi-schen hat sich das Haus von jedem fünften Arbeit-nehmer getrennt. Das hat schwerwiegende Folgen für die Entlassenen, aber auch für die, die bleiben,denn die Arbeitsbelastung steigt enorm. Kündigun-gen verhindern – Arbeitsplätze sichern ist deshalbeine wichtige Aufgabe für Mitarbeitervertretungen. Bernhard Baumann-Czichon und Peter Oehne werden vom 7. bis zum 11.5.2012 in FrenswegenAlternativen zur Beendigung von Arbeitsverhältnis-sen aufzeigen. Dabei geht es nicht nur um diebetriebsbedingten Anlässe, sondern z. B. auch umden Umgang mit nicht mehr ganz so fitten Arbeit-nehmern. (dia-Seminar Nr. 24/2012)

Rund drei Viertel der Beschäftigten in Kirche undDiakonie sind Frauen. Doch die Mitarbeitervertre-tungen sind häufig zu weit mehr als der Hälfte mitMännern besetzt. Auch in betrieblichen Führungs-und Leitungspositionen sind Frauen meist unterre-präsentiert und nicht ihrer Qualifikation entspre-chend vertreten.n Was können MAVen und was können Frauen

selbst tun, um diese Situation zu verbessern? Waskönnen wir tun, um Kolleginnen die Mitarbeit inder MAV zu ermöglichen bzw. zu erleichtern?

n Wie können Arbeitsplätze frauen- und familien-freundlich gestaltet werden (Arbeitszeit, Erreich-barkeit, Kinderbetreuung usw.)?

n Welche rechtlichen Instrumente stehen zur Verfü-gung (TzBfG, MuSchG, AGG usw.)? Wie könnenwir diese nutzen? Welche Handlungsmöglichkei-ten bietet das MVG – welche die AVR, DVO usw.?

n Welchen besonderen Beratungsbedarf haben dieKolleginnen in der Einrichtung?

n Wo habe ich evtl. als MAVlerin das Gefühl, alsFrau zu wenig ernst genommen oder gehört zuwerden, sei es innerhalb der MAV, in der Ein-richtung oder vom Arbeitgeber?

Diese Themen werden Gegenstand des Seminars›MAV-Arbeit von und für Frauen‹ sein. Darüber hin-aus werden Annemarie Czichon und Mira Gath-mann Raum bieten, um Situationen zu reflektieren,die von Teilnehmerinnen eingebracht werden, alteund neue Ressourcen (wieder) zu entdecken undHandlungsoptionen zu entwickeln. Sie freuen sichauf interessierte Kolleginnen, die Lust haben, ingeschütztem Rahmen Neues auszuprobieren: KlosterDrübeck, 4. bis 8.6.2012. (dia-Seminar Nr. 26/2012)

Information und Anmeldung: Diakonische ArbeitnehmerInneninitiative e. V.(DIA), Vogelsang 6, 30459 Hannover, Telefon 05 11· 41 0897 50, Telefax 0511·234 40 61,E-Mail [email protected], www.mav-seminare.de

Der Schaden, der entstehen kann, wenn Mitarbeiter-vertreter Entscheidungen ohne die erforderlichenKenntnisse treffen, kann sehr viel größer sein. Semi-nare zu besuchen heißt auch immer, Kontakt zuanderen MAVen zu knüpfen, von den Erfahrungender anderen zu lernen und nicht nur mit Experten,sondern gleichermaßen Betroffenen zu diskutieren.

In den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl der Pfle-gekräfte pro Krankenbett rund halbiert. Die durch-schnittliche Verweildauer ist von etwa drei Wochenauf etwa sieben Tage gesunken. Manche sagen, diePatienten würden blutig entlassen. Die Folge ist einekaum vorstellbare Arbeitsverdichtung. Kein Wunder,dass das Gesundheitswesen die Branche ist, die denmit Abstand größten Anteil von psychisch erkrank-ten (Burnout u. a.) Arbeitnehmern ausweist. DieseEntwicklung ist maßgeblich durch die Einführungder sog. DRGs, der Fallpauschale, beeinflusst. Des-halb kommt der Personalbemessung und der Perso-nalplanung große Bedeutung zu. Die Methoden derPersonalbemessung im Krankenhaus werden vom 11. bis zum 13.4.2012 von Achim Momm und Mich-ael Heinrich in Springe dargestellt, um sie als Instru-ment der strategischen Personalplanung als Aufga-benfeld der Mitarbeitervertretung nutzbar zu machen.(dia-Seminar Nr. 44/2012)

Lange galt das Tarifrecht des öffentlichen Dienstesals Leitwährung für die kirchlichen Arbeitsrechtsre-gelungen. Die Diakonie hat sich inzwischen davonweitgehend verabschiedet – wenngleich es noch dia-konische TV-L-Anwender gibt. Im Bereich der ver-fassten Kirche hingegen wird der Tarifvertrag derLänder (TV-L) mehr oder weniger unverändert ange-wendet. Und manche diakonische Einrichtung hatnoch eine erhebliche Gruppe von Arbeitnehmern, fürdie aus der Zeit vor der Anwendung der Arbeitsver-tragsrichtlinien noch der BAT bzw. seit 2006 der TV-L gilt. In der Zeit vom 7. bis zum 11.5.2012 führenSabine Kaiser und Elke Brukamp-Pals in Frenswegen

Neue Seminare für

Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitervertreter

In dem Maße, in dem die diakonischen und Einrichtungen

der Caritas vor neue Aufgaben und Schwierigkeiten gestellt

werden, verändern sich auch die Aufgaben der Mitarbeiter-

vertretungen. Schulungen und die Teilnahme an Tagungen

und Arbeitskreisen ist für die Arbeit der Mitarbeitervertre-

tung deshalb notwendig – auch wenn die Teilnahme Geld

kostet und immer auch mit Arbeitsbefreiung verbunden ist.

KircheArbeitsrecht und

212012

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22 AuK 2012

REZENS ION

Das staatliche Betriebsverfassungsgesetz findet nach § 118 Abs. 2 BetrVG auf die karitativen und erziehe-rischen Einrichtungen der Kirche keine Anwendun-gen. Und auch die Landespersonalvertretungsgesetzefinden auf die öffentlich-rechtlichen Körperschaftender Kirche(n) (Gemeinden, Kirchenkreise, Landeskir-che) keine Anwendung. Die Nichtanwendung staat-lich geregelter Mitbestimmung ist auch im Lichte derVerfassung keine Selbstverständlichkeit. Denn dieheute von der Kirche beanspruchte Verfassungslageist identisch mit derjenigen der Weimarer Republik.Das bundesdeutsche Grundgesetz verweist in Art. 140GG auf die Kirchenklauseln der Weimarer Reichsver-fassung (Art. 137 WRV). Unter dem Regime derWRV war es noch selbstverständlich, dass kirchlicheBetriebe unter das staatliche Betriebsrätegesetz fielen.Und auch Tarifverträge galten z. B. für die (kirchli-chen) Friedhofsarbeiter. Das Jahr 1954 war dieGeburtsstunde der kircheneigenen Betriebsverfas-sung. Um die Kirchen in der späteren DDR vor staat-lichem Zugriff zu schützen, beanspruchten die Kir-chen in der Bundesrepublik eine neue Form der Auto-nomie – die ihnen auch gewährt wurde. Diese Frei-stellung von staatlich geregelter Betriebsverfassunghat heute mehr Bedeutung denn je, denn die Zahl dervon kirchlichen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitneh-mer ist mit der ›Entfaltung des Sozialstaats‹ geradezuexplodiert. Heute beschäftigen beide christlichen Kir-chen rund 1,3 Mio. Menschen, davon etwa 1,2 Mio.als Arbeitnehmer, also abhängig Beschäftigte. Hinzukommt, dass sich der Charakter kirchlicher Sozialar-beit unter den Bedingungen der ›Ökonomisierung desSozialen‹ ebenso wie der aller anderen Träger sozialerArbeit gewandelt hat: Das wirtschaftliche Überlebender Institution steht im Vordergrund. Die Belange derHilfeempfänger, aber auch der Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer müssen sich dem Machbaren, sollheißen: dem Bezahlbaren unterordnen.

Es ist deshalb geboten, der Frage nachzugehen, obdie Kirchen mit ihrem Mitarbeitervertretungsgesetz(EKD) und der Mitarbeitervertretungsordnung(katholische Kirche) die durch die staatliche Enthalt-samkeit geschaffene Lücke angemessen geschlossenhaben.

Mit seiner im Boorberg-Verlag veröffentlichten undvom Diakonischen Werk der EKD geförderten Dis-sertation hat Schielke im Jahre 2005 eine umfängli-che und detailreiche Untersuchung zum Mitarbeiter-vertretungsgesetz vorgelegt. Er bezeichnet die Arbeitals Rechtsvergleich und verzichtet ausdrücklich aufeinen interdisziplinären Ansatz. Diesem Ansatz fol-gend vergleicht der Autor Struktur des Verfahrens,die Rechtsstellung der betrieblichen Interessenvertre-ter, die Zusammensetzung der betrieblichen Interes-senvertretungen ebenso wie die einzelnen Mitbestim-mungs- und Anhörungsrechte. Diese sorgfältige Dar-stellung ist eine Fundgrube für jeden, der einzelneVorschriften im Wege des Rechtsvergleichs auslegenwill. Zutreffend weist Schielke darauf hin, dass dasMitarbeitervertretungsgesetz aus sich heraus auszu-legen ist. Der Kirchengerichtshof der EKD hat nochdeutlicher formuliert, dass das MVG nicht aus derPerspektive des Betriebsverfassungsgesetzes auszule-gen ist.

Die Eigenständigkeit des Mitarbeitervertretungs-rechts führt Schielke auf das kirchliche Leitbild derDienstgemeinschaft zurück. Dienstgemeinschaft istals theologischer, aber auch als juristischer Begriff zuverstehen, der in der Präambel zum MVG legaldefi-niert ist. Die zentrale Bedeutung dieses Begriffs fürdie Rechtfertigung des eigenen kirchlichen Weges,aber auch für dessen Verständnis, hätte eine grundle-gende Auseinandersetzung erfordert. Immerhin stelltSchielke fest, dass der juristische Begriff der Dienst-gemeinschaft erst ›in der modernen Diskussion umdie Gestaltung der Kirche als Arbeitswelt entwickeltwurde‹1. Er zitiert dann auch (weltliche) Kritiker, diein dem Begriff Dienstgemeinschaft einen ›Kampfbe-griff‹ sehen, mit dem die Kirche Mitbestimmungabzuwehren versucht.2 In seiner ›vermittelndenAnsicht‹ sieht Schielke in der DienstgemeinschaftBegründung und Begrenzung der Mitbestimmung inkirchlichen Betrieben gleichermaßen. Ein solcherBegründungsansatz könnte nur tragen, wenn derBegriff der Dienstgemeinschaft geklärt wäre. Schielke formuliert:

Nachdem das Leitbild der Dienstgemeinschaftauf Gegenseitigkeit und Miteinander beruht,kann aus ihm entnommen werden, dass es demDienstgeber die Verpflichtung auferlegt, dieDienstgemeinschaft nicht als Druckmittelgegenüber berechtigten Interessen des Dienst-nehmers zu missbrauchen, sondern vielmehr aufgrund dieser nach christlichen Werten zu handeln.3

Schielke verwendet hier ein Verständnis von Dienst-gemeinschaft, das weder juristisch hergeleitet nochherleitbar ist. Er postuliert ein friedliches Miteinan-der, ohne deutlich zu machen, wie dieses Miteinan-der angesichts der ökonomischen Bedrohung diako-nischer Betriebe operationalisiert werden kann. Erverharrt damit in einem theologisch begründbaren

Im Spannungsfeld von Grundrechten undKirchenautonomie Mitbestimmung in kirchlichen Betrieben

Kritische Würdigung von Schielkes: Das Mitarbeiter-

vertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland

1 Schielke, S. 92.2 Schielke, S. 92, vgl.Wahsner, Beiträge fürAbendroth, S. 78, 89.

3 Schielke, S. 97.4 KGH-EKD, Beschlussvom 09.10.2006, II-0124/M 35-06.

D e r A u t o r

Bernhard

Baumann-Czichon

Fachanwalt für

Arbeitsrecht, Bremen

[email protected]

V o n B e r n h a r d B a u m a n n - C z i c h o n

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REZENS ION

Wohlverhaltensdenken, das aber als juristische Kate-gorie nicht taugt. Der Kirchengerichtshof hingegenhat (nach Fertigstellung der Arbeit von Schielke) derDienstgemeinschaft Konturen gegeben: das Verbotder ersetzenden Leiharbeit4, die Verpflichtung zurAnwendung des ›Dritten Weges‹5 und die Ausweitungdes Einstellungsbegriffs6. Eine Verpflichtung, wie vonSchielke unterstellt – zu persönlich ›anständigem‹ Ver-halten von Führungskräften –, lässt sich damit nichtbegründen. Er verwendet ungeprüft und möglicher-weise unbewusst ein diffuses Alltagsverständnis derDienstgemeinschaft – und damit ein nicht rationalesVerständnis des Begriffs Dienstgemeinschaft. Damitspiegelt er die betriebliche Praxis wider. Einen wissen-schaftlich vertretbaren Begründungsansatz liefert erdamit nicht. Im Kern verlangt er von diakonischenArbeitgebern nicht mehr als § 106 GewO: DerArbeitgeber muss bei der Ausübung seines Direkti-onsrechts nach billigem Ermessen handeln, darf sichalso nicht ohne jegliche Rechtfertigung über dieBelange der Arbeitnehmer hinwegsetzen. Wenn aberdie Kirche – und mit ihr Schielke – für eine jedermannund damit auch die Kirche treffende Verpflichtungeine andere Begründung (Dienstgemeinschaft) sucht,die zugleich als Begrenzung der Mitbestimmunggenutzt wird, dann belegt Schielke damit die Thesevon Wahsner und anderen, die den Topos der Dienst-gemeinschaft als Kampfbegriff gegen Mitbestim-mungsrechte geißeln. Wer mehr zur Dienstgemein-schaft lesen will, mag sich mit Hirschfeld7 und Lührs8

auseinandersetzen.In seinem Rechtsvergleich kommt Schielke zu dem

Ergebnis, dass die wesentlichen Regelungen desBetrVG und auch der Personalvertretungsgesetze imMitarbeitervertretungsgesetz eine funktionale Ent-sprechung finden. Mitbestimmung heißt sowohl imstaatlichen als auch im kirchlichen Bereich, dass einemitbestimmungspflichtige Maßnahme erst durchge-führt werden darf, wenn die betriebliche Interessen-vertretung zugestimmt hat. Und wiederum finden wirin allen Bereichen ein Instrument zur Konfliktlösung,falls die Mitarbeitervertretung nicht zustimmt. DochSchielke greift entschieden zu kurz, wenn er darausdie Gleichwertigkeit kirchlichen Mitarbeitervertre-tungsrechts mit staatlichem Betriebsverfassungsgesetzherleitet. Er geht der Frage nach der Wirkungsweiseder Konfliktlösungsinstrumente nicht nach, nämlicheinerseits der Einigungsstelle und andererseits derZustimmungsersetzung durch das Kirchengericht. DieEinigungsstelle verfügt über den regelungsbedürftigenGegenstand, z. B. den Dienstplan. Sie ist weder an denAntrag des Arbeitgebers noch des Betriebsratesgebunden. Sie trifft eine Regelung, die sie unterAbwägung der beiderseitigen Interessen für die bestehält. Das Kirchengericht hingegen entscheidet darüber,ob sie die verweigerte Zustimmung ersetzt – ja odernein. Diese binäre Entscheidungssituation lässt esnicht zu, dass das Kirchengericht eine sich zwar vonder Sache her aufdrängende, aber vom Antrag des

Arbeitgebers abweichende Lösung beschließt. DiePraxis zeigt, dass die Mitarbeitervertretung eineMaßnahme des Arbeitgebers dann verhindern kann,wenn sie gegen ein Gesetz verstößt. Eine nur unsin-nige oder nicht bzw. so nicht erforderliche Maß-nahme wird die Mitarbeitervertretung hinnehmenmüssen. Denn das Kirchengericht kann die Arbeitge-berinitiative nicht modifizieren. Ablehnen wird dasKirchengericht einen Antrag dann, wenn es recht-liche Hindernisse sieht. Es ist schon mutig, die Rege-lungen des Mitarbeitervertretungsgesetzes als demBetrVG gleichwertig zu qualifizieren, wenn dem Verhandeln auf Augenhöhe in der Einigungsstelledie bloße Rechtskontrolle durch das Kirchengerichtgegenübersteht. Dem Fazit von Schielke ist entgegenzuhalten:

Zu einem anderen Ergebnis kommt man aller-dings, wenn das kirchliche Mitarbeitervertre-tungsgesetz daraufhin überprüft wird, ob es denAuftrag erfüllt, Grundrechte zu verwirklichen.Insbesondere der Umstand, dass das Mitbestim-mungsrecht in organisatorischen und sozialenAngelegenheiten wegen des Verzichtes auf eineEinigungsstelle zu einer Missbrauchskontrolleherabgestuft wird, hindert die Mitarbeitervertre-tung an einer gleichberechtigten Mitwirkung beider organisatorischen und sozialen Gestaltungdes Betriebes.9

Schielke lässt in seiner Bewertung unberücksichtigt,dass das Mitarbeitervertretungsgesetz den Gewerk-schaften – anders als das BetrVG – keine gesondertenRechte einräumt, z. B. das Recht auf Teilnahme anBetriebsversammlungen. Und er lässt auch unberück-sichtigt, dass die Kirchen den Gewerkschaften dasRecht absprechen, Tarifverträge mit kirchlichenArbeitgebern abzuschließen und auch Mittel desArbeitskampfes einzusetzen.10

Dazu ein letztes Zitat: Denn ohne überbetrieblichen kollektiven Schutzbleibt der einzelne Arbeitnehmer aufgrund seinerstrukturellen Unterlegenheit ein Spielball desArbeitgebers. Gemessen an diesem Maßstab istdas kirchliche Mitarbeitervertretungsrechtungenügend und wird dem Verfassungsanspruchauf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch amArbeitsplatz nicht gerecht.11

5 KGH-EKD, Beschlussvom 26.03.2007, II-0124/M 10-06.

6 KGH-EKD, Beschlussvom 29.01.2007, II-0124/M 38-06.7Hirschfeld, Matthias,Die Dienstgemein-schaft im Arbeitsrechtder evangelischen Kirche.

8 Lührs, Hermann, DieZukunft der Arbeits-rechtlichen Kommissio-nen, S. 155 ff.

9 Baumann-Czichon/Gathmann,Kirchliche Mitbestim-mung im VergleichBetrVG-MVG-EKD-MAVO, Berlin, 2006, S. 57.

10 Vgl. dazu aber dieEntscheidung des LAG Hamm, Urteil vom 13.1.2011.

11 Baumann-Czichon/Gathmnn,a.a.O., S. 58.

Buchcover:Das Mitarbeiter-vertretungsgesetz derEvangelischen Kirche in Deutschland(derzeit nicht lieferbar)

KircheArbeitsrecht und

232012

Page 26: Arbeitsrecht und Kirche - BAUMANN-CZICHON...2012 Kirche Arbeitsrecht und Zeitschrift für Mitarbeitervertretungen 12012 ISSN 161 4-1903 aus dem InhaltK i r c h e A r b e i t s r e

24 AuK 2012

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wird in diesem gut lesbaren Buch dargestellt.

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Nr. 443 n

Deppisch/Jung u. a.:

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wieder- gewählte

MAV-Mitglieder

Das Buch bietet viele

Hinweise für die tägli-

che Arbeit in der MAV

und im Umgang mit Dienststellenleitungen.

Handlich, verständlich und übersichtlich

sowie mit der MVG-EKD-Novelle 2009.

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Sommer 2012

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20112011

Thema

Nr. 144 n SGB – Sozialgesetzbuch

Die Gesetzessammlung mit

sämtlichen 12 Büchern des SGB

(u.a. Ges. Krankenversicherung,

Ges. Rentenversicherung) sowie

dem Pflege-VersicherungsGesetz,

GesundheitsreformGesetz, Gesund-

heitsstrukturGesetz und dem

RentenreformGesetz.

Nr. 1095 n

Nollert-Brasio, Perreng:

Allgemeines

Gleichbehandlungsgesetz

Gut verständlich erläutert der

Basiskommentar die Regelungen des Allgemeinen

Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und seine Folgen

für die betriebliche Praxis. Das Werk bietet Orientie-

rung für die Probleme in der Bewerbungsphase, im

Einstellungsverfahren und des betrieblichen Alltags.

Die 3. Auflage gibt einen umfassenden Überblick

über die neueste Rechtsprechung des EuGH, des

Bundesarbeitsgerichts und der Landesarbeitgerichte.

3. Auflage 2011, 290 Seiten, kartoniert,

Bund Verlag. 29,90 EuroNr. 189 n Ewald Helml:

Arbeitsrecht für Pflegekräfte

Arbeitsrechtliche Fragen gehören zum Alltag der Pflegeberufe. Dieser

Leit faden thematisiert anhand von 100 Beispielen sämt liche Aspekte

rund um das Arbeits- und Dienstrecht sowie um das Haftungsrecht.

1. Auflage 2009, 429 Seiten, Bund-Verlag. 24,90 Euro

41. Auflage 2012, 1.712 Seiten, kartoniert, dtv. 16,90 Euro

Nr. 100 n Kittner:

Arbeits- und Sozialordnung

Erläuterte Gesetzessammlung: ein unent-

behrliches Handbuch. Jedes MAV-Mitglied

hat Anspruch auf 1 Ex. der neuesten

Ausgabe, die jedes Jahr neu erscheint.

36., überarbeitete Auflage 2011, 1.487 Seiten,

kartoniert. Bund-Verlag. 26,90 Euro

Nr. 100 CD n Version 13.0. Bund-Verlag. Abo mit mind.

zwei Updates: 39,90 Euro, ohne Updates: 59,90 Euro

Nr. 018 n Baumann-

Czichon (Hrsg.):

Die EkA. Entschei-

dungsSammlung

zum kirchlichen

Arbeitsrecht.

Neuartiges, wichtiges

Nachschlagewerk für Mitarbeitervertretungen und

Personalabteilungen der verfassten Kirchen, bei

Caritas und Diakonie. Über 300 Entscheidungen,

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gründen nur wenige Titel

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SachBuchService Kellner

St.-Pauli-Deich 3

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Datum/MAV-Unterschrift:Bitte auch in Druckbuchstaben

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Zur Kenntnis genommen:Arbeitgeber:

Bestell-Nr. Titel Preis003 AntiKündigungsBuch 14,90018 EkA. Loseblattwerk mit Ergänzungen 109,90032 MVG-EKD. – Praxiskommentar 44,90048 Weiteres Fehlen wird für Sie Folgen haben 16,90044 MVG-K (Vorbestellung für 2012 möglich) 44,90 051 Leben in kultureller Vielfalt 9,90100 Arbeits- und Sozialordnung. 26,90100 CD Arbeits- und Sozialordnung auf CD-ROM 39,90/59,90144 SGB-Sozialgesetzbuch 16,90189 Arbeitsrecht für Pflegekräfte 24,90225 Die Beteiligungsrechte der MAV im Arbeitsschutz 69,00270 Mutterschutzgesetz 99,00271 Praxishandbuch zum Mitarbeitervertretungsgesetz 59,00273 Arbeitsrecht 19,90295 Gesetze für die Soziale Arbeit 19,90313 Mobbing und psychische Gewalt 16,90333 Freiburger Kommentar MAVO (Abo) 78,00334 Praxishandbuch für MAVen der kath. Kirche 59,00396 Datenschutz in der ev. Kirche 24,00443 Tipps für neu- und wiedergewählte MAV-Mitglieder 19,90538 Die Praxis der MAV von A bis Z 49,90549 Kündigungsschutz mit Nebengesetzen 72,00583 Arbeitsrecht. Handbuch für die Praxis 129,00612 Arbeitsrecht der Caritas 118,00618 CD Richtlinien für AVR. – Caritas auf CD-ROM 29,50731 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst 34,90913 Die Zukunft der Arbeitsrechtlichen Komissionen 49,001095 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 29,90Z-17 CD/1a-abo AuK-CD-ROM (für 1 Arbeitsplatz) Abo-Preis 16,90Z-17 CD/5a AuK-CD-ROM (bis 5 Arbeitsplätze) 49,80Z-17 CD/10a AuK-CD-ROM (bis 10 Arbeitsplätze) 79,80

Z-17 Arbeitsrecht & Kirche. Jahresabo: 4 Ausgaben 50,00

Nr. 225 n Georgi: Die Beteiligungsrechte

der Mitarbeitervertretungen im Arbeitsschutz

Die Autorin erörtert die Rechte und Aufgaben der

Mitarbeitervertretungen der evangelischen und

katholischen Kirchen im Arbeits- und Gesundheits-

schutz und stellt sich dem Spannungsfeld zwischen

europarechtlichen Vorgaben, deutschem Arbeits-

schutzrecht und Kirchenrecht.

Auflage 2008, 315 Seiten,

Softcover, Nomos-Verlag. 69,00 Euro

Nr. 003 n Klaus Kellner:

AntiKündigungsBuch

Kündigungen erfolgreich Verhindern

Ein ›schlitzohriger‹ Ratgeber für MAVen zum

Kündigungsschutz mit 20 wahren Praxisbeispielen

und Original-Dokumenten zu erfolgreich

abgewehrten Kündigungsversuchen.

128 Seiten, A5, Softcover, 4. Auflage 2012. KellnerVerlag. 14,90 Euro

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26 AuK 2012

Schwarze Schafe auch bei der Caritas – Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes mahnt Deutschen Orden zur Einhaltung der AVR

Zum 1.1.2012 erwarb der Deutsche Orden (DO), derüber 70 Einrichtungen in der Altenpflege, Sucht- undBehindertenhilfe unterhält, die Vollmitgliedschaft imDeutschen Caritasverband (DVC). Im Zuge der Ver-handlungen über die Mitgliedschaft räumte der Vorstanddes Deutschen Caritasverbandes dem Deutschen Ordeneine Übergangsfrist von fünf Jahren ein, innerhalb dererer seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den kirch-lichen Tarif hochstufen muss.

Diese Sonderbehandlung stößt innerhalb des Deut-schen Caritasverbandes auf Unmut und Gegenwehr, dennhinreichend bekannt ist, dass der Deutsche Orden Lohn-dumping betreibt. So entlohnt der Orden mehr als zehnProzent seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitunterhalb des AVR-Niveaus. Selbst in Fällen, in denender Deutsche Ordnen durch rechtskräftige Beschlüsse zurEingruppierung entsprechend der AVR-Vergütungsrege-lungen verurteilt wurde, verweigerte dieser eine solcheEingruppierung und riskierte dadurch sogar die Auferle-gung einer Geldbuße und die Veröffentlichung im Amts-blatt (siehe Beschlüsse vom 30.9.2011 und 2.12.2011 desKirchlichen Arbeitsgericht der Erzdiözese Freiburg, inRechtsprechung AuK 4/2011, S. 143/144).

Gegen diese Sonderbehandlung wendete sich nun derVorstand der Mitarbeiterseite der ArbeitsrechtlichenKommission des Deutschen Caritasverbandes in einemoffenen Brief an den Deutschen Orden mit der Forderung,die AVR vollumfänglich in allen Einrichtungen des Deut-schen Ordens ab dem 1.1.2012 anzuwenden. Abwei-chungen von den AVR seien nur durch Beschlüsse derArbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritas-verbandes (AK) bzw. einer ihrer Unterkommissionenmöglich. Dem Vorstand des Deutschen Caritasverbandes(DC) stehe es arbeitsrechtlich nicht zu, den DeutschenOrden für fünf Jahre trotz Mitgliedschaft im DC von dervollständigen Anwendung der AVR freizustellen. Ledig-lich dort, wo aus wirtschaftlichen Gründen die Anwen-dung der AVR nicht möglich sei, hätten die Einrichtungendas Recht, einen Antrag gemäß § 11 AK-Ordnung an diezuständige Regionalkommission der AK zu stellen.

www.caritas.de/fuerprofis/presse/pressemeldungen/

deutscherordenwirdmitglieddesdeutschenca;www.akmas.de

Aktuell

!?

AKTUELLE MELDUNGEN

Diakonische Altenhilfeeinrichtung in Lilienthalgehört nicht mehr zur Diakonie

Nachdem bereits im Dezember letzten Jahres dasDiakonische Werk der Ev.-luth. Landeskirche Hanno-vers das in Ganderkesee tätige Wichernstift wegen Missachtung des kirchlichen Arbeitsrechts ausgeschlos-sen hat, verlässt nun auch die Diakonische AltenhilfeLilienthal die Diakonie.

Um Personalkosten zu sparen, hatte die DiakonischeAltenhilfe in Lilienthal bereits vor Jahren die Leihar-beitsfirma Dialogistik gegründet. Inzwischen sind fastalle Mitarbeiter/-innen in dieser Leiharbeitsfirma, dienach dem Tarif des Bundesverbands Zeitarbeit vergütetund damit rund 20 Prozent weniger Lohn als die Dia-konie zahlt, beschäftigt. Damit agiert die Einrichtungbereits seit Jahren entgegen den kirchenrechtlichen Vor-gaben, was die Nutzung von Leiharbeitnehmern und dieEinhaltung des Tarifgefüges der Diakonie anbelangt.

Bemühungen der Diakonie, die Altenhilfe in Lilien-thal wieder in das Tarifgefüge der Diakonie zurückzu-führen, scheiterten. So entschloss sich nunmehr dieGeschäftsführung, den Bereich der Diakonischen Alten-hilfe Lilienthal zu privatisieren. Die Leiharbeitsfirmawerde aufgelöst und die dort beschäftigten Mitarbeiterzu den bisherigen Konditionen übernommen. Es machekeinen Spaß, Mitarbeitern, die hervorragende Arbeitleisteten, weniger zu zahlen als den Kirchentarif, so derGeschäftsführer Hans Mencke. Allerdings sei insbeson-dere im Bereich Altenpflege aufgrund der Refinanzie-rung eine höhere Entlohnung nicht möglich.

Das Diakonische Werk der Landeskirche Hannoversbedauert die Entscheidung der Altenhilfe Lilienthal,nicht ins Tarifgefüge der Diakonie zurückzukehren undstattdessen den Weg der Privatisierung zu gehen. DiesesBeispiel mache die gegenwärtige schwierige Entgeltsi-tuation in der Altenhilfe deutlich, so der stellvertretendeDirektor des Diakonischen Werkes der Ev.-luth. Lan-deskirche Hannovers, Dr. Jörg Antoine. Die Diakonieliege in Niedersachsen mit ihren Löhnen zehn bis 30Prozent über denen der anderen Wohlfahrtsverbändeund den in der Altenhilfe weitgehend tariffreien priva-ten Trägern.

epd Sozial, Nr. 2 S. 17; www.diakonie-hannovers.de/pages/presse/

pressemitteilungen/subpages/altenhilfe_lilienthal_verlässt_das_diakonische_werk_

hannovers/index.html

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AGAPLESION und proDIAKO fusionierenSeit Ende November 2011 führten der christliche

Gesundheitskonzern AGAPLESION und das diakoni-sche Krankenhaus- und Pflegedienstleistungsunterneh-men proDIAKO Gespräche über eine mögliche Zusam-menarbeit. Mitte Februar 2012 beschlossen nun beideTräger, durch gesellschaftsrechtliche Fusion ihre Ein-richtungen in eine gemeinsame Konzernstruktur einzu-bringen. Dabei wird die proDIAKO künftig unter demDach der AGAPLESION geführt.

Bei den beiden Unternehmen handelt es sich um zweiungleichgroße Partner. Zu der AGAPLESION, einergemeinnützigen Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurtam Main, gehören bundesweit 80 Einrichtungen, dar-unter 22 Krankenhäuser sowie 32 Wohn- und Pflege-einrichtungen. Insgesamt zählt die AGAPLESION über12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; in den rund5.000 Krankenhausbetten werden über 280.000 Patien-ten versorgt. Die Wohn- und Pflegeeinrichtungen verfü-gen über rund 2.800 Plätze in der Pflege und zusätzliche800 betreute Wohnungen. Der Jahresumsatz wird mit620 Millionenen Euro angegeben.

Die proDIAKO gemeinnützige GmbH mit Sitz inRotenburg (Wümme) dahingegen ist noch nicht einmalhalb so groß wie der Konzernriese AGAPLESION. DieproDIAKO ist ein diakonisches gemeinnütziges Kran-kenhausunternehmen in Niedersachsen. Unter ihremDach arbeiten zehn Krankenhäuser, acht stationäre undvier ambulante Pflegeeinrichtungen sowie zwei Reha-Einrichtungen. Die proDIAKO versorgt in den Kran-kenhäusern mit ca. 2.300 Betten pro Jahr etwa 100.000stationäre Patientinnen und Patienten. Der Jahresum-satz wird mit 330 Millionen Euro angegeben.

Vor dem Hintergrund immer schwieriger werdenderRahmenbedingungen und dem zunehmenden Wettbe-werb für Krankenhäuser und Pflegeinrichtungen seiman überzeugt, dass dieser Schritt dazu beitragen wer-de, die in der proDIAKO vereinten Häuser zu stärken,erklärten die proDIAKO -Geschäftsführer Heinz Köl-king und Michael Schwekendiek.

Darüber hinaus betonte der Vorstandsvorsitzendeder AGAPLESION, Bernd Weber, als diakonische Trä-ger von Gesundheitseinrichtungen sei es ihre Aufgabe,christliche Unternehmen mit dem ihnen eigenen Profilzu stärken und damit neben der Arbeitsplatzerhaltungund -sicherung Diakonie und Kirche weiterhin in derGesellschaft wahrnehmbar zu erhalten.

(Schaumburger-Zeitung, 17.2.2012; www.prodiako.de/aktuelles/news/

detailansicht/agaplesion-und-prodiako-unterzeichnen-letter-of-intend.html)

AKTUELLE MELDUNGEN

!?

Nach Arbeitskampfmaßnahmen gilt im AGAPLESION Diakonieklinikum Hamburg nun der Kirchliche Tarifvertrag Diakonie (KTD)

Nach vielen Arbeitskampfmaßnahmen und juristi-schen Auseinandersetzungen erklärte das AGAPLESI-ON Diakonieklinikum Hamburg seinen Beitritt zum Arbeitgeberverband vkda und damit zum Kirchli-chen Tarifvertrag Diakonie (KTD). Damit erhalten dieBeschäftigten im DKH endlich annähernd das Gehalt,das in den anderen Hamburger Krankhäusern oder imTVöD gezahlt wird. Dies bedeutet für den einzelnenBeschäftigten unter Umständen zwischen 150 und 500Euro mehr im Monat. Darüber hinaus wird im DKHeine betriebliche Altersversorgung für alle eingeführtund die 38,5-Stunden-Woche beibehalten. ver.di äußertesich sehr positiv über das Ergebnis: Trotz aufgeladenerArbeitskampfmaßnahmen und juristischer Auseinander-setzungen sei man zu einer Tarifpartnerschaft gelangt.Dies solle ein Zeichen für alle anderen diakonischenArbeitgeber sein. Diese sollten sich von denAVR.DW.EKD verabschieden und endlich ebenfallseinen Tarifvertrag mit ver.di abschließen.

Kirchen.info Nr. 17, S. 13

AWO fordert einen allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrag Soziales

Arbeiterwohlfahrt (AWO) und Arbeitgeberverbandder AWO haben eine Initiative für einen allgemeinver-bindlichen Entgelttarifvertrag Soziales beschlossen. DerWettbewerb in der Sozialbranche dürfe nicht über Nied-riglöhne geführt werden. Lohndumping und ruinöserPreiswettbewerb gingen zu Lasten der Qualität. SozialeArbeit müsse aufgewertet werden, ein allgemeingültigerTarifvertrag sei hierfür das beste Mittel, so erklärte derBundesvorsitzende Wolfgang Stadler. Die AWO wolleeine Vorreiterrolle bei der Entwicklung und Umsetzungeines allgemeinverbindlichen Entgelttarifvertrages über-nehmen.

www.awo-obb.de/aktuelles/newsdetails/awo-fuer-

allgemeinverbindlichenbranchentarifvertrag-soziales.de

KircheArbeitsrecht und

272012

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28 AuK 2012

Der Dritte Weg in der Krise

1. Die Kirchen und ihre Einrichtungen befinden sichgegenwärtig in einem permanenten Prozess struk-tureller Unterfinanzierung, der sowohl die Qua-lität als auch die Qualifikation ihrer Arbeit fürandere i. S. d. Leitbilds einer christlichen Dienst-gemeinschaft bedroht.

2. Der Dritte Weg der Kirchen und ihrer Einrichtun-gen zur überbetrieblichen Gestaltung der Arbeits-bedingungen droht ohne weiteres Zutun derBeteiligten zu scheitern, weil er nicht in der Lagezu sein scheint, ein den wirtschaftlichen undsozialen Besonderheiten von Pflege und Betreuunghilfebedürftiger Menschen gerecht werdendesTarifwerk zu schaffen.

3. Grund ist eine sich immer weiter öffnende Scherezwischen Refinanzierungsmöglichkeiten undKosten, bei personalintensiven Pflegeinrichtungenvor allem der Personalkosten. Die Steigerungsratedieser Kosten wird schon seit Jahren nicht mehrvon den Steigerungsraten der Pflegesätze aufge-fangen. Diese – zwischen den Bundesländernunterschiedlichen – immer weiter eingeschränktenRefinanzierungsmöglichkeiten konnten zwar zuBeginn – etwa ab 1995 – positive Auswirkungenauf den Wettbewerb im Sozial- und Gesundheits-markt zeitigen, wirken sich heute aber immerstärker zu Lasten der Klientel aus und bedrohenim Rahmen marktradikaler Ökonomisierungsowohl die Arbeitsbedingungen der Beschäftigtenals auch das christliche Selbstverständnis.

4. Ein wichtiges Teilstück in diesem Prozess ist dieangemessene, d. h. für beide Seiten – Arbeitneh-mer (Dienstnehmer) wie Arbeitgeber (Dienstge-ber) – auskömmliche Gestaltung der Arbeitsbe-dingungen, an denen – zumal in Einrichtungenmit einem Personalkostenanteil von 70 bis 80Prozent – Qualität und Qualifikation der Arbeit,insbesondere auch die Gewinnung ausreichenden

und ausreichend qualifizierten Nachwuchses,maßgeblich ›hängen‹.

5. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhangstellt, lautet daher: Ist der Dritte Weg, so wie wir ihn heute vorfinden, praktisch – nicht nurgrundsätzlich oder theoretisch – geeignet, unterden gegebenen Bedingungen die erforderlicheQualität und Qualifikation der Arbeit für andere– nicht zuletzt auch im Sinne christlicher Nächs-tenliebe – zu sichern und insoweit angemesseneArbeitsbedingungen für die Beschäftigten zugarantieren?

Der Mangel materieller Parität als Ursache der Krise

6. Grund für die gegenwärtigen Probleme des Drit-ten Weges ist – neben allen Querelen, gegenseiti-gen Schuldvorwürfen und Einzelaktionen, diesich als Elemente der Umsetzung seines drohen-den Scheiterns interpretieren lassen – die fehlen-de materielle Parität von Dienstnehmer-(Arbeit-nehmer-) und Dienstgeber-(Arbeitgeber-)Seite inden Arbeitsrechtlichen Kommissionen (ARK).

7 Parität ist Voraussetzung dafür, dass – in denWorten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)– das strukturelle Übergewicht der Arbeitgeber-seite auf der Ebene des Einzelarbeitsvertragsdurch Verhandlungen und Vertragsabschlüsse aufkollektiver Ebene kompensiert wird.

8. Wenn immer wieder die Forderung nach Aus-handlung von Arbeitsbedingungen ›auf Augen-höhe‹ gefordert wird, ist damit nichts anderesgemeint als materielle Parität.

9. Materielle Parität ist von der formellen zu unter-scheiden. Formelle Parität – gleiche Anzahl vonArbeitnehmer-(Dienstnehmer-)Vertretern undArbeitgeber-(Dienstgeber-)Vertretern in den ARK,ohne dass sich eine Seite gegen die andere miteigener Mehrheit durchsetzen kann – und mate-rielle Parität können einander nicht ersetzen unddürfen nicht miteinander gleichgesetzt werden.

10. Parität in Arbeitsbeziehungen ist objektivschwer bestimmbar. In der Regel wird es zurBestimmung der Parität darauf ankommen, dassdie Beteiligten das Verfahren der ARK subjektivals paritätisch empfinden und definieren. Das ist nur materiell – inhaltlich – nicht formell –quantitativ – möglich. Die einzige quantitativeMessgröße in diesem Zusammenhang ist dasEinkommen. Geld allein generiert aber nicht –subjektive – Arbeitszufriedenheit. Materielle undformelle sowie subjektive und objektive Paritätstehen in einem komplexen Beziehungs- bzw.Bedingungsgeflecht.

11. Subjektiv empfundene Parität ist stets interessen-gebunden aus Sicht der jeweiligen Beteiligten,was im Arbeitsleben, auch kirchlicher Einrich-tungen, zur Folge hat, dass die Sichtweise

HAT DER DRITTE WEG NOCH EINE ZUKUNFT?

Hat der Dritte Weg

noch eine Zukunft? 25 Thesen1

Dass in kirchlichen Einrichtungen der ›Dritte Weg‹ teilweise

nicht mehr beschritten wird, ist schon lange kein Geheimnis

mehr. Wie man aber auf diese ›schwarzen Schafe‹ reagiert,

darüber besteht Uneinigkeit – genauso wie darüber, wer in

welcher Form auf diese Verstöße reagieren darf.

V o n P r o f . D r . U l r i c h H a m m e r

1 Leicht überarbeiteteFassung als Grundlageeines Vortrags, den derAutor am 19.01.2012 inder FH der Diakoniezum gleichen Themagehalten hat.

D e r A u t o r

Prof. Dr.

Ulrich Hammer

Rechtsanwalt

[email protected]

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HAT DER DRITTE WEG NOCH EINE ZUKUNFT?

arbeitsrechtlicher Parität von Arbeitnehmer- bzw.Dienstnehmerseite sowie Arbeitgeber- bzw.Dienstgeberseite – gelinde ausgedrückt – ›unter-schiedlich‹, im Extremfall sogar diametralgegensätzlich sein kann.

12. Ohne hinreichend objektive Grundlagen ist sub-jektive Parität nicht denkbar. Jede allein objektiveBestimmung von Parität wird von den Beteiligtenjedoch als Fremdbestimmung und als direkt gegenihre Freiheit im Arbeitsleben gerichtet empfunden.Zur Sicherung arbeitsrechtlicher Parität bedarf esdaher größtmöglicher Beteiligung aller Betroffe-nen an der Aushandlung von Arbeitsbedingungensowie demokratischer Legitimation von Verhand-lungskommissionen auf beiden Seiten – Arbeit-nehmer- bzw. Dienstnehmer- sowie Arbeitgeber-bzw. Dienstgeberseite.

13. Ausschlaggebend für die Annahme von Paritätim objektiven wie subjektiven Sinne ist die mate-rielle Parität, auch wenn sie ohne formelle nichtvorstellbar ist. Die eine mag Bedingung – im Sin-ne einer condicio sine qua non – für die andereund umgekehrt sein. Nicht ausreichend ist – washier deutlich entgegen eines Teils der herrschen-den Lehre im kirchlichen Arbeitsrecht festgehal-ten werden muss – die bloß formelle Parität.

3. Weg und Tarifvertragssystem im Vergleich

14. Die größte Vermutung formeller und materiellerParität hat – trotz aller Kritik, die immer wieder,ob zu Recht oder zu Unrecht geübt wird – dasTarifvertragssystem, weil es in der deutschenGeschichte – bis ins Mittelalter hinein – fest ver-ankert, in seiner aktuellen Erscheinungsform fast150 Jahre alt und damit – wie die Juristen sagen –›historisch überkommen‹ ist. Mit ihm liegen diemeisten positiven Erfahrungen sowohl der Arbeit-nehmer- als auch der Arbeitgeberseite – insbeson-dere auch im internationalen Vergleich – vor.Demgegenüber ist der Dritte Weg erst gut 30 Jah-re alt. Seine paritätische Wirkung war vonAnfang an m. o. w. heftig umstritten, währenddie anfängliche Vermutung zugunsten seiner – im Vergleich zum Tarifvertragssystem – größerenParität und demokratischen Legitimation schwindet.

15. Kern der materiellen Parität sind im Wesentli-chen zwei Dinge:

a.) Erstens: Die Sicherung der Qualifikation der Ver-handlungsführer auf beiden Seiten, insbesondere aberauf Arbeitnehmerseite, wo sie aus naheliegendenGründen eher ›prekär‹ ist, sowie die Sicherung derQualität der Verhandlungen. n Für beides stehen im Tarifvertragssystem traditio-

nell die Gewerkschaften bzw. Berufsverbände, dieihre Verhandlungsführer schulen und mit qualifi-

zierten Stäben bei den Verhandlungen unter-stützen.

n Das ist im Dritten Weg nicht anders. Wenn derDritte Weg funktionieren soll, müssen sich dieKirchen und ihre Einrichtungen auf die Gewerk-schaften und Berufsverbände der kirchlichenBeschäftigten einlassen und dürfen nicht – wiegegenwärtig noch – versuchen, sie aus ihren Ein-richtungen herauszuhalten oder gar herauszu-drängen (Beispiel: Verbot von Wahllisten derGewerkschaften und Berufsverbände durchMVG2 und MAVO3).

b.) Zweitens: Die demokratische Legitimation derVerhandlungsführer. Sie stand als Postulat amBeginn des Dritten Weges, weil dieser nach kirchli-chem und christlichem Selbstverständnis eine höheredemokratische Legitimation gewährleisten sollte alsdas Tarifvertragssystem (durch Urwahl bzw. Stufen-wahl der Mitarbeitervertretungen von unten nachoben).n In der Praxis des Dritten Weges hat sich diese

Erwartung an den Dritten Weg jedoch nichtumsetzen lassen (Beispiel Neuregelung desARRGD vom 11.10.2011: Bei Nichtbeteiligungvon Mitarbeitervertretungen wegen Ablehnungdes Dritten Weges fallen deren Sitze an die betei-ligten Mitarbeitervertretungen, die aber – soweitersichtlich – derzeit in der Minderheit sind).

n Zudem hat sich der Dritte Weg für viele kirchli-che Einrichtungen als – im Verhältnis zu den ansie gestellten wirtschaftlichen und sozialenAnforderungen – zu unflexibel gezeigt. Es sindnicht nur Beschäftigte, Mitarbeitervertretungensowie Berufsverbände und Gewerkschaften, dieheute den Dritten Weg in Frage stellen, sondernauch Kirchen und viele kirchliche Einrichtungen.

16. Die demokratische Legitimität des Dritten Weges wird sich nur im Konsens zwischenArbeitnehmer-(Dienstnehmer-) und Arbeitgeber-(Dienstgeber-)Seite sichern lassen, und zwarindem die grundsätzliche Akzeptanz des DrittenWeges auch durch die Arbeitnehmer-(Dienst-nehmer-)Seite hergestellt bzw. wieder hergestelltwird. Gelingt das nicht, wird der Dritte Weg –nicht als solcher, wohl aber als Alternative zumTarifvertragssystem – scheitern.

17. Im Tarifvertragssystem ist die demokratischeLegitimität und mit ihm die materielle Paritätdurch Beteiligung der Gewerkschaften bzw.Berufsverbände gesichert sowie dadurch, dassdas Tarifvertragssystem Teil und Zentrum einesumfassenderen Systems der sozialen Demokratiemit dem Ziel größtmöglicher Freiheitssicherungim Rahmen des Unternehmenszwecks auch fürMitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist.

18. Durch die fachliche Kompetenz – persönlicheQualifikation, Verhandlungserfahrung, Rückbin-

2 Mitarbeitervertretungs-gesetz (ev. Kirchen).

3 Mitarbeitervertretungs-ordnung (kath. Kirche).

KircheArbeitsrecht und

292012

Page 32: Arbeitsrecht und Kirche - BAUMANN-CZICHON...2012 Kirche Arbeitsrecht und Zeitschrift für Mitarbeitervertretungen 12012 ISSN 161 4-1903 aus dem InhaltK i r c h e A r b e i t s r e

30 AuK 2012

HAT DER DRITTE WEG NOCH EINE ZUKUNFT?

22. Der Dritte Weg als arbeitsrechtliche Besonder-heit der Kirchen und ihrer Einrichtungen hat niemals eigenständig, sondern nur im Zusam-menhang, Kontext und Zusammenwirken mitdem Tarifvertragssystem funktioniert. Insbeson-dere wurde er durch die so genannte BAT-Auto-matik gestützt, die es den ARK ermöglicht hat,die materielle Parität des Tarifvertragssystems fürden Dritten Weg gleichsam zu ›beleihen‹. Mit derdurch strukturelle Unterfinanzierung, Abschaf-fung des BAT sowie Entstehung des TVöDbegünstigten, teilweise auch erzwungenen,Abkopplung kirchlicher Einrichtungen vom BATstellt sich deshalb zwangsläufig die Frage nachder materiellen Parität des Dritten Weges neu.

23. Mit der Abkopplung von ›fremden‹, nichtkirch-lichen Tarifverträgen ist der Dritte Weg gezwun-gen, (mindestens) die im Tarifvertragssystembeschlossene materielle Parität aus eigener Kraftzu generieren. Wie es scheint, ist er dazu nachsubjektiver Auffassung der Beteiligten nicht,zumindest nicht ohne weiteres in der Lage. Dasspricht für eine Verbindung von Drittem Wegund Tarifvertragssystem.

24. Der Dritte Weg kann mittel- und langfristigmaterielle Parität zwischen Dienstnehmer- undDienstgeberseite nur sichern, indem er sich demTarifvertragssystem öffnet und insbesondere diedarin wirkende fachliche Kompetenz sowiedemokratische Legitimität mit seiner eigenen verbindet und beide optimiert. Nur auf dieseWeise wird sich für kirchliche Einrichtungen das Postulat des Bundesverfassungsgerichts (und desEGMR) verwirklichen lassen, in vollem Umfangstaatliches Arbeitsrecht anzuwenden, aberzugleich die christliche Dienstgemeinschaft alsUnternehmensleitbild zu bewahren.

25. Wie die Verbindung zwischen Drittem Weg undTarifvertragssystem im Einzelnen aussehen kannund wird – integriertes Tarif- und Kommissions-modell, koordiniertes Nebeneinander von Tarif-vertragssystem und Drittem Weg, so genannteKirchengemäße Tarifverträge, Dominanz derTarifvertragsparteien im Dritten Weg, Tarifver-träge als Referenzsystem für ARK-Beschlüsseusw. –, ist derzeit offen und muss zwischen denBeteiligten verhandelt werden. Der Weg der nor-delbischen und berlin-brandenburgischen Kircheist hierfür nur ein Beispiel, aber kein die weiteSkala der Möglichkeiten abschließendes Modell.

dung an die betroffenen Beschäftigten usw. – derim Tarifvertragssystem auf Arbeitnehmerseitemaßgeblichen Gewerkschaften bzw. Berufsver-bände, durch ihre – von den Zivilgerichten trotzFehlens eines so genannten Verbändegesetzespeinlich überwachte – demokratische Binnen-struktur sowie durch die unmittelbare BeteiligungBetroffener an Tarifverhandlungen (Tarifkommis-sionen) usw. ist die demokratische Legitimationdes Tarifvertragssystems dem Dritten Weg derzeit(m. o. w. weit, je nach Geschmack) überlegen.

Die Zukunft des Dritten Weges

19. Die Kirchen und ihre Einrichtungen haben das –europaweit akzeptierte – Recht, am Dritten Wegals besondere kirchliche Einrichtung des partner-schaftlichen Zusammenwirkens von Dienstneh-mern und Dienstgebern unter dem (Unterneh-mens-)Leitbild der christlichen Dienstgemein-schaft bei der überbetrieblichen Gestaltung derArbeitsbedingungen festzuhalten. Gleichwohlwird es zukünftig (mehr) Tarifverträge in derDiakonie geben. Auch Arbeitsniederlegungenwerden – voraussichtlich – kein absolutes Tabumehr sein. Rechtlich entscheiden hierüber wird –wahrscheinlich noch 2012 – das Bundesarbeits-gericht. Danach können von jedem Beteiligtennoch das Bundesverfassungsgericht und schließ-lich der Europäische Gerichtshof für Menschen-rechte angerufen werden. Zeitlich betrachtetkann dieser Prozess etwa noch vier bis sechs Jahre dauern.

20. Wollen die Kirchen und ihre Einrichtungen amDritten Weg festhalten, stellt sich die Frage, wiesich die fachliche Qualifikation und Qualitätsowie demokratische Legitimation sowohl derDienstgeber- als auch der Dienstnehmerseitesichern lässt. Das geht nicht gegen die Beschäftig-ten, sondern nur mit ihnen.

21. Zudem geht es, so wie die Dinge stehen und sichin der Vergangenheit entwickelt haben, nur imEinklang mit und nicht unter Abgrenzung vomTarifvertragssystem einschließlich der Gewerk-schaften bzw. Berufsverbände, insbesonderewegen deren historisch festen Verwurzelung imTarifvertragssystem, aber auch wegen starkerAblehnung des Dritten Weges durch eine derzeit– wie es scheint – beachtliche Mehrheit aktiverMitarbeitervertretungen.

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RECHTSPRECHUNG

Keine Streichung von Weihnachtsgeld (AVR-

Caritas) durch Beschlüsse von Unterkom-

missionen oder Regionalkommissionen

Ein sich aus der Anlage 1 XIV zu den AVR (Caritas) ergebender Anspruch auf

Weihnachtszuwendung kann nicht durch Beschlüsse von Unterkommissionen oder

Regionalkommissionen rechtswirksam ausgeschlossen werden, wenn

1. in den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen AVR selbst weder eine Regelung

zur Reduzierung der Weihnachtszuwendung auf null noch eine Öffnungsklausel zur

Abweichung von den Regelungen der AVR, bezogen auf einzelne Einrichtungen,

enthalten ist und

2. es an einer Bezugnahmeklausel fehlt, welche die Regelungen, die die Unter- und

Regionalkommissionen aufgrund ihrer Ordnungen beschließen, wirksam einbezieht.

(nichtamtlicher Leitsatz)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf

Urteil vom 02. März 2011 Az.: 7Sa 141/10, Vorinstanz: Arbeitsgericht Duisburg 2 Ca 324/09

L e i t s a t z :

Sachverhalt: Der Kläger ist bei der Beklagten, einem

katholischen Krankenhaus, seit 1980 alsApothekerassistent beschäftigt. Er macht mitseiner Klage einen Anspruch auf Weih-nachtsgeld für die Jahre 2007 und 2008geltend. Aufgrund § 2 des geschlossenenDienstvertrages gelten für das Dienstverhält-nis die ›Richtlinien für Arbeitsverträge in denEinrichtungen des Deutschen Caritasverban-des‹ (AVR) in der zur Zeit des Vertragsab-schlusses in der ›Caritas-Korrespondenz‹ ver-öffentlichten und im Amtsblatt des Orts-bistums in Kraft gesetzten Fassung. BeiÄnderungen der AVR gilt jeweils die in der›Caritas-Korrespondenz‹ veröffentlichte unddie im Amtsblatt des Ortsbistums in Kraftgesetzte Fassung, ohne dass es einer weite-ren Vereinbarung bedarf. Gemäß Anlage 1 XIV der AVR erhält

der Mitarbeiter unter den dort festgelegtenVoraussetzungen, die der Kläger unstreitigerfüllt, jährlich eine Weihnachtszuwendung.Bis 2005 sah eine Öffnungsklausel in denAVR die Möglichkeit vor, dass durchAbschluss einer Dienstvereinbarung zwischenDienstgeber und Mitarbeitervertretung fürEinrichtungen, die sich in einer wirtschaftli-chen Notlage befanden, Arbeitsentgeltereduziert werden konnten. Die AVR selbstenthalten darüber hinaus keine Regelung zurReduzierung der Weihnachtszuwendung. Für die Jahre 2007 und 2008 beschlossendie von der Arbeitsrechtlichen Kommissioneingerichteten Unterkommission sowie die Regionalkommission aufgrund der

jeweils geltenden Regelungswerke, der Unterkommission-Ordnung (UK-Ordnung)und der Regionalkommission-Ordnung (RK-Ordnung), dass die Beklagte für die o. g. Jahre kein Weihnachtsgeld zahlenmusste.Der Kläger vertritt die Auffassung, die

Beschlüsse der Unterkommission sowie derRegionalkommission seien unwirksam. DieAVR beinhaltete keinerlei Absenkungsmög-lichkeit und die Beschlüsse seien außerdemnicht wie gefordert im Amtsblatt bzw. in derCaritas-Zeitschrift veröffentlich worden.Das Arbeitsgericht hat der Klage statt-

gegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklag-te beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt. Die Beklagte vertritt die Auffassung,

dass die AK-Ordnung bzw. die UK-Ordnungauf das Dienstverhältnis Anwendung finden.Es sei aufgrund der Besonderheit des kirchlichen Arbeitsrechts selbstverständlich,dass nicht nur die AVR selbst und in stati-scher Fassung, sondern darüber hinaus auchalle sonstigen mit den AVR verbunden Verfahrensregeln und materiellen Regelun-gen Anwendung fänden.

Aus den Gründen: Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach

dem Wert des Beschwerdegegenstandeszulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- undfristgerecht eingelegte und begründete Beru-fung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGGi. V. m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das

Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht statt-gegeben. Dabei kann letztlich dahinstehen,ob die in der arbeitsvertraglichen Bezugnah-meklausel vorgesehene Veröffentlichung inder Zeitschrift ›neue caritas‹ konstitutive odernur deklaratorische Wirkung hat, denn nachder streitgegenständlichen Bezugnahmeklau-sel findet die Übertragung der Entscheidungüber Absenkungsanträge auf die Unterkom-mission in der UK-Ordnung bzw. auf dieRegionalkommission in der AK-Ordnung nachAuffassung der Berufungskammer auf dasArbeitsverhältnis des Klägers keine Anwen-dung mit der Folge, dass die von diesenKommissionen gefassten Beschlüsse den sichzu Gunsten des Klägers aus den AVR erge-benden Anspruch auf die Weihnachtszuwen-dung für die Jahre 2007 und 2008 nichtrechtswirksam ausschließen können. Diesergibt sich aus einer Auslegung der Bezug-nahmeklausel.Im Rahmen der Auslegung ist zu klären,

ob die streitgegenständliche Bezugnahme-klausel auch eine Regelung in der UK-Ord-nung bzw. AK-Ordnung einbezieht, die denAnspruch auf eine sich aus der Anlage 1 XIVzu den AVR ergebende Weihnachtszuwen-dung ausschließt, obwohl in den arbeitsver-traglich in Bezug genommenen AVR selbstweder eine Regelung zur Reduzierung derWeihnachtszuwendung auf null noch eineÖffnungsklausel zur Abweichung von denRegelungen der AVR, bezogen auf einzelneEinrichtungen, enthalten ist. Eine einrich-tungsspezifische Regelung mit einer Reduzie-rungsmöglichkeit für die Weihnachtszuwen-dung auf null ergibt sich nur noch aus denOrdnungen, nachdem die seinerzeit befristetin den AVR enthaltene Öffnungsklausel fürDienstvereinbarungen ersatzlos erloschen ist.In Kraft gesetzt und im Amtsblatt veröffent-licht wurden sodann Beschlüsse der Kommis-sionen, die auf der Rechtsgrundlage der Ord-nungen basieren. Fraglich ist, ob darin – wiedurch die Bezugnahmeklausel arbeitsvertrag-lich vereinbart – eine ›Änderung der AVR‹gesehen werden kann. § 8 der UK-Ordnungund § 11 der AK-Ordnung in Verbindung mitden darauf beruhenden Beschlüssen, diemateriell rechtlich auf das zwischen den Par-teien vereinbarte Leistungsgefüge Einflussnehmen, könnten auf das Dienstverhältnisnur dann Anwendung finden, wenn zumeinen durch die Bezugnahmeklausel imDienstvertrag auch die Ordnungen mit einbe-zogen worden sind und zum anderen durchdie Formulierung ›Änderungen der AVR‹ in § 2 des Dienstvertrages auch Änderungen

KircheArbeitsrecht und

312012

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32 AuK 2012

RECHTSPRECHUNG

ne Rechtsnormen, sondern Vertragsbedingun-gen, für deren Auslegung grundsätzlich dieallgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGBgelten.Bei der nach den §§ 133, 157 BGB

vorzunehmenden Auslegung einer Willenser-klärung bzw. eines Vertrages ist maßgebend,wie die Erklärung nach Treu und Glaubenund unter Berücksichtigung der Verkehrssitteaufzufassen ist. Zunächst ist vom Wortlautder Erklärung nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem darin objektiv zum Ausdruck kommenden Parteiwillen aus-zugehen. In einem zweiten Schritt sind danndie bei Abgabe der Erklärung bestehenden, äußeren Umstände hinzuzuziehen, soweitsie einen Schluss auf den Sinngehalt zulassen.Auch zeitlich nach Abgabe der Erklärung lie-gende Umstände, Äußerungen und Verhal-tensweisen der Parteien können zumindestals Indizien für die Auslegung von Bedeutungsein.Auszugehen ist danach zunächst vom

Wortlaut der Vereinbarung. Vom Wortlaut hersind ›Änderungen der AVR‹ in das Dienstver-hältnis einbezogen worden.Bei der Auslegung ist zunächst zu berück-

sichtigen, dass die arbeitsvertragliche Klauseldurch Verwendung des Begriffes ›Richtlinienfür Arbeitsverträge in den Einrichtungen desDeutschen Caritasverbandes (AVR)‹ auf ein insich abgeschlossenes Regelwerk Bezug nimmt.Die Klausel ist mithin nicht weit gefasst understreckt sich nach dem Sprachgebrauch nichtauf die Ordnungen der jeweiligen Kommissio-nen, die sich über Zuständigkeitszuweisungenund Verfahrensregeln hinsichtlich derBeschlussfassung verhalten.Rein vom Wortlaut her handelt es sich mit-

hin bei § 8 UK-Ordnung und § 11 AK-Ord-nung und den darauf beruhenden streitge-genständlichen Beschlüssen nicht um eine›Änderung der AVR‹, denn die ›Arbeitsvertrag-lichen Richtlinien‹ sind unstreitig nicht ›geän-dert‹ worden. Die seinerzeit bestehende Öff-nungsklausel, die es dem Dienstgeber ermög-lichte, mit der Mitarbeitervertretung inschwierigen wirtschaftlichen Lagen eineDienstvereinbarung zu treffen, ist ersatzlosentfallen. Auch durch die Ordnungen und diedarauf basierenden Beschlüsse der Kommis-sionen sind nicht die AVR ›geändert‹ worden,sondern der sich aus den AVR nach wie voruneingeschränkt ergebende Anspruch auf dieWeihnachtszuwendung ist lediglich faktischfür einzelne Einrichtungen ausgesetzt worden.Die AVR selbst, aus denen sich die für dieArbeitsverhältnisse geltenden materiell-recht-lichen Regelungen ergeben, enthalten keineErmächtigungsgrundlage für die Streichung

der AK-Ordnung bzw. UK-Ordnung erfasstwerden, und zwar auch dann, wenn diemateriell rechtlichen Regelungen in den AVRunverändert bleiben und einen Anspruch desbetreffenden Mitarbeiters ohne Einschrän-kungen beinhalten. Es müsste sich bei denÄnderungen der Ordnungen und den aufden Ordnungen beruhenden streitgegen-ständlichen Beschlüssen mithin um eine›Änderung der AVR‹ handeln in der ›im Amts-blatt des Ortsbistums in Kraft gesetzten Fas-sung‹. Es kommt danach darauf an, wie,nach welchem Maßstab und mit welchemInhalt die streitgegenständliche Bezugnah-meklausel auszulegen ist. Bereits das Arbeits-gericht hat darauf hingewiesen, dass dieBeschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommissi-on möglicherweise nicht wirksam in denArbeitsvertrag des Klägers einbezogen wor-den sein könnten.Zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln

hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Ent-scheidung vom 22.07.2010, 6 AZR 847/07,Rn. 12, zitiert nach juris, Folgendes ausge-führt:›Bei der in § 2 des Formulardienstvertragesvom 9. September 1987 getroffenen Verwei-sungsklausel handelt es sich um eine Allge-meine Geschäftsbedingung i. S. d. §§ 305 ffBGB (...). Der Inhalt Allgemeiner Geschäfts-bedingungen ist nach einem objektiv-genera-lisierenden Maßstab zu ermitteln. Diese sindnach ihrem objektiven Inhalt und typischenSinn einheitlich so auszulegen, wie sie vonverständigen und redlichen Vertragspartnernunter Abwägung der Interessen der norma-lerweise beteiligten Verkehrskreise verstan-den werden, wobei die Verständnismöglich-keiten des durchschnittlichen Vertragspart-ners des Verwenders zugrunde zu legen sind.Ansatzpunkt für die Auslegung AllgemeinerGeschäftsbedingungen ist in erster Linie derVertragswortlaut (...). Dies gilt auch für Ver-tragsklauseln, die dynamisch auf Tarifverträ-ge verweisen (...). Nehmen die Arbeitsver-tragsparteien auf kirchlich-diakonischeArbeitsbedingungen und ihre Änderungenund Ergänzungen und damit auch auf einvon ihnen selbst nicht abzuänderndes exter-nes Regelwerk Bezug, besteht kein Anlass,von den für die Auslegung von AllgemeinenGeschäftsbedingungen allgemein geltendenGrundsätzen abzugehen (...).‹Danach hat die Auslegung der streit-

gegenständlichen Klausel trotz Bezugnahmeauf das Regelungswerk eines ›Dritten‹, nämlich der Arbeitsrechtlichen Kommission,nach allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen.Allgemeine Geschäftsbedingungen sind

trotz ihres abstrakt generellen Charakters kei-

dieses Anspruchs. Die AVR enthalten auchkeine Bezugnahme auf die AK-Ordnung oderdie UK-Ordnung. Vorliegend sind nicht dieAVR, aus denen der Kläger seine Ansprücheherleitet, sondern die Verfahrensordnungengeändert worden.Festzuhalten ist danach, dass sich eine

materiell-rechtliche Grundlage für die Redu-zierung der Weihnachtszuwendung nicht ausden in Bezug genommenen AVR – insbeson-dere nicht aus einer Änderung derselben –ergibt.Zuzustimmen ist der Beklagten zwar

dahingehend, dass grundsätzlich eine Verfah-rensordnung, die sich über die Zuständigkei-ten der einzelnen Kommissionen, die Beset-zung der Kommissionen, die Form derBeschlussfassung und die Inkraftsetzung derBeschlüsse verhält, immanent durch diearbeitsvertragliche Klausel in Bezug genom-men ist, denn diese Verfahrensvorschriftenregeln die Modalitäten, die bei einer Ände-rung der AVR einzuhalten sind. Dem Selbst-bestimmungsrecht der Kirchen unterliegt dieFestlegung des Verfahrens, in dem die kollek-tiven Regelungen des kirchlichen Arbeits-rechts zustande kommen. Um derartige Vor-schriften handelt es sich allerdings bei § 8UK-Ordnung 2007 bzw. § 11 der AK-Ord-nung 2008 nicht. Diese Vorschriften ermögli-chen einen materiell-rechtlichen Eingriff ineinen sich aus den AVR ergebenden Vergü-tungsanspruch. Es stellt sich damit die Frage,ob unter Berücksichtigung der Formulierungder streitgegenständlichen Bezugnahmeklau-sel auch eine materiell-rechtliche Kürzungsre-gelung, die sich in einer Verfahrensordnungbefindet und nicht zu einer ›Änderung derAVR‹, sondern zum Außerkraftsetzen einessich aus der AVR ergebenden Anspruchs –zudem bezogen auf einzelne Einrichtungen –führt, auf das Arbeitsverhältnis Anwendungfinden kann. Nach Auffassung der Beru-fungskammer ist diese Frage unter Berück-sichtigung der vorstehenden Ausführungenund des ersten Absatzes der arbeitsvertragli-chen Bezugnahmeklausel zu verneinen. Nachdem ersten Absatz ist zwischen den Parteiendie Geltung der AVR in der zur Zeit des Ver-tragsabschlusses ›in der Caritas-Korrespon-denz veröffentlichten und im Amtsblatt desOrtsbistums in Kraft gesetzten Fassung‹ ver-einbart. Die Parteien haben damit ein kon-kretes Regelwerk, nämlich die AVR, in Bezuggenommen, die das Arbeitsverhältnis materi-ell-rechtlich gestalten. Vereinbaren die Partei-en sodann im dritten Absatz der Bezugnah-meklausel, dass bei ›Änderungen der AVR‹die ›jeweils in der Caritas-Korrespondenz ver-öffentlichte und im Amtsblatt des Orts-

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RECHTSPRECHUNG

bistums in Kraft gesetzte Fassung‹ gelten soll,nehmen sie erneut auf dasselbe RegelwerkBezug mit der Folge, dass auch nur eineÄnderung dieses Regelwerks auf das Arbeits-verhältnis Anwendung finden soll, jedenfallsdann, wenn nach den AVR geltende materi-ell-rechtliche Regelungen verändert werdensollen. Nach Auffassung der Berufungskam-mer wäre eine Einschränkung oder der voll-ständige Entzug der Weihnachtszuwendungfür eine Einrichtung unter Berücksichtigungvorstehender Ausführungen und dem konkre-ten Inhalt der streitgegenständlichen Bezug-nahmeklausel nur dann zulässig gewesen,wenn sich aus den AVR eine solche Möglich-keit ergäbe und eine entsprechende Ände-rung der AVR in diesem Sinne zumindest imAmtsblatt in Kraft gesetzt worden wäre. Zwarist die Kirche – wie bereits ausgeführt – dazuberechtigt, eigene Regelungen aufzustellen.Diese müssen allerdings wirksam in denArbeitsvertrag einbezogen werden, um imArbeitsverhältnis Geltung zu erlangen. Ist diearbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel inso-weit unzureichend, finden die Regelungenauf das konkrete Arbeitsverhältnis keineAnwendung. Aus der Handhabung derBezugnahmeklauseln durch die Parteienergibt sich kein anderes Auslegungsergebnis.Die bisherige Vertragspraxis könnte dann zurAuslegung der Bezugnahmeklausel herange-zogen werden, wenn sie Rückschlüsse aufden zum Zeitpunkt des Vertragsschlussesbestehenden Erklärungswillen der Parteienzuließe. Angesichts des Umstandes, dass essich bei den streitgegenständlichen Regelun-gen und Beschlüssen nicht um den Klägerbegünstigende Regelungen handelt, könnteder bisherigen Vertragspraxis mithin nur hin-sichtlich solcher Regelungen in einer Ord-nung Bedeutung zukommen, die dem Klägereine bisherige Rechtsposition entzogenhaben. Nach dem Vortrag des Klägers wardies in der Vergangenheit nicht der Fall.Die Auslegung der konkreten Bezugnah-

meklausel ergibt mithin, dass die streitgegen-ständlichen Beschlüsse der Kommissionendem Anspruch des Klägers auf die Weih-nachtszuwendung nicht entgegenstehen.Hinsichtlich der Weihnachtszuwendung für

das Jahr 2008 dürfte ein Anspruchsaus-schluss des Klägers auch deshalb ausschei-den, weil die in § 11 der AK-Ordnung enthal-tene einrichtungsspezifische Regelung vonder Delegiertenversammlung und damitnach den selbst gesetzten Zuständigkeitenvon dem dafür nicht zuständigen Gremiumbeschlossen worden ist. Zwar beschließt dieDelegiertenversammlung das Verfahrensrechtund damit die AK-Ordnung. Für die AVR und

damit auch für die Änderung der AVR istjedoch die Arbeitsrechtliche Kommissionzuständig, was bedeutet, dass ein Ausschlusseines Anspruchs, der sich aus den AVR ergibt,nur von der Arbeitsrechtlichen Kommissionbeschlossen werden kann. Damit ist festzu-stellen, dass die einrichtungsspezifischeRegelung nicht gemäß den einschlägigenOrganisations- und Verfahrensvorschriftenentstanden ist.Schließlich stellt sich unter Berücksichti-

gung der Entscheidung des Bundesarbeitsge-richts vom 22.07.2010, 6 AZR 170/08 dieFrage, ob die streitgegenständliche Bezug-nahmeklausel nicht bereits im Hinblick aufdas Letztentscheidungsrecht des Bischofsunwirksam ist. Das Bundesarbeitsgericht hatin seiner vorbezeichneten Entscheidung inso-weit Folgendes ausgeführt:›Eine Bezugnahmeklausel in einem Arbeits-vertrag mit einem kirchlich-diakonischenAnstellungsträger, die nicht ausschließlichauf die auf dem Dritten Weg von einerparitätisch mit weisungsunabhängigen Mit-gliedern besetzten Arbeitsrechtlichen Kom-mission beschlossenen Arbeitsvertragsrege-lungen Bezug nimmt, sondern darüber hin-aus – etwa bei einem kirchenrechtlich vorge-sehenen Letztentscheidungsrecht der Synodeoder des Bischofs – auch einseitig von derDienstgeberseite vorgegebene Regelungenerfasst und damit inhaltlich ein Vertragsän-derungsrecht der Dienstgeberseite darstellt,dürfte zu weit gefasst und damit insgesamtunwirksam sein (vgl. BAG 11. Februar 2009 -10 AZR 443/08 - Rn. 23, a.a.O.), wenn dieKlausel sprachlich nicht teilbar ist und siedeshalb nicht auf einen verständlichen, zulässigen Inhalt zurückgeführt werden kann(vgl. ...).‹Letztendlich konnte das Bundesarbeitsge-

richt die Frage der Unwirksamkeit der Klauseloffen lassen, da in der in dem dortigen Ver-fahren in Bezug genommenen Klausel keinkirchenrechtliches Letztentscheidungsrechtgegeben war. Vorliegend istjedoch ein Letztentscheidungs-recht des Bischofs gegeben, sodass sich die Frage derUnwirksamkeit der streitge-genständlichen Bezugnahme-klausel auch unter diesemGesichtspunkt stellt. Zu fragenist insoweit, ob ein durch denBischof in Kraft gesetztesRegelwerk oder – wie vorlie-gend – auch ein einzelner ein-richtungsbezogener Beschluss– unter Berücksichtigung desLetztentscheidungsrechts des

Bischofs – als paritätisches Normsetzungsver-fahren anerkannt werden kann.Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Ent-

scheidung vom 21.10.2009, 10 AZR 786/08,Rn. 26, die die Beklagte und auch den streit-gegenständlichen Streichungsbeschluss hin-sichtlich der Weihnachtszuwendung für dasJahr 2007 betraf, offen gelassen, unter wel-chen Voraussetzungen eine in einem Formu-larvertrag gestellte dynamische Bezugnahme-klausel auf ein von einer ArbeitsrechtlichenKommission geschaffenes kirchliches Rege-lungswerk, bei der es sich um eine AllgemeineGeschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB handeln soll, einer Kontrolle nachMaßgabe der §§ 305 ff BGB standhält.Auch vorliegend braucht diese Frage nicht

entschieden zu werden, da – wie bereits aus-geführt – schon eine Auslegung der Bezug-nahmeklausel zu dem Ergebnis führt, dass dieBeschlüsse der Kommissionen den Anspruchdes Klägers auf die Weihnachtszuwendungnicht ausschließt.Die Berufungskammer hat aufgrund des

der Beklagten nachgelassenen Schriftsatzesnebst Anlagen vom 14.02.2011 erneut bera-ten. Ausweislich der zur Akte gereichten Anla-gen sind sowohl die Änderungen der AK-Ord-nung als auch der UK-Ordnung im Amtsblattin Kraft gesetzt worden. Wäre dies nicht derFall gewesen, wäre der Anspruch des Klägersschon aufgrund der fehlenden Inkraftsetzungund Veröffentlichung der Änderungen zumin-dest im Amtsblatt nicht wirksam ausgeschlos-sen gewesen mit der Folge, dass eine Ausle-gung der Klausel nicht erforderlich gewesenwäre. Selbst wenn aufgrund des nachgelasse-nen Schriftsatzes davon ausgegangen wird,dass die Veröffentlichung aller einschlägigenÄnderungen im Amtsblatt erfolgt ist, ändertdieser Umstand an dem Ergebnis der Aus-legung nichts.Die Berufung der Beklagten war mithin

zurückzuweisen.(...)

Nicht ohne MAV – Seminare 2012

Nähere Infos:DGB-Bildungswerk-NRW e. V.Doris KluthausenBismarckstr. 77 • 40210 DüsseldorfTelefon 02 11-1 75 23-188www.dgb-bildungswerk-nrw.de

MAV: Umstrukturierungen und ihre FolgenBielefeld, 03.09.–07.09.2012Seminar-Nr. D3-125310-119

MAV: Einführung in die Aufgaben der MAVHattingen, 10.09.–12.09.2012Seminar-Nr. D3-125302-119

KircheArbeitsrecht und

332012

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34 AuK 2012

RECHTSPRECHUNG

Termin Thema

Burn-out

Personalbemessung im Krankenhaus

Einführung in die Rechte der

Jugend-/Auszubildendenvertretung

Einführung in die

Mitarbeitervertretungsrechte

AVR-K Einführung

Kündigungen verhindern

Die Arbeitsvertragsrichtlinien/NRW

Mediation in der MAV-Arbeit

TV-L/DVO

Einführung in die Arbeitsvertragsricht-

linien des Diakonischen Werkes

MAV – Kompakte Mitbestimmung

Einführung in das MVG

Mitarbeitergespräche

MAVen in der Kinder- und Jugendhilfe

Optimierung der MAV-Arbeit

Arbeitsrechts-Grundkurs AVR

Qualitätsmanagement

Qualifiziert älter werden im Betrieb

MAV-Strategie

Einführung in die

Mitarbeitervertretungsrechte

Teilzeitarbeit/

Befristete Arbeitsverhältnisse

MVG für Fortgeschrittene

Souverän auftreten

Das Sozialrecht im Arbeitsalltag

Für MAVen in Krankenhäusern

AVR-EKD Einführung

KTD

Einführung in die

Dienstvertragsordnung der Evang.-

Luth. Kirche in Bayern (DIVO)

Analyse wirtschaftlicher Daten

Rhetorik

Einführung in die MAVO

Konfliktmanagement

Rund um die Diensplangestaltung

11.04.–13.04.

11.04.–13.04.

11.04.–13.04.

23.04.–27.04.

23.04.–27.04.

07.05.–11.05.

02.05.

02.05.–04.05.

07.05.–11.05.

07.05.–11.05.

07.05.–11.05.

09.05.–11.05.

14.05.

14.05.–16.05.

14.05.–16.05.

14.05.–16.05.

15.05.

21.05.–23.05.

21.05.–23.05.

21.05.–23.05.

21.05.–23.05.

21.05.–23.05.

04.06.–06.06.

04.06.–06.06.

04.06.–06.06.

04.06.–06.06.

06.06.–08.06.

11.06.–13.06.

14.06.–15.06.

18.06.–20.06.

20.06.–22.06.

20.06.–22.06.

21.06.

Veranstaltungsort/Veranstalter

Springe, dia e. V.

Springe, dia e. V.

Springe, dia e. V.

Borkum, dia e. V

Borkum, dia e. V.

Frenswegen, dia e. V.

Bad Honnef,

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Frenswegen, dia e. V.

Illschwang

DGB Bildungswerk Bayern e. V.

Bielefeld

DGB-Bildungswerk NRW e. V.

Reinfeld, Bildungszentrum

DAI e. V.

Hannover, dia e. V.

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Hannover, dia e. V.

Illschwang

DGB Bildungswerk Bayern e. V.

Hattingen

DGB-Bildungswerk NRW e. V.

Dassel

dia e. V.

Dassel

dia e. V.

Dassel, dia e. V.

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Kloster Drübeck, dia e. V.

Reinfeld, DAI e. V.

Schweinfurt

DGB Bildungswerk Bayern e. V.

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Beilngries-Paulushofen

DGB Bildungswerk Bayern e. V.

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Termine & Seminare April bis Juli 2012

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Streichung von Weih-

nachtsgeld; Kompetenz

der Regionalkommission

im Bereich Caritas,

Vergütungsbestandteile

der AVR zu streichen

1. Grundsätzlich hat die Regionalkommission die

Kompetenz für alle Caritaseinrichtungen ihrer

gesamten Region, die Höhe der Vergütungs-

bestandteile innerhalb einer Bandbreite, die in

§ 10 Abs. 1 der AK-Ordnung festgelegt ist, zu

beschließen.

2. Unter den Voraussetzungen, die in § 11 AK-

Ordnung normiert sind, kann die Regionalkom-

mission für eine Einrichtung von den von ihr

getroffenen Vergütungsregelungen abweichen.

(nichtamtliche Leitsätze)

Arbeitsgericht Oldenburg,

Urteil vom 14.12.2010 Az.: 5 Ca 351/10

Sachverhalt:Die Klägerin ist bei der Beklagten, einer

Alten- und Pflegeheimeinrichtung der Caritas,als Altenpflegerin beschäftigt. Sie macht mitihrer Klage einen Anspruch auf Weihnachtsgeldfür das Jahr 2010 geltend.Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages gelten die

›Richtlinien für die Arbeitsverträge in den Ein-richtungen des Deutschen Caritasverbandes‹(AVR) in der jeweils geltenden Fassung. Danachstand der Klägerin unstreitig gemäß § 1 AVRein Weihnachtsgeld zu. Die AVR werden durch die Arbeitsrechtliche

Kommission (AK) aufgestellt und gegebenen-falls nach Maßgabe der ›Ordnung der Arbeits-rechtlichen Kommission des Deutschen Caritas-verbandes‹ (AK-Ordnung) verändert. NachAntrag der Beklagten auf eine einrichtungsspe-zifische Regelung im Sinne von § 11 AK-Ord-nung beschloss die Regionalkommission Nord,dass für das Kalenderjahr 2010 in der Einrich-tung der Beklagten kein Weihnachtsgeldgezahlt werde.Die Klägerin ist der Auffassung, dass die

Regionalkommission keine Regelungskompetenzhabe, um die bestehenden Arbeitsverträge, ins-besondere die Regelung zum Weihnachtsgeldnach Anlage 1 Abschnitt XIV AVR, zu ändern.Insbesondere die ersatzlose Streichung einesVergütungsanspruches liege nicht in ihremKompetenzbereich.

L e i t s a t z :

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RECHTSPRECHUNG

dies in § 10 Abs. 2 AK-Ordnung so geregeltist und die Einschränkung ausdrücklich aufgenommen worden ist. Soweit die Regio-nalkommission allerdings angerufen wird undnach § 11 Abs. 1 eine Regelung nur für eineEinrichtung oder einen Träger, der mehrereEinrichtungen betreibt, treffen muss, ist dieRegionalkommission bei ihrer Entscheidungüber die Höhe der Vergütungsbestandteilenicht auf die Bandbreite beschränkt, wie diesnur in § 10 Abs. 2 AK-Ordnung ausdrücklichgeregelt ist. Die Einschränkung der Entschei-dung der Regionalkommission auf die Band-breite ist gerade in § 11 Abs. 1 AK-Ordnungnicht mit aufgenommen worden. In den kon-kreten Einzelfällen, in denen die Regional-kommission nach § 11 Abs. 1 AK-Ordnungentscheiden kann, ist sie deshalb auf die in § 10 Abs. 1 AK-Ordnung genannte Bandbreite nicht beschränkt. Diese Auffas-sung wird gestützt durch die Beschlüsse derBundeskommission der ArbeitsrechtlichenKommission des Deutschen Caritasverbandesvom 19.06.2008 unter I. A. 3. (veröffentlichtim Kirchlichen Amtsblatt Münster 2008 Nummer 17 Seite 263). Unter anderem heißt: es dort: ›... Soweit und solange die Bun-deskommission für den Zeitraum nach dem31.12.2009 keine neuen Mittelwerte für die Höhe der Vergütungsbestandteile und fürden Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dieRegionalkommission Nord sei gemäß § 11AK-Ordnung befugt, einrichtungsspezifischeRegelungen zu beschließen, falls sich einzel-ne Einrichtungen in einer Notlage befänden.

Aus den Gründen:Die Klage ist unbegründet.Die Klägerin hat keinen Anspruch auf

Zahlung von Weihnachtsgeld für das Jahr2010 aus der Anlage 1 Abschnitt XIV AVR,weil die Regionalkommission Nord mitBeschluss vom 03.11.2010 in Ziffer 1 desBeschlusses beschlossen hat, dass in Abweichung von Abschnitt XIV der Anlage1 zu den AVR im Kalenderjahr 2010 keineWeihnachtszuwendung gezahlt werde.Damit ist die Anspruchsgrundlage wirksamfür das Jahr 2010 ausgesetzt worden. DieRegionalkommission Nord war gemäß § 11der AK-Ordnung berechtigt, von den von ihr festgelegten Regelungen der Höhe allerVergütungsbestandteile, zu denen auch dieWeihnachtszuwendung gehört, abzuwei-chen. Gemäß § 10 Abs. 2 der AK-Ordnungist der Regionalkommissionen die aussch-ließliche Zuständigkeit für die Festlegungder Höhe aller Vergütungsbestandteileinnerhalb der von der Bundeskommissionfestgelegten Bandbreite zugewiesen worden.Das bedeutet grundsätzlich, dass die Regionalkommission die Kompetenz hat, füralle Caritaseinrichtungen ihrer gesamtenRegion die Höhe der Vergütungsbestandtei-le innerhalb einer Bandbreite, die in § 10Abs. 1 der AK-Ordnung festgelegt ist, zubeschließen. Für das Weihnachtsgeld hatdie Regionalkommission Nord davonGebrauch gemacht, indem sie beschlossenhat, dass im Bereich der Regionalkommissi-on Nord Weihnachtsgeld grundsätzlich für alle Einrichtungen in Höhe von 77,51Prozent der Bemessungsgrundlage gezahltwird. Unter den Voraussetzungen, die in § 11 AK-Ordnung normiert sind (schriftli-cher begründeter Antrag und Vorlage geeig-neter Unterlagen), kann die Regionalkom-mission für eine Einrichtung, die Einrichtun-gen eines Trägers oder einen Teil einer Einrichtung von den von ihr getroffenenVergütungsregelungen abweichen. Sie istdabei nicht auf die Bandbreite beschränkt.Diese Einschränkung findet sich in § 11 AK-Ordnung nicht. Aus dem Zusammen-hang der §§ 10 und 11 AK-Ordnung ergibtsich nach Auffassung der Kammer, dass für die Regelungen der Höhe der Vergütungfür eine gesamte Region die Regionalkom-mission zuständig ist, allerdings nur inner-halb einer bestimmten Bandbreite, weil

Termin Thema

Grundlagen des Arbeitszeitrechts

Grundlagen der MAV-Arbeit

MAV-Kurs für Frauen

Arbeitsrechts-Grundkurs AVR

MVG II – Mitbestimmung in

organisatorischen und personellen

Angelegenheiten

Arbeitszeitmanagement/

Arbeitszeitkonzepte

Einführung in das

Mitarbeitervertretungsgesetz

Kirchengerichtsverfahren

Mobbing als Sonderfall

betrieblicher Konflikte

25.06.–27.06.

25.06.–27.06.

27.06.–29.06.

27.06.–29.06.

27.06.–29.06.

28.06.

02.07.–06.07.

10.07.

23.07.

Veranstaltungsort/Veranstalter

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Kath.-Soziales-Institut

Hamburg

DAI e. V.

Kath.-Soziales-Institut

Bad Honnef

Brannenburg

DGB Bildungswerk Bayern e. V.

Nürnberg

DGB Bildungswerk Bayern e. V.

Ohlstadt

DGB Bildungswerk Bayern e. V.

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nach § 1 der Anlage (...) vorher festgelegt hat, besteht ab dem 01.01.2010 keine Möglichkeit für die Regionalkommissionen,neue Werte zur Höhe der Vergütungsbe-standteile und zum Umfang der Arbeitszeit zu beschließen. Es gelten die zu diesem Zeit-punkt gültigen Werte der Regionalkommiss-ionen unverändert fort. Beschlüsse nach §11 AK-Ordnung sind weiterhin zulässig.‹Wenn also nach dem 31.12.2009 den Regionalkommissionen keine Möglichkeitgegeben war, über die Höhe der Vergütungs-bestandteile innerhalb von Bandbreiten zuentscheiden, ihnen aber die Möglichkeitoffen gelassen war, Beschlüsse nach § 11 AK-Ordnung weiterhin zu treffen, muss diesheißen, dass derartige Beschlüsse nicht nur innerhalb einer bestimmten Bandbreitegetroffen werden konnten, da es ab diesemZeitpunkt weder einen Mittelwert noch eine Festlegung der Bandbreite gab. Mithindurfte die Regionalkommission im vor-liegenden Fall nicht nur innerhalb der Band-breite das Weihnachtsgeld 2010 kürzen, sondern war berechtigt, das Weihnachtsgeld2010 für die Einrichtung der Beklagten auf null zu kürzen bzw. für dieses eine Jahrauszusetzen.Die Klage war daher abzuweisen.(...)

KircheArbeitsrecht und

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36 AuK 2012

RECHTSPRECHUNG

Betriebe der Caritas und der Diakonie geratenzunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten.Unabhängig von den Ursachen wird in der Regeleine Sanierung über die Absenkung der Personal-kosten versucht. Soweit die Betriebe diese Personal-kostenabsenkung nicht auf kaltem Wege versuchen,in dem sie bestimmte Vergütungsanteile (z. B.Jahressonderzahlung) ohne Rechtsgrundlage nichtzahlen, ziehen sie als Rechtsgrundlage eine Sonder-regelung einer Arbeitsrechtlichen Kommission heran. Die hierfür zur Verfügung gestellten Instru-mente sind unterschiedlich. Die Arbeitsvertrags-richtlinien des DW der EKD enthalten dazu Öffnungsklauseln, aufgrund derer durch Dienstver-einbarung (§ 17) oder durch Dienstvereinbarungmit Genehmigung durch die Arbeitsrechtliche Kommission (Anlage 17) Vergütungsabsenkungenbegründet werden. Der BAT-KF für die Landes-kirchen Rheinland, Westfalen und Lippe sehen in der Beschäftigungssicherungsordnung ähnlicheInstrumente vor. Einen anderen Weg hat die Caritasbestritten. Die AVR-Caritas sehen Notlagenrege-lungen nicht vor. Die entsprechende Regelungskom-petenz wird der Arbeitsrechtlichen Kommission(hier: der Unterkommission der jeweiligen Regio-nalkommission) durch § 11 der Ordnung derArbeitsrechtlichen Kommission eingeräumt. Mit der Frage, ob die Unterkommission für den Erlasseiner solchen betriebsbezogenen Regelung der Ver-gütung (Absenkung der Vergütung zur Überwin-dung einer Notlage) hinreichend legitimiert ist, setztsich das Arbeitsgericht Oldenburg in seiner Ent-scheidung auseinander und sieht in § 11 Ordnungder AK eine hinreichende (kirchenrechtliche)Grundlage. Einer anderen Frage geht indes das Landesarbeitsgericht Düsseldorf nach. Es prüft, ob die ordnungsgemäß zustandegekommenenBeschlüsse der (Unter-) Kommission dazu führen,dass die Arbeitnehmer nur noch einen entsprechendgeminderten Anspruch haben. Ausgangspunkt der Prüfung ist der Umstand, dass die kirchlichenArbeitsvertragsrichtlinien – anders als Tarifverträge– keine normative Geltung haben. Zwar ordnen

einige Arbeitsrechtsregelungsgesetze eine solchenormative Wirkung an. Dieser kirchengesetzlicheBefehl entfaltet jedoch nur dort Wirkung, wo diesekirchliche Regelung selbst normative Wirkung entfalten kann: im kirchlichen Bereich. Das Arbeits-verhältnis zwischen Arbeitnehmer und kirchlichemArbeitgeber wird nach weltlichem Recht begründetund ausgestaltet. Der kirchliche Gesetzesbefehl bindet die Parteien des Arbeitsverhältnisses nicht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundes-arbeitsgerichts, dass die kirchlichen Arbeitsvertrags-richtlinien (nur) dort gelten, wo dies zwischenArbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich verein-bart ist. Nur wenn der Arbeitsvertrag etwa folgendeKlausel enthält: auf das Arbeitsverhältnis finden die Arbeitsvertragsrichtlinien in der jeweils gelten-den Fassung Anwendung, sind Arbeitgeber undArbeitnehmer an die AVR gebunden. Die durchkirchliche Kommissionen gesetzten Regelungenmüssen in die nach weltlichem Recht ausgestaltetenArbeitsverhältnisse transformiert werden. Bekanntsind aus der Praxis auch Bezugnahmeklauseln,durch die Arbeitsvertragsrichtlinien nur teilweiseeinbezogen sind. Und so hat das LAG Düsseldorfgeprüft, ob der Verweis auf die Arbeitsvertrags-richtlinien des Deutschen Caritasverbandes in derjeweils geltenden Fassung auch zur Einbeziehungder die Vergütung absenkenden Beschlüsse der(Unter-) Kommission mit erfasst. Stellt man dieseFrage, so liegt die Antwort auf der Hand: EinArbeitnehmer, der die Geltung der AVR vereinbart,kann und muss nicht auf die Idee kommen, dass mit dieser Vereinbarung auch Beschlüsse einer ihmin der Regel nicht bekannten Kommission erfasstsein sollen, die er nicht einmal in den Arbeits-vertragsrichtlinien nachlesen kann. Die Sprengkraftder Entscheidung des LAG Düsseldorf liegt ebensoauf der Hand: Wird die Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht bestätigt, sind alle Not-lagenregelungen der Caritas gegenstandslos – jedenfalls wenn sich die Arbeitnehmer dagegen wehren.

Bernhard Baumann-Czichon

Anmerkung zu den Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, Az.: 7 SA 141/10, und des Arbeitsgerichts Oldenburg, Az.: 5 CA 351/10, siehe S. 31–35

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