1
22 | Warum lässt Gott leiden? | 13 | 1. April 2010 13 | 1. April 2010 Foto: EPA (3) Die göttliche GERECHTIGKEIT Steht ob der Verhältnisse in der Welt die Gerechtigkeit Gottes nicht infrage? Die islamische Theologie ist dazu durch Polarisierung charakterisiert. | Die Frage nach dem Leid beschäftigt auch islamische Theologen. | Hinweise auf Denkansätze zur Theodizee-Frage im Islam. | Von Jameleddine Ben Abdeljelil | D ie Geschichte der Menschheit ist nicht selten eine drama- tische und leidvolle. Kriege und Massaker, aber auch Natur- katastrophen, Überschwem- mungen, Dürreperioden und Krankheiten stellen den Menschen immer wieder vor neue Herausforderungen. Ist angesichts sol- cher Verhältnisse in der Welt die göttliche Gerechtigkeit nicht infrage zu stellen? Gott, der Allmächtige, hätte all das doch verhin- dern können. Die Religionsphilosophie bzw. die philosophische Theologie ist gefordert, diese und andere grundsätzliche Fragen über die Religion zu beantworten. Solche Fragestellungen wurden von isla- mischen Gelehrten schon in der Frühzeit gestellt. Die islamische Theologie ist dabei durch eine entscheidende Polarisierung cha- rakterisiert. Eine erste Tendenz ist, die eine göttliche Vorherbestimmung und die Unter- legenheit der gesamten Schöpfung eines un- vermeidbaren Fatalismus predigt. Mensch und Natur werden hier als Schöpfungswerk Gottes verstanden, die letztendlich nur eine irreale Selbstständigkeit besitzen. Alles, was dem Menschen und der Natur geschehen kann, ist auf unmittelbares kontinuierliches Gotteswirken zurückzuführen. Dies steht keinesfalls für sie im Wider- spruch zum Prinzip der Gerechtigkeit, denn jede Handlung von Gott ist gerecht, nur weil sie Gottes Handlung ist. Sie meinen, dass es für die göttliche Gerechtigkeit keinerlei Ver- bindlichkeiten gebe: Sollte Gott die From- men belohnen und die Sündigen bestrafen, so sei dies gerecht. Und wenn er umgekehrt die Sündigen belohnt und die Frommen be- straft, so sei das auch gerecht. Wenn Gott die Fortentwicklung seiner Schöpfung fördert, sei es gerecht. Und wenn er das nicht tut, sei es auch gerecht. Denn die Gerechtigkeit ist das, was Gott tut. Das Spektrum theologischer Diskurse, die diese Ansichten vertreten, umfasst viele Schulen wie Dschabriten, Aschariten, Sala- fiten etc. Gott ist nicht ungerecht Im Gegensatz zu dieser Darstellung stan- den andere Schulen, die für den freien Wil- len des Menschen eintraten, aber auch für das Prinzip der Gerechtigkeit als Schöp- fungsprinzip. Stellvertretend dafür sind theologische Diskurse, die im Bezug auf die Zentralstel- lung der Frage der göttlichen Gerechtigkeit, auf die Mutazila und die Schia zurückzufüh- ren sind. Sie leugnen nicht den freien Wil- len und das freie Handeln des Menschen. Sie nehmen auch die Einheit Gottes und seine Allmächtigkeit in seinen Handlungen nicht zum Anlass, die Ungerechtigkeiten des Menschen zu entschuldigen. Nach der Ansicht der Mutaziliten ist die Ge- rechtigkeit eine vernünftige Tatsa- che, von der die Verhältnismäßig- keiten in der Schöpfung geprägt sind. Die Mutaziliten sind der Überzeugung, dass genauso wie die menschlichen Handlungen als gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht bewertet werden können, auch Gottes Han- deln mit diesen Begriffen bemessen werden kann. Sie betrachten Gut und Schlecht als moralische Grundsätze, auf die sie in Theolo- giefragen immer wieder zurückgreifen. Sie meinen: Weil die Gerechtigkeit an sich gut ist und Ungerechtigkeit schlecht, wird Gott, der allwissend ist, niemals etwas unterlassen, was die Vernunft gutheißt und etwas unter- nehmen, was unvernünftig wäre. In der Po- lemik zwischen Offenbarung (bzw. den re- ligiösen Überlieferungen) und der Vernunft vertraten die Mutaziliten ganz deutlich und klar die Meinung, dass in einem Streitfall der Vernunft die Priorität gegeben werden sollte. Eine neue Lesart des Koran Moderne Neomutaziliten versuchten, die Denkansätze der Mutaziliten weiterzuent- wickeln. Unter diesem Gesichtspunkt ge- wann der Begriff „Gerechtigkeit“ weitere Aspekte. Charakteristisch für diese Bemü- hungen ist, eine neue Leseart des Koran und der religiösen Schriften zu entwickeln. In diesem Sinne wird festgestellt, dass der Begriff Gerechtigkeit etymologisch in ver- schiedenen Symbolen, Variationen und Ab- leitungen im Koran verwendet wird. In der Sure 55: 3–8 wird der Begriff Ge- rechtigkeit kosmologisch ausgelegt: Er hat den Menschen geschaffen, Er hat ihn gelehrt (einen Sachverhalt) darzulegen, Die Son- ne und der Mond sind Gesetzen unterwor- fen, Und die Sterne und Bäume werfen sich anbetend nieder, Und den Himmel hat er er- höht und die Waage aufgestellt, Auf dass ihr in der Waage euch nicht vergeht. Denn durch die Gerechtigkeit ist die gesamte Schöpfung, Mensch und Natur bestimmt. Der Mensch hat hier die Pflicht, sich in diese Harmonie der Schöpfung einzubetten, dem Gleichge- wicht zuzugehören und dieses nicht zu zer- stören. In einer weiteren Stelle im Koran wird auf die gefährlichen Konsequenzen der unge- rechten Taten Bezug genommen und auf die Natur deutlich hingewiesen, Sure 30:41: Un- heil ist auf dem Festland und auf dem Meer sichtbar geworden für das, was die Hände der Menschen begangen haben, Gott wollte sie (auf diese Weise) etwas von dem spüren las- sen, was sie getan hat- ten, damit sie sich vielleicht bekehren würden. Hier sind zwei As- pekte zu beachten: erstens, dass die un- gerechten Taten der Menschen bzw. die Zerstörung des Gleichgewichtes der Natur konsequenter Weise zu Unheil und Katastrophen führen. Zweitens, der Mensch wird diese Konsequenzen und die Verant- wortung für seine Taten tragen müssen, die sich als Unheil und Katastrophen auf sein Leben auswirken werden. Der Mensch muss also bewusst und verantwortungsvoll mit der Schöpfung bzw. mit der Natur umgehen und sich selbst als Teil dieser Schöpfung be- trachten. Eine islamische Geschichtsphilosophie Der irakische Islam-Gelehrte und Philo- soph Mohamed Baqir Sadr (1935–80) führt diese Überlegungen basierend auf dem Ko- ran weiter und versucht, die Grundlagen für eine islamische Sozial- und Geschichts- philosophie zu entwickeln, in der er das Ver- hältnis Gott, Mensch und Natur erörtert. Er beruft sich dabei auf die Koranstelle Sure 2:30: Und als dein Herr zu den Engeln sagte: Ich werde auf der Erde einen Nachfol- ger einsetzen, Sie sagten: Willst du auf ihr jemand (vom Geschlecht der Menschen) ein- setzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir (Engel) Dich loben und prei- sen und rühmen Deine Heiligkeit, Er antwor- tete: ich weiß, was ihr nicht wisst. Aus dieser Koranstelle entnimmt Baqir Sadr drei Elemente, die nach dem Koran-Ver- ständnis eine Gesellschaft konstituieren: 1. den Menschen, 2. die Erde oder die Natur im Allgemeinen und 3. die Beziehung, die zwi- schen Menschen und Natur aber auch zwi- schen den Menschen existiert. Diese wird in der Koranterminologie mit dem Begriff istik- hlaf – „Nachfolgerschaft“ bezeichnet. Istik- hlaf ist nach Baqir Sadr ein Konzept für die sozialen Lebensformen, die in den verschie- denen Gesellschaften variieren können und unterschiedlich strukturiert und konzipiert werden. Die Aufgabe des Menschen ist, letztendlich im Sinne dieses Auftrages zu agieren und sein Leben entspre- chend zu gestalten. In einer anderen Koran- stelle, Sure 33:72, heißt es: Wir (Gott) haben die Verantwortung (für istikhlaf) den Him- meln und der Erde und den Bergen angebo- ten, doch weigerten sie sich, diese zu tragen und schreckten davor zurück. Jedoch der Mensch lud sie sich auf, denn er ist ungerecht und unwissend. Hier wird darauf hingewie- sen, wie schwer und gefährlich diese Aufga- be ist. Der Mensch hat aber – im Gegensatz zu anderen Geschöpfen – aufgrund seiner Vernunft die Voraussetzungen und die Fä- higkeiten, trotz seiner Mängel und Schwä- chen, diese Aufgabe auf sich zu nehmen und die Verantwortung dafür zu tragen. Zusammengefasst kann Folgendes fest- gestellt werden: Grundlegend und bestim- mend für das Verhältnis Mensch zur Natur ist die Konzeption der Schöpfung in ihrer Gesamtheit und das Prinzip der Gerechtig- keit kosmologisch verstanden. Die Einheit der Schöpfung Der iranische Gelehrte und Philosoph Mor- taza Motahhari (1920–79) weist auf diese Ideen in seinem Werk „Die göttliche Gerech- tigkeit“ hin. Er meint, dass man – um die Schöpfung besser zu verstehen und die Er- eignisse in der Welt besser beurteilen zu kön- nen – bei seinen Überlegungen unbedingt die Einheit der Schöpfung berücksichtigen soll. In gewisser Hinsicht könne man die Schöpfung mit einem Reisezug vergleichen, der über viele Stationen ein bestimmtes Ziel erreichen soll. Alle Teile, aus denen der Zug gebaut worden ist, sind so geformt und an- gelegt, dass die Funktion des Zuges gewähr- leistet ist. Jeder einzelne Teil hat eine eigene spezielle Aufgabe, welche in Verbindung mit anderen Teilen die Funktion des Zuges erge- ben. Auf diese Weise bekommen auch die ein- zelnen Teile ihre Existenzberechtigung und dürfen dabei sein, weil sie einen Nutzen ha- ben und eine Rolle in der Gemeinschaft erfül- len. Grob gesehen könnte man diese Verhält- nisse auch in der Schöpfung vorfinden. Der Zug der Schöpfung fährt auf seiner Entwick- lungsreise entlang der Zeit und strebt die Vollkommenheit an. Alles, was diesen Zug beschleunigt, ist positiv, und alles, was ihn aufzuhalten versucht, ist negativ und unge- recht. Auf diesem Fundament kann man zwi- schen gut und schlecht, Logik und Unlogik, schön und hässlich, gerecht und ungerecht unterscheiden. Alles steht in einer Wechsel- wirkung zueinander. Jeder versucht auf seine Art und entspre- chend seines Wesens etwas besser als vor- her zu sein. Dieser Prozess wird immer fortge- setzt und die Vollkommenheit ist das Ziel. Mit anderen Worten, die relative Schöpfung sucht den absoluten Gott, Sure 84:6: Oh Mensch, du strebst mit all deinem Bemühen deinem Herren zu, und so wirst du ihm begegnen. | Der Autor ist Islamwissenschafter an der Universität Wien | Nach dem irakischen Philosophen Baqir Sadr konstituieren drei Elemente eine Gesellschaft: 1. der Mensch, 2. die Erde oder die Natur im Allge- meinen und 3. die Beziehung zwischen diesen. Der iranische Gelehrte Mortaza Motahhari meint, der Zug der Schöpfung fährt auf seiner Entwicklungsreise entlang der Zeit und strebt die Vollkommenheit an. Fatalismus Die eine Denk- richtung meint, es gibt für Gottes Ge- rechtigkeit keiner- lei Verbindlich- keit : Wenn Gott die Frommen belohnt und die Sündigen bestraft, so ist dies gerecht. Und wenn er umgekehrt die Sündigen belohnt und die Frommen bestraft, so ist das auch gerecht. Wie leben? Jeder versucht auf seine Art , etwas besser als vorher zu sein. Dieser Pro- zess wird immer fortgesetzt: Voll- kommenheit ist das Ziel (Bild: Kaaba in Mekka). Freier Wille Die andere große Denkrichtung tritt für den freien Wil- len des Menschen ein, aber auch für das Prinzip der Gerechtigkeit als Schöpfungsprin- zip. Weil die Ge- rechtigkeit an sich gut ist, wird Gott, der Allwissende, niemals etwas un- terlassen, was die Vernunft gutheißt. mit riert chen“

Die göttliche GERECHTIGKEIThomepage.univie.ac.at/jameleddine.ben-abdeljelil/wp...2010/04/01  · 22 | Warum lässt Gott leiden?13 | 1. April 2010 13 | 1. April 2010 23 Foto: EPA (3)

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die göttliche GERECHTIGKEIThomepage.univie.ac.at/jameleddine.ben-abdeljelil/wp...2010/04/01  · 22 | Warum lässt Gott leiden?13 | 1. April 2010 13 | 1. April 2010 23 Foto: EPA (3)

22 23| Warum lässt Gott leiden? | 13 | 1. April 2010 | Warum lässt Gott leiden? |13 | 1. April 2010

Foto

: EPA

(3)

Foto

: EPA

(2)

Die göttliche

GERECHTIGKEIT

„ Steht ob der Verhältnisse in der Welt die Gerechtigkeit Gottes nicht infrage? Die islamische Theologie ist dazu durch Polarisierung cha rakterisiert. “

| Die Frage nach dem Leid beschäftigt auch islamische Theologen. |Hinweise auf Denkansätze zur Theodizee-Frage im Islam.

| Von Jameleddine Ben Abdeljelil |

Die Geschichte der Menschheit ist nicht selten eine drama-tische und leidvolle. Kriege und Massaker, aber auch Natur-katastrophen, Überschwem-

mungen, Dürreperioden und Krankheiten stellen den Menschen immer wieder vor neue Herausforderungen. Ist angesichts sol-cher Verhältnisse in der Welt die göttliche Gerechtigkeit nicht infrage zu stellen? Gott, der Allmächtige, hätte all das doch verhin-dern können. Die Religionsphilosophie bzw. die philosophische Theologie ist gefordert, diese und andere grundsätzliche Fragen über die Religion zu beantworten.

Solche Fragestellungen wurden von isla-mischen Gelehrten schon in der Frühzeit gestellt. Die islamische Theologie ist dabei durch eine entscheidende Polarisierung cha-rakterisiert. Eine erste Tendenz ist, die eine göttliche Vorherbestimmung und die Unter-legenheit der gesamten Schöpfung eines un-vermeidbaren Fatalismus predigt. Mensch und Natur werden hier als Schöpfungswerk Gottes verstanden, die letztendlich nur eine irreale Selbstständigkeit besitzen. Alles, was dem Menschen und der Natur geschehen kann, ist auf unmittelbares kontinuierliches Gotteswirken zurückzuführen.

Dies steht keinesfalls für sie im Wider-spruch zum Prinzip der Gerechtigkeit, denn jede Handlung von Gott ist gerecht, nur weil sie Gottes Handlung ist. Sie meinen, dass es für die göttliche Gerechtigkeit keinerlei Ver-bindlichkeiten gebe: Sollte Gott die From-men belohnen und die Sündigen bestrafen, so sei dies gerecht. Und wenn er umgekehrt die Sündigen belohnt und die Frommen be-straft, so sei das auch gerecht. Wenn Gott die Fortentwicklung seiner Schöpfung fördert, sei es gerecht. Und wenn er das nicht tut, sei es auch gerecht. Denn die Gerechtigkeit ist das, was Gott tut.

Das Spektrum theologischer Diskurse, die diese Ansichten vertreten, umfasst viele Schulen wie Dschabriten, Aschariten, Sala-fi ten etc.

Gott ist nicht ungerecht

Im Gegensatz zu dieser Darstellung stan-den andere Schulen, die für den freien Wil-len des Menschen eintraten, aber auch für das Prinzip der Gerechtigkeit als Schöp-fungsprinzip.

Stellvertretend dafür sind theologische Diskurse, die im Bezug auf die Zentralstel-lung der Frage der göttlichen Gerechtigkeit, auf die Mutazila und die Schia zurückzufüh-ren sind. Sie leugnen nicht den freien Wil-len und das freie Handeln des Menschen. Sie nehmen auch die Einheit Gottes und seine Allmächtigkeit in seinen Handlungen nicht zum Anlass, die Ungerechtigkeiten des Menschen zu entschuldigen. Nach der Ansicht der Mutaziliten ist die Ge-rechtigkeit eine vernünftige Tatsa-che, von der die Verhältnismäßig-keiten in der Schöpfung geprägt sind. Die Mutaziliten sind der Überzeugung, dass genauso wie die menschlichen Handlungen

als gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht bewertet werden können, auch Gottes Han-deln mit diesen Begriffen bemessen werden kann. Sie betrachten Gut und Schlecht als moralische Grundsätze, auf die sie in Theolo-giefragen immer wieder zurückgreifen. Sie meinen: Weil die Gerechtigkeit an sich gut ist und Ungerechtigkeit schlecht, wird Gott, der allwissend ist, niemals etwas unterlassen, was die Vernunft gutheißt und etwas unter-nehmen, was unvernünftig wäre. In der Po-lemik zwischen Offenbarung (bzw. den re-ligiösen Überlieferungen) und der Vernunft vertraten die Mutaziliten ganz deutlich und klar die Meinung, dass in einem Streitfall der Vernunft die Priorität gegeben werden sollte.

Eine neue Lesart des Koran

Moderne Neomutaziliten versuchten, die Denkansätze der Mutaziliten weiterzuent-wickeln. Unter diesem Gesichtspunkt ge-wann der Begriff „Gerechtigkeit“ weitere Aspekte. Charakteristisch für diese Bemü-hungen ist, eine neue Leseart des Koran und der religiösen Schriften zu entwickeln. In diesem Sinne wird festgestellt, dass der Begriff Gerechtigkeit etymologisch in ver-schiedenen Symbolen, Variationen und Ab-leitungen im Koran verwendet wird.

In der Sure 55: 3–8 wird der Begriff Ge-rechtigkeit kosmologisch ausgelegt: Er hat den Menschen geschaffen, Er hat ihn gelehrt (einen Sachverhalt) darzulegen, Die Son-ne und der Mond sind Gesetzen unterwor-fen, Und die Sterne und Bäume werfen sich anbetend nieder, Und den Himmel hat er er-höht und die Waage aufgestellt, Auf dass ihr in der Waage euch nicht vergeht. Denn durch die Gerechtigkeit ist die gesamte Schöpfung, Mensch und Natur bestimmt. Der Mensch hat hier die Pfl icht, sich in diese Harmonie der Schöpfung einzubetten, dem Gleichge-wicht zuzugehören und dieses nicht zu zer-stören.

In einer weiteren Stelle im Koran wird auf die gefährlichen Konsequenzen der unge-rechten Taten Bezug genommen und auf die Natur deutlich hingewiesen, Sure 30:41: Un-heil ist auf dem Festland und auf dem Meer sichtbar geworden für das, was die Hände der Menschen begangen haben, Gott wollte sie (auf diese Weise) etwas von dem spüren las-

sen, was sie getan hat-ten, damit sie sich vielleicht bekehren würden.

Hier sind zwei As-pekte zu beachten: erstens, dass die un-

gerechten Taten der Menschen

bzw. die Zerstörung des Gleichgewichtes der Natur konsequenter Weise zu Unheil und Katastrophen führen. Zweitens, der Mensch wird diese Konsequenzen und die Verant-wortung für seine Taten tragen müssen, die sich als Unheil und Katastrophen auf sein Leben auswirken werden. Der Mensch muss also bewusst und verantwortungsvoll mit der Schöpfung bzw. mit der Natur umgehen und sich selbst als Teil dieser Schöpfung be-trachten.

Eine islamische Geschichtsphilosophie

Der irakische Islam-Gelehrte und Philo-soph Mohamed Baqir Sadr (1935–80) führt diese Überlegungen basierend auf dem Ko-ran weiter und versucht, die Grundlagen

für eine islamische Sozial- und Geschichts-philosophie zu entwickeln, in der er das Ver-hältnis Gott, Mensch und Natur erörtert.

Er beruft sich dabei auf die Koranstelle Sure 2:30: Und als dein Herr zu den Engeln sagte: Ich werde auf der Erde einen Nachfol-ger einsetzen, Sie sagten: Willst du auf ihr jemand (vom Geschlecht der Menschen) ein-setzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir (Engel) Dich loben und prei-sen und rühmen Deine Heiligkeit, Er antwor-tete: ich weiß, was ihr nicht wisst.

Aus dieser Koranstelle entnimmt Baqir Sadr drei Elemente, die nach dem Koran-Ver-ständnis eine Gesellschaft konstituieren: 1. den Menschen, 2. die Erde oder die Natur im Allgemeinen und 3. die Beziehung, die zwi-schen Menschen und Natur aber auch zwi-schen den Menschen existiert. Diese wird in der Koranterminologie mit dem Begriff istik-hlaf – „Nachfolgerschaft“ bezeichnet. Istik-hlaf ist nach Baqir Sadr ein Konzept für die sozialen Lebensformen, die in den verschie-denen Gesellschaften variieren können und unterschiedlich strukturiert und konzipiert

werden. Die Aufgabe des Menschen ist, letztendlich im Sinne dieses Auftrages

zu agieren und sein Leben entspre-chend zu gestalten.

In einer anderen Koran-stelle, Sure 33:72, heißt

es: Wir (Gott) haben

die Verantwortung (für istikhlaf) den Him-meln und der Erde und den Bergen angebo-ten, doch weigerten sie sich, diese zu tragen und schreckten davor zurück. Jedoch der Mensch lud sie sich auf, denn er ist ungerecht und unwissend. Hier wird darauf hingewie-sen, wie schwer und gefährlich diese Aufga-be ist. Der Mensch hat aber – im Gegensatz zu anderen Geschöpfen – aufgrund seiner Vernunft die Voraussetzungen und die Fä-higkeiten, trotz seiner Mängel und Schwä-chen, diese Aufgabe auf sich zu nehmen und die Verantwortung dafür zu tragen.

Zusammengefasst kann Folgendes fest-gestellt werden: Grundlegend und bestim-mend für das Verhältnis Mensch zur Natur

ist die Konzeption der Schöpfung in ihrer Gesamtheit und das Prinzip der Gerechtig-keit kosmologisch verstanden.

Die Einheit der Schöpfung

Der iranische Gelehrte und Philosoph Mor-taza Motahhari (1920–79) weist auf die se Ideen in seinem Werk „Die göttliche Gerech-tigkeit“ hin. Er meint, dass man – um die Schöpfung besser zu verstehen und die Er-eignisse in der Welt besser beurteilen zu kön-nen – bei seinen Überlegungen unbedingt die Einheit der Schöpfung berücksichtigen soll. In gewisser Hinsicht könne man die Schöpfung mit einem Reisezug vergleichen, der über viele Stationen ein bestimmtes Ziel erreichen soll. Alle Teile, aus denen der Zug gebaut worden ist, sind so geformt und an-gelegt, dass die Funktion des Zuges gewähr-

leistet ist. Jeder einzelne Teil hat eine eigene spezielle Aufgabe, welche in Verbindung mit anderen Teilen die Funktion des Zuges erge-ben. Auf diese Weise bekommen auch die ein-zelnen Teile ihre Existenzberechtigung und dürfen dabei sein, weil sie einen Nutzen ha-ben und eine Rolle in der Gemein schaft erfül-len. Grob gesehen könnte man diese Verhält-nisse auch in der Schöpfung vorfi nden. Der Zug der Schöpfung fährt auf seiner Entwick-lungsreise entlang der Zeit und strebt die Vollkommenheit an. Alles, was diesen Zug beschleunigt, ist positiv, und alles, was ihn aufzuhalten versucht, ist negativ und unge-recht. Auf diesem Fundament kann man zwi-schen gut und schlecht, Logik und Unlogik, schön und hässlich, gerecht und ungerecht unterscheiden. Alles steht in einer Wechsel-

wirkung zueinander. Jeder versucht auf seine Art und entspre-

chend seines Wesens etwas besser als vor-her zu sein. Dieser Prozess wird immer fortge-setzt und die Vollkommenheit ist das Ziel. Mit anderen Worten, die relative Schöpfung sucht den absoluten Gott, Sure 84:6: Oh Mensch, du strebst mit all deinem Bemühen deinem Herren zu, und so wirst du ihm begegnen.

| Der Autor ist Islamwissenschafter an der Universität Wien |

„Nach dem irakischen Philosophen Baqir Sadr konstituieren drei Elemente eine Gesellschaft: 1. der Mensch, 2. die Erde oder die Natur im Allge-meinen und 3. die Beziehung zwischen diesen.“

„ Der iranische Gelehrte Mortaza Motahhari meint, der Zug der Schöpfung fährt auf

seiner Entwicklungsreise entlang der Zeit und strebt die Vollkommenheit an. “

FatalismusDie eine Denk-richtung meint, es gibt für Gottes Ge-rechtigkeit keiner-lei Verbindlich-keit : Wenn Gott die Frommen belohnt und die Sündigen bestraft, so ist dies gerecht. Und wenn er umgekehrt die Sündigen belohnt und die Frommen bestraft, so ist das auch gerecht.

Wie leben?Jeder versucht auf seine Art , etwas besser als vorher zu sein. Dieser Pro-zess wird immer fortgesetzt: Voll-kommenheit ist das Ziel (Bild: Kaaba in Mekka).

Freier WilleDie andere große Denkrichtung tritt für den freien Wil-len des Menschen ein, aber auch für das Prinzip der Gerechtigkeit als Schöpfungsprin-zip. Weil die Ge-rechtigkeit an sich gut ist, wird Gott, der Allwissende, niemals etwas un-terlassen, was die Vernunft gutheißt.

– nach

da-mit at).

refe-riert

und rsu-

chen“ 24). der

Kess -? (Ps

42,4) Die Frage nach Leiden, Wir-ken und Gericht Gottes.“ (vgl. Artikel oben). Hans Kessler hat christliche Zugänge zu dieser Fra-ge in einem lesenswerten Büch -lein zusammengefasst. (ofri)

Das Leid in der Welt – ein Schrei nach Gott

Von Hans Kessler. Topos plus Verlagsgemeinschaft, Kevelaer 2007

147 Seiten, kart. € 9,20

1.Der (von Leibniz 1697 im Anschluss an Röm 3,5 geprägte) Begriff Theo-dizee bedeutet wörtlich übersetzt

„Rechtfertigung Gottes“, nämlich angesichts der Übel und Leiden in der Welt, der naturbe-dingten ebenso wie der von Menschen ver-ursachten.

Das Theodizeeproblem ist schon alt. Es tritt dort auf, wo drei Dinge zusammen ge-geben sind: wo man (1) das Leid in der Welt nicht verharmlost, (2) einen einzigen Gott als Urgrund oder Schöpfer der Welt und zu-gleich als vollkommen mächtig und gütig annimmt, (3) dem Menschen die Würde der Freiheit – und damit des Fragens und Prote-stierens – auch Gott gegenüber zuerkennt. Dann ergibt sich ein Widerspruch zwischen dem Glauben an einen all-mächtigen, gü-tigen Schöpfer und dem übergroßen, ab-gründigen Leid in seiner Schöpfung.

Diesen Widerspruch suchten die theoreti-schen Theodizeeversuche durch rationale Er-klärungen (Leid als Strafe für Verfehlung, als Mittel der Prüfung, Züchtigung, Läuterung, als notwendiger Kontrast des Guten und Teil der Gesamtordnung) aufzulösen. Die se Theo-dizeen bleiben zutiefst unglaubwürdig, weil sie an der konkreten Leiderfahrung vorbei-gehen, das bestehende Unrecht rechtfertigen, indem sie es mit Gott in Einklang bringen, und beanspruchen, das Ganze der Wirklich keit, al-so Welt und Gott zusammen, zu überschauen in einer Art Vogelperspektive, während wir immer nur Froschperspektiven haben.

Anders die existenzielle Theodizeefrage. Sie entspringt nicht der distanzierten Außen-perspektive, sondern ureigener Erfahrung von großem Leid (bei Hiob, in Leidens- und Klagepsalmen, in Gebeten vieler Religionen, in Auschwitz). Sie ist eine Frage vor Gott und

an Gott, die sich in Zweifel, Klage, Anklage, Protest und im Schrei ausdrückt: „Warum?“ Sie schiebt die ganze ungelöste Not ihm hin. Sie rechtfertigt Gott nicht, sondern rechtet mit ihm, so, dass die Beziehung zu Gott selbst auf dem Spiel steht und verhandelt wird. Sie spricht Gott nicht frei, sondern behaftet ihn beim Leid seiner Schöpfung.

Wer die Theodizeefrage festhält, versucht den Widerspruch der Übel gegen Gott – und

Gottes gegen die Übel – nicht zu beseitigen, sondern auszuhalten: im Appell an Gott, in mitfühlender Solidarität mit den Leidenden und in praktischer Leidminderung.

Gott leidet mit

2. Der biblische Glaube reimt Übel, Lei-den, Böses nicht mit Gott zusammen. Denn Gott, der v. a. in Leben, Passion und Auferste-hung Jesu als die für alle entschiedene Liebe (griech.: Agape) offenbar wird, steht gegen das Leid: Er will es nicht.

Aber indem er die Schöpfung in relative Eigenständigkeit und evolutive Eigendyna-mik frei-gibt, gibt er ihr relative Eigenmacht, begrenzt sich also in der Äußerung seiner Macht, und muss er in Kauf nehmen, dass nicht erst die Menschen, sondern auch schon die Natur, die Evolution, die vormensch-lichen Wesen Wege gehen, die nicht immer gott-gewollt sind. Nicht alles, was die Natur

tut (z. B. Tsunamis oder genetische Defekte), ist Gottes Wille. Gott zwingt die Dinge nicht in eine bestimmte Richtung, sondern lädt ein, wirbt, lockt:

Alles in der Welt vom Urknall an geschieht in einem ständigen – mehr oder weniger ge-lingenden und oft auch misslingenden – Di-alog zwischen Gott (als Urgrund) und den (in ihre Eigendynamik freigegebenen) Ge-schöpfen. Soweit Dinge und Wesen für ei-nander und darin für Gott offen sind, kommt er mit seinem guten Willen zum Zug; soweit sie sich sperren, entstehen Übel, Schuld und Böses.

Er aber „will andere als Mitliebende ha-ben“ (Duns Scotus). Deshalb hält er sich nicht aus dem Drama heraus, lässt sich vom Weltlauf betreffen und geht selbst in ihn ein: er leidet (nicht nur im gekreuzigten Jesus, sondern) in allen Gequälten und in den Quä-lenden. Von Anfang an leidet er mit seiner Schöpfung gleichsam Geburtswehen, dass die Agape, nicht ihr Gegenteil, mehr Raum fi nde. Er bangt darum, wie wir Geschöpfe uns selber formen, dass wir heilsame Wege gehen. Und er wirkt aktiv-kreativ durch Men-schen, die für ihn offen sind, aber auch durch naturale und soziale Ereigniskonstellati-onen: wirbt um Guttat und Heilung, gibt da-zu Impulse, macht Angebote, gibt Kraft, er-öffnet neue Möglichkeiten.

Gott – ein Wort gegen das Leid

3. Der Glaube hofft, dass es überhaupt keine Situation gibt, in der Gottes Möglich-keiten am Ende wären. Er traut Gott zu, dass er für diese schöne und geplagte Welt in sei-ner radikal anderen (Ewigkeits-)Dimension – durch Untergang und Verwandlung hin-durch – eine Gutmachung bereit hält und alle schließlich doch zu gewinnen vermag. Der Glaube hat (v. a. mit Jesus Christus) An-zeichen dafür, dass Gott Liebe ist, und hofft, dass Gott sich vollends als für alle entschie-dene Liebe erweisen wird.

Vieles in der Welt ist mit dem Glauben an diesen Gott nicht vereinbar und würde ihn widerlegen, wenn es das letzte Wort behielte. Doch wer immer entschieden für das Gute Partei ergreift, der setzt – ob er es weiß oder nicht – letzten Endes auf diesen Gott, dass er sich erweise. Auf ihn zu setzen, ist ein Le-bensexperiment, wie jede andere Weltan-schauung auch.

So ist Gott ein Wort des Protestes und der aktiven Hoffnung gegen das Leid.

| Der Autor ist Emeritus für kath. Systemati-sche Theologie an der Universität Frankfurt|

Das Leid und der Glaube an Gott

| Eine alte Auseinandersetzung: Wie kann Gott gerechtfertigt werden angesichts der Übel und Leiden |in der Welt? Anmerkungen über die Theodizee-Frage und den – christlichen – Glauben an Gott.

| Von Hans Kessler |

„ Eine Frage vor Gott und an Gott, die sich in Zweifel,

Klage, Anklage, Protest und im Schrei ausdrückt: ‚Warum?‘ “

KarfreitagDie Frage nach dem Leid kulmi-niert gerade in den christlichen Riten am Todestag Christi (Bild: grie-chisch-orthodoxe Karfreitagsprozes-sion auf der Via Do-lorosa in der Jeru-salemer Altstadt).