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Die Zeitung für Medizinstudenten und junge Ärzte ZEITUNG Digitaler Nachschlag der Ausgabe 05/09 November / Dezember 2009 ∙ In Kooperation mit dem Georg Thieme Verlag ∙ www.medi-learn.de Digitaler Nachschlag Gefühle steuern Gedächtnis Gefühle bleiben uns oft noch Jahre später in guter Erinnerung. Forscher der Universität Basel ermittelten, was die „emotio- 06 08 Marbella - Traumatologie Hospital Costa del Sol: Das klingt fast wie ein Hotel aus dem Reisekatalog. Doch für für Marcel Glaas heißt es 03 in diesem Fall: An die Arbeit. Sein Bericht aus der Traumatologie-Famulatur in Spanien. nale Information“ steuert. Ziel: neue Therapiestra- tegien zur Behandlung von Gedächtnisstörungen. Medizinstudium mit 3,0? Eine glatte Drei ist nicht gerade die ideale Vorausset- zung für die Aufnahme eines Medizinstudiums. Wichtig ist, die Wartezeit sinnvoll zu nutzen. Beispiels- weise mit einer medizinischen Ausbildung. Mehr als nur eine historische Beziehung? Anthropologie und Medizin von Helen Kroening A ls ich im letzten Jahr meines Anthropologiestudiums ent- schied, mich für ein Zweitstudium in Humanmedizin zu bewerben, erschien es mir kein so überra- schender oder unlogischer Schritt zu sein. Schließlich hatten wir An- thropologen uns unter anderem mit der Erfor-schung des menschlichen Körpers befasst. Auch wir hatten am Anatomieunterricht teilneh-men müssen, um Knochen und Muskeln benennen zu können. Auβerdem mussten wir uns mit Genetik ausein- andersetzen und Physiologie sowie etwas Biochemie lernen. Wenn die Definition von Anthro- pologie aufgrund der griechischen Wurzeln des Wortes ei-gentlich „Wissenschaft vom Menschen“ lau- ten müsste, warum stieβ ich dann bei den Medi-zinern immer wieder sowohl auf Bewunderung als auch auf Verwunderung oder Ungläubig- keit – und auf die Frage, weshalb ich denn so radikal die Fachrichtung gewechselt hätte? Kein Sinneswandel Schon in meinem Vorstellungs- gespräch hatte man sich so sehr gewundert, dass man mich auffor- derte, genau zu erklären, wie ich denn zu diesem „Sinneswandel“ gekommen sei. Als ich dann auch während meiner klinischen Aus- bildung mehrmals gefragt wurde, wo der Zusammenhang zwischen meinem ersten Studiengang und der Medizin liege, kam ich zu dem Schluss, dass für viele die Parallelen vielleicht doch nicht so offenkundig waren. Da mir mein Anthropologiewissen jedoch beim Medizinstudium immer wieder zu Gute kommt, kann ich weiterhin nur beteuern, dass die Fächer für mich nicht nur Gemeinsamkeiten auf-weisen, sondern einander auch ergänzen. Natürlich bin ich in die- ser Hinsicht befangen, aber viel- leicht wird es mir ja gelingen, auch andere davon zu überzeugen. Was ist Anthropologie? Wo immer man auf Unverständnis stöβt, ist dies meist auf Vorurteile oder sogar Unwissen-heit zurück- zuführen. Somit könnte man das Kopfschütteln, dem ich so oft be- gegne, eventuell durch etwas Auf- klärung beseitigen, denn auch wenn viele die Definition von Anthropo- logie kennen, sind sich nicht alle bewusst, was genau ein Studium in dieser Fachrichtung beinhaltet und welche Relevanz es für Humanme- dizin haben kann. Obwohl man sich unter anderem mit Altertumsgeschichte und der Vergangenheit beschäftigt, gehört zum Anthropologiestudium auch ein Verständnis gegenwärtiger Ver- hältnisse und, wenn man einen Schritt weiter geht, ein Blick in die Zukunft. Des Weiteren lässt sich die Anthropologie in zwei Untergrup- pen teilen, nämlich in soziale und in biologische oder physische Anthro- pologie. Zum sozialen Zweig zählen Ethnographie und Kulturgeschichte, zum physischen die zahlreichen bio- logischen Fächer wie Primatologie, Genetik, Osteologie oder Evoluti- onstheorie. Auch wenn die soziale Anthropologie auf den ersten Blick für die Medizin weniger nützlich scheint, spielt sie doch eine wichtige Rolle. Vor allem, wenn man später als Arzt in anderen Ländern tätig sein möchte. Ohne das Bewusstsein anderer Kulturen oder das Wissen, was bei verschiedenen Bevölkerungen Brauch und Sitte ist, wird man sich leicht über manche Traditionen und Rituale wundern und eventuell sogar Schwierigkeiten haben, sich den dortigen Bestim- mungen anzupassen oder die Er- wartungen der Einheimischen zu erfüllen. Und sollte man sich aus Unkenntnis unsittlich verhalten, wird es dem Verhältnis zwischen Arzt und Patienten wohl eher schaden als nüt- zen. Auβerdem könnte es sicher von Vorteil sein, etwas über Naturvöl- ker und ihre aus dem Pflanzen- und Tierreich gewonnenen Heilmittel zu lernen – nicht nur für die Behandlung der Patienten heute, sondern auch für die Forschung. Fortsetzung auf Seite 2 Die Lehre vom Menschen. Schon der Name drückt die Nähe zur Medizin aus

Digitaler Nachschlag 05/2009

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Zusätzlich zur eigentlichen Zeitung bieten wir euch zudem seit der Ausgabe 04/2005 den sogenannten Digitalen Nachschlag: nicht alle Artikel konnten immer komplett und in voller Länge in die Zeitung aufgenommen werden und finden ihren Platz in einem ergänzenden PDF, das ihr nachfolgend ebenfalls downloaden könnt.

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Page 1: Digitaler Nachschlag 05/2009

Die Zeitung für Medizinstudenten

und junge Ärzte ZEITUNGDigitaler Nachschlag der Ausgabe 05/09 November / Dezember 2009 ∙ In Kooperation mit dem Georg Thieme Verlag ∙ www.medi-learn.de

DigitalerNachschlag

Gefühle steuern GedächtnisGefühle bleiben uns oft noch Jahre später in guter Erinnerung. Forscher der Universität Basel ermittelten, was die „emotio-

06 08

Marbella - TraumatologieHospital Costa del Sol: Das klingt fast wie ein Hotel aus dem Reisekatalog. Doch für für Marcel Glaas heißt es

03 in diesem Fall: An die Arbeit. Sein Bericht aus der Traumatologie-Famulatur in Spanien.

nale Information“ steuert. Ziel: neue Therapiestra-tegien zur Behandlung von Gedächtnisstörungen.

Medizinstudium mit 3,0?Eine glatte Drei ist nicht gerade die ideale Vorausset-zung für die Aufnahme eines Medizinstudiums. Wichtig

ist, die Wartezeit sinnvoll zu nutzen. Beispiels-weise mit einer medizinischen Ausbildung.

Mehr als nur eine historische Beziehung?Anthropologie und Medizin von Helen Kroening

Als ich im letzten Jahr meines Anthropologiestudiums ent-

schied, mich für ein Zweitstudium in Humanmedizin zu bewerben, erschien es mir kein so überra-schender oder unlogischer Schritt zu sein. Schließlich hatten wir An-thropologen uns unter anderem mit der Erfor-schung des menschlichen Körpers befasst. Auch wir hatten am Anatomieunterricht teilneh-men müssen, um Knochen und Muskeln benennen zu können. Auβerdem mussten wir uns mit Genetik ausein-andersetzen und Physiologie sowie etwas Biochemie lernen. Wenn die Definition von Anthro-pologie aufgrund der griechischen Wurzeln des Wortes ei-gentlich „Wissenschaft vom Menschen“ lau-ten müsste, warum stieβ ich dann bei den Medi-zinern immer wieder

sowohl auf Bewunderung als auch auf Verwunderung oder Ungläubig-keit – und auf die Frage, weshalb ich denn so radikal die Fachrichtung gewechselt hätte?

Kein SinneswandelSchon in meinem Vorstellungs-gespräch hatte man sich so sehr gewundert, dass man mich auffor-derte, genau zu erklären, wie ich denn zu diesem „Sinneswandel“ gekommen sei. Als ich dann auch während meiner klinischen Aus-bildung mehrmals gefragt wurde, wo der Zusammenhang zwischen meinem ersten Studiengang und der Medizin liege, kam ich zu dem Schluss, dass für viele die Parallelen vielleicht doch nicht so offenkundig waren. Da mir mein Anthropologiewissen jedoch beim

Medizinstudium immer wieder zu Gute kommt, kann ich weiterhin nur beteuern, dass die Fächer für mich nicht nur Gemeinsamkeiten auf-weisen, sondern einander auch ergänzen. Natürlich bin ich in die-ser Hinsicht befangen, aber viel-leicht wird es mir ja gelingen, auch andere davon zu überzeugen.

Was ist Anthropologie?Wo immer man auf Unverständnis stöβt, ist dies meist auf Vorurteile oder sogar Unwissen-heit zurück-zuführen. Somit könnte man das Kopfschütteln, dem ich so oft be-gegne, eventuell durch etwas Auf-klärung beseitigen, denn auch wenn viele die Definition von Anthropo-logie kennen, sind sich nicht alle bewusst, was genau ein Studium in dieser Fachrichtung beinhaltet und

welche Relevanz es für Humanme-dizin haben kann. Obwohl man sich unter anderem mit Altertumsgeschichte und der Vergangenheit beschäftigt, gehört zum Anthropologiestudium auch ein Verständnis gegenwärtiger Ver-hältnisse und, wenn man einen Schritt weiter geht, ein Blick in die Zukunft. Des Weiteren lässt sich die Anthropologie in zwei Untergrup-pen teilen, nämlich in soziale und in biologische oder physische Anthro-pologie. Zum sozialen Zweig zählen Ethnographie und Kulturgeschichte, zum physischen die zahlreichen bio-logischen Fächer wie Primatologie, Genetik, Osteologie oder Evoluti-onstheorie.Auch wenn die soziale Anthropologie auf den ersten Blick für die Medizin weniger nützlich scheint, spielt sie doch eine wichtige Rolle. Vor allem, wenn man später als Arzt in anderen Ländern tätig sein möchte. Ohne das Bewusstsein anderer Kulturen oder das Wissen, was bei verschiedenen Bevölkerungen Brauch und Sitte ist, wird man sich leicht über manche Traditionen und Rituale wundern und eventuell sogar Schwierigkeiten haben, sich den dortigen Bestim-mungen anzupassen oder die Er-wartungen der Einheimischen zu erfüllen. Und sollte man sich aus Unkenntnis unsittlich verhalten, wird es dem Verhältnis zwischen Arzt und Patienten wohl eher schaden als nüt-zen. Auβerdem könnte es sicher von Vorteil sein, etwas über Naturvöl-ker und ihre aus dem Pflanzen- und Tierreich gewonnenen Heilmittel zu lernen – nicht nur für die Behandlung der Patienten heute, sondern auch für die Forschung.

Fortsetzung auf Seite 2

Die Lehre vom Menschen. Schon der Name drückt die Nähe zur Medizin aus

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November/Dezember 20092Seite MLZDigitaler Nachschlag

Mehr als nur eine historische BeziehungFortsetzung von Seite 1

Anatomie-VorkenntnisseBei der „physischen“ Anthropologie ist es schon einfacher, die Paral-lelen zur Humanmedizin zu ziehen; trotzdem scheint es den einen oder anderen Arzt doch noch zu überra-schen, wenn man als Medizinstu-dentin von seinen Vorkenntnissen als Anthropologin profitieren kann. Natürlich ist zu erwarten, dass man sich mit Knochen und Muskeln durch die Osteologie- und Paläo-pathologiekurse schon recht gut auskennt; schlieβlich gehören zum Anthro-pologieexamen meist nicht nur das Benennen sämtlicher Struk-turen, sondern auch prakti-sche Aufgaben wie die Rekonstruktion eines Skeletts aus einzeln ausge-grabenen Bruchstücken, die man logischerweise dann auch erkennen und korrekt zuordnen können muss. We-niger bekannt ist sicherlich, dass man Anatomie zwar nicht in so vielen Details lernen muss wie die Medizinstudenten, aber dass auch Aufsätze über innere Organe und Systeme sowie Physiologie, Bio-chemie und Parasitologie verlangt werden. So lernt man beispielswei-se, welche Rolle Hämoglobin spielt und wie sich die Bewohner der An-den an den dort herrschenden Sau-erstoffmangel angepasst haben. Oder man erfährt mehr über den weiblichen Hormonhaushalt und wie die !Kung San der Kalaha-riwüste durch jahrelanges Stillen bemerkenswerterweise gleichzei-tig ihre Kinder ernähren und ohne moderne Verhütungsmittel Ü-berbevölkerung vermeiden.

Verhalten erforschtSelbstverständlich kann man die Evolution des Men-schen nur dann verstehen, wenn man etwas über den Bau und die Funktionen des Körpers weiβ. Dazu gehört ebenfalls, sich mit Prima-tologie und komparativer Anatomie auseinanderzu-setzen. In der Primatologie werden nämlich nicht nur die körperlichen und gene-tischen Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwi-

schen Mensch und Affe, sondern auch Verhaltensweisen und soziale Beziehungen erforscht. Psycholo-gie und auch psychiatrische sowie neurologische Erkrankungen lassen sich viel leichter verstehen, wenn man schon etwas über Tierverhalten oder die Entwicklung der Sprache gelesen hat. Auβerdem lernt man durch ein An-thropologiestudium so einiges über Genetik, und zwar auf Populati-ons- sowie makroskopischen und molekularen Ebenen. Durch Ge-schichte und Anthropologie lassen sich sogar die heutige Verbreitung gewisser Krankheiten und das geo-gra-phische Muster der Blutgruppen erklären. Die Beziehung zwischen Sichelzellanämie und Malariare-sistenz mag einigen bekannt sein. Aber wie viele Mediziner haben schon von dem Verhältnis zwischen den ABO-Blutgruppen und anderen Infektionskrankheiten wie Syphilis oder Beulenpest gehört? Sicherlich kommt für manche Anthropologen die sich immer höher schraubende Zahl der Diabeteskranken nicht gerade überraschend. Schon vor

über 40 Jahren hatte man ja die The-orie aufgestellt, dass es genetische Veranlagungen gab, die einigen Be-völkerungen (z.B. den Nauruern) ermöglichte, durch gewisse Anpas-sungen des Insulin-stoffwechsels und Glukosehaushalts Hungersnot zu überleben, aber bei moderner Er-nährung und Lebensweise zu Diabe-tes führen könnten.

Interesse für den Menschen an sichEinige der anderen anthropolo-gischen Studienthemen erscheinen vielleicht eher interessant als rele-vant, aber wer sich für Humanme-dizin begeistert, der sollte sich doch auch wenigstens etwas für den Men-schen an sich interessieren. Eigent-lich kann man den gesunden (und den kranken) modernen Menschen nur dann verstehen, wenn man die Evolutionsgeschichte kennt. Der menschliche Körper hat sich über Jahrtausende an die Umwelt anpas-sen müssen, und solche Verände-rungen haben in der Anatomie, Phy-siologie und Genetik ihre Spuren hinterlassen. Viele der an Appen-dizitis leidenden Patienten fragen den Chirurgen, weshalb wir denn einen Blinddarm ha-ben, wenn er doch keine Funktion erfüllt und nur

Ärger bedeutet.

Ein Anthropologe würde da entgeg-nen, dass der Appendix ein evolutio-näres Űberbleibsel ist, und vielleicht sogar erklären, wie die natürliche Selektion ein Organ, das wahr-scheinlich doch einen Beitrag zum Immunsystem leistet, nicht gänzlich beseitigt.

Beitrag für die MedizinDurch die Anthropologie lassen sich auch die Verbreitung bestimmter Krankheiten und die Unterschiede zwischen Bevölkerungen erklä-ren. Aufgrund der vielen Parallelen lässt sich Wissen übertragen, das für die Medizin wichtig sein kann. Hinzu kommt, dass man sich durch Beschäftigung mit der Anthropolo-gie Fähigkeiten aneignen kann, die einem als Arzt ebenfalls zu Gute kommen, und das sowohl in theo-retischer als auch praktischer Hin-sicht. Wenn man bedenkt, wie viele berühmte Mediziner sich ebenfalls der Anthropologie und der Evoluti-onsforschung gewidmet haben, wird einem schnell bewusst, welchen Bei-trag das Fach für die Medizin leisten kann, und warum ein vorhergehendes oder anschließendes Anthropologie-

studium für einen interessierten Mediziner durchaus Vorteile bringt. Als Arzt und Vater der Evolutionstheorie hätte Charles Darwin vermutlich die gleiche Meinung ver-treten.

Anthropologische Kenntnisse können im Mediziner-Beruf hilfreich sein

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November/Dezember 2009 3SeiteMLZDigitaler Nachschlag

Auf Station an der Sonnenküste Famulatur in der Traumatologie Marbellavon Marcel F. Glaas

Die Idee, eine Famulatur im spa-nischsprachigen Ausland zu

machen, bestand schon lange, sodass ich alles in Ruhe planen konnte. Die Famulatur habe ich selbst organisiert, ohne den BVMD, da mir die Wahr-scheinlichkeit, in Spanien angenom-men zu werden, aufgrund der hohen Bewerberzahl zu gering erschien. Ich mailte direkt an die Universität Mála-ga, die eine Erasmus-Partner-Uni der Universität Düsseldorf ist. Dort wurden mir dann die Namen einiger Lehrkrankenhäuser genannt, unter anderem der des „Hospital Costa del Sol“ in Marbella. Meine Bewerbung dort habe ich ebenfalls per Mail verfasst, na-türlich auf Spanisch, mit einem Lebenslauf und einem „Letter of Recomendation“ meiner Uni, ge-richtet an den Chefarzt der Trau-matologie. Die Zusage für den Au-gust 2009 kam schon wenige Tage später. Sie enthielt eine Art Vertrag, den ich von meiner Uni ausfüllen lassen sollte. Darin enthalten war unter anderem, dass ich kein Geld bekomme, wohl aber über das Krankenhaus versichert bin und weiteres. Allerdings wollte meine

Universität diesen Vertrag nicht unterschreiben, sodass

ich auf die Hilfe d e r

Spanier angewiesen war. Nach ei-nigen Telefonaten erklärten sich die Spanier zum Glück bereit, auf diesen „Convenio“ zu verzichten. Eine eigene Versicherung habe ich dann über die Deutsche Ärzteversi-cherung abgeschlossen. Jetzt stand der Famulatur nichts mehr im Weg!

Festland-MallorcaMarbella ist sozusagen das Mallorca auf dem Festland: Es gibt sehr viele deutsche Urlauber, sodass an vielen Ecken zumindest auch Deutsch verstanden wird. Im Krankenhaus sollte man allerdings nicht davon ausgehen, sondern gute Sprachkenntnisse mitbringen. Gesprochen wird hier Castella-no – das allerdings sehr nuschelig und schnell. Wenn ich etwas nicht verstand, wurde es einfach noch einmal gesagt. Zwar nicht weni-ger schnell, aber sehr freundlich. Wenn gar nichts mehr hilft, ver-stehen viele auch Englisch oder Deutsch. Verlassen sollte man sich darauf allerdings nicht. Je besser man die Sprache beherrscht, desto mehr hat man natürlich selbst von der Famulatur und desto mehr darf man auch praktisch machen.Empfehlen kann ich auch das Buch „Spanisch für Mediziner“ aus dem Thieme-Verlag, das auch in organisato-

rischen Fragen und der Bewer-bung gute Hilfe leistet.

Die erste Woche wohnte ich in einem Ferien-Apartment, was al-lerdings in diesem Fall für vier Wochen zu teuer geworden wäre. Generell muss man in Marbella auf seine Finanzen achten, da dies, wie erwähnt, ein Touristenort ist. Danach hat sich erfreulicherweise eine spanische Ärztin bereit erklärt, mich als Untermieter bei sich in der Wohnung aufzunehmen.Das war natürlich toll, weil ich so direkte Anbindung an Einheimische hatte und morgens oft mit ihr ins Krankenhaus fahren konnte. Das Krankenhaus liegt am Stadtrand von Marbella und ist ohne eigenes Auto recht mühsam zu erreichen. Busse fahren zwar schon morgens, aber es gibt keinen offensichtlichen Fahrplan, sodass man immer viel zu früh an der Haltestelle stehen muss. Das Wohnheim im Kran-kenhaus war zu dieser Zeit wegen Umbauarbeiten geschlossen, da das Krankenhaus im Moment auf die doppelte Größe erweitert wird.

Zugang zu jeder OPUm viertel nach acht begann jeder Morgen mit dem gemeinsamen Kaffee in der Cafeteria des Kran-kenhauses. Bei einem herrlichen Meerblick konnte ich hier eine Viertelstunde wach werden, bevor alle Ärzte gemeinsam um halb neun zur Frühbesprechung, der „sesión“, eintrafen. Wie in Deutschland be-

richtet hier die Nachtschicht von den Neuaufnahmen und den OPs des Vortages. Freitags folgt eine Art Fortbildung, bei der die Assistenzärzte, die „re-sidentes“, Vorträge zu unfallchirur-gischen Operationstechniken halten. An normalen Wochentagen begin-nen im OP zwischen neun und halb zehn die ersten Operationen. Hier war es selbstverständlich, dass sich der Student bei jeder Operati-on, sofern sie ihn interessiert, wa-schen und mit am Tisch stehen darf. Natürlich mit wechselnd starker Beteiligung an der Operation. Das Spektrum der Operationen in der Traumatologie ist breit, sodass man von einer Hüftprothese über den Achillessehnenabriss bis zur Wir-belkörperfraktur alles sehen kann. Die meiste Zeit meiner Famulatur war ich also im OP und habe rela-tiv wenig Patientenkontakt auf der Station gehabt. Das wäre in anderen Fachrichtungen vielleicht anders ge-wesen. Wenn man darum bittet, darf man auch viele Sachen mal selbst durchführen, zum Beispiel Nähen, Blasenkatheter legen oder Verbände machen. Trotzdem muss man sagen, dass man bei einer Famulatur in Spanien eher visuell lernt und Spa-nisch übt, als dass man viele prak-tische Fähigkeiten erwirbt.

Fortsetzung auf Seite 4

Anthropologische Kenntnisse können im Mediziner-Beruf hilfreich sein Beliebtes Ziel der Deutschen: In Marbella machen nicht nur viele Urlaub, manche haben sogar ihren Lebensmittelpunkt hierhin verlegt

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November/Dezember 20094Seite MLZDigitaler Nachschlag

Dem Tod mit Respekt begegnen Momentaufnahmen aus dem PräparationskursFortsetzung aus der MEDI/LEARN Zeitung 05/09

Diese Einsicht erleichterte mir meine Arbeit wesentlich, denn

ich arbeitete mit dem Bewusstsein, den Körper, die leere Hülle, die Schlangenhaut zu präparieren und nicht mehr den Menschen, der er einst gewesen war. Das war aber kein Grund, ihn weniger zu respek-tieren, sondern nur eine Erleichte-rung, da ich wusste, ich tat ihm nicht mehr weh. Wohin ist seine Seele gegangen?Irgendwann wurde der Körper-spender schließlich umgedreht und ich konnte ihn mir genauer anschauen. Die spitzen Gesichts-züge, den leicht geöffneten Mund, die vielen Totenflecke, die abge-magerten, versteiften Finger. Bei

Das liegt auch daran, dass die spanischen Medizinstu-denten in ihrer Ausbildung erst als Assistenzarzt prak-tische Erfahrungen machen. Vorher wird das somit auch nicht von ihnen erwartet.Auch ein zweitägiger Ausflug in die Gynäkologie, den ich interessehalber machen wollte, war kein Problem. Sofort wurde ich auch dort wieder sehr freundlich aufge-nommen und man erklärte mir viel. Als besonders angenehm wird mir das Arbeitsklima im Gedächtnis bleiben, das wesent-lich entspannter als in Deutsch-land ist. Es herrscht ein freund-licher, respektvoller Umgang sowohl zwischen den Ärzten untereinander und den Schwestern – ja sogar zwischen Chirurgen und Anästhe-sisten. Eine hierarchische Ordnung ist kaum zu bemer-ken, da sowieso alle in Spa-nien „per du“ sind. Sogar mit den Patienten wird sehr freundlich und locker umgegangen, oft werden sie geduzt. Auch nach der Arbeit, die hier übrigens auch für die Ärzte

pünktlich um 15 Uhr endet, geht man gelegentlich noch ein Bier am nahegelegenen Strand trinken.

Mojitos in TarifaWährend meiner Famulaturzeit stand der jährliche Betriebsaus-flug der Traumatologen nach Ta-rifa an, auf den ich dann einfach

Famulatur in der TraumatologieFortsetzung von Seite 3

mitgenommen wurde. Tarifa liegt sozusagen einmal um die „Gibral-tar-Nase“ von Spanien herum am Atlantik. Über die Einwohner von

Tarifa sagt man, dass sie durch den permanenten Wind, der

dort herrscht, wunderlich geworden seien. In jeden Fall ein Eldorado für Surfer und Kiter.

Der Wind, der die Palmen rauschen lässt und von seichter

Lounge-Musik am Pool unterlegt wird, macht die Sonne erträglich. In den vielen giftgrünen Sofas im Gar-ten wurde der ein oder andere Mojito getrunken, bevor wir um zehn Uhr zum Abendessen aufbrachen.

Das Abendessen läuft in Spa-nien, abgesehen davon,

dass man auch erst um halb drei morgens fer-tig ist, anders ab als in Deutschland. Es werden viele kleinere

Gänge serviert, die man dann auf seinen Teller lädt.

Am Ende wird die Rechnung – rund 500 Euro – durch die Anzahl der „Teilnehmer“ geteilt. Fertig. Für mich war das allerdings irrele-vevant, weil die Gruppe darauf be-stand mich einzuladen. Widerrede

zwecklos. Danach begann eine spa-nische Partynacht, von der wir uns am nächsten Tag am Strand erholen mussten.Dazu wurde großzügiges Picknick eingekauft. Gazpacho, eine kalte spanische Gemüsesuppe, kannte ich zwar schon vorher, aber ich wusste nicht, dass sie hier auch mit Eis-würfeln am Strand als Erfrischung genossen wird. Und das tut in der Hitze wirklich gut, vor allem, wenn es sonst nur Cola und Bier gibt!

Einblicke und Sonne gesammeltZusammenfassend kann ich sagen, dass ich eine erlebnisreiche, beein-druckende Famulatur in Marbella gehabt habe. Fachlich habe ich sehr viel gesehen, wenn auch nicht im-mer alles selbst machen können. Mein Spanisch konnte ich wieder auffrischen und verbessern und ich habe einen guten Einblick in den Arbeitsalltag in einem spanischen Krankenhaus bekommen. Ich habe Sonne getankt, viele nette Men-schen kennen gelernt und unglaub-lich viel Gastfreundschaft erlebt. Und von letzterer können wir Deut-schen uns noch ein Scheibchen ab-schneiden…

Fortsetzung auf Seite 5

der vorderseitigen Präparation hatte ich oft das Gefühl, der Mann würde mich aus seinen halbgeöff-neten, trüben, blauen Augen bei meiner Arbeit beobachten. Voll-kommen unbeweglich schauten mich diese Augen an, mit einem dichten Schleier über ihnen.

Ich stellte mIr vor, seIne seele würde neben uns

schweben, sIch alles mIt ansehen

Der Ausdruck war weder vorwurfs-voll noch aufmunternd, sondern einfach nur müde, müde vom Lei-den, müde vom Leben. Ich fragte mich, wo seine Seele wohl sein

mochte. Ich stellte mir vor, sie würde neben uns schweben und sich alles mit ansehen, was wir ih-ren sterblichen Überresten antaten. Was dachte sie? Hatte der Mann sich so seinen Dienst für die Wis-senschaft vorgestellt?

Horror-RealitätIn solchen Momenten kam ich zu mir. Landete mitten in der Realität, knallte mit beiden Füßen hart auf dem kalten Boden des Präpsaals auf und mein Schutz, meine Wand war weg. Ich blickte mich um und hatte das Gefühl, als würde ich alles zum ersten Mal sehen. Entsetzen wie im schrecklichsten Horrorfilm schlich sich in meinen Kopf und lähmte

meine Glieder. Vom Tisch tropfendes Fett, abgeschnittene Körperteile, eine komplett abgezogene Haut in der Luft, ein geöffneter Schädel, von überall her starre, kalte Augen und der Tod, der mich unbeweglich aus ihnen anstarrte. Das Geräusch der Knochensäge schnitt durch mei-ne Ohren und meine Haare richte-ten sich auf. Scharf, grausam, ohne jegliches Mitleid schlugen sich die Zähne in den Knochen, zerbissen das scheinbar harte Material problem-los und spuckten die Reste aus. Der Formalingeruch und etwas anderes, Schreckliches, Süßlich-Saures kroch in meine Nase.

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November/Dezember 2009 5SeiteMLZDigitaler Nachschlag

Dem Tod mit Respekt begegnen Momentaufnahmen aus dem PräparationskursFortsetzung aus der MEDI/LEARN Zeitung 05/09

noch bieten konnte und die mit dem Rinnsal davon flossen.

Vom Mensch zum PräparatNach und nach hatte der Körper-spender alles Menschliche verlo-ren und wurde mehr und mehr zu einem Präparat. Nur noch das von uns verschonte Gesicht erinnerte daran, dass er mal so ausgesehen hatte wie wir. Im Laufe der Prä-paration entdeckten wir zahlreiche Anomalien an fast allen Organen: Herzvergrößerung, Koronarkrank-heit, Nierenzysten, Hernien, eine fehlende Gallenblase, einen Port, einen großen Teil des Darms, der wegen des Krebses entfernt worden war, eine so verkalkte Aorta, dass es über-

haupt unklar war, wie er gelebt hatte, und ein sehr ungewöhnliches Pankreas... welche Leiden dieser Mann hatte! Die Unübersichtlich-keit seines Bauchraumes war auch der Grund für die Aussage unseres Professors, dieser Körperspender sei für unsere Prüfung nicht geeig-net: „Wir werden ihn auseinander-sägen müssen.“ Seine Anweisung an den Hausmeister: „Einmal die Hüfte abtrennen und dann bitte noch mal längs eine Teilung.“ Uns versicherte er: „Keine Angst, Sie werden es erst sehen, wenn Sie morgen wiederkommen.“ Der warme Arm meiner besten Freundin streifte meinen. Täuschte ich mich oder zitterte sie wirklich? Wie ungewohnt war ein Gefühl der Wärme, des Lebens in diesem Raum. Meine Augen begegneten den ihren. Noch blauer als sonst waren sie, noch riesiger. Die schwarzen Wimpern flogen ein paar Mal wie Schmetter-

lingsflügel auf und ab und zwischen ihnen blitzte ein winziger, glitzernder Tropfen

auf.

Auseinandersägen? Die Frage blieb mir unausgesprochen im Halse stecken.

Wortlos, lautlosAm folgenden Tag schien die Ankün-digung vergessen zu sein. Doch die sauber abgetrennten Körperteile, die aus dem Bauchraum halt- und leblos heraushängenden Darmschlingen riefen alles wieder in Erinnerung. Keiner sagte ein Wort. Keiner er-wähnte es. Ein Tabu mehr in unserem Leben. Ich präparierte lautlos, ich würgte genauso wortlos mein Essen herunter. Ich ging nach Hause und lernte weiter. Alles wie immer. Alles ohne ein einziges Wort.

In jener nacht suchten mIch zum ersten mal alb-

träume heIm

Abstumpfung. Am nächsten Mor-gen wachte ich mit zusammenge-bissenen Zähnen auf. Meine Hände taten weh, ich konnte die Finger nicht auseinander kriegen – sie waren die ganze Nacht zu Fäusten geballt gewesen. Tiefe Abdrücke meiner Nägel prägten die Handflä-chen. Mein Bett war schweißnass, meine Augen waren geschwollen und brannten immer noch. In jener Nacht hatten mich zum ersten Mal seit Anfang des Präparationskurses Albträume heimgesucht.

Die Gefühle bewahrenAls wir schließlich den Totenschein bekamen, war ich entsetzt über die kühle Gleichgültigkeit, mit der die Pathologin über „unseren“ Mann schrieb: „Ein alter Mann mit Schlaf-anzugsjacke bekleidet...“, als sei er ein Objekt wäre, nur irgendwer, ei-ner von vielen, ohne Identität, ohne Namen. Ich war wütend. Wütend auf diese ungerechte, gleichgültige Welt, auf die Pathologin und auf mich, dass ich diese ewige Maske trug und nichts sagte, obwohl doch so viel in mir drin war. Nur wenn ich dieses Mitgefühl für meine Mit-menschen bewahren konnte, würde ich eine gute Ärztin werden.

Fortsetzung auf Seite 7

Meine Knie wurden weich und fingen an zu zittern. Ich

schaute umher, sah gewohnte Ge-sichter, die fast schon meine zweite Familie waren. Eng arbeiteten wir zusammen, uns aneinander rei-bend, wie Krähen oder Geier um einen Leichnam kämpfend, in einer schwarzen Wolke über dem Toten hängend. Niemand schien etwas zu merken. Ich schloss die Augen und würgte die aufsteigende Übel-keit mit dem Wunsch herunter, aus dem Raum zu gehen, zu laufen, zu fliegen. Die Maske der Gleichgül-tigkeit war wieder aufgesetzt, der Maskenball konnte weitergehen.

Letzte Anzeichen des LebensIrgendwann kamen wir zu den Or-ganen und diese weitere Dimension meiner neuen Welt war noch fas-zinierender als alles andere davor. Am meisten begeisterte mich das Herz, das solch eine riesige Arbeit verrichtet hatte. Es war größer, als ich es mir vorgestellt hat-te, doch trotzdem viel z u klein, um als Pumpe für einen ganzen Körper zu fungieren. Wenn man auf die linke Kammer drückte, pulsierte die Aorta, als ob es doch noch ein Zurück gäbe, als hätte der Tod doch nicht gesiegt. Aber dann kamen die Reste des Le-bens in Form von dun-klem, geronnenem Blut in riesigen Klumpen aus den Gefäßen und dem Herzen zum Vorschein. Kamen zum Vorschein, wurden von uns heraus-gekratzt und entsorgt. So war jede Hoffnung dahin. Manchmal rie-selte sogar noch frisches Blut aus kleinen ange-schnittenen Gefäßchen und wir verstummten alle und schauten uns mit Traurigkeit und Ehr-furcht diese allerletzten Anzeichen des Lebens an, die dieser Körper uns Mehr als nur eine Nummer: Der Präparationskurs widmet sich auch dem Menschlichen

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November/Dezember 20096Seite MLZDigitaler Nachschlag

Momentaufnahmen aus dem Präparationskurs Fortsetzung von Seite 5

Und dies würde schwer sein, denn alles, was man sieht, tötet sie ab, di-ese Menschlichkeit, und man wird zu einem maskierten Roboter voller Gleichgültigkeit und Leere.

Dankbarkeit zeigenAls wir am letzten Semestertag noch einmal wie am Anfang um unseren Körperspender herum standen, dieses Mal, um uns von ihm zu verabschieden, nahm ich bewusst meine Maske ab. Ich sah ihn wieder als Menschen und

Ein langer Atem zahlt sich aus! Medizin studieren mit 3,0 … von Ines Pilz

nicht als Präparat. Ich ließ be-wusst das Gefühl der Trauer und des Schmerzes für ihn zu. Doch nicht nur diese Gefühle erfüllten mich beim Anblick dieses zerstü-ckelten, zersägten Körpers, beim Blick der an die Ellenbogen an-gelegten Füße. Nein, auch ein Ge-fühl von großer Dankbarkeit. Ich dankte diesem Mann, der sich uns so vollkommen geöffnet hatte, für all das Wissen, das ich mit solcher Begeisterung erworben hatte, für jede Minute, in der ich Struktur für

Als ich 2001 mein Abitur machte, wusste ich bereits

vier Jahre, dass ich unbedingt Arzt werden wollte. Nur leider bin ich auch Realist und mir fiel es nicht schwer festzustellen, dass ich mit meinem Abi-Schnitt von 3,0 keine Chance hatte, einen Studienplatz zu bekommen.Nichts desto trotz bekam die ZVS Post von mir und eine Bewerbung auf den heiß begehrten Studienplatz. Die Antwort der ZVS: Rang 10.009 auf der Warteliste. Da konnte ich mir ausrechnen, dass es noch eine gan-ze Weile dauern wird, bis ich einen Studienplatz bekomme.

An die Ärzte geheftetDa ich diese Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte, bewarb

Struktur mehr benennen konnte und in der mir mein eigener Kör-per immer bekannter wurde.

Erwachsener gewordenAm Anfang des Semesters hat-te ich einen Fremden begrüßt und am Ende dieser paar Monate stand ich vor dem Abschied von jemandem, der mir sehr nah ge-kommen war, der mir eine neue, faszinierende Welt eröffnet und mich zu einem anderen Menschen gemacht hatte – durch sein ei-

ich mich um eine Ausbildung zur Krankenschwester. Diese bekam ich auch. Es sollte aber nicht lange dauern, bis ich unzufrieden wurde und mehr wollte. Ich heftete mich zunehmend an die Ärzte auf Sta-tion, welche mir auch bereitwillig alles erklärten. So konnte ich neben den „Basics“, die man als Kranken-schwester macht und lernt (Blutab-nahmen, Blutdruck messen, Kathe-ter legen, Magensonden legen usw.) darüber hinaus gehende Fertigkeiten erlangen: Ich eignete mir das Flex-ülen legen an, das Kathetern von Männern, das Punktieren von As-zites, Liquor- und Pleuraergüssen unter Assistenz, sowie den Weg von der Aufnahme des Patienten bis zur Diagnosestellung. Nach dem Abschluss meiner Aus-

bildung und sechs Wartesemestern dachte ich, es sei geschafft. Aber so sollte es nicht sein. Ich bekam wie-der eine Absage. Doch mein Rang auf der Warteliste sank auf 4.307. Ich rechnete mir aus, dass ich dann wohl nach acht langen Semestern dran sein müsste. Das Jahr über-brückte ich in meinem gelernten Be-ruf auf einer Station für Frührehabi-litation/Intensivpflege neurologisch erkrankter Patienten.

Schwierige ZeitenAll das war nicht immer einfach, denn zu dieser Zeit ging es auch meinem Vater sehr schlecht. Er war an Prostatakrebs erkrankt und muss-te immer wieder zu Bestrahlung und Chemotherapie. Im August 2005 dachte ich dann: Jetzt ist es soweit. Aber die ZVS enttäuschte mich erneut. Wo ka-men denn all die Leute her, die Ärzte werden wollen? Es war echt deprimierend. Und der ein oder andere hätte wahrscheinlich auch aufgegeben. Aber nicht ich. Da musste ich jetzt durch! Also ging ich weiterhin fleißig mei-nen Diensten nach. Doch schon ab Ende Mai 2006 sollte sich einiges in meinem Leben ändern. Und es kam, wie es irgendwann zwangs-

läufig kommen musste: Mein Vater verließ mich

im Juni. Der Krebs hatte gesiegt. Es folgten einige Wochen, in denen ich krank und zu Hause war. Ich küm-merte mich um eine vernünftige Beerdigung, räumte die Wohnung aus, verteilte das Erbe und alles, was noch zu erledigen war.

Zusage!Am 12. August 2006 – und glaubt mir, diesen Tag werde ich mein Leben lang nicht vergessen – öff-nete ich den Briefkasten. Zusage! Das war die beste Entschädigung, welche ich für die lange Zeit des Wartens bekommen konnte. So schnell wie meine Kündigung an meinem damaligen Arbeitsplatz auf dem Tisch lag, konnte ich nicht ZVS sagen.Nun bin ich Studentin im 7. Seme-ster, habe mein Studium bisher sou-verän gemeistert, alles beim ersten Mal bestanden und arbeite an mei-ner experimentellen Doktorarbeit. Ich habe nicht eine Sekunde bereut, meinen unbefristeten Arbeitsvertrag gekündigt zu haben und kann nur je-dem ans Herz legen, diesen Schritt zu gehen, wenn er merkt, dass er noch weiter kommen möchte. Lasst euch nicht entmutigen, wenn ihr in einer Gruppe von Abiturienten steht, die sich darüber austauscht, dass sie ja einen Schnitt von „nur“ 1,3 ha-ben. Auch mit 3,0 ist alles möglich. Man braucht nur einen langen Atem.

genes Leben, das ich zwar nicht kannte, dessen Spuren gleichwohl an seinem Körper und an seiner Entscheidung, sich uns zu spen-den, zu verfolgen waren.

Ich trat mit langsamen Schritten aus dem Raum und blickte mich noch mal an der Schwelle um. Ein letzter schweifender Abschiedsblick durch den leeren Präpsaal. Wie erwachsen ich geworden war. Als ob ein ganzes Leben in diesen wenigen Monaten gelebt worden wäre.

Der Hörsaal: Um hier lauschen zu dürfen, wartet mancher jahrelang

Page 7: Digitaler Nachschlag 05/2009

November/Dezember 2009 7SeiteMLZDigitaler Nachschlag

Als Flying Doctor in den Alpen unterwegs Eine Woche mit dem Flieger unterwegs Fortsetzung aus der MEDI-LEARN Zeitung 05/09

Obwohl es mitten in der Nacht war und ich mich immer noch

sehr müde fühlte, konnte ich mich dem Charme Tallinns nicht entzie-hen. Der Flughafen modern, die Menschen freundlich und die Alt-stadt wunderschön erhalten, machte alles einen sehr angenehmen Ein-druck. Die Ausstattung des Kran-kenwagens war exzellent und es schien, als ob neben den eigenstän-digen Bemühungen Estlands auch die ein- oder andere europäische Unterstützung ein gutes Gesamt-werk vollbracht hatte.

Der Rückflug war ereignislos und erlaubte weitere kurze Schlafphasen im Wechsel mit meinem Pfleger. Um vier landen wir in London-Warwick, dort übernimmt ein Rettungswagen unseren Patienten. Vor uns liegen mindestens 12 Stunden Pause. Ein Folgeauftrag steht bislang nicht an, so dass wir nach einem Feierabend-Bier um fünf erschöpft in die unbe-schreiblich bequemen Kissen des Hilton Warwick senken.

Ab in den Süden!Der 11. Februar, ein sonniger Tag. Gegen 14 Uhr verdichten sich die Gerüchte um einen Transfer von Teneriffa (Kanaren) nach Parma (Italien). Wir machen uns also auf den Weg zum Flughafen, und nur einen Kaffee später gibt man uns die endgültige Bestätigung. Das Wetter ist umgeschlagen, es ist kalt, windig und es beginnt zu regnen. Höchste Zeit, der Sonne entgegen zu fliegen! Und: Offenbar erwartet uns der Pa-tient erst am nächsten Tag, was uns neben einer vernünftigen Übernach-tung auch einige freie Stunden auf Teneriffa beschert! Zum Zeitpunkt unserer Landung auf Teneriffa (21 Uhr) ist es natürlich schon wieder dunkel. Die Patienten-info: Ein 74-jähriger Italiener mit heftiger Lumbago bei bekanntem Bandscheibenvorfall L3/L4. Er sei wohl wieder auf dem Weg der Bes-serung, auch er ist in einem Hotel. Ob allerdings der Transport in lie-

gender Position für den Patienten erträglich ist, muss sich erst noch zeigen.

eIn kurzes bad In den erfrIschenden wellen des

atlantIks

Damit es am Folgetag zügig losge-hen kann, wird die Maschine am Abend betankt. Unseren Piloten zu-folge sollten wir die Nacht in einem der schönsten Hotels auf der Insel verbringen, der „Villa Cortés“. Sie haben definitiv nicht übertrieben. Gegen neun erwache ich im Para-dies. Zwitschernde Vögel, untermalt von sanftem Meeresrauschen, ein lauwarmer Wind und die aufgehende Sonne lassen die zurückliegenden Anstrengungen vergessen. Draußen erwarten mich ansteigende Tem-peraturen bis 26 Grad. Da bis zum geplanten Abflug um 1300 noch ei-nige Stunden zur freien Verfügung bleiben, mache ich mich zu einem kleinen Spaziergang entlang der Strandpromenade auf. Ein kurzes Bad in den erfrischenden Wellen des Atlantiks rundet den Aufenthalt ab.

SprachwirrwarrUnser Patient ist in schlechterem Zustand, als die Aussage „He´s sta-ying in a hotel“ vermuten ließ. Es dauerte Minuten, bis er sich auf den Stretcher gelegt hatte. Um ihm die etwa vierstündige Flugzeit so an-genehm wie möglich zu gestalten, polstern wir hier und da etwas nach, und mit einer zusätzlichen Kurzin-fusion plus 2,5g Novamin sollte es dann auch recht angenehm für ihn werden. Pünktlich um zwei verab-schieden wir uns von Teneriffa und treffen mit leichter Verspätung um 18.30 Uhr in Parma ein. Die Über-gabe an den italienischen Kranken-wagen: kommunikativ aber weitge-hend unverständlich, Englisch hilft uns kaum weiter. Letztendlich ist das Ehepaar aber offensichtlich zu-frieden mit der Repatriierung: „Vi ringraziamo“ und „multo buona“ kann ich der mir ansonsten unver-

ständlichen Dankesrede entnehmen.Leben im ZeitrafferEs folgt der kurze Flug von Parma zurück nach Wien. Nach einer etwas langwierigen Landeprozedur sind wir um 21 Uhr wieder „zu Hause“. Die Temperaturen sind mit minus zwei Grad doch ziemlich frisch und der starke Wind intensiviert die Käl-te. 10 Stunden zuvor lag ich noch

am Strand von Teneriffa. Ein Leben im Zeitraffer.Es stehen keine weiteren Ambulanz-flüge an. Das ist mir ehrlich gesagt ganz recht. So spannend und aufre-gend die vergangenen Tage waren, so anstrengend und erschöpfend wa-ren sie auch. Und deshalb nutzte ich den Freitag, um auszuschlafen und

erstmals die Stadt Wien zu erkun-den. Bei der Gelegenheit besuchte ich auch gleich einmal die Zentrale unserer Firma. Nach einem leckeren Essen – Wie-ner Schnitzel zum Abschied – fliege ich am Samstagmittag mit einem – aus meiner neuen Sicht nun großräu-mig wirkenden – Airbus A330-200 zurück nach Münster-Osnabrück.

Neben Mozartkugeln hatte ich viele spannende Eindrücke und neue Erkenntnisse in meinem Gepäck. Obwohl wir uns aus medizinischer Sicht nie wirklich aus europäischen Verhältnissen entfernt hatten, konn-te ich einen Eindruck jenseits des Tellerrandes gewinnen. Das war die Europareise allemal wert!

IMPRESSUM

Herausgeber: MEDI-LEARN, ISSN 1860-8590 Elisabethstraße 9, 35037 Marburg/LahnTel: 04 31/780 25-0, Fax: 04 31/780 25-29E-Mail: [email protected], www.medi-learn.de

Redaktion: Jens Plasger (Redaktionsleitung), Christian Weier (V.i.S.d.P.), Trojan Urban, Dr. Marlies Weier, Dr. Lilian Goharian, Dominika Sobecki,Dr. med. Dipl.-Psych. Bringfried Müller, Thomas Brockfeld

Lektorat: Jan-Peter Wulf und Thomas Trippenfeld

Layout & Graphik: Kristina Junghans

Berichte: Ines Pilz, Marcel F. Glaas, Daniel Lüdeling, MA Reto Caluori (idw), Helen Kroening, Olga Kogan

Bildnachweis: www.photocase.com, www.istockphoto.com, www.sxc.hu, www.pixelquelle.de, Artikelautoren, www.flickr.com, David Cotterrell

Erscheinungsort: MarburgDer digitale Nachschlag erscheint zu jeder MEDI-LEARN Zeitung als Ergänzung, die du dir als PDF auf der MEDI-LEARN Seite herunterladen oder online anschauen kannst. Er beinhaltet Fortsetzungen von Artikeln aus der aktuellen Zeitung sowie weitere interessante Artikel und Berichte rund um die Medizin.

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Dieser Digitale Nachschlag ist Teil der MEDI-LEARN Zeitung. Die bisherigen Ausgaben findest Du unter: www.medi-learn.de/ MLZ-Online

Rücktransport eines Patienten mit dem Flugzeug

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November/Dezember 20098Seite MLZDigitaler Nachschlag

An die Hochzeit, einen schö-nen Urlaub, aber auch an

einen Unfall können wir uns oft noch Jahre später sehr gut erinnern. Hingegen werden alltägliche, ge-fühlsneutrale Geschehnisse nur oberflächlich abgespeichert und schneller vergessen. Dieser gedächtnisför-dernde Effekt von Emoti-onen ist biologisch sinn-voll. So brennen sich erlebte Gefahrensitu-ationen tief in unser Gedächtnis ein und können dadurch eher vermieden werden. Dieser Effekt von Gefühlen auf das Ge-dächtnis ist aber nicht bei allen Menschen gleich stark ausge-prägt. Wissenschaftler der Universität Basel haben für dieses Phäno-men einen molekularen Mechanismus beschrie-ben.

Emotionale InformationDie Professoren Dominique de Quervain und Andreas Papasso-tiropoulos von der Universität Basel hatten entdeckt, dass eine genetisch verankerte Varian-te eines bestimmten Rezeptors (alpha-2B-adrenerger Rezeptor), der als Andockstelle für den Bo-tenstoff Noradrenalin dient, dazu beiträgt, dass man sich besonders stark an emotionale Information erinnert.Die Forscher fanden zudem heraus, dass dieselbe Rezeptorvariante auch für die Stärke von quälenden Erinnerungen an traumatische Er-lebnisse bei der posttraumatischen Belastungsstörung mitverantwort-lich ist. Allerdings blieb bisher un-klar, wie diese genetische Variante zu einem besseren emotionalen Ge-dächtnis führt.

Erhöhte Aktivität des MandelkernsIn der aktuellen Untersuchung studierten die Wissenschaftler

den zugrunde liegenden Mecha-nismus. Dr. Björn Rasch unter-suchte dazu die Hirnaktivität von gesunden Versuchteilnehmern, während diese sich emotionale Bilder anschauten. Die Rezep-torvariante, die mit einem ge-steigerten emotionalen Gedächt-nis einherging, führte zu einer erhöhten Aktivität des Mandel-kerns (Amygdala), einer Hirn-struktur, die wichtig ist für die Verarbeitung und Abspeicherung emotionaler Information.Dieser genetisch verankerte Mecha-nismus führt also über eine erhöhte Aktivität im Mandelkern dazu, dass man sich beispielsweise besonders gut an erlebte Gefahrensituationen er-innert und sie dadurch künftig besser vermeiden kann. Der Preis, den man für diesen positiven Effekt zu bezah-len hat, könnte allerdings sein, dass sich auch schlimme traumatische Er-lebnisse tiefer ins Gedächtnis eingra-ben und so in Form quälender Erinne-rungen weiter existieren.

Wie Gefühle unser Gedächtnis steuern Auf dem Weg zu neuen Therapiestrategien von MA Reto Caluori, Universität Basel (idw)

des Projektes gehören die Identi-fizierung von neurobiologischen und molekularen Mechanismen des menschlichen Gedächtnisses und die gezielte Entwicklung neuer Therapiestrategien zur Behandlung von Gedächtnisstörungen.

Mehr Informationen:www.brainscience.ch/unibas-dcn.html

Neurobiologische Mechanismen Die aktuelle Studie fand im Rah-men des Projekts „Neurobiolo-gische Mechanismen des mensch-lichen Gedächtnisses“ statt, das von Papassotiropoulos und de Quervain geleitet wird. Das Projekt umfasst mehrere Tausend Versuchsteilneh-mer und Patienten aus Europa, den USA und Afrika. Zu den Zielen

fMRI-Aufnahme eines Mandelkerns mit genetisch bedingter erhöhter Aktivität