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ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit

entgrenzt Ausgabe 3

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entgrenzt Ausgabe 3

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ISSN 2193-1224

Ausgabe Nr. 3, SoSe 2012

ein Projekt derGeowerkstatt Leipzig e.V.in Kooperation mit

Beiträge unter anderem

Der Klimawandel als medialkonstruiertes Risiko

Megastädte – Das Risiko wächst mit

10 Jahre GeoWerkstatt Leipzig e.V.

Nachwuchsförderung oder „Lehrbelastung“?

Leitthema: Rest – Risiko – Gesellschaft

Risikoforschung in der Geographie.Themen, Intentionen und Relevanz

und viele mehr ...

v.2.0

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2 entgrenzt 3/2012Gesamteditorial |

Liebe Studierende!Die dritte Ausgabe ist fertig!

entgrenzt beginnt sich mit wechselnden MitarbeiterInnen zu wandeln ...

Lebet lang und in Frieden!

Die aktuelle Ausgabe beschäftigtsich mit dem Thema:

Rest

Risiko

Gesellschaft Dazu haben sich wieder alle Rubriken ordentlich insZeug gelegt, um euch mit Wissenswertem,

Aktuellem und Neuem zu versorgen ...

Wir bedanken unsebenso für alle

eingereichten Beiträgeund freuen uns neue

MitarbeiterInnenbegrüßen zu dürfen.

But entgrenzt alsoneeds YOU!

Denn wir suchenimmer nach

Studierenden,RedakteurInnen undAutorInnen, die unsbei der Umsetzung

von entgrenzt unter-stützen können.

Wir wünschen euchviel Freude beim Lesen!

Bis zur nächsten Ausgabe!

by Josephine Kellert

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3entgrenzt 3/2012

GeographischesPodiumsdiskussion: Risikoforschung in der Geographie.Themen, Intentionen und RelevanzSebastian Norck: Der Klimawandel als medial konstruiertes Risiko – Untersucht amBeispiel der Berichterstattung des Nachrichtenmagazins Der SpiegelYannick Strasmann & Sarah Weiss: Megastädte – Das Risiko wächst mit. Ein Beitrag zumHelmholtz-Gemeinschaft Projekt Risk Habitat Megacity in Santiago de ChileKatharina Waha: Beurteilung von Risiken aus Naturgefahren durch Risikoanalyse undihre Umsetzung im Katastrophenmanagement: ein Blick auf vorhandene Konzepteund Methoden

GeowerkstattAngela Hof & Ingo Hetzel: Denkanstöße und Praxisbeispiele für kompetenzorientierteLehre im Bachelor- und Masterstudiengang GeographieInga Gryl: Geographie-Machen mit dem humangeographischen Nachwuchs.Tagungsbericht und Vorstellung des Netzwerkes RaumaneignungFrank Feuerbach: 10 Jahre GeoWerkstatt Leipzig e.V. –eine kleine Laudatio zum Jubiläum

Sprach(r)ohrJorg Stephan Kahlert: Aufruf zur Mitarbeitan einem Artikel zu Berufungsverfahren von ProfessorenAnja Costa: Nachwuchsförderung oder „Lehrbelastung“?Julian Trappe: Das Ende der Geographie in Dresden?Helge Piepenburg: Auswirkungen des Bologna-Prozesses auf die ehrenamtlicheAktivität der Studierenden

GeoPraktischArbeitswelt der Geographie: Nur ein weiterer Blog im Internet? Oder: Warum dieWissenschaft online gehen sollte!Johannes Bürger: Auenwaldwanderkarten – Ein Praktikum bei TriPolis LeipzigSonja Hock: Engagement im Studium – Ein Interview mit der „Study Career Managerin“Matthias Wagner: Vernetzer zwischen Region und EU. Ein Interview mit demRegionalmanager Matthias WagnerGeoOrga

entgrenztmachen, aber wie?Call for Papers – Ausgabe Nr. 5, SoSe 2013

Impressum

Gesamtinhalt

| Gesamtinhalt

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4 entgrenzt 3/2012Geographisches |

Geographisches„Rest-Risiko-Gesellschaft“ titelte unser Aufruffür die 3. Ausgabe von entgrenzt. Wir leben ineiner Zeit mit dem populär werdenden Glau-ben daran, dass morgen vielleicht die Welt un-tergeht, und wenn nicht, dann doch zumindestimmer gefährlicher wird. Die Maya wollen an-geblich schon lange prognostiziert haben, dassEnde 2012 die Menschheit ausgelöscht wird.Immer lauter werden die Stimmen von Risiko-forscherInnen sowie ExpertInnen aus Versi-cherungen und Politik, welche diese Befürch-tungen teilen. Ulrich Beck hat seine Annahmeeiner Risikogesellschaft (1986) auf die ganzeWelt übertragen. Neben den Finanzkrisen dro-hen auch der Klimawandel mit seinen kaumabschätzbaren Auswirkungen und einherge-henden Naturereignisse, welche sich in besie-delten Gebieten zu Katastrophen entwickelnkönnen. Nicht nur in verschiedenen Wissen-schaften, sondern auch in Medien wird – malmehr und mal weniger – das Thema ausgiebigdiskutiert.Zur Einleitung in dieses umfassende Thema

und den zahlreichen Ansichten dazu habenwir mit Geographen und Geographinnen aufder Tagung „Neue Kulturgeographie 9“ inHamburg eine Podiumsdiskussion mit dem Ti-tel „Risikoforschung – zwischen Popularitätund Theoretisierbarkeit“ organisiert und be-gleitet. An der Debatte beteiligten sich Dr. Ju-dith Miggelbrink, (Leipzig), Prof. Dr. DetlefMüller-Mahn (Bayreuth), Prof. Dr. JürgenOßenbrügge (Hamburg), Prof. Dr. AndreasPott (Osnabrück) und Dipl.-Geograph ThiloWiertz (Heidelberg). Moderiert wurde die Dis-kussionsrunde von Dr. Sybille Bauriedl (Kas-sel). Diese soll euch eine fundierte Einführungin einige Aspekte der aktuellen Debatte(n) lie-fern.Sebastian Norck rückt im ersten studenti-

schen Beitrag der Ausgabe die mediale Aus-einandersetzung mit dem Klimawandel in denFokus. Er untersucht aus der Sicht der Kom-munikationswissenschaft die Berichterstattungim Magazin Der Spiegel bezüglich des Klima-wandels und interpretiert sie vor dem Hinter-

grund geographischer Risikoforschung.Sarah Weiss und Yannick Strasmann stellen

die Forschungsinitiative der Helmholtz-Gesell-schaft Risk Habitat Megacity vor. Im Mittel-punkt steht dabei das wachsende Risiko vonMegacities im globalen Süden, hier am Bei-spiel von Santiago de Chile.Abgerundet wird die Rubrik „Geographi-

sches“ durch den Beitrag der Doktorandin Ka-tharina Waha. Sie widmete sich dem Katastro-phenmanagement und der Beurteilung von In-strumenten und Ideen von Risikoanalysenbereits im Jahr 2006 im Rahmen eines stu-dentischen Projekts. Für entgrenzt aktualisiertesie ihre Arbeit.Diese Vielfältigkeit belegt die Reichweite

des Themas und die Aktualität des For-schungsfelds Risiko innerhalb der Geographie.Wir freuen uns diese Beiträge präsentieren zukönnen. Vielleicht findet sich in der nächstenAusgabe auch ein Artikel von Dir.

Cosima Werner (Redaktion)

Rest-Risiko-Gesellschaft

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Wie es dazu kam …

Nachdem den Redaktionsmitgliedern beiÜberlegungen zum Call for Papers für die drit-te Ausgabe immer wieder bewusst wurde, wiepräsent der Risikobegriff in Nachrichtenmedi-en ist, entschieden wir uns für ein besonderesSchmankerl. Anlässlich der Tagung „Neue Kul-turgeographie 9“ am 27. und 28. Januar 2012in Hamburg sollte in Absprache mit Frau Prof.Anke Strüver eine Podiumsdiskussion veran-staltet werden, die drei Ziele verfolgte:

1 . Das Thema Risikoforschung in der Geo-graphie sollte durch Beteiligte diskutiertwerden.

2. Es sollten ausgewählte Aspekte von Risi-koforschung – Themen, Intentionen,Relevanz – so besprochen werden, dassStudierenden ein explorativer Überblickermöglicht würde.

3. Nach redaktioneller Bearbeitung derTonaufzeichnung sollte allen Interes-sierten das Endprodukt kostenlos undfrei zugänglich gemacht werden.

Der Umstand, dass Ihr nun diese Zeilen lest,sollte euch eines sagen: HEUREKA! Nach dreiMonaten der Transkription und unzähligenÜberarbeitungen durch DiskutantInnen undRedakteurInnen dürfen wir euch das fertigeProdukt präsentieren. Wir hoffen, dass es eucheine Hilfestellung beim Hineinfinden in einenpopulären wissenschaftlichen aber auch ge-sellschaftlichen Diskussionsstrang sein wird.Nicht jede Frage wird beantwortet und nichtjedes Thema angesprochen. Aber Ihr bekommteinen Einblick in ausgewählte Aspekte.In jedem Fall danken wir allen Beteiligten

herzlichst: den Organisatorinnen Anke Strüverund Sybille Bauriedl – welche auch die Mode-ration übernahm; den studentischen Hilfskräf-ten der Tagung, die die Aufzeichnung ermög-lichten; den DiskutantInnen Judith Miggel-brink, Detlef Müller-Mahn, Jürgen Oßenbrüg-

ge, Andreas Pott und Thilo Wiertz; denFragenden aus dem Publikum Bernd Belina,Rainer Danielzyk, Jonathan Everts, BrittaKlagge, Wolf-Dietrich Sahr und Swen Zehet-mair sowie allen anderen Beteiligten und demPublikum für das kollektive Interesse und dasinteressierte Zuhören.Eure entgrenzt-Redaktion

1. „Was soll Risiko anderes sein als einesoziale Konstruktion?“

Sybille Bauriedl: Wir haben uns vorgenommen, dieSpannbreite der Risikoforschung in der Geo-graphie aufzublättern und miteinander zu er-kennen, ob es Richtungen gibt, die weiterver-folgt werden sollten oder Anknüpfungspunktean aktuelle Forschungsförderstrategien bieten.Es geht weniger darum, dass wir hier einegeographische Risikoforschung gründen undschnell abgrenzen zu Nachbardisziplinen, son-dern dass wir zusammenfassen, was derzeit inder Geographie unter Risikoforschung ver-standen wird, bzw. was eine Perspektive derNeuen Kulturgeographie auf Risiko sein kann.Ich möchte die einzelnen TeilnehmerInnen

nochmal insofern vorstellen, indem ich eineFrage stelle und damit die Möglichkeit biete,dass ihr euren theoretischen Zugang zur Risi-koforschung kurz darstellt und auch mit wel-chen Themen und Projekten ihr beschäftigtseid. Ich fange mit Judith Miggelbrink vomLeibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig an.Im Weltrisikoindex 2012 – herausgegeben vondeutschen Entwicklungsorganisationen undder United Nations University – werden Na-tionen spezifische Verwundbarkeiten zuge-wiesen, die quantitativ hinsichtlich Korrela-tionen von Gefährdung und Anpassungskapa-zität berechnet werden. Und das Ergebnis ist,dass gerade kleine Inselstaaten besonders ver-wundbar sind und auf dem Risikoindex einesehr hohe Wertung bekommen haben. Dawürde mich interessieren, mit deinem For-schungshintergrund, wie du diese Art der Risi-

Risikoforschung in der Geographie.Themen, Intentionen und Relevanz

Podiumsdiskussion

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kokonstruktion bewertest, die Ländergrenzenzugeordnet ist.

Judith Miggelbrink: Mein Interesse am Risikoentstammt der Grenzforschung und es ist zu-nächst eigentlich ein Randprodukt meiner Be-schäftigung gewesen. Wir haben in einem For-schungsprojekt zum EU-Grenzregime unter-sucht, wie Kleinhändler und Kleinunternehmerdie Schengen-Grenze in ihren alltäglichenPraktiken aneignen. In den Interviews undGruppendiskussionen, die wir geführt haben,schwang ganz oft etwas unterschwellig Em-pörtes mit. Diese Empörung ließ sich relativgut am Gefühl der Exklusion festmachen; Ex-klusion aus einer Union, die keine Beitrittsan-gebote mehr macht und eine restriktive Visa-politik betreibt. Unsere Gesprächspartner ha-ben mehrfach geäußert, dass sie sich als Teileiner Risikokalkulation von anderen sehen.Das geschieht, weil die Europäische Union of-fensichtlich Gefahren assoziiert mit Menschenund Menschengruppen, die außerhalb ihres ei-genen Territoriums leben. Dies führt dazu,dass Abwehrmechanismen oder Kontrollme-chanismen eingeführt werden, die jetzt auf deralltagsweltlichen Ebene derjenigen, die überdie Grenze reisen wollen, relevant werden.Mein Risikobegriff stellt daher die Zurechnungvon Risiken durch jemanden auf jemanden inden Mittelpunkt. Im Zusammenhang mit poli-tischen Grenzen ist es spannend zu sehen, wieweit einerseits Risikozurechnungen in Subjek-tivierungsweisen derjenigen außerhalb derUnion hineinreichen, während andererseitsgenau diese Art der Risikozurechnung auf derInnenseite der Union nicht wahrgenommenwird. Von daher sehe ich Risikoindizes alseinen Gegenstand, den ich beobachte – nichtetwas, das ich selbst herstelle. Ich sehe sie alseine Form über Risiko zu kommunizieren.

Sybille Bauriedl: Meine nächste Frage geht anDetlef Müller-Mahn – Professor für Bevölke-rungs- und Sozialgeographie an der Universi-tät Bayreuth. Er hat sich lange mit Fragen derEntwicklungsforschung beschäftigt, sowie mitKlimaanpassungsforschung. Mich würde derZusammenhang von Raum und Risiko – alsodie Herausbildung von sog. Riskscapes – inter-essieren. Ich habe den Eindruck, dass du im-mer stark kritisierst, dass Wissenschaft auchselbst Risikoräume produziert und wir reflek-tieren müssen, welche sozialen Folgen mit Ri-sikoraum-Produktionen einhergehen. Wiekönnen wir als GeographenInnen überhauptnoch über Risiko sprechen?

Detlef Müller-Mahn: Mein Buch „The Spatial Di-mension of Risk. How Geography shapesemerging riskscapes“ wird hoffentlich im Au-gust des Jahres 2012 bei Routledge heraus-kommen. Riskscapes ist dabei zunächst mal ei-ne Metapher für die Regionalisierung von Ri-siko. Und genau das spricht jetzt die Problem-dimension der Frage an: Was passiert imSprechen über Risiken, zum Beispiel im„Worldwide Vulnerability Report“ oder„World Risk Report“? Hier werden Risiken ausder Perspektive von Fachwissenschaftlern aufeinzelne Risikodimensionen festgelegt und inKarten festgeschrieben. Das hat unmittelbareKonsequenzen, zum Beispiel für die Versiche-rungswirtschaft, aber auch für die betroffenenMenschen selber. Hier sehe ich einen mögli-chen und wichtigen Beitrag der Geographie,dass wir uns mit dieser Verräumlichung undRepräsentation von subjektzentriert zu verste-henden Risiken, mit ihrer Objektivierung inForm von Karten und mit Raumzuschreibun-gen kritisch auseinander setzen. Es geht dar-um zu verstehen, was passiert, wenn Risiko alsein Distinktionsmerkmal räumlich festge-schrieben wird und damit zu konkreten Kon-sequenzen führt.

Sybille Bauriedl: Meine nächste Frage geht anJürgen Oßenbrügge – Professor für Wirt-schaftsgeographie an der Universität Ham-burg. Du hast dich auch schon lange mit Fra-gen des Risikos beschäftigt. Ich verweise dagern auf deine Habilitationsschrift „Umweltri-siko und Raumentwicklung. Wahrnehmungvon Umweltgefahren und ihre Wirkung aufden regionalen Strukturwandel in Nord-deutschland“ von 1993. Ich ordne dich alsVertreter der Beckschen Perspektive ein, inder Risiko als ein Phänomen der Moderne be-trachtet wird. Wie konzeptualisierst du denZusammenhang von Umweltrisiken undRaumkonstruktionen?

Jürgen Oßenbrügge: Wir haben den Risikobegriffin den 1980er Jahren in der Geographie ent-deckt und übernommen. Die Auseinanderset-zung mit Risiken hatte damals für mich einesehr positive Funktion, weil damit Themenaufgeworfen werden konnten, die es uns er-laubt haben, gesellschaftliche Ungleichheitenmit der Umweltfrage zu verbinden – sieheAtomstaat, schleichende Vergiftung, die Aus-einandersetzung über Industriestandorte, etc.Ulrich Beck hat dann die unterschiedlichenStrömungen, die es in verschiedenen Wissen-schaften gab, im Thema der Risikogesellschaft

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zusammengeführt. Er öffnete damit den Blickauf Themen und Zusammenhänge, die späterals gesellschaftliche Naturverhältnisse be-zeichnet worden sind. Zudem betonte er dieUnterschiedlichkeit zwischen einer ExpertIn-nenkultur und dem Alltagswissen und machteauf die zunehmende Abhängigkeit der Öffent-lichkeit von bestimmten Wissenskulturen auf-merksam, die selbst an der Risikoproduktionbeteiligt sind (reflexive Modernisierung). Ichdenke, dass die Auseinandersetzung mit Risi-ken einen sehr positiven Einfluss auf die Wis-senschaftsentwicklung der Geographie gehabthat.Allerdings war der Zusammenhang von Ri-

siko und Umweltwahrnehmung, den ich undandere damals in der Geographie konzipierthaben, zunächst ziemlich naiv. Es war eigent-lich mehr oder weniger eine Art der Wir-kungsforschung, die sich von der Fragestel-lung leiten ließ, inwieweit eine veränderte Be-wusstseinslage bezüglich Umweltrisiken sichauf verschiedene Politikfelder, Interventions-formen, Regionalpolitik und Ähnliches aus-wirkt. Die primäre Idee bestand darin, dassein sich verallgemeinerndes Risikobewusstseinauch Implikationen haben müsste. Meine Ar-beit zielte darauf ab, diese Implikationen imregionalen Kontext aufzuzeigen und zu disku-tieren, welche zukünftigen Entwicklungen da-von abgeleitet werden können.Heute arbeite ich im Kontext der Klimafol-

genforschung hier in Hamburg zu Risikofragenin Hinblick auf städtische Problemlagen und

in einem Arbeitskreis Klima und Sicherheitu.a. zu Fragen der Subjektivierung des Risikos.Wichtig erscheint mir, dass die Bedeutung vonRisiken für Formen politischer Legitimation –sozusagen die ideologische Funktion von Risi-ken – in den letzten Jahren bedeutungsvollergeworden ist. Damit ergibt sich für staatlichesHandeln die Möglichkeit, sich gewissermaßenüber den Risikobegriff neu zu definieren, in-dem bestimmte Themen unter dem Gesichts-punkt der Versicherheitlichung als Problemumgeformt werden, um damit spezifische For-men des staatlichen Handelns als gerechtfer-tigt erscheinen zu lassen. Man kann das alsRegieren im Ausnahmezustand oder auch alsPostdemokratie bezeichnen. Als bedeutsamerscheinen mir auch die Subjektivierungsten-denzen des Risikos: Analog der Vorstellungdes Arbeitskraft-Unternehmers transformierenwir uns gewissermaßen zu Risk-Managern.Wir erleben derzeit sehr große Veränderun-gen, z.   B. in den sozialen Sicherungssystemen,aber auch hinsichtlich der Reorganisation derFinanzwirtschaft und es gibt viele interessanteUntersuchungen, in denen der Risikobegriffeine große Rolle spielt.

Sybille Bauriedl: Nun wende ich mich AndreasPott – Professor für Sozialgeographie an derUniversität Osnabrück und Direktor des Insti-tuts für Migrationsforschung und Interkultu-relle Studien (IMIS) – zu. Eigentlich hat An-dreas Pott zusammen mit Heike Egner schonalles geliefert, was wir uns gewünscht haben –nämlich einen Sammelband zur geographi-

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schen Risikoforschung (Erdkundliches Wissen147, Franz Steiner Verlag). Könntest du füruns zusammenfassen, was eure Kernthese ist?

Andreas Pott: Am Beispiel Risiko wollen wir dieBeobachtungstheorie als ein theoretisch-me-thodologisches Werkzeug erproben, von demwir ausgehen, dass es für viele Bereiche derGeographie von Interesse ist. Es geht uns nichtum Fragen der Anpassung an Risiken, sondernexplizit um deren Konstruktion: Was soll Risi-ko anderes sein als eine soziale Konstruktion?Aber es geht auch um die beobachtungsleiten-den Unterscheidungen, die etwas als Risikohervorbringen und von anderen Sachen ab-grenzen und um ihre Folgen. Das ist etwas,was die Auseinandersetzung mit der Risikofor-schung aus einer raumreflektierenden, raum-theoretischen Perspektive heraus sehr inter-essant macht: Was passiert eigentlich, wennRisiken verräumlicht werden, wenn Risikoräu-me konstruiert werden? Es ist zum Beispiel er-sichtlich, dass die Konstruktion von Risikoräu-men dazu beiträgt, die gesellschaftliche Verur-sachung abzudunkeln; interessenbezogene undfunktionale Dimensionen von Risiko werdenverschleiert. In der Folge können z.B. riskanteoder gefährliche Räume als beobachterunab-hängige, scheinbar objektive Räume erschei-nen. Wir glauben, dass man mit dieser Anwen-dungsweise der Beobachtungstheorie nicht nurwichtige Beiträge zu einer interdisziplinärenRisikoforschung leisten, sondern auch umge-kehrt zu der fachübergreifenden Debatte umRaum beitragen kann.

Sybille Bauriedl: Meine letzte Frage geht an Thi-lo Wiertz. Er promoviert am geographischenInstitut der Universität Heidelberg und ist Sti-pendiat in einem Forschungsprojekt zu „Glo-bal Governance and Climate Engineering“. Dei-ne Arbeit steht im Kontext der internationalenKlimapolitik und du diskutierst, inwieweittechnologische und ökonomische Lösungenhelfen können, mit dem Risiko des Klimawan-dels umzugehen. Es würde mich interessieren,welche räumlichen Dimensionen des Risikoshierbei eine Rolle spielen? Geht es nur um ei-ne globale Dimension oder auch um eine loka-le oder nationale Dimension, wie wir es imWeltklimaindex vorgeführt bekommen haben?

Thilo Wiertz: In der derzeit geführten wissen-schaftlichen Diskussion um Climate Engineering

bzw. Geoengineering geht es darum, ob sich derKlimawandel durch großtechnische Eingriffeaufhalten oder zumindest bremsen ließe. Bei-spielsweise durch das Ausbringen von Schwe-

felpartikeln in der Stratosphäre, um Sonnen-licht von der Erde abzuschirmen. In dieserDiskussion findet eine Globalisierung des Risi-kos statt. Es gibt die naive Vorstellung, dassman schaut, wie groß die Risiken des Klima-wandels und die technischen Eingriffe jeweilssind; und die Entscheidung abhängig von die-ser globalen Kalkulation trifft. Bei dieser Ideeeines globalen Risikos werden an vielen Stel-len Äpfel mit Birnen verglichen und darüberdie regional unterschiedlichen Risiken poli-tisch handhabbar gemacht: Aus einer ArtKompensationslogik heraus werden an einemOrt Risiken vermindert und an anderen Ortenvergrößert. Und dies wird wiederum häufig inGeld gemessen. Mich interessiert dabei bei-spielsweise, wie das Risiko eines Meeresspie-gelanstiegs, der sich über Jahrzehnte bis Jahr-hunderte vollzieht, vergleichbar wird mit ei-ner Überflutungskatastrophe oder einer Dürre.Aus meiner Sicht ist interessant, wie eine Ver-gleichbarkeit hergestellt wird und wie sichdaraus unterschiedliche Rationalitäten des Re-gierens von Klimawandel, Klimapolitik undGeoengineering entwickeln.

2. Die Aushandlung von Risiko und das Beispiel Klima

Sybille Bauriedl: Wir beobachten, dass die Risiko-debatte enorme Aufmerksamkeit erfährt. So-wohl in der Öffentlichkeit, wie auch zuneh-mend in der Forschung und auch in der Geo-graphie. Gerade im Kontext der Debatte umMaterialität und Diskurs möchte ich auf dieKatastrophe in Fukushima verweisen. Sie hatdazu geführt, dass das Risiko der negativenFolgen der Kernenergie, die wir in Deutsch-land nutzen, neu bewertet wurde. Und ich be-obachte gar nicht so sehr, dass sich materiellirgendwas verändert hat – die AKWs laufenweiter und es wird immer noch endgelagert –,aber die Debatte zur Risikobewertung hat sichextrem verändert und hat auch zu politischenRichtungswechseln und Verwerfungen geführtsowie dazu, dass jetzt viele Forschungsgelderfür eine Transformation der Energiesystemeausgegeben werden. Dazu meine Frage: In-wiefern hat Risiko eine materielle und diskur-sive Dimension?

Detlef Müller-Mahn: Ich möchte hierfür das pro-minente Beispiel Fukushima als Anlass neh-men, um auf den Kern der Sache zu kommen.Fukushima hat gezeigt, dass die Erfahrung vonUngewissheit für die aktuelle Debatte eine er-hebliche Bedeutung besitzt. Die ganze Welt ist

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überrascht gewesen von dem, was passiert ist.Und das Überraschende daran ist, dass wirüberhaupt so überrascht worden sind. Denneine solche Katastrophe wie in Fukushima istja vorprogrammiert gewesen. Das ist Teil un-serer Energieversorgung durch Nutzung vonAtomenergie. Dass in Japan in einem Erdbe-bengebiet und einer Tsunamizone Atomkraft-werke gebaut werden, deren Sicherungen nurauf eine Flutwelle einer bestimmten Höhe aus-gelegt sind, ist nicht einfach ein Unfall, son-dern das Ergebnis von Wahrscheinlichkeitsbe-rechnungen. Das Katastrophenereignis warnicht die Folge eines Rechenfehlers oder einesUnfalls, sondern man hat einfach gehofft, dassdiese Flutwelle erst in tausend Jahren kommt.Es war aber immer klar, zumindest den betei-ligten Wissenschaftlern, dass das jederzeit pas-sieren kann. Wenn wir uns dann anschauen,wie weltweit über Fukushima geredet wordenist, dann war unmittelbar nach dem Desasterauch bei uns in Deutschland ein Slogan derAnti-AKW-Demonstranten zu hören: „Fukushi-ma is everywhere“. Also es wurde hier imGrunde eine Becksche These aus der Weltrisi-kogesellschaft aufgenommen von der Ortlosig-keit oder Ubiquität von Katastrophen. Wennwir uns dann die Reaktion der Bundesregie-rung anschauen, dann war das allererste Argu-ment der Physikerin Merkel die Betonung,dass es in Deutschland eine ganz andere Geo-logie als in Japan gäbe und daher keine Ge-fahr bestünde. Es wurde also versucht, einenraumbezogenen Diskurs als eine Form vonVergewisserung zu schaffen und der Angst vorder Ungewissheit entgegenzusetzen. Das ver-weist für mich darauf, dass in diesem Umgangmit Ungewissheit „Raum“ eine ganz wichtigeRolle spielt. Hier wird versucht, Risiken, dieletztlich mit Raum nichts zu tun haben, zuverräumlichen und damit greifbarer zu ma-chen.

Andreas Pott: Und gleichzeitig wird damitHandlungs- und Orientierungssicherheit pro-duziert und letztendlich politische Handlungs-fähigkeit demonstriert. Wir haben bei der Fu-kushima-Debatte ja gesehen, wie der deutscheBehälterraum reproduziert wurde und über-haupt nicht thematisiert wurde, dass dieAtomkraftwerke an der Grenze zu Frankreichoder andere weiter existieren.Ich möchte aber auch nochmal anders auf

die ursprüngliche Frage antworten. Wer willbeurteilen, ob materielle Risiken zunehmen?Darüber würde ich mir kein Urteil erlauben.

Die Kommunikation über Risiken nimmt si-cherlich zu. Zum Beispiel wurde kürzlich aufder Homepage der Universität Osnabrück einVortrag eines „Klimaskeptikers“ angekündigt,mit dem Titel "Die Klimakatastrophe findetnicht statt". Aus der Ankündigung kann ent-nommen werden, dass argumentiert werdensoll, dass CO

2und die Erderwärmung nur in

geringer Wechselwirkung stehen. Stattdessenwerden in dem Vortrag wohl Ozeanzyklen unddie Sonne als wichtige Einflussfaktoren aufdas Klima thematisiert. Es wird also der Kon-sens aufgebrochen, der in den letzten Jahrenentstanden ist, dass sich gegenwärtig ein an-thropogen maßgeblich beeinflusster Klima-wandel vollzieht, dass ein Katastrophenrisikobesteht.Vor zehn oder zwanzig Jahren waren die

Auseinandersetzungen innerhalb der Wissen-schaft in Bezug auf den Klimawandel viel of-fener. Erst in der jüngeren Vergangenheit hatsich – unterstützt durch die Massenmedien –die bekannte dominante Deutung etabliert, siewurde dann sehr einflussreich, auch hinsicht-lich der Vergabe von Forschungsgeldern. Da-mit ist kein Kommentar abgegeben, was manvon diesem angekündigten Statement des Re-ferenten zu halten hat. Jedoch wird deutlich,dass das in Frage stehende Risiko – das Kata-strophenrisiko des Weltklimawandels – in ver-schiedenen Arenen und in verschiedenen In-teressenskonstellationen ausgehandelt wird. Esscheint wenig überraschend, dass der Referent– Professor Varenholt – bei RWE arbeitet. Faktist jedoch generell, dass alle Akteure der Kli-mafolgenforschung stets in spezifische sozialeKontexte eingebunden sind, und dass es regel-mäßig auch um Durchsetzung von Interessenund Positionen geht.

Judith Miggelbrink: Die Frage, ob materielle Risi-ken zunehmen oder die Kommunikation überRisiken, ist natürlich auch theoretisch ziem-lich problematisch. Denn das klingt so, alswürden wir immer mehr irgendwo Risiken an-häufen, die dann unter bestimmten Bedingun-gen kommunikativ relevant werden. Tatsäch-lich ist Risiko ja auch nur ein Begriff, eine Ab-straktion, die zu bestimmten Zwecken genutztwird und mit denen man vielleicht zu be-stimmten Zeiten und in bestimmten Situatio-nen auch etwas durchsetzen kann. Und des-wegen sehe ich eigentlich unsere Funktion alsWissenschaftler nicht so sehr darin, Risiko alseinen scharfen analytischen Begriff zu neh-men, sondern als eine Beobachtung, wie Ge-

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sellschaft hergestellt wird. Was, wann, vonwem und unter welchen Bedingungen als Risi-ko erachtet wird, zeigt auch, wie Gesellschaftaktuell funktioniert.Ich würde gern noch an das anschließen,

was Jürgen Oßenbrügge über die ideologischeFunktion von Risiken gesagt hat. Zweifellosgibt es die und hinter dieser ideologischenFunktion stecken natürlich auch immer mehrMärkte. Denn Risikoartikulation geht oftmalsmit wirtschaftlichen Interessen einher. DerAkt, dass das Risikothema immer am Laufengehalten wird, zeigt – in Bezug auf die Grenze– an welchen Stellen der Risikobegriff dannplötzlich tatsächlich nur noch ein Label ist,was darüber gelegt wird, weil es gerade ge-sellschaftliche Akzeptanz hat. Denn die darun-ter liegenden Technologien, die entwickeltwerden, können auch für ganz andere Zweckebenutzt werden. Das sind natürlich auch Kon-trolltechniken, die dann aus dieser Risikoge-schichte heraus wieder in ganz anderen Kon-texten landen. Also von daher sollte man auchdieses Auftauchen und Verschwinden von Ri-siko-Einordnungen und -Zurechnungen mit imBlick behalten.

Thilo Wiertz: Ich würde gerne Andreas Pott wi-dersprechen. Nämlich, dass es positiv sei, dassin puncto Klimawandel eine Debatte wiedergeöffnet wird, denn ich denke, die Prämissenunter denen das passiert, sind durchaus wich-tig. Wenn ein Vertreter von RWE mit ganz of-fensichtlich unsinnigen Thesen versucht, denanthropogenen Klimawandel in Frage zu stel-len, dann ist das wenig förderlich. Man könntelange darüber reden, warum diese Thesen Un-

sinn sind. Ich würde allerdings gerne den Be-griff der Klimakatastrophe als schönes Beispieldafür aufgreifen, wie über Risikobegriffe einPhänomen wie der Klimawandel regierbar ge-macht wird. Die Diskussion um eine Klimaka-tastrophe greift ja Konzepte aus den Naturwis-senschaften über mögliche Kipppunkte im Kli-masystem auf. Diese Kipppunkte lassen sich inkomplexen Systemen beobachten und sicherexistieren sie auch im Klimasystem. Umstrit-ten ist jedoch, wann und wo diese Punkteüberschritten werden. Die Idee von Kipppunk-ten prägt dabei auch die politische Vermitt-lung des Themas als Klimakatastrophe. Soübersetzt man den Klimawandel in den Erfah-rungshorizont von Einzelnen, die sich plötzli-che Veränderungen vorstellen können, aberVeränderungen über Hunderte von Jahren ei-gentlich nicht. Damit wird der Begriff des ge-fährlichen Klimawandels oder einer Klimaka-tastrophe zudem an bestimmte Grenzwertegeknüpft, beispielsweise an den 2  °C-Grenz-wert für den Anstieg der global gemitteltenOberflächentemperaturen in diesem Jahrhun-dert. Über diese 2 °C werden auch akzeptierteRisiken definiert. Ein Beispiel: Auf der Klima-konferenz in Kopenhagen haben die Delegier-ten der Small-Island-States zeitweise Schalsgetragen, auf denen stand: „Survival is not ne-gotiable“. Für sie hätte eine Zustimmung zudem ansonsten breit akzeptierten Grenzwertden Untergang ihrer Staaten bedeutet. Die Be-trachtung von Risiken unter einem globalenMaß ist also immer auch an Machtverhältnisseund Marginalisierungen geknüpft.Ich denke, die Diskussion in der Geographie

Risikoforschung in der Geographie. Themen, Intentionen und Relevanz |

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kann stärker hervorheben, mit welchen sehrunterschiedlichen Klimakatastrophen und Kli-marisiken wir es eigentlich zu tun haben. Undwie diese Risiken in unterschiedlichen Kontex-ten verhandelt und politisch handhabbar ge-macht werden.

Jürgen Oßenbrügge: Um einige eben geäußerteMeinungen zur wissenschaftlichen Debatteüber die Klimafrage weiterzuführen, lässt sichsicherlich feststellen, dass bestimmte Meinun-gen tatsächlich nicht so zur Geltung kommen.Wir haben in den letzten zwei Jahren des Öf-teren auch in der Öffentlichkeit gehört, dassgerade im IPCC ein gewisses Community Buil-

ding, also eine Vergemeinschaftung von Perso-nen und Inhalten stattfindet, die auch Exklu-sionen vorsieht. Und es ist wohl durchaus derFall, dass dabei eine bestimmte Richtung derWissensproduktion im Vordergrund steht, dieeher die anthropogene Verursachung und dienegativen Implikationen des Klimawandels inden Vordergrund hebt. Aber nichtsdestotrotzgibt es ja eine wissenschaftliche Auseinander-setzung darüber seit Beginn dieser Debatte.Damit ist die Frage, inwieweit der Klimawan-del anthropogen gesteuert ist oder nicht, seitnun zwanzig Jahren heftig umstritten. Und esgibt sicherlich eine dominante Meinung, ebenim IPCC. Dennoch besteht aber die wissen-schaftliche Debatte als solche, in der auch an-dere Positionen nach wie vor ihren Stellen-wert haben.Dabei können wir recht gut verfolgen, dass

Diskurs und Materialität eigentlich immerziemlich eng verbunden sind und die Frage,was sich nun wie beeinflusst, sehr schwierigzu beantworten ist. Die meisten Arbeiten, dieich in der Klimafolgenforschung kenne und fürwichtig erachte – z.   B. der Stern-Report –, ge-hen von der Zunahme der klimarelevantenGase in der Atmosphäre aus (umgerechnet alsCO

2-Äquivalente) und haben von daher erst

einmal eine materielle Perspektive. Ihre Ein-flüsse auf das Klima und anschließende Folge-wirkung lassen sich modellieren und in be-stimmte Schadensfunktionen überführen, dieman dann monetär bewerten kann. Und dannkönnen darüber Schwellenwerte abgeleitetwerden, die als erträglich oder nicht erträglicheingeschätzt werden. D.   h. , dass materielleund kommunikative Bezüge immer sehr engmiteinander verbunden sind und von daherdiese Aufspaltung zumindest in der Klimafragenicht immer weiterführend ist.Ich möchte zudem die Frage aufgreifen, ob

das Materielle oder das Diskursive zunimmt.Meine Einschätzung ist, dass wir seit ungefährzwanzig Jahren eigentlich eine andere Wis-sensproduktion haben, die zum Anwachsendes Risikobegriffs geführt hat. Das verweist ingewisser Weise auf den Erfolg der oppositio-nellen Debatten in den 1980er Jahren, die dieUmweltfrage in bestimmte Richtungen gelenkthaben und die man aus heutiger Sicht auchkritisch einschätzen muss. Denn die wissen-schaftlichen Richtungen, die sich mit Risikenbeschäftigen, sind besonders gefördert wordenund diejenigen, die mit Risiken argumentie-ren, kommen schneller an Forschungsgelderheran, als diejenigen, die eher skeptisch sindund dem Risikobegriff ein bisschen distanziertgegenüber stehen. Von daher denke ich, istauch die Wissenschaftsförderung ein ganzwichtiger Punkt. Aber wie gesagt, ich glaube,das wesentliche Element ist eigentlich die Artund Weise, wie Wissen produziert wird, umAussagen darüber zu machen, in welcher Dy-namik sich der Risikobegriff bewegt.

Sybille Bauriedl: Deine Einschätzung möchte ichbestätigen. Ich bin in Nordhessen mit einemVerbundprojekt zur regionalen Klimaanpas-sung unterwegs mit hundert KollegInnen undwir sind seit drei Jahren damit beschäftigt, re-gionalen Akteuren zu sagen: Ihr seid ver-wundbar durch den Klimawandel und deswe-gen braucht ihr Klimaanpassung! Das For-schungsinteresse ging nicht von der Regionaus, sondern von der Bundesregierung. Inso-fern sind auch wir Teil davon, unser For-schungsfeld zu konstruieren, um damit Ar-beitsfelder für uns zu erschließen.

Andreas Pott: Ich wollte gerne auf den Vorhaltdurch Thilo Wiertz antworten. Meine Beto-nung der Bedeutung, dass die „Verhandlung“von Themen im Zuge der Debatte um Klima-wandel sichtbar wird, war weniger eine Sym-pathieäußerung als vielmehr eine Feststellung,dass diese Erkenntnisse dazu führen zu fragen,wie sich bestimmte Positionen derzeit durch-setzen und sich historisch durchgesetzt haben– und wie das möglich ist oder war. In der Ka-tastrophenforschung spricht man mittlerweilevon den collateral benefits, die entstehen oderdie viele Akteure veranlassen, in diesem Feldaktiv zu werden. Da verdienen ganz viele Per-sonen und Einrichtungen dran und JürgenOßenbrügge sagt ganz richtig, dass die Wis-senschaft davon ebenfalls profitiert.Das wiederum führt uns natürlich zu der

Frage, inwiefern wir – als Geographen – an

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diesem Zusammenhang partizipieren sollen.Denn die Wissenschaft befindet sich ja in einerfast paradoxen Situation. Gerade die anwen-dungsbezogene Risikoforschung möchte be-kanntlich auch zur Vermeidung des Eintretensvon ungewünschten Situationen beitragen.Das heißt, sie möchte sich an der Produktionvon Sicherheiten beteiligen. Gleichzeitig trägtsie durch diese Beteiligung dazu bei, dass die-ser Diskurs über Risiken nicht nur gepflegtwird, sondern wächst und dadurch wieder vie-len in die Hand spielt, die etwas ganz anderesdamit anfangen. Man kommt da forschungs-ethisch ganz gut raus, indem man sich tat-sächlich einige der eben angedeuteten Fragenstellt: Welche Positionen setzen sich wo undwann durch? Wie verändern sich diese Posi-tionen in verschiedenen Kontexten? Wie er-lauben sie die Durchsetzung bestimmter Poli-tiken? Wie erlauben sie auch die Lösung vonProblemen, die erst einmal mit Risiken garnichts zu tun haben? Risiko ist gar nicht derzentrale Begriff, mit dem man da anfangenmuss.

Detlef Müller-Mahn: Es geht für uns in der Geo-graphie ja nicht darum, wie die Wissenschaftsich insgesamt verhält, sondern wie wir alsGeographinnen und Geographen zu diesen De-batten einen Beitrag leisten können. Ein Bei-spiel: Von einem Großforschungsinstitut inPotsdam wurde nur wenige Tage nach demAndamanen-Tsunami im Jahre 2004 der da-maligen Bundesforschungsministerin die Be-hauptung unterbreitet, dass dieses Institut inder Lage sei, ein Frühwarnsystem im Indi-schen Ozean für 50 Millionen Euro zu instal-lieren. Die Ministerin konnte daraufhin auf ei-ner Konferenz in Kyoto glücklich das Engage-ment deutscher ForscherInnen demonstrieren.Und das Forschungsinstitut in Potsdam warglücklich, weil sie viele neue Jobs mit vielGeld schaffen konnten. Nur die auf Tsunami-forschung spezialisierten, renommierten For-schungsinstitute in den USA und in Japan ha-ben gemahnt, dass mit den zu installierendenMessbojen im Indischen Ozean den betroffe-nen Bevölkerungen ein falsches Gefühl von Si-cherheit vermittelt würde. Aus der Geographieheraus sind wir in der Position, uns kritischz.   B. eben mit Scheinsicherheit oder Schein-versicherheitlichung auseinanderzusetzen. Wirsollten mit solchen Dingen wohl auch stärkerin die Öffentlichkeit treten, als das so bisherpassiert.

3. Die Ambivalenzen von Risiken

Sybille Bauriedl: Welche Beiträge kann die Geogra-phie leisten zur Risikoreduktion? Es sitzenhier auf dem Podium ja nicht alle, die in derGeographie zu Risiko arbeiten. Es gibt weitereengagierte KollegInnen, die im Bereich Disas-

ter/Risk-Research arbeiten. Da möchte ichHans-Georg Bohle nennen oder Robert Geipelund Jürgen Pohl, es gibt die Commission on

Hazard and Risk der International Geographical

Union und viele mehr.Ich möchte dazu noch ein Beispiel nennen,

wo das Diskursive eine sehr geringe Rollespielt, Materialität aber eine sehr große. In derFolge des Erdbebens in Japan 2011 starben28.000 Menschen. Im Jahr davor gab es einsehr viel schwächeres Erdbeben, das Haiti ge-troffen hat mit zehnmal so vielen Toten. Also,Naturgefahren scheinen qualitativ sehr unter-schiedlich zu sein, und ihre sozialen Folgenkönnen entgegengesetzt ausgeprägt sein. Waskann die Geographie zu solchen Beobachtun-gen beitragen? Ein anderes Beispiel ist dieHochwasserkatastrophe in Pakistan vom letz-ten Jahr, bei der 50 % mehr Frauen als Män-ner gestorben sind. Das ist eine Beobachtung,die wir machen können und nach den Ursa-chen und den Umgangsweisen und Redukti-onsmöglichkeiten mit diesen Risiken fragenkönnen. Wo seht ihr Potentiale der Geogra-phie bezüglich der Frage, wie Risiken erkanntund für die Zukunft reduziert werden können?

Detlef Müller-Mahn: Nun, während Geowissen-schaftlerInnen vielleicht argumentieren wür-den, dass einfach ein paar mehr Messstationenzu installieren wären, oder IngenieurInnen auferdbebenfeste Häuser abzielen würden, hätteich keine Rezepte, sondern würde ich mir dieFrage stellen: Über wessen Risiko reden wireigentlich? Rettungssysteme o. Ä. zu installie-ren wäre dabei gar nicht der erste Schritt,sondern eher der Versuch, die Bedeutung fürdie Betroffenen zu begreifen. Konkretes Bei-spiel: In einem Projekt in Äthiopien über dieletzten sieben Jahre haben wir uns damit be-fasst, wie Nomaden im äthiopischen Tieflanddie Gefährdungen ihres Lebensraumes selbersehen und wie sie damit umgehen. Und dashaben wir verglichen mit dem, wie verschie-dene Entwicklungsorganisationen, die dort tä-tig sind, aus ihrer ExpertInnensicht Risiko de-finieren. Die Feststellung war, dass das zweivöllig verschiedene Wahrnehmungen sind.Und dass die Intervention von außen dazu

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führt, lokale Strategien des Umgangs mit Risi-ko zu schwächen, und deshalb zum Teil zu-mindest schädlich für die lokale Bevölkerungist. Darauf habe ich nicht sofort eine Lösung.Ich kann nur versuchen, die Verantwortlichenauf verschiedenen Ebenen dazu zu bringen, ineiner anderen Weise über lokale Strategien,lokale Wahrnehmungen und die Stärkung lo-kaler Kompetenzen im Umgang mit Risikennachzudenken.

Andreas Pott: Richtig, wir können auf die Am-bivalenzen hinweisen, die ein Risikomanage-ment produziert. Es entstehen häufig neue Ri-siken. Das heißt nicht, dass nicht an der Re-duktion bestimmter Risiken gearbeitet werdenkann, aber der Glauben an die Schaffung vonendgültiger Sicherheit ist zugleich zu unter-laufen. Es entstehen häufig andere, verschobe-ne Risiken, die man dann wiederum beobach-ten kann als Folgen eben der jeweiligen Risi-ko-Konstruktion, die sich durchgesetzt hat.Das kann man für Hochwasser, Viren oder denUmgang mit No-Go-Areas in Ostdeutschlandbeobachten. In dem Moment, wo man auf Ri-siken reagiert und Angebote macht, wie damitumzugehen sein könnte, trägt man immer einStück weit zur Reproduktion dieser Interpreta-tion der Welt bei und schafft darüber wiederneue Risiken.

Thilo Wiertz: Um nochmals auf die Diskussionum den anthropogenen Klimawandel zurück-zugreifen – ich glaube nicht, dass die Rolle derGeographie in der Feststellung liegen kann,die Klimawissenschaften würden vor allemüber Community Building ihre Ergebnisse pro-duzieren und daher sei es gut, den Diskurs zuöffnen. Was dabei aus dem Blick gerät ist, dassWissenschaft ein diskursives Feld ist, in demAusschlussmechanismen vorhanden sind; aberdass diese Ausschlussmechanismen ganz zen-tral auch auf der Übereinstimmung von Theo-rien mit Messungen in der materiellen Weltberuhen. Es ist doch bezeichnend, dass keinArgument von dem vermeintlich aus politi-schen Gründen marginalisierten Diskurs der„Klimaskeptiker“ existiert, was sich nicht sehrschnell physikalisch entkräften lässt – nicht inFachzeitschriften, aber eben auch nicht in In-ternet oder anderen Medien.

Andreas Pott: Ich würde nicht all denjenigen,die das in Frage stellen, die Legitimität oderdas saubere Arbeiten absprechen. Ich glaubeschon, dass man das, wenn man das als dis-kursive Arenen fasst, überhaupt erst einmalempirisch untersuchen müsste und fragen soll-

te, welche Positionen, die ja dann auch inwissenschaftlichen Journalen publiziert wer-den, sich durchsetzen.

Thilo Wiertz: Das würde ich sofort bestätigen.Allerdings würde man auf ein sehr viel diffe-renzierteres System der Forschung treffen, alshier der Eindruck entstehen könnte. Die Kli-mawissenschaft ist nicht das Potsdam-Institut,das ist auch nicht das IPCC, sondern vielfachForscherInnen, die auf einer MikroebeneWechselwirkungen untersuchen, beispielswei-se von Aerosolen mit Wolken, daraus Implika-tionen für Rückkopplungseffekte im Klimasys-tem ableiten. Die Ergebnisse dieser Forschunglassen sich nicht über Community Building er-klären und doch ergeben sie, in ihrer Summe,ein recht deutliches Bild eines anthropogenenKlimawandels.Unabhängig von dieser Debatte würde ich

gerne noch einen Punkt zu der Frage ergän-zen, ob die Geographie etwas zur Verminde-rung von Risiken beitragen kann. Aus post-strukturalistischer Sicht ist es zwar eine span-nende Frage, wie sich über den Begriff des Ri-sikos und Formen des Risikomanagementsbestimmte Formen des Regierens realisieren.Doch am Ende solcher Dekonstruktionen stehtdie Offenlegung von Machtverhältnissen unddiskursiven Strukturen – was nicht dazu führt,dass Risiken in irgendeiner Form wenigerwerden. Eine solche Perspektive kann aberdazu beitragen, andere Formen des Umgangsmit Risiken zu stärken, beispielsweise partizi-pative Ansätze im Risikomanagement jenseitsnaturwissenschaftlich-technischer und global-ökonomischer Ansätze.

4. Risikoforschung und Szenarien

Jürgen Oßenbrügge: Wir müssen uns Gedanken ma-chen wie wir Risiko in eine verständliche undtransparente Debatte überführen können, umdamit auch Bildungsaufträge zu erfüllen. Diesekönnen dahingehen, dass gerade das Alltags-wissen und die Alltagserfahrung nicht entwer-tet, sondern mit ExpertInnenwissen gekoppeltwerden. Diese Integration von Alltagswissenist ja sicherlich auch in der Vergangenheitvielfach diskutiert worden, aber wird ja realwenig praktiziert, weil sie zu zeitaufwändigenVorgehensweisen führt, was gleichzeitig zuweniger publizierten Manuskripten führt undweniger Reputation erzeugt. Ich denke, dassda auch ein wichtiges Handlungsfeld existiert.Mein zweiter Punkt ist verbunden mit Er-

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fahrungen aus der Klimafolgenforschung, woja die Klimamodelle eigentlich immer bis 2050oder bis zum Ende dieses Jahrhunderts rei-chen. Da fragt man sich natürlich, wie andereEntwicklungen in dieser Zeit von statten ge-hen und wie denn also 2050 z.   B. das Sied-lungssystem oder die Mobilität aussieht, oderwie sich pastorale Systeme verändern oder in-wieweit sich ein wirtschaftlicher Verände-rungs- bzw. Aufholprozess vollzieht. Wir wis-sen wenig über Zukünfte und wir machen unssehr wenig Gedanken darüber. Vielleicht soll-ten wir uns intensiver damit beschäftigen, wiewir uns vielleicht in der Szenarientechnik ver-bessern können. Man kann das in einer Artvon Simulation oder Modellierungstechnikdurchführen – angedockt an naturwissen-schaftliche Richtungen.Ein Beispiel: Wenn wir über Hamburg und

Klimafolgen reden, dann kommen oft Themenwie Meeresspiegelschwankungen, Sturmflutenund generell ein veränderter Umgang mitWasser in den Vordergrund. Im Grunde ge-nommen müssen wir uns auch eine zukünftigeStadtentwicklung vorstellen, die in ganz ande-ren Formen mit den Gewässern umgeht. D. h.möglicherweise auch mal, dass wir die Deichenicht erhöhen, sondern vielleicht weglassen,oder auf der bestehenden Höhe belassen unduns mit regelmäßig auftretenden Sturmflutenbeschäftigen – ohne zusätzliche Sicherungssys-teme. So wurde schon debattiert, ob man inWilhelmsburg – in Hamburg eine Art Vorzei-gestadtteil für Stadterneuerung – tatsächlichein neues, abgesichertes Zentrum entwickeltoder eher eine Art Wasserstadt kreiert. Dazumuss man wissen, dass Wilhelmsburg 1962 beider letzten schweren Sturmflut am stärkstenbetroffen war und von daher die Sensibilität

für dieses Thema auch besonders stark undbesonders ausgeprägt ist.

Detlef Müller-Mahn: Ich beobachte, dass die Risi-koforschung sehr stark in den letzten Jahrenvon dem Modelldenken der Naturwissenschaf-ten geprägt worden ist, und das hat dazu ge-führt, dass auch die Sozialwissenschaften sichauf eine Sprache einlassen, gegen die sie sicheigentlich sperren müssten. Wir müssen stär-ker eigene Standpunkte behaupten. Und ichsehe außerdem ein Problem in dem Versuch,die Zukunft in den Griff zu kriegen, indem ichRisiken berechenbar mache, weil uns dies dasGefühl einer falschen Sicherheit vermittelt. InEntwicklungsländer-Kontexten sehe ich, dasses oftmals mindestens genauso wichtig seinkann, auf Überraschungen vorbereitet zu sein– auf Dinge, die nicht berechenbar sind oderdie sich aus Kontexten heraus ergeben, dieein/e westliche/r Natur- oder Sozialwissen-schaftlerIn unter Umständen auch falsch ein-schätzen kann und dann womöglich aus einereingeschränkten Sicht falsche Empfehlungengibt. Ich halte es für die Risikoforschung auchfür wichtig zu lernen, mit Ungewissheit, mitOffenheit, mit Unberechenbarkeit umzugehen.

Jürgen Oßenbrügge: Wir haben in den 70er und80er Jahren eigentlich auch von alternativenZukünften geredet, vielleicht geträumt, aber invielfältiger Hinsicht versucht, sie auch zu le-ben. Und wir haben auch in der Wissenschaftversucht Zukunftsentwürfe zu realisieren. Unddas ist verloren gegangen. Also, wie kann manheute eigentlich alternative Zukünfte denkenund wie könnten sie aussehen? Das wäre fürmich ein wichtiger Beitrag, umso mehr unddringlicher, weil bestehende Risikomanage-ment-Systeme meiner Ansicht nach eher poli-tisch konservativ operieren und strukturerhal-tend sind.

Thilo Wiertz: Interessanterweise geht es in derSzenariotechnik vielfach gar nicht darum, dasWahrscheinlichste vorherzusagen, sondernmögliche Überraschungen abzubilden undDinge sichtbar zu machen, die im Trendden-ken verborgen bleiben. Das ist auch eine Mög-lichkeit, mögliche alternative Welten sichtbarzu machen. So gesehen kann Szenariotechnikdurchaus kreativ darin sein, Wege zu alterna-tiven Ordnungen aufzuzeigen.

Judith Miggelbrink: Der Ansatz der „Zukunfts-Szenarien“ ist mir sehr sympathisch. Ich fändejedoch eine Vorstellung naiv, die davon aus-ginge, dass diese durch WissenschaftlerInnenhergestellten Produkte in „der Gesellschaft“

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einfach etwas bewirken könnten. Wir müssenfragen, an welche Stellen sich überhaupt sol-che Szenarien richten sollen. Also, was oderwen wollen wir damit irritieren?Ich möchte zudem darüber hinaus gerne

noch einen zweiten Punkt hervorheben: Vonwessen Risiko reden wir eigentlich? For-schungsförderung funktioniert mit dem Risi-kobegriff ziemlich gut. Dahinter steht einerecht egozentrische Risikobegrifflichkeit:„Wir“ forschen über andere und setzen voraus,dass unsere Risiken auch deren Risiken sind.Diese Annahme ist jedoch mutmaßlich falsch,denn Risiko ist kein analytisch-scharfer Be-griff. Es ist ein Begriff, der kommunikativ et-was bewirken soll. Die unreflektierte Nutzungeines solchen Begriffs verschleiert gegebenen-falls die „tatsächlichen“ Gefahren, die eigent-lich anstehen. Eine geographische Risikofor-schung kann nur etwas bewirken, wenn sie re-flektiert erfolgt, empirisch operiert und die ei-genen Modi der Wissensproduktion nicht ausdem Blick verliert.

Frage aus dem Publikum von Britta Klagge von der Universi-tät Osnabrück: Bisher hat sich die Debatte vor al-lem auf Risiken in Bezug zur natürlichen Um-welt fokussiert. Wir haben aber weitere Risi-ken in der globalen Gesellschaft – die zumBeispiel aus demographischen, sozialen undwirtschaftlichen Entwicklungen resultieren.Die Debatte über Szenarien lässt sich daraufübertragen, und es stellt sich die Frage: Ist eswirklich lohnend und wie können in Zukunftauch diese Risiken stärker mit Szenariotechni-ken bearbeitet werden?Gerade für Risiken, die aus gesellschaftli-

chen Entwicklungen resultieren, muss die Fra-ge der Partizipation geklärt werden. Wernimmt an der Szenarienentwicklung teil, undauf welcher Maßstabsebene, in welchen Re-gionen und mit welcher Art von Akteuren sol-len Szenarien entwickelt werden? Diese Punk-te werfen insbesondere dann Probleme auf,wenn Risiken schwer auf bestimmte Räumebegrenzt werden können bzw. globale Zusam-menhänge aufweisen – zwischen verschiede-nen Räumen und Maßstabsebenen, aber auchunterschiedlichen Dimensionen gesellschaftli-cher Entwicklung (demographisch, sozial,wirtschaftlich, natürlich).

Detlef Müller-Mahn: Ich glaube, dass dies tatsäch-lich eine Forschungsfront in der Geographieist, an der wir noch eine Weile tätig sein kön-nen – wenn wir die Forschungsgelder dafür er-halten. Wir haben auf der einen Seite dieses

Skalenproblem, auf der anderen Seite die Ver-knüpfung von subjektiven Risikoeinordnungenals Hintergrund für individuelles Handeln,und die Auseinandersetzung mit „objektiven“Naturgefahren. In dem von Sybille angespro-chenen Global Risk Report wird ja ebenfallsversucht, eine Vielzahl von Risikotypen mit-einander zu verknüpfen. Es wäre eine reizvolleAufgabe, sich dies vor einem räumlichen Hin-tergrund anzuschauen.

Andreas Pott: Dann sollten wir uns aber dezi-diert um die Risiken kümmern, die ebenräumlich indiziert sind, bzw. bei deren Arti-kulation ein Raumbezug hergestellt wird, einBezug, den die entsprechenden Beobachtergeltend machen. Das ist ja bei weitem nichtbei allen Risiken der Fall. Auf diese Weisekönnten wir auch im interdisziplinären Feldvor Naturalisierungsoperationen qua Raumwarnen.Ich möchte gerne den Punkt Szenarien auf-

greifen, weil mich die Diskussion darum etwasüberrascht. Es ist sicherlich wichtig, dass wirdarüber nachdenken, aber ich würde das ger-ne für die Perspektive der angewandten For-schung reservieren. Einerseits sollten wir diespraktizieren, auch im Sinne des Bildungsauf-trages, aber wir betreiben ja auch mehr. Wennman in Szenarien denkt und versucht, Zukünf-te zu konzipieren, die auf das Risikoproblemreagieren, dann sollte man schon versuchen,auch aus Vergangenheiten zu lernen, in denenähnliche Modelle schon umgesetzt wurden.Man sollte vielleicht auch warnen, wenn aneintretende Sicherheiten oder die Lösung vonProblemen, die gar nicht vorhersehbar sind,geglaubt wird. Aus der Entwicklungszusam-menarbeit kennen wir ja viele Beispiele vonProjekten, die Katastrophen bzw. Risiken zuverhindern versuchen, jedoch letztlich schei-terten. Und das muss im Kontext angewandterForschung mitkommuniziert werden.

5. Diskussion mit dem Publikum

Frage aus dem Publikum von Jonathan Everts von der Universi-tät Bayreuth: Die Risikogesellschaft ist eine Ex-pertInnengesellschaft. ExpertInnen erzählenuns, wovor wir uns fürchten müssen. Am Bei-spiel des L'Aquila-Erdbebens konnte man fest-stellen, dass Geologen vor Gericht gestelltwurden, weil sie am Vorabend des Erdbebensden Leuten gesagt haben, dass das Risiko ge-ring genug sei, um innerhalb ihrer Häuserschlafen zu können. Viele Leute hatten durch

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die Vorbeben Angst und hätten durchaus imFreien übernachtet. Bei einer ExpertInnenrun-de fiel jedoch der Ausspruch: Sie können sichberuhigt in ihr Zimmer setzen und ein GlasWein trinken. Und dann wurden jene Exper-tInnen vor Gericht gestellt. Es ging ein Auf-schrei durch die internationale Naturwissen-schafts-Gemeinschaft. Im Zuge der Risikokal-kulation wurde also Verantwortung von derPolitik in den ExpertInnenbereich verlagert.Aus einer sozialwissenschaftlich-humangeo-graphischen Perspektive müssen wir fragen:Wer trägt in einer ExpertInnengesellschaft ei-gentlich Verantwortung; wer kann zur Re-chenschaft gezogen werden?Ein zweiter Punkt: In den letzten zehn Jah-

ren wurde in der englischsprachigen Debatteder Risikobegriff zunehmend durch Begriffewie Sicherheit ersetzt. Was für eine Art vonVeränderung steckt da drin? Oder ist das nurso ein Fall, wo eine neue Generation Geogra-phInnen einen neuen Begriff entdeckt hat undalte Sachen mit diesem Begriff verhandelt.

Frage aus dem Publikum von Swen Zehetmair von der Uni-versität Bonn: Mir würde es nochmal um die in-terdisziplinäre Perspektive von Risiko gehen.Sowohl bei natürlichen, technischen, wirt-schaftlichen Risiken muss sich die Geographiepositionieren. Die sozialwissenschaftliche, so-zialgeographische Perspektive muss diesbe-züglich auch beachten, dass sie nicht überrolltwird von Natur-Ingenieur-Wissenschaften.Gleichzeitig bietet sich die Chance mit physi-schen GeographInnen in konkreten Projektenzusammenzuarbeiten.

Frage aus dem Publikum von Wolf-Dietrich Sahr von derUniversität Curitiba: Mir kommt es vor, dass bei derArt und Weise, wie wir im Moment die Risiko-forschung diskutieren, immer ein Funklochauftaucht, und zwar beim Bereich der gesell-schaftspolitischen Vorstellung. Wenn wir das„Risiko“ diskutieren, so geschieht das nämlichgleichzeitig auf unterschiedlichen Ebenen. Esgibt Risiken, die man persönlich wahrnehmenkann, aber auch systemische Risiken, oder dis-kursive, oder andere unvorhersehbare Risiken,wie Einbrüche und Unfälle. Es existieren ganzunterschiedliche gesellschaftliche Formatio-nen, und ich denke wir müssen uns ein biss-chen mehr Gedanken darüber machen, auf derBasis welcher gesellschaftlichen Formation wiruns über Risiko unterhalten. Wir können diestun vor dem Hintergrund der Individualisie-rungstendenzen in unserer Gesellschaft, dienatürlich das Risiko erhöhen, weil sie eine

Vielzahl neuer individueller Regeln mit sichbringen, oder vor dem Hintergrund der Ver-massungserscheinungen, die sicher für Risikeneine Rolle spielen – z.   B. durch besondere Be-völkerungskonzentrationen in bestimmten Ge-bieten. Oder aber eben vor dem Hintergrundvon Risiken, die wir in organisierten Gesell-schaften vorfinden – z.   B. in überreguliertenGesellschaften in Europa, oder in unterregu-lierten Gesellschaften anderswo.

Frage aus dem Publikum von Bernd Belina von der Universi-tät Frankfurt am Main: Ich möchte gerne an die Ma-terialität von Risiken anschließen. Zum einenMaterialität verstanden als die Strukturiertheitvon Gesellschaft, wo dann zum anderen dasMaterielle im Sinne der Dinglichkeit der Welteine Relevanz bekommen kann. Und ich wür-de mich dagegen verwehren, eine sehr ab-strakte Bestimmung von Risiko vorzunehmen.Es ist nicht nur alles Aushandlungssache. Alsein Beispiel wäre die Banalität zu nennen, dieimmer wieder jede Untersuchung ergibt: Werarm ist, stirbt früher. Gesellschaftliche Mate-rialitäten der Strukturierung von Gesellschaft,die Armut und Reichtum hervorbringen, ha-ben Konsequenzen, die mit der Materialitätdes biologischen Lebens zu tun haben. Es gibtda einen Zusammenhang. Man kann da unter-schiedlich drüber reden, man kann es unter-schiedlich beobachten. Aber über den Zusam-menhang hinweg zu interpretieren durch Be-griffsdebatten erscheint mir nicht sinnvoll.Ein zweites Beispiel: In den USA hat die

größte Ausbreitung von AIDS in den letztenJahren stattgefunden unter jungen schwarzenMännern – warum? Weil jene die größteWahrscheinlichkeit haben, ins Gefängnis zukommen, wo es keine Kondome gibt, und wosie Geschlechtsverkehr haben, freiwillig oderunfreiwillig. Die AIDS-Ausbreitung hat zu tunmit Rassismus, mit sozio-ökonomischenAspekten, mit Überwachungsstaat und das re-sultiert dann in z.   B. AIDS. Das sind Risiken –das Risiko AIDS zu kriegen, früh zu sterben –,die mit Materialitäten gesellschaftlicher Arteinhergehen, die ich nicht gerne ignoriert sä-he.

Frage aus dem Publikum von Rainer Danielzyk vom ILS Dort-mund: Es wurde gerade ganz viel über Risiko-kommunikation, Dekonstruktion in der Groß-forschung sowie die Politik und die Märkte,die dahinter stehen, geredet. Ich fände es zurVervollständigung der Dekonstruktion hilf-reich, wenn man die Funktionalisierung vonRisiko durch zivilgesellschaftliche Initiativen,

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NGOs u.ä. zumindest mit im Blick behielte.Ich möchte an den großen Geographen Ger-hard Hard erinnern, der schon in den 1980erJahren darauf hingewiesen hat, dass die meis-ten Umweltprobleme in Osnabrück in denbestsituierten Stadteilen zu finden sind, weilman dort eben die beste Kommunikations-,Verbalisierungs- und Politisierungsfähigkeithat. Das muss im Blick behalten werden.

Jürgen Oßenbrügge: Dies verweist alles auf diepolitische Richtung der Risikoforschung. Ins-besondere bezüglich Wolf-Dietrich Sahrs An-merkung ist zu sagen, dass wir diese Kontextenatürlich auch im Blick haben müssen unddass Risiken kulturell ganz unterschiedlichkonnotiert sein können und von daher eineverallgemeinerbare Diskussion darüber auchschwer möglich ist. Wenn man das auf unse-ren Kontext bezieht, dann glaube ich, dass Ri-siken sehr eng mit der Demokratiefrage ver-bunden sein sollten. Das ist wissenschaftspoli-tisch verbunden mit Bernd Belinas Hinweis:Wir können derzeit zunehmende materielleUngleichheiten beobachten, die gerne als all-gemeine Risiken vermittelt werden. Darausleiten sich politische Perspektiven ab, die mei-ner Ansicht nach dahin führen, dass Risikenzunehmend individualisiert werden. Das istnun zunächst einmal keine unmittelbare geo-graphische Perspektive, aber ein wichtigerAusgangspunkt. Damit kann das angesproche-ne Funkloch vielleicht ein wenig geschlossenwerden.Mein zweiter Punkt betrifft die Anmerkung

bezüglich der angloamerikanischen Themati-sierung von Sicherheit (anstatt Risiko). Fürmich ist hierbei der normative Ausgangspunktwichtig, dass Sicherheit etwas Positives ist –ein Erfahrungswert, den die meisten Menschenanstreben. Über „Risiko“ wird ein eher proble-matisierender Aspekt in den Vordergrund ge-stellt; über „Sicherheit“ kann eine andereWendung erreicht werden. Vielleicht ist esauch möglich, über sichere Zukünfte zu debat-tieren, d.   h. zum einen gewünschte Zuständefür die Zukunft denkbar zu machen, zum an-deren aber auch zu sehen, dass „sichere“ Zu-stände projiziert werden können, die man ab-lehnt. Und zwar dahingehend, dass ein Risiko-management entwickelt wird, das die eigeneEntscheidungsfähigkeit reduziert oder in an-dere Kontrollinstanzen einbaut. Für mich istdie Auseinandersetzung mit Risiken immermit diesen politischen Implikationen verbun-den, und ich meine, dass das auch eine Kom-

petenz der GeographInnen oder der Sozialwis-senschaftlerInnen insgesamt sein kann undsein sollte, gerade diese normativen Gesichts-punkte nicht aus dem Blick zu verlieren, unddamit auch als Einflussgröße in der gesell-schaftlichen Auseinandersetzung zu wirkenund eine Position einzunehmen.

Judith Miggelbrink: Ich möchte gern noch malauf den Beitrag von Bernd Belina zurückkom-men. Es muss immer darum gehen, die mate-riellen Prozesse zu analysieren, die kann mannicht mittels Begriffskritik wegdiskutierenoder verhandeln. Mein Fokus liegt aber aufder Tatsache, dass der Begriff „Risiko“ nichtnur viel öfter genutzt, sondern zudem vielstärker politisiert worden ist; und aus dieserPolitisierung resultieren wiederum Effekte,über die wir uns verständigen müssen. Bezo-gen auf das Grenzbeispiel ist Risiko z.   B. eineZuschreibung auf Subjekte, die den Effekt hat,dass Nicht-EU-BürgerInnen latent kriminali-siert werden. Risiko erklärt also erst einmalgar nichts, sondern wird dazu benutzt eineProblemlage zu kennzeichnen. Unsere Aufgabekann darin bestehen, die Hintergründe undFolgen dieser Politisierung zu analysieren undggf. die Begrifflichkeit für analytische Zweckezu vermeiden, um sich nicht an der Politisie-rung zu beteiligen.

Andreas Pott: Ich würde dafür plädieren, nochstärker zu unterscheiden zwischen Risiken undGefahren, ganz im Luhmannschen Sinne, so-wie zwischen Risiken und Sicherheit. Es wur-de der Sicherheitsdiskurs erwähnt; Sicherheitfungiert sozusagen als Reflektionsbegriff fürRisiko. Es wäre jetzt eine interessante Frage,warum in vielen Bereichen dieser Sicherheits-begriff besser fungiert – mutmaßlich aufgrundeiner höheren Eingängigkeit.Die Unterscheidung zwischen Risiko und

Gefahr ist vielen bekannt. Während Gefahrenbestehen, während wir Gefahren ausgesetztsind, sind Risiken entscheidungsabhängig. DasWissen um die gesundheitlichen Folgen desRauchens, zum Beispiel, führt dazu, dass Rau-chen eben nicht mehr nur eine Gefahr dar-stellt, der man ausgesetzt ist, sondern ein Risi-ko, dem man sich aussetzen kann, das manbewusst eingehen kann oder nicht. Diese Per-spektive verschiebt Vieles von dem, was wiralltäglich als Risiko bzw. Gefahr bezeichnen.Insofern würde ich Bernd Belinas Beispielenicht unter Risiken fassen. Armut ist mit die-ser Begriffsentscheidung schwerlich ein Risiko.Wir müssten also viel genauer schauen, ob

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sich dieses Beispiel überhaupt als Gegenstandder Risikoforschung eignet.

Detlef Müller-Mahn: Es wurde angesprochen, dasswir mit dem Risikobegriff unter anderem des-halb Schwierigkeiten haben, weil er eigentlichganz verschiedene Dinge besetzt. Wir müssenalso angeben, in welchem Kontext wir Risikowie verstehen, bezogen auf wen und auf wel-chen Typus von Risiko.Hinsichtlich der Anmerkungen von Bernd

Belina und Jonathan Everts wäre für mich dieFrage von Politisierung bzw. Entpolitisierungdes Risikobegriffes wichtig. Die Berechenbar-keit von globalen Entwicklungen wird ja vonden meisten Menschen positiv gesehen, auchwenn das, was dahinter steht, letzten Endesein Versuch ist, Kontrolle auszuüben über glo-bale Entwicklungen. Dazu gehört es, ein glo-bales Risiko als etwas zu inszenieren, das voll-kommen aus dem Ruder laufen kann. Wenn esgelingt, das Risiko der Katastrophe als extremgroß darzustellen, rechtfertigt das in dieserArgumentation sogar massive Eingriffe. DerHandlungszwang, der über die Inszenierungvon zu erwartenden Katastrophen erzeugtwird, beruht auf einer Entpolitisierung des Ri-sikodiskurses.

Thilo Wiertz: Ich denke, dass für die theoriege-leitete Forschung in der Geographie klare De-finitionen wichtig sind. Es ist aber auch wich-tig zu sehen, dass solche Unterscheidungen,die wir treffen, nicht notwendigerweise Unter-scheidungen sind, die politische und gesell-schaftliche Diskurse antreiben. Es gibt Studienbeispielsweise zum Risikobegriff, die zeigen,dass Risiko auch synonym mit Gefahr oder Be-drohung genutzt wird. Oder eben in spezifi-schen Zusammenhängen, wo es Berechenbar-keit und Handlungsentscheidungen im Vorder-grund stehen. Daran anschließend würde ichvielleicht auch eine These zu Risiko und Si-cherheit wagen. Ich denke, dass sich vieles,was wir unter Risiko fassen, in den letztenJahrzehnten wandelt. Die Art des Risikos än-dert sich und lässt sich zunehmend nicht mehrmit klassischen Definitionen von Eintritts-wahrscheinlichkeit und Schadensausmaß fas-sen. Insofern könnte die Diversifizierung derBegriffe mit einer Diversifizierung der Art vonRisiken bzw. Unsicherheiten zusammenhän-gen, mit denen wir es zu tun haben. Zum Bei-spiel sind Klimawandel und Fukushima Risi-ken, die nicht mehr klassisch „versicherbar“sind. Sicherheit ist in diesem Sinne, ebensowie Risiko, ein Begriff, der auf das Bedürfnis

nach Kontrolle von Ungewissheiten verweist –der jedoch nicht unbedingt Sicherheit oderGewissheit zum Gegenstand hat, sondern be-stimmte Formen politischer Regulierung.Daran anschließend habe ich Sympathie für

den Einbezug der Materialität von Risiken. DieVielfalt von Beispielen zeigt, dass es wahr-scheinlich nicht lohnenswert ist, Risiko aufgenau eine ganz spezifische Art der Regulie-rung von Ungewissheit zu reduzieren. Es gibtunterschiedliche Möglichkeiten mit Ungewiss-heiten umzugehen, aber diese Möglichkeitensind eben immer auch abhängig von den ma-teriellen Zusammenhängen, mit denen wir eszu tun haben.

Sybille Bauriedl: An dieser Stelle vielen Dank andie PodiumsteilnehmerInnen und auch an dasPublikum für die rege Diskussion. Die geogra-phische Risikoforschung ist ein breites Feldund wir haben festgestellt, dass ein hoher An-spruch an Begriffsarbeit und Reflexion be-steht, was meines Erachtens der Geographieanzurechnen ist. Und ebenfalls sehr erfreulichist, dass mit der geographischen Risikofor-schung scheinbar eine Standpunktforschungverbunden wird, mit dem hohen Anspruch,Bedingungen sozialer Ungleichheit und sozia-ler Gerechtigkeit mit in den Blick zu nehmen.Und das war in der Geographie nicht immerso. Ich gehe davon aus, dass dies ein Gewinnfür die deutschsprachige Neue Kulturgeogra-phie ist.

Risikoforschung in der Geographie. Themen, Intentionen und Relevanz |

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Der Klimawandel ist trotz wechselnder Berichter-

stattungshäufigkeit seit mehr als zwei Jahrzehnten

ein fest etabliertes Thema in den Medien. Die me-

diale Darstellung des Klimawandels ist keine blo-

ße Widerspiegelung der ursprünglich auf wissen-

schaftlicher Forschung basierenden Tatbestände,

sondern schafft eine eigene Risikowirklichkeit, die

auf konventionalisierten Selektions- und Präsen-

tationsoperationen des Mediensystems basiert.

1. Einleitung

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel stellte1986 eine Ausgabe unter den Titel „Die Klima-Katastrophe“. Auf dem Cover war der imHochwasser versinkende Kölner Dom zu se-hen. Hintergrund des provokativen Titelbildeswar die Annahme, der Meeresspiegel könnteim weltweiten Durchschnitt um bis zu 70 Me-ter steigen, wenn die Eisschilde in Grönlandund der Antarktis aufgrund einer befürchtetenmassiven globalen Erwärmung gänzlich ab-schmelzen würden. Auch wenn der seinerzeitprognostizierte „Klima-GAU“ (o.V./Der Spie-gel 1986: 122) kaum in der überzeichnetenDramatik eintreten wird, ist der weltweite Kli-mawandel doch zu einer drängenden globalenHerausforderung und damit zu einem immerwieder tagespolitisch aktuellen Thema gewor-den oder vielmehr gemacht worden.Der 1986 in Der Spiegel veröffentlichte Ar-

tikel über das sich wandelnde Weltklima stell-te in Deutschland eine der ersten in den Mas-senmedien verbreiteten Warnungen vor demKlimawandel dar. Heute finden sich beinahetäglich Meldungen über Veränderungen desKlimas in den Nachrichten. Die mediale Be-richterstattung zum Klimawandel dient dabeinicht allein der Information des Publikums.Indem durch die Medienmacher die Themender Berichterstattung ausgewählt werden unddie jeweilige inhaltliche Darstellung bestimmtwird, wird von ihnen Wichtiges von Unwichti-gem getrennt. Damit wird die Aufmerksamkeitder Rezipienten auf bestimmte als Problemfel-

der festgelegte und immer wiederkehrendeThemen, wie den Klimawandel, fokussiert. DieMedien prägen so die individuelle und kollek-tive Wahrnehmung des Klimawandels als einfür die Zukunft prognostiziertes Phänomen,das nicht direkt wahrnehmbar ist. Insofernwird der Klimawandel für die breite Öffent-lichkeit überhaupt erst durch die medialeAuseinandersetzung mit dem Thema erfahr-bar.Ausgehend von der grundlegenden Auffas-

sung, dass die Medien eine zentrale Rolle imZusammenhang mit der Darstellung des Kli-mawandels als einem Risiko einnehmen, sollim vorliegenden Artikel aufgezeigt werden,welchen Stellenwert der Klimawandel als The-ma in den Medien einnimmt, welche Mecha-nismen die mediale Präsentation des Klima-wandels leiten und wie durch die Medienbe-richterstattung der Klimawandel als Risikokonstruiert wird. Im Schnittfeld von Kommu-nikationswissenschaft und Geographischer Ri-sikoforschung soll anhand von Beiträgen ausder Wochenzeitschrift Der Spiegel beispielhaftuntersucht werden, wann, warum und wie dieMedien über den Klimawandel berichten.Im ersten Teil des Aufsatzes wird aus einer

sozialkonstruktivistischen Perspektive darge-stellt, wie der Klimawandel auf verschiedenen,sich überschneidenden Bedeutungsebenen alsThema dadurch gesellschaftlich hergestelltwird, dass das Phänomen in Kommunikations-prozessen mit unterschiedlichen Deutungenverbunden wird. Anschließend wird die be-sondere Stellung der Medien als einer der Orteder sozialen Konstruktion des Klimawandelsgeschildert. Daraufhin wird erörtert, inwiefernRoutinen des Mediensystems dazu beitragen,dass das zunächst auf naturwissenschaftlichenInterpretationen basierende Konstrukt des Kli-mawandels für die mediale Berichterstattungin spezifischer Weise konzeptionalisiert wer-den muss, um den nachrichtenwertlichen An-forderungen der Medien entsprechen zu kön-nen. Schließlich wird im empirischen Teil am

Der Klimawandel als medial konstruiertes Risiko –Untersucht am Beispiel der Berichterstattung desNachrichtenmagazins Der Spiegel

Sebastian Norck (Bayreuth)

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Beispiel der Wochenzeitschrift Der Spiegeldargelegt, was die wechselnde Berichterstat-tungshäufigkeit über den Klimawandel beein-flusst und welche wiederkehrenden Deutungs-muster sich in den Artikeln finden.

2. Klimawandel als soziale Konstruktion

Der Klimawandel gehört zu den Phänomenen,über die die Mehrzahl der Menschen kein di-rekt zugängliches Wissen hat, da Veränderun-gen des Klimas eine schleichende Entwicklungdarstellen und so, anders als zum Beispiel Ar-beitslosigkeit oder Gefahren im Straßenver-kehr, keine unmittelbare Erfahrung ermögli-chen. Beck (1986: 35) hält dies als ein Cha-rakteristikum von Umweltrisiken fest, mit de-nen die post-industrielle „Risikogesellschaft“konfrontiert ist:„Ins Zentrum rücken mehr und mehr Ge-

fährdungen, die für die Betroffenen oft wedersichtbar noch spürbar sind, Gefährdungen, dieunter Umständen gar nicht mehr in der Le-bensspanne der Betroffenen selbst wirksamwerden, sondern bei ihren Nachkommen, injedem Fall Gefährdungen, die der ‚Wahrneh-mungsorgane’ der Wissenschaft bedürfen –Theorien, Experimente, Messinstrumente –,um überhaupt als Gefährdung sichtbar, inter-pretierbar zu werden.“Beck verweist mit der Feststellung der feh-

lenden sinnlichen Erfahrbarkeit von Umweltri-siken und ihren Ursache-Wirkungs-Zusam-menhängen gleichsam darauf, dass der Klima-wandel erst dann als Gefahr behandelt werdenkann, wenn er als eine solche eingestuft wird.Dazu bedarf es laut Beck zunächst der Inter-pretation des Zustands der Umwelt durch dieWissenschaften. Im Zusammenhang mit demKlimawandel und anderen Umweltverände-rungen sind es vor allem die Naturwissen-schaften, die eine derartige Bewertung vor-nehmen. Sie bedienen sich als objektiv aufge-fasster Indikatoren wie beispielsweise derLufttemperatur oder der Höhe des Meeresspie-gels und belegen durch Messungen bestimmteVeränderungen, die durch Modelle in die Zu-kunft extrapoliert werden. Daraus werden un-ter Unsicherheiten mögliche Folgen abge-schätzt. Auf diese Weise entsteht ein wissen-schaftliches Risikokonstrukt des Klimawan-dels.Auf anderen Bedeutungsebenen werden die

von Naturwissenschaftler identifizierten und

von ihnen als objektive Tatbestände angese-henen physische Phänomene wie der Anstiegder globalen Durchschnittstemperatur und desMeeresspiegels mit weiteren Interpretationenund Assoziationen verknüpft. So wird bei-spielsweise hierzulande in der öffentlichenKommunikation der Klimawandel mit demAusbleiben weißer Weihnachten oder demverstärkten Auftreten von Sturmereignissenverbunden. Auf diese Weise entsteht in derÖffentlichkeit ein bestimmtes Denkmodellvom Klimawandel, der so als reale Bedrohungangesehen und damit als Risiko entworfenwird, da aufgrund mangelnder Vorhersehbar-keit negative Folgen in Aussicht gestellt wer-den.Zentral ist dabei für die unterschiedlichen

Bedeutungsebenen wie die wissenschaftlicheoder öffentliche Auseinandersetzung mit demKlimawandel, dass als Tatsachen verstandeneund behandelte Sachverhalte, wie der globaleKlimawandel, erst durch sprachliche Handlun-gen produziert und reproduziert werden.Durch Sprache können Bewertungen geändertwerden, denn Deutungsmuster sind nicht fi-xiert, sondern kontingent. Sie unterliegen sichwandelnden sozialen, historischen und kultu-rellen Rahmenbedingungen. Deshalb mögendie Bedeutungszuschreibungen auch, je nacheingenommener Beobachterperspektive, un-terschiedlich sein. So kann sich zum Beispieldas Verständnis eines Wissenschaftlers für denKlimawandel von dem eines Journalisten un-terscheiden, da beide nach verschiedenen Ko-des arbeiten, worunter für das jeweilige Sys-tem spezifische Regeln der Bedeutungszu-schreibung zu verstehen sind. Wesentlich istjedoch, dass die von ihnen hergestellten Deu-tungen in ihrem jeweiligen Kontext als natür-lich erscheinen und deshalb als Wirklichkeitbehandelt werden (Weingart et al. 2002: 20f.).Es bedarf zunächst der Kommunikation

über ein Phänomen, bevor es zu gesellschaftli-chen Handlungen kommen kann. Aus sozial-wissenschaftlicher Sicht ist darum weniger derKlimawandel als reales Ereignis von Interesseals vielmehr die gesellschaftliche Auffassungdavon, was als Klimawandel bezeichnet wirdund welche Erwartungen daraus abgeleitetwerden. Denn erst aus diesem Verständnis er-gibt sich die gesellschaftliche Relevanz desKlimawandels, was letztlich in Maßnahmenzur Vermeidung von antizipierten Folgen oderder Anpassung an klimatische Veränderungenmündet (Peters/Heinrichs 2005: 2f.).

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Wie der Klimawandel dabei konzeptionali-siert wird, ist das Ergebnis von gesellschaftli-chen Aushandlungsprozessen zwischen kon-kurrierenden Bedeutungen. Demzufolge han-delt es sich bei dem individuellen Wissen überden Klimawandel nicht um rein subjektiveWahrnehmungen, sondern um kollektive Be-deutungszuweisungen, um in der Gesellschaftzirkulierende Vorstellungen, die durch denEinzelnen internalisiert werden, um daran sei-ne Kommunikation anzuschließen. Deshalbkann der Klimawandel als soziale Konstrukti-on verstanden werden (Stehr/von Storch1995: 101f.).Was die Bedeutungsebene der Alltagskom-

munikation über den Klimawandel und damitdie Konstruktion des Klimawandels in derbreiten Öffentlichkeit (im Gegensatz zur ange-sprochenen wissenschaftlichen oder auch derpolitischen Konstruktion des Klimawandels)betrifft, spielen die Medien eine besondereRolle. Da sich klimatische Änderungsprozesseder lebensweltlichen Erfahrung entziehen,muss im Alltag auf vorgefertigte Deutungenzurückgegriffen werden, wie sie insbesondereüber die Massenmedien an die Öffentlichkeitvermittelt werden. Die Medien strukturierendie öffentliche Kommunikation aufgrund ihrerbeinahe unbeschränkten Reichweite zu einembedeutenden Teil und tragen so wesentlich zursozialen Konstruktion des Klimawandels bei.Aus systemtheoretischer Perspektive sind

die Medien wie Politik, Recht, Religion, Wirt-schaft und Wissenschaft ein Teilsystem derGesellschaft und als solches ein Produkt derfunktionalen gesellschaftlichen Ausdifferenzie-rung. Gleichzeitig sind die Medien in allen Be-reichen der Gesellschaft präsent und vermit-teln zwischen den einzelnen Ebenen (Winkler2008: 43ff.). Daraus folgt, dass „[w]as wirüber unsere Gesellschaft, ja über die Welt, inder wir leben, wissen, wissen wir durch dieMassenmedien“ (Luhmann 2004: 9).Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung

führt zur Entstehung von Spezialdiskursen inden einzelnen Bereichen der Gesellschaft, bei-spielsweise in Wissenschaft und Politik. DieseSpezialdiskurse sind durch eine jeweils eigeneFachsprache gekennzeichnet. Die Medien ver-mitteln von ihnen ausgewählte Inhalte derSpezialdiskurse an einen allgemeinen öffentli-chen Diskurs, indem sie die Komplexität desExpertenwissens reduzieren und alltagssprach-lich aufbereiten (Winkler 2008: 49f.). Die Aus-wahl, Verarbeitung und Präsentation von The-

men in den Medien ist dabei von den spezifi-schen Produktionsbedingungen des Medien-systems abhängig. Deshalb haben die Medienentsprechend ihrer Interessen und Ansprücheeine ganz eigene Sicht auf den Klimawandel(Weingart et al. 2002: 73f.).Die Kriterien, die letztlich bestimmen, ob,

wann und in welcher Form über ein Themawie dem Klimawandel berichtet wird, sollennachfolgend näher erläutert werden, um zuerklären, weshalb der Klimawandel in denvergangenen Jahren und Jahrzehnten zu ei-nem Dauerthema in der Medienberichterstat-tung geworden ist.

3. Mediale Risikokommunikation

Wenn davon ausgegangen wird, dass der Kli-mawandel zunächst als ein wissenschaftlichesKonstrukt entsteht, kommt den Medien imdiesem Zusammenhang die Aufgabe zu, dieÖffentlichkeit über die erforschten Ursachenund die nach wissenschaftlichen Modellen zuerwarteten Auswirkungen zu informieren. Oftist damit die wertende Vorstellung verbunden,mediale Informationen müssten – gemessen anden als objektiv verstandenen wissenschaftli-chen Erkenntnissen – sachlich und verlässlichsein (Görke 2008: 121 ). Medienberichterstat-tung ist jedoch wesentlich von wirtschaftli-chen Interessen geleitet. Die Auswahl der Me-dienberichte ist am öffentlichen Interesse ori-entiert und hat vor dem Hintergrund starkerKonkurrenz zunächst das Ziel, die Aufmerk-samkeit des Publikums zu gewinnen (Weingartet al. 2002: 72f.).Inwiefern Themen wie der Klimawandel

überhaupt gesellschaftlich relevant unddementsprechend für das Medienpublikum in-teressant sind, hängt von der Resonanzfähig-keit der jeweiligen Gesellschaft für den Ge-genstand ab. Damit ist die Anschlussfähigkeitan bestehende gesellschaftliche Diskurse ge-meint. Diese ist umso ausgeprägter, je mehrbereits ein Bewusstsein für, mit der Thematikim Zusammenhang gesehene Probleme vor-handen ist. Dabei gibt es neben sozialmilieus-pezifischen, etwa auf verschiedene Bildungs-grade zurückgehende Bewertungen, auchräumliche Unterschiede, die im Zusammen-hang mit bestimmten Wertvorstellungen ste-hen und sich deshalb aus den spezifischen his-torischen und kulturellen sowie den sozioöko-nomischen Rahmenbedingungen ergeben

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(Weber 2008: 61 ). Darüber hinaus ist der Stel-lenwert eines Themas wie zum Beispiel denKlimawandel durch die Betroffenheit einerGesellschaft von den damit einhergehendenVeränderungen abhängig. Dabei kann nebendirekter auch indirekte Betroffenheit im Sinnevon Mitgefühl für direkt Betroffene von Be-deutung sein (ebd. : 63).Während die Medien ihre Selektionsmecha-

nismen einerseits an der gesellschaftlichen Re-sonanzfähigkeit ausrichten, stellen sie ande-rerseits Relevantes, das Teil der öffentlichenAgenda wird, selbst auch erst her und bereitenso den Resonanzboden für die zukünftige Be-richterstattung. Umfang und Art der Medien-berichterstattung zu einem Thema fungierenbesonders im Falle von Umweltthemen wiedem Klimawandel als Resonanzfilter, da siedas Thema erst für eine breite Öffentlichkeitzugänglich machen. Die mediale Darstellung„reflektiert gesellschaftliche Konflikte in selek-tiver Weise und schafft erst dadurch die spezi-fische Dynamik öffentlicher Konfliktdiskurse“(Brand 1996: 56).Über die Resonanzfähigkeit der Öffentlich-

keit hinaus ist die Auswahl und Ausgestaltungder in den Medien präsentierten Themen vonweiteren Faktoren abhängig, die sich aus derspezifischen Operationsweise der Medien er-geben. Dazu zählen zum einen externe Fakto-ren wie die Verfügbarkeit von Quellen, zumanderen medieninterne Bedingungen wie Zeit-druck bei der redaktionellen Aufarbeitung unddie Darstellbarkeit des Themas (Weingart etal. 2002: 74). Was die Darstellbarkeit betrifft,gibt es gemäß der Nachrichtenwerttheorie be-stimmte durch Konventionen festgelegte Krite-rien, nach denen Wichtiges von Irrelevantemunterschieden werden kann (Ruhrmann/Göb-bel 2007: 3). Da angesichts einer Vielzahl vonInformationen nicht alles zur Darstellungkommen kann, werden einzelne Gegenständeals unbedeutend aussortiert. Publikationswür-dig ist ein Thema nur dann, wenn es bestimm-te inhaltliche Merkmale, sogenannte Nach-richtenfaktoren, aufweist, welche ihm voneinzelnen Journalisten, der Redaktion oderdem Mediensystem als ganzem zugewiesenwerden. Letztlich werden die in den Medienpräsentierten Inhalte davon vorgegeben, wasdie Medienmacher als Interesse des Publikumsantizipieren, und damit durch den Empfängerbestimmt.Die Nachrichtenfaktoren bestimmen nicht

nur die Auswahl der Themen, sondern können

auch Einfluss auf die Ausgestaltung haben,wenn etwa Informationen nicht den Kriterienentsprechen und deshalb in der Darstellungangepasst werden müssen. Im Falle der zu-nächst auf einem wissenschaftlichen Risiko-konstrukt beruhenden Erkenntnisse über denKlimawandel lässt sich dies deutlich zeigen.Fasst man die wichtigsten Selektionskriterienzusammen nach denen Themen in den Medienausgewählt und zur Darstellung gebracht wer-den, sind für die Berichterstattung zu Risikenwie dem Klimawandel folgende Eigenschaftenwesentlich:Einfach verständliche und eindeutige Nach-

richten werden gegenüber komplexen Themenwie dem Klimawandel in den Medien bevor-zugt aufgegriffen. Je unübersichtlicher undkomplexer das Geschehen ist, umso mehrmuss die Darstellung vereinfacht und auf ein-zelne Aspekte reduziert werden, um für einmöglichst breites Publikum verständlich zusein (ebd. : 5). Im Zusammenhang mit demKlimawandel wird Eindeutigkeit beispielswei-se durch das Aufzeigen klarer Ursache-Wir-kungs-Zusammenhänge oder durch Verkür-zungen, etwa bezüglich der Verursacherrolleder Industrieländer, erreicht.Veröffentlicht werden vorzugsweise solche

Themen, die eine unvorhergesehene Sensationoder eine negative Entwicklung von großerTragweite darstellen. Die Medien haben einInteresse an Nachrichten über dramatischeund emotionalisierende Ereignisse, da sich die„Rezipienten mehr für das Ungewöhnliche alsfür das Normale interessieren“ (Peters 1994:334).Gerade für Nachrichtenmedien stellt die

zeitliche Nähe von Ereignissen ein Erfordernisfür die Berichterstattung dar. Der Klimawan-del als von der Wissenschaft festgestellterkomplexer, für die Zukunft prognostizierterProzess, steht dieser Ereignisorientierung ent-gegen. Allerdings wird der Klimawandel wie-derkehrend in den Medien aufgegriffen, indemder kontinuierliche Veränderungsprozess inaufeinander folgende aktuelle Ereignisse, diemit dem Klimawandel unmittelbar in Verbin-dung gebracht werden, zerlegt wird, womitein konkreter Anlass zur Berichterstattung ge-geben ist (Weingart et al. 2002: 81 ). Bestimm-te, wie dargestellt bevorzugt dramatische Er-eignisse werden auf diese Weise als Vorbotendes Klimawandels gedeutet.Über diese zentralen Nachrichtenfaktoren

hinaus hängt die mediale Berichterstattung im

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Falle von Risiken wie dem Klimawandel zu-dem von weiteren Kriterien ab. BesondersQuantitäten bestimmen die mediale Relevanzvon Risiken. So sind große Opferzahlen undhohe finanzielle Schäden oft ausschlaggebenddafür, worüber berichtet wird (Görke 2008:125). Angesichts dessen, dass die Medien häu-fig über solche Ereignisse berichten, die zwarmit großen Schäden verbunden sind, derenEintrittswahrscheinlichkeit jedoch meist nied-rig ist und in den Medien nicht thematisiertwird, schlussfolgern Singer und Endreny(1987: 14): „The media do not report on risks;they report on harms.“Aus dieser Gewichtung erklärt sich, warum

einzelne Themen wie beispielsweise an Zahlund Schadensausmaß zunehmende Sturm- undÜberschwemmungsereignisse in der Debatteum den Klimawandel häufig in den Medienangesprochen werden, während andere Sach-

verhalte, etwa bezüglich möglicher Anpas-sungsmaßnahmen, nur geringe mediale Auf-merksamkeit erhalten.Neben der Entscheidung darüber, welche

Themen in den Medien präsentiert werden,bestimmen vor allem die Verfügbarkeit zeitli-cher und finanzieller Ressourcen sowie die re-daktionelle Infrastruktur die mediale Darstel-lung. Diese Faktoren haben Einfluss auf dieAuswahl der Informationsquellen, denn Jour-nalisten sind gerade im Falle von lebenswelt-lich nicht wahrnehmbaren Umweltrisiken, wiedem Klimawandel, keineswegs Augenzeugen,die ihre eigene Wahrnehmung weitergeben;sie stützen ihre Berichterstattung vielmehr aufunterschiedliche Quellen (Peters 1994: 335).Im Falle der medialen Auseinandersetzung mitdem Klimawandel sind es (neben Agenturmel-dungen und dem Anschluss an die Berichter-stattung in bestimmten Leitmedien, die für al-

Veränderung dernatürlichen Umwelt

Messungen

Wissenschaft

FachsprachlicheInformation

Medien

Individuum

Informationsauswahlund Übersetzung

IndividuelleWahrnehmung

Wahrnehmungsschranke

Abbildung 1: Gesellschaftliche Wissensvermittlung von Umweltrisiken, Quelle: eigene Darstellung nach Rey 1995: 28

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le medial verarbeiteten Themen relevant sind)meist wissenschaftliche Erkenntnisse, auf diezurückgegriffen wird. Diese hohe Gewichtungergibt sich deshalb, da der Klimawandel zu-nächst nichts anderes als eine wissenschaft-liche Hypothese und damit ein von Expertenkonstruiertes Risiko darstellt (Weingart et al.2002: 19). Die Auswahl der als Experten inden Medien zu Wort kommenden Forschermuss sich nicht nach deren Reputation in derwissenschaftlichen Gemeinschaft richten, kanngleichwohl aber den von den Medien ange-fragten Wissenschaftlern Ansehen in ihrer Dis-ziplin verschaffen. Sie kann auch damit zu-sammenhängen, dass der Journalist sich ge-zielt an einen Wissenschaftler wendet, der ihmsein bereits vorhandenes individuelles Bild desKlimawandels bestätigt (Neverla 2003).Wissenschaftliche Forschungsergebnisse

sind, obwohl sie die wichtigste Quelle für Me-dienberichte über den Klimawandel darstellen,für die breite Öffentlichkeit oftmals nicht ver-ständlich, da sie meist fachterminologisch auf-bereitet sind und an Vorwissen anknüpfen. DieMedien übersetzen deshalb von der Wissen-schaft gewonnene Daten in die Alltagsspracheeines allgemeinen Publikums und vermittelndamit Erkenntnisse des wissenschaftlichenSpezialdiskurses, nämlich das wissenschaft-liche Risikokonstrukt des Klimawandels, aneinen allgemeinen öffentlichen Diskurs. Siestellen so die Verbindung zwischen den ver-schiedenen gesellschaftlichen Teilsystemenher (Abb. 1 ). Die Übersetzungsleistung derMedien stellt gleichzeitig eine notwendige Re-duktion der von der Wissenschaft gezeichne-ten Komplexität der vielfältigen mit dem Kli-mawandel in Zusammenhang stehenden Phä-nomene und des forscherischen Erkennt-nisprozesses dar, bildet jedoch dieVoraussetzung für die öffentliche Wahrneh-mung des Klimawandels (Weingart et al.2002: 74f.). Allerdings stellt die mediale Ver-mittlung von wissenschaftlichen Forschungs-ergebnissen über den Klimawandel insoferneine besondere Herausforderung dar, da dieErkenntnisse nicht auf reinen Messungen ba-sieren. Sie stellen, abhängig von der For-schungsfrage und damit verbunden auch voneventuellen Auftraggebern, vielmehr Modell-rechnungen dar, die auf verschiedenen Annah-men beruhen und entsprechend beschränkt inihrer Aussagekraft sind (Peters 1994: 330).Wie damit in den Medien umgegangen wird,ist in der empirischen Analyse zu zeigen.

Es ist zu beachten, dass die gesellschaftlicheVerhandlung des Klimawandels und andererUmweltprobleme nicht nur durch den von denMedien geleisteten Übersetzungsprozess vonwissenschaftlichen Erkenntnissen und damitdurch die Übertragung des wissenschaftlichenKonstrukts des Klimawandels in ein medialesRisikokonstrukt geschieht. Weitere Subsyste-me der Gesellschaft, zum Beispiel Politik undWirtschaft, sind an der Konstruktion beteiligtund stehen ihrerseits in enger Wechselbezie-hung zu den Medien.Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass

das wissenschaftliche Konstrukt des Klima-wandels zumeist Ausgangspunkt der medialenBerichterstattung über den Klimawandel ist.Es scheint aber aufgrund dessen, dass sich dasPhänomen in der Forschung als ein sehr kom-plexes darstellt, und ob der langfristigen mitder Erforschung der Ursachen und Auswirkun-gen verbundenen Erkenntnisprozesse und Un-sicherheiten eigentlich, nimmt man die übli-chen Nachrichtenfaktoren wie Einfachheit undAktualität als Auswahlkriterien für die Be-richterstattung, kaum den Anforderungen derMedien zu entsprechen. Umsomehr ist diekonkrete Darstellung des Klimawandels in denMedien interessant, da der Klimawandel imSinne des ursprünglich wissenschaftlichenKonstrukts in spezifischer Weise neu konzep-tionalisiert und auf diese Weise in ein eigen-ständiges mediales Konstrukt übertragen wer-den muss, um in den Medien darstellbar zusein. Deshalb soll im Folgenden anhand vonBeispielen genauer analysiert werden, wie derKlimawandel medial konstruiert wird. Da-durch wird versucht, dessen lange Themen-karriere in den Medien zu begründen.

4. Der Klimawandel in den Medien

Der Umfang der Medienberichterstattungzum Klimawandel ist von einer ausgeprägtenzeitlichen Dynamik geprägt, während die Mel-dungen meist in ähnlicher Art und Weise ver-fasst sind. Anhand einer exemplarischen Ana-lyse der Thematisierung des Klimawandels imNachrichtenmagazin Der Spiegel soll hier dieEigenart des medialen Diskurses zum Klima-wandel untersucht werden.

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4.1 Anmerkungen zur Methodik

Im Folgenden soll die Aufmerksamkeit derMedien für den Klimawandel in ihrem zeitli-chen Verlauf und im Hinblick auf die Beson-derheiten der Berichterstattung anhand einesBeispiels nachvollzogen werden. Dabei wurde,auch wenn die Reichweite des Fernsehens undsein Einfluss auf die öffentliche Meinung grö-ßer sein dürften, für die vorliegende Studieaufgrund der umfangreicheren Datenverfüg-barkeit ein Printmedium analysiert.Wegen ihrer Reputation wurde die Wochen-

zeitschrift Der Spiegel ausgewertet. Der Spie-gel hat als auflagenstärkstes, wöchentlich er-scheinendes Printmedium in der deutschenMedienlandschaft eine durch eine hohe Zitier-häufigkeit in anderen Medien ausgedrücktegewisse Leitfunktion und versteht sich auchgesamtgesellschaftlich als meinungsführend.Der Spiegel veröffentlicht neben kurzen Nach-richtenmeldungen einem investigativen Jour-nalismus verpflichtete Reportagen und Inter-views. Neben politischen Nachrichten aus demIn- und Ausland werden die Ressorts Wirt-schaft, Gesellschaft, Kultur, Medien, Sport, so-wie Wissenschaft und Technik abgedeckt.Hinsichtlich der Aussagekraft der erhobe-

nen Daten müssen dahin gehend Abstriche ge-macht werden, dass Der Spiegel aufgrund derwöchentlichen Erscheinungsweise nicht alletagesaktuellen Ereignisse abbilden kann. Al-lerdings ist die Verpflichtung zur Aktualitätbei einem langfristigen Prozess wie dem Kli-mawandel ohnehin geringer anzusetzen. Umsomehr ist es interessant, wie häufig der Klima-wandel angesichts der Vielzahl an möglichenzu veröffentlichen Themen als Gegenstand vonden Machern ausgewählt wird. Zudem bietetdie wöchentliche Erscheinungsweise den Re-dakteuren mehr Zeit zur Recherche von Hin-tergründen, wobei darzustellen sein wird, in-wiefern die Darstellung tatsächlich fundiertist.Es wurde bei der Datenerhebung auf die on-

line archivierten Beiträge des PrintmagazinsDer Spiegel zurückgegriffen. Der Textkorpuswurde anhand des Suchbegriffs „Klimawan-del“ zusammengestellt, um eine Auswahl anPresseartikeln zu erhalten, die sich mit demKlimawandel als Haupt- oder nebengeordne-ten Thema beschäftigen. Weitere Schlagwör-ter, die in einem engen Zusammenhang mitdem Klimawandeldiskurs stehen, wurden auf-grund des exemplarischen Charakters der Un-

tersuchung nicht bei der Artikelrecherche be-rücksichtigt. Der Textkorpus wurde hinsicht-lich des zeitlichen Verlaufs der Erwähnung desBegriffs „Klimawandel“ nach Jahren ausge-wertet und anschließend einer genauen in-haltlichen Analyse unterzogen, um wieder-kehrende Deutungsmuster herauszuarbeiten.

4.2 Zeitlicher Verlauf des medialen Klimawandeldiskurses

Eine Betrachtung der Häufigkeit des Begriffs„Klimawandel“ in der Berichterstattung desNachrichtenmagazins Der Spiegel in den letz-ten Jahrzehnten zeigt, dass die Zahl der Arti-kel zu Klimaveränderungen über den betrach-teten Zeitraum trotz wiederkehrenderSchwankungen stark zugenommen hat(Abb.   2).Die ersten Artikel zu Veränderungen des

Weltklimas erschienen Mitte der 1970er Jah-re. Damals wurde entgegen der heute als wei-testgehend gesichert geltenden wissenschaftli-chen Annahme noch eine Abkühlung derweltweiten Temperatur befürchtet (o.V./DerSpiegel 1974). Selbst im Jahr 1980 wurdenoch berichtet, dass der von einigen Forschernprognostizierte Temperaturanstieg bislangnicht eingetreten sei (o.V./Der Spiegel 1980).Dies zeigt, dass sich die These einer durch denanthropogen verstärkten Treibhauseffekt in-duzierten globalen Erwärmung erst gegen an-dere Deutungen wie die einer neuerlichen Eis-zeit durchsetzen musste (Müller-Mahn 2010:105f.).Insgesamt war die mediale Aufmerksamkeit

für den Klimawandel bis in die Mitte der1980er Jahre gering. Ein Wandel in der Be-richterstattung trat 1986 mit der eingangs an-geführten Titelgeschichte zur „Klima-Katastro-phe“ ein. Mit diesem Artikel, der unter Bezug-nahme auf einen Anfang des Jahres vom Ar-beitskreis Energie der DeutschenPhysikalischen Gesellschaft veröffentlichtenWarnruf entstand, wurde die globale Erwär-mung mit einem Mal zur unzweifelhaften Ge-wissheit (o.V./Der Spiegel 1986).Einen ersten Höhepunkt erreichte die me-

diale Berichterstattung zum Klimawandel um1992 mit der Konferenz der Vereinten Natio-nen über Umwelt und Entwicklung in Rio deJaneiro (o.V./Der Spiegel 1992). Bis nach derJahrtausendwende stabilisierte sich die Zahlder Meldungen über den Klimawandel in DerSpiegel auf etwa gleich hohem Niveau.

Der Klimawandel als medial konstruiertes Risiko ... |

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Sehr markant ist die Zunahme der Medien-berichte über den Klimawandel im Jahr 2007.Dieser Anstieg steht in einem auffälligen Zu-sammenhang mit der vermehrten politischenAuseinandersetzung zum Thema, was sich be-sonders bei der ausführlichen Berichterstat-tung zum G8-Gipfel in Heiligendamm zeigt(Feldenkirchen et al. 2007). Des Weiteren be-schäftigten sich zahlreiche Beiträge in diesemJahr mit den in mehreren Schritten veröffent-lichten vierten Sachstandsbericht des Weltkli-marates IPCC (Evers 2007).Zum Ende des ersten Jahrzehnts des neuen

Jahrtausends nahm die mediale Aufmerksam-keit für den Klimawandel wieder deutlich ab.Worin die Ursachen für die zurückgehendeAufmerksamkeit für das Thema liegen, lässtsich nicht mit Sicherheit begründen. So lassensich zusammenfassend trotz des deutlichenAnstiegs der Berichterstattung zum Klimawan-del starke Schwankungen in der medialen Auf-arbeitung des Themas feststellen. Diese hän-gen, wie die Einführung der Thematik 1986durch das Aufgreifen einer Warnung aus denReihen der Wissenschaften oder besondersdeutlich die starke Zunahme der Artikel überden Klimawandel im Jahr 2007 verdeutlicht,vor allem mit der Berichterstattungswürdig-keit einzelner Ereignisse im Kontext des Kli-mawandel-Diskurses zusammen. So gibt es je-weils Auslöser, die Medienberichte nach sichziehen und dadurch das Thema immer wiederdurch die Eingliederung dieser neuer Ereignis-

se aktualisieren. Auf einem hohen Berichter-stattungsniveau angekommen scheint sich je-doch eine gewisse Normalität einzustellen,weshalb die Zahl der Artikel seit 2007 nichtmehr zugenommen hat.

4.3 Besonderheiten des medialen Klimadiskurses

Wenn im Folgenden die Besonderheiten desmedialen Klimadiskurses skizziert werden, solldamit keine Bewertung der Angemessenheitder Medienberichterstattung vor dem Hinter-grund einer Übereinstimmung mit wissen-schaftlichen Erkenntnissen vorgenommenwerden. Vielmehr wird entsprechend der hiervertretenen sozialkonstruktivistischen Grund-perspektive auf den Klimawandel herausge-stellt, dass die Medien gemäß der institutio-nellen Regeln, nach denen sie funktionieren,eine ganz eigene Wahrnehmung des Themashaben, was sich in der medialen Darstellungniederschlägt.Untersucht man textanalytisch den Tenor

der einzelnen Medienberichte zum Klimawan-del, so fällt zunächst auf, dass der Grundtonder Auseinandersetzung mit dem Klimawandelund seinen Folgen sich zwischen Dramatisie-rung und Verharmlosung (oder zumindestEntdramatisierung) bewegt. In den ersten Jah-ren war immer wieder von einer drohendenKlimakatastrophe die Rede und es wurdenentsprechend dramatische Zukunftsprognosen

Erwähnung des Begriffs "Klimawandel"

in Artikeln von Der Spiegel100

120

80

60

40

20

01974 1980 1990 2000 2010

Abbildung 2: Erwähnung des Begriffs „Klimawandel“ in Artikeln von Der Spiegel, Quelle: eigene Darstellung

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präsentiert. Die Gefahr einer globalen Erwär-mung mit all ihren negativen Folgen stand imZentrum der Berichterstattung. Seit der zwei-ten Hälfte der 1990er Jahre mehren sich skep-tische Stimmen, die – auch wenn die Meldun-gen keineswegs auf Unglauben beschränktsind – die Erkenntnisse zum Klimawandel zumTeil in Zweifel ziehen. Besonders deutlichwurde diese Polarisierung zwischen 2006 und2007, als zunächst noch gewarnt wurde: „Ach-tung, Weltuntergang!“ (Der Spiegel 45/2006,Titel), nur um ein halbes Jahr später vor demHintergrund einer scheinbar unbegründeten„Klima-Hysterie“ den „Abschied vom Weltun-tergang“ (Der Spiegel 19/2007, Titel) zu ver-künden. Der Wandel von der Darstellung dra-matischer, nicht selten gar katastrophaler Aus-wirkungen hin zu einem wachsenden Skepti-zismus zeigt sich deutlich in Titeln der Artikel,da diese den Grundton des Berichts häufig be-reits festlegen. Eine Auswahl von Überschrif-ten, die besonders aussagekräftig die Polaritätvon Dramatisierung und Verharmlosung zei-gen, ist in der nachfolgenden Tabelle zusam-mengestellt.

Ausgabe Titel

33/1986 Das Weltklima gerätaus den Fugen

49/1987 Weizenfelder werdenverdorren

29/1989 Der geschundene Planet

10/1990 Der Globus ist angenagt

08/1994 Letzte Gnadenfrist

51/1997 Der Weltuntergang fällt aus

04/2005 Klima inszenierter Angst

11/2007 Wir haben noch genug Zeit

19/2007 Abschied vom Weltuntergang

04/2010 Schmelzendes Vertrauen

Als ein zentrales Element der medialen Ri-sikokonstruktion in der ersten, vorwiegenddramatisierenden Phase des medialen Klima-wandel-Diskurses ist die Darstellung der vor-gezeichneten negativen Folgen als unmittelba-re Bedrohung der Menschheit herauszustellen.Durch den Meeresspiegelanstieg und Starkre-genfälle ausgelöste Überschwemmungen, Ern-teausfälle aufgrund von Dürren sowie die Aus-breitung bestimmter Krankheiten zählen zuden immer wieder aufgegriffenen Erscheinun-gen. In diesen Zusammenhang gehören bei-spielsweise auch Berichte über durch klimati-sche Veränderungen in den Entwicklungslän-dern ausgelöste Migrationsströme von soge-nannten „Klimaflüchtlingen“. Dieses Motiverlaubt es, scheinbar widersprüchliche Ent-wicklungen, wie die gleichzeitige Zunahmevon Niederschlägen und Trockenheit mitein-ander zu verschneiden und gleichzeitig dieFolgen des Klimawandels weiter zu dramati-sieren:„Mehr Regen in den höheren Breiten,

gleichzeitig noch weniger Regen in den ohne-hin trockenen Zonen der Erde erwarten dieForscher. Die Verlierer dieses Trends sitzenvor allem in den Entwicklungsländern. Mit biszu 200 Millionen Klimaflüchtlingen rechnetder britische Ökologe Norman Myers. Fünfmalmehr Land als heute könnte schon 2050 unterextremer Dürre leiden […] “ (Bethge et al.2006: 89).Neben der Darstellung unmittelbarer Be-

drohung menschlichen Lebens wird auchdurch einen Verweis auf die mittelbare Betrof-fenheit im Zusammenhang mit den wirtschaft-lichen Folgen des Klimawandels das medialeRisikokonstrukt gestützt. Ausdruck findet diesbeispielsweise in der Berichterstattung zum2006 veröffentlichten Stern-Report, wo alleindie Nennung einer Geldsumme und der Ver-gleich mit der Weltwirtschaftskrise seit Endeder 1920er Jahre die Dramatik der Situationunterstreichen soll: „5,5 Billionen Euro könntees kosten, wenn die Menschheit weiterhin sogewaltige Mengen von Klimagasen in die At-mosphäre pumpt. Das sind 20 Prozent ihrergesamten Wirtschaftskraft“ (ebd. : 78).Gerade in den Anfangsjahren der medialen

Auseinandersetzung mit dem Klimawandelwaren die in der wissenschaftlichen Forschungbestehenden Unsicherheiten in den Medienbe-richten häufig ignoriert oder nur randlich the-matisiert und dann zumeist bagatellisiert wor-den. Stattdessen wurden einzelne Extremer-

Tabelle 1: Der Klimawandel in Überschriften von Artikeln aus DerSpiegel (Auswahl) , Quelle: eigene Darstellung

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eignisse als konkreter Anlass für die Berichter-stattung genommen und regelmäßig als Vor-boten einer unausweichlichen Klimakatastro-phe gedeutet (o.V./Der Spiegel 1994). Dies istinsofern interessant, da Risiken im Grunde ei-ne wegen mangelnder Vorhersehbarkeit beste-hende mögliche Entwicklung darstellen, hierjedoch wird diese Unvorhersehbarkeit meistkomplett ausgeblendet.Die ursprüngliche Darstellung eines unaus-

weichlichen Klimawandels mit all seinen ne-gativen Folgen wich in den vergangenen Jah-ren jedoch zunehmend einem skeptischen Te-nor über Klimaveränderungen. Zweifel werdendabei nicht unbedingt am Klimawandel selbstoder dessen anthropogener Verursachung ge-hegt, sondern meist an der Dramatik der Fol-gen. Während in den Anfangsjahren der me-dialen Berichterstattung der Klimawandel mitseinen Auswirkungen für die nächste Zukunftprognostiziert und gerade dadurch die Drama-tik der Situation unterstrichen wurde, wirdnun darauf verwiesen, dass es sich zwar umunvermeidliche, aber schleichende Prozessehandelt, die Anpassung ermöglichen: „Das Gu-te ist ja, dass all die Veränderungen nicht vonheute auf morgen kommen, sondern innerhalbvon Jahrzehnten. Wir haben noch genug Zeit,darauf zu reagieren“ (Stampf 2007: 157). Da-mit ist der Entwicklung ihre unmittelbare Dra-matik genommen. Gleichzeitig schwingt in derAussage eine gewisse Fortschrittsgläubigkeitmit, die Aussicht darauf, klimatische Verände-rungen durch technische Maßnahmen für denMenschen beherrschbar zu machen.Der Wandel in der Berichterstattung zum

Klimawandel kann vor dem Hintergrund derwissenschaftlichen Kontroverse um Ursachenund Folgen der prognostizierten Klimaverän-derungen interpretiert werden. Indem der„Gelehrtenstreit“ (Traufetter 2000: 230) über-betont oder gar erst inszeniert wird und so-wohl übertriebene als auch verharmlosendePrognosen dargestellt werden, soll die Objek-tivität des Mediums herausgestellt werden, daes verschiedene Meinungen ausbalanciert. Zu-dem ist der Konflikt zwischen den beiden An-sichten ein Nachrichtenfaktor für sich.Immer wieder wird dabei sowohl bei den

dramatisierenden wie auch bei den beschöni-genden Prognosen auf wissenschaftliche Quel-len hingewiesen. Wenn beispielsweise ein In-terviewpartner „zu den weltweit führendenKlimaexperten“ (Stampf 2007: 156) gezähltwird, soll die explizite Nennung einer solchen

Quelle Glaubwürdigkeit erzeugen. Anfänglichsollte der Verweis auf wissenschaftliche Ex-pertenmeinungen – zumal wenn Einigkeit un-ter den Wissenschaftlern bemerkt wurde – dieunausweichliche Dramatik des zu erwartendenKlimawandels unterstreichen:„Überraschend war die Katastrophe nicht

gekommen. Wissenschaftler hatten beizeitengewarnt, […] . Das Desaster, der weltweiteKlima-GAU, war nicht mehr aufzuhalten“(o.V./Der Spiegel 1986: 122).Inzwischen werden Unsicherheiten der wis-

senschaftlichen Prognosen gezielt aufgegriffen,um Skeptizismus zu verbreiten und so gleich-sam eine Bewertung der wissenschaftlichenBearbeitung des Problems vorzunehmen, dasbisweilen sogar als wissenschaftliche Fiktionerscheint:„Schlampereien, Fälschungen, Übertreibun-

gen: Die Klimaforschung steckt in einer Ver-trauenskrise. Wie zuverlässig sind die Vorher-sagen über die globale Erwärmung und ihreschlimmen Folgen?“ (Evers et al. 2010: 140).Um bei der Leserschaft Nachvollziehbarkeit

für das wissenschaftliche Konstrukt Klima-wandel zu schaffen und die komplexen Um-weltveränderungen konkret erfahrbar zu ma-chen, bedarf es der Verbindung der Berichtemit lebensweltlichen Wahrnehmungen. Diesgeschieht zum einen, indem über aktuelle,meist mit Schäden verbundene Wetterereig-nisse als Warnzeichen des Klimawandels be-richtet wird (Bornhöft et al. 2002). Auf dieseWeise werden immer neue Ereignisse in denDiskurs über den Klimawandel integriert. Da-bei ist aber anzumerken, dass, auch wenn dieBerichterstattung über aufsehenerregendeWetter- und Witterungsextreme dominiert,schleichende durch den Klimawandel ausge-löste Entwicklungen keineswegs unthemati-siert bleiben. Nachrichten über sich abzeich-nende Veränderungen der natürlichen Umweltwerden dabei nicht selten unhinterfragt ineinen direkten Kausalzusammenhang zum Kli-mawandel gestellt, um Kontinuität in der Be-richterstattung zu erzeugen und auch wenneinzelne Extremereignisse als mit dem Klima-wandel zusammenhängend identifiziert wer-den, soll dies bei den Mediennutzern den Ein-druck einer kohärenten Entwicklung erzeugen(Weingart et al. 2002: 81f.).Nachvollziehbar wird der Klimawandel für

das Publikum auch durch eine Regionalisie-rung der globalen Trends, wodurch die Be-deutung des Klimawandels für die unmittelba-

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re Lebenswelt aufgezeigt werden soll (ebd. :84ff.). Etwa Berichte über die Folgen des Kli-mawandels für den Wintersport in den Alpenmachen dieses Muster deutlich (Knauer 2007:32). Auf diese Weise bietet der Klimawandelden Medien auch die Möglichkeit zur Variati-on. Die Perspektive auf das Thema kann durchdie Beleuchtung unterschiedlicher regionalerEntwicklungen gewechselt werden, wobei dieKontinuität gewahrt wird, indem mit Bezugauf den globalen Klimawandel immer wiederan ein dem Publikum bekanntes Thema ange-knüpft wird.Der Klimawandel hat als Thema in den Me-

dien besonders in den letzten Jahren Konjunk-tur und wird deshalb auch in eigentlich the-menfremden Nachrichten als ein Begrün-dungszusammenhang für bestimmte Entwick-lungen aufgegriffen, was abermals die mit derThematik verbundenen Variationsmöglichkei-ten unterstreicht. So wurde beispielsweiseüber den Grund für Risse in den Stelen derMahnmals für die ermordeten Juden Europasin Berlin berichtet: „Die Amerikaner oder derKlimawandel also, man hätte es sich denkenkönnen, irgendetwas Großes muss die Ursachesein“ (Feldenkirchen 2007: 142).„Jenseits der Titelstories [sic! ] hat sich die

Klimaberichterstattung in den vergangenenzwei Jahrzehnten fest in allen Ressorts eta-bliert (so z. B. im Wirtschaftsressort). Das istals Entwicklung fast noch wichtiger einzu-schätzen als ein alle Jahre wiederkehrenderzusätzlicher Aufmerksamkeits-Peak. Denn dieunzähligen kleinen Artikel und Erwähnungentragen dazu bei, dass Klimawandel als Sinnzu-sammenhang in alle gesellschaftlichen Berei-che hinein getragen wird“ (Engels 2007: o. S.).Mit der medialen Popularität des Klima-

wandels als ein Referenzrahmen für ganz ver-schiedene Prozesse wird abschließend noch-mals die Rolle der Medien bei der Bereitstel-lung von Deutungsmustern für den gesell-schaftlichen Umgang mit dem Klimawandelunterstrichen.

5. Zusammenfassung und Ausblick

Der Klimawandel als soziale Konstruktion istdas Ergebnis von Kommunikationsprozessen,die, was das öffentliche Risikokonstrukt be-trifft, besonders durch die Medien strukturiertwerden. Diese bestimmen durch das Ausmaßund die Art ihrer Berichterstattung über das

Thema die öffentliche Deutung wesentlich.Die Häufigkeit der medialen Berichterstat-

tung über den Klimawandel hängt mit routi-nierten Selektionsmechanismen zusammen. Inder hier vorgenommenen empirischen Unter-suchung konnte aufgezeigt werden, dass derUmfang der Berichterstattung über den Klima-wandel in Der Spiegel bis zum Ende der1990er Jahre insgesamt relativ begrenzt warund erst im neuen Jahrtausend deutlich an-stieg, um im Jahr 2007 den Höhepunkt zu er-reichen und seither wieder abzufallen. Dieauffallend hohe Quantität der medialen Aus-einandersetzung mit dem Klimawandel imJahr 2007 konnte dabei mit verschiedenen Er-eignissen, wie der Veröffentlichung des vier-ten Berichts des IPCC, in Verbindung gebrachtwerden und so die Aktualitätsorientierung inder Medienberichterstattung belegt werden.Wissenschaftliche Erkenntnisse über den

Klimawandel stellen notwendigerweise einewichtige Quelle für die Medien dar, die jedochdie Ergebnisse der Forscher nicht einfachübernehmen, sondern aus der Vielzahl verfüg-barer Informationen die nach ihren selbst ent-wickelten Operationskriterien relevanten se-lektieren und nach bestimmten routiniertenMechanismen aufbereiten. Diesbezüglichkonnte gezeigt werden, dass insbesondere dieUngewissheiten, die den auf Wahrscheinlich-keiten basierenden wissenschaftlichen Model-len eigen sind, in den Medien zur besserenVerständlichkeit oft ausgeblendet werden. Aufdiese Weise wird aus der unsicheren, diffusenBedrohung, die der Klimawandel für Wissen-schaftler darstellt, ein unmittelbar oder mit-telbar existenzbedrohliches Risiko.Die Gefahr einer globalen Erwärmung mit

all ihren erwarteten Negativfolgen ist jedochin den Medien keineswegs das einzige mitdem Klimawandel verbundene Deutungsmus-ter. Vielmehr nahm über die letzten Jahre dieskeptische Kommunikation über den Klima-wandel stark zu. Der vormals oft überspitzt alsExistenzbedrohung dargestellte Klimawandelwird inzwischen deutlich häufiger optimis-tisch betrachtet, indem auf die mögliche An-passung an Klimaveränderungen hingewiesenund so das Risiko als technisch beherrschbardargestellt wird.Von dieser Parallelität gegensätzlicher Deu-

tungen des Klimawandels ausgehend wärefestzustellen, welche Folgen sich aus demCharakter der Konstruktion für die gesell-schaftliche Bearbeitung des Klimawandels als

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Problem ergeben. Dahinter steht die weiter-führende Annahme, dass davon, wie der Kli-mawandel definiert wird, abhängig ist, wel-chen politischen Stellenwert die Thematik ein-nimmt, da die mediale Berichterstattung Pro-blembewusstsein in der Öffentlichkeit unddamit die Legitimationsgrundlage für politi-sche Maßnahmen schafft. Deshalb sollten ne-ben dem in den Medien präsentierten Bildvom Klimawandel auch die Vorstellungen desPublikums einer Analyse unterzogen werden,da diese je nach Interessenlage bestimmte In-halte aus dem vielfältigen Medienangebot se-lektieren und sich entsprechend ihres vorhan-denen Wissens aneignen.

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Die großen Städte dieser Welt treten international

zunehmend in den Fokus des Interesses von Inge-

nieuren, Stadtplanern, Hazard- und Vulnerabili-

tätsforschern, Sozialwissenschaftlern, aber auch

von Politikern und Experten anderer Disziplinen,

denn zusammen mit den ungeheuren Menschen-

massen bündeln sich hier eine Vielzahl von Pro-

blemfeldern. Dieser Artikel beschäftigt sich mit ei-

nem Forschungsprojekt der Helmholtz-Gemein-

schaft über die ausufernden Entwicklungen von

Megacities.

Im Jahr 1809 wählte Heinrich von Kleist diesüdamerikanische Stadt Santiago de Chile zumSchauplatz für seine Novelle Erdbeben in Chi-le. Exakt 200 Jahre später traf die Helmholtz-Gesellschaft – eine der größten Wissenschafts-gesellschaften Deutschlands mit 17 For-schungszentren und 3,3 Milliarden Euro Jah-resbudget – mit der chilenischen Hauptstadtdie gleiche Wahl für eines ihrer Forschungs-projekte. Während Kleist in seinem Text dashistorisch verbürgte Erdbeben vom Mai 1647und seine sozialen Folgen literarisch verarbei-tete (Breuer 2009: 114ff.), forscht die Helm-holtz-Gesellschaft dort exemplarisch zu einemheutzutage hoch brisanten Thema: Risikoräu-me in einer Megastadt. Hatte Santiago de Chi-le zu Zeiten Kleists knapp 50.000 Einwohner,ist die Zahl heute auf fast sieben Millionen an-gewachsen – ohne, dass ein Ende des Bevölke-rungswachstums abzusehen wäre.Santiago de Chile zählt damit zu den so ge-

nannten Megacities (Bronger 1996: 115ff.).Diese sind unbestritten Zentren von innovati-vem Leben und wirtschaftlichem Wachstum,aber insbesondere in Entwicklungsländernscheinen mit zunehmender Größe auch ihreProbleme zu wachsen. Die damit einhergehen-de besondere Relevanz dieses Phänomens wirdim Folgenden anhand einiger Daten und theo-retischen Überlegungen aufgezeigt. Darüberhinaus wird das Projekt der Helmholtz-Ge-meinschaft vorgestellt und dessen normativerAnsatz zur Erfassung und Bewältigung der

Probleme und Risiken dieser Megastädte dis-kutiert.

Das Phänomen der Megastädte

1950 lebten weltweit nur 30  % der Menschenin Städten, 2008 war der Prozentsatz bereitsauf über 50  % gestiegen und Zukunftsszenari-en berechnen für 2030, dass voraussichtlichknapp zwei Drittel der Menschheit in Städtenleben werden (UN-Habitat o.J.). An der Spitzedieser Entwicklung stehen die Megacities.Hierbei handelt es sich um einen quantitativenBegriff. Allerdings fehlt eine einheitliche Defi-nition, ab welcher Einwohnerzahl eine Stadtin diese Kategorie fällt. Je nach Auffassungsind es fünf, acht oder zehn Millionen Ein-wohner. Ein weiteres quantitatives Kriteriumzur Bestimmung von Megacities kann eine Be-völkerungsdichte von mindestens 2000 Ein-wohnern/km² sein (Bronger 1996: 115ff.). Jenach zu Grunde gelegter Definition gab es imJahr 2003 16, 24, oder 39 Megastädte. Pro-gnosen für 2015 besagen, dass der Urbanisie-rungsprozess dann bereits so weit fortgeschrit-ten sein wird, dass weltweit 600 MillionenEinwohner in 60 Megastädten leben werden(Kraas 2003: 9).Parallel zu dieser extremen Entwicklung

häufen sich die Nachrichten von Problemenund Katastrophen in Millionenstädten und dieBetroffenen- und Opferzahlen scheinen per-manent zu steigen. Robert Geipel (2001 : 32)erklärt dieses Phänomen mit einem Zitat derMünchener Rückversicherung aus dem Jahr1997:„Das Katastrophenrisiko ist [. . . ] unmittelbar mit

der Zahl der gefahrenexponierten Städte korre-

liert. Je mehr Städte es in den Gefahrenzonen der

Erde gibt, desto größer ist die Trefferwahrschein-

lichkeit für die verschiedenen Naturereignisse. “

Diese Erklärung ist durchaus einleuchtendund wohl auch zutreffend. Sie beschränkt sichjedoch auf nur den Teil der Risikothematik,der die Exposition der Städte gegenüber star-

Megastädte – Das Risiko wächst mit.Ein Beitrag zum Helmholtz-Gemeinschaft ProjektRisk Habitat Megacity in Santiago de Chile

Yannick Strasmann & Sarah Weiss

Megastädte – Das Risiko wächst mit |

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33entgrenzt 3/2012

ken Naturereignissen in den Vordergrundrückt. Doch darüber hinaus geht das Wachs-tum der städtischen Bevölkerung unmittelbar,vielleicht sogar zwingend, mit einem Risiko-wachstum aus soziologischen Gründen einher.Beschrieben wird ein solcher Zusammenhangdurch die Thesen des Soziologen Ulrich Beck(1986), nach denen sich die Produktion vonReichtum und Risiko simultan verhalten (zi-tiert in Weichselgartner 2001 : 74). Das Stre-ben nach Reichtum kann im Kontext der Urba-nisierung als Wunsch nach verbesserten Le-bensumständen verstanden werden. Dies um-fasst ebenso, die verschiedenen Push- undPull-Faktoren, die die Menschen in die Städteziehen. Gemäß dem Soziologen und Sys-temtheoretiker Niklas Luhmann steigt mit je-dem neuen Einwohner aber auch das Risiko.Dieses ist nach seinem Verständnis immer dasProdukt der Entscheidung eines Individuums.Die Entscheidungsträger und die negativ Be-troffenen können hierbei oftmals Individuenunterschiedlicher Gruppenzugehörigkeit sein.Aus jeder Reaktion, beispielsweise auf Natur-gefahren, entstehen neue Risiken (zitiert inebd. : 74ff.). Jede menschliche Handlung birgtdamit ein gewisses Risiko. Permanent wach-sende Schadensereignisse scheinen nicht nuran die menschliche Sphäre gebunden, sondernscheinen für diese fast unausweichlich zu sein.Akkumulieren sich Menschen in einem Sied-lungsraum, gilt dies im gleichen Maße für Ri-siken.Da aber viele Menschen die Chancen und

damit auch die Risiken einer Stadt, den Nach-teilen und Gefahren des Landlebens vorziehen,ist die anhaltende Verstädterung nicht zubremsen. Verschiedenste Chancen und Risikenbenennt Abbildung 1 . Dabei stellt diese diebeiden Seiten weltweiter Megaurbanisierungdar.Versucht man die positiven wie negativen

Seiten in überschaubarer Weise aufzulisten,liegt dahinter ein gordischer Knoten aus sichin verschiedensten Irrpfaden rückkoppelnderProzesse. So sind soziale, politische, ökologi-sche und ökonomische Aspekte untrennbarverbunden, sie bedingen sich gegenseitig, ver-stärken und regulieren einander.Mit der Forschungsinitiative Risk Habitat

Megacity der Helmholtz-Gemeinschaft soll nunverstanden werden, wie diese kausalen Knotengebunden sind, um so eine Anleitung zu ihrerLösung und nachhaltige Entwicklungspfade zuentwickeln. Erste Ergebnisse des Projekts wer-

den voraussichtlich 2012 veröffentlicht. Dochwie kommen diese zustande? Wie forscht manzu einem so komplexen Thema?

Das Projekt Risk Habitat Megacity

Das Projekt startete im Juli 2007 und wirdvon einem deutsch-chilenischen Konsortiumgetragen. Involviert sind die fünf Zentren derHelmholtz-Gemeinschaft, unter anderem dasZentrum für Infektionsforschung und dasDeutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschungin Leipzig übernahm die Koordination des ge-samten Projektes. Auf chilenischer Seite sindals Partner die Universidad de Chile und eini-ge weitere Universitäten des Landes, aberauch die Economic Commission for LatinAmerica and the Caribbean der Vereinten Na-tionen beteiligt (Kopfmüller et al. 2009: 37).Die Wissenschaftler auf beiden Partnerseitenverfolgen, verteilt auf zehn Arbeitsgruppen,einen integrativen, interdisziplinären und par-tizipativen Ansatz, welcher eine theoretischeund eine anwendungsorientierte Forschungs-richtung miteinander kombiniert. Die so er-zielten Ergebnisse dienen der weiteren For-schungsentwicklung und sollen auf andereStädte weltweit übertragbar sein (Hein-richs/Krellenberg 2007: 12). Für das Projektsteht jährlich ein Etat von etwa zwei MillionenEuro zur Verfügung (Stratmann 2007: 88).Übergeordnetes Gesamtziel des Forschungs-programmes ist es, Beiträge zu leisten, diedem Verständnis der komplexen Urbanisie-rungsprozesse dienen, die Megacities in einRisikohabitat verwandeln. Interaktionen undRückkopplungen innerhalb dieses Komplexessollen erfasst werden, um die Risiken generie-renden und verstärkenden Wechselbeziehun-gen aufzeigen zu können. Es geht jedoch nichtnur um eine Erfassung und Beschreibung, son-dern auch um das Schaffen einer praktikablenBasis, die zukünftige Entscheidungsträger inihrem Handeln unterstützen soll. Daher sindals wichtige Projektpartner auch politischeAkteure auf regionaler Ebene zu nennen.Das gesamte Vorhaben steht unter der

Leitidee der nachhaltigen Stadtentwicklung.Die Lösungsvorschläge sollen sich immer aufdie Gesamtsituation beziehen. Es soll vermie-den werden, in einem System eine Verbesse-rung vorzunehmen, welche sich gegebenen-falls in Subsystemen ins Negative auswirkenkönnten (Heinrichs/Krellenberg 2007: 12).

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Dimensionen

Sozial

Politisch

Ökologisch

Ökonomisch

Vorteile/Nutzen/Chancen

• Besserer Zugang zu Bildungs- &Gesundheitseinrichtungen

• Interkulturelle Diversität,Interaktion und Austausch

• Steigende Lebenserwartung• ErweiterteSozialgesetzgebung undKontrollmöglichkeiten

• Wachsende Kohärenz vonGemeinwesen und Nachbarschaften

• Verringerte Vulnerabilität

• Verbesserte Informations- undKommunikationssysteme

• Steigende Partizipation inpolitischen Entscheidungsprozessen

• Erleichterte Regierungsführung/Umsetzung und Durchsetzung vonGesetzen

• Stärkung ziviler Institutionen• Wachsende Multi-StakeholderPartizipation

• Abnehmender Flächenverbrauchpro Kopf (z.   T. durchHochhausbebauung)

• Effizientere Landnutzungsplanung• EffizientererRessourcenverbrauch

• Schließung von Material-,Wasser, Energieflüssen (bessereRecyclingmöglichkeiten)

• Umfassenderes Monitoring undManagement von Mensch-Natur-Interaktionen

• Management urbaner Biodiversität

• Zunehmende Interaktions- undAbstimmungsmöglichkeitenökonomischer Sektoren

• Verbesserte Infrastruktur, kurzeTransportwege

• Zunehmende Einkommen,Wohlstandsanstieg

• Agglomerationsvorteile• Produktivitätswachstum• Kreativitätszunahme• Wissenschaftliche Innovationen• Verbesserte Sicherheits- undWohlfahrtssysteme

Nachteile/Probleme/Risiken

• Vergrößerte sozioökonomischeDisparitäten/soz. Fragmentierung

• Informelle/illegale Siedlungen• Soziale Desorganisationen:Konflikte, Kriminalität, Unruhen

• Verdrängungsprozesse• Wachsende Vulnerabilitätmarginalisierter Gruppen

• Korruption, Bestechung,Nepotismus

• Verlust der Regier- undSteuerbarkeit

• Wachsende Informalität inEntscheidungsprozessen,Selbstorganisation öffentlicherFunktionen (z.B. Sicherheits-dienste, Mafiastrukturen)

• Verlust gerechter Repräsentationder Öffentlichkeit

• Inkonsistente Gesetzgebung

• Urbane Flächenausdehnung,fragmentierte Landnutzung

• Luft-, Wasser-undBodenverschmutzung

• Entsorgungsprobleme• Landabsenkung, steigendeÜberschwemmungsgefahr

• Expansion in ökologisch sensibleGebiete

• Bodendegradierung,Bodenversiegelung

• Rudimentäre, nichtexistenteInfrastruktur (Wasser, Energie,Kommunikation)

• Geringe Arbeitskosten, Ausbeutungvon Arbeitskraft

• Breites Spektrum informellerAktivitäten

• Zerfallende Stadtstrukturen• Unverrechnete Wasser- undEnergieflüsse

• Migrations- und Pendlerströme• Massenarbeitslosigkeit undUnterbeschäftigung

Abbildung 1: Die zwei Seiten weltweiter Megaurbanisierung, Quelle: eigene Darstellung nach Kraas/Nitschke 2006: 22

Megastädte – Das Risiko wächst mit |

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Die konkretisierte Zielsetzung für das For-schungsprojekt Risk Habitat Megacity wurde imVorfeld in folgenden Punkten festgehalten(Kopfmüller et al. 2009: 36):

• Konkretisierung zentraler Ziele für diezukünftige nachhaltige Entwicklung vonMegastädten

• Identifizierung der wichtigsten Phäno-mene, die eine Realisierung dieser Zielegefährden

• Identifikation und Bewertung charakte-ristischer Risiken sowie die Analyse ihrerUrsachen und Wirkungszusammenhänge

• Entwicklung von Strategien für ein Risi-komanagement zur Stärkung der Nach-haltigkeit

• Erarbeitung praxisrelevanter Lösungsan-sätze unter Berücksichtigung institutio-neller, kultureller, politischer, ökonomi-scher und sozialer Aspekte

• Etablierung einer Plattform zur Integra-tion von Forschungsergebnissen in dieuniversitäre Lehre und die kommunalePraxis

Bevor es zum Zusammenschluss des Konsorti-ums kam, wurde bereits Lateinamerika als ge-eignetes Forschungsgebiet ausgewählt, da esdort die mit am stärksten verstädterten Regio-nen gibt. Die Vereinten Nationen gaben 2003für dieses Gebiet einen Prozentsatz von 77  %urbaner Bevölkerung an. Damit wurde eindoppelt so hoher Wert wie in Asien und Afrikafestgestellt (ebd. : 38).Auch wenn einige Studien in anderen Städ-

ten angelegt sind, so lag der Fokus auf Santia-go de Chile, um die Stadt als erstes Fallbei-spiel und Ankerstadt des Projektes zu etablie-ren. Obwohl sie weltweit nicht zu den größtenMegacities zählt, weist sie mit rund siebenMillionen Einwohnern alle typischen Charak-teristika und Probleme größerer Megacitiesauf, sei es die rasante Ausbreitung des ver-städterten Gebietes, Suburbanisierung, ver-stärkte Umweltbelastung oder gesundheitsge-fährdende Verschmutzung. Die am Stadtrandneu errichteten luxuriösen Wohngebiete liegenzudem in von Erdbeben, Überflutung unddurch Bergstürze gefährdeten Gebieten (Hein-richs/Krellenberg 2007: 13). Hinzu kommt,dass die Urbanisierung dort eine Phase er-reicht hat, in der die Land-Stadt-Wanderungzunehmend durch intra-urbane und interna-tionale Wanderungsprozesse ersetzt wird. In-

nerhalb der Stadt kommt es zu einer stärkerenPolarisierung und markanteren sozialen, öko-nomischen und funktionalen Ausdifferenzie-rung (Kopfmüller et al. 2009: 38).Das Grundgerüst des Projektaufbaus besteht

aus drei Querschnittskonzepten: NachhaltigeEntwicklung, Risiko und Governance.Das Konzept Nachhaltige Entwicklung for-

muliert sozusagen das Ziel der gesamten In-itiative und dient der Orientierung. Geplantist, den gewünschten zukünftigen Zustand zukonkretisieren und eine Art Leitlinie bereitzu-stellen.Risiko als Konzept beschäftigt sich mit dem

Schweregrad, mit dem die megastadttypischenProbleme auftreten und zukünftig eine mögli-che Bedrohung für den Nachhaltigkeitsgedan-ken der positiven Stadtentwicklung darstellen.Als drittes Konzept beschäftigt sich Gover-

nance mit den möglichen Handlungsaktionenund Problemlösungsansätzen, die aus dem er-mittelten Wissen und daraus folgenden Analy-sen entstehen können (Heinrichs/Krellenberg2007: 9).Die drei Konzepte werden im weiteren Vor-

gehen auf insgesamt sieben megastadttypischeProbleme bzw. Handlungsfelder angewendet:Landnutzungsmanagement, Umgang mit sozi-alräumlicher Differenzierung, Gestaltung desEnergiesystems, Gestaltung der Transportsys-teme, Verminderung der Luftverschmutzungund deren Auswirkungen auf die Gesundheit,Organisation der Wasserver- und Abwasse-rentsorgung sowie Gestaltung des Abfallmana-gements (Kopfmüller et al. 2009: 37). DieKombination aus den drei theoriebasiertenKonzepten und den sieben empirischen Ansät-zen soll der Forschung eine angemesseneGrundlage bieten (Heinrichs/Krellenberg2007: 9).Als Besonderheit oder Zielsetzung des Pro-

jektes wird die Integration in unterschiedlicheBereiche und auf verschiedenen Niveaus be-trachtet. Sowohl die Integration von Natur-,Sozial- und Ingenieurswissenschaften (Inter-disziplinarität), als auch die Einbeziehung vonmehreren zeitlichen und räumlichen Größen-einheiten werden als wichtig erachtet. Vor-schläge sollen für den gegenwärtigen Zustandgemacht werden. Der Aspekt der langfristigenNachhaltigkeit soll dabei jedoch nicht verges-sen werden. Nicht zu vergessen ist auch dieIntegration von kulturellen Aspekten. Länder-spezifische Traditionen und Gepflogenheitenwirken sich auf die Möglichkeiten der Pro-

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blemlösung aus und sollten in den Handlungs-anweisungen Beachtung finden (Heinrichs etal. 2007).Das Projekt ist in zwei Phasen eingeteilt.

Der Zeitraum von 2007 bis 2010 diente derAufnahme von empirischen Daten in Santiagode Chile. Des Weiteren werden Nachhaltig-keitsindikatoren entwickelt, Status-Analysendurchgeführt, und die ermittelten aktuellenZustände den Zielvorstellungen gegenüberge-stellt. In diese Phase gehörte zudem die Ent-wicklung von Modellen und Szenarien. Diedaraus resultierenden Ergebnisse werden inneue Risikomanagementkonzepte und –ver-minderungsstrategien integriert. Außerdemwird das Grundkonzept auch hinsichtlich derräumlichen Übertragbarkeit geprüft, was rele-vant für die darauf folgende zweite Hälfte desProjekts sein wird. Innerhalb des letzten Jah-res der ersten Phase werden die Szenarioana-lysen für die sieben Themenfelder begonnen.In der zweiten Projektphase, die von 2010

bis 2013 ablaufen soll, werden die entwickel-ten Konzepte der Risk Habitat Megacity Initiati-ve auf zwei weitere lateinamerikanische Städ-te übertragen. Eine Herausforderung hierbeiwird sein, ob das an die Stadt Santiago de Chi-le angepasste Grundgerüst einen geeignetenAnsatz bildet, um auch auf andere Megastädteangewendet werden zu können (Hein-richs/Krellenberg 2007: 17).

Megacities – aktuelles und zukünftiges Forschungsfeld

Deutschland wirbt mit seinen Initiativen zurMegacityforschung als nationaler Beitrag zur„globalen Nachhaltigkeit“ (ebd. : 71 ). DieHelmholtz Gemeinschaft rechtfertigt, dassLänder ohne eigene mega-urbane Räume, Gel-der in diesen Forschungsbereich stecken, mitden grenzübergreifenden Gefahren, die vondiesen Risikoballungsbereichen ausgehen sol-len. So zum Beispiel Epidemien, die durch dieunzureichend hygienischen Bedingungen inden Megastädten ausbrechen und durch deninternationalen Flugverkehr leicht globaleAusbreitungsmöglichkeiten erlangen können(Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung –UFZ Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 2006).Etwa gleichrangig zum Megacity Projekt

der Helmholtz Gemeinschaft existieren inDeutschland noch zwei weitere Forschungs-programme, das zum einen vom Bundesminis-terium für Bildung und Forschung (BMBF) fi-nanzierte Projekt Forschung für die nachhalti-

ge Entwicklung der Megastädte von morgenund zum anderen das Projekt Megastädte: In-formelle Dynamik des globalen Wandels derDeutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). DieForschungsgelder werden in unterschiedlicherHöhe auf diese drei Initiativen verteilt undwerden schätzungsweise für die nächsten Jah-re ca. 85 Millionen Euro betragen.Soweit lässt sich resümieren, dass sich die

Helmholtz Gemeinschaft mit der Erforschungder Megacities eines großen und komplexenProblemfeldes angenommen hat. Der Ver-schachtelung der Kausalprozesse, die in einerMegastadt wirken, versucht sie mit kleinteili-ger und detaillierter Prozessuntersuchung zubegegnen. Dabei sollen Theorie und Konzepti-on, Wissenschaft und Praxis Berücksichtigungfinden. Inter- und Transdisziplinarität werdengroßgeschrieben, Akteure unterschiedlichsterArt werden mit einbezogen und unterstützt. Inder Gesamtheit ermöglicht das Projekt so zu-nehmend mehr Faktoren und Komponenten zuentdecken und dem großen Ganzen des Mega-city-Risikos zuzurechnen. Das Risiko selbstmutiert zu einem Überbegriff für alles Negati-ve, was der Menschheit droht und drohenkönnte (Büscher 2010: 2). Niklas Luhmannbeschreibt das Dilemma, dass auch oder gera-de jene Handlungen, mit denen wir Gefahrenund Risiken umgehen wollen, neue Risikenhervorrufen – und zwar unumgänglich. Letzt-endlich birgt auch die Erforschung des Risikosgewisse Risiken (zitiert in Weichselgartner2001 : 73).Die Auswirkungen des globalen Wandels

auf Megastädte, sowohl die positiven als auchdie problematischen, werden weiterhin dasForschungsinteresse sein (Kraas 2007: 878).Vielleicht braucht es aber die Einsicht, dasssich ein gordischer Knoten nicht so einfach lö-sen lässt, indem man genauer und genauer je-de Verstrickung zu verstehen versucht. Viel-leicht braucht es einen neuen Ansatz, um dasKomplizierte auf einfache Weise zu lösen.

Megastädte – Das Risiko wächst mit |

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37entgrenzt 3/2012

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„Ohne Frühwarnung und Prävention werden wir

die Millenniumsziele – wie z.   B. die Halbierung

der Armut – nicht erreichen. Nur wenn wir Vor-

sorge treffen, dass Menschen ihre Häuser, Stra-

ßen, Schulen und Krankenhäuser nicht immer

wieder in Naturkatastrophen verlieren, werden

wir dabei erfolgreich sein. “

–  Jürgen Trittin, Bundesumweltminister

1998–2005 am 16. 10.03 zur Eröffnung der 2.

Internationalen Frühwarnkonferenz in Bonn

Naturkatastrophen treten immer häufiger auf und

verursachen immer höhere Schäden, besonders in

gering entwickelten Ländern. Dort können sie die

nationalen und internationalen Bemühungen zur

Entwicklungsarbeit erheblich gefährden oder zer-

stören. Risikoanalysen zur Abschätzung der Stär-

ke und Häufigkeit der Bedrohung einerseits und

der anfälligen Gesellschaften andererseits sollten

daher im Rahmen von nationalen Strategien zum

Katastrophenmanagement durchgeführt werden

und bei Planungsprozessen berücksichtigt werden.

Dieser Artikel erklärt die einzelnen Schritte der

Risikoanalyse sowie wichtige Begriffe und fasst

vorhandene Konzepte und Methoden der Risiko-

analyse zusammen. Da der Fokus hier auf der

Analyse von Naturrisiken in gering entwickelten

Ländern liegen soll, werden auch das Vorgehen

und wichtige Literatur im Kontext der Entwick-

lungszusammenarbeit vorgestellt. Es zeigt sich,

dass die Risikoanalyse je nach Bedrohungstyp,

Datenverfügbarkeit und Finanzierungsmöglichkei-

ten variiert. Mehrere Studien weisen darauf hin,

dass die individuelle Risikowahrnehmung der be-

troffenen Bevölkerung berücksichtigt werden

muss, um langfristig erfolgreiche nationale Stra-

tegien zum Umgang mit Naturkatastrophen zu

entwickeln.

1. Einleitung

Die zunehmende Anzahl von Naturkatastro-phen und ihre immer weiter reichenden Aus-wirkungen machen es notwendig Untersu-chung möglicher Naturrisiken in Planungs-und Entwicklungsprozesse zu integrieren, umAuftrittswahrscheinlichkeit und Schadensaus-maß abzuschätzen. Auch die Umsetzung vonEntwicklungszielen, wie die Halbierung derArmut, wird immer wieder durch auftretendeNaturkatastrophen gefährdet, wie der ehema-lige Bundesumweltminister feststellt. Die An-zahl der aufgetreten Naturkatastrophen hatsich von 1975 bis 2010 mehr als versechs-facht auf über 400 Ereignisse im Jahr und dieökonomischen Kosten haben sich im selbenZeitraum von 5 auf 120 Milliarden US$ er-höht (Centre for Research on the Epidemiolo-gy of Disasters (CRED) 2009). Naturkatastro-phen könnten noch häufiger auftreten, da dieHäufigkeit und Stärke von Extremereignissenteilweise zunimmt, wie z.   B. die Intensität vonNiederschlägen in den mittleren und hohenBreiten oder die Länge und Intensität vonHurrikans aufgrund steigender Meerestempe-raturen (Trenberth et al. 2007: 305). DieserBeitrag soll einen Überblick über die Instru-mente und Ideen der Risikoanalyse von Na-turkatastrophen verschaffen, wobei berück-sichtigt werden soll, dass die objektive Risiko-abschätzung durch eine Analyse der individu-ellen Risikowahrnehmung sinnvoll ergänztwerden kann. Schließlich werden Umset-zungsmöglichkeiten in nationalen Plänen zumKatastrophenrisikomanagement und zur nach-haltigen Entwicklung, in Raumordnungsplä-nen von Gemeinden sowie privaten und öf-fentlichen Projektplanungen vorgestellt. Be-sondere Berücksichtigung findet die Reduzie-rung von Risiken in Ländern mit geringemEntwicklungsstand, in denen mehr als 90 %der Todesfälle im Zusammenhang mit Natur-

Beurteilung von Risiken aus Naturgefahrendurch Risikoanalyse und ihre Umsetzung imKatastrophenmanagement: ein Blick auf vorhandeneKonzepte und Methoden

Katharina Waha

Beurteilung von Risiken aus Naturgefahren durch Risikoanalyse |

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katastrophen auftreten, da sie häufig anfälli-ger sind und eine geringere Selbstschutzfähig-keit haben.

2. Begriffe und Instrumente der Risikoanalyse

In der praktischen Risikoanalyse ergibt sichder Begriff Risiko als Produkt aus Bedrohungund Anfälligkeit (vulnerability) also als Konse-quenz eines eingetretenen Naturereignisses ineiner anfälligen Region. Eine Bedrohung istdabei jedes Naturphänomen, das den Verlustvon Menschenleben oder Sachschäden be-dingt. Sie werden durch ihren Typ, Verortungund Ausdehnung, ihr Schadenspotenzial (Aus-maß und Intensität) sowie durch ihre Ein-trittswahrscheinlichkeit und ihr Wiederkehrin-tervall (Dauer und Frequenz des Ereignisses)abgegrenzt (Kohler et al. 2004: 8). Um einBeispiel zu geben: Ein außergewöhnlich star-kes Niederschlagsereignis an der Küste Perusist eine meteorologische Bedrohung, die zy-klisch alle zwei bis sieben Jahre, verbundenmit dem El-Niño-Phänomen, einige Wochenauftritt und in ihrem Schadenspotenzial jenach Angepasstheit der Region an das Natur-ereignis variiert. Meist geht solch ein Nieder-schlagsereignis jedoch mit Überschwemmung,Bodenabtrag und Hangrutschung einher. Da-bei haben Bedrohungen unterschiedlich lange

Wirkungsketten. Die direkteste Wirkung hatein starkes Niederschlagsereignis auf instabileGebäudedächer, während Erosion und Über-schwemmung Konsequenzen einer längerenWirkungskette sind (ebd.).Schadenspotenzial und Ausmaß der Bedro-

hung hängen eng mit der Beschaffenheit derfür die Bedrohung anfälligen Elemente zusam-men. Die Anfälligkeit des betroffenen Gebietesstellt dabei die Empfindlichkeit und Verletz-barkeit der darin lokalisierten gesellschaftli-chen Elemente (Sach- und Umweltelemente)dar. Jedoch bestimmen, neben der physischenVerwundbarkeit, auch lokale Kenntnisse derBedrohung sowie Schutzsysteme als vorsor-gende Maßnahmen und die Fähigkeit sich vonden Schäden zu erholen den Grad der Anfäl-ligkeit. Diese setzt sich zusammen aus physi-schen, sozialen, ökologischen und ökonomi-schen Faktoren. In welchem Ausmaß jederFaktor die gesamte Anfälligkeit erhöht, hängtvon Bedrohungstyp und Standort ab (ebd.).Schließlich ergeben sich aus dem Zusam-

mentreffen eines mit einer bestimmten Wahr-scheinlichkeit auftretenden Naturereignissesmit anfälligen Elementen, die Wahrscheinlich-keit von Schäden an Einrichtungen, Sachge-genständen oder der Umwelt sowie der Ver-lust an Menschenleben.

Hydrologische und meteorologische Ursachen● Springflut, Überschwemmung, Starkniederschläge, Murenabgang, Erdrutsch,

Schlammströme, Schneelawinen● Hagel, Frost, Blitzschlag● Tropische Zyklonen, Orkane, Schneesturm, Sandsturm

Geologische und geomorphologische Ursachen● Erdbeben, Seebeben, Tsunamis● Vulkanische Eruptionen● Massenbewegungen

Biologische Ursachen● Epidemien, Schädlinge● Tier- und Pflanzenkrankheiten

Abbildung 1: Bedrohungstypen, Quelle: eigene Darstellung, nach ISDR 2004: 39 und Kohler et al. 2004: 22

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2.1 Bedrohungsanalyse

Die Bedrohungsanalyse soll über Bedrohungs-typ, Verortung und räumliches Ausmaß sowiemöglichst über Intensität und Dauer Auskunftgeben, um das Zerstörungspotenzial zu be-stimmen. Außerdem soll mit Hilfe passenderFaktoren die Eintrittswahrscheinlichkeit be-stimmt werden. Um den Bedrohungstyp zuidentifizieren, sollten die zu erwartenden Be-drohungen nach ihren Ursachen kategorisiertwerden (Abb. 1 ).Natürlich können Naturgefahren auch meh-

rere Ursachen aufweisen, beispielsweise kön-nen Erdrutsche und Muren einerseits meteoro-logische als auch geomorphologische Ursa-chen haben. Sind die auslösenden Faktorenhinreichend bekannt und analysiert, kann dieEintrittswahrscheinlichkeit sowie das Ausmaßund die Intensität auf ordinalen Skalen (nied-rig-mittel-hoch) eingeordnet werden, z.   B. fürErdbeben (Richter 1935: 31 ) oder Tsunamis(Papadopoulos/Imamura 2001 : 169).Zur Abschätzung der Eintrittswahrschein-

lichkeit und der zu erwartenden Intensität vonErdbeben können meist nur physikalische oderstatische Modelle herangezogen werden. DieErstellung eines Kataloges vergangener Ereig-nisse und ihrer Intensitäten, die Lokalisierungvon tektonischen Bruchlinien (Bhattacharya etal. 2011 : 3) sowie seismologische, geodäti-sche, hydrologische, geo-chemische und elek-

tromagnetische Messungen können momentannoch keine allgemeingültige Erklärung desProzesses bieten (Geller 1997: 442), so dassnur Wahrscheinlichkeiten des Auftretens einesErdbebens in einer Region berechnet werdenkönnen.Für Massenbewegungen, die räumlich ein

viel geringeres Ausmaß haben, können Geo-metrie und Beschaffenheit des Hanges, die Ge-steinszusammensetzung (Carrara et al. 1999:120), Bodeneigenschaften, der Grad der Bo-denbedeckung und die Nutzung des BodensAufschluss über den Gefährdungsgrad einerRegion geben. Zudem bestimmen hydroklima-tische Faktoren und der Bodenwassergehaltden Grad der Bedrohung (Crozier 1999: 826).Hochwasser und Überschwemmungen ha-

ben einerseits eine meteorologische Ursache,wie Starkniederschläge im Einzugsgebiet, sodass eine Prognose der zu erwartenden Nie-derschlagsmengen durch Wettermodelle her-angezogen werden kann (Vieux/Bedient 1998:408). Andererseits sollten die Beschaffenheitdes Flussbettes, die Größe der Retentionsflä-chen und ihre Bodeneigenschaften (Infiltrati-onsvermögen) untersucht sowie die Pegelstän-de überprüft werden.Dürreereignisse bieten ein Beispiel dafür,

dass eine Bedrohungsanalyse nicht ausreicht,um das Risiko adäquat abzuschätzen. Tro-ckenperioden in den Tropen treten häufig imZusammenhang mit El-Niño-Ereignissen auf

Abbildung 2: Bedrohungsanalyse mit Hilfe der Vergabe von Relativwerten am Beispiel Massenbewegung an stark geneigten Hängen miteinigen einfachen Faktoren, Quelle: eigene Darstellung

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(Lyon 2004: 1 ), die mit charakteristischenLuftdruckanomalien und einer Erhöhung derMeeresoberflächentemperatur im östlichen Pa-zifik einhergehen (Anyamba/Eastman 1996:2543) und können daher prognostiziert wer-den. Das Ausmaß der Trockenheit kann durchAuswertung von Satellitenbildern geschehen,von denen Vegetationsindizes abgeleitet wer-den (ebd.). Doch ob aus dem Fehlen von Nie-derschlag auch eine landwirtschaftliche Dürreresultiert, ist in starkem Maße von der Ange-passtheit und Belastbarkeit einer Region, dieihre Anfälligkeit ausmacht, abhängig.Bedrohungskarten helfen den Grad und das

Ausmaß der Bedrohung aus Einzelfaktoren ab-zuschätzen und die Bedrohung räumlich zuverorten. Vor allem Simulationsmodelle undSatellitendaten helfen Gebiete abzugrenzen,die mehr oder weniger stark betroffen vonz.   B. Überschwemmungen (Islam/Sado 2000:339) oder Ascheniederschlägen und Schlamm-strömen nach einem Vulkanausbruch (Pare-schi et al. 2000: 366) sein können und erleich-tern Planungsprozesse. Für die Erstellung vonBedrohungskarten in Gebieten mit schlechterDatenverfügbarkeit kann die Vergabe von Re-lativwerten hilfreich sein. Dabei wird die Ge-wichtung jedes Faktors festgelegt und die Ein-stufung der Eintrittswahrscheinlichkeit undIntensität der Bedrohung erleichtert. Abbil-dung 2 verdeutlicht diese Methode am Bei-spiel von Massenbewegungen an stark geneig-ten Hängen.Im Falle von Hangrutschungen und Berg-

stürzen erhöhen der Grad der Hangneigung,fehlende Bodenbedeckung und die Häufigkeitbereits stattgefundener Massenbewegung mitunterschiedlicher Gewichtung die Eintritts-wahrscheinlichkeit und den Grad der Bedro-hung.

2.2 Anfälligkeitsanalyse

Die Anfälligkeitsanalyse soll einen Überblickdarüber verschaffen, wie verletzlich eine Regi-on oder Gruppe gegenüber einer möglichenBedrohung ist. Ihre Verletzlichkeit ergibt sichdabei aus mehreren Faktoren (Kohler et al.2004: 24):- Physische Aspekte von Anfälligkeit bezie-

hen sich z.   B. in erdbebengefährdeten Gebie-ten auf die Lage und Bauweise von Wohnhäu-sern, öffentlichen Gebäuden und Basisinfra-struktur. Außerdem können die Bevölkerungs-dichte oder der Grad der Abgeschiedenheit

einer Siedlung als physische Anfälligkeit iden-tifiziert werden.- Soziale Faktoren von Anfälligkeit definie-

ren sich über den Grad des Wohlergehens ei-nes Individuums und/oder einer Gesellschaft.Faktoren, welche die soziale Anfälligkeit einesGesellschaftssystems bestimmen, sind das Vor-handensein von Sicherheit und Frieden, dieRechtslage und Garantie von Menschenrech-ten, soziale Gerechtigkeit, Machtstrukturenund der Zugang zu Informationen. Da einigeGruppen anfälliger sind als andere, müssenauch Faktoren wie Gesundheitsstatus, Bildungund Erziehung, Minderheiten, Altersstrukturund Geschlechterverteilung sowie traditionelleWissenssysteme und kulturelle Aspekte in dieAnalyse einbezogen werden.- Ökonomische Faktoren, durch die sich die

Anfälligkeit einer Personengruppe bestimmt,sind ihre Einkommens- und Ernährungslageals auch ihr Zugang zu Krediten und Finanzie-rungsmöglichkeiten. Weiterhin wird ökonomi-sche Anfälligkeit durch den Grad der Ver-schuldung von Einzelpersonen oder Gemein-den und ihren Zugang zu Ressourcen wieTransport, Wasser und Energie bestimmt.- Schlüsselaspekte der ökologischen Anfäl-

ligkeit sind die Existenz von nutzbarem Bodenund Wasser sowie die Stabilität des Ökosys-tems. Weiterhin können Kontaminationen, in-adäquate Müllentsorgungssysteme, Bodende-gradation sowie verminderte Biodiversität dieökologische Anfälligkeit erhöhen.Anfällige Elemente können nur entstehen,

wenn sie einer Bedrohung ausgesetzt sind.Wenn das Gebiet der Bedrohung also lokali-siert wurde, folgt als nächster Schritt die Auf-nahme der für diese spezifische Bedrohunganfälligen Elemente. Ist ein Gebiet beispiels-weise durch Dürren bedroht, sind als anfälligeElemente landwirtschaftliche Flächen undProduktionssysteme zu untersuchen. Anstattdie verschiedenen Anfälligkeitsfaktoren zu un-tersuchen, kann auch die Frage nach der Ex-position (exposition) anfälliger Elemente undihrem Anpassungsvermögen (adaptive capacity)oder ihrer Selbstschutzfähigkeit (resilience) ge-stellt werden (Smit/Wandel 2006: 286). DieAnalyse der Exposition von z.   B. Wohnhäusernim Falle einer Hangrutschung kann dabei ihrerphysischen Anfälligkeit (Lage und Bauweise)entsprechen, während Selbstschutzfähigkeitdie soziale Anfälligkeit der Bewohner d.   h. ih-re Möglichkeiten zum Wiederaufbau sowie ih-re finanziellen Rücklagen und ihr Einkommen

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darstellt. Der Begriff zielt dabei aber auch aufden Grad der Vorbereitung auf mögliche Be-drohungen.Eine partizipative Anfälligkeitsanalyse

(Kohler et al. 2004: 29) kann zum besserenVerständnis der Wahrnehmung der Bevölke-rung beitragen und bietet andererseits dieMöglichkeit, die betroffene Bevölkerung zusensibilisieren, und gleichzeitig ihre sozialeAnfälligkeit zu verringern. Dazu können Fort-bildungen, Workshops oder auch eine gemein-same Analyse der anfälligen Elemente beitra-gen. Besonders im Falle von Anfälligkeitsana-lysen, die sich auf eine gering strukturierteDatenbasis stützen, stellt dies eine Möglichkeitzum besseren Verständnis des Bedrohungs-An-fälligkeits-Gefüges dar.Bedrohungs- und Anfälligkeitsanalysen kön-

nen für ganze Regionen erstellt werden (terri-toriale Risikoanalyse) oder sich auch nur aufeinzelne private oder öffentliche Projekte be-schränken (projektorientierte Risikoanalyse).Wenn ein öffentliches oder privates Projekt ineinem gefährdeten Gebiet geplant wird, sollteeine Risikoanalyse in die Planungsphase inte-griert werden, um mögliche Risiken zu verhin-dern. Besteht ein Infrastrukturprojekt bereitsoder wird in der Bauphase durch eine Natur-gefahr bedroht, kann die Risikoanalyse beimWideraufbau eingesetzt werden oder zumin-dest korrigierende Maßnahmen beim Manage-ment der Katastrophe vorschlagen.

3. Risikowahrnehmung und ihre Implementierung in dieAnalyse

Kohler et al. (2004: 14) weisen darauf hin,dass die Risikowahrnehmung oder eben die„Risikonichtwahrnehmung“ der wichtigste An-fälligkeitsfaktor sein kann. Deshalb soll in die-sem Kapitel dargestellt werden wie sie unter-sucht werden kann, um die betroffene Bevöl-kerung in ausreichendem Maße in Planungs-prozesse zu integrieren.Menschen, die in Regionen mit häufig wie-

derkehrenden Katastrophenfällen leben, hat-ten schon immer eigene Strategien, um mitderen Auswirkungen fertig zu werden undverließen sich nicht auf Unterstützung vonAußenstehenden oder ihrer Regierung (Heij-mans 2001 : 4). Sie übernahmen Kenntnisse,Wissen und Technologien von ihren Vorfahrenund verlassen sich auf ihre eigenen Erfahrun-gen, um Naturrisiken zu vermeiden wie z.   B.Viehhalter in ariden Regionen des Mittleren

Ostens und Nordafrikas (Hazell et al. 2001 :10). Dementsprechend verändert sich ihre in-dividuelle Risikowahrnehmung, doch nichtimmer schützen traditionelle Strategien zurRisikovermeidung oder -verringerung die be-troffene Bevölkerung.Die individuelle Risikowahrnehmung (per-

ceived risk) wurde zuerst von Soziologen ge-genüber dem Begriff des objektiven Risikos(objective risk) verteidigt, wobei objektive Fak-toren auch eine Rolle bei der individuellen Ri-sikowahrnehmung spielen können (Boholm1998: 145). Die Wahrnehmung wird dabeidurch die Beurteilung der Art und Auswirkungder Katastrophe bestimmt. Ist die Bedrohungallgegenwärtig, ein normaler Bestandteil desLebens, eher selten oder tritt die Bedrohungzum ersten Mal auf? Die Möglichkeiten derBevölkerung, das Risiko zu reduzieren, wer-den durch ihr Vorwissen, die Geschlechter-und Altersverteilung ihres Haushaltes und ihreBewältigungsstrategien bestimmt (Heijmans2001 : 6).Die individuelle Risikowahrnehmung wirkt

sich je nach Wahrnehmungstyp auf die Anfäl-ligkeit einer betroffenen Gruppe aus. Drei Mo-delle können unterschieden werden, in denendie Bedrohung unterschiedlich wahrgenom-men und gehandhabt wird (Hidajat 2001 : 7):

1 . Die Gefahr wird als in Intervallen undZyklen wiederkehrendes Phänomen be-trachtet und dementsprechend in dieLebenssituation integriert.

2. Die Gefahr wird erkannt und wahrge-nommen, auftretende Ereignisse werdenallerdings als willkürlich betrachtet. Beidieser Form der Wahrnehmung wird dieVerantwortung einer „höhere“ Machtzugesprochen: der jeweiligen Regierung,Natur oder Religion.

3. Die Gefahr wird als nicht existent ange-sehen und aufgetretene Ereignisse wer-den als Zufälle eingeordnet, die sich mitäußerst geringer Wahrscheinlichkeitwiederholen werden.

Die negierende Form der Risikowahrnehmungerhöht die Anfälligkeit der betroffenen Ge-meinschaft am stärksten, da aus ihr nicht wieaus den beiden anderen Formen die Gefahren-reduktion verlangt wird, um das Risiko zuvermindern (ebd.).Ein Beispiel für das unterschiedliche Ver-

ständnis von Bedrohung und Anfälligkeit der

Beurteilung von Risiken aus Naturgefahren durch Risikoanalyse |

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lokalen Bevölkerung und ihrer Staatsregierungbietet die Gruppe der an den Hängen des Vul-kans Mayon lebenden Bauern auf den Philip-pinen. Er ist der aktivste Vulkan des Landesund in den letzten 400 Jahren mehr als 50Mal ausgebrochen. An seinen Hängen zu lebengibt den Bauern allerdings die Möglichkeit,auch ohne Besitzrechte des Ackerlandes ihrenLebensunterhalt zu sichern. Daher ist ihre To-leranz gegenüber dem Risiko auch gestiegen.Evakuierungsanweisungen der Regierung wer-den dementsprechend ignoriert, solange keinesichtbaren Zeichen eines bevorstehenden Aus-bruchs erkennbar sind. Erst wenn sie Rauchund Lavaströme sehen, verlassen die Men-schen ihre Häuser. Dieses Verhalten wird nochverstärkt durch die Tatsache, dass die Lebens-bedingungen in Evakuierungszentren sehrschlecht sind und sie dort eher um ihr Lebenfürchten müssten. Zusätzlich zur Beobachtungder vulkanischen Aktivität sollte die Regie-rung der betroffenen Bevölkerung Ackerlandzur Verfügung stellen, damit sie weniger ge-fährdet ihre Ernährung sichern können (Heij-mans 2001 : 7).Das Beispiel zeigt, dass Menschen ihr Ver-

halten längst nicht ausschließlich nach derEintrittswahrscheinlichkeit und dem Scha-densausmaß eines Risikos ausrichten. Die Risi-kowahrnehmung verschiedener Gruppen kannmittels Befragungen und Interviews untersuchtwerden, um sie mit der Risikoanalyse in derRisikobewertung zu verbinden (Renn/Klinke1998: 12). Dabei wird nach dem vorhandenenWissen über und Erfahrungen mit der jeweili-gen Bedrohung gefragt sowie der Umgang mitdieser erforscht (Hidajat  2001 :   40). Aus diesenErgebnissen lassen sich einerseits soziale An-fälligkeiten ableiten, als auch angepasste Emp-fehlungen für den Katastrophenfall entwi-ckeln.

4. Formen der Umsetzung der Risikoanalyse

Die Ergebnisse der Risikoanalyse können inForm von Risiko- und Bedrohungskarten, Sze-narien, Prognosen und Risikobewertungen inRisikoberichten dargestellt sein. Dabei stehendie Beschreibung der Art des Risikos, seineVerortung, mögliche Auswirkungen und denk-bare Maßnahmen zur Verringerung der Schä-den im Mittelpunkt. Die Risikoanalyse soll ins-besondere einen Beitrag zur Raum- und Land-nutzungsplanung und zur Planung von Nothil-femaßnahmen leisten und stellt den ersten

Schritt des Katastrophenmanagements dar.

4.1 Die Risikoanalyse als Instrument des Katastrophen-managements

Aus der Risikoanalyse können Maßnahmenzur Katastrophenvorbeugung und zur Vorbe-reitung auf den Katastrophenfall abgeleitetwerden. Maßnahmen zur Vorbereitung aufden Katastrophenfall sind Frühwarnsystemensowie Notfall- und Evakuierungspläne. Außer-dem dienen der Aufbau und die Stärkung lo-kaler und nationaler Katastrophenschutzstruk-turen gemeinsam mit Unterstützung von logis-tischen und infrastrukturellen Maßnahmender kurzfristigen Vorbereitung auf den Kata-strophenfall. Maßnahmen zur Vorbeugung vonKatastrophen sind mittel- bis langfristig ange-legt und umfassen die Einbindung der Risiko-analyse und des Katastrophenmanagements inRaum- und Landnutzungspläne, zudem dieSensibilisierung der Bevölkerung und Institu-tionen und resultieren aus den Ergebnissender Anfälligkeitsanalyse (Kohler et al. 2004:18). Die Vermeidung des Katastrophenrisikoskann ohnehin nur zum Ziel haben die Anfäl-ligkeit zu verringern. Dazu können prospekti-ve und korrigierende Maßnahmen angewandtwerden (Ministerium für Wirtschaft und Fi-nanzen Peru 2006a).Korrigierende Maßnahmen dienen der Ver-

ringerung bestehender Risiken, indem sie inkurzer Zeit planerisch und ausführend ein-greifen, um zumindest zukünftigen Schaden zuvermeiden. Dies kann je nach Bedrohungstypbedeuten, zerstörte Infrastruktur unter Be-rücksichtigung stabilerer Baumaterialien wie-der aufzubauen oder die Bewässerungsinfra-struktur zu erweitern. Prospektive Maßnah-men finden schon im Vorfeld eines geplantenProjektes statt, um vorausschauend möglicheRisiken zu erkennen und in die Planung ein-zugreifen. Dies kann durch eine Untersuchungdes Gesteins- und Bodenuntergrundes, Erdbe-bensimulationen zur Feststellung der stabils-ten Bauweise oder hydrologische Studien zurIntegration von Drainageanlagen erreicht wer-den.

4.2 Schritte zur Eingliederung der Risikoanalyse inöffentliche und private Projekte

Die Möglichkeit, dass ein Infrastrukturprojektdurch Naturgefahren beeinträchtigt wird, soll-te durch die Implementierung einer Risiko-

| Katharina Waha

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analyse in den Planungsprozess geprüft wer-den (Abb. 3). Die Kosten der Maßnahmen zurReduzierung möglicher Anfälligkeiten erhöhenanfangs zwar die Investitionssumme, vermei-den aber langfristig die Kosten für korrigieren-de Maßnahmen und gewährleisten den ange-strebten Nutzen (Ministerium für Wirtschaftund Finanzen Peru 2006a).Der erste Schritt ist die Identifizierung der-

jenigen Bedrohungen, die mit einer bestimm-ten Wahrscheinlichkeit im Projektgebiet auf-treten und das Projekt während seiner Laufzeitbeeinträchtigen können. Sofern nicht die Mög-lichkeit besteht den Projektstandort in einnicht gefährdetes Gebiet zu verlegen, könnenverschiedene Alternativen, die Maßnahmenzur Verminderung der physischen Anfälligkeitintegrieren, entwickelt und in Kosten-Nutzenund Kosten-Effizienz gegenübergestellt werden(PGRD-COPASA 2006). Weiterhin könnenMaßnahmen zur Sensibilisierung und Kata-strophenvorsorge getroffen werden, um diesoziale Anfälligkeit zu reduzieren. DieserSchritt ist insbesondere dann bedeutend, wennbauliche Verbesserungen nicht ausreichen, umdas Risiko auf ein tragbares Niveau zu redu-zieren.

4.3 Risikoanalyse zur Raumordnung und -entwicklung

Pläne zur Raumordnung sollen Entscheidun-gen über geplante wirtschaftliche, landwirt-schaftliche und infrastrukturelle Aktivitätenund Ziele erleichtern sowie Freiflächen zurAusweitung von Wohngebieten und andererNutzung ausweisen. Der Raumordnungsplanals wichtigstes Instrument der Gebietsplanungzielt auf die nachhaltige soziale, wirtschaftli-che und räumliche Entwicklung einer Gemein-de. Zur Gewährleistung dieses Zieles solltengeplante Aktivitäten auch aus der Sichtweiseder Risikoanalyse betrachtet werden.Die Eingliederung der Risikoanalyse und

des Katastrophenmanagements in nationaleEntwicklungs- und Haushaltspläne ist in denvon Naturgefahren betroffenen Ländern unter-schiedlich stark fortgeschritten. Zunächst soll-te ein nationaler Plan zur Katastrophenvorsor-ge als Instrument zur nachhaltigen Entwick-lung geschaffen werden, der nationale und lo-kale Akteure verbindet und grundsätzlicheRichtungen vorgibt. Nach dem Vorschlag vonKeipi et al. (2005: 1 ) sollen technische Komi-tees, Zivilverteidigung und ein nationales Amtzum Katastrophenmanagement zusammenar-

beiten, um einerseits technische Unterstützungzur Vorbeugung des Katastrophenfalls zu ge-währleisten und anderseits Notfallpläne zuentwickeln, um Nothilfe sowie Wiederaufbau-maßnahmen zu ermöglichen. Dies wird unter-stützt durch auf nationaler Ebene ausgearbei-teten Raumordnungsplänen, Finanzierungs-plänen und Präventions- und Verminderungs-maßnahmen von Risiken.

5. Katastrophenmanagement im Kontext der Entwick-lungszusammenarbeit

Die Länder mit dem größten Entwicklungs-rückstand haben unter den Auswirkungengroßer Naturkatastrophen am meisten zu lei-den. Die Anzahl der Menschen, die direktenoder indirekten Schaden erleiden, ist in denLändern mit geringem Entwicklungsstand amgrößten (Abb. 4). Alexander (1993: 1 ) stelltebenfalls fest, dass die Einwohner von geringentwickelten Ländern dem höchsten Risikoausgesetzt sind bei einer Naturkatastropheums Leben zu kommen. Ihre höhere Anfällig-keit erklärt sich durch geringe Produktivität,unzureichende Infrastruktur, verfügbare, abernicht hinreichend ausgenutzte Ressourcen,und die sich seit Jahrhunderten durchsetzen-den politischen und wirtschaftlichen Grenzla-gen. Unterschiede in der Intensität der Folgenfür die Bevölkerung sind zwischen schnellwachsenden, überbevölkerten Megacities undden marginalisierten ländlichen Umgebungennach einer Naturkatastrophe kaum zu erken-nen (ebd.).Die wirtschaftlichen Verluste nach einer

Naturkatastrophe mögen im Vergleich zu ent-wickelten Ländern nicht so hoch sein, richtenaber enorme Schäden im Entwicklungsprozessan. Nach jedem Schadensfall wird der Ent-wicklungsprozess auf eine niedrige Stufe zu-rückgeworfen und wird zudem noch durch dieKosten für Nothilfe und Wiederaufbau belas-tet. Somit unterstützt die Reduzierung von Ri-siken die nachhaltige menschliche Entwick-lung, indem sie Schäden an Gütern und Infra-struktur sowie Verluste an Menschenleben zuverhindern versucht. Weiterhin können aussozialen und wirtschaftlichen Transformati-onsprozessen im Verlauf des Wachstums undder Entwicklung neue Risiken geschaffen wer-den, die es einzugrenzen gilt. Die Risikowahr-scheinlichkeit erhöht sich zudem in von Armutbetroffene Gesellschaften oder Familien, dennsie weisen eine höhere soziale und ökonomi-

Beurteilung von Risiken aus Naturgefahren durch Risikoanalyse |

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Abbildung 3: Schritte zur Risikoanalyse in der Planungsphase,Quelle: eigene Darstellung nach PGRD-COPASA 2006 und Ministerium für Wirtschaft und Finanzen 2006a

| Katharina Waha

Kann das Projekt von diesenNaturgefahren zerstört oderbeeinträchtigt werden?

Die Projektplanungkann eine Risikoanalyse

außer acht lassen.

Existieren im geplanten ProjektgebietNaturgefahren? Welcher Art sind sieund mit welcher Wahrscheinlichkeittreten sie auf?

Existieren alternative Standortefür das Projekt?

Es sollten Maßnahmenzur Reduzierung des Risikos am

gefährdeten Standort einbe-zogen werden.

Jede mögliche Alternativesollte in Betracht gezogen und in

Kosten und Nutzen gegenüber-gestellt werden.

Einbeziehung von strukturellenMaßnahmen zur Verminderung der

baulichen Schwächen.

Prüfen der Möglichkeit die sozialeAnfälligkeit zu verringern.

Berücksichtigt die ProjektplanungMaßnahmen zur Reduzierung von bau-lichen Schwächen (Zerbrechlichkeit) ?

Beinhaltet das Projekt Maßnahmenum die soziale Anfälligkeit zureduzieren und dieSelbstschutzfähigkeit zu erhöhen?

Durchführung des geeignetenProjekts aufgrund einer Kosten-Nutzen oder Kosten-Effizienz Analyseunter Berücksichtigung vonMaßnahmen zur Reduzierung dersozialen und physischen Anfälligkeit.

Ja Nein

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sche Anfälligkeit auf, während ihre Lebensbe-reiche in ökologisch und/oder physisch anfäl-lige Regionen gedrängt werden.Einschränkungen in der nachhaltigen Ent-

wicklung und bei der Überwindung von Armutbewirken vor allem erhöhte Kosten, welchefür Wiederaufbau und Vorsorgemaßnahmenberücksichtigt werden müssen. Weiterhin be-lastet wird sie durch die verminderte Produk-tionsleistung aufgrund des Verlustes vonAgrarflächen und Infrastruktur sowie demVerlust von Arbeitsplätzen und als Folge des-sen, sinkende Einkommen, Armut und Arbeits-migration. Aufgrund der verminderten wirt-schaftlichen Aktivität müssen regionale undnationale Regierungen geringere Steuerein-kommen und geringere Devisenverfügbarkeitausgleichen, welches sich auf die Durchfüh-rung von sozialen Programmen und Entwick-lungsprojekten auswirken kann. NationaleStrategien gegenüber Naturkatastrophen las-

sen sich nach Alexander (1993: 613) in vierHerangehensweisen je nach ihrem Umfang derIntervention unterscheiden:

1 . Verluste nach Katastrophen werden ver-sucht einzuschränken, jedoch nichtdurch vorausschauende Maßnahmen,sondern lediglich durch staatliche Un-terstützung der betroffenen Personen.

2. Technische Anpassungen werden vorge-nommen, die, wenn sie allein stehen, oftsoziale Aspekte außer Acht lassen.

3. Eine umfangreiche Strategie zur Redu-zierung von Naturrisiken mit Notfallplä-nen und Risikokarten wird erstellt,außerdem werden Methoden zur Vor-hersage, frühzeitiger Warnung und Er-stellung von Unsicherheitsszenarien un-terstützt und finanziert.

4. Ein mehrstufiges Katastrophenmanage-ment wird entwickelt. In gering entwick-

Abbildung 4: Indirekt und direkt von Naturkatastrophen betroffene Personen in ausgewählten Ländern (1900-2006) , geordnet nachihrem Human Development Index (HDI) : oben die 15 Länder mit dem höchsten HDI, unten die 15 Länder mit dem niedrigsten HDI. DieBalken der einzelnen Länder sind aufgestapelt, um die Einzelwerte mit den Summen zu vergleichen und alphabetisch (von links nachrechts) geordnet, um die Zuordnung zu erleichtern. Die Länder mit den drei höchsten Werte sind jeweils hervorgehoben. In einigenLändern ist die Anzahl der betroffenen Personen sehr gering und die entsprechenden Farben tauchen im Diagramm nicht auf,Quelle: eigene Darstellung nach Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (CRED) (2009)

Beurteilung von Risiken aus Naturgefahren durch Risikoanalyse |

0 5.000 20.00015.00010.000 25.000 30.000

0 20.000 80.00060.00040.000 100.000

betroffene Personen (in 1.000)

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p.

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47entgrenzt 3/2012

elten Ländern umfasst dies die Verknüp-fung mit deren sozioökonomischer Ent-wicklung, in Industrieländer die Verbin-dung zum Umwelt- und Ressourcen-schutz.

6. Ausblick

1987 erklärten die Vereinten Nationen die1990er Jahre zur International Decade for Na-tural Disaster Reduction (IDNDR) mit dem Ziel,Anfälligkeiten gegenüber Naturgefahren, spe-ziell in Entwicklungsländern, zu vermindern.Damit die Erfolge und Ergebnisse der IDNDRnicht verloren gehen, wurde 1999 die Interna-tional Strategy for Disaster Reduction (ISDR) alsNachfolgeprogramm gegründet und hat sichzum Ziel gesetzt, Mechanismen zur Förderungder politischen Entscheidungsfindung sowieregionale Netzwerke aufzubauen und die wis-senschaftliche Forschung voranzutreiben (Mi-nisterium für Wirtschaft und Finanzen Peru2006b). 1994 wurden die bis dahin erreichtenZiele und weiteren Entwicklungen in derWorld Conference on Natural Disaster Reduction

in Yokohama, Japan diskutiert. Dabei wurdenals wesentliche Elemente für eine nachhaltigeEntwicklung hervorgehoben: die Vorbeugungund Verminderung von Naturkatastrophen,die Vorbereitung auf Naturkatastrophen unddie Rückgewinnung nach Naturkatastrophen.Die Folgekonferenz in Kobe, Japan in 2005bestätigte die Wichtigkeit dieser Ziele und er-weitert sie zu einem Aktionsplan 2005–2015.Aus den Erkenntnissen der Konferenz in Yoko-hama schlussfolgert der Aktionsplan auch,dass die Informations- und Wissensvermittlungan die betroffene Bevölkerung und ihre Einbe-ziehung in Strategien zur Risikovermeidungvon besonderer Bedeutung sind. Weiterhinwird festgestellt, dass die finanziellen Mitteloftmals zu begrenzt sind, um Strategien desKatastrophenrisikomanagements auf nationa-ler oder regionaler Ebene zu implementieren.

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| Katharina Waha

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In der Rubrik Geowerkstatt wurde auch diesesMal wieder gesägt, gehämmert und gewerkelt– und das nicht nur während der redaktionel-len Arbeit der Beitragsbegutachtung und desLektorats. Die drei folgenden Beiträge zeigeneinmal mehr, dass es hier um praktisches Geo-graphie-machen geht.Den Anfang macht das Autorenteam Angela

Hof und Ingo Hetzel. Beide sind wissenschaft-liche MitarbeiterInnen im Bereich Land-schaftsökologie und Biogeographie am Geo-graphischen Institut der Ruhr-Universität Bo-chum. Sie entführen uns mit ihrem Beitragzum einen in die Welt des Geocachings unddessen Umsetzung in ein Studienprojekt na-mens eGeoTrüffel. Zum anderen zeigen sie miteinem zweiten Lehrpraxisbeispiel zu Lerntan-dems innerhalb einer Projektstudie zu ökolo-gischer Fachplanung auf, wie die zunehmendgeforderte Kompetenzorientierung der neuenStudiengänge Eingang in die geographischeLehre finden kann.Außerdem berichtet uns Inga Gryl, die vor

kurzem ihre Promotion an der Universität

Landau-Koblenz abschloss, von der sechstenRaumaneignung. Das alljährlich stattfindeneTreffen von DoktorandInnen und Studierendenwar dieses Mal in Heidelberg. Was dort disku-tiert wurde und welche Bereicherung dieseZusammenkunft für alle Beteiligten darstellt,schildert sie uns näher und lädt Euch zeit-gleich für das nächste Nachwuchstreffen 2012ein.Zum Abschluss freuen wir uns mit dieser

Ausgabe auch dem namensgebenden Vereindieser Rubrik – die GeoWerkstatt Leipzig e.V.– zum 10-jährigen Bestehen gratulieren zudürfen! Frank Feuerbach, der Vorstandsvorsit-zende, wird uns daher spannende Ein- undAusblicke über die Entstehung des Vereins so-wie die Planungen für das Jubiläumsjahr ge-ben.

Franziska Pufe

PS: Das reicht Euch noch nicht? Ihr wolltmehr? Dann schreibt uns Eure Ideen oder

GeoWerkstattAngela Hof & Ingo Hetzel (Bochum)Denkanstöße und Praxisbeispiele für kompetenzorientierte Lehreim Bachelor- und Masterstudiengang Geographie

Inga Gryl (Landau-Koblenz)Geographie-Machen mit dem humangeographischen Nachwuchs.Tagungsbericht und Vorstellung des Netzwerkes Raumaneignung

Frank Feuerbach (Leipzig)10 Jahre GeoWerkstatt Leipzig e.V. – eine kleine Laudatio zum Jubiläum

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GeoWerkstatt |

Die Rubrik GeoWerkstatt ist der Werkzeugkasten, aus dem man sich bedienenund inspirieren lassen kann. In diesem Teil werden Ereignis- und Erlebnisberichteüber besonders informative oder unkonventionelle Exkursionen, Sommerakademi-en, Workshops, Arbeitsgemeinschaften, Lehrveranstaltungen und studentische Pro-jekte veröffentlicht. Artikel zu diesen Themen bis maximal zwei Seiten nehmen wirgerne jederzeit von Einzelpersonen oder Autorenkollektiven entgegen und publizie-ren sie nach redaktioneller Prüfung in der nächsten Ausgabe von entgrenzt.

Editorial

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verfasst selbst einen Beitrag für die Geowerk-statt! Wir suchen jederzeit nach Erfahrungenmit neuartigen Lehr- und Lernkonzepten, Be-richten zu inspirierenden Sommerschulen,Eindrücken von spannenden Tagungen oderungewöhnlichen Workshops. Du bist selbst ineinem Verein oder einer anderen Form aktiv,dessen/deren Ziel es ist, Geographie einerbreiten Öffentlichkeit zu vermitteln? Dann be-richte unseren LeserInnen davon!

Denkanstöße und Praxisbeispiele für kom-petenzorientierte Lehre im Bachelor- undMasterstudiengang Geographie

Angela Hof und Ingo Hetzel(Geographisches Institut der Ruhr-Universität Bochum)

Einleitung – Kompetenzorientierung ist kein Schlagwort,sondern ein Kennzeichen zeitgemäßer Lehre

Die Bolognareform hat die universitäre Lehreverändert. In der Geographie ist eine weitge-hende Ablösung des Diplomstudiengangsdurch gestufte Bachelor- und Masterstudien-gänge zu beobachten. Fachübergreifend wirddie Kompetenzorientierung der neuen Stu-diengänge als ein zentraler Aspekt der Befähi-gung zu lebenslangem Lernen und als förder-lich für die Beschäftigungsfähigkeit der Absol-venten herausgestellt. Kompetenzorientierungin der Lehre zielt auf aktive Wissensaneignungdurch die Verbindung von selbstgesteuertemLernen und Anleitung ab. Dies gelingt in Lehr-veranstaltungen, die durch Handlungsorientie-rung, kooperatives Lernen und Arbeiten ge-staltet werden und von intensiver Kommuni-kation zwischen Studierenden und Lehrendengeprägt sind. Kompetenzorientiertes Prüfengeht über die Honorierung von Faktenwissenhinaus: Im Fokus steht weniger reproduziertesWissen, sondern vielmehr, wie das theoreti-sche Wissen handlungsorientiert ausgewertetund angewandt wird. Kompetenzorientierungist derzeit ein ‚Megatrend‘, wobei das Prinzipals allgemeinere Form verstanden werdenkann, die alle Merkmale verwandter konstruk-tivistischer Lehr- und Lernformen enthält:

• „forschendes Lernen“ (Lernprozesse imFormat der Forschung)

• „handlungsorientiertes Lernen“ (aktiveAneignung von Wissen, Fertigkeiten undFähigkeiten)

• „problemorientiertes Lernen“ (tutoriellbegleitete Erarbeitung von Wissens-gebieten in Kleingruppen anhand vonFallbeispielen)

Obschon die Geographie traditionell „Lernen“eng mit „Erfahren“ und „Entdecken“ ver-knüpft, stellen Bolognareform und eine Mo-dernisierung des Geographiestudiums span-nende Herausforderungen für die Lehre in ei-ner lebendigen Hochschulgeographie dar (vgl.hierzu Beiträge in Gerhard/Seckelmann 2008).Neuerungen der medialen Welt erzeugen fort-während Veränderungen der Lern- und Wis-senskultur, die auf die Hochschule zurückwir-ken. Innovative Denkanstöße zu diesen Verän-derungen (Stichworte: digitale Globen, open-streetmap, Volunteered GeographicInformation, Social Web, GeoWeb) und ihrenpotenziellen Auswirkungen auf Verstehen-sprozesse und den Umgang mit Räumlichkeitliefern Gryl et al. (2010) für die geogra-phi(e)(didakti)sche Perspektive sowie Westera(2011 ) allgemeiner und fachübergreifend fürdie Hochschullehre. Der Philosoph undSchriftsteller Robert Schurz (2011 ) reflektiertin einem Radio-Essay darüber, wie die Bildungaus dem Internet die Weltsicht verändert –weg vom hierarchischen, ganzheitlichen Wis-sen und hin zum ungebildeten Spezialisten-tum.Der folgende Beitrag gibt anhand von zwei

erprobten Lehrkonzepten Denkanstöße, wieinnovative geographische Hochschullehre die-se vielfältigen Herausforderungen konstruktivaufgreifen kann.

Praxisbeispiel 1: eGeoTrüffel – Nature Geocaching meetseLearning (Entwicklung eines innovativen, audiovisuellen,GPS-gestützten Lehrpfads) – Kompetenzorientierte Lehreim Bachelorstudiengang Geographie

In diesem Wahlkurs für Bachelorstudierende(6 Credit Points, angeboten im 2. und 3. Stu-dienjahr) erarbeiten Seminarteilnehmer einenGPS-basierten Lehrpfad, bei dem Inhalte nichtdurch bebilderte Texttafeln, sondern überselbst produzierte Video-Podcasts multimedialvermittelt werden. Der Projektname eGeoTrüf-

| GeoWerkstatt

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fel verweist darauf, dass diese Video-Podcastsüber mobiles Internet und quick response co-des (kurz QR-Codes) zugänglich sind. Die Vi-deo-Podcasts stellen besonders wertvolle underklärungswürdige Orte vor und dieses Kon-strukt – eGeoTrüffel – entsteht nur aus demkonkreten Zusammenspiel von realem Stand-ort, multimedialem, über GPS-Koordinatenverortetem Inhalt und user generated content.Werden Geocacher durch die GPS-Koordinatenzu dem Standort geleitet und finden nach derLösung eines kleinen Rätsels die Plaketten mitden QR-Codes, so müssen sie lediglich denQR-Code mit einem Smartphone (Mobiltelefonmit erweiterter Computerfunktionalität und-konnektivität) fotografieren. Eine Applikation(App) baut umgehend eine Verbindung zu ei-ner Internetseite auf und von dort wird der Vi-deo-Podcast geladen. Die Podcast-Inhalte sindnur in Verbindung mit der an den Standortenvorgefundenen Naturkulisse zuzuordnen undbleiben ohne den Bezug zum Gelände unver-ständlich und unvollständig.Die zeit- und aufgabenorientierte Darstel-

lung des Lehrprojekts zeigt die strukturierteAbfolge unterschiedlicher Lernaktivitäten zurFörderung selbstgesteuerten Lernens undmacht deutlich, dass studentische Aktivität,das Lernen von Methoden durch ihre Anwen-dung, Medienkompetenz und „Können stattWissen“ zentrale Aspekte dieser Lehrveranstal-tung sind (Abb. 2).Der im Wintersemester 2011/12 von Stu-

dierenden entwickelte interaktive Geocaching-Lehrpfad mit webgestützten Inhalten wurdeim April 2012 fertig gestellt und befindet sichim Norden der Ruhrgebietsstadt Bochum. DerLehrpfad führt zum Teil durch das größte Na-turschutzgebiet der Stadt – „Tippelsberg-Ber-ger Mühle“ – und thematisiert auch den Tip-pelsberg, einen künstlichen Hügel inmittender Ruhrstadt Bochum (LANUV o.J. ; Gumball,o.J.). Die Themen, die entlang des Geoca-ching-Lehrpfads durch Video-Podcasts, kleineRätsel und GPS-Koordinaten als eGeoTrüffel

angeboten werden sind in Tabelle 1 aufgelis-tet. Die Materialien können von Interessiertenauf der Projekt-Homepage herunter geladenwerden (Schmitt 2012).

Standorte und Themen an den großen Stembergteichen

1 . *Stembergteiche, Entstehung, ÖkologischerZustand

2. *Röhricht als Lebensraum (auch in der Nä-he des Teiches)

3. *Dorneburger Mühlenbach

4. Castroper Höhenschotter

5. Bedeutung von Parkgrün und Parkrasen

6. Hang im Buchenwald (auch im Norden ih-res Untersuchungsgebietes)

Standorte und Themen zum Dorneburger Mühlenbach

1 . Gebänderter Feuersalamander (Salamandrasalamandra terrestris)

2. *Riesenschachtelhalm (Equisetum telma-teia) + Auwald

3. Auwald als geschütztes Biotop

4. *Buchenwald

5. Fachwerkhaus „Alte Mühle“ (unter Denk-malschutz)

6. *Mühlenteich + Mühle (noch bis ins 20.Jahrhundert betrieben)

7. Einfluss der Autobahn auf die Natur (Salz,Schwermetalle) bei der Autobahnbrücke der

Abbildung 1: Plakette des ersten eGeoTrüffel-Standorts, Thema:Einführung zum Geocaching-Naturlehrpfad, GPS-Koordinaten: GPS-Koordinaten: N 51°30.871 / E 007°13.510; 2585093 / 5709601

GeoWerkstatt |

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Bundesautobahn A43

8. Kerbtal

Standorte und Themen zum Tippelsberg

1 . *Tippelsberg allgemein

2. *Sukzession + Neophyten

3. *Emschertal (Ausblick vom Tippelsberg)

4. Haldenmaterial (und Neophyten?)

5. *Ruhrgebiet (Waldanteil, Strukturwandel)(Ausblick vom Tippelsberg)

6. Autobahn

Standorte und Themen zu den Castroper Höhen

1 . Acker (Löss)

2. *Geologie Castroper Höhen

3. *Nasswiesenbrache

4. Stehendes Totholz

5. *Hohlweg + Löss

6. Kleingartenanlage „Düppe in der Wanne“

7. Teich und Schilfröhricht

8. Natürlicher Bachverlauf

Nicht das Abprüfen geographischen Fakten-wissens aus vorausgegangenen Semestern,sondern die Anwendung dieses Wissens aufkonkrete Raumausschnitte und geographischePhänomene steht im Vordergrund. Bei derKonzeption und Umsetzung der eGeoTrüffel

wird geographic storytelling geübt – was gibtes wo zu entdecken; was übersieht das unge-übte Auge und wo schärft der geographischeBlick unsere Fähigkeit, die Umwelt zu begrei-

fen? Mit anderen Worten: Es gilt Lösungen fürdie Frage zu erarbeiten, wie man Umweltbil-dung mit einem zeitgemäßen, multimedialenFormat realisieren kann. Geprüft wird diekonzeptionelle und kreative Umsetzung derjeweiligen eGeoTrüffel-Idee (multimedial, text-lich, Folienpräsentation), wobei Vorlesungen,Übungen, Anschauungsmaterial und prakti-sche Betreuung die Studierenden in der Um-setzungsphase unterstützen (Abb. 2). Die Be-teiligung der Studierenden an diesem selbst-ständigen und aktiven Lernprozess, an dessenEnde sie ein eigenes Produkt (den eGeoTrüffel

Lehr- und Geocaching-Pfad) erstellt haben, er-zeugt hohe Eigenmotivation und „tiefes Ler-nen“.Das zweite Praxisbeispiel ist stärker an der

Berufsfähigkeit orientiert: Im Vordergrundsteht die Entwicklung von Fähigkeiten, dieStudierende im Beruf bei der kompetentenund systematischen Bearbeitung von Aufgabenunterstützen werden.

Praxisbeispiel 2: Lerntandems und Projektstudie zurökologischen Fachplanung – Kurs- und studiengangsüber-greifende, kompetenzorientierte Lehre im Bachelor- undMasterstudiengang Geographie

Die ökologische Fachplanung ist ein interdis-ziplinäres und stark anwendungsbezogenesBerufsfeld für GeographInnen. In der Pla-nungspraxis treffen Theorien auf reale Kon-texte, Akteure und werte- sowie interessenge-ladene Planungsprozesse. Neben Fachexpertisesind damit eine Reihe übergreifender Kompe-tenzen gefordert. Diese Erkenntnisse greift dieProjektstudie in zweifacher Hinsicht auf(Abb.   3).Einerseits durchlaufen die Beteiligten im

Projektseminar mit Erstellung eines biotischenGutachtens (Ist-Zustandsbeschreibung) undder Bearbeitung einer Umweltverträglichkeits-studie (UVS) im Straßenbau (fiktives Pla-nungsfallbeispiel mit Bestandsbewertung undAuswirkungsprognose) den kompletten Pro-jektzyklus. Andererseits arbeiten sie in beidenProjektphasen mit Studierenden der Koopera-tionsseminare derart zusammen, dass alle Be-teiligten arbeitsteilig am Projekterfolg mitwir-ken und ihre jeweilige Expertise zur Bearbei-tung der Aufgaben einbringen (alle konzeptio-nellen und inhaltlichen Aspekte diesesLehrprojekts werden umfassend und ausführ-lich dargestellt in Hetzel et al. 2011 ;Hof/Böhlein 2010; Hof/Hetzel 2010; Te-

Tabelle 1: Themen und Standorte, die für die Umsetzung desinteraktiven Geocaching-Lehrpfads „eGeoTrüffel – Tippelsberg-Berger Mühle in Bochum“ angeregt wurden. Die hervorgehobenenThemen und Standorte (*) sind Bestandteil des imWintersemester 2011/12 von Studierenden entwickelteninteraktiven Geocaching-Lehrpfads. Die ersten Podcasts könnenunter http://tinyurl.com/6rm7t25 angeschaut werden.

| GeoWerkstatt

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Abbildung 2: Projektplan der Lehrveranstaltung „eGeoTrüffel – Nature Geocaching meets eLearning“ im Bachelorstudiengang Geographie.Diese Kursstruktur fördert aktives und selbstgesteuertes Lernen durch eine Abfolge aufeinander abgestimmter Lernaktivitäten,Quelle: eigene Darstellung

laar/Hof 2011 ). Dieses Lehrangebot ist stärkerhandlungsorientiert; Fach- und Methodenwis-sen wird angewandt, vertieft und die Selbst-ständigkeit der Studierenden wird gefördert.Eigenverantwortliche Lernphasen bzw. Selbst-bildungsprozesse werden stärker berücksich-tigt; die Rolle der Lehrenden wandelt sich von

Wissensvermittlern zu Unterstützern und Be-ratern. Ein weiteres kompetenzförderndes In-strument ist die Peer-Evaluation. Die Studie-renden in den Lerntandems bewerten sich ge-genseitig, so dass sich die individuelle Leis-tung einzelner Studierender innerhalb einerKleingruppe in den individuellen Noten als

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Einführung in die Bildschirmaufnahme- undBearbeitungssoftware, Einführung "Wie filmeich richtig", Vorstellung Probe-Podcast, Be-sprechung innerhalb der Gruppen (Vorlesung)

Vermittlung Seminaridee, Einführung inGPS und Geocaching, Terminplanung,Gruppeneinteilung (Vorlesung)

Exkursion in das Untersuchungsgebiet,Einführung in GPS-Geräte, Geocaching(Vorlesung und Übung)

Gemeinsame Exkursionen in das Untersu-chungsgebiet und Festlegung der eGeoTrüffel(inkl. Aufnahme Koordinaten) , Üben des Ab-drehens von Filmsequenzen, selbstständigeVorbereitung der Inhalte (Literaturrecherche)

Selbstständige Begehung desUntersuchungsgebietes und Überlegungen zueGeoTrüffel (Gruppenarbeit)

Studierende präsentieren Konzepte zu eGeo-Trüffel und den thematisierten Inhalten mitLiteraturangaben (Leistungsüberprüfung 1,15%) (Besprechung und Diskussion)

Gruppenarbeit, Zeitplanung

Schneiden der Podcasts und Aufnahme derSprach-Sequenzen (Tutorielle Betreuung)

Fertigstellung der Podcasts

Studierende präsentieren fertige Podcastsmit Kommentierung (Leistungsüber-prüfung 2, Gewichtung 50%) undschrifticher Ausarbeitung (Gewichtung 20%)

Gemeinsames Anbringen der Plaketten undGeneralprobe

Vorstellung des eGeoTrüffel-Lehrpfads vorPublikum (Leistungsüberprüfung 3, 15%)

Tutorielle Betreuung der einzelnen Gruppen:Audio-Nachbearbeitung, Video schneiden undeditieren (Tutoring, Gruppenarbeit)

Instruktion und tutorielle Betreuung

Gruppen- und Seminarsitzungen

Studentisches Selbststudium, Gruppenarbeit

Legende

Instruktion und tutorielle Betreuung(Lehr-/Lernform)

Selbststudium, Gruppenarbeit, Gruppen-und Seminarsitzungen

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Auf- oder Abschlag von maximal vier Prozent-punkten widerspiegelt. Die Peer-Evaluationkann die Arbeitsatmosphäre in den Gruppenstärken und gibt den Studierenden eine Rück-meldung über ihr Engagement in der Gruppe.

Fazit

Kompetenzorientiertes Lehren, Lernen undPrüfen ersetzt nicht die bewährten Formateder Wissensvermittlung, die insbesondere inVeranstaltungen mit großer Teilnehmerzahlwohl weiterhin als Lehrmethode der Wahl er-halten bleiben werden. Kompetenzorientie-rung baut auf den vorhergehenden Lernstufen(Wissen und Verstehen) auf und fokussiert da-bei auf zu erbringende höherwertige Denkleis-tungen wie Analyse, Synthese und Evaluation.Kompetenzorientierung wird dann lebendigund umsetzbar, wenn Lernarrangements ge-schaffen werden, die den Alltagszusammen-hang der Lehrinhalte erfahrbar machen undgleichzeitig eine strukturierte Abfolge unter-schiedlicher Lernaktivitäten anbieten. Die

Herstellung solcher Lernarrangements kannweiterhin als zentrale Herausforderung für dieLehrenden verstanden werden, auch und gera-de wenn diese Herausforderungen sich imMoment durch ubiquitäres Internet und com-puting erneut verändern (und verschärfen)und Medien- bzw. Informationskompetenz ei-ne noch zentralere Bedeutung für Lehrendeund Lernende einnehmen wird. In diesem Sin-ne verstehen wir unsere Praxisbeispiele fürkompetenzorientierte Lehre als Impulse undDenkanstöße für eine kontinuierliche Weiter-entwicklung innovativer Hochschullehre inder Geographie.

LiteraturBibliographisches Institut/F. A. Brockhaus AG [Hrsg.](2011 ): Brockhaus Enzyklopädie Online. 21 . Aufl. URL:http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/.Gerhard, U./Seckelmann, A. [Hrsg.] (2008): InnovativeHochschullehre in der Geographie. Empfehlungen aus derPraxis. Bonn (= VGDH-Schriften).Gryl, I./Jekel, T./Donert, K. (2010): GI and Spatial Citi-zenship. IN: Jekel, T./Koller, A./Donert, K./Vogler, R.[Hrsg.] : Learning with Geoinformation V. Heidelberg,S.   2–11 .Hetzel, I./Hof, A./Wiggen, S. (2011 ): Lerntandems undProjektstudie zur ökologischen Fachplanung. IN: Ricken,

Abbildung 3: Das Lehrprojekt „Lerntandems und Projektstudie zur ökologischen Fachplanung“ verknüpft studiengangs- undsemesterübergreifend Kurse und Inhalte zu den Themenfeldern Biogeographie, ökologische Fachplanung und Geoinformationssysteme.Damit wird interessierten Geographiestudierenden im Bachelor- und Masterstudiengang eine fachlich-methodische Profilbildungermöglicht, die in dieser Form bislang nicht im Lehrangebot enthalten war. Die insbesondere im Bachelorstudiengang starkdozentenzentrierte Lehre wird ergänzt durch ein innovatives Kurskonzept, das Methoden- und Sachkompetenz mit der Anwendungtheoretischen Wissens verknüpft und selbstorganisierte Lernaktivität fördert, Quelle: eigene Darstellung

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J. [Hrsg.] : lehrreich – Ausgezeichnete Lehrideen zumNachmachen. Bielefeld, S. 56–67.Hof, A./Böhlein, D. (2010): Learning Landscape Analysiswith GIS – a Modular Learning Concept Developing Stu-dents’ GI Competence and Problem Solving Skills. IN: Je-kel, T./Koller, A./Donert, K./Vogler, R. [Hrsg.] : Learningwith Geoinformation V. Heidelberg, S. 220–229.Hof, A./Hetzel, I. (2010): Das Umweltgutachten als Ergeb-nis einer Projektstudie. IN: Interne Fortbildung und Bera-tung der Ruhr-Universität Bochum [Hrsg.] : Prüfen: Kom-petenzorientiert Prüfen. Lehre laden, Downloadcenter fürinspirierte Lehre. URL: http://www.ruhr-uni-bochum.de/lehreladen/pruefen.html.Telaar, D./Hof, A. (2011 ): Praxisbezug und kollaborativesLernen im Geographiestudium. Ein Bericht aus der Lehr-praxis der Physischen Geographie. IN: GeoLoge – Geogra-phische Open-Access Zeitschrift 2011(1 ).URL: http://geologe.geographie.rub.de/, S. 53-58.Schurz, R. (2011 ): Vom Verlust der Übersicht. Deutsch-landradio Kultur, Sendung vom 9.10.2011 .URL: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/essayunddiskurs/1573693/.Westera, W. (2011 ): On the Changing Nature of LearningContext: Anticipating the Virtual Extensions of the World.IN: Educational Technology & Society 14 (2), S. 201–212.

InternetlinksGumball, T. [Hrsg.] (o.J.): www.tippelsberg.de – Informa-tionen rund um das Naherholungsgebiet im Herzen derRuhrstadt.URL: http://www.tippelsberg.de/Startseite.html.Landesamt für Natur, Umwelt und VerbraucherschutzNRW (LANUV) [Hrsg.] (o.J.): Naturschutzgebiet Tippels-berg-Berger Mühle (BO-002).URL: http://www.naturschutzinformationen-nrw.de/nsg/de/fachinfo/gebiete/gesamt/BO_002.Schmitt, T. [Hrsg.] (2012): eGeoTrüffel – Nature Geoca-ching meets eLearning: interaktiver Lehrpfad mit webge-stützten Inhalten. URL: http://www.geographie.rub.de/ag/landschaftsoekologie.biogeographie/lehre/rubel.html.

Danksagung

Wir danken dem Rektorat der Ruhr-Univer-sität Bochum für die finanzielle Förderung derhier vorgestellten Lehrprojekte im Rahmen deruniversitätsweiten Wettbewerbe „lehrreich“und „5x5000“.

Geographie-Machen mit demhumangeographischen Nachwuchs.Tagungsbericht und Vorstellung desNetzwerkes Raumaneignung

Inga Gryl

Unter dem Label „Raumaneignung“ fandzwischen dem 9. und 11 . Dezember 2011 zum6. Mal ein Nachwuchstreffen statt, das mittler-weile Jahr für Jahr junge HumangeographIn-nen aus dem gesamten deutschsprachigenRaum anzieht. Ein Nachwuchstreffen für denhumangeographischen Nachwuchs macht

Sinn: Im kleinen, vertraulichen Rahmen kön-nen StudentInnen und DoktorandInnen inhalt-liche Fragen zu geplanten und laufenden For-schungsarbeiten auf Augenhöhe besprechen.Die Begrifflichkeit Raumaneignung ist nicht

umsonst der Titel des Treffens. Raumaneig-nung bedeutet einen physisch-materiellen Ortmit Bedeutung zu versehen, um ihn für das ei-gene Handeln in Wert zu setzen (Daum 2006,Werlen 1993). Genau dies geschieht bei derRaumaneignung: Ein bereits nicht ganz alltäg-licher Tagungsort wird im Sinne des Nach-wuchstreffens besetzt: Stets handelt es sich umein Selbstversorgerhaus, das zum Tagen,Übernachten und Beisammensein genutztwird, und damit einen örtlichen und infra-strukturellen Rahmen für die Tagung gibt.Nach einer Berghütte und einem Bauernhofwurde in diesem Jahr das Ziegelhaus, fast di-rekt am Ufer des Neckars, nahe Heidelbergzum Ort der Raumaneignung. Zwei Tage langbestimmen Vorträge, Diskussionsrunden undBeisammensein bis spät in die Nacht denRhythmus, so dass neben dem materiellenRaum freilich auch Denkräume erschlossenund angeeignet werden. Neben (fach-)inhaltli-chem Austausch bleibt auch Raum für Ent-spannung (bei der sechsten Raumaneignungbei einer Wanderung am Neckar und einemBesuch des Heidelberger Weihnachtsmarkts),gegenseitige Beratung, Netzwerken und –budgetfreundlich und meist zum teambuildinggeeignet – gemeinsames Kochen.

Inhaltlicher (Erfahrungs-)Austausch…

Zentrales Merkmal der inhaltlichen Agendader Raumaneignung ist, dass es keine von vor-neherein definierte Agenda gibt. Es existiertkein thematisch besetzter Call for Papers, son-dern jeder Teilnehmende kann, muss abernicht, sich mit einem Kurzvortrag einbringen.Andere Themen, die sich ebenfalls nach denWünschen der Gruppe richten, werden in Dis-kussionsrunden bearbeitet.Die Raumaneignung basiert auf einer kon-

sequenten Umsetzung der Idee des Erfah-rungsaustausches: Zu einem bestehenden Pro-blem in der Forschungsarbeit eines Teilneh-menden gibt es möglicherweise gangbare We-ge, die andere TeilnehmerInnen geradebeschritten haben, und die eine unschätzbareOrientierungshilfe darstellen. Auch Studieren-de, die eine Studien- oder Abschlussarbeit pla-nen, stehen vor ähnlichen Problemen und er-

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fahren im Austausch mit DoktorandInnen einebesondere Art der Hilfestellung. Zugleich sindRückmeldungen anderer TeilnehmerInnen im-mer auch eine Chance für einen Perspektiven-wechsel, die Möglichkeit mehrerer externerund zugleich fundierter Blicke auf die eigeneArbeit. Was in regulären Tagungen nicht reali-sierbar ist, kann in diesem Kontext bewerk-stelligt werden: Maßgeschneidertes Feedback,das die Fragen und aktuellen Bedürfnisse derVortragenden berücksichtigt: Ob es nun dar-um geht, über eine geeignete Methode zurUmsetzung einer eigenen Forschungsfrage zudiskutieren, oder um Meinungen zur Gestal-tung eines Kolloquiums- oder Disputationsvor-trages. Die stattfindenden Diskussionen amFall sind zugleich anregend für die übrigenTeilnehmenden, da hieraus in vielen FällenIdeen direkt oder indirekt entspringen, die oftAnalogien zum eigenen Arbeiten aufweisen.Im Rahmen der 6. Raumaneignung entspon-

nen sich vielfältige Diskussionen um Theorienund Methoden. So standen Diskurstheorie und-analyse als in Soziologie und Geographiedurch vielfältige Forschungsinitiativen eta-blierte Ideen im Zentrum des Interesses. Zu-gleich fand die Auseinandersetzung mit inner-halb der Geographie noch recht neuen Ansät-zen wie beispielsweise Akteurs-Netzwerk-Theorie ebenfalls großen Anklang. Basierendauf Latour (2007) werden hierbei die Auswir-kungen technologischer Innovationen betrach-tet, denen im Verbund mit sozialen Akteurenzu semiotisch-materiellen Netzwerken fluideGestaltungskraft durch Handlung zukommt.Nicht allein das Subjekt ist zum Handeln befä-higt, sondern erst im Zusammenspiel mit ma-teriellen Entitäten – beispielsweise neue Tech-nologien wie web2.0 – sind wir in der Lagespezifische Handlungen zu vollbringen.Auch das Vortragsangebot war hinsichtlich

theoretischen Bezuges, methodischer Umset-zung und Stand im individuellen Forschungs-prozess äußerst vielfältig, wie folgende Aus-wahl aus den Kurzvorträgen belegt: Passendzum Titel der Tagung stellte Jana Kühl mit der„Raumaneignung öffentlicher Grünflächen“ein im Zuge von urban gardening zunehmendbeachtetes Thema auf Basis eines breiten Ein-blicks in mögliche Bezugstheorien (von Bour-dieu bis Harvey) am Beginn ihrer Dissertationvor. Gregor Glötzl führte am Beispiel einerKarte aus einem Planungsbericht des Bayri-schen Zukunftsrats aus, wie sich kartographi-sche Kommunikation wirkmächtig verselbst-

ständigen kann. Aus einer zunächst rein illus-trativen und leicht dilettantischen Kartenskiz-ze, die strukturschwache und -starke Gebieteinnerhalb Bayerns und deren regionale wirt-schaftliche Orientierung aufzeigen soll, wirdim medialen Diskurs ein Manifest gesetzterGrenzen, die aus schnellen, wenig bedachtenZeichenstrichen politische Setzungen überIdentität, Zugehörigkeit und Exklusion produ-ziert. Jessica le Bris schilderte anhand ihrerUntersuchung über „Elektroräder als neuesVerkehrsmittel“ Lösungen zu Problemen beider Datenaufnahme im Hinblick auf Proban-dengewinnung und Interviews, während Fabi-an Faller die Anwendung alltäglicher Regio-nalisierungen auf nachhaltige Regionalent-wicklung im Zusammenhang mit erneuerbarenEnergien aufzeigte.Für ein humangeographisches Nachwuchs-

netzwerk bleibt hinzuzufügen, dass trotz derdezidierten Ausrichtungen auf sozialwissen-schaftliche und humangeographische Theorienund Methoden sich jedes Jahr erneut auchGeographiedidaktiker einfinden. Auch dieGeographiedidaktik arbeitet mit den entspre-chenden Bezugstheorien und Methoden, sodass hier bereits ein sehr fruchtbarer Aus-tausch mit gegenseitiger Inspiration stattfin-det. Daneben findet sich auch der Nachwuchsaus angewandter geographischer Forschungvermehrt ein.

… und das „Drumherum“

Kennzeichnend für die Raumaneignung ist,dass sie neben dem fachlichen Austausch auchweitere, alltagspraktische Themen, die Jung-wissenschaftlerInnen im Zuge der Qualifikati-onsphase bewegen, auf die Agenda setzt. DieseDiskussionen sind auch für Studierende sehrhilfreich, da sie einen Einblick in das ThemaPromotion und seine Randbedingungen bie-ten, die bei der Entscheidung für den weiterenWeg nach dem Abschluss des Studiums sinn-voll sein können. Stipendien zur Finanzierungvon Abschlussarbeiten und Dissertationenwerden ebenso wie Ideen zur Gestaltung derersten eigenen Tutorien und Lehrveranstaltun-gen angesprochen. Im Rahmen der 6. Rauma-neignung wurde auch über die Vor- undNachteile kumulativer Dissertationen und dieFrage diskutiert, welche Rolle begleitende Pu-blikationen während der Dissertation für dasVorantreiben des Schreibprozesses bedeuten,und wann überhaupt der Beginn des Schrei-

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bens der monographischen Dissertation impersönlichen Zeitplan Sinn macht. Auch fürStudierende sind Fragen nach Betreuungsmög-lichkeiten und Unterstützungsnetzwerken fürForschungsarbeiten nützlich. Schlussendlichlassen sich in diesem kleinen Rahmen auchsehr persönliche Fragen erörtern und Anre-gungen einholen: Eine Dissertation kann einsehr fordernder Prozess werden, so dass sichan irgendeinem Punkt möglicherweise auchdie Frage des Umgangs mit Krisen stellt. Eineinteressante Diskussion entwickelte sich umdie Frage der work-life-balance, im Hinblickauf Fremdheitserfahrungen an einem neuenWohnort durch die Annahme einer Dissertati-onsstelle ebenso in Hinsicht auf Zukunftsper-spektiven nach und mit der Dissertation.Kennzeichnend für diese Nachwuchstagung

ist zudem ihr informeller Charakter. DieRaumaneignung wird ausschließlich von Teil-nehmerInnen für TeilnehmerInnen organisiert.Sie ist damit unabhängig und selbstragend.Dass nunmehr die sechste Raumaneignung be-gangen werden konnte, zeigt auf, dass auf dasEngagement der Beteiligten gezählt werdenkann. Das Organisationsteam wechselt mit je-der neuen Durchführung, was jeder Rauman-eignung einen ganz eigenen Anstrich gibt.Während Inga Gryl (Koblenz-Landau) und Thi-lo Wiertz (Heidelberg) die 6. Raumaneignungorganisiert haben, erklärten sich in Absprachemit dem Plenum auf dem Treffen Marian Gün-zel (Dortmund) und Franz Flögel (Gelsenkir-chen) zur Organisation des 2012er Treffensbereit, was die Raumaneignung ins Ruhrgebietverschlagen wird. Für alle humangeographi-schen NachwuchswissenschaftlerInnen undStudierende, für Nachwuchs aus der Geogra-phiedidaktik mit humangeographischen Inter-essen und interdisziplinäre SympathisantInnenheißt es dann wieder: Herzlich willkommenzum gemeinsamen Raumaneignen! Wer diegenauen Daten und die Anmeldung nicht ver-passen möchte, kann sich über www.rauman-eignung.de für den Newsletter und in derzweiten Hälfte des Jahres dann auch für dieRaumaneignung selber anmelden.

LiteraturDaum, E. (2006): Raumaneignung. Grundkonzeption undunterrichtspraktische Relevanz. In: GW-Unterricht 2006,H. 103, S. 7–16.Latour, B. (2007): Eine neue Soziologie für eine neue Ge-sellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie.Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007.Werlen, B. (1993): Society, action, and space: An alterna-tive human geography. London.

10 Jahre GeoWerkstatt Leipzig e.V. – einekleine Laudatio zum Jubiläum

Frank Feuerbach (Redaktion)

Bemerkenswertes rankt sich nur selten umzehnte Geburtstage – dafür scheint das Jubilä-umskind meist zu jung. Dennoch soll die Ge-schichte des Jubilars, in diesem Fall unserer„GeoWerkstatt“ erzählt werden – auch umMythenbildung entgegenzuwirken. Dabeimüssen natürlich die ursprünglichen Ziele undHintergründe Erwähnung finden, die zur Ver-einsgründung führten. Darüber hinaus gilt esaber auch, auf eine Erfolgsgeschichte mit vie-len tollen Projekten zurückzublicken, die vornunmehr zehn Jahren, genauer gesagt am10.01 .2002, im Institut für Geographie derUniversität Leipzig begann.Ausschlaggebend für die Gründung der

GeoWerkstatt war die anhaltende Initiativeund Hartnäckigkeit von Studierenden. Damalswaren es v. a. physische Geographen, die nacheiner Möglichkeit suchten, „geographischesWissen in die Praxis einzubringen, sich selbstzu trainieren und Sachen machen zu können,die aus dem Uni-Konsens herausgelöst sind,aber noch mit dem Fach zu tun haben“, soRalf Gründling, Mitglied der ersten Stunde.Den Studierenden sollte ein Rahmen gegebenwerden, der es ihnen ermöglichte, selbststän-dig kleine Forschungsprojekte, Exkursionenoder Vorträge realisieren zu können. Die Um-setzung dieser Wünsche mit Hilfe eines Ver-eins hatte laut Ralf Gründling, der als Mitini-tiator auch gewählter Studierendenvertreterwar, mehrere Vorteile. So sei es bspw. füreinen Verein leichter, Teilnehmer für eine Ex-kursion außerhalb des Curriculums zu finden,als für eine Privatperson oder den Fach-schaftsrat. Nicht zuletzt waren es versiche-rungsrechtliche Gründe, die für diese Organi-sationsform sprachen. Der wichtige Ideenge-ber Prof. Dr. J. Heinrich erinnert sich, dass es„nicht zuletzt das Zutun von Michael Grollwar, der die Sache beim Wort genommen hat,nicht nur fabulieren wollte, sondern vieleüberzeugte, die Vereinsgründung anzugehen“.Zu einer ersten Informationsveranstaltung

Ende 2001 kamen rund 60 Personen, diedurchaus kontrovers diskutierten. WichtigsterPunkt war, ob man als studentische Gruppeder damals schon seit 140 Jahren bestehendenGeographischen Gesellschaft zu Leipzig bei-treten sollte, die sich durch einen hohen Al-

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tersdurchschnitt und ein darauf angepasstesProgramm auszeichnete. Hierzu erinnert sichRalf wie folgt: „Das wollten wir aber nicht,weil wir dann eben diesen alten Strukturenund einem Vorstand unterlegen hätten, der einganz anderes Niveau, ein ganz anderes Level,ganz andere Ideen hat, sondern wir wolltenuns selbst verwalten.“Alle Entscheidungen wurden von Beginn an

demokratisch getroffen – selbst die Neugrün-dung eines Vereins, der sich aber keinesfallsals Konkurrent zur Geographischen Gesell-schaft verstand. Der Name GeoWerkstatt istdem Umstand geschuldet, dass der Vorle-sungssaal im 1996 wiedergegrün-deten Institut für Geographie frü-her eine Werkstatt war und des-halb auch so genannt wurde. DieWahl fiel außerdem auf Geo-Werkstatt, weil dieser Name dieIdee des praktischen Machens undselbstständigen Bastelns versinn-bildlicht.Die ersten Projekte waren eine Auenwald-

exkursion und Buddeln mit Bio. Beide richte-ten sich an Kinder. Die kontinuierliche Ent-wicklung und Durchführung von Umweltbil-dungsangeboten für Kinder und Jugendlichewurde seitdem konstant weiter- und z.T. inder Projektgruppe KEGG (Kleine EntdeckerGanz Groß) zusammengeführt. Einige der spä-teren Gründungsmitglieder von entgrenzt orga-nisierten lange Zeit die AG Ferner Sehen, beider Studierende Schülern den kritischen Um-gang mit Kartographie und das Arbeiten mitGIS näherbrachten.Sehr aktiv zeigte sich die GeoWerkstatt

auch in einem zweiten Aufgabenfeld – derVeranstaltung von Seminaren, Workshops undwissenschaftlichen Projekten zu geowissen-schaftlich relevanten Themen. Seit 2008 wirdz.   B. eine jährliche SummerSchool zu wech-selnden Fragestellungen durchgeführt. Dar-über hinaus veranstalteten wir den geoarchäo-logischen Geländeworkshop Geofakt vs. Arte-fakt. Auch die Projektwoche All in One Boat,bei der sich alles um die Ostsee drehte, wurdeals Teil unseres Engagements im ProgrammJugend für Europa von der GeoWerkstatt or-ganisiert und durchgeführt.Ein wichtiges Ziel der Vereinsarbeit ist au-

ßerdem die Vermittlung und Unterstützungvon Studienaufenthalten im In- und Auslanddurch Leistungsstipendien oder die Vergabevon Preisen in Verbindung mit Wettbewerben.

Beispielsweise werden in Zusammenarbeit mitder Geographischen Gesellschaft jährlich diebesten geographischen Abschlussarbeiten aus-gelobt.Ein weiterer Schwerpunkt sind Exkursionen

und Vorträge für Mitglieder der GeoWerkstattund Studierende des Instituts für Geographie,sowie alle Interessierten. Neben einer jährlichangebotenen Auslandsexkursion, bei der dieStudierenden eigenverantwortlich die inhaltli-che Ausgestaltung planen, wurde in den ver-gangenen zehn Jahren eine Vielzahl von klei-neren Exkursionen organisiert – z.   B. nachSüdthüringen, in die Sächsische Schweiz oder

nach Freienorla ins Mittlere Saal-etal. Auch die Durchführung vie-ler physisch-geographischer Feld-aufenthalte im Umland von Leip-zig mit Prof. Dr. J. Heinrich so-wie die wissenschaftliche Beglei-tung und Mitarbeit am GeoparkNordsachsen sind Teil der Ver-einsarbeit. Im Jubiläumsjahr

2012 werden wir u.   a. eine Auslandsexkursionnach Südpolen organisieren, bei Nacht dasLuftfrachtterminal von DHL besuchen und ei-ne Schnitzeljagd im Leipziger Osten für Studi-enanfänger leiten – auch um das Exkursions-angebot für die modularisierten Studiengängezu ergänzen. Von Studierenden werden wir indiesem Jahr abendliche Vorträge über nach-haltige Mobilität, Latein- und Südamerika,Tschetschenien und Russland hören.Der Leitgedanke der GeoWerkstatt ist der-

selbe geblieben: sie will ein Dach sein für viel-fältige Projekte und deren Umsetzung durchStudierende unterstützen. Das soll natürlichnicht darüber hinwegtäuschen, dass viele akti-ve Mitglieder Doktoranden oder Mitarbeiteram Institut waren oder sind. Namentlich sindhier Herr Prof. Dr. Jürgen Heinrich und FrauDr. Annett Krüger hervorzuheben, die beson-ders die Anfänge der GeoWerkstatt begleite-ten.Ausgehend von den 27 Gründungsmitglie-

dern stieg die Zahl der Mitglieder bis Ende2011 bis auf 79 an. Das liegt einerseits ammittlerweile sehr vielfältigen Angebot, ande-rerseits „aber auch großteilig an den alten Ha-sen, die sich weigern auszutreten und dabeibleiben“, meint der langjährige VorsitzendeRalf Gründling. Um bewusst Platz für neueIdeen und eine gewisse Fluktuation zu schaf-fen, gab es bereits einige Wechsel im Vorstand– auch damit die Idee der GeoWerkstatt le-

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bendig bleibt. In den letzten zehn Jahren ist esgeglückt, die Vereinsziele immer wieder um-zusetzen. Dabei konnte sich die GeoWerkstattin das Netzwerk der zahlreichen Institutionenam Geographie-Standort Leipzig einbringenund es z.   B. durch die Zusammenarbeit mitdem Umweltbildungs- und Umweltforschungs-verein ENEDAS e.V. erweitern. Heute ist es

gerade das Zusammenwirken der „alten Ha-sen“ und der jüngeren Mitglieder, die das Pro-fil der GeoWerkstatt Leipzig prägen.Liebe GeoWerkstatt Leipzig – alles Gute

zum Geburtstag und auf eine möglichst um-triebige, vielseitige und bemerkenswerte Zu-kunft!

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Sprach(r)ohrJorg Stephan Kahlert (Universität Bonn) : Aufruf zur Mitarbeitan einem Artikel zu Berufungsverfahren von Professoren

Anja Costa: Nachwuchsförderung oder „Lehrbelastung“?

Julian Trappe (Universität Dresden) : Das Ende der Geographie in Dresden?

Helge Piepenburg (Universität Freiburg) : Auswirkungen des Bologna-Prozessesauf die ehrenamtliche Aktivität der Studierenden

Die Rubrik Sprach(r)ohr versteht sich als Ort des Debattierens und des Meinungs-austausches. Das Sprach(r)ohr wurde erdacht, um als Forum kontroverser Diskus-sionen geographischer Fragestellungen und studentischer Belange zu dienen. Hierwerden Fragen aufgeworfen, Ideen sowie Kritik geäußert und natürlich diskutiert.Das Sprach(r)ohr soll die Meinungen Studierender im deutschsprachigen Raum hör-bar machen und dadurch vernetzend wirken. Fühl dich frei, dich einzubringen undnutze das Sprach(r)ohr, um Belange verschiedenster Art überregional zu diskutieren.

Sprach(r) ohr |

Zwo, eins – Risiko! Welches Risiko für dieMenschheit würdest du gerne vermeiden,wenn du ein Superheld wärst, wenn du derSchrecken der Risiken für die Menschheitwärst - der Schatten, der die gefährliche Nachtdurchflattert? Diese Frage stellte entgrenzt Stu-dierenden auf der Bundesfachschaftentagung(kurz: BuFaTa) im November 2011 (Passau).Zur Vermeidung möglicher Risiken für die

Studierenden – Berufung von Professoren, dievor allem die Drittmitteleinwerbung im Sinnhaben und für die nicht unbedingt die Qualitätder Lehre im Vordergrund steht – ruft JorgStephan Kahlert von der Universität Bonn zurMitarbeit an einem Artikel zu Berufungsver-fahren von Professoren auf, um Vertretern derStudierenden in den entsprechenden GremienEinflussmöglichkeiten auf das Verfahren auf-zuzeigen und Wissenslücken hinsichtlich desVorgangs zu füllen. Anja Costa greift diesesThema - die Qualität der Lehre an Universitä-ten - auf und fasst im Auftrag des AK „Qualitätder Uni-Lehre“ von der BuFaTa in Passau dieThemenschwerpunkte zusammen, die zur Ver-besserung der Lehre beitragen können und aufder nächsten BuFaTa in Leipzig im Mai 2012

weiter ausformuliert und konkretisiert werdensollen. Dresdner Studierende der FachrichtungGeographie beschäftigt derzeitig nicht einemögliche Verschlechterung der Lehre, sondernvielmehr, ob die drohende Schließung derGeographie noch abzuwenden ist. JulianTrappe vom Dresdner Fachschaftsrat Geogra-phie (kurz: FSR Geo) gibt Hintergrundinfor-mationen und beschreibt Gegenaktionen derStudierenden zum Vorhaben der sächsischenLandesregierung.Helge Piepenburg von der Albert-Ludwigs-

Universität Freiburg schildert seine Beobach-tungen hinsichtlich der Auswirkungen des Bo-logna-Prozesses auf die ehrenamtliche Aktivi-tät der Studierenden – besteht dadurch das Ri-siko eines Nonengagements von Studierendenfür ihre eigenen Belange?Beantworte auch du die Frage auf der ent-

grenzt-Homepage: Welches Risiko für dieMenschheit würdest du gerne vermeiden,wenn du ein Superheld wärst? Hilf damit, Ri-siken hör- und sichtbar zu machen. Nutze dasSprach(r)ohr und melde dich zu Wort!

Anne Patzig (Redaktion)

Editorial

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Welches Risiko für die Menschheit würdest duvermeiden, wenn du ein Superheld wärst?

Ich glaube Dürreperioden. Weilwenn die Grundbedürfnisse ei-nes Menschen gedeckt sind,besteht die Möglichkeit dieWelt zu bereichern.

Alice (Uni Aachen)

Ich würde verhindern, dass Wirt-schaftsunternehmen mehr Macht ha-ben als das Volk. Das regt mich auf,dass man dem mit Gesetzen kaumEinhalt gebieten kann.

Christoph (Uni Bochum)

AIDS und Hunger.Dirk (Uni Marburg)

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Da habe ich neulich drüber nachgedacht:Risiko entsteht, wenn die Menschen da sind.Also müsste man ja die Menschenabschaffen. Aber ich würde natürlich dieMenschen zum Umdenken bewegen.

Leonie, Uni Eichstätt

Die Gefahr, dass man sich selbstzerstört. Die Versuchung, dass dieMenschheit sich selbst zu Grunderichtet, ist ein großes Risiko.

Martin, Uni Leipzig

Ich würde das Geld abschaffen, weildas Geldsystem die Wurzel allenÜbels ist.

Steffen, Uni Bochum

Hm. Das ist schwer, aber das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist.Anonymer Teilnehmer der BuFaTa

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Aufruf zur Mitarbeit an einem Artikel zuBerufungsverfahren von Professoren

Jorg Stephan Kahlert(Geographisches Institut der Universität Bonn)

Dass ständig Aufgaben übernommen wer-den, für die nur wenig oder keine Erfahrungzur Verfügung steht, ist für die Arbeit der Ver-treter der Studenten eines Hochschulfachesnichts Ungewöhnliches. Da Berufungen vonProfessoren nur sehr unregelmäßig auftretenund häufig viele Jahre auseinanderliegen, istdie Teilnahme an Berufungsverfahren beson-ders davon betroffen, dass nötige Informatio-nen und Erfahrungen fehlen. Dies ist beson-ders kritisch, weil gerade die Berufung vonProfessoren ein komplexer Prozess ist, derdeutliche Auswirkungen auf die Qualität derLehre hat. Für eine anspruchsvolle Lehre spieltselbstverständlich auch eine qualitativ hoch-wertige Forschung eine Rolle. Dennoch kannder – zurzeit an den Universitäten immer wei-ter steigende – Druck finanziell messbare For-schung zu betreiben, zu Interessenkonfliktenbei der Auswahl der Bewerber führen. Diesekönnen zwischen der Berücksichtigung vonKriterien, die für die Qualität der Lehre wich-tig sind und solchen, die für das Erreichen dergeforderten finanziellen Quantität in der For-schung versprechen, bestehen. Das Verfahrenselber bietet verschiedene Möglichkeiten fürVertreter der Studenten Einfluss zu nehmen.Da es mehrstufig ist und schon mit der Vorbe-reitung zur Ausschreibung beginnt, gilt es zubedenken, wann welche Eingaben zu machensind und worauf jeweils zu achten ist. Dies istein Aufruf an einem Artikel mitzuarbeiten, derhilft sich auf die oben angesprochenen Her-ausforderungen besser vorzubereiten, mit die-sen umzugehen und von den Erfahrungen an-derer zu profitieren. Die Aufgabe den Vorgangder Berufung von Professoren zu beschreibenund die etwaigen Einflussmöglichkeiten aufdas Verfahren und deren Auswirkungen aufdie Lehre darzustellen, wird dadurch er-schwert, dass in der sehr heterogenen deutsch-sprachigen Hochschullandschaft sehr vieleverschiedene Regelungen und Rahmenbedin-gungen existieren. Dies kann nicht von einemeinzelnen Autor geleistet werden, sondern be-nötigt eine Vielzahl an Mitwirkenden mit Er-fahrung in der Berufung und Ausschreibungvon Professorenstellen. Es sind sowohl Auto-

ren gefragt, die den Artikel konstruktiv gestal-ten wollen, als auch solche, die sich bereit er-klären den Artikel abschließend darauf zuüberprüfen, ob die gegebenen Hinweise auchden eigenen Erfahrungen aus seinem Teil derHochschullandschaft entsprechen. Interessier-te melden sich bei [email protected].

Nachwuchsförderung oder„Lehrbelastung“?

Anja Costa

Es betrifft alle, ist für so manche Uni aber einschwieriges Thema: Wie können wir uns fürgute Lehre einsetzen? Man studiert nur ein-mal; was man dabei zu hören bekommt, ist je-doch sehr unterschiedlich – während manchevon ihren Lehrveranstaltungen schwärmenkönnen, ist bei anderen Frust angesagt. DieBuFaTa ist der optimale Ort, um sich darüberauszutauschen, was an der eigenen Uni gutgemacht wird und was man am Vorbild deranderen verbessern könnte! Die Diskussions-runde hat folgende große Themen entdeckt:

1 ) Studienorganisation! Wie ist derStudiengang konzipiert? Wie gutwird er betreut? In diesem Bereich gehtes um Sinn und Unsinn der Pflichtveran-staltungen, um die finanzielle Ausstat-tung z. B. der Exkursionen, um dieKontaktaufnahme zu potenziellenArbeitgebern etc.

2) Anforderungen! Sagtdie Zeugnisnotetatsächlich aus, ob man ein/e gute/rGeograph/in wird? Welchen Wert hatdas Zeugnis? Wie wirken sich die unter-schiedlichen Notenniveaus der verschie-denen Unis auf den Zugang zum Masteraus? Ein großes Thema ist hier v. a. dieGewichtung der Bachelorarbeit und diemanchmal unangenehme Wahrheit:„Kaum ein Prüfer an der Uni hat jePrüfen gelernt“…

3) Hochschuldidaktik! U. a. : Wie könnenVorlesungen und Seminare konkretbesser werden? Helfen Evaluationenwirklich und wie kann man sie durch-setzen? Was ist nötig, um der zunehm-enden Verschulung vorzubeugen? Esgeht z. B. um Belohnungssysteme für

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gute Evaluationsergebnisse und dieMöglichkeit, den Lehrenden Seminareanzubieten, in denen sie lernen ihreLehre zu verbessern. Außerdem solltenMöglichkeiten her, das Selbststudiumtrotz aller Stundenplankorsetts wiederstärker in den Vordergrund zu rücken.

4) Ausstattung der Lehre! In Zeiten aggres-siver Drittmitteleinwerbung (und leiderauch zunehmender Abhängigkeit davon)sinkt der Anreiz, Zeit in die Lehre zustecken; außerdem fehlen so mancheStellen. Wie können sich die Studentendafür einsetzen, dass ihre Ausbildungwieder stärker als ein Hauptziel derEinrichtung „Universität“ gilt?

Genauso wichtig wie gute Ideen an sich sindVorschläge, diese Anregungen konstruktiv zuvermitteln, damit sie auch Aussicht auf Erfolghaben. Das letzte Treffen hat gezeigt, dass hierviele Erfahrungen aus den verschiedenen Unisda sind und genutzt werden können (eine de-taillierte Liste der gesammelten Punkte liegtvor und kann nächstes Mal weiterverwendetwerden! ) – Aufgabe des nächsten Treffens soll-te sein, einige Themen zu priorisieren und dieVorschläge systematisch zusammen zu stellen,sodass sie als umsetzbare Tipps für interessier-te Fachschaften und Studenten veröffentlichtwerden können. In diesem Sinn: Auf eine hof-fentlich fruchtbare Weiterarbeit in Leipzig!

Das Ende der Geographie in Dresden?

Julian Trappe(FSR Geo Universität Dresden)

Im Doppelhaushalt 2011/2012 plant die säch-sische Landesregierung bis 2020 massive Kür-zungen im Bildungsbereich. Mittel in Höhevon 9,6 Mio. Euro für die Lehre sollen gestri-chen werden und damit mindestens 1 .042 Per-sonalstellen in Sachsen bis 2020 wegfallen.Besonders betroffen ist unter anderem dieGeographie, die von sieben Professuren 3,5verliert und damit den Fachbachelor 2012nicht mehr immatrikulieren wird. Alle aktuellImmatrikulierten haben die Zusage das Studi-um noch in der Regelstudienzeit abschließenzu können. Die Kürzung wird mit dem Demo-graphischen Wandel und den damit theore-tisch sinkenden Studentenzahlen begründet.

Dass es 2011 so viele Studienbewerber wienoch nie gab, alleine über 400 in der Geogra-phie, wird hierbei allerdings außer Acht ge-lassen. Dass sich unsere Universität als Vollu-niversität präsentiert, scheint auch keine Be-deutung zu haben. Die Problematik ist jedochnicht nur alleine der Plan der Stellenstrei-chung, sondern auch die Informationspolitik:So gibt es noch kein offizielles Schreiben derzuständigen Personen in Bezug auf die Kür-zungen. Unsere Fachschaft wurde lediglich(wie auch die Dozenten) von unserem Dekanin einem informellen Gespräch über die Kür-zungen informiert. Dem Dekan wurde dieKürzung auch nur verbal aus dem Rektoratmitgeteilt. Eine sachliche Begründung, warumgerade ein bestimmter Studiengang gestrichenwird, gibt es nicht: Man hat einfach dort ge-kürzt, wo es „alte“ Professoren oder nur ver-tretungsweise besetzte Professuren gibt. Auchdas allgemeine Verhalten des Rektors isthöchst unerfreulich, da dieser die geplantenStellenstreichungen nur abgenickt hat, ohneöffentlich zu protestieren, um die Bewerbungunserer Universität zur Exzellenzinitiativenicht zu gefährden. Dass sich ein Rektor auchanders verhalten kann, wurde unter anderemin Hamburg bewiesen. Wir können und wollendie Streichungen nicht akzeptieren, deshalbsind diverse Proteste geplant oder schondurchgeführt, zu denen wir auch die Studen-ten und Dozenten der anderen Universitätensowie andere freiwillige Helfer herzlich einla-den möchten. Neben einer Aktion, bei der 500Grablichter „In Gedenken an unsere Bildung“vor dem Rektorat angezündet wurden, undVorlesungen in der Öffentlichkeit, die eher ei-nem informativen Zweck dienten, wurde am18.01 .2012 das Rektorat besetzt und der Rek-tor zu einem Gespräch mit den Studierendenüberzeugt. Inwiefern dieses Gespräch inhalt-lich als ein Erfolg gewertet werden kann, istfraglich, aber immerhin hat es stattgefunden.Des Weiteren wird es im April zu einer großenDemonstration vor dem Landtag kommen. So-lange es noch keinen endgültigen Beschlussgibt, werden wir nicht aufgeben!

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Auswirkungen des Bologna-Prozesses aufdie ehrenamtliche Aktivität derStudierenden

Helge Piepenburg(Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)

Seit Oktober 2009 studiere ich an der Al-bert-Ludwigs-Universität in Freiburg und ver-folge von Anfang an die Fachschaftstätigkeitenvon meinen drei Studienfächern. Durch dieTätigkeiten in der Fachschaftenkonferenz, Ko-operationen mit anderen Fachschaften, sowiedurch die Teilnahme an den BuFaTa habe icheinen relativ guten Eindruck über die Ent-wicklung des Ehrenamtes auf Fachschaftsebe-ne erhalten. Allenorts stößt man hier auf diegleichen Probleme: Bachelor-Studierende, diesich grade neu eingefunden haben, sind nochnicht bereit sich in den Fachschaften zu enga-gieren, da sie sich erstmal mit allem vertrautmachen wollen; das Studentenleben und eineneue Umgebung kennen lernen müssen. Wenndiese anfängliche Hemmschwelle nicht über-wunden werden kann, so ist ehrenamtlicheFachschaftsaktivität nur in den seltensten Fäl-len von Bachelor-Studierenden zu erwarten.Das Problem, das sich zeigt, ist, dass viele

Studierende nach einer gewissen Eingewöh-nungszeit ihre Zelte im neuen Studienort be-reits wieder abbauen, da man auf Grund vonPraktika oder Auslandssemestern im Bachelorspätestens im fünften Semester einen Stand-ortwechsel vornimmt. Durch großes Engage-ment in den sogenannten Ersti-Wochen ist un-serer Geographiefachschaft gelungen, auch ei-nige Erstsemester für die Fachschaftsaktivitätzu gewinnen, das Problem jedoch bleibt! Nacheiner zwei bis drei Semester andauernden Ak-tivität sind die meisten Studierenden entwederim Ausland oder in der direkten Vorbereitungfür ihre Abschlussarbeiten. Langfristige Pro-jekte, große Aktionen und der wichtige Be-reich der kritischen Betrachtung der Hoch-schulpolitik entfallen durch so kurzes Engage-ment. Die meisten hochschulpolitischen Ver-änderungen durchlaufen die Mühlen derBürokratie relativ langsam, wodurch eigent-lich über mehrere Fachschaftsgenerationen einund derselbe Prozess begleitet werden muss.Die Folge dessen ist jedoch, dass die Studie-renden immer nur den Status quo bemängelnkönnen, jedoch an der Verbesserung undgrundlegenden Veränderung des Studiums

kein Interesse mehr bestehen. Sätze wie: „Dahabe ich dann ja eh nichts mehr von.“ Oder„Ich kann doch eh nichts ändern und bin baldwieder weg.“ hört man immer wieder. Ichdenke es liegt in der Verantwortung aller,Mitbestimmung weiterhin zu fördern, Prozesseder Akkreditierung und anderer Veränderun-gen durchschaubarer und vor allem schnellerzu machen, denn nur so kann bei einem dyna-mischeren Studium mit vielen Standortwech-seln und Praxiseinsätzen ein qualitativer Bei-trag von Studierenden geleistet werden. Diederzeitige Handhabung führt hingegen zu ei-ner, meiner Ansicht nach fatalen Gleichschal-tung der Studierenden. Wenn sich niemandengagiert und die Lehre an den Universitätenweiter ökonomisiert wird, so erziehen wir diehöchstqualifizierten Arbeitskräfte zu einergrauen Suppe von akzeptierenden Ja-Sagern.Der Prozess, der schon mit der Verkürzung

der Schulzeit beginnt und danach weiterge-führt wird, führt im Endeffekt zu einem Uni-versitätsabsolventen, der wenn er zügig war,mit 21 Jahren einen Bachelor- und mit 23Jahren einen Masterabschluss hat. DieserMensch hat sich jedoch in seiner Kindheit undJugend weniger mit Hobbies, Ehrenamt, Poli-tik und weiteren Bereichen des Tellerrandesbeschäftigt, als die Menschen, die noch „lan-ge“ zur Schule gingen und „ewig“ studierten!Und selbst diese Menschen sagen doch imNachhinein: „Es war mehr oder weniger Zu-fall, was ich studiert habe, im Beruf braucheich davon maximal 10 % und das Wichtigste,was ich im Studium gelernt habe, habe ich ne-ben dem Studium gelernt.“ Wenn man dieses„neben-dem-Studium“ wegnimmt, dann bleibteinem ein Mensch, der zufällig etwas studiert,von dem er dann später maximal 10 % benö-tigt. Wenn das das Ziel des Bologna-Prozesseswar, dann erreichen wir dieses bestimmt. Nureigentlich will das niemand von den direktBeteiligten und das sind immer noch wir Stu-dierenden!

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GeoPraktischArbeitswelt der Geographie: Nur ein weiterer Blog im Internet? Oder: Warum dieWissenschaft online gehen sollte!

Johannes Bürger: Auenwaldwanderkarten – Ein Praktikum bei TriPolis Leipzig

Engagement im Studium – Ein Interview mit der„Study Career Managerin“ Sonja Hock

Vernetzer zwischen Region und EU.Ein Interview mit dem Regionalmanager Matthias Wagner

GeoOrga

das Sommersemester ist für viele Studierendedas Abschlusssemester; die Bachelor-/Master-Arbeiten werden geschrieben, unzählige Bü-cher gewälzt und Untersuchungen ausgewertetetc. Für Manche beginnt danach der Ernst desLebens und die Studierenden werden immerwieder gefragt: „Und was soll mal aus dir wer-den?“. In diesem Zusammenhang veröffent-licht das Team des Blogs „Arbeitswelt derGeographie“, mit dem sie Hilfestellung bei derBeantwortung der Frage geben wollen, dahereinen kurzen Gastbeitrag über ihre Motive undZiele.Darüber hinaus wird sich GeoPraktisch in

dieser Ausgabe natürlich wieder mit Geogra-phInnen und deren praktischen Tätigkeitenbeschäftigen. So wird uns der Regionalmana-ger Matthias Wagner über seinen Arbeitsalltagberichten. Zudem möchten wir einen Testlaufstarten und ausgewählte Praktikumsberichte

präsentieren. Johannes Bürger gewährt ausdiesem Anlass Einblick in seine Arbeit bei Tri-Polis Leipzig.Die Rubrik GeoTipps vertieft in dieser Aus-

gabe unter dem Aspekt „Engagement im Stu-dium – Zwischen Lust und Pflicht“ ein Thema,das alle Studierenden betrifft, da ehrenamtli-ches bzw. gesellschaftliches Engagement beikünftigen ArbeitgeberInnen und Förderinstitu-tionen stets nachgefragt wird. Sonja Hock vonder Uni Frankfurt steht uns dazu Rede undAntwort.Nicht zuletzt werdet ihr in GeoOrga wieder

über spannende Veranstaltungen informiert,die innerhalb der nächsten Monate stattfindenwerden.Viel Spaß bei der Lektüre!

Carl Cengiz Rakip, Frank Meyer

GeoPraktisch ist eine Rubrik, die sich auf die Praxis bezieht. Hier werdenHinweise zum Studienalltag und wissenschaftlichen Arbeiten gegeben, Inter-views mit Praktikern aus geographischen Berufsfeldern vorgestellt, und Termi-ne zu interessanten, geographischen Veranstaltungen gelistet. Damit erhaltendie LeserInnen neue Anregungen und einen Überblick über ihre eigenen Fach-grenzen hinaus.

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Liebe Interessierte,

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Nur ein weiterer Blog im Internet?Oder: Warum die Wissenschaftonline gehen sollte!

Arbeitswelt der Geographie

Seit Anfang Juli 2011 haben wir uns zusam-mengetan um einen geographischen Blog –„Arbeitswelt der Geographie“ – auf die Beinezu stellen. Wir, das ist eine Gruppe von Geo-graphiestudentInnen und AbsolventInnen derHumboldt-Universität zu Berlin. Mittlerweilesind wir ein Team von acht AutorInnen, dieüber ihre derzeitige Situation, also den Über-gang vom Studium ins Arbeitsleben, berichten.Wir wollen Antworten auf Fragen finden, dieeigentlich alltäglich und doch so herausfor-dernd sind: „Was passiert nach dem Studi-um?“, „Welche Perspektiven habe ich und wassind die besten Anlaufstellen für den Einstiegin den Job?“ und „Was mache ich jetzt eigent-lich mit meiner Abschlussarbeit?“.Die bunte Mischung unserer AutorInnen ist

dabei von großem Vorteil. Einige von uns ste-cken mitten im Arbeitsleben und haben Jobsz.   B. im Verkehrswesen oder der E-Governancegefunden. So können sie ganz praktisch ausder Arbeitswelt für Geographen berichten.Manche von uns befinden sich in der Ab-schlussphase ihres Studiums und wissen dahergenau, wie sich die Orientierung und die Be-werbung auf dem Arbeitsmarkt für Geogra-phInnen anfühlen. Unser Blog soll aber nichtnur persönliche Erfahrungen weitergeben. Eswerden vor allem auch aktuelle Aspekte derGeographie immer wieder thematisiert undbehandelt.Aber was hat uns dazu geführt einen sol-

chen Blog ins Leben zu rufen? Gibt es dennnicht schon genug Blogs, Webseiten oder Bü-cher über die Geographie? Bietet gefühlt nichtjede zweite Personaldienstleistung eine Bera-tung zum Berufseinstieg an? Ist das Internetnicht eigentlich schon viel zu voll von solchenThemen?Beginnt man ein bisschen zu googeln, be-

antwortet sich die Frage ganz einfach: Eigent-lich nein! Google bietet nur einen Überblickund keinen wirklichen Informationsaustausch.Und wenn man sich dann durch die Vielzahlan Möglichkeiten klickt, stellt man sehrschnell fest: Eigentlich reicht das nicht! EinerUmfrage zu Folge ist die Vielfalt von Geogra-phie-Blogs in Deutschland deutlich geringer

als beispielsweise in den USA, dort sind esüber fünf Mal so viele Geoblogger (Quelle:Geonetzwerk). Das Potenzial scheint also nochnicht ausgeschöpft zu sein. Hinzu kommt, dassVieles, was man im Internet findet, unstruktu-riert ist und keine wirklich neuen Informatio-nen liefert; ganz zu schweigen davon, dasswissenschaftliche Seiten kaum die Möglichkeitbieten, sich zu vernetzen.Genau das waren die Beweggründe, einen

eigenen Blog zu erstellen. Als Kern des Blogswurde ein Magazin eingerichtet. Dieses bietetallen Interessierten eine Möglichkeit sich An-regungen für das geographische Arbeitslebenzu holen – aus praktischer und aus wissen-schaftlicher Sicht. Hier sind Fachartikel zu un-terschiedlichen geographischen Themen zufinden, die von uns oder auch von Gästen ausden verschiedensten geographischen Fachbe-reichen geschrieben werden. Studierende kön-nen sich Anregungen für Hausarbeiten oderAbschlussarbeiten holen oder einfach die ak-tuelle geographische Wissenschaft verfolgen.Beispielsweise haben wir gerade einen Artikelzu Bürgerbeteiligungsformaten veröffentlicht,der aktuelle Ansätze in der Geographie wie-dergibt und so auch einen Arbeitsbereich fürdie Geographie beispielhaft aufzeigt. Für dasMagazin wünschen wir uns, dass sich zukünf-tig auch DozentInnen und andere ExpertInnenin Diskussionen mit einklinken, andere Blogsverlinken und so Wissen mit den Lesenden ge-teilt und Interesse geweckt wird. Ein/e jede/rkann mitdiskutieren, sich inspirieren lassenund sich vernetzen. Und Unternehmen habendie Möglichkeit, sich über die Ausbildungs-schwerpunkte der Geographie zu informierenund sich so für das Berufsbild von Geogra-phInnen zu sensibilisieren.Eine Besonderheit stellt die Kategorie „Be-

rufseinstieg“ dar. Erfahrungsberichte über dieSuche nach einem geeigneten Arbeitsplatz sol-len hervorgehoben werden. So hat sich einAutor beispielsweise mit der „Suche nach demTraumjob“ beschäftigt und seine Erfahrungenund Tipps aufgeschrieben. Die Kategorie dientaber auch dazu, auf Unternehmen aufmerksamzu machen, die interessante Angebote fürGeographen haben. Die Veröffentlichung vonStellenanzeigen explizit für GeographInnensoll den Bereich vervollständigen. Ein Ziel ist,dass über dieses Karriereportal Unternehmenund Leser schnell zusammenfinden.Unser Blog „Arbeitswelt der Geographie“

steht allen offen. Jede/r ist eingeladen, sich

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auch selbst einzubringen und im Austausch zusein, zum einen über die Kommentare undzum anderen auch als AutorIn. Doch vor al-lem, so denken wir, wird unsere „Bibliothek“der virtuelle Ort sein, an dem sich jede/r zei-gen darf. Es wird viel Platz für geographischeAbschlussarbeiten geboten. Jede/r darf sei-ne/ihre Arbeit kostenlos vorstellen, publizie-ren und weiterreichen. Zu jeder neuen Arbeit,die onlinegestellt wird, kann der/die AutorInein kurzes Essay publizieren, Kontaktdatenhinterlegen und so inhaltlich allen Lesendeneine Bereicherung sein. Denn was wäre dieWissenschaft, wenn man sich nicht darüberaustauschen würde? Wir träumen davon, ineiniger Zeit eine internationale und vielfältigeSammlung von Arbeiten zusammen getragenzu haben, die jedem/r frei und kostenlos zurVerfügung steht. Jede/r der über einen Inter-netzugang verfügt, soll freien Zugang zu Wis-sen haben und dieses auch für sich nutzendürfen.

www.arbeitsweltdergeographie.com

Auenwaldwanderkarten – Ein Praktikumbei TriPolis Leipzig

Johannes Bürger (Leipzig)

Die Stadtgeographie ist ein besonders span-nender anthropogeographischer Themenbe-reich, weil Stadträume einer intensiven Dyna-mik in sozialer als auch städtebaulicher Hin-sicht unterworfen sind. Um für Planungen imstädtischen Bereich ein besseres Verständniszu gewinnen, zog ich ein Praktikum in derLeipziger Stadtplanung in näheren Betracht.So bewarb ich mich um ein Praktikum imLeipziger Stadtplanungsbüro TriPolis, umeinen Einblick in verschiedene aktuelle Leipzi-ger Stadtprojekte und deren Konzeptionen zuerhalten. Unter anderem war ich somit wäh-rend meiner Praktikumszeit mit einem Auen-waldprojekt beschäftigt.Das Team TriPolis hat neben vielen Desig-

nern, Künstlern, Handwerkern und Galeristenein Büro im Tapetenwerk in Leipzig-Lindenau.Die zwei Diplom-Geographen Dirk Zinner undSebastian Bodach gehören mit ihrer GbR alsonur zu einigen der vielen „kreativen Köpfe“,welche sich in dem Kreativzentrum niederge-lassen haben. Der Name „TriPolis“ ist keine

Anlehnung an die Hauptstadt Libyens, sondernerhält seinen Sinn durch die Bedeutung zweiintegrierter Wörter: „Tri“, übersetzt aus demgriechischen bedeutet „drei“; „Polis“ ebenfallsübersetzt, bedeutet „Stadt“. Durch diese Na-mensgebung wurde idealerweise der Bezugder Städteplaner zu ihrem Arbeitsfeld ge-macht. Ihre Vorstellung, ein kreatives Stadt-und Regionalentwicklungsbüro zu gründen,setzten sie im Sommer 2010 in die Tat um undkonzentrieren sich seither auf die LeipzigerStadtentwicklung. TriPolis erarbeitet dabeineue und nachhaltige Konzepte für LeipzigerStadt, Fluss und Land.Neben der Erarbeitung von Konzeptionen

für das Magistralenmanagement und Informa-tionssystemen für den Einzelhandel, legt Tri-Polis ein Augenmerk auf die Vermarktung derWasser- und Auenlandschaft im LeipzigerRaum. Da sich Leipzig nicht ohne Grund als„Wasserstadt“ präsentiert, ist der Ausbau des„Neuseenlands“ rund um Leipzig und die An-bindung Leipziger Gewässer an bedeutendenationale Gewässer von großer Bedeutung.Um die allgemeine Aufmerksamkeit bezüglichdes umfangreichen Gewässernetzes und derSeenlandschaft zu erhöhen, konzipierte TriPo-lis eine Wasserwanderkarte. Im Mittelpunktdieser Karte stehen sowohl für Wassersportge-räte befahrbare, als auch unbefahrbare Ge-wässer. Außerdem sind viele Freizeitangebotemit wassernahem Bezug gekennzeichnet undwerden vorgestellt. Mittlerweile ist die Was-serwanderkarte schon in ihrer zweiten Auflageöffentlich erhältlich und dient TriPolis als ge-lungene und wichtige Referenz. Momentanwidmet das Team seine Arbeit der Erstellungeiner weiteren Karte. Deren Inhalt bezieht sichaber nicht auf die Wasserlandschaft Leipzigs,sondern auf den Leipziger Auenwald. Er ist ei-ner der größten Auwälder Mitteleuropas undbietet einer breiten Artenvielfalt der Flora undFauna trotz Stadtnähe einen Lebensraum. Tri-Polis hat es sich nun zur Aufgabe gemacht,dieses sensible Ökosystem als Naturschutzge-biet und Erholungsort vorzustellen und mitHilfe von Wanderrouten einen umfassendenund aufklärenden Einblick in den Auenwaldzu gewähren. Vor allem bei diesem Projektfand ich meine Aufgaben für den sechswöchi-gen Praktikumsaufenthalt im Team vonTriPolis.Das Projekt „Auenwaldkarte Leipzig“ be-

fand sich zu Antritt meines Praktikums nochin Vorüberlegung. Es gab bis dahin nur grobe

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Vorstellungen des Endproduktes. Von Anfangan stand jedoch fest, dass auch ein Begleitheftzur Auenwaldkarte erscheinen soll, in wel-chem die Wanderkarte integriert sein soll. Sowar ich zunächst damit beschäftigt, Daten fürdas aktuelle Projekt „Auenwaldkarte Leipzig“zu erheben. Wenige Wochen später konnte ichdann mit der Erstellung einer Auenwaldkartesowie dem dazugehörigen Begleitheft begin-nen.Um eine Wanderkarte zu erstellen, werden

viele Daten, bestehend aus Punkten, Vektorenund Polygonen benötigt. Sie befinden sich ineiner Datenbank und durch sie können Infra-struktur und Natur, wie z.   B. Haltestellen(durch Punkte), Straßen (durch Vektoren) undWaldflächen oder Seen (durch Polygone), dar-gestellt werden. Um den Leipziger Auwald al-so später vollständig abbilden zu können,musste zuvor jegliche Infrastruktur des Auwal-des in eine Datenbank aufgenommen werden.Ausgestattet mit einem GPS-Empfänger undeinem Fahrrad fuhr ich zunächst zur Kartie-rung die Auenwaldgebiete ab. Das GPS-Gerätwurde so programmiert, dass es aller vier Se-kunden eine Verbindung mit einem Satellitenaufnahm und einen „Wegepunkt“ setzte. Ne-ben der Kartierung der Waldwege nahm ichinfrastrukturelle Objekte wie Spielplätze, Re-staurants, Rastplätze etc. in einer Liste auf.Auch die Wanderwegemarkierungen auf Schil-dern und Bäumen verzeichnete ich in einerKartei. Zudem machte ich von allen Informa-tionstafeln entlang der Wege, welche über an-sässige Flora und Fauna aufklären, ein Foto.Auf diese Tafeln und dessen Inhalt sollteschließlich noch im später erstellten Begleit-heft hingewiesen werden. Jedem Weg wies icheine Kategorie zu, die seiner näheren Charak-terisierung dienen sollte. Für die spätere Karteund der Findung potenzieller Wanderwege istes schließlich von Bedeutung, wie die Wan-derwege beschaffen sind und ob es sich um as-phaltierte Wege oder um Trampelpfade han-delt, die nicht für jedermann passierbar sind.Nach dieser Datenerhebung konnte die Kar-

tenerstellung am Computer im Büro fortsetztwerden. Die gespeicherten Daten des GPS-Ge-rätes wurden in eine GIS-Datenbank übernom-men und bereinigt, indem doppelte Vektorengelöscht, Überschneidungen gekürzt undKrümmungen begradigt wurden. Zur Datenbe-reinigung, Datenübernahme und Vorbereitungder Wanderkarte bediente ich mich der Soft-ware „QGIS“. Mit der Übernahme der Wege in

die Datenbank ordnete ich ihnen den Grad derBeschaffenheit mit Hilfe der zuvor angelegtenKategorienliste zu. Anschließend wurden auchdie Punkte in die GIS-Datenbank übernom-men, welche infrastrukturelle Objekte wiez.   B. Rastplätze kennzeichnen. In der Attribut-tabelle dieser Punkte erstellte ich eine weitereTabelle, in der die Art des Objektes und gege-benenfalls auch deren Objektname z.   B. beiRestaurants und Cafés, eingetragen wurden.Durch meine Internetrecherche konnten au-ßerdem die Öffnungszeiten von den Einrich-tungen in einer Spalte eingetragen werden.Nachdem nun den in die Datenbank neuhin-zugefügten Vektoren und Punkten die entspre-chenden Eigenschaften zugefügt wurden, wardamit die vorläufige „Datenaufnahme“ been-det. Der nächste Schritt und damit die Karten-erstellung konnte nun beginnen.In der GIS-Datenbank befanden sich nun

verschiedene Layer, die sich aus Punkten,Vektoren und Polygonen zusammensetzten.Beispielsweise repräsentierten grüne Flächenden Layer „forest“ für „Wald“, der Layer„streets“ setzte sich hingegen aus unterschied-lich dicken Linien (je nach Straßentyp) zu-sammen. Eine letztendlich fertige Karte be-steht schließlich aus der „Überlagerung“ derunterschiedlichen Layer. Bevor ich aber dieLayer-Zusammenstellung beginnen konnte,war zuerst die Anordnung der jeweiligenBlattausschnitte, auf welchen die Waldgebietespäter in einem bestimmten Maßstab abgebil-det werden sollten, von großer Bedeutung. Beider Abdeckung des Raumes durch geeigneteBlattformate und Maßstäbe mussten die künf-tigen Druckkosten für die Karten entsprechendberücksichtigt und trotzdem eine gute Lesbar-keit begünstigt werden.Alle Layer der Datenbank mussten dann

dem letztendlichen Maßstab angepasst werdenund jeweils in das Layout-Programm „AdobeIllustrator“ übernommen werden. Die Farbge-bung der Objekte, die Schrift und die Symbo-lik sollten mit der bereits von TriPolis erstell-ten Wasserwanderkarte identisch sein. DieLayer der Auenwaldkarte sollten in der glei-chen Reihenfolge übereinander angeordnetwerden. Des Weiteren sollten alle großenStraßen, Stadtteile, Flüsse, Bus- und Straßen-bahnlinien entsprechend in der Karte beschrif-tet werden.Während meiner wochenlangen Arbeit im

Büro stand ich kontinuierlich in Kontakt miteinem Ornithologen. Dieser absolvierte eben-

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falls mit mir ein Praktikum bei TriPolis undwar stets im „Außeneinsatz“. Er sammelte In-formationen zu Flora und Fauna des Auwaldesund kartierte die Gebiete, in denen die jewei-ligen Arten vorkommen. Im Begleitheft derAuenwaldkarte soll auf die einheimischen Tie-re und Pflanzen aufmerksam gemacht werden,deshalb dienten die Kartierungen des Ornitho-logen als Vorlage der Konzeption neuer Wan-derwege durch den Auwald. Die jeweiligenvon ihm untersuchten Gebiete projizierte ichauf die neue Auenwaldkarte, um anhand desWegesystems geeignete Wanderrouten zu fin-den, welche die interessantesten botanischenAreale miteinander verbinden sollte und be-stimmte Kriterien berücksichtigen: Die Routensollten jeweils nicht länger als neun Kilometersein. Der jeweilige Routenend- bzw. Anfangs-punkt sollte außerdem nicht weit entfernt voneiner anderen Wanderroute und einer Halte-stelle des ÖPNV liegen. Ein weiteres Kriteriumbestand darin, dass sich Rast- und Spielplätzeentlang der Wege befinden sollten.Nach der zunächst musterhaften Erstellung

der Wanderrouten war es nötig, die Wegemindestens einmal selbst abzulaufen, bevorman sie schließlich der Öffentlichkeit empfeh-len wollte. Dabei wurden sie auf ihre infra-strukturelle Beschaffenheit getestet, welcheden potenziellen Wanderern aller Altersgrup-pen angemessen sein sollte. Mit einem Team-

kollegen, der meine Kartenerstellung beauf-sichtigte, prüfte ich die von mir konzeptio-nierten Wanderwege im Rahmen einer Rad-tour. Nach einem positiven Ergebnis stand derErstellung der Wanderwege und ihrer letzt-endlichen Übertragung auf die Karte nichtsmehr im Wege und die gesamte Kartenerstel-lung der Auenwaldwanderkarte war nach un-gefähr vierwöchiger Arbeitszeit beendet.In meiner weiteren Praktikumszeit durfte

ich fortan auch als Autor des Begleitheftesdienen. Ich forderte stets die aktuellen Stich-punkte des Ornithologen an, formulierte dieseaus und schrieb zu den jeweiligen Routeneinen Begleittext, der neben der Informations-gabe auch der besseren Orientierung für dieWanderer im Wald dienen sollte.Das Praktikum bei TriPolis hatte mir unge-

ahnte Möglichkeiten eröffnet. Ich habe beson-ders davon profitiert, meine an der Universitätangeeigneten „GIS-Kenntnisse“ unter Beweiszu stellen, konnte sie aber auch erweitern. Daich voll und ganz in das Projekt „Auenwald-karte“ integriert war, lernte ich die Arbeitsab-läufe zum Erstellen einer solchen Karte sehrgut kennen. Außerdem konnte ich viele mei-ner Ideen in dem großen Projekt verwirkli-chen. Mit den gewonnenen Erfahrungen kannich nun selbstständig eine Karte mit Hilfe dergenutzten Software erstellen. Auch in Geogra-phie-Hausarbeiten und schließlich der Bache-

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Abbildung 1: Ausschnitt aus dem GIS-Projekt zur Auenwaldkarte, Quelle: eigene Darstellung

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lorarbeit sind häufig Kartierungen nötig, fürdessen Erstellung genaue GIS-Kenntnisse vongroßem Vorteil sind. Für sechs Wochen durfteich zu einem großartigen und kreativen Teamgehören, in dem man einander großen Re-spekt erwies – besonders auch mir als Prakti-kanten. Die lockere Arbeitsatmosphäre im Bü-ro, das Arbeiten an der frischen Luft habenmein Praktikum ebenfalls sehr abwechslungs-reich gestaltet.

Engagement im Studium – Ein Interviewmit der „Study Career Managerin“

Sonja Hock(Frankfurt am Main)

Carl Rakip: Können Sie kurz ihre Tätigkeitbeschreiben?

Dr. Sonja Hock: Ich bin am Institut für Hu-mangeographie als Study Career Managerintätig. Das bedeutet, ich bin für die Beratungder Studierenden und die Betreuung bei Fra-gen rund ums Studium, für die Auslandsauf-enthalte im Rahmen des Erasmus-Programmsund für Praktika zuständig und habe eineLehrverpflichtung von vier Semesterwochen-stunden.

Carl Rakip: Durch die Bologna-Reform istdas Studium durch die Einführung der Bache-lor/Master-Studiengänge zeitlich sehr eng be-messen. Wie passen Engagement und der ausder Reform resultierende Zeitdruck zusam-men?

Dr. Sonja Hock: Der Zeitdruck bei den Stu-dierenden ist durch die Bologna-Reform sehrangewachsen. Zwei Gründe würde ich hiernennen: Zu Beginn der Bologna-Reform hatman die Studienordnungen einfach von Di-plom auf Bachelor umgestellt, mit wenig in-haltlichen Kürzungen und sehr vielen Leis-tungsnachweisen. Mittlerweile hat man esaber geschafft, durch weitere Reformen diesenLeistungsdruck wieder etwas herauszuneh-men. Dennoch: Vergleicht man den Bachelor-mit dem ehemaligen Diplom-Studiengang, istfestzustellen, dass die Studierenden das Studi-um unter einem höheren Zeitdruck zu bewäl-tigen haben. Aber auch die Studierendenselbst bauen Druck auf. In meiner Studienzeitgab es Regelstudienzeiten von 9-10 Semestern.Trotzdem konnte man sich Studienzeiten von12 Semestern und mehr erlauben. Viele der

Bachelor-Studis starten heutzutage in ihr Stu-dium und denken, dass man in sechs Semes-tern fertig sein MUSS. Wenn nebenbei anderesgemacht wird, ist es völlig in Ordnung siebenoder acht Semester zu studieren. Es sind keineRechtfertigungen nötig, wenn man ein oderzwei Semester mehr studiert.

Carl Rakip: Wie können Sie sich diesenselbstauferlegten Druck erklären?

Dr. Sonja Hock: Schwierige Frage. Wir ha-ben einen nicht nur das Studium betreffendenWandel, wie die Bologna-Reform, sondernauch einen gesellschaftlichen Wandel durch-lebt. Heutzutage machen sich die Studieren-den zum Beginn ihres Studiums viel mehr Ge-danken, wie man sich z.   B. im Alter versorgt.Es existieren vielmehr Zukunftsängste und daserhöht meines Erachtens den Druck. Dabeifände ich es auch sehr wichtig, sich zu enga-gieren, sei es im sozialen oder gesellschaftlich-politischen Bereich. Mir ist aufgefallen, dassim Bachelorstudium das Fachschafts-Engage-ment gesunken ist. Und gleichzeitig herrschtdie Meinung vor, man sollte mehrere Praktikaabsolvieren. Das passt nicht richtig zusammen.Meiner Meinung nach brauchen sich die Stu-dierenden nicht schon im ersten StudienjahrGedanken über spätere Praktika machen, das

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hat noch Zeit. In unserer Einführungsvorle-sung „Einführung in das Studium der Geogra-phie“ stellen wir uns dieses Jahr den Studie-renden vor und erzählten wie lange wir fürunser Studium gebraucht haben und das kei-ner von uns in der Regelstudienzeit studierthat. Damit wollen wir schon am ersten Tagdas Gefühl vermitteln, die Welt geht nicht un-ter, wenn man sieben oder acht Semester stu-diert.

Carl Rakip: Welche Arten von Engagementwürden Sie innerhalb aber auch außerhalb desStudiums empfehlen, vielleicht auch mit Blickauf das spätere Berufsleben?

Dr. Sonja Hock: Ich persönlich würde stu-dentische Aktivitäten empfehlen. Übrigens,fast alle KollegInnen am Institut waren inFachschaftsarbeiten involviert, wenn nicht so-gar selbst in der Fachschaft aktiv. Das stärktdie Leidenschaft zum Fach. Darüber hinausbekommt man einen besseren Überblick überdie Disziplin, Institutsbelange, etc. Hofft manauf ein politisches Stipendium für die Promo-tion, dann ist es natürlich von Vorteil sich inpolitischen Parteien zu engagieren.Geographie-Studierenden würde ich emp-

fehlen auf geographische Tagungen zu gehen.Es wäre zu wünschen zumindest einmal wäh-rend des Studiums auf dem Geographentag ge-wesen zu sein oder auf Tagungen wie derNeuen Kulturgeographie 2012 in Hamburg.

Carl Rakip: Wie können Studierende dieseErwartungshaltung überhaupt erfüllen, wennsie beispielsweise Verwandte pflegen oderKinder haben oder das einfachste Beispiel, sichselbst versorgen müssen, sprich einen Neben-job haben, der fast die komplette übrige Frei-zeit einnimmt?

Dr. Sonja Hock: Wir haben einen Studie-renden, der neben dem Masterstudium eineFirma aufbaut und ich weiß von einer Master-studentin, die Ihre Eltern pflegt. Komischer-weise engagieren sich diese trotzdem noch. Ineinem Vorstellungsgespräch erkennen Perso-nalleiterInnen meines Erachtens, ob sich je-mand wirklich nicht engagieren konnte odernicht wollte.

Carl Rakip: Welche Rolle spielt die Art dergetätigten Nebenjobs?

Dr. Sonja Hock: Die Studis sollten sich ge-nau überlegen, ob man eher in einem Fitness-studio als Trainer oder am Wochenende an ei-ner Bar arbeitet? Oder doch vielleicht einPraktikum annehmen? Viele Praktika sind be-zahlt. Will man beispielsweise in die Wirt-

schaftsförderung, dann ist es besser zunächstein Praktikum dort zu machen. Letztendlichist das aber auch immer wieder eine individu-elle Frage. Man muss sich irgendwann ent-scheiden was man will.

Carl Rakip: Wenn ich jetzt aber mal dieneoliberale Schiene mit einbringen darf. VonAkteuren wird mittlerweile erwartet, dass siewie kleine Unternehmen ein gewisses Portfolioaufweisen sollen, sich also präsentieren. Danngehört es ja mittlerweile dazu, um konkur-renzfähig zu bleiben, Engagement auf ebendiesem Portfolio zu haben. IndividuelleSchwierigkeiten geraten dann eher in denHintergrund. Wird von Studierenden in die-sem Sinne erwartet eine "eierlegende Woll-milchsau" zu sein?

Dr. Sonja Hock: Das würde ich so nichtunterschreiben. Es wird erwartet, dass Arbeit-nehmerInnen flexibel sind, auf neue Anforde-rungen reagieren und genau das sagt manGeographen nach. Sie sind in der Lage sichschnell auf einem Gebiet einzuarbeiten undsich neuen Herausforderungen zu stellen. DieUnternehmer in der Wirtschaft wissen, dass imBeruf noch sehr viel gelernt werden muss. DieArbeitsvorgänge sind mittlerweile so speziell,dass kein Studium zu 100 % vorbereiten kann.Wird in der Stellenbeschreibung etwas erwar-tet, das man noch nicht vorweisen kann undman wird trotzdem eingeladen, dann hat manInteresse geweckt. Jetzt ist es wichtig die Be-reitschaft zu zeigen, ggf. Lücken bis zum ers-ten Arbeitstag aufzuholen. Das ist wichtig unddas wäre dann ein genau passendes Engage-ment.

Carl Rakip: Können Sie sich vorstellen,dass auch die Umstände, ich sag mal G8 oderder Wegfall des Wehr- und Zivildienstes Aus-wirkungen auf diese ganze Situation hat? DieStudierenden werden immer jünger, dannkommt die Frage dazu, ab wann werden diesejungen Studierenden wirklich selbstständig?

Dr. Sonja Hock: Ich habe schon den Ein-druck, dass zu meiner Studienzeit die Studie-renden spätestens nach dem 2. Semesterselbstständiger waren als die Studierendenheute während des gesamten BA-Studiums.Das ist kein Vorwurf. Heutzutage wohnen vie-le noch daheim, damals zog man um. Im Ba-chelorstudiengang wird – oft von den Studie-renden selbst – erwartet, dass man sie relativlange an die Hand nimmt und führt. Wir ha-ben den Eindruck, dass die Studierenden dasselbst von uns verlangen. Um zum Engage-

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ment zurückzukommen: Wir hatten damals dieMöglichkeit, im Sinne eines Studium Generaleauch Vorträge aus verwandten Disziplinen an-zuhören. Diese Möglichkeit ist heute noch da,wird aber kaum genutzt. Da spielt natürlichwieder das Vorgegebene der Bologna-Reformeine Rolle. Es gibt beispielsweise auch vielmehr Studierende als damals, die eine psycho-logische Beratung in Anspruch nehmen müs-sen. Das ist furchtbar, dass Menschen mit 22sich von einem Arzt bescheinigen lassen müs-sen, dass sie kurz vor einem „Burn-Out“ ste-hen und total überlastet sind. Da läuft etwasfalsch.

Carl Rakip: Würden sie noch etwas zumAbschluss empfehlen, wie sich Studierende imGeographie-Studium engagieren sollten?

Dr. Sonja Hock: Ich würde allen Studieren-den raten, das zu machen, was ihnen Spaßmacht. Dies finde ich wichtiger als eine ausge-klügelte Strategie.

Carl Rakip: Vielen Dank für Ihre Zeit undfür das Interview.

Vernetzer zwischen Region und EU.Ein Interview mit dem RegionalmanagerMatthias Wagner

Matthias Wagner(Leipzig)

Frank Meyer: Bitte stellen Sie sich inner-halb von drei Sätzen unserer Leserschaft vor.

Matthias Wagner: Mein Name ist MatthiasWagner. Ich habe am Institut für Geographieder Universität Leipzig mein Diplom als Geo-graph gemacht. Ich bin seit 2009 Regionalma-nager für die LEADER-Region Leipziger Mul-denland

Frank Meyer: Was sind Ihre Aufgaben alsRegionalmanager?

Matthias Wagner: Ich koordiniere die Um-setzung des Integrierten ländlichen Entwick-lungskonzepts (ILEK), welches zukünftigeHandlungsfelder definiert, um die Region wei-terzuentwickeln. So gibt es z.   B. das Hand-lungsfeld „Die Energiezentrale“, innerhalbdessen wir ein Regionalmanagement einrich-ten und das Regionalmarketing entwickeln. ImSchwerpunkt „Energie aus dem Netzwerk“ soll

die interkommunale, interregionale und inter-nationale Zusammenarbeit gestärkt werden;und mit dem Handlungsfeld „Dem Lebens-raum Energie geben“ soll die soziale, kulturel-le, touristische und technische Infrastrukturunterstützt werden, d.   h. die Region soll alsbeliebte Wohnregion und Erholungsraum vonallen Generationen geschätzt bleiben. Zu die-sen Handlungsfeldern gab es ursprünglich fast400 Projektvorschläge und es kommen immerneue hinzu. Oftmals muss überprüft werden,ob und wie diese umsetzbar sind. Bevor dieProjekte umgesetzt werden können, wird einpositives Votum des Koordinierungskreisesbenötigt, der auch Projekte priorisiert. DasRegionalmanagement bereitet die Projekte so-weit vor, dass sie in den Arbeitsberatungenbesprochen werden können.Eine unser wichtigsten Aufgaben ist aber

die Vernetzung von Akteuren innerhalb vonArbeitsgruppen wie Tourismus, Interkommu-nale Zusammenarbeit, Netzwerk Energie Mul-denland, AG Rad- und Wanderwege Machern,Runder Tisch der Vereine Machern u.v.m. Wirberaten darüber hinaus Kommunen und Ak-teure der Wirtschaft und des sozialen Lebenszur Beantragung von Fördermitteln für Pro-jekte der ländlichen Entwicklung; wir betrei-ben Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit, Pflegeder Internetseite, Newsletter, Beteiligung anregionalen Veranstaltungen, Vorträge, Flyerund Poster). Wir beschäftigen uns oft mit derBeantragung und Abrechnung von Fördermit-teln für das Betreiben des Regionalmanage-ments, müssen Tätigkeitsberichte und einjährliches Monitoring erstellen. In der Praxiskooperieren wir oft mit Fachbehörden und an-deren Regionalmanagements, aber auch ande-ren LEADER-Regionen. LEADER steht dabeifür ein Förderprogramm für den ländlichenRaum und bedeutet abgekürzt „Liaison entreactions de développement de l'économie rura-le“ (= Verbindung zwischen Aktionen zurEntwicklung der ländlichen Wirtschaft). Undnatürlich steht der Büroalltag an: Der Bürobe-trieb mit zwei Mitarbeitern muss geplant undverantwortet werden.

Frank Meyer: Welche Projekte beschäfti-gen Sie derzeit besonders?

Matthias Wagner: Derzeit ist es das Projekt„Energieautarke LEADER-Region LeipzigerMuldenland“. Es fokussiert die Erstellung undUmsetzung eines Energiekonzeptes, welchesdie Ermittlung der Einsparpotenziale im Be-reich Strom und Wärme, der Potenziale zum

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regionalen Ausbau Erneuerbarer Energien so-wie die Ermittlung und Untersuchung konkre-ter Maßnahmen und Projekte unter Berück-sichtigung des ILEK der LEADER-Region um-fasst. In diesem Rahmen führen wir auch re-gionale Energieradtouren durch. Außerdemgibt es verschiedene LEADER-Projekte zurländlichen Entwicklung, bei denen es meistum Umbaumaßnahmen an Gebäuden oderStraßenbaumaßnahmen geht. Weiterhin tref-fen wir Vorbereitungen für den Aufbau einesGeoparks und arbeiten an einem Kooperati-onsprojekt mit der LEADER-Region GießenerLand, bei dem es um den Erfahrungsaustauschzum Thema Wertschöpfung und ErneuerbareEnergien geht. Nicht zuletzt gilt es derzeitauch, sich auf die nächste Förderperiode ab2014 vorzubereiten.

Frank Meyer: Wie verlief Ihre Laufbahn biszu Ihrer derzeitigen Beschäftigung?

Matthias Wagner: Vor meinem Studiumhabe ich eine zweijährige Ausbildung in derHotellerie abgeschlossen. Ich entschied michzu einem Studium, weil Geographie einegroße Bandbreite an Themengebieten be-reithält – vom Naturraum bis hin zur wirt-schaftlichen und politischen Entwicklung. DasStudium zwischen 2003 und 2008 habe ichdann schlussendlich mit einer Diplomarbeitzum Thema „Stadtmarketing in Kleinstädtenin einer LEADER-/ILE-Region“ abgeschlossen,und konnte glücklicherweise sofort als Mitar-beiter im Regionalmanagement Leipziger Mul-denland anfangen, und wurde 2009 leitenderRegionalmanager Leipziger Muldenland.

Frank Meyer: Wie wirkten sich die Vertie-fungen während Ihres Studiums auf Ihre Be-werbung aus?

Matthias Wagner: Ich beschäftigte mich inder Vertiefung Anthropogeographie besondersmit Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeographie.In diesem Zusammenhang haben sich die The-men Regionalentwicklung und Regionale Geo-graphie als zielführend erwiesen. Im Neben-fach studierte ich Ost- und Südosteuropawis-senschaften hinsichtlich Kultur, Politik undGeschichte. Das gab mir zwar einen Einblickin die regionale Geographie Europas – für diespätere Berufswahl war das aber eher von ge-ringerer Bedeutung. Viel wichtiger war meineDiplomarbeit, die ein regionales Beispiel vonRaumentwicklung und regionaler Geographiebot und eine große thematische Bedeutung fürden Einstieg in das jetzige Arbeitsfeld hatte.

Frank Meyer: Welche Rolle haben Praktika

und Ehrenämter bei der Jobsuche gespielt?Matthias Wagner: Ich glaube, dass hohes

Engagement schon während des Studiumswichtig ist. Ich habe z.   B. durch verschiedenePraktika im Laufe des Studiums und in denSemesterferien aktiv Schwerpunkte gebildet.So habe ich während Praktika Erfahrungensowohl in Forschungseinrichtungen, als auchin Koordinierungsstellen für die ländliche Ent-wicklung, in der Universität Leipzig oder ineinem Projektbüro für alternative Wohnfor-men Erfahrungen u.   a. mit der Netzwerkar-beit, dem Erheben und Auswerten von Datenoder der Organisation von Veranstaltungengesammelt. Nach und nach hat sich mit denverschiedenen Praktika da ein roter Faden ge-bildet, indem sich auch ein Interessenschwer-punkt für die Regionalentwicklung herausge-stellt hat.

Frank Meyer: Welche persönlichen Kom-petenzen sollte ein/e BewerberIn mitbringen?

Matthias Wagner: Das Berufsfeld für ei-ne/n RegionalmanagerIn erfordert natürlichgroße Kenntnisse über die Region, in der manund für die man verantwortlich ist. Die kannman mitbringen oder erwerben, aber ohnegrundlegende Kenntnisse scheint eine Einstel-lung problematisch. In der Praxis dann ist vorallem Belastbarkeit erheblich wichtig. An vie-len Tagen müssen viele Termine an vielen Or-ten unter einen Hut gebracht werden. In die-sem Kontext muss stets strukturiert gedachtund gearbeitet werden, was wiederum ein ho-hes Maß an Selbstorganisation voraussetzt.Denn trotz der Vielfalt der Aufgaben und er-forderlichen Kenntnisse muss eines immer gel-ten: Man muss den Überblick behalten, umüberlegte Problemlösungsstrategien zu erar-beiten und durchzuführen. Und wenn man dasnoch mit Kenntnissen im Bereich Fördermittelund deren Beantragung, bzw. über die Ar-beitsweise und Zuständigkeiten öffentlicherVerwaltungen mitbringt, hat man eine guteGrundlage für eine erfolgreiche Arbeit.

Frank Meyer: Welche Perspektiven habenBerufsanfängerInnen als RegionalmanagerIn?

Matthias Wagner: Leider sind die Perspek-tiven – lohnt es sich in dieses Feld zu gehenoder nicht – immer abhängig von den Förder-mitteln zur Finanzierung der Personalstelle;und die müssen derzeit jährlich beantragtwerden. Ich kann daher keine allgemeine Aus-sage treffen. Wir haben derzeit zwei Mitarbei-ter bei uns und wir hoffen, dass Regionalma-nagements auch in der neuen Förderperiode

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Bundesfachschaftentagung 2012 in Leipzig –http://www.geodach.org/index.php?id= 106

AGIT 2012 in Salzburg – www.agit.at

Nachwuchstagung „AK Ländlicher Raum“ in Braunschweig –http://www.uni-muenster.de/AKLaendlicherRaum/

Internationaler Geographentag in Köln – www.igc2012.org

„SummerSchool 2012: Leipzig Charta –Leitbild der europäischen Stadt?“ in Leipzig

Tagung „Neue Kulturgeographie 10“ in Leipzigwww.kulturgeographie.org

25.-28.05.2012

04.-06.07.2012

05.-07.07.2012

26.-30.08.2012

02.-08.09.2012

25.-26.01 .2013

GeoOrga

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2014–2020 unterstützt werden. Und das istauch die Perspektive des Regionalmanage-ments Leipziger Muldenland – eben die Hoff-nung, dass der Prozess in der Region auchnach 2013 in der neuen Förderperiode fortge-setzt werden kann.

Frank Meyer: Welche Vertiefungen könnenbei einer Karriere als RegionalmanagerIn hilf-reich sein?

Matthias Wagner: Essenziell sind Grund-kenntnisse – auch anhand von vielen Beispie-len – hinsichtlich Regionalentwicklung sowieinsbesondere den formellen Rahmenbedingun-gen in der Regionalplanung und in anderenPlanungsebenen. Wichtig ist es, das Zusam-menspiel der Ebenen und gleichzeitig die Rol-len, Potenziale aber auch Grenzen von Akteu-ren wie Regionalmanagements zu verstehen.Grundkenntnisse, aber vor allem auch Interes-se an Aspekten des Tourismus' sind rein prag-matisch notwendig, und zwar genauso wieGrundprinzipien von Wirtschaftsförderung.

Gerade die Vielfalt im Studium der Geogra-phie und die Komplexität der Ausbildungsin-halte sind hierbei von großem Vorteil. An ver-schiedenen (Fach-)Hochschulen gibt es aberauch schon Angebote für die Aus- und Weiter-bildung als RegionalmanagerIn.

Frank Meyer: Auf welche Aspekte ist beieiner Bewerbung als RegionalmanagerIn be-sonders zu achten?

Matthias Wagner: Betonen Sie Ihre Kennt-nisse und Ihr Detailinteresse an der Region.Versuchen Sie – auch in Fragen – diese Kennt-nisse mit Kenntnissen im Bereich Fördermittelund öffentliche Verwaltungen zu verknüpfen.Sie können sich vorher natürlich bei den Re-gionalmanagements direkt vor Ort – in Sach-sen sind übrigens in 35 Regionen Regionalma-nagements vertreten – über die Arbeit infor-mieren.

www.leipzigermuldenland.de

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ErDie MitarbeiterInnen von entgrenzt

entgrenzt ist ein offenes Medium und lebtvom Mitmachen. So konnte die dritte Ausgabevon entgrenzt nur durch viele HelferInnenund MitarbeiterInnen entstehen. Was anfangsdurch sieben StudentInnen der Leipziger Geo-graphie angestoßen wurde, wird mittlerweiledurch viele ständige MitarbeiterInnen geleis-tet. Die MitarbeiterInnen arbeiten u. a. ausLeipzig, Marburg, Göttingen, Erlangen, Wienund Münster an entgrenzt mit. Danke an alleHelferInnen der dritten Ausgabe von ent­grenzt:Sarah Abandowitz (Wien), Kristine Arndt

(Leipzig), Nicolas Caspari (Marburg), FrankFeuerbach (Leipzig), Kevin Gebhardt (Leip-zig), Eva Hill (Göttingen), Thomas Kandler(Leipzig), Josephine Kellert (Leipzig), JörgKosinski (Leipzig), Robert Kul (Leipzig), FrankMeyer (Leipzig), Anne Patzig (Leipzig), Fran-ziska Pufe (Leipzig), Carl Cengiz Rakip(Frankfurt am Main), Johann Simowitsch(Leipzig), Renke Soete (Marburg), FlorianSteiner (Marburg), Sandra Taudt (Kiel), Cosi-ma Werner (Erlangen), Annika Zeddel (Erlan-gen)

Die Mitarbeit bei entgrenzt

Auch eine Onlinezeitschrift entsteht nichtvon allein. Im Hintergrund arbeiten bei ent­grenzt viele pfiffige Köpfe und fleißige Hände,damit die Website, das Layout und natürlichdie Inhalte entstehen und in die richtige Formgebracht werden können. Wir sind ein fröhli-ches Team aus GeographInnen, SoziologInnen,KulturwissenschaftlerInnen und Technikfre-aks, in dem neue HelferInnen, egal aus wel-cher Fachrichtung, jederzeit herzlich aufge-nommen werden. Wenn du dich also auspro-bieren willst, bieten dir unsere Redaktionsbe-reiche, die PR und Technik vieleMöglichkeiten dazu.Wir arbeiten weitestgehend dezentral um

dem Ziel der Vernetzung von Studierendeneinen Schritt näher zu kommen. Der Umgangmit unserem entgrenzt-Wiki, E-Mail und Sky-pe ist daher zentral in unserer Arbeitsweise.Solltest du also nicht an unserem Stammsitz in

Leipzig sein, lass dich nicht entmutigen. Unse-re HelferInnen sitzen auch an anderen Stu-dienorten. Die Aufgaben reichen von kleinenHilfsleistungen, Tipps und Recherchen, zumöglichen Beiträgen, bishin zu umfangreiche-ren Arbeiten wie dem aktiven stetigen Mitwir-ken innerhalb eines Verantwortungsbereichs.Wieviel Zeit du bei uns einbringst, entschei-dest du allein. Außerdem ist Motivation undAbstimmung im Team wichtig, der Rest istLearning by Doing. Es gibt keine Mindest-Se-mesterzahl und die Arbeit ist ehrenamtlich.Hast du Interesse an der Mitarbeit bei ent­grenzt? Dann schreib uns eine E-Mail [email protected]. Oder besuche unsereWebsite www.entgrenzt.de für aktuelle Mitar-beitsgesuche.

UnterstützerInnen

entgrenzt hätte nicht ohne unsere Unterstüt-zerInnen entstehen können. Wir bedanken unsbei der GeoWerkstatt Leipzig e.V. für die Un-terstützung und den Rahmen, der entgrenzt

damit ein zu Hause gibt. Vielen Dank geht andas Kuratorium, welches uns bei der Diskussi-on des Konzeptes und dessen Weiterentwick-lung mit viel Erfahrung zur Seite stand undbei Fragen zur Erstellung einer Zeitschrift half:Dr. Ute Wardenga (Leibniz-Institut für Län-derkunde), Prof. Dr. Otti Margraf (Leibniz-In-stitut für Länderkunde und Geographische Ge-sellschaft zu Leipzig), Prof. Dr. Vera Denzer(Institut für Geographie, Universität Leipzig),Dr. Annett Krüger (GeoWerkstatt Leipzig e.V.und Institut für Geographie, Universität Lepi-zig), Prof. Dr. Dieter Rink (Helmholtzzentrumfür Umweltforschung, Leipzig) und NicolasCaspari (GeoDACH-Entsandter, Marburg). Derwissenschaftliche Beirat hat die Beiträge fürdie Rubrik Geographisches gewissenhaft undaus professioneller Perspektive unter die Lupegenommen und die AutorInnen in Review-Prozess begleitet: Damit haben wir Beiträgemit Qualität gewonnen und unsere AutorInnendurften sich auf die Probe stellen. Wir dankendem wissenschaftlichen Beirat dafür. Dankeauch an die AutorInnen der verschiedenenRubriken. Ihr habt euch getraut und dieseZeitschrift mit lesenswerten Inhalten gefüllt!

entgrenzt machen, aber wie?

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Ganz besonderer Dank gilt GeoDACH, der Ver-tretung deutschsprachiger Geographie-Studie-render. GeoDACH versteht sich als Organ zurVernetzung sowie als Diskussionsplattform.Die Kooperation von entgrenzt und GeoDACHist uns besonders wichtig, weil zur Diskussionund Vernetzung ein Medium benötigt wird,welches frei mitgestaltet werden kann und dieDiskussion befördert. Durch die Zusammenar-beit mit GeoDACH werden diskutable Inhalteaus den Arbeitskreisen für Studierende sicht-bar.

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Du denkst, es steht schon alles überall ge-schrieben? Die Forschungsfelder der Geogra-phie sind alle längst hinreichend beackert?Studierende hätten nichts zu wissenschaftli-chen Debatten beizutragen? Weit gefehlt! Woist euer Selbstbewusstsein?Wissenschaft ist ein Prozess. Jeden Tag

werden neue Erkenntnisse gewonnen, Ideengeboren und Forschungsarbeiten vorangetrie-ben. Und das nicht nur von ProfessorInnenund DoktorandInnen, sondern auch von Stu-dierenden. Kleine empirische Arbeiten entste-hen bereits im Rahmen von Haus- und Ab-schlussarbeiten. Mit Hilfe von Experteninter-views, eigenen Messungen oder Beobachtun-gen werden Überlegungen weiterentwickeltund verworfen. Wissenschaftliches Wissen ent-steht – auch durch euch – täglich neu. Wennihr dieses Material nicht in virtuellen Ordnernund in den Schubladen der DozentInnen ver-stauben lassen wollt, ist entgrenzt der richtigeOrt, bereits getane Arbeit weiterzuentwickeln.Ihr könnt kurze Fachartikel verfassen

(„Geographisches“), über Erlebnisse und Er-fahrungen berichten („Geowerkstatt“), eureMeinung im „Sprach(r)ohr“ zur Diskussionstellen oder uns mit praktischen Tipps undVeranstaltungshinweisen versorgen („Geo-Praktisch“). Wir sind offen für neue Einblicke,verrückte Ideen, solide Ausarbeitungen undprovozierende Thesen. entgrenzt soll kein sta-tisches Konstrukt sein, sondern ein Medium,was von einem dynamischen Austausch lebt.Wir wollen dem wissenschaftlichen Nach-wuchs eine Stimme geben – eure Stimme. Alsosendet eure Beitragsideen zu folgenden Rubri-ken an [email protected] zur Beitragseinreichung: Für jede Ru-

brik laufen gesonderte Calls – Aufrufe zur Ein-reichung von Beiträgen. Innerhalb eines Zeit-raums von zwei Monaten können StudierendeAufsätze zum Leitthema in der Rubrik „Geo-graphisches“ einreichen. Die Beiträge werdenbezüglich ihrer wissenschaftlichen Qualitätvon fachlich versierten MentorInnen begut-achtet. Artikel für die anderen Rubriken sindjederzeit willkommen.

Geographisches

A Map is a map, is a map, is a map!?

Im Geographiestudium kommt man um Karto-graphie nicht herum. Karten sind ein wichti-ges Instrument des Wissenstransfers. Sie stel-len häufig ein methodisches Alleinstellungs-merkmal der Geographie gegenüber anderenDisziplinen dar.In den letzten Jahren haben sich die Me-

thoden und Möglichkeiten der Kartographieals Wissenschaft und als praktisches Arbeits-feld weiterentwickelt. Dies spiegelt sich so-wohl in Form von neueren, innovativeren Er-stellungstechniken im Fach Geographie selbst,als auch in der zunehmend vielfältigen (all-täglichen) Nutzung von nicht nur professio-nell/kommerziell, sondern auch open-sourcegenerierten Karten wider.Der besondere Vorteil einer Karte, nämlich

Sachverhalte bildlich darstellen und damitveranschaulichen zu können, beinhaltet nichtnur (didaktische) Möglichkeiten, sondern auchRisiken (bspw. der Metrisierung von Sozia-lem). Neue Forschungsfragen werden gestellt.Nicht nur das Endprodukt Karte mit ihrenFarben und Symbolen, sondern auch deren In-terpretationsmöglichkeiten, deren Entste-hungsprozess und die Kontextualität geratenzunehmend in den Blick der kritischen Karto-graphie.Wir möchten gerne mit Euch die Diskussion

um das Kunstwerk Karte weiterführen undfreuen uns über Beiträge zu folgenden The-men:

• Kartographie: Zusammenspiel der Ent-wicklung der Geographie und der Karto-graphie

• Kartenherstellung: redaktioneller Wegvon der Idee bis zum Print, Verwendungvon Farben, Symbolen und Formen

• Karten in der physischen Geographieund in der Humangeographie: Gemein-samkeiten und Unterschiede

• Karten in anderen Wissenschafts-disziplinen

• Karten als (didaktisches) Instrument desWissensvermittlung in der Schule und

Call for Papers - Ausgabe Nr. 5, SoSe 2013

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Massenmedien• Kartennutzung im Alltag: Chancen und

Risiken• Geoweb und Web 2.0 Karten: Karten

von Nicht-Kartographen (z.   B. Krisen-und Konfliktkarten, etc.)

• Kritische Kartographie: Was ist sie, wasmacht sie, was will sie?

• Karten und Soziales: Möglichkeiten einerUnmöglichkeit? (z.   B. Migrationskarten,Kriminalitätskarten, etc.)

Wenn Ihr Lust habt einen Beitrag für die fünf-te entgrenzt Ausgabe im Sommersemester 2013zu schreiben, dann sende uns einen einseitigenAbstract, in dem das Thema, die Fragestel-lung, Argumentation und der methodische Zu-gang des geplanten Artikels deutlich werden.Wir freuen uns über eure Beiträge an [email protected] bis zum 30.06.2012.

permanente Calls

GeoWerkstattIn der Rubrik Geowerkstatt suchen wir

Menschen und Konzepte, die sich auf eine in-spirierende, ausgefallene oder unkonventio-nelle Weise der Vermittlung von Inhalten wid-men. Wenn du beispielsweise in den Genusseines neuartigen Seminarkonzeptes gekommenbist oder ein solches entwickelt hast, schreibuns einige Zeilen darüber. Wenn du auf Work-shops aufmerksam geworden bist, die didakti-sches Neuland vermitteln, teile diese Informa-tionen mit uns. Oder hast du vielleicht eineeinzigartige Veranstaltung erlebt, dann berich-te uns und unseren Lesern darüber. Texte zudiesen Themen bis maximal zwei Seiten neh-men wir jederzeit entgegen und publizierensie nach redaktioneller Prüfung in der nächs-ten Ausgabe von entgrenzt. Wir freuen uns aufdeine Beiträge an [email protected]!

Sprach(r)ohrIn der Rubrik Sprach(r)ohr suchen wir Men-

schen, die ihre Meinungen in Aussagen formu-lieren wollen! Ihr habt Anregungen, Kritikoder möchtet euch generell zur akademischenGeographie äußern? Sei es zur Qualität desStudiums, der Lehre, oder zur Situation derStudierenden. Sei es zu ethischen, organisato-rischen oder politischen Fragen eures Studi-ums; oder zu inhaltlichen Ausrichtungen.Schreibt offen oder anonym! Wir wollen euchhören und zuhören! Fragt euch: Was interes-siert nicht nur mich, sondern auch meine

KommilitonInnen weit entfernt an anderengeographischen Instituten? Bildet Autorenkol-lektive und organisiert eure Meinungen. Nutztentgrenzt als Medium des Redens und Zuhö-rens. Tretet miteinander in Austausch; lasstdie Beiträge nicht im Vakuum der Teilnahms-losigkeit verhallen. Das Sprach(r)ohr ist dieEssenz von entgrenzt: Ein Ort, an dem ihr zu-sammenfindet und euren Positionen Gehörverschafft.Es werden kurze Beiträge von maximal

4.000 Zeichen inkl. Leerzeichen gesucht. Wirfreuen uns über eure Beiträge an [email protected]!

GeoPraktischIhr seid TutorInnen und verfasst regelmäßig

Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeitenfür andere Studierende? Ihr habt Hinweise zuzukünftigen, interessanten Veranstaltungen(Kolloquien, Tagungen, Seminare, Sommer-schulen, etc.) an euren oder anderen Institu-ten? Ihr wollt uns von eurem spannendenPraktikum berichten? Ihr verfügt über Erfah-rungen mit einem noch unbekannten Arbeits-bereich in der Geographie? Ihr habt weitereTipps rund ums Geographiestudium? Dannteilt eure Eindrücke, Hinweise und Anregun-gen mit uns in der Rubrik GeoPraktisch! Ein-reichungen von max. zwei Seiten nehmen wirjederzeit entgegen und publizieren sie nachredaktioneller Prüfung in der nächsten Ausga-be von entgrenzt. Wir freuen uns auf eurenBeitrag an [email protected]!

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Name: entgrenzt – studentische Zeitschrift für Geographisches | Verein: GeoWerkstatt Leipzig e.V. | InhaltlichVerantwortlicher gemäß § 6 MDStV/TDG: Johann Simowitsch, Karl­Heine­Straße 21, 04229 LeipzigEmail: [email protected]: GeoWerkstatt Leipzig e.V., c/o Institut für Geographie, Johannisallee 19a, 04103 Leipzig | Vorsitzender:Frank Feuerbach | Tel.: 0341/97 38 616 (Redaktion) | Fax.: 0341/97 32 799 | Email: [email protected]: VR 3619 (Amtsgericht Leipzig)Haftungshinweis für die digitale Version von entgrenzt: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wirkeine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschliesslich deren Betreiberverantwortlich. GeoWerkstatt Leipzig e.V. hat keinen Einfluss auf den Inhalt von verlinkten Seiten und distanziert sichausdrücklich von rechtswidrigen oder anstössigen Inhalten.GeoWerkstatt Leipzig e.V. übernimmt keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit, Vollständigkeit oder Qualität derveröffentlichten Daten und Inhalte. GeoWerkstatt Leipzig e.V. haftet nicht für Schäden gleich welcher Art, die durch dieNutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen enstehen oder bereits entstanden sind.entgrenzt bedankt sich für die rechtliche Beratung durch Dextra­Rechtsanwälte.Das entgrenzt Layout wurde erstmalig durch Marco Holzheu entworfen. Das Layout der dritten Ausgabe von entgrenzthat Florian Steiner gestaltet. Die Schriftart Yanone Kaffeesatz wurde von www.yanone.de erstellt und von entgrenztunter CC BY 2.0 Lizenz verwendet. Die Schriftart Charis SIL wurde unter der SIL Open Font License (OFL), Version 1.1veröffentlicht. Die zur Gestaltung des Layouts verwendete Software „Scribus“ ist ein freies Desktop­Publishing­Programm und unter der GNU General Public License lizenziert.ISSN: 2193­1224

Die nächste Ausgabe von entgrenzt wird am1 . November 2012 erscheinen. Das Leitthemader vierten Ausgabe von entgrenzt in der Ru-brik Geographisches lautet:

H2Ohhh!Das Verhältnis von Mensch und Wasser ist einExistenzielles! Ohne Wasser gibt es keinmenschliches Leben auf der Erde.Und trotz dessen – oder gerade deswegen –

ist es immer und wird auch zukünftig eingroßer Bestandteil von Diskussionen und Kon-flikten sein. Die kostbare Ressource Süßwasserist Kondensationskern zwischenstaatlicher Kri-sen und die Sicherstellung der Wasserversor-gung für Bevölkerungen eine Herausforde-rung.Für aktuelle Infos zu entgrenzt besucht

www.entgrenzt.de oderwww.facebook.com/entgrenzt

entgrenzt ist ein Projekt der GeoWerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit GeoDACH.

Vorschau entgrenzt Ausgabe Nr. 4, WiSe 2012/13

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