Upload
adelonda-hellmuth
View
108
Download
1
Embed Size (px)
Citation preview
Christian Thies
Kultur-, Sozial- und Geschichtsphilosophie
Vorlesungan der Philosophischen Fakultät
der Universität Passauim Wintersemester 2009/10
(Dreizehnte Sitzung 26.1.2010)
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
2
Dreizehnter Termin (26.1.2010)
(1) Wiederholung – Ergänzungen – Fragen
(2) Walter Benjamin
(3) Kulturkreis-Lehren(a) Oswald Spengler
(b) Arnold Toynbee
(4) Ausblick auf den nächsten Termin
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
3
Theodor W. Adorno
• Ambivalenz des Fortschritts („Dialektik der Aufklärung“)
• vor allem Antagonismus des Herrschaftstechniken und der „Humanität“ (technisch vs. moralisch)
• Gefahr einer Katastrophe (Auschwitz)• erste Bedingung eines wahren Fortschritts:
Konstituierung der Menschheit als Subjekt• Ziele: ewiger Frieden, Erlösung und Versöhnung
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
4
Walter Benjamin
1892 geboren
vielfältige Einflüsse:
Jugendbewegung, Marxismus,
Surrealismus, jüdische Mystik usw.
seit 1933 in Paris
dort Arbeit am unvollendeten
„Passagenwerk“
1939/40 Thesen „Über den Begriff
der Geschichte“
26./27.9.1940 Suizid an der
französisch-spanischen Grenze
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
5
„Über den Begriff der Geschichte“
• Kritik am Historismus• „Geschichte von unten“ • Verbindung von Theologie
und historischem Materialismus
• Erlösung, Sprengung des Kontinuums
• Kritik am „Fortschritt“, Ziel: Stillstellung
• Revolutionen nicht als Lokomotive, sondern als Notbremse
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
6
Oswald SPENGLER
1880 geboren1904 Promotion in Philosophie1908-11 Lehrer in Hamburg, dann
freiberuflich in München1918/22 „Der Untergang des
Abendlandes“ (2 Bände)1919 „Preußentum und
Sozialismus“1931 „Der Mensch und die
Technik. Beitrag zu einer Philosophie des Lebens“
1933 „Jahre der Entscheidung“1936 gestorben
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
7
Spengler im Kontext
• die wichtigsten Einflüsse: Goethe („Morphologie“) und Nietzsche („Stil“)
• Vorläufer der Kulturkreis-Lehren: Ibn CHALDUN (1332-1406), Giambattista VICO (1688-1744)
• „Konservative Revolution“: außer Spengler u.a. Ernst Jünger, Ernst Niekisch, Arthur Moeller van den Bruck, Hans Freyer … (alles umstritten) – vergleichbare Phänomene auch in Frankreich und Italien (siehe Mussolini)
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
8
Spenglers zentrale Thesen
• Es gibt mehrere, relativ geschlossene „Kulturen“.• Die Geschichte dieser Hochkulturen zeigt einen
typischen Verlauf: Vorzeit – Geburt – Wachstum – Reife – Niedergang – langes Sterben.
• Die Verfallszeit einer Kultur (die wir im Abendland gerade erleben) nennt Spengler „Zivilisation“.
• Die griechisch-römische Antike und das Abendland sind unterschiedliche Kulturen (gegen die Trias Antike-Mittelalter-Neuzeit).
• kopernikanische Wende: gegen den Eurozentrismus der bisherigen Geschichtsphilosophie
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
9
Die acht Hochkulturen
• Ägypten (ca. 3000 bis 525 v.u.Z.)Einschnitte durch die Hyksos (1700) und die Seevölker (1200)
• Mesopotamien (ca. 3000 bis 539 v.u.Z.)Herbst unter Sargon (2300), Zivilisationen seit den Assyrern (1800)
• Indien (ab ca. 1500 v.u.Z. bis ins 18.Jh.)Zivilisationen der Maurya (320-185 v.u.Z.) und Gupta (320-500)
• China (ca. 1300 v.u.Z. bis ins 19.Jh.)Winter 480-230 v.u.Z., danach Zivilisationen
• Antike (ca. 1100 v.u.Z. bis ins 7.Jh.)• Arabien (seit dem 1. Jh.; Untergang 1258?)
Mohammed wie Cromwell, Abbasiden wie das Britische Empire
• Alt-Amerika (1492-1531/34 gewaltsam zerstört) • Abendland (ca. 900 bis 2300?)
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
10
Vergleich Antike – Abendland
Vorzeit 1600 bis 1100
Mykene
500 bis 900
Franken
Frühling 1100 bis 700
Dorik
900 bis 1400
Gotik
Sommer 700 bis 500
frühe Ionik
1400 bis 1680
früher Barock
Herbst 500 bis 320
späte Ionik Klassik
1680 bis 1830
später Barock Klassik
Winter 320 bis 200
Hellenismus
1830 bis 2000
Moderne
Zivili-
sation
Seit 200 v. Chr.
Römisches Imperium
Ab 2000
[US-Hegemonie?]
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
11
Merkmale der abendländischen Zivilisation
• herrschende Mächte: Geld und Technik• Großstädte mit Massen von seelenlosen Menschen• fiktive „Menschheit“ anstelle von „Heimat“• allgemeine Erstarrung und Verfall des kulturellen
Lebens (Gehlen: „Kristallisation“)• stattdessen niveaulose Freizeitbeschäftigungen (u.a.
Sport)• Cäsarismus (primitive Gewaltpolitik in großen
Imperien)• Aufkommen einer „zweiten Religiosität“
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
12
Arnold J. TOYNBEE
1889 geboren in London
englische Gelehrtenfamilie
„hellenische Erziehung“
Geschichtsprofessor und zugleich politische Tätigkeit
Hauptwerk „A Study of History“
(12 Bände, 1934-1961)
(deutsche Kurzfassung: „Der Gang der Weltgeschichte“, I-VI/1949, VII-X/1958)
1975 gestorben
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
13
Gemeinsamkeiten mit Spengler
• Nicht Individuen, Völker, Gesellschaften oder Staaten sind die entscheidenden Subjekte der Geschichte (bzw. Objekte der Geschichtsphilosophie), sondern große (Hoch-)Kulturen („civilisations“).
• Es gibt eine abzählbare Anzahl solcher „Kulturen“.• Diese haben einen charakteristischen Lebenszyklus:
Entstehung – Aufstieg – Höhepunkt – Niedergang. • Die eigentlichen Blütezeiten liegen früh, die politischen
Höhepunkte (Imperium/Universalstaat, Kriege) spät.Zusammenbruch der antiken Kultur bereits vor der Römerzeit!
• Die Moderne wird als Niedergangszeit gedeutet.• Der Eurozentrismus wird (mit Bezug auf die Vormoderne)
überwunden.
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
14
Wichtige Thesen Toynbees
• kein Determinismus, kein „Schicksal“; die Entwicklungen sind in begrenztem Umfang offen
• challenge and response; die Herausforderungen können physischer und/oder sozialer Art sein; sie dürfen nicht zu schwer, vor allem aber nicht zu leicht sein
• vielfältige „Berührungen“ zwischen den Kulturen im Raum und in der Zeit (Vorgänger-Nachfolger-Verhältnisse)
• Renaissancen innerhalb einer Kultur• Wachstum einer Kultur als geistiger Prozess, vor allem als
zunehmende Selbstbestimmung• schöpferische Impulse finden sich in den Religionen, die in
Universalkirchen münden (innere statt äußere Herausforderung!) • schöpferische Minderheiten u. nachahmende Mehrheit herrschende
Minderheit u. inneres Proletariat• äußeres Proletariat (Barbaren) • Hoffnung auf einen Weltstaat mit einer „Universalkirche“
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
15
Toynbees Hochkulturen (1)
• ägyptisch (ursprünglich, ca. 4000 bis 525 v.u.Z., versteinerte Reste bis ins 5.-7. Jh. n.Chr.)
• sumerisch (ursprünglich, ca. 3500 v.u.Z.; Nachfolger: babylonisch)
• minoisch (ursprünglich, ca. 3000 bis 1200 v.u.Z.; Nachfolger: hellenisch)
• hettitisch (ca. 1600 bis 1200 v.u.Z.)• babylonisch (ca. 1500 bis 539 v.u.Z.)• nahöstlich („syric“, ca. 1100 v.u.Z.; Nachfolger: iranisch und
arabisch)• hellenisch (ca. 1100 v.u.Z. bis 378 – Ende der Antike! –
Nachfolger: christlich-orthodox und abendländisch)• iranisch (ca. 700 v.u.Z., später islamisch)• arabisch (unbekannte Wurzeln, später islamisch, inzwischen
niedergebrochen!)
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
16
Toynbees Hochkulturen (2)
• abendländisch (seit 7. Jh. – als einzige lebendig und expansiv!)• christlich-orthodox (seit 4.Jh., mit Vorläufern, bis 1453,
inzwischen marginalisiert) • russisch (seit 10. Jh., Spross des christlich-orthodoxen
Hauptkörpers; bis 1917, unterdrückt)
• chinesisch (ursprünglich, ca. 1500 v.u.Z., Nachfolger: fernöstlich)
• fernöstlich (ab 600 n.u.Z., versteinert und 1911 endgültig zusammengebrochen)
• japanisch (Spross des fernöstlichen Hauptkörpers, ab 5. Jh., Zusammenbruch 1853/54)
• indisch (ursprünglich, ca. 3000 v.u.Z. bis 500 n.u.Z.)• hinduistisch (als Nachfolger der indischen Kultur, seit dem 18.
Jh. im Zerfall)
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
17
Toynbees Hochkulturen (3)
• Maya (ursprünglich, ab 500 v.u.Z. bis 300, Nachfolger: yukatanisch)
• Yukatan (bis 11. Jh., absorbiert vom mexikanischen Gesellschaftskörper)
• mexikanisch (bis 1521)• Anden (ursprünglich, bis 1534)
Darüber hinaus gibt es noch „gehemmte Kulturen“ (Polynesier,
Eskimos, Nomaden u.a.), „gescheiterte Kulturen“ (u.a.
keltisches und nestorianisches Christentum) und „Fossilien“
(Parsen, Juden, Jaina u.a.).
26.1.2010 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10
18
Aktuelle Varianten
• Stefan BREUER: Imperien der Alten Welt. Stuttgart u.a. 1987
• Paul KENNEDY: Aufstieg und Fall der großen Mächte. Frankfurt a. M. 1987
• Jared DIAMOND: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt a. M. 2005