Der Spezialist - Ausgabe 12

Das Magazin für Technik und ManagementBrunel GmbH | Airport City | Hermann-Köhl-Str. 1 a | 28199 Bremen

6015_10.2008

AUSGABE 12 || Oktober 2008

LE SERSERVICE

Ihre Adresse hat sich geändert? Sie interessieren sich für Hintergründe und weitere Informationen zu ein-zelnen Artikeln des Spezialisten? Oder Sie möchten uns auf ein interessantes Thema für eine der nächsten Ausgaben aufmerksam machen? Dann senden Sie uns bitte eine E-Mail an: [email protected]

Wir freuen uns auf Ihr Feedback und Ihre Anregungen!Ihr Redaktionsteam „Der Spezialist“

Operat ion Schiffs-verlängerung

Neubauten sind nicht immer die wirtschaftlichste Lösung

Wundheilung für Oberflächen

Nanoteilchen mit heilenden Kräften

Architektur für

WasserweltenSchwimmende Gebäude trotzen

dem Meeresspiegelanstieg

Daniel Zettl

und das Zahnrad >>


REDAKTIONSANSCHRIFT

Brunel GmbH, Redaktion „Der Spezialist“Airport City, Hermann-Köhl-Str. 1a, 28199 [email protected] 0421-1 69 41-0

HERAUSGEBER

Brunel GmbH

VERANTWORTLICHER REDAKTEUR (V. I. S. D. P.)

Carsten Siebeneich, General Manager Brunel GmbH

REDAKTION

DIALOG Public Relations, BremenGfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen

GESTALTUNG

GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen

FOTOGRAFIE (COPYRIGHTS)

Sofern nicht abweichend, alle Angaben als Bildnummern: GfG / Gruppe für Gestaltung (Titel, S. 3, 05–06, S. 12, 08–09, S. 35, 26), Fotolia (U2, 07, 24), Jens Paul Taubert (01–03), Rudolf Uhrig, Nibelungen-Festspiele, Worms (04), dpa Picture-Alliance (S. 18, 10, 12, 31), BMBWK (11), Brunel Niederlassung, Wolfsburg (13–14, S. 24),Volkswagen AG (15), Sonja Brüggemann (S.27, 16–17), Lloyd Werft Bremer-haven GmbH (18–21), Hans-Werner Eberhardt (22–23, U5), Michael R. Kessler, University of Illinois (25), Waterstu- dios.NL (27–29), Cairos technologies AG (32–33)

DRUCK

Druckerei Girzig + Gottschalk GmbH, Bremen

ERSCHEINUNGSWEISE

3 Ausgaben / Jahr, Auflage 23.500 Stück

ÜBER ZEUGT?

JA , „Der Spezialist“ hat Sie überzeugt? Sie möchten ihn empfehlen? Oder in Zukunft selbst das kosten-freie Magazin erhalten? Bitte tragen Sie Ihre Kontaktdaten unter www.der-spezialist.de ein.

Künstler des Jahres 2008, Hans-Werner Eberhardt, Videokünstler.Screenshot aus „Heavens Gate“, anzusehen auf: www.brunel.de/karriere/aktuelles/ video-podcasts.php

Künstler des Jahres 2008, Hans-Werner Eberhardt, Videokünstler.Screenshot aus „Maschinencode“.

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„UNSER SPEZIALIST“DANIEL ZETTL

Das Zahnrad als „treibende Kraft in einem komplexen System“ symbolisiert für Daniel Zettl das Wesen seiner Arbeit als Projekt-manager.Nach seinem Studium in Inns-bruck sammelte er bei dem Werkzeugbauer Prometall erste Berufserfahrungen, bevor es den 28-jährigen Wirtschaftsingenieur 2006 zu Brunel zog. Nach seinem ersten Projekt bei Dräger im Bereich Tieftauchanlagen arbeitet er aktuell im Vertriebsmanage-ment bei der Business Unit Rotorion der MTU Friedrichshafen GmbH, einem der führenden Unternehmen für Gelenkwellen.

impressum›› W I R S E H E N D I E W E LT MI T A N D E R E N A U GE N

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03der Spez ial ist

ed itor ialAUSGABE 12 || Oktober 2008

DER SPEZ IAL IST

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Jazzmusik denken? New Orleans! Die Stadt im US-Bundesstaat Louisiana gilt als Wiege des Jazz, hier wurde Louis Armstrong geboren. Seit rund 100 Jahren versteht es die Hafenstadt, dieses kulturelle Alleinstellungsmerkmal als Standortfaktor zu nutzen. Tou-risten strömen nach New Orleans, Unternehmen profitieren vom Renommee der Metropole und erhalten so einen Anreiz, sich hier anzusiedeln oder kul-turelle Projekte zu unterstützen. Ein vergleichsweise junges Beispiel für die Potenziale von Kultur als Image- und Wirtschaftsfaktor sind die Altenburger Prinzenraub Festspiele in Thüringen. Das 2005 erstmals initiierte Gemein-schaftsprojekt von Vertretern der Kultur, Wirtschaft und Politik hat einer ganzen Region wirtschaftlichen Aufschwung beschert und den Glauben an die eigene Stärke zurückgegeben. Bei Kooperationen dieser Art steht jedoch nicht ausschließlich der finanzi-elle Aspekt im Vordergrund. Die Beteiligten profitieren auch auf einer ande-ren Ebene, sie lernen voneinander. Aus diesem Grund arbeitet die Brunel GmbH seit 2000 mit Künstlern unterschiedlicher Stilrichtungen zusammen und fördert deren kreative Arbeit. Dieser Austausch ist für beide Seiten span-nend, schließlich liegen die Arbeitsschwerpunkte eines Ingenieurdienstleis-ters und eines Kunstschaffenden in völlig unterschiedlichen Bereichen. Einer, der diesen Dialog unterstützt, ist Hans-Joachim Frey, langjähri-ger Künstlerischer Betriebs- und Operndirektor der Semperoper in Dresden und einer der Gründer des Forum Tiberius, einem internationalen Forum für Kultur und Wirtschaft. „Der Spezialist“ sprach mit ihm darüber, in welche Richtung sich die Beziehung zwischen Kultur und Wirtschaft entwickelt. Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß mit der aktuellen Ausgabe.

Mit herzlichen Grüßen

General ManagerBrunel GmbH

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kurz notiert

04 der Spez ial ist

EINSATZGEBIETE

Zurzeit gibt es mehrere vielversprechende Ansätze, selbstheilende Schichten zu implementieren. Ange-wendet werden können sie überall dort, wo Oberflä-chen beschädigt werden könnten, die besonders schwer zugänglich sind, wie etwa an den Rotorblät-tern von Windkraftanlagen oder der Außenhülle von Raumstationen. Lesen Sie mehr im Artikel „Lack heilt wie Haut“ auf Seite 38.

Winz ige Mult italente

Selbstheilende Schichten sind noch Zukunftsvision. Doch die Entwickler sehen große Einsatz-potenziale, die vom Autolack bis zur Außenhülle von Raumstationen reichen. Gerade an unzu-gänglichen Stellen könnten die mit Reparaturflüssigkeit gefüllten Nanocontainer ihre Vorteile ausspielen.

inhalt

05der Spez ial ist

inhalt

Seite 06

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Seite 46


› seite 30Die Lloyd Werft schneidet

Schiffe in zwei Teile und verlängert sie durch neue

Mittelsektionen.

› seite 38Oberflächen, die sich aus eigener Kraft reparieren,

bleiben eine Herausforde-rung für die Forschung.

› seite 42Waterstudio.NL plant

und realisiert weltweit schwimmende und

amphibische Bauten.

Der Spez ial ist

im fokus: KULTUR ALS STANDORT VORTEIL UND WIRTSCHAFTSMOTORDie Prinzenraub-Festspiele beleben eine ganze Region

im gespräch: KULTUR UND WIRTSCHAFT ALS STRATEGISCHE PARTNERTheaterintendant Hans-Joachim Frey im Gespräch mit dem Spezialisten

aus den branchen: SCHRAUBE SUCHT MUTTERIntelligente Datenbanken helfen bei der Konfiguration komplexer Produkte

history: GEGEN ALLE WIDERSTÄNDEWilhelm Kress – visionärer Vordenker und Erfinder des Wasserflugzeugs

technische projekte: KOMPLEXE SYSTEME SCHAFFEN SICHERHEITElektronische Helfer im Auto werden unentbehrlich

mitarbeiter und karRiere: AVIONIKSPEZIALISTIN STARTET DURCHYurong Zhang hat sich auf die Bordelektronik von Flugzeugen spezialisiert

aus den branchen: OPERATION SCHIFFSVERLÄNGERUNGIn Bremerhaven werden auch Kreuzfahrtriesen „auf Länge“ gebracht

Kunst & brunel: VIDEOKUNST ALS KREATIVE SPIELWIESEHans-Werner Eberhardt ist „Brunel Künstler des Jahres 2008“

Forschung & Wissenschaft: WUNDHEILUNG FÜR OBERFLÄCHENNanoteilchen sollen beschädigte Oberflächen autonom reparieren

Panorama: ARCHITEKTUR FÜR WASSERWELTENDer Klimawandel gibt schwimmenden Bauten neuen Auftrieb

Querdenken ANTWORT AUF DIE FRAGE ALLER FUSSBALLFRAGEN Tor oder kein Tor? Diese Technik bleibt keine Antwort schuldig

Termine

impressum

EX TRA: ART-BRUNEL-POSTK ARTEN MIT MOTIVEN DES KÜNSTLERS DES JAHRES 2008 (siehe Umschlagklappe)

›01

IM FOKUS

der Spez ial ist 07

Kultur als Standortvorteil und Wirtschaftsmotor

Zum fünften Mal finden im Sommer 2009 die Prinzenraub-Festspiele im thüringischen Alten-burg statt. Das Open-Air-Spektakel ist mittlerweile nicht nur ein Publikumsmagnet: Es bringt Geld in die Region, hat die Bürger mobilisiert, den Stand-ort attraktiver gemacht und sich damit zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Der Prinzenraub erzählt die Geschichte des Edelmanns Kunz von Kaufungen, der im Jahr 1455 eine offene Rechnung mit dem Wettiner Kurfürs-ten Friedrich begleichen wollte. Der Kurfürst war von Kaufungen seinen Sold schuldig geblieben. Daraufhin entführte der Edelmann die beiden Söhne Friedrichs aus dem Altenburger Schloss. Doch die Geiselnahme scheiterte und von Kau-fungen musste unter dem Beil des Henkers ster-ben. Die eindrucksvolle Aufführung am Original-schauplatz im Residenzschloss Altenburg versetzt die Zuschauer mitten hinein in die Umbruch-phase vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit mit der Suche nach neuen Werten und sozialen Unruhen.

Doch nicht nur diese Parallelen zur heutigen Zeit machen aus dem Prinzenraub mehr als ein gut inszeniertes Mittelalterspektakel. Die Festspiele sind vor allem ein Symbol für die Aufbruchstim-mung geworden, die in Altenburg herrscht, seit

das Stück im Jahr 2005 anlässlich des 550. Jahres-tags des Prinzenraubs zum ersten Mal aufgeführt wurde. „Dieses Projekt“, sagt der Oberbürgermeis-ter der Stadt, Michael Wolf, „hat uns selbstbe-wusst gemacht.“ Wie viele Regionen in den neuen Bundeslän-dern musste sich auch das über 1.000-jährige Al-tenburg aus einem wirtschaftlichen Tief befreien. Viele Unternehmen verließen den Standort, der Uran- und Braunkohlebergbau wurde eingestellt. Die Einwohnerzahl sank von rund 49.000 im Jahr 1990 auf etwa 36.000 im Jahr 2007. Noch vor drei Jahren bilanzierte die Stadt einen Schuldenberg von rund 31 Millionen Euro, die Arbeitslosenquote lag bei 20 Prozent, ein Investitionsstau hatte sich gebildet. „Wir befanden uns in einer sehr schwie-rigen wirtschaftlichen Situation“, berichtet Ste-fan Müller, Marketingleiter der Festspiele. „Und es fehlte uns die nötige Portion Eigenliebe.“ Gefragt war eine Maßnahme, die den Bürgern zugleich ihr Selbstwertgefühl zurückbringen, die Außendar-stellung der Stadt verbessern und die Wirtschaft vor Ort fördern sollte. In dieser Situation besan-nen sich Politiker, Unternehmer und Kulturschaf-fende auf die historischen Wurzeln Altenburgs. Das Prinzenraub-Jubiläum kam wie gerufen. Das Projekt rüttelte die Altenburger Bürger förmlich auf. Sie engagierten sich für den Prinzenraub und führten das Stück gemeinsam mit Profischauspie-lern vom Landestheater Altenburg auf – unter-stützt von der heimischen Wirtschaft.

TEX T › Jutta Witte

Im thüringischen Altenburg herrscht Aufbruchstimmung, seit die jährlichen Aufführungen des „Prinzenraub“ nicht nur Touristen, sondern auch Unternehmer in die Stadt ziehen. Die wei-chen Umfeldfaktoren werden immer wichtiger im Wettbewerb von Städten und Gemeinden.

› 01In Altenburg tauchen die Besucher der Prinzen-raubfestspiele tief ins Mittelalter ein. Rudolf Trommer überzeugte 2006 als Kanzler Haugwitz.

PRINZENRAUB-FESTIVAL ALS SYMBOL DES AUFBRUCHS

IM FOKUS

08 der Spez ial ist

„Die Region ist lebendiger, selbstständiger und attraktiver geworden“, findet der Leiter der Bru-nel-Niederlassung in Dresden, Falk Rosenlöcher. Die Verantwortlichen seien selbstbewusster ge-worden, das Stadtbild moderner. Brunel unter-stützt die Festspiele finanziell und durch strate-gische Beratung beispielsweise im Marketing. Zudem setzt sich Rosenlöcher für Kontakte zwi-schen Künstlern der Dresdner Semperoper und ihren Kollegen in Altenburg ein. Den eigenen Vertriebsraum in Sachsen und Thüringen über die Kultur näher zusammenzubringen, diene auch dem Unternehmen, so Rosenlöcher. Für ihn steht außer Frage, dass die Wirtschaft auch wei-che Standortfaktoren wie Kultur und Bildung för-dern muss. Diese Bereiche seien wichtig für die Zufriedenheit der Mitarbeiter und ihrer Familien. Der Prinzenraub fasziniert auch Uwe Eikemeier, Geschäftsführer des Altenburger Unternehmens Wellpappe Lucka. Das Stück mache den Menschen ihre Kultur und Geschichte bewusst und wecke neue Potenziale bei den Bürgern. Wie Rosenlöcher bringt auch Eikemeier Geschäftsfreunde aus ganz

Deutschland zum Prinzenraub und damit in die Altenburger Region. Zudem werben Lucka-Last-wagen für die Festspiele. Eine Maßnahme, von der nicht nur das Bühnenstück profitiert: „Wer-bung für den Prinzenraub bedeutet Werbung für Altenburg und die anderen Altenburger Marken“, erklärt Regisseur Lutz Gotter. Der höhere Bekannt-heitsgrad des Standorts diene auch den Altenbur-ger Spielkarten, dem Altenburger Likör oder dem Altenburger Bier.

Mehr als 45.000 Menschen besuchten die Auffüh-rungen von 2005 bis 2008. Der Zuschauerraum im Schloss bietet rund 1.000 Personen Platz und war in den ersten drei Spielzeiten zu 92 Prozent aus-gelastet. Mindestens 65 Prozent der Zuschauer kamen nach Angaben von Stefan Müller in die-sem Jahr aus anderen Regionen, um das Histo-rienspiel zu sehen. Mit einem zusätzlichen Auf-tragsvolumen von rund 450.000 Euro im Jahr

›02

› 02Gute Stimmung auf der Prinzenraub-Premieren-feier: (v.l.) der ehemalige ZDF-Intendant Dieter Stolte, der Oberbürger-meister von Altenburg Michael Wolf (SPD), der ehemalige enviaM-Vor-stand (Netze) Dr. Friedrich Glatzel und Dr.-Ing. Wolf-gang Ahlemeyer, enviaM-Vorstand (Marketing/Ver-trieb/Energiebeschaffung).

MITTELSTÄNDISCHE FIRMEN PROFITIEREN VON ZUSÄTZLICHEN AUFTRÄGEN

IM FOKUS

09der Spez ial ist

› 03

2008 profitieren nach seinen Angaben die kleinen und mittelständischen Unternehmen vor Ort und in der Region – vornehmlich aus den Bereichen Handel, Produktion und Dienstleistungen – direkt vom Prinzenraub. Die eigentliche Wertschöpfung, die nach Müllers vorsichtiger Schätzung bei ca. 900.000 Euro in diesem Jahr liegt, hat die Stadt insgesamt noch nicht ermittelt. Der vom Prinzen-raub ausgehende Motivationsschub verleihe dem allgemeinen Aufwärtstrend mit sinkenden Schul-den, neuen Investitionen, weniger Arbeitslosen und mehr Arbeitsplätzen zusätzliche Zugkraft.

Was ein kulturelles Großereignis vor allem für die Imagewerbung eines Standorts bedeuten kann,

zeigt seit mehr als 50 Jahren auch die documenta in Kassel. Alle fünf Jahre findet die Kunstaus-stellung in der nordhessischen Metropole statt. „Wer an Kassel denkt, denkt an documenta, und wer an documenta denkt, denkt an Kassel“, sagt Oberbürgermeister Bertram Hilgen. Rund 750.000 Besucher, ein Drittel von ihnen aus dem Aus-land, haben im vergangenen Jahr die weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst besucht und Geld in der Stadt gelassen – vorwie-gend in der Hotellerie, der Gastronomie, im Ein-zelhandel und im Verkehrsgewerbe. Doch nicht nur die Kunstbegeisterten steigern die Wertschöpfung. Ein erheblicher Teil des Aus-stellungsbudgets verbleibt nach Angaben von documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld in der Region, sei es als Lohn für die bis zu 800 Mitarbei-ter in documenta-Jahren, sei es durch den Ankauf

› 03Der Entführer der Prinzen auf dem Weg zur Hinrich-tung: Laien- und Profischau-spieler begeistern das Publikum gleichermaßen. Nahezu das gesamte Areal des Altenburger Schlosses wird dabei zur Freilicht-bühne.

ZEITGENÖSSIGE KUNST KURBELT DIE WIRT-SCHAFT IN K ASSEL AN

IM FOKUS

10 der Spez ial ist

von Waren und Dienstleistungen aus dem örtli-chen Handwerk. Kultur hat letztlich auch die Wirtschaft im rheinland-pfälzischen Worms kräftig angekur-belt. Ähnlich wie Altenburg kann die Stadt am Rhein als Schauplatz der Nibelungensage um den Helden Siegfried mit historischen Pfunden wuchern. 2002, zum Nibelungenjahr, sprangen die Verantwortlichen hier ins kalte Wasser und brachten mit den Nibelungen-Festspielen erst-mals in Worms Theater der Premiumklasse auf die Bühne. Ein hochwertiges Stück an historischem Ort, mit Dieter Wedel ein Top-Regisseur und ein Ambiente rund um die Festspiele, das auch den VIPs die passende Bühne bietet. „Ein Kulturange-bot auf solch hohem Niveau“, sagt der Wormser Oberbürgermeister Michael Kissel, „ist durchaus ein Standortfaktor.“ Während Worms als Nibelungenstadt sein Alleinstellungsmerkmal gefunden hat, dauert die Entwicklung hin zu einem unverwechselbaren Profil im thüringischen Altenburg noch an. Nach ersten Erfolgen ist Kontinuität gefragt, ohne dass

das Ereignis Prinzenraub beliebig wird. Nach Überzeugung der Akteure ist das Projekt für viele Jahre machbar. Auch für Oberbürgermeister Wolf ist es aus dem kulturellen Leben der Stadt nicht mehr wegzudenken.

Die Altenburger haben sich auch sonst viel vorge-nommen: Sie wollen neue Unternehmen akqui-rieren und ein familienfreundlicher Wohn- und Bildungsstandort werden. Ihre Probleme lösen sie jetzt – auch mit dem Erfolgserlebnis Prinzenraub im Rücken – offensiv. „Die Stadt wird ihren Weg gehen“, ist Wolf sicher, „nicht nur, weil ihr Ober-bürgermeister ein Berufsoptimist ist.“

INFO

Kultur ist mittlerweile ein handfester Wirtschaftsfak-tor. Laut einer EU-Studie aus dem Jahr 2006 trägt sie 2,6 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union bei. Das Beispiel Worms ver-deutlicht die Entwicklung. Rund fünf Millionen Euro betrug das Gesamtbudget für die Nibelungen-Fest-spiele im Jahr 2004. 1,8 Millionen Euro wurden als Umsatz unmittelbar in Worms verbucht. Die Net-towertschöpfung betrug 1,1 Millionen Euro.

› 04Die Nibelungen-Festspiele in Worms begeistern nicht nur Kulturinteressierte, auch die Wirtschaft ver-zeichnet positive Effekte.

›04

„DIE STADT ALTENBURG WIRD IHREN WEG GEHEN“

IM GESPRÄCH

11der Spez ial ist

INTERVIEW › Daniel Günther und Stine Behrens

Der Spezialist: Kultur gilt als eine treibende Wirt-schaftskraft. Warum ist das so und welche Rolle spielt Kultur in Deutschland?

Frey: Grundsätzlich finde ich es erst mal schön, dass es sich überhaupt in diese Richtung entwi-ckelt. Darin steckt aber auch eine Gefahr: Kul-tur darf nicht darauf reduziert werden, wie viele Arbeitsplätze sie bringt oder welche ökonomi-schen Vorteile sie erzielt. Denn sonst wird Kultur auf eine ausschließlich dienende Funktion redu-ziert. Kultur ist ein ganz wesentliches Element einer Gesellschaft, etwas Kreatives, wo Poten-zial entsteht, wo über die Ränder geschaut wird und wo etwas entsteht, was nicht der Norm ent-spricht. Dass Kultur eine große Rolle in Deutsch-land spielt, lässt sich auch an harten Fakten zei-gen: So gibt es beispielsweise in Deutschland mehr Arbeitsplätze in der Kultur als in der Auto-mobilindustrie. Bei Ansiedlungsgesprächen mit Unternehmen geht es zu 90 Prozent um hard facts. Aber die letzten zehn Prozent sind rein emo-tional. Da sind auch Kunst und Kultur entschei-dende Faktoren. Das wissen die Menschen noch zu wenig, merken aber, dass es von immer größe-rer Relevanz sein kann. Insofern ist Kultur wirk-lich eine ganz treibende Kraft.

Der Spezialist: Wie hat sich die Beziehung von Kultur und Wirtschaft in den letzten Jahren ver-ändert?

Frey: Die Beziehung hat sich komplett verändert. Beide Bereiche entdecken einander mehr und mehr, was ich wirklich gut finde. Kunst und Kultur werden in Deutschland vom Staat finanziert. Der kann diese Rolle aber auf Dauer nicht halten. Des-halb geht die Kultur immer stärker auf die Wirt-

›05

Kultur Und wirtschaft als Strategische PartnerImmer mehr Unternehmen setzen auch auf weiche Standortfaktoren, dazu gehört das kulturelle Angebot in der Region. Wie Künstler und Unternehmer voneinander profitieren können, erklärt Hans-Joachim Frey, Generalintendant des Bremer Theaters, im Interview.

› 05Hans-Joachim Frey ist seit 2007 Generalintendant des Bremer Theaters und setzt sich für den Dialog zwischen Kultur und Wirt-schaft ein.

IM GESPRÄCH

13der Spez ial ist

schaft zu und gleichzeitig entdeckt die Wirtschaft die Kultur. Hier im Theater Bremen gründen wir beispielsweise gerade ein Board, das zukünftig auch Mitspracherechte haben soll. Unter den Mit-gliedern sind auch Wirtschaftsvertreter. So entste-hen neue Einflüsse für das Theater. Bei Kulturver-tretern gibt es da die Angst, dass die Wirtschaft zu dominant wird. Aber Unternehmer und Füh-rungskräfte sind Meinungsträger der Gesellschaft. Wenn ich sie nicht von einem künstlerischen Pro-jekt überzeugen kann, kann ich das Publikum auch nicht überzeugen. Sie sind wichtige Multi-plikatoren. Gleichzeitig entdeckt die Wirtschaft aber auch die Möglichkeiten, mit Kunst und Kul-tur etwas zu erzählen. Beispiele sind die Autostadt in Wolfsburg oder die Telekom-Werbung mit Paul Potts. Kunst wird genutzt und mit ihr wird etwas erreicht. Daher bin ich sehr optimistisch, dass sich das zukünftig weiterentwickelt.

Der Spezialist: Wo ist die Grenze für die Ver-mischung zwischen Kultur und Wirtschaft?

Frey: Ich bin kein großer Freund von Grenzen. Aber eine Grenze wäre sicherlich irgendeine Form der Zensur, beispielsweise wenn bei Theaterstü-cken bestimmte Szenen nicht gezeigt werden sol-len. Wenn aber Filme oder Musicals bestimmten Spannungsbögen folgen, damit sie wirtschaftlich erfolgreich sind, halte ich diese Form der inhaltli-chen Mitsprache für nachvollziehbar.

Der Spezialist: Wann macht es für ein Unterneh-men Sinn, sich kulturell zu engagieren?

Frey: Für mich macht das natürlich immer Sinn. Zukünftig geht es aber nicht allein um Sponso-ring, sondern vielmehr auch um strategische Partnerschaften. Solch eine Partnerschaft war beispielsweise die Werbung für Radeberger Pilse-

ner mit der Semperoper in Dresden. Beides wurde als gemeinsame Marke definiert. Durch den Spot erlangte nicht nur die Brauerei, sondern auch die Semperoper einen wahnsinnigen Popularitäts-effekt. Sie wurde zu einer der bekanntesten Kul-turmarken Deutschlands.

Der Spezialist: Wirtschaft und Kultur lernen also voneinander?

Frey: Es ist eine provokante These, aber ich denke, jede künstlerische Entscheidung ist eine Marke-tingentscheidung. Im Ursprung denke ich künst-lerisch, aber ich kann es nicht mehr von den Mar-ketinggedanken trennen. Wenn ich ein Stück auf den Spielplan nehme, muss ich mir Gedan-ken über die Zielgruppe machen. Ein Beispiel, wie man eine Oper einem breiteren Publikum zugänglich machen kann, kommt aus Italien: Mir bot jüngst ein Komponist aus Rom eine Oper an, in der 40 Prozent der Komposition Rockmusik sind, die von einem italienischen Rockmusik-Star gemacht wird. So wurde ein tolles künstlerisches Projekt mit einem Marketingeffekt kombiniert. Es lässt sich also nicht mehr eindeutig trennen. Ich möchte diese Idee nun hier mit einem deutschen Rockmusiker umsetzen.

Der Spezialist: Wie steht Deutschland im Bezug auf das Zusammenspiel von Kultur und Wirt-schaft im internationalen Vergleich da?

Frey: Da liegen wir ganz weit zurück. Man muss jedoch auch unterscheiden: Wir haben in Deutschland das dichteste Kultursystem der Welt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz befin-den sich 70 Prozent aller weltweit bespielten The-ater. Wenn ich das im Verhältnis sehe, was jedes kleine Theater macht, sind wir ganz weit vorne. Aber in der Denke hängen wir hinterher. Die

PORTRÄT

Hans-Joachim Frey wurde am 10. Juni 1965 in Gehrden bei Hannover geboren. Er studierte Operngesang, Regie und Kulturmanagement in Hamburg. Von 1997 bis 2003 war Frey Künstleri-scher Betriebsdirektor, ab 2003 Operndirektor der Semperoper in Dresden. Seit August 2007 ist er Generalintendant des Theaters Bremen. Schwer-punkte seiner Arbeit sind die Nachwuchsförderung, der künstlerische Dialog auf internationaler Ebene sowie der Austausch zwischen Kultur und Wirtschaft.

SPONSORING WIRD MEHR UND MEHR ZUR STRATEGISCHEN PARTNERSCHAFT

JEDE KÜNSTLERISCHE ENTSCHEIDUNG IST EINE MARKETINGENTSCHEIDUNG

IM GESPRÄCH

der Spez ial ist14

Bayerische Staatsoper ist beispielsweise im Hin-blick auf Sponsoring das erfolgreichste deutsche Opernhaus. Die Sponsoringeinnahmen liegen zwi-schen zwei und drei Millionen Euro. Im Vergleich dazu: Die Metropolitan Opera in New York hat ein Budget von fast 200 Millionen Dollar. Davon kom-men 1,5 Prozent vom Staat und der Rest ist privat finanziert. Aber dahinter steht auch ein anderes System. Hier in Deutschland sind wir staatliche Betriebe, in den USA funktionieren Opernhäuser oder Theater wie Stiftungen.

Der Spezialist: Kultur gilt als Standortfaktor für eine Stadt oder gar eine ganze Region. Was wäre beispielsweise Berlin ohne Kultur?

Frey: Die Standortfrage ist eine Identitätsfrage. Ohne Kultur wäre Berlin nichts. Sie ist zwar Bun-

deshauptstadt, hat aber eine nicht so starke Wirt-schaft. Die Berliner können stolz sein, dass sie es trotz der Haushaltslage geschafft haben, all diese Theater, Museen und Opernhäuser zu erhalten. Mittlerweile siedeln sich in der Stadt auch mehr Unternehmen an, weil sehr viele interessante Menschen und die Politik da sind. Aber Berlin ist in erster Linie die größte Kulturstadt der Welt. Das wissen die Berliner mittlerweile und nutzen das für ihr Standortmarketing.

Der Spezialist: Im Jahr 2003 waren Sie an der Gründung des Internationalen Forums für Kunst und Kultur, des Forum Tiberius, beteiligt. Welche Ziele verfolgt diese Initiative?

Frey: Das Ziel der Initiative ist in einem Satz gesagt: Vermittlung von Kultur für die Wirtschaft. Unser Slogan „Was kann Kultur für die Wirtschaft leisten?‘“ war natürlich von Anfang an provokant. Er ist auch kritisiert worden, weil Kultur darin eine dienende Funktion hat, sich also der Wirtschaft anbiedert. Aber wir wollen der Wirtschaft zei-gen, warum der Umgang mit Kultur so notwendig ist. Zudem gründen wir gerade einen Weltkultur-gipfel, bei dem die Frage im Vordergrund steht: Welches sind die großen zukünftigen Probleme dieser Welt? Das klingt platt, aber angesichts des Mangels an natürlichen Ressourcen könnte es durchaus sein, dass gerade in der westlichen Welt alles Materielle bald ausgeschöpft ist. Dann rücken verstärkt immaterielle Werte und geistige Ressourcen in den Vordergrund. Vielleicht ist es ja genau das, was uns Europäer in den nächsten Jah-ren auszeichnet.

›06

› 06Berlin, eine der größten

Kulturstädte der Welt: Theater, Museen und

Opernhäuser trotzen den Sparzwängen und ziehen

mittlerweile mehr und mehr Unternehmen in die

Bundeshauptstadt.

IMMATERIELLE WERTE UND GEISTIGE RES-SOURCEN ALS ZUKUNFTSCHANCE

AUS DEN BRANCHEN

der Spez ial ist 15

Schraube sucht MutterAus einem Baukasten individuell auf Kundenwunsch produzierte Produkte stellen die Herstel-ler oft vor Probleme, denn nicht alle Bauteile sind kompatibel. Produktkonfiguratoren helfen dem Außendienst vor Ort, alle passenden, umsetzbaren Kombinationen zu präsentieren und nicht mögliche auszuschließen.

TEX T › Klaus Winter

›07

Produzierende Unternehmen können ein Lied davon singen: Der Vertrieb variantenreicher Pro-dukte ist ein schwieriges und zuweilen unrentab-les Geschäft. Denn wer sich bei der Konfiguration des Wunschproduktes auf Kataloge oder einfache Listen verlässt, riskiert Fehler. Im schlimmsten Fall verkauft der Mitarbeiter im Vertrieb dem Kunden ein Produkt, das in dieser Form gar nicht herstell-bar ist. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bie-ten so genannte Produktkonfiguratoren, wie sie beispielsweise von der Firma encoway angebo-ten werden. Das im Jahr 2000 gegründete Unter-nehmen gehört zur Lenze-Gruppe und beschäftigt derzeit rund 60 Mitarbeiter an seinem Standort in Bremen. Die Konfigurationslösungen von encoway kön-nen per Schnittstelle direkt an die Enterprise-Resource-Planning(ERP)-Systeme der produzie-renden Unternehmen angebunden werden oder auch in Customer-Relationship-Management-(CRM)-Systeme integriert werden. In diesen Sys-temen sind häufig die Daten einzelner Kompo-nenten, das Beziehungswissen und Kundenda-ten hinterlegt. Diese werden für die Herstellung der Produkte und für die Erstellung der Angebote benötigt. Die Konfiguratoren berücksichtigen die Abhängigkeiten der einzelnen Komponenten für den vertrieblichen Auswahl- und Angebotspro-zess. So können quasi „auf Knopfdruck“ vor Ort beim Kunden korrekte Auftrags- und Bestelldaten generiert werden. Die Kunden von encoway stel-

len komplexe, variantenreiche Produkte her, die individuell nach Kundenwunsch oder -anforde-rungen gefertigt werden.

Zu diesen Kunden zählt auch der Antriebstech-nikhersteller Lenze AG. Denn die Lenze-Getrie-bemotoren lassen sich theoretisch in Trilliarden möglichen Kombinationen aus einem Baukasten-system zusammenstellen – allerdings gibt es auch sehr viele „nicht baubare“ Zusammenstellungen, und die gilt es, von vornherein auszuschließen. Was die Aufgabe für den Vertrieb zusätzlich er-schwert, ist die Tatsache, dass nahezu alle Vari-

› 07Damit die Auswahl kom-plexer Produkte nicht zum Suchspiel wird: Produkt-konfiguratoren finden die realisierbaren Varianten.

100 TRILLIARDEN MÖGLICHE KOMBINATIO-NEN – UND EBENSO VIELE UNMÖGLICHE

16

AUS DEN BRANCHEN

der Spez ial ist

› 08

anten wiederum Abhängigkeiten untereinander aufweisen, also nicht beliebig miteinander kom-binierbar sind. So passt nicht jedes Getriebe in jedes Gehäuse, nicht jede Bremse zu jedem Motor. Zudem kommen aus der Entwicklungsabteilung laufend neue Varianten hinzu. Um hier den Über-blick zu behalten, ist ein zuverlässiges Konfigura-tionswerkzeug unumgänglich. Auch bei der Hydrometer GmbH ist keine Pro-duktanfrage wie die andere. Das Unternehmen entwickelt und fertigt innovative Messtechnik für den Wasser- und Wärmeverbrauch in Privathaus-halten und öffentlichen Einrichtungen. Fast jedes Messgerät wird individuell nach Kundenwunsch zusammengestellt. Um sowohl im eigenen Ver-trieb als auch in der Auftragsabwicklung Bestell- und Konfigurationsfehler auszuschließen, setzt das Unternehmen den Variantenkonfigurator Hy-kon von encoway ein. Die zentrale Wissensbasis des Hykon enthält Artikel, Komponenten und das Beziehungswissen eines Produktes. Die Vertriebs-mitarbeiter können über die Konfigurationsober-

fläche Schritt für Schritt die Auswahlmöglich-keiten an technischen Merkmalen einschränken. Hat sich ein Kunde beispielsweise entschieden, in welcher Energieeinheit das Messgerät den Ver-brauch messen und anzeigen soll, zeigt der Konfi-gurator nur noch die weiteren Produktmerkmale an, die damit kombinierbar sind. Zudem wer-den über den Hykon weitere für die Auftragsab-wicklung relevante Daten zur Verfügung gestellt, wie Stücklisten, Prüfpläne und Typenschildda-ten. Diese werden in einem Warenkorb über eine Schnittstelle an das Warenwirtschaftssystem des Unternehmens übertragen. „Der Konfigurator ist aus unserem Betrieb heute nicht mehr wegzuden-ken“, betont Christoph Dörrbeck, Projektleiter bei der Hydrometer GmbH. Denn ohne Hykon würde es teilweise Tage dauern, um zu klären, ob die gewünschten Produktmerkmale in dieser Form kombinierbar und technisch umzusetzen sind. Die Tools sind speziell für den Vertrieb ent-wickelt und arbeiten webbasiert. Daher sind sie auch unterwegs und somit vor Ort beim Kunden

› 08Thomas Johnsen setzt bei encoway auf bedienungs-freundliche Software-lösungen, die die Vertriebs-mannschaft seiner Kunden umfassend unterstützen.

AUS DEN BRANCHEN

17der Spez ial ist

nutzbar. Daten von Produkten und Einzelbau-teilen können ebenso wie bereits vorhandenes Beziehungswissen beispielsweise aus gängigen ERP-Systemen von SAP, Microsoft oder Baan über-nommen und ergänzt werden. Die Vertriebsmit-arbeiter erhalten mit den Tools von encoway die Möglichkeit, mit Hilfe einer optisch ansprechen-den, einfach zu bedienenden Oberfläche selbst komplexeste Produkte fehlerfrei zusammenzu-stellen.

Grundlage für das fehlerfreie Funktionieren ei-nes Konfigurationssystems ist die gewissenhafte Pflege der Bauteile und Variantenabhängigkei-ten. In einigen Unternehmen sind diese Abhän-gigkeiten bereits in den ERP-Systemen hinterlegt – sie müssen vom Konfigurator also nur ausgele-sen und entsprechend dargestellt werden. Wer die Variantenabhängigkeiten bislang noch nicht

erfasst hat, der kann dies einfach und komforta-bel über das encoway-Tool erledigen – diese Infor-mationen werden wiederum in das ERP-System übernommen. „Entscheidend ist, dass die Daten-pflege immer nur an einer einzigen Stelle erfolgen muss und anschließend in allen beteiligten Syste-men zur Verfügung steht“, erklärt Thomas John-sen, Vertriebsleiter von encoway. Der Konfigurator bietet außerdem die Mög-lichkeit, jedes Bauteil mit begleitendem Marke-tingmaterial zu versehen. So können Fotos, tech-nische Zeichnungen, Konstruktionsdetails oder auch Animationen und Videodateien hinterlegt und zum Zweck einer besseren und anschauli-cheren Beratung abgerufen werden. Eine Funk-tion, die Dr. Armin Walter, Leiter Product & Sales Support der Lenze AG, zu schätzen weiß: „Unsere Mitarbeiter können so komplexe Zusammen-hänge unkompliziert und übersichtlich darstel-len. Außerdem wird das Mitführen von gedruck-tem Material nahezu überflüssig.“

›09

› 09Produktkonfiguratoren sparen Zeit, Ressourcen und Geld. Die Softwarelö-sung weiß, welche Bauteile kompatibel sind und welche nicht.

ZUSATZFUNKTIONEN MACHEN DEN KONFIGU-RATOR ZUM VERTRIEBSINSTRUMENT

HISTORY

der Spez ial ist18

Gegen alle Widerstände

TEX T › Matthias Huthmacher

Wir schreiben den 3. Oktober 1901. Auf dem idyl-lischen Wienerwaldsee, etwa 20 Kilometer west-lich der österreichischen Hauptstadt, gesche-hen seltsame Dinge: Wie eine urzeitliche Riesen-Libelle gleitet bei Tullnerbach eine dreiflügelige Erscheinung über die Wasserfläche. Das wunder-liche Fluggerät nimmt unter Motorenlärm Anlauf, rast in Richtung Staumauer, bremst kurz davor ab und dreht. Dreimal wiederholt sich dieses Manö-ver, dann, im vierten Versuch, passiert es: Beim Wenden erfasst eine Windböe das Fahrzeug – es kentert und versinkt in den Fluten.

Der Mann, der sich mit knapper Not an die Was-seroberfläche retten kann, heißt Wilhelm Kress. Er wird als Erfinder des Wasserflugzeugs in die Geschichte der Luftfahrt eingehen. 67 Jahre ist er bereits alt und besessen von der Idee, sich mit Motorenkraft in die Lüfte zu erheben. Schon 1865 baut er einen frei fliegenden Luftkreisel und ein Flugmodell mit Uhrfederantrieb, das sich jedoch als zu schwer erweist. Zu dieser Zeit stellen die Menschen den bislang als unumstößlich gelten-den Grundsatz in Frage, der besagt, dass nichts flie-gen könne, was schwerer sei als Luft. Das Gegenar-gument lautet: Es braucht nur genügend Auftrieb durch Luftströmung unter ausreichend Flügelflä-che. Im Sommer 1877 liefert Wilhelm Kress den

PORTRÄT

Am 29. Juli 1836 als Sohn deutscher Eltern im rus-sischen Sankt Petersburg geboren, erlernt Wilhelm Kress dort den Beruf des Klavierbauers. Zwischen 1857 und 1864 packt ihn auf Reisen durch Mitteleu-ropa zum ersten Mal das Flugfieber und das lässt ihn künftig nicht mehr los.

Beweis: Ein Drachenfliegermodell aus Stoff, Draht und Bambusrohr mit einer Flügelspannweite von 1,30 Metern hebt vom Boden ab. Dabei segelt das „Aeroveloce“ nicht einfach: Es wird von zwei mit Tuch bespannten Luftschrauben bewegt. Für das Rotieren der sogenannten Fahnenpropeller sorgt ein Gummischnurantrieb. Doch Wilhelm Kress will mehr: Der Mensch selbst soll als Passagier durch die Luft getragen werden. Entwicklung und Bau eines entsprechen-den Gerätes kosten jedoch Geld, viel Geld. Kress

Gewässer als Start- und Landebahnen für Flugzeuge zu benutzen war keine schlechte Idee. Doch die physikalischen Eigenschaften von Wasser und der Schiffsverkehr stellten den visionä-ren Vordenker und Erfinder des Wasserflugzeugs Wilhelm Kress vor große Herausforderungen.

› 10Modell eines Dreiflüglers von Wilhelm Kress. Das Flugzeug wurde aufgrund von Finanzierungsproble-men nie realisiert.

NICHTS, DAS SCHWERER ALS LUFT IST, K ANN FLIEGEN – ODER DOCH?

› 10

HISTORY

der Spez ial ist20

fertigt also weitere unbemannte Flugobjekte, die er zum Verkauf anbietet. Durch Vorführun-gen versucht er, ein breiteres Publikum für seine Ideen zu begeistern. Gleichzeitig experimentiert er weiter, betreibt erste Hubschrauberstudien und besucht im Alter von 57 Jahren als Gasthörer die Technische Hochschule in Wien, um sein Wissen im Maschinenbau zu vertiefen. Schließlich findet er die Unterstützung einer Fördergruppe, sogar Kaiser Franz Joseph interessiert sich für das Vor-haben.

1898 sind endlich genügend Mittel zusammen, um mit dem Bau eines bemannten Flugzeugs zu beginnen. Drei Jahre nimmt das Projekt „Dra-chenflieger 1“ in Anspruch. Dabei gelingt Wilhelm Kress mit dem ersten Steuerknüppel zur kom-binierten Bedienung von Quer- und Höhenru-der eine weitere bahnbrechende Erfindung – bis dahin mussten die Ruder einzeln betätigt werden. Als Motorisierung kauft er einen 30 PS leistenden Vierzylinder-Benziner von den Daimler-Werken, der zwei gegenläufig rotierende, elastische Fah-nenpropeller antreiben soll. Der Flugkörper selbst besteht aus einem dünnwandigen Stahlrohrrah-

men, der drei mit Tuch bespannte, hintereinan-der gestaffelte und von oben nach unten versetzte Flügel sowie eine ausgeprägte Heckflosse trägt. Die Anordnung der Segel soll Störungen des Luft-stroms verhindern. Ihre Spannweiten betragen elf, zwölf und dreizehn Meter. Insgesamt kommen 85 Quadratmeter Flügelfläche zusammen. Die Bo-denplatte für den Piloten und den Motor ist unter den Tragflächen auf zwei Schwimmern aus Alu-minium montiert. Das komplette Fluggerät misst 16,32 Meter in der Länge und 4,50 Meter in der Höhe, das Gewicht beträgt 850 Kilogramm.

Der Flugzeugbauer wählt Wasser als Start- und Landebahn, weil er dort bei Unfällen mit weniger Beschädigungen an der Maschine rechnet als auf einer Wiese. Und doch wird ihm das nasse Element zum Verhängnis: Der nahezu 400 Kilogramm wie-gende Motor, eigentlich für den Einsatz in Autos konzipiert, drückt die als Schwimmer dienenden, nach oben offenen Bootskiele zu tief ins Wasser – als jener Windstoß am 3. Oktober 1901 den Dreide-cker erfasst, läuft ein Schwimmkörper voll. Den-noch wollen Zeitzeugen gesehen haben, dass „Dra-chenflieger 1“ vor der fatalen Wende kurz die Was-seroberfläche verlassen hat – zwei Jahre vor dem bemannten Erstflug der Gebrüder Wright mit einem Landflugzeug. Dabei dürfte es sich jedoch allenfalls um einen Hüpfer gehandelt haben. Ver-mutlich wollte Wilhelm Kress an diesem schick-salhaften Donnerstag auch gar nicht fliegen: Ihm ging es um die Erprobung des Schwimmverhal-tens. Für die eigentlichen Flugversuche plante er, auf einen der größeren Seen in Kärnten zu gehen. Dazu kommt es nicht mehr. Zwar nimmt der beharrliche Tüftler noch ein vierflügeliges Was-serflugzeug auf geschlossenen Schwimmern in Angriff, das jedoch wegen finanzieller Schwierig-keiten nicht über den Rohbau hinauskommt. Wil-helm Kress stirbt am 24. Februar 1913 nach länge-rer Krankheit in Wien.

› 11

› 11Konstruktionszeichnungen

eines Wasserflugzeuges von Wilhelm Kress (1901).

ZEITZEUGEN SEHEN NUR EINEN „HÜPFER“

ERSTER STEUERKNÜPPEL, DER QUER- UND HÖHENRUDER KOMBINIERT

HISTORY

21der Spez ial ist

Der erste Flug mit einem Wasserflugzeug gelingt noch zu Kress’ Lebzeiten: Der französische Inge-nieur Henri Fabre, der zuvor noch nie in einem Flugzeug gesessen hatte, startet und landet am 28. März 1910 vor Marseille im Wasser. Fabre hatte unabhängig von Kress dessen Ansätze weiterent-wickelt. Zu den wesentlichen Veränderungen sei-nes Flugzeugs „Hydravion“ gehörten ein 50 PS starker, gewichtsoptimierter Sternmotor sowie robuste, geschlossene Schwimmer.

In den folgenden Jahrzehnten entstehen in Eu-ropa zahlreiche Wasserflughäfen, weil damit kos-tengünstige Start- und Landebahnen verfügbar sind. Mit wachsendem Flugaufkommen verliert

das Wasserflugzeug nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch an Bedeutung. Der Platz auf den natürli-chen Landebahnen ist durch den Schiffsverkehr eingeschränkt. Wind und Wellengang erschweren Start und Landung, was einen geregelten Flug-verkehr behindert. Zudem sind den Dimensio-nen eines Wasserflugzeugs enge Grenzen gesetzt: Mit wachsender Größe des Flugkörpers werden auch immer größere Schwimmer nötig. Das führt schon in den Zwanziger- und Dreißigerjahren zur Entwicklung von Flugbooten, bei denen der kom-plette Rumpf wie ein Schiffskörper geformt ist. Sie erfordern wegen des Saugeffekts von Was-ser aber noch stärkere Motoren: Das 1952 fertig gestellte Flugboot „Saunders-Roe Saro Princess“ gilt bis heute als das größte seiner Art und benö-tigte zum Transport von maximal 105 Passagie-ren schon zehn Turboprop-Triebwerke mit jeweils 3.245 PS. Dazu kommen weitere konstruktionsbe-dingte Nachteile der wassergestützten Maschi-nen: Sowohl der Rumpf eines Flugboots als auch die nicht einziehbaren Schwimmer eines Wasser-flugzeugs verschlechtern im Vergleich zu landge-stützten Flugzeugen die Aerodynamik. Flugboote werden heute fast nur noch als Löschflugzeuge eingesetzt. Wasserflugzeuge dagegen dienen weiterhin der Personenbeförderung: Im Linienverkehr insel-reicher Regionen wie den Malediven, in Nordame-rika sowie für Rettungsmannschaften und Besu-cher abgelegener Gegenden sind die Flugzeuge auf Schwimmern unentbehrlich.

WASSERFLUGZEUGE VERLIEREN NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG AN BEDEUTUNG

› 12Das Schwimmflugzeug

Dornier Do-X verfügt über zwölf Motoren. Mit Platz für 170 Passagiere war es

Anfang der Dreißiger- jahre das größte Flugzeug

der Welt.

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technische projekte

der Spez ial ist 23

Komplexe Systeme schaffen S icherheitImmer komplexer, immer sicherer. So lässt sich die Entwicklung der elektronischen Helfer im Automobil zusammenfassen. Die Ingenieure bei VW sorgen dafür, dass die Software und Hard-ware der Steuergeräte auch unter Extrembedingungen zuverlässig funktioniert.

TEX T › Matthias Huthmacher

Der 21. Oktober 1997 hat die Autowelt verändert. Beim soge-nannten Elchtest, einem in Nordeuropa schon damals gängi-gen, doppelten Ausweichmanöver, kippte die funkelnagelneue A-Klasse von Mercedes um. Das hatte weitreichende Folgen für die gesamte Automobilindustrie. Elektronische Stabilitätspro-gramme (ESP), bis dahin nur in gehobenen Fahrzeugklassen im Einsatz, traten ihren Siegeszug quer durch die Modellpaletten an. Geht es nach dem Willen der EU, dann werden sie ab dem Jahr 2012 für alle Neuwagen sogar vorgeschrieben. Dabei wurde ESP ursprünglich gar nicht gegen das Kippen eines Autos erdacht. Vielmehr soll über den gezielten Brems-eingriff an je nach Fahrsituation unterschiedlichen Rädern das Schleudern des Wagens schon im Keim erstickt werden. Gleich-zeitig greifen die meisten Systeme auch noch in das Motoren-management ein und nehmen Gas weg. Weil die Elektronik dadurch auch extreme Lenkwechsel entschärft, lässt sie erst gar kein destabilisierendes Aufschaukeln des Wagens zu – das Unterbinden von Kippneigungen gibt es damit quasi als Bonus dazu.

Volkswagen zählt zu jenen Herstellern, die nach dem Elchtest am schnellsten reagierten und ESP rasch in ihre Baureihen einführten. Seither werden die Systeme stetig weiterentwi-ckelt, verbessert und ergänzt. Und hier sind sie an entscheiden-der Stelle dabei – vier Mitarbeiter der Brunel Niederlassung in Wolfsburg. Sie sind in der Abteilung EFBS der technischen Ent-wicklung der Volkswagen AG eingesetzt, so genannt nach den Anfangsbuchstaben der betroffenen Bereiche Entwicklung,

Fahrwerk, Bremse sowie Schlupfre-gel- und Assistenzsysteme. Drei von ihnen beschäftigen sich mit der Entwicklung von Soft- und Hardware für ESP-Steuergeräte. Dabei ist Frank Goldberg, Diplom- Ingenieur der Elektrotechnik, zu-ständig für die Modellreihen Passat und Tiguan. Jean-Jacques Engamba, ebenfalls Elektrotechnik-Ingenieur, und Stefan Kraut, Ingenieur der Technischen Informatik, kümmern sich um das ESP für die Golf-Platt-form. Diese kommt innerhalb des Volkswagen-Konzerns auch noch bei Audi, Seat und Skoda zum Einsatz. Mit jeder Modelländerung muss die Software an die neue Mechanik und Elektronik angepasst werden. „Unsere größte Herausforderung ist aber die stetig zunehmende Kom-plexität elektronischer Sicherheits-systeme“, erklärt Frank Goldberg. Das ESP greift mittlerweile ja nicht nur auf die ABS-Bremse zurück, son-dern enthält zahlreiche weitere inte-grierte Funktionen. Dazu zählen bei-spielsweise Motor-Schleppmoment-Regelung, Antriebsschlupfregelung, elektronische Bremskraftverteilung, hydraulischer Bremsassistent, elek-

› 13Bei jeder Modelländerung muss auch die Software an die neue Mechanik angepasst werden.

DIE HERAUSFORDERUNG IST DIE STÄNDIG STEIGENDE KOMPLEXITÄT ELEKTRONISCHER SICHERHEITSSYSTEME

technische projekte

24 der Spez ial ist

tronische Differenzialsperre, Brems-scheibenwischer zum Trocknen der Bremsscheiben, die Gespannstabili-sierung für den Anhängerbetrieb oder die automatische Abstandsre-gelung ACC – je nach Fahrzeug sind mehr oder weniger dieser Aufgaben in der ESP-Steuerung enthalten.

Und dann gibt es noch die elektro-mechanische Feststellbremse, kurz EPB (Electronic Parking Brake) ge-nannt. Christian Hoffmann, Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik und der vierte der Wolfsburger Brunel-Inge-nieure, ist für die EPB-Steuergeräte von Passat und Tiguan verantwort-lich. Auf den ersten Blick stellt dieses System einfach einen Ersatz der klas-sischen, mechanisch über Seilzüge

bedienten Handbremse dar, nur dass hier über Elektromoto-ren aktivierte Spindelantriebe die hinteren Bremsbeläge anle-gen und arretieren. Doch die EPB kann noch viel mehr. Sie dient beispielsweise auch als Anfahrassistent: Wird sie am Berg akti-viert, hält sie das Auto so lange fest, bis die Elektronik anhand von Gaspedalstellung und Kupplungsstand erkennt, dass wie-der angefahren werden soll – dann löst sie sich von selbst. Auch zur Autohold-Funktion des Tiguan trägt sie bei. Stoppt dessen Fahrer am Hang, muss er nicht die ganze Zeit auf dem Bremspedal stehen bleiben. Zunächst wird der durch das Tre-ten der Fußbremse aufgebaute Druck der Bremshydraulik „ein-gefroren“ und hält das Fahrzeug fest. Fällt aber der Druck des Bremssystems, etwa durch das Ausschalten des Motors, greift automatisch die EPB ein – das Auto bleibt am Platz. Außerdem kann über die EPB-Taste in einer Notsituation eine Vollbrem-sung ausgelöst werden. Um diese weiter reichenden Funktio-nen erfüllen zu können, muss auch die EPB mit dem ESP ver-netzt sein. „Wir sind Versuchs-, Test- und Entwicklungsingenieure in einem“, umschreibt Christian Hoffmann das weit gesteckte Aufgabenfeld des Brunel-Teams. „Wir definieren neue Aufgaben und entwerfen die Protokolle dazu, führen die Tests anschlie-ßend selbst durch, werten danach die Ergebnisse aus und doku-

› 14Aktuell arbeiten (v. l.) Jean-

Jacques Engamba, Frank Goldberg und Christian

Hoffmann an der Elektro-nik diverser VW Modelle.

Kleines Foto: Stefan Kraut

› 14

EPB: AUS DER HANDBREMSE WIRD EIN ANFAHRASSISTENT

technische projekte

der Spez ial ist 25

mentieren sie.“ Mit anderen Worten: Nicht nur ein verantwor-tungsvoller, sondern auch ein abwechslungsreicher Job. Eine Arbeit, die Theorie und Praxis gleichermaßen umfasst: „Die Zeit im Büro und draußen im Auto verteilt sich etwa 50:50“, so Hoff-mann.

Der Arbeitsplatz wechselt ständig. Am Schreibtisch werden unterschiedliche Szenarien erdacht und die Steuereinheiten entsprechend programmiert. Im Labor erfolgt die Inbetrieb-nahme neuer Geräte: Dort müssen sie sich in den virtuell erzeug-ten Fahrsituationen einer HIL-Simulation („Hardware in the Loop“ – Der Spezialist berichtete über dieses Thema in Ausgabe 11) erstmals bewähren. Doch dann geht es hinaus aufs Testge-lände oder auf die Straße. Über ihren Laptop haben die Ingeni-eure direkten Zugriff auf das zu prüfende Steuergerät des Autos und können es manipulieren. Damit provozieren sie im realen Fahrversuch jene Situationen, die sie vorab festgelegt haben. Das ESP-Trio beispielsweise lässt den Gierratensensor ausfal-len – die Stabilitätskontrolle verliert damit zwar den Zugriff auf dessen Daten, muss aber beim folgenden Fahrversuch trotz-dem Mindestfunktionen wie das ABS aktivieren. Oder Chris-tian Hoffmann simuliert einen Defekt des Kupplungssensors – die elektronische Parkbremse soll dennoch beim Anfahren mit zusätzlicher Betätigung der EPB-Taste die Bremsen lösen.

„Fail safe test“ nennen sie das – auch bei auftretenden Fehlfunktio-nen einzelner Komponenten muss das Gesamtsystem sicher arbeiten. Meist sitzen die Brunel-Ingeni-eure bei der praktischen Fahrdyna-mikerprobung selbst hinterm Lenk-rad. Wie bei Autotestern üblich, haben sie dazu spezielle Fahrertrai-nings absolviert. Die idealen Voraus-setzungen zur praktischen Erpro-bung von Sicherheits- und Assis-tenzsystemen sind Straßen, die mit ausreichend Schnee und Eis bedeckt sind. Daher packen die Spezialisten auch schon mal mitten im Winter ihre dicken Daunenjacken ein und reisen dorthin, wo sie die optimalen Witterungsbedingungen finden.

› 15Der Golf I und der Golf V im direkten Vergleich: Bereits das Fahrwerk des Golf I war Dank seiner großen Sicherheitsreser-ven wegweisend. Seither wurde es bei jedem Nach-folgemodell weiterent-wickelt.

› 15

AUCH BEI SENSORAUSFÄLLEN MUSS DIE ELEKROMECHA-NISCHE PARKBREMSE ZUVERLÄSSIG FUNKTIONIEREN

MITARBEITER UND KARRIERE

der Spez ial ist26

Avionikspez ial ist in startet durch

Manchmal, wenn Yurong Zhang in den großen Werkshallen von Lufthansa Technik in Hamburg oder Frankfurt unterwegs ist, scheint die Welt klein wie ein Dorf. „Es kommt immer wieder vor, dass ich einem Ingenieur begegne, mit dem ich schon vor etwa acht Jahren bei AMECO in Peking zusammengearbeitet habe“, stellt die 31-Jährige fest, die in China geboren wurde und dort aufge-wachsen ist. Kein Wunder: AMECO, die Aircraft Maintenance and Engineering Corporation, wur-de als Joint Venture zwischen der Lufthansa und Air China gegründet. Das Unternehmen hat sich auf die Instandhaltung und den Umbau moder-ner Verkehrsflugzeuge spezialisiert. Für Lufth-ansa-Techniker ist ein Aufenthalt in Peking des-halb nichts Ungewöhnliches. Die Brunel-Spezi-alistin Yurong Zhang sammelte bei AMECO im Anschluss an ihr Studium erste berufliche Erfah-rungen als Produktionsingenieurin.

Seitdem ist viel Zeit vergangen – Zeit, in der Yu-rong Zhang viel Know-how und vor allem prak-tische Erfahrung gewinnen konnte. Heute, bei Lufthansa Technik, arbeitet sie nicht mehr als Produktionsingenieurin. Stattdessen gehören zu ihren Aufgaben das Design und die Entwick-lung von Avioniksystemen. Der Begriff Avio-nik bezeichnet die gesamte Elektronik an Bord

moderner Verkehrsflugzeuge. Für diesen äußerst komplexen Bereich gibt es nicht viele Spezialis-ten. Yurong Zhang ist eine davon. Lufthansa Technik agiert heute weltweit. Das Unternehmen übernimmt die Instandhaltung, Modernisierung und Modifizierung von Flugzeu-gen der Lufthansa Flotte sowie für Partner aus aller Welt. Große Airlines oder zahlungskräftige Einzelpersonen, Regierungen oder Unternehmen können hier individuelle Wünsche von der Leder-ausstattung bis zur Sonderlackierung verwirkli-chen lassen. Dabei spielen Arbeiten an Avionik-systemen eine große Rolle. Am Lufthansa Technik Standort in Hamburg gehört Yurong Zhang zu einem Team von 13 hoch-qualifizierten Spezialisten. Nur dieses Team darf Umbauten im Cockpit der Maschinen vornehmen. Die anfallenden Arbeiten sind so vielfältig wie die Wünsche der Kunden. Ein typisches Beispiel ist die Entwicklung eines neuen Kommunikati-onspanels für das Cockpit, an dem die junge Ingenieurin maßgeblich beteiligt war. Bei der ursprünglich vorhandenen Lösung gab es im Cock-pit jeweils vier einzelne Schaltelemente für die Kontrolle von UKW-, Kurzwellenfunk und ACARS. Die neue Lösung integriert die vier Schaltele-mente in einem Panel, über das die entsprechen-den Kommunikationssysteme zentral angesteu-ert werden können. ACARS steht als Abkürzung für Air-to-Ground Communication and Repor-ting System. Dabei handelt es sich um ein satel-

TEX T › Frank Littek

Sie hat eine exzellente internationale Ausbildung und arbeitet in einem Bereich, in dem es weltweit nur wenige Experten gibt: Yurong Zhang ist bei Lufthansa Technik in Hamburg im Einsatz, um Design und Entwicklung von Avioniksystemen zu unterstützen.

PORTRÄT

2006 wurde Yurong Zhang Mitarbeiterin von Brunel. Rund anderthalb Jahre lang war sie bei Lufthansa Technik in Frankfurt im Einsatz. Als dann der Standort Hamburg Bedarf an einer Avionikspezia-listin anmeldete, hatte das Unternehmen eine Wunschkandidatin: Yurong Zhang.

MODIFIZIERUNG UND MODERNISIERUNG VON FLUGZEUGEN SIND IHR SPEZIALGEBIET


der Spez ial ist28

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litenbasiertes Kommunikationsystem zwischen Flugzeug und Boden. Gehen im Cockpit Nach-richten über ACARS ein, werden diese auf einem kleinen Display angezeigt. Die Piloten haben die Möglichkeit, die Informationen auf einem klei-nen Drucker auszugeben. Über ACARS rufen die Piloten häufig Wetterberichte während des Flu-ges ab. Auch die Kommunikation mit Wartungs-technikern der eigenen Airline erfolgt meist über ACARS, genauso wie über das System wechseln-de Gatenummern für Anschlussflüge übermittelt werden. Yurong Zhang entwarf dabei das Panel, entwickelte das Testverfahren, mit dem die ord-nungsgemäße Funktion überprüft wurde, und auch gleich das Wartungshandbuch für das neue Bauteil.

Die Arbeit bei Lufthansa Technik ist vielseitig, abwechslungsreich und technisch sehr tiefge-hend“, sagt Yurong Zhang über ihre Arbeit. Es gibt immer viele Möglichkeiten, ein technisches Problem zu lösen. Eine Herausforderung ihrer Arbeit liegt darin, den für den jeweiligen Kun-den optimalen Weg zu finden. Dazu braucht man vor allem eines: viel Erfahrung. Lernen ist für die junge Chinesin dabei ein nicht endender Prozess: „Ich lerne jeden Tag etwas Neues. Damit wächst meine Erfahrung mit jedem Tag.“ Angefangen hat die Karriere von Yurong Zhang mit einem Studium der Luftfahrttechnik am Civil Aviation Institute der Northwestern Polytechni-cal University der Stadt Xi’an in China. Ihr Schwer-punkt war schon zu dieser Zeit die Avionik. Vor allem ihre Mutter, die auch Ingenieurin ist, hatte Vorbildcharakter: Durch sie kam Yurong Zhang sehr früh mit technischen Themen in Berührung. Das Studium beendete sie 1999 mit einem Noten-durchschnitt von 1,3 und arbeitete im Anschluss als Produktionsingenieurin bei AMECO in Peking. An diese Praxisphase schloss sich ein Masterstu-

dium im Fachbereich Elektrische Kommunika-tionstechnik an der Universität Kassel an. Dass dabei die Wahl auf Deutschland fiel, hängt eng mit der Arbeit bei AMECO zusammen. „Viele Stu-denten in China streben ein Studium in den USA an. Das war zunächst auch mein Wunsch. In der Zeit bei AMECO habe ich dann sehr viel mit deut-schen Ingenieuren zusammengearbeitet und war beeindruckt von ihrer Qualifikation, von ihrer ruhigen und gründlichen Art, technische Pro-bleme zu lösen“, erinnert sich Yurong Zhang. So entschied sie sich für Kassel. Unterstützt wurde sie dabei durch Stipendien von der Siemens AG und der Rheinstahl-Stiftung. Das Studium gefiel ihr sehr gut. „In Deutschland haben Studenten mehr Möglichkeiten, sich auszusuchen, was sie lernen möchten. In China ist alles sehr viel fes-ter organisiert und vorgegeben“, vergleicht sie das Studium in beiden Ländern. „Außerdem müs-sen Studenten in China sehr viel mehr auswendig lernen“, erzählt sie weiter und fügt lachend hinzu: „Zudem sind die Semesterferien in Deutschland viel länger als in China.“

› 16Yurong Zhang ist in

China geboren, studierte zunächst in ihrer Heimat, bevor sie in Deutschland

ihren Master machte und 2006 bei Brunel einstieg.

„ICH LERNE JEDEN TAG ETWAS NEUES. DAMIT WÄCHST MEINE ERFAHRUNG MIT JEDEM TAG“


der Spez ial ist 29

Auf das Studium folgte dann bis Ende 2005 eine Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hannover im Fachbereich Hoch-frequenztechnik. Zunächst war ihr Ziel die Promo-tion, doch sie orientierte sich um. Das Interesse an einer Tätigkeit in der Industrie wuchs. Auch privat ereignete sich viel: Im Jahr 2005 heiratete Yurong Zhang und brachte ihr erstes Kind, Tim Hans, zur Welt.

Obwohl der berufliche Neueinstieg nach dem Stu-dium mit einem Baby eine neue Herausforderung darstellte, bewarb sich Yurong Zhang bei Brunel auf eine Stelle als Ingenieurin für Hochfrequenz-technik. Sie hatte Erfolg. „Die Teamleiterin hatte

für meine Situation mit dem Baby vollstes Ver-ständnis. Der Kontakt war sofort positiv.“ Ins-besondere dieser sehr menschliche Kontakt zur Teamleiterin ist für sie auch heute noch wichti-ger Bestandteil der Unternehmenskultur. Im Mai 2006 kam sie zu Brunel und nahm die Arbeit bei Lufthansa Technik auf. Sie wurde zunächst am Standort Frankfurt eingesetzt und ist seit Januar 2008 in Hamburg tätig.

› 17Für Yurong Zhang gehört auch die Kontrolle der Arbeiten vor Ort zum Arbeitsalltag.

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DIE UNTERNEHMENSKULTUR GIBT DEN AUS-SCHLAG BEI DER WAHL DES ARBEITGEBERS

AUS DEN BRANCHEN

der Spez ial ist30

Operat ion Schiffsverlänge-rung

Eine Fähre ist heutzutage mehr als ein Wasserfahrzeug, das zwischen zwei Häfen pendelt. Die modernen Schiffe gleichen kleinen Städten: Die Passagiere können wählen, ob sie ins Res-taurant oder in eine Bar gehen, ob sie im Fitness-Studio schwit-zen oder ein Theaterstück anschauen möchten. Wie Metropolen an Land können auch die schwimmenden Kleinstädte bei wach-sender Nachfrage aus den Nähten platzen. Da Neubauten teuer sind und ihre Fertigstellung aufgrund der Auslastung der welt-weiten Neubauwerften viel Zeit kostet, entscheiden sich Reede-reien immer häufiger für einen auf den ersten Blick unkonven-tionellen Weg: Sie lassen Schiffe verlängern. Spezialist auf die-sem Gebiet ist die Bremerhavener Lloyd-Werft.

Die Werft verlängert alle Schiffstypen, von Kühl- bis zu Passa-gierschiffen reicht die Palette. Das bislang größte Projekt der Bremerhavener war die Verlängerung der RoPax-Passagier-fähre Stena Hollandica um 51,75 Meter auf 240,05 Meter. Schiffe dieser Art transportieren Passagiere und Fahrzeuge, die an und von Bord fahren können. 54 Tage lang arbeiteten in Bremerha-ven rund 1.500 Mann an der Fähre, darunter sechs Ingenieure für die Aufsicht am Bau und rund 20 weitere für Planung und Leitung. Die Dimensionen der neuen Stena Hollandica: Sie bie-tet 3.980 Spurmeter Platz für Fahrzeuge. Würden also alle PKW und LKW im Laderaum hintereinander geparkt, wäre diese Schlange fast vier Kilometer lang. In den 398 Kabinen der ver-größerten Fähre übernachten 900 Passagiere – die Kapazität ist um mehr als ein Drittel gewachsen. Maßgeblich an diesem Mammutprojekt beteiligt waren Rolf Ludemann und Benedikt Dreymann, Ingenieure bei der Lloyd-

Werft in Bremerhaven. Ludemann leitete das Großprojekt, während Dreymann als Leiter der Konstruk-tionsabteilung unter anderem für Festigkeitsberechnungen und Pla-nungen der Arbeitsabläufe verant-wortlich war. Die besondere Her-ausforderung bei einer Schiffsver-längerung sieht auch das ungeübte Auge auf den ersten Blick. „Es sind die Größe und das enorme Gewicht eines Schiffes, die eine Verlängerung kompliziert machen“, erklärt Drey-mann. Entsprechend umfangreich gestaltet sich das Sammeln der rele-vanten technischen Daten, für das er und sein 15-köpfiges Team zuständig sind. Schon Wochen bevor ein Schiff in die Werft kommt, werten sie die Unterlagen der Reederei aus, stel-len Berechnungen zu Belastungen auf See und zu erforderlichen Mate-rialfestigkeiten an. „Das gesamte Schiffsskelett muss verstärkt wer-den“, erklärt Dreymann, „außerdem müssen zum Beispiel die Schweiß-nähte den Anforderungen der Zer-tifizierungsgesellschaften genü-gen.“ Diese Gesellschaften, eine Art TÜV, legen für umgebaute Schiffe die gleichen Sicherheitskriterien

Audio-Version unter: www.brunel.de/podcast

Schiffsneubauten sind teuer und zeitintensiv. Immer mehr Eigner lassen deshalb ihre Schiffe vom Kreuzfahrtriesen bis zum Kühlschiff verlängern. Dazu wird der Rumpf in der Mitte zerteilt und eine neue Sektion eingefügt. Eine technische und logistische Herausforderung.

› 18Neben der Außenhülle müssen alle Leitungen und Rohre durchtrennt werden, bevor das bereits im Vorfeld gefertigte Mit-telstück millimetergenau eingepasst und verbunden wird.

TEX T › Roland Bösker

KOMPLEXE BERECHNUNGEN FÜR VERÄNDERTE KRÄFTE

› 18

AUS DEN BRANCHEN

der Spez ial ist32

zugrunde wie für neue. Doch letztlich sind sämtliche Rechen-künste Theorie, denn im Laufe der Zeit werden auf den meisten Schiffen Aufbauten installiert oder der Innenraum wird verän-dert. Nicht all diese Änderungen findet man in den Unterlagen der Reedereien. „Wenn das zu verlängernde Schiff dann bei uns im Dock liegt, gleichen wir die Werte aus den Unterlagen mit der Realität ab und passen unsere Planungen an“, erklärt Drey-mann.

„Das neue Mittelteil der Stena Hollandica wurde nach unse-ren Vorgaben von der Bremerhavener Schichau-Seebeck-Werft gebaut“, beschreibt Rolf Ludemann. Als Grundlage für die Konstruktion dienten die Abmessungen, die in den Plänen des Ur-Schiffes stehen, Breiten und Längen der neuen Schiffssek-tion mussten präzise zwischen die alten Hälften passen. Bevor die Stena Hollandica ins Dock der Lloyd-Werft kam, waren Rohbau und ein Teil der Innenausstattung des neuen Mittel-stücks bereits fertiggestellt. Die Fertigung unterschied sich nicht von der eines kompletten Schiffs, es wurden nur der Bug und das Heck weggelassen. Nach dem Bau musste die Mittel-sektion mit Schleppern zur Lloyd-Werft verholt werden, wie es im Seemannsdeutsch heißt. Damit auf der Reise durch die Hafenbecken kein Wasser in die offenen Seiten eintrat, hat-ten die Arbeiter der Werft bereits während des Baus Schot-ten eingezogen, so dass die Konstruktion wie ein ganzes Schiff schwimmfähig war. Währenddessen wurde in der Lloyd-Werft die Stena Hollan-dica ungefähr mittig mit Schneidbrennern entlang einer per Laser bestimmten Linie zerteilt. Hunderte Rohrleitungen und Kabel wurden getrennt und beschriftet sowie die Innenaus-stattung entfernt. „Die Außenfarbe des Schiffes haben wir in Nassstrahltechnik mit Strahldüsen abgetragen“, erklärt Bene-dikt Dreymann. Binnen drei Tagen im noch trockenen Dock war diese Arbeit erledigt. Der Bug wurde anschließend fest auf dem Boden des Docks aufgesetzt. Dazu wurden die Ballasttanks geflutet, die normalerweise auf See dazu dienen, das Gewicht im Schiff so zu verteilen, dass es ohne Neigung im Wasser liegt. Im Gegensatz zum Heck sollte der Bug während des gesam-ten Verlängerungsprozesses im Dock bleiben. Auch hier wur-den die offenen Seiten durch Schotten geschlossen. „Der hin-

tere Teil des Schiffes musste nach dem Fluten des Docks von Schlep-pern ins Hafenbecken gezogen wer-den, um Platz für das neue Mittelteil zu machen“, beschreibt Dreymann weiter. „Damit das Heck ohne Nei-gung zur Seite oder in Längsrich-tung schwimmen konnte, haben wir einen speziellen Ponton, einen stählernen Schwimmkörper, an den Rumpf angeschweißt.“ Eine mathe-matische Herausforderung für die Ingenieure, schließlich mussten die Verbindungselemente zwischen dem Ponton und dem Schiffs-rumpf enormen Belastungen stand-halten. Nach der Installation des Schwimmelements wurde das Dock geflutet, indem es hydraulisch abge-senkt wurde. „Der Ponton lag wäh-rend des Anbaus auf hydraulischen Stützen auf. Vor dem Fluten wur-den diese entfernt und die mehr als 300 Tonnen schwere Konstruktion hing minutenlang quasi freischwe-bend in der Luft“, so Dreymann. Rolf Ludemann ergänzt: „Am spannends-

› 19Bevor das neue Mittel-stück eingepasst werden kann, wird das Schiff mit Schneidbrennern ungefähr mittig geteilt. Hierbei ist höchste Präzision erfor-derlich.

› 19

DIE MITTELSTÜCKE WERDEN GENAU WIE KOMPLETTE SCHIFFE GEBAUT – NUR OHNE BUG UND HECK

der Spez ial ist 33

ten war der Augenblick, in dem das Heckteil aufschwamm. Unsere Berechnungen stimmten: Der Pon-ton hielt das Heck gerade und wir konnten es sicher aus dem Dock zie-hen.“ Nun wurde das neue Mittelteil von Schleppern ins Dock geschoben.

Die Feinausrichtung erledigten hydraulische Winden. Binnen weniger als eineinhalb Stunden war diese Prozedur vollbracht. Anschließend wurde das Heck auf die gleiche Weise „eingefä-delt“ und der Ponton entfernt. Nachdem alle drei Teile neben-einander im Dock schwammen und die Schnittkanten für das Schweißen vorbereitet waren, wurden die Niveau-Unter-schiede zwischen Bug, Mittelteil und Heck ausgeglichen. Die Winden schoben die Sektionen bis auf zehn Millimeter anei-

› 20Hafenschlepper verholen

das auf der Bremerhavener Schichau-Seebeck-Werft

vorgefertigte neue Mittel-segment.

› 20

AUS DEN BRANCHEN

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nander. Drei Tage dauerte diese Präzisionsarbeit. Die verblei-bende Lücke wurde beim Schweißen geschlossen. Um Span-nungen im Rumpf zu vermeiden, folgten die Schweißer – 24 Mann an einer Naht – einer genau festgelegten Schweißfolge. Fertige Nähte wurden mit Röntgenstrahlen durchleuchtet, um Festigkeit und Qualität zu prüfen.

Die Verlängerung verursacht kaum Mehrverbrauch von Diesel. „Länge läuft“, sagt Lloyd-Geschäftsführer Werner Lüken, selbst Ingenieur für Schiffsbetriebstechnik. Mehr Energie braucht im Falle der Stena Hollandica vor allem die Ausstattung der neuen Sektion vom Restaurant bis zur Klimaanlage. Die lie-fert ein neuer Hilfsdiesel mit 2,5 Megawatt Leistung. Ein zwei-ter 1,7 Megawatt starker Motor versorgt das neue Bugstrahl-ruder, mittels dessen das Schiff quer zur Fahrtrichtung manö-

vriert werden kann. „Die Manövrier-fähigkeit des Schiffes ist mit dem Umbau sogar verbessert worden“, zitiert Ludemann die Ergebnisse der Probefahrt. Seit 2007 ist die neue Stena Hol-landica wieder auf See unterwegs. In Bremerhaven wird der Blick derweil in Zukunft gerichtet. Die Werft ver-größert ihre Docks, um auch künf-tig Schiffe der PanMax-Klasse repa-rieren und umbauen zu können. Mit 295 Meter Länge und 32,2 Meter Breite sind dies die größten Schiffe, die den Panamakanal passieren kön-nen. Werner Lüken: „Aber der soll vergrößert werden und dem passen wir uns an der Weser an.“

› 21Beim Ausrichten des neuen Mittelteils ist Präzision gefragt. Hydraulische Winden manövrieren die drei Einzelsektionen bis auf 10 Millimeter aneinan-der. Allein diese Prozedur dauert drei Tage.

› 21

DIE MANÖVRIERFÄHIGKEIT DES SCHIFFS WURDE DURCH DIE VERLÄNGERUNG SOGAR VERBESSERT

KUNST & BRUNEL

der Spez ial ist 35

Videokunst als kreat ive Sp ielwiese

TEX T › Stine Behrens

Eigentlich, sagt Hans-Werner Eberhardt, sei sei-ne Kunst Grundlagenforschung im Bereich des Geistigen: „Ich verfolge keinen konkreten Zweck, sondern probiere etwas aus, arbeite mich in neue Bereiche hinein.“ Die Brunel GmbH hat diese indi-viduelle Art der „Forschung“ überzeugt: Hans-Werner Eberhardt ist „Künstler des Jahres 2008“. Der 45-jährige Bremer ist Videokünstler. „Ein riesengroßer Bereich“, wie er bemerkt. Der Unter-schied zwischen seinen Werken und der als „klas-

sisch“ geltenden Videokunst der Achtzigerjahre ist schnell erklärt: „Damals wurden Videos ana-log produziert. Heutzutage habe ich die Mög-lichkeiten, digital in die Daten einzugreifen, und kann mich so gestalterisch ganz anders auslas-sen.“ Daher muss das Ausgangsmaterial seiner Videos weder aufwendig noch extravagant sein. „Ich filme einfach drauflos. Das sind ganz banale Alltagssituationen, nichts Spezielles“, sagt Eber-hardt. So entsteht ein wachsender Fundus an

PORTRÄT

Hans-Werner Eberhardt wurde am 9. März 1963 in

Bochum geboren. Nach seinem Studium der

Visuellen Kommunikation in Dortmund war er als

Layouter und Art-Direktor bei verschiedenen Agen-

turen in ganz Deutschland tätig. 1998 machte sich

Eberhardt selbstständig und gründete 1999 seine

Mediendesign-Agentur plan2 GbR. Seit sieben

Jahren widmet er sich der Videokunst.

Hans-Werner Eberhardt ist „Brunel Künstler des Jahres 2008“. Der Bremer Videokünstler ver-fremdet Alltägliches und reiht Einzelsequenzen zu kurzen Filmen, die er in Endlosschleifen laufen lässt. Seine Filme sollen den Betrachter irritieren und so zum Nachdenken anregen.

der Spez ial ist36

KUNST DURCH DIGITALE VERFREMDUNG

› 22Durch Verzerrungen, Deh-

nungen, Veränderungen der Farben und Spiegelun-

gen entstehen abstrakte Bildnisse das Alltags.

Im Video „Maschinencode“ bewegen sich Figuren,

davor läuft der Programm-code.

Material, den er auf der Festplatte seines Com-puters sammelt. Diesen durchstöbert er, „so wie andere Menschen ab und an ihre Fotoerinnerun-gen durchschauen“. Dabei stößt er immer wieder auf nur wenige Sekunden lange Sequenzen, die ihn aus ganz unterschiedlichen Gründen anspre-chen oder berühren – eine sehr persönliche Ange-legenheit. Das kann ein Baum sein, der sich sanft im Wind wiegt, oder eine Person, die auf eine interessante Art in die Kamera blickt.

„Diesen Ausschnitt nehme ich aus dem Video her-aus und bearbeite ihn, ich dehne, spiegele oder verändere die Farben. So lange, bis ich das Gefühl habe, das ist für mich rund.“ Eberhardt nennt die-sen Prozess „collagierendes Arbeiten“. Diese indi-

viduelle Art, bewegte Bilder zu zerlegen und neu zusammenzusetzen, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Arbeiten. Ein geübtes Auge würde seine Handschrift durchaus erkennen und Eber-hardts Videos von denen anderer Videokünstler unterscheiden. Sein Handwerkszeug ist sein Computer. Im Gegensatz zu Künstlern, die mit Pinsel und Staf-felei arbeiten, hat Eberhardt hier die Möglichkeit, Arbeitsschritte rückgängig zu machen. Dennoch oder gerade deshalb kann es Tage dauern, bis er ein Video fertig gestellt hat: „Der Computer muss gewaltige Datenmengen verarbeiten. Das gilt auch für Schritte, die ich wieder zurücknehme, weil das Resultat für mich beispielsweise nicht die Aus-sage hat, die ich erhofft hatte“, erklärt Eberhardt. Als Leinwand für seine virtuellen Motive eignen sich PC-Bildschirme, Fernseher oder digitale Bil-derrahmen.

› 22

KUNST & BRUNEL

der Spez ial ist 37

› 23

ierte Wirklichkeit darstellen. Mit seinen Videos möchte er zeigen, dass sich der zweite Blick und das Hinterfragen der Medien lohnt. „In den Videos ist nicht viel Action, es wird keine Story erzählt. Erst bei genauem Hinsehen merkt der Betrachter, dass in den auf zwei bis drei Minuten gestreck-ten und in einer Dauerschleife laufenden Sequen-zen etwas anders ist, etwas Überraschendes – und vielleicht wird er dadurch angestoßen, noch ein-mal genauer hinzuschauen.“

Auch beruflich hat Hans-Werner Eberhardt mit Medien zu tun. Seit 1988 arbeitet er als Medien-designer, konzipiert und gestaltet Internetseiten und Printerzeugnisse.

„Dadurch setze ich mich täglich mit der Wirkung von Medien auseinander“, so der Künstler, „da ist der Schritt nicht weit, mich auch intensiver mit bewegten Medien zu beschäftigen.“ Während es in seinem Beruf um Eindeutigkeit geht und die Botschaften seiner Arbeiten schnell erfassbar sein sollen, ist seine Kunst für ihn eine „kreative Spiel-wiese“. Hier kann er fernab von Kundenwünschen und wirtschaftlichen Zwängen „forschen“. Seine Werke sollen bewusst Raum für Interpretationen lassen, aber auch zum Nachdenken anregen. „Ich nenne es die ,Irritation der Wahrnehmung‘. Der Betrachter soll stutzig werden.“ Denn Vielen sei nicht bewusst, dass die Medien nur eine konstru-

› 23„Ruderer“ heißt dieses Werk von Hans-Werner Eberhardt, in dem der Protagonist aussichtslos gegen sich selbst anrudert.

RAUM FÜR INTERPRETATIONEN UND IRRITATI-ONEN DER WAHRNEHMUNG

TEX T › Dr. Ralf Schrank

Forschung & Wissenschaft

der Spez ial ist38

Wundheilung für Ober-flächen

› 24Die Rotoren von Windkraft-anlagen könnten bald zu den vielfältigen Einsatzge-bieten von selbstheilenden Schichten zählen.

› 24

Jeder kennt den Alptraum des Neuwagenbe-sitzers: die lange, hässliche Schramme in der Metallic-Lackierung des gerade teuer erstande-nen Wagens. Aber nicht nur Autos sind „oberflä-chenveredelt“ – lackiert, galvanisiert, emailliert, eloxiert, vakuumbeschichtet. Es gibt kaum ein Gebrauchsgut, das nicht mit einem schützenden oder dekorativen Überzug versehen wäre.

Nach einer Studie der Deutschen Forschungsge-sellschaft für Oberflächenbehandlung e. V. liegt das wirtschaftliche Volumen der Beschichtungs- und Oberflächentechnik allein in Deutschland bei 70 Milliarden Euro pro Jahr. Beim laufenden Betrieb von Windkraftanlagen beispielsweise stel-len die Inspektion und die Erneuerung der Rotor-blätter-Oberflächen nach Beschädigungen durch Korrosion und Witterungseinflüsse den größten Kostenfaktor dar. Daher arbeiten Forscher mit Hochdruck an aktiven Reparatursystemen, die die passive Schutz-schicht im Falle einer Beschädigung wieder her-stellen sollen. Zwar ist das noch ferne Zukunfts-musik, jedoch gibt es viel versprechende Modell-studien, die sich mit Hilfe nanotechnischer Metho-den vielleicht in die Praxis umsetzen lassen. Pate stehen dabei biologische Heilungsprozesse, wie sie jeder beispielsweise von seiner Haut kennt:

Sie ist in der Lage, Schäden durch Nachwach-sen auszuheilen. Dazu werden gezielt Reparatur-substanzen zur Wunde transportiert. Mit Erfolg haben Forscher bereits diese Art der Wundhei-lung nachgebildet. So gelang es, ein dreidimen-sionales Netzwerk aus haarfeinen Kapillaren in eine passive Schutzschicht einzubetten. Durch die Kapillaren zirkuliert eine Flüssigkeit, die im Kon-takt mit einem Katalysator zu einem Kunststoff aushärtet. Der Katalysator ist gleichmäßig in der Schicht verteilt. Wird die Schicht angekratzt und

Oberflächen, die sich selbst reparieren, sind noch eine Zukunftsvision. Mögliche Einsatz-gebiete gibt es hingegen viele – vom Auto bis zum Windradrotor. Forscherteams testen zurzeit Nanokapillarnetzwerke, Nanokapseln und Nanocontainer auf Praxistauglichkeit.

FORSCHER ARBEITEN MIT HOCHDRUCK AN AKTIVEN REPARATURSYSTEMEN

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der Spez ial ist 39

eine Kapillare geöffnet, fi ndet an der Schadstelle die Reparaturreaktion statt. Wenn die Schicht an der gleichen Stelle nochmals verletzt wird, ist sogar ein zweiter Ausheilprozess möglich. Einfa-cher zu realisieren ist das Konzept der Reparatur-container, bei dem eine Schutzfl üssigkeit in win-zige Pakete eingekapselt wird. Die Pakete werden in der passiven Schutzschicht deponiert. Bei einer

mechanischen Beschädigung der Schicht platzen einige Pakete. Der Container-Inhalt kann die pas-sive Schicht reparieren oder das Material darun-ter schützen. Allerdings nur einmal: Eine zweite Verletzung an der gleichen Stelle heilt nicht mehr aus. Bislang hat noch keines der in den letzten zehn Jahren vorgestellten aktiven Reparatursysteme

SELBSTHEILUNG VON OBERFLÄCHENBESCHICHTUNGEN


40 der Spez ial ist

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metallische Schutzschicht ein, die mit einem Rost-schutzmittel oder mit Öl gefüllt sind. Beschädigt ein Kratzer die Schutzschicht, platzen einige der Nanokapseln und verteilen ihren Inhalt an der Schadstelle.

Die Forscherin zu den Details: „Auf einer Metall-oberfläche scheiden wir galvanisch eine 30 Mikrometer dicke Schutzschicht aus Zink, Nickel oder Kupfer ab, die mit den Nanokapseln durch-setzt sein soll. Die Schwierigkeit ist, dafür zu sor-gen, dass die hochempfindlichen Kapseln bei der Abscheidung intakt bleiben und sich gleichmäßig in der Schicht verteilen.“ Die gängigen Methoden der Galvanik, der elektrochemischen Abscheidung von Metallen aus wässrigen Salzlösungen, wür-den die Kapseln zerstören. Verschiedene Zusätze sollen sicherstellen, dass die Kapseln ihren kost-baren Inhalt nicht schon beim Galvanisieren ver-lieren.

Eingang in die Praxis gefunden. Die realisier-ten Kapillaren und Container sind mit 2 bis 100 Mikrometern (ein menschliches Haar ist etwa 25 bis 50 Mikrometer dick) einfach zu groß. Dadurch stören sie die Funktionalität der heute allgemein verwendeten passiven Schutzschichten erheblich. Denn die sind ebenfalls nur einige zehn Mikro-meter dick. Wirklich „intelligente“ Schutzschich-ten werden daher Nanocontainer oder Nanonetz-werke enthalten müssen. Denn erst wenn die ein-gebetteten Reparaturkapillaren und -container nur noch um die 100 Nanometer (gleich 0,1 Mikro-meter) groß sind, beeinträchtigen sie die Wirk-samkeit der passiven Schutzschicht nicht mehr wesentlich. Seit dem Frühjahr 2008 fördert die Volkswa-genstiftung zwei deutsche Forschungsprojekte, die dem Konzept der Selbstheilung den Weg in die Nanowelt ebnen sollen. Eines dieser Projekte ist am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrik-betrieb (IFF) der Universität Stuttgart angesiedelt. Dr. Claudia Dos Santos lagert Kapseln mit einem Durchmesser von etwa 200 Nanometern in eine

NANOK APSELN WERDEN IN EINE DÜNNE SCHUTZSCHICHT EINGEBETTET

› 25Aufgeborstener Mikrocon-tainer unter dem Raster-elektronenmikroskop. Der zunächst flüssige Inhalt härtet nach der Frei-setzung aus und schließt die Beschädigung der Oberfläche.

20 µ


der Spez ial ist 41

› 26

› 26Ärgerliche Kratzer im Autolack könnten bald der Vergangenheit angehören. Bis dahin ist aber noch viel Entwicklungsarbeit nötig. Autolacke sind heute ca. 100 bis 120 Mikrometer dick; Nanocontainer mit Reparaturflüssigkeit dür-fen nur eine Größe von 100 Nanometern haben, um die Wirksamkeit der passi-ven Schutzschicht nicht zu beeinträchtigen.

Dr. Andreas Dietz vom Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik in Braunschweig erläutert das zweite Projekt: „Unsere Nanocontai-ner reagieren auf lokale Änderungen von Ionen-konzentrationen, etwa des pH-Werts, oder auf Tem-peraturänderungen. Ändert sich als Folge eines lokalen Korrosionsvorgangs einer dieser Parame-ter in einem begrenzten Areal der Schutzschicht, dann öffnen sich die Kapseln in diesem Areal und setzen ihren Inhalt frei.“ Sowohl das Projekt des Fraunhofer-Instituts, das im Verbund mit dem Chemie-Department der Universität Paderborn und dem Max-Planck-Institut Golm läuft, als auch das Projekt des IFF haben zum Ziel, die Container während des Galvanisierens in der Schutzschicht zu deponieren. Dabei kämpfen sie vor allem mit dem Basisproblem von Nanoteilchen: Wegen der großen anziehenden Oberflächenkräfte nei-gen sie zum Zusammenklumpen. Das erschwert die gleichmäßige Verteilung in der Schicht.

Hohe wirtschaftliche Bedeutung hat auch das Aufbringen von Schutzschichten durch Lackieren. Deshalb hat sich die Arbeitsgruppe um Prof. Dr.-Ing. Guido Grundmeier von der Universität Pader-born zum Ziel gesetzt, Nanocontainer auch in dünne Schichten aus wasserlöslichen Lacken ein-zubetten. Grundmeier: „Wir wollen die Nanocon-tainer gezielt dort in der Schutzschicht positionie-ren, wo sie gebraucht werden. Dazu müssen wir die Hüllen so designen, dass die Container wäh-rend des Schichtaufbaus durch Anziehungs- und Abstoßungskräfte selbst den richtigen Platz fin-den.“ Container, die ein Rostschutzmittel enthal-ten, sollen sich an der Grenze zum Metall anrei-chern. Container mit tribologischen Wirkstoffen, so genannten Hartstoffen, dagegen in der äuße-ren Grenzschicht, um dort die Wirkungen von Rei-bung und Verschleiß zu verringern. Beide Projektgruppen stellen ihre Container nicht selbst her. Denn das ist eine Kunst, die nur

sehr wenige beherrschen. Einer von ihnen ist Prof. Dr. Christian Mayer von der Universität Duisburg-Essen, mit dessen Nanocontainern die Stuttgarter Forscher experimentieren. Ein weiterer Experte auf diesem Gebiet ist Dr. Dmitry Shchukin vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflä-chenforschung in Potsdam. Als Projektpartner lie-fert er die Container für den Verbund aus Braun-schweig, Golm und Paderborn. Die Herausforde-rung für beide besteht darin, Nanocontainer zu produzieren, die trotz ihrer Winzigkeit eine aus-reichende Menge des Reparaturmediums enthal-ten und die ihren Inhalt exakt zum richtigen Zeit-punkt freisetzen. Denn das ist genau das, was die Projektteilnehmer brauchen.

INTELLIGENTE NANOCONTAINER

› 27

PANORAMA

43der Spez ial ist

Architektur für Wasser-welten

als 100 der größten Städte der Welt sind nahe am Wasser gebaut und unsere Lösungen kom-men überall in Frage“, sagt der Architekt. Aus die-sem Grund versucht er seinen Entwürfen ein Aus-sehen zu geben, das nicht nur an einen Ort oder in eine bestimmte Landschaft passt. „Wir haben eine Vision entwickelt, so etwas weltweit umzu-setzen“, sagt er. „Darin sehen die Städte so aus wie heute, nur dass sie flexibler an den Klimawandel, die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft sowie die Demographie angepasst werden können.“

Nach den Entwürfen von Peters und Olthuis wird derzeit ein Kongresszentrum auf der Donau bei Budapest realisiert. Außerdem arbeitet das Architekturbüro an einem Projekt mit 1.400 teils schwimmenden Häusern, teils auf hydraulischen Stelzen stehenden Häusern, Straßen, Parkhäu-sern und einer Schule, das ab 2010 in Naaldwijk nahe Den Haag entstehen wird. Das Gebiet befin-det sich in einem Polder, einem ehemals zur Land-gewinnung trocken gelegten und anschließend eingedeichten See unterhalb des Meeresspiegels. Aus diesem musste bislang das Wasser in einen rund eineinhalb Meter höher gelegenen Kanal abgepumpt werden. Ein teurer Aufwand, den man sich nun sparen kann, was zur Folge hat, dass sich

FLACHE SEEN UND POLDER SIND IDEALES BAULAND FÜR SCHWIMMENDE HÄUSER

TEX T › Marco Heinen

Die Idee, Häuser auf Pontons zu bauen, ist nicht neu. Steigende Meeresspiegel verschaffen dem Konzept neuen Auftrieb. Ein niederländisches Architekturbüro und die FH Lausitz liefern Lösungen, die sich an immer mehr Küsten und Flussufern auch ökonomisch auszahlen.

Die Menschen am Mississippi wurden im ver-gangenen Juni von einer Jahrhundertflut heim-gesucht. Sintflutartige Regenfälle ließen den Strom auf einer Gesamtlänge von über 500 Kilo-metern über die Ufer treten. Ganze Ortschaften wurden überschwemmt, große Teile der Weizen- und Maisernte vernichtet. Extreme Wetterereig-nisse nehmen in Folge des Klimawandels zu. Der Anstieg der Meeresspiegel ist nach Prognosen vie-ler Experten kaum noch abzuwenden. Angesichts der sich wandelnden Lebensbedingungen ändern sich auch die Anforderungen an den künftigen Städtebau. „In den Niederlanden wird uns der steigende Meeresspiegel mehr betreffen als anderswo“, meint der Architekt und Industriedesigner Koen Olthuis. „Ich denke, dass hier in den nächsten 20 Jahren rund eine Million Häuser gebaut werden. Es wäre keine weise Entscheidung, all diese Häu-ser nur auf festem Grund zu bauen“, meint er. Vor fünf Jahren gründete Olthuis zusammen mit dem Ingenieur Rolf Peters mit Waterstudio.NL das erste Architekturbüro in den Niederlanden, das sich hauptsächlich mit schwimmenden Häu-sern befasst. Rund 70 solcher Häuser soll es bis-lang in den Niederlanden geben, rund ein Drittel davon hat laut Olthuis sein Büro entworfen. Zwar war es auch der Klimawandel, der ihn anspornte, neue Wege zu gehen, doch mindes-tens ebenso wichtig ist das enorme wirtschaft-liche Potenzial, das sich damit verbindet. „Mehr

› 27Wohnen auf dem Wasser wird nicht nur in den Nie-derlanden immer beliebter. Weltweit sind Küstenre-gionen von steigenden Meeresspiegeln bedroht und suchen nach Lösungen wie schwimmenden oder amphibischen Häusern.

PANORAMA

44 der Spez ial ist44

auf der Fläche erneut ein etwa 1,20 Meter tiefer See zu bilden beginnt. Damit entsteht ideales Bau-land für das Waterstudio.NL. Neben den rein schwimmenden und auf Stel-zen stehenden Systemen beinhaltet das Portfolio der Niederländer auch amphibische Häuser. Wäh-rend die Stelzen in Gegenden mit stabilem Was-serlevel eingesetzt werden, sind die amphibischen Lösungen laut Olthuis „großartig für Hochwasser-gebiete geeignet.“ Diese Häuser sehen auf den ersten Blick aus wie normale Gebäude, deren Erd-geschoss rund einen Meter über dem Boden liegt. Ihre Fundamente bestehen jedoch aus einem spe-ziellen Schaum und sind nicht am Boden befes-tigt. Wird das Gebiet überflutet, schwimmen die amphibischen Häuser. Am Wegschwimmen wer-den sie von Teleskopstangen gehindert.

Und so funktioniert die schwimmende Archi-tektur: Bei kleineren Wohngebäuden werden als

Fundament innen hohle Pontons aus Stahlbe-ton benutzt. Hat das Gewässer nur eine geringe Tiefe, werden die schwimmenden Pontons mit Hilfe von Stahl-Pfählen am Grund des Gewässers fixiert. Über eine automatisch gesteuerte Hydrau-lik in den Pfählen kann der Ponton an den jeweili-gen Wasserstand angeglichen werden. Bei großen Bauwerken in tiefen Gewässern kommen erheb-lich größere Pontons aus Stahlbeton zur Anwen-dung, die zusätzlich mit EPS-Schaum (Expanded Polystyrene) gefüllt sind. „Der Schaum hat den Vorteil, dass die Pontons bei einer Havarie nicht mit Wasser vollaufen können“, erklärt der Diplom-ingenieur Frank Batke von der Fachhochschule Lausitz. Er gehört zu einem Team von Forschern, die sich im Fachbereich Architektur/Bauingeni-eurwesen/Versorgungstechnik mit schwimmen-den Bauten aller Art beschäftigen. Batke betont, dass es diverse Pontonsysteme und Materialien gibt. Die Herausforderung bestehe darin, für jedes Objekt den geeigneten Schwimmkörper zu finden: „Neben der Sicherung der Tragfähigkeit und der Schwimmstabilität muss der Einsatz des Mate-

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STAHLBETON-PONTONS MIT EPS-SCHAUM-KERN SORGEN FÜR DEN NÖTIGEN AUFTRIEB

› 28Bei der Wahl des richtigen Schwimmkörpers kommt es darauf an, ob das Gewässer einen Tidenhub aufweist und wie tief es ist. Bereits heute stehen Ponton- und Befestigungs-systeme für unterschied-liche Bedingungen zur Verfügung.

PANORAMA

4545der Spez ial ist

rials wirtschaftlich bleiben.“ Die größeren Pon-tons werden in der Regel über Stahltrossen befes-tigt, die ebenfalls automatisch gesteuert sind. Sie können steigende und fallende Wasserstände ausgleichen und verhindern, dass Wellen, Strö-mungen oder Eisbildung die Gebäude in Schief-lage bringen. Je nach Entfernung zum Ufer wer-den die Versorgungsleitungen für Strom, Frisch- und Abwasser in flexiblen Röhren aus Polyethy-len vom Land aus gelegt. Alternativ dazu können autarke Einheiten mit Wasserentsalzungsanlagen sowie Solar- und Windkraft für die Energieversor-gung auf den „Inseln“ installiert werden.

„Fast alles, was wir an Land tun können, ist auch auf dem Wasser möglich – vorausgesetzt es stehen genug Geld und Wasser zur Verfügung“, sagt Koen Olthuis. Es sei technisch möglich, Häuser mit bis zu 100 Metern Höhe auf Pontons zu bauen. „Von der Statik und Bauweise her unterscheidet sich ein

schwimmendes Haus nämlich nicht im Gerings-ten von einem Haus an Land“, sagt Olthuis. Ein Haus an einer Küste sollte ohnehin von den Mate-rialien her salzhaltige Luft und Salzwasser vertra-gen. Der Wissenschaftler Frank Batke sieht diesen Punkt kritischer: „Die Aufbauten wurden bisher ähnlich wie die an Land konstruiert, sollten aber zukünftig anderen bauphysikalischen Gesichts-punkten folgen.“ Die Umwelteinflüsse direkt auf dem Wasser würden sich doch erheblich von denen an Land unterscheiden. Das beginnt bei der Sonneneinstrahlung und der Reflektion und endet beim Spritzwasser und dem damit verbundenen nötigen Schutz vor Feuchtigkeit. Wie diese Anpas-sungen aussehen können, daran wird derzeit an der FH Lausitz intensiv geforscht. Für Olthuis, den Praktiker, besteht die technische Herausforde-rung derzeit eher in der Logistik. Um diese Auf-gaben kümmern sich jedoch andere Spezialisten: „Es ist niemals nur der Architekt, der an so einem Projekt arbeitet.“ Kleinere Einheiten wie Einfami-lienhäuser würden direkt vor Ort montiert, doch für Großbauten mit vielen Stockwerken empfehle es sich, diese in einem Trockendock zu bauen und anschließend an ihren Bestimmungsort zu brin-gen: „Die Dimensionen sind genau wie bei einer Bohrinsel, die nach Fertigstellung auf das Meer geschleppt wird.“

SELBST WOLKENKRATZER BIS ZU 100 METERN HÖHE SIND TECHNISCH MÖGLICH

INFO

Olthuis’ und Peters’ Projekte für die Vereinigten Arabischen Emi-rate am Persischen Golf erregten viel Aufsehen in den Medien: Die beiden konzipierten einen sich drehenden Hotelturm im Was-ser, eine schwimmende Moschee, ein Schiffsterminal mit Hotel und Shops für mehrere Kreuzfahrtschiffe sowie eine Landschaft aus schwimmenden Inseln. Die Chancen, dass all diese Projekte verwirklicht werden, stehen nicht schlecht. Anfang 2009 sollen in Dubai innerhalb der künstlichen Inselgruppe „Palm Jebel Ali“ die ersten von 89 von Olthuis entworfenen schwimmenden Ponton-Inseln samt Häusern fertig gestellt werden.

www.waterstudio.nl www.dutchdocklands.com

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› 29Dieser Entwurf eines schwimmenden und sich um die Längsachse drehen-den Hotelturms, wurde speziell für die Gewässer vor Dubai entwickelt. Das schwimmende Funda-ment für das 25-stöckige Gebäude hat lediglich einen Tiefgang von sechs Metern.

querdenken

46 der Spez ial ist

Antwort auf d ie Frage aller Fußballfragen

TEX T › Christian Patzelt

Es ist der 30. Juli 1966. Im Finale der Fußball-Welt-meisterschaft im Londoner Wembley-Stadion ste-hen sich England und Deutschland gegenüber. Der Brite Geoff Hurst zielt in der Verlängerung auf das Tor des deutschen Keepers Hans Tilkowski. Der Ball prallt gegen die Latte und von dort in der Nähe der Torlinie auf den Boden. Nach Abstim-mung mit seinem Linienrichter entscheidet der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst auf „Tor“ für England. Zwar kassiert die deutsche Elf im Anschluss noch das 2:4, das vorentscheidende 2:3 gilt aber bis heute als die umstrittenste Tor-entscheidung im Weltfußball. Der Begriff „Wem-bley-Tor“ ist fest im Vokabular jedes Fußballfans verankert und fällt immer im Zusammenhang mit folgender Frage: War der Ball wirklich mit vol-lem Umfang hinter der Linie?

An einer Antwort darauf arbeiten seit 1999 die Gründungsaktionäre der Cairos technologies AG. Das Unternehmen ist im Bereich der hoch ge-nauen und zeitlich hochaufl ösenden 3-D-Loka-lisierung dynamischer Objekte tätig und stellte im Jahr 2007 das Goal-Line-Technology(GLT)-Sys-tem vor. Mit Hilfe von Magnetfeldern erkennt das System in Sekundenbruchteilen, ob ein Ball tatsächlich die Torlinie überquert hat, und gibt die Information über diverse Funkverbindungen an den Schiedsrichter weiter. Hinter dieser Tech-

nik steht unter anderem Christian Holzer. Der 31-jährige Diplom-Sportwissenschaftler ist seit 2004 im Vorstand von Cairos technologies und beurteilt die Dinge aus Sicht eines Fußballers: In den Neunzigerjahren stand Holzer im Profi kader des TSV 1860 München – als Torwart. „Man sollte sich neuen Techniken nicht verschließen, wenn die Grundideen des Spiels dadurch nicht beein-trächtigt werden“, sagt Holzer. „Technische Ent-wicklungen am Material haben das Spiel bisher schneller und attraktiver gemacht.“ Das von ihm mitentwickelte GLT-System kann innerhalb eines Tages auf jedem Fußballplatz installiert werden. Rund um das Tor wird ein Magnetfeld erzeugt. Dazu werden an der Straf-

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Strittige Torentscheidungen könnten längst der Vergangenheit angehören, doch noch ist das International Football Association Board gegen die Einführung von technischen Assistenz-systemen wie der Goal Line Technology, doch auch andere Sportarten könnten profi tieren.

HOCHPRÄZISE 3-D-LOK ALISIERUNG

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› 30Das Goal-Line-Technology-System: Im Rasen in den beiden Torräumen wird ein schwaches Magnetfeld (1) erzeugt. Ein Sensor im Ball (2) kann diese Magnetfelder messen, sobald er in deren Nähe ist. Über Funk sendet ein Chip im Ball die Mess-werte verschlüsselt zu zwei Empfangsantennen (3). Die Empfänger hinter dem Tor leiten die Daten an einen Computer (4) wei-ter, der berechnet, ob der Ball die Torlinie komplett überschritten hat und ein Tor vermeldet – oder eben nicht.

Audio-Version unter: www.brunel.de/podcast

47der Spez ial ist

raumgrenze und hinter der Torauslinie mit einer Rasensäge fünf Millimeter breite und 15 Zenti-meter tiefe Spalten geöffnet. Darin werden zwei Millimeter dünne Spulendrähte verlegt, durch die Strom geleitet wird. So wird ein schwaches Magnetfeld im gesamten Strafraumbereich er-zeugt, das ein im Fußball integrierter Chip mes-sen kann. Sobald der Ball in Tornähe kommt, über-

mittelt der Chip die Magnetfeldvektoren an zwei Empfangsantennen, die an den Torabspannungs-masten hinter dem Tor befestigt sind. Von dort aus werden die Werte auf einen Cairos-Rechner, der unter Linux betrieben wird, weitergeleitet. Der Rechner ermittelt auf Grundlage der Mess-werte bis auf den Zentimeter genau, ob der Ball die Torlinie mit seinem vollen Durchmesser über-

› 31Die nach wie vor umstrit-tenste Torszene der Fußballgeschichte: Das Tor zum 3:2 im WM- Endspiel im Wembley-Stadion, Eng-land gegen Deutschland am 30. Juli 1966.

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querdenken

schritten hat. Trifft das zu, wird ein Funksignal über zusätzliche Antennen am Spielfeldrand auf die Spezial-Armbanduhr des Schiedsrichters über-tragen und dort blinkt ein „GOAL“ auf. Der gesamte Prozess, vom Überqueren der Torlinie bis hin zum Signal auf der Uhr des Schiedsrichters, dauert nur Bruchteile von Sekunden. Alle Daten werden ver-schlüsselt über 2,4-GHz-ISM-Band von Station zu Station gefunkt.

Bei der Entwicklung des Systems gab es eine Viel-zahl von Herausforderungen, denen sich Christian Holzer teilweise mit vollem Körpereinsatz stellte. Er testete das System in verschiedenen Spielsitua-tionen. Dabei verwendeten Holzer und sein Team verschiedene Tore, Bälle, Sender und Empfänger und prüften deren Funktionalität und Zusam-menspiel miteinander. „Meine praktischen Erfah-rungen waren sehr wichtig. Als Torwart war ich schließlich genau am Ort des Geschehens aktiv“,

sagt der ehemalige Profi-Fußballer. Eine der wich-tigsten Aufgaben während der Testphase war, her-auszufinden, ob der Chip Bewegungen und Dyna-mik des Spielgerätes beeinflusst. Holzer: „Der Ball verhält sich nicht anders als andere neuwertige Produkte ohne technisches Innenleben.“ Neben der stabilen Flugbahn musste Cairos technologies zudem sicherstellen, dass das System wetterver-träglich und robust ist, damit das Zusammenspiel zwischen Funk- und Elektrotechnik reibungslos funktioniert. Der Ball ist nicht nur starken Stö-ßen ausgesetzt. Er fliegt mit zum Teil sehr hoher Geschwindigkeit, verändert abrupt seine Rich-tung und dreht sich vielfach nach einem Schuss. Diese auftretenden mechanischen Kräfte dür-fen die Übertragungen der Werte nicht beeinflus-sen. Der aus dreidimensionalen Magnetfeldsen-soren und einem Funkmodul bestehende Chip muss also abgesichert werden, um zuverlässig Daten senden zu können. Die Lösung: Der Ball ent-hält eine kugelförmige Hardware-Box aus Kunst-stoff. Darin sind der von Cairos technologies ent-wickelte Chip sowie zwei Batterien für die Ener-

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DER BALL TRÄGT ROBUSTE HIGHTECH-MESS-GERÄTE IN SEINEM INNEREN

› 32Rein äußerlich unterschei-det den Ball nichts vom klassischen Spielgerät. Innen verbirgt sich jedoch intelligente Messtechnik. Dem Schiedsrichter wird das Ergebnis der Mes-sung schnell und bequem auf eine spezielle Uhr gesendet.

QUERDENKEN

49der Spez ial ist

gieversorgung untergebracht. Die Box wird von zwölf Doppelschnüren gehalten, die an der Innen-seite des Balles befestigt sind. Wird der Ball aufge-pumpt, spannen sich die Schnüre und positionie-ren die Box mittig. Um die Integration der etwa 15 bis 20 Gramm schweren Hardware kümmerte sich der Sportartikel-Hersteller „adidas“ als Pro-jektpartner von Cairos.

Während der Klub-Weltmeisterschaft Ende 2007 in Japan war das System bereits im Einsatz und hat fehlerfrei funktioniert. Danach ging ein Groß-teil der Fußballwelt davon aus, dass die Technik bis zur WM 2010 in Südafrika offiziell eingeführt wird. Aber das International Football Association Board (IFAB) lehnte das System ab. Laut Jérôme Valcke, Generalsekretär des Weltverbandes FIFA, gebe es Befürchtungen, die Einführung des Chip-Balles könnte weitere technische Hilfsmittel nach sich ziehen. Zudem würde das Spiel durch den Einsatz von zu viel Technik seinen ursprünglichen Reiz verlieren. Stattdessen plant die FIFA, künftig an jedem Tor einen zusätzlichen Schiedsrichter-Assistenten einzusetzen. Für Cairos Technology geht die Arbeit dennoch weiter. Das GLT-System ist zwar für den Fußball entwickelt worden, kann aber auch in anderen Sportarten eingesetzt wer-den. Cairos prüft derzeit die Anwendbarkeit. Christian Holzer ist überzeugt, dass es im Fuß-ball weiterhin „Phantom-Tore“ geben wird und es nur eine Frage der Zeit ist, bis Schiedsrichter tech-nische Lösungen als Hilfsmittel einsetzen dür-fen. Zuspruch bekommt er dabei von prominen-ter Seite. „Ich würde es sehr gerne sehen, wenn die FIFA mal ein wenig mehr Innovation wagen würde. Meine Überzeugung ist es, dass jeder, der den Fußball liebt, sich auch dafür engagiert, dass größtmögliche Gerechtigkeit herrscht“, sagt Arsène Wenger, Trainer von Arsenal London und gelernter Ingenieur. Auch ein Großteil der deut-

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schen Schiedsrichter hatte sich für die Einführung des Systems ausgesprochen und sich so Sicher-heit bei umstrittenen Torentscheidungen erhofft. Wer weiß, welche Legende vor 42 Jahren entstan-den wäre, wenn Schiedsrichter Gottfried Dienst und sein Linienrichter bereits Hilfsmittel wie den Chip-Ball zur Verfügung gehabt hätten.

DIE TECHNIK KÖNNTE AUCH BEI ANDEREN SPORTARTEN ANWENDUNG FINDEN

› 33Christian Holzer, einer der „Väter“ des GLT-Systems, demonstriert vor der Presse, wie die Technik funktioniert.

TERMINE

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termine

Meilensteine

Das erste Elektrizitätswerk ging in Godalming, Großbritannien, ans Netz und machte die englische Kleinstadt zur ersten Stadt der Welt mit elektri-scher Straßenbeleuchtung.

Auf der ersten Internationalen Konferenz für drahtlose Telegrafie in Berlin wurde das „SOS“-Signal, das die Abkürzung für „Save Our Souls“ ist, zum international gültigen Notrufsignal erklärt. Es löste damit das bisher verwendete CQD-Signal (Come Quick, Danger) ab.

Der amerikanische Physiker Willard Frank Libby stellt die erste Atomuhr vor. Seither definiert die Uhr die Dauer von einer Sekunde. Aufgrund ihrer Genauigkeit wird sie in 300.000 Jahren maximal eine Sekunde nachge-hen.

01. Oktober 1881

03. Oktober 1906

06. Dezember 1946


Oktober b is Dezember 2008

21. – 24. Okt. 2008

25. – 27. Nov. 2008

Messen und veranstaltungen

SYSTEMS 2008, MÜNCHEN

Als Business-to-Business-Messe für den ITK-Markt konzentriert sich die SYS-TEMS in München auf marktreife ITK-Lösungen und präsentiert – gemäß dem Motto „Ideas for better business“ – aktuelle Trendthemen zur Optimie-rung von Geschäftsprozessen. www.systems.de

SPS/IPC/DRIVES 2008, NÜRNBERG

DSPS/IPC/DRIVES ist die Messe für elektrische Automatisierungstechnik. In diesem Jahr richtet die Fachmesse besonderes Augenmerk auf die Schwer-punkte Ethernet, Safety und Security, Motion Control, Wireless, RFID und erstmals die Thematik WEB in der Automation. www.mesago.de

› 25.–27. Nov.SPS/IPC/DRIVES 2008

Die Messe findet in diesem Jahr zum 19. Mal statt und

verzeichnete 2007 mit 45.000 Besuchern und über 1.300 Ausstellern

einen neuen Rekord.

›21.–24. Okt. Auf der Systems 2008

finden Sie unseren Brunel-Messecontainer in Halle B, Stand 235. Wir freuen uns

auf Ihren Besuch.


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HERAUSGEBER

Brunel GmbH



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ERSCHEINUNGSWEISE


ÜBER ZEUGT?




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6015_10.2008


LE SERSERVICE







Architektur für



Daniel Zettl

und das Zahnrad >>


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Der Spezialist - Ausgabe 12