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Unter Bisphosphonattherapie Beweist oder bewirkt körperliche Aktivität Gesundheit? In Laienmedien werden häufig wissenschaftliche Arbeiten mit falschen oder ungerechtfertigen Schlussfolgerrungen für den Leser referiert. Zwei Beispiele belegen diese Aussage. - Cooper et al. untersuchten die körper- liche Fitness bei 2766 Männern und Frau- en im Alter von 53 Jahren mit drei Me- thoden: Stärke des Handgriffes, Zeitdau- er von 10-maligem Aufstehen aus dem Sitzen und Dauer des Stehens auf einem Bein mit geschlossenen Augen. Je weniger und je schlechter diese Aufgaben gemeis- tert wurden, umso höher lag die Mortali- tät in den folgenden 13 Jahren. Dunlop et al. untersuchten 1680 Per- sonen (mittleres Alter 65 Jahre) mit Risi- kofaktoren für Kniegelenksarthrose oder bereits diagnostizierter Erkrankung. Ihre körperliche Aktivität und evtl. Beein- trächtigungen wurden mit einem Be- schleunigungssensor bzw. anhand von alltäglichen Verrichtungen gemessen. Nach zwei Jahren zeigte sich: Je höher die körperliche Aktivität der Probanden zu Beginn der Studie war, um so seltener wa- ren neue oder zunehmende Beeinträchti- gungen nach zwei Jahren aufgetreten. R. Cooper, B. Heine, R. Hardy et al. Physical capability in mid-life and survival over 13 years of follow-up: British birth cohort study. Brit Med J 2014;348:g2219 D. D. Dunlop, J Song, P: A: Semanik et al. Relation of physical activity time to incident disabi- lity in community dwelling adults with or at risk of knee arthritis: prospective cohort study. Brit Med J 2014;348:g2472 Auf der Wissenschaftsseite einer großen Ta- geszeitung wurden diese Ergebnisse als Be- weis für die gesundheitsfördernde Wirkung körperlicher Aktivität gewertet. In der Über- schrift und im Text heißt es: „Auch leichte körperliche Aktivität beugt fürs Alter vor“ bzw. „… verbessert die Prognose im Alter deutlich“. Derartige Schlussfolgerungen sind nicht gerechtfertigt. Auch die Autoren beider Arbeiten betonen, dass ihre Ergebnisse kei- nen kausalen Zusammenhang zwischen kör- perlicher Aktivität und Prognose bewiesen. Die Botschaft der Studien ist vielmehr: Perso- nen mit hoher körperlicher Aktivität und bes- serer Leistungsfähigkeit sind gesünder als solche mit Einschränkungen. Deshalb er- kranken sie seltener und leben länger. Fitness-Tests im höheren Alter zählen zu den zuverlässigsten prognostischen Indikatoren hinsichtlich Morbidität und Mortalität. Die Fehlschlüsse aus den beiden Publikationen haben aber unterschiedliche praktische Rele- vanz: während körperliche und sportliche Aktivität für alle gesunden und viele kranke Menschen in jedem Lebensalter aufgrund anderer Daten zweifellos gesundheitsför- dernd ist, bleibt es höchst fraglich, ob Patien- ten mit Kniegelenksarthrose von vermehrten körperlichen Belastungen profitieren. Prof. Dr. med. H. Holzgreve Kommentar © © Annals Emergency Med 2014; 63: 370 und 374 Annals Emergency Med 2014; 63: 370 und 374 Eine 84 -jährige Frau mit bekannter Osteo- porose, die seit sechs Jahren mit Bisphos- phonaten behandelt wurde, suchte wegen Schmerzen im rechten Oberschenkel eine Nothilfe auf. Die Schmerzen bestanden seit einer Woche und verstärkten sich beim Tra- Erst Stress, dann Fraktur Abb. A Stressreaktion; Abb. B Fraktur des Femur. gen von Gewichten. Bei der Untersuchung ergab sich ein Druckschmerz im Bereich des rechten Oberschenkels lateral. Im Röntgenbild erkannte man eine Stress- reaktion des Femur im Diaphysenbereich lateral (Abb. A). Die Patientin wurde unter Versorgung mit Analgetika und einer Geh- hilfe nachhause entlassen. Sie kam aber nach wenigen Stunden wegen deutlicher Schmerzverstärkung zurück. Nun erkannte man eine eindeutige Deformität des rech- ten Oberschenkels und tastete eine harte Resistenz. Das Röntgenbild zeigte jetzt eine vollständige atypische Femurfraktur an der Stelle, in der zuvor nur die Stressreak- tion gesehen worden war (Abb. B). Unter den Bedingungen einer langjähri- gen Bisphosphonat-Therapie sind nicht- traumatisch bedingte Schmerzen im Oberschenkel in Kombination mit einer Stressreaktion der Kortikalis als Zeichen ei- ner drohenden atypischen Femurfraktur zu werten. Da nicht selten beide Femora an korrespondierenden Stellen betroffen sind, sollte beim Auftreten von Frakturen immer auch der Femur der Gegenseite mit geröntgt werden, um Stressreaktio- nen der Kortikalis als Vorboten einer Frak- tur mit zu erfassen. Patienten mit inkom- pletten Frakturen, ausgewiesen durch eine aufgehellte Frakturlinie bei noch er- haltener Kortikalis-Kontinuität sollten prophylaktisch mit einem Marknagel ver- sorgt werden, da es mit hoher Wahr- scheinlichkeit in den folgenden Tagen bis Wochen zu einer vollständigen Fraktur kommt. Prof. Dr. med. H. S. Füeßl M. S. Pulia und B. Hansen (Dept. Medicine, Div Emergency Medicine, Uni- versity of Wisconsin School of Medicine, Madison, WI): Images in Emergency Medicine. Annals Emergency Med 2014;63:370 und 374 A B KRITISCH GELESEN AKTUELLE MEDIZIN AKTUELLE MEDIZIN KRITISCH GELESEN MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (14) 33

Erst Stress, dann Fraktur

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Unter Bisphosphonattherapie

Beweist oder bewirkt körperliche Aktivität Gesundheit?In Laienmedien werden häu� g wissenschaftliche Arbeiten mit falschen oder ungerechtfertigen Schlussfolgerrungen für den Leser referiert. Zwei Beispiele belegen diese Aussage.

−Cooper et al. untersuchten die körper-liche Fitness bei 2766 Männern und Frau-en im Alter von 53 Jahren mit drei Me-thoden: Stärke des Handgri� es, Zeitdau-er von 10-maligem Aufstehen aus dem Sitzen und Dauer des Stehens auf einem Bein mit geschlossenen Augen. Je weniger und je schlechter diese Aufgaben gemeis-tert wurden, umso höher lag die Mortali-tät in den folgenden 13 Jahren.

Dunlop et al. untersuchten 1680 Per-sonen (mittleres Alter 65 Jahre) mit Risi-kofaktoren für Kniegelenksarthrose oder bereits diagnostizierter Erkrankung. Ihre körperliche Aktivität und evtl. Beein-trächtigungen wurden mit einem Be-schleunigungssensor bzw. anhand von alltäglichen Verrichtungen gemessen. Nach zwei Jahren zeigte sich: Je höher die körperliche Aktivität der Probanden zu

Beginn der Studie war, um so seltener wa-ren neue oder zunehmende Beeinträchti-gungen nach zwei Jahren aufgetreten.

■ R. Cooper, B. Heine, R. Hardy et al. Physical capability in mid-life and survival over 13 years of follow-up: British birth cohort study. Brit Med J 2014;348:g2219

■ D. D. Dunlop, J Song, P: A: Semanik et al. Relation of physical activity time to incident disabi-lity in community dwelling adults with or at risk of knee arthritis: prospective cohort study. Brit Med J 2014;348:g2472

Auf der Wissenschaftsseite einer großen Ta-geszeitung wurden diese Ergebnisse als Be-weis für die gesundheitsfördernde Wirkung körperlicher Aktivität gewertet. In der Über-schrift und im Text heißt es: „Auch leichte körperliche Aktivität beugt fürs Alter vor“ bzw. „… verbessert die Prognose im Alter

deutlich“. Derartige Schlussfolgerungen sind nicht gerechtfertigt. Auch die Autoren beider Arbeiten betonen, dass ihre Ergebnisse kei-nen kausalen Zusammenhang zwischen kör-perlicher Aktivität und Prognose bewiesen. Die Botschaft der Studien ist vielmehr: Perso-nen mit hoher körperlicher Aktivität und bes-serer Leistungsfähigkeit sind gesünder als solche mit Einschränkungen. Deshalb er-kranken sie seltener und leben länger. Fitness-Tests im höheren Alter zählen zu den zuverlässigsten prognostischen Indikatoren hinsichtlich Morbidität und Mortalität. Die Fehlschlüsse aus den beiden Publikationen haben aber unterschiedliche praktische Rele-vanz: während körperliche und sportliche Aktivität für alle gesunden und viele kranke Menschen in jedem Lebensalter aufgrund anderer Daten zweifellos gesundheitsför-dernd ist, bleibt es höchst fraglich, ob Patien-ten mit Kniegelenksarthrose von vermehrten körperlichen Belastungen pro� tieren.

Prof. Dr. med. H. Holzgreve ■

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Eine 84 -jährige Frau mit bekannter Osteo-porose, die seit sechs Jahren mit Bisphos-phonaten behandelt wurde, suchte wegen Schmerzen im rechten Oberschenkel eine Nothilfe auf. Die Schmerzen bestanden seit einer Woche und verstärkten sich beim Tra-

Erst Stress, dann Fraktur

Abb. A Stressreaktion; Abb. B Fraktur des Femur.

gen von Gewichten. Bei der Untersuchung ergab sich ein Druckschmerz im Bereich des rechten Oberschenkels lateral. Im Röntgenbild erkannte man eine Stress-reaktion des Femur im Diaphysenbereich lateral (Abb. A). Die Patientin wurde unter Versorgung mit Analgetika und einer Geh-hilfe nachhause entlassen. Sie kam aber nach wenigen Stunden wegen deutlicher Schmerzverstärkung zurück. Nun erkannte man eine eindeutige Deformität des rech-ten Oberschenkels und tastete eine harte Resistenz. Das Röntgenbild zeigte jetzt eine vollständige atypische Femurfraktur an der Stelle, in der zuvor nur die Stressreak-der Stelle, in der zuvor nur die Stressreak-der Stelle, in der zuvor nur die Stressreaktion gesehen worden war (Abb. B).Unter den Bedingungen einer langjähri-gen Bisphosphonat-Therapie sind nicht-traumatisch bedingte Schmerzen im Oberschenkel in Kombination mit einer Stressreaktion der Kortikalis als Zeichen ei-ner drohenden atypischen Femurfraktur

zu werten. Da nicht selten beide Femora an korrespondierenden Stellen betro� en sind, sollte beim Auftreten von Frakturen immer auch der Femur der Gegenseite mit geröntgt werden, um Stressreaktio-nen der Kortikalis als Vorboten einer Frak-tur mit zu erfassen. Patienten mit inkom-pletten Frakturen, ausgewiesen durch eine aufgehellte Frakturlinie bei noch er-haltener Kortikalis-Kontinuität sollten prophylaktisch mit einem Marknagel ver-sorgt werden, da es mit hoher Wahr-scheinlichkeit in den folgenden Tagen bis Wochen zu einer vollständigen Fraktur kommt.

Prof. Dr. med. H. S. Füeßl ■

■ M. S. Pulia und B. Hansen (Dept. Medicine, Div Emergency Medicine, Uni-versity of Wisconsin School of Medicine, Madison, WI): Images in Emergency Medicine. Annals Emergency Med 2014;63:370 und 374

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KRITISCH GELESENAKTUELLE MEDIZINAKTUELLE MEDIZINAKTUELLE MEDIZIN___KRITISCH GELESEN

MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (14) 33