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Nr. 232 | 27. August bis 9. September 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass. Dilemma im Teller: Warum wir nicht essen, was wir wollen Straffreiheit für Süchtige – neue Wege in der Drogenpolitik Fettes Feindbild Wie Dicke diskriminiert werden

Surprise Strassenmagazin 232/10

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Surprise Strassenmagazin 232/10

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Page 1: Surprise Strassenmagazin 232/10

Nr. 232 | 27. August bis 9. September 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

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Straffreiheit für Süchtige – neue Wege in der Drogenpolitik

Fettes FeindbildWie Dicke diskriminiert werden

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2 SURPRISE 232/10

*gemäss MACH Basic 2008-2.

Vorname, Name

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Seite bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, [email protected]

Der Sommer ist da. Grosses Strandtuch 100 x 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100%handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise-Logo eingewebt und von A bis Zin der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschiedenfarbig:vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.

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50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.

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Ist gut. Kaufen!Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache.Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten.

232/10

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Titelbild: iStockphoto

Inhalt04 Editorial

Wahre Werke04 Willkommen im Archiv

Surprise zum Nachlesen05 Basteln für eine bessere Welt

Das Kandidatenkarussell 06 Aufgelesen

Fehlerlose Eltern06 Zugerichtet

Tarifordnung für Schlötterlinge07 mit scharf!

Konsequente Suchtpolitik07 Erwin

… ist zu dick08 Porträt

Ein Leben fürs Hotel16 Netzwerkwelt

Der Mensch als Beziehungsjäger22 Le mot noir

Onkels Motorrad 23 Ausstellung

Kunst macht mobil 24 Kulturtipps

Schillernde Bekenntnisse26 Ausgehtipps

Blick zurück nach vorn28 Verkäuferporträt

Der Aussendienstler29 Projekt Surplus

Chance für alle!Starverkäufer

30 In eigener SacheImpressumINSP

Fast Food und Industrienahrung ist weder gesundnoch lecker. Schmackhafter und bekömmlicher wären Milch und Gemüse vom Bauern aus demNachbardorf. Viele Konsumenten sehnen sich nachursprünglichen Lebensmitteln – und kaufen trotz-dem die Massenware vom Grossverteiler. Warumdas so ist und wie der moderne Mensch aus derZwickmühle zwischen Zeitmangel und Qualitäts-bewusstsein findet, erklärt die Konsumforscherin Mirjam Hauser im Interview.

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Abgabeprogramme und Hilfsangebote haben dieZustände in der Drogenszene verbessert. Dochnoch immer machen sich die Süchtigen mit jedemSchuss strafbar. Zudem steigt trotz polizeilicher Repression die Zahl der Kokainkonsumenten. EinExpertengremium des Bundes bricht nun ein Tabuund fordert die Entkriminalisierung von Besitz undKonsum. Die Schweiz hat eine neue Drogendebat-te, Surprise hat sich umgehört.

13 ÜbergewichtDicke im Dilemma

Menschen, die deutlich mehr als das Normalge-wicht mit sich herumtragen, müssen sich immerstärker für ihr Erscheinungsbild rechtfertigen.Denn dick ist man nicht einfach so, sondern weilman zu faul ist, zu willensschwach oder zu doof,um abzunehmen. Übergewichtige sehen sichmit einer steigenden Zahl von Vorurteilen undAnfeindungen konfrontiert. Um ihnen entgegenzu treten, müssen sie oft den Spagat zwischendem eigenen Körperempfinden und den Erwar-tungen der Gesellschaft machen.

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10 DrogenlegalisierungSchluss mit der Strafverfolgung

18 ErnährungDer Geist wär willig, doch derKonsument bleibt schwach

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Ihre Meinung!Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20,

Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, [email protected]. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt,

die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen.

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

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JULIA KONSTANTINIDIS,

REDAKTORIN

EditorialWahre Werte

War es Zufall, dass ich statt eines Rivella rotein kalorienärmeres Rivella blau serviert be-kam, just als ich mit einer 140 Kilo schwerenFrau am Tisch sass? Oder war die Eselsbrückedes Kellners so simpel wie falsch: Ein Rivellaund ein Mineralwasser für den Tisch mit derdicken Frau – und schon hatte er die Diätvari-ante in der Hand? Übergewichtige fallen auf,irritieren. Weshalb sie eine andere Statur ha-ben als die Bevölkerungsmehrheit, dafür gibtes so viele Gründe wie es Übergewichtige gibt.Und immer mehr von ihnen wehren sich gegenPauschalverurteilungen und Diskriminierun-gen. Lesen Sie ab Seite 13 mit welchen Vorur-teilen sie zu kämpfen haben.Konsumenten von illegalen Drogen werdendurch die Kriminalisierung ihrer Sucht in dasKlischee der abgestürzten Existenz gedrängt.Dabei könnten Drogenkonsumenten ein stabi-les Leben mit Familie und Arbeit führen, wennihre Sucht nicht mehr in der Illegalität stattfin-den müsste. Ein Expertenrat fordert nun genaudas. Lesen Sie den Artikel darüber von Redak-tor Reto Aschwanden ab Seite 10.Übergewicht und Sucht sind beides Auswir-kungen einer modernisierten, immer schnellerwerdenden Welt. Mit dem steigenden Lebens-tempo steigt auch die Sehnsucht nach festenWerten. Aber wir haben keine Zeit mehr dafürund deshalb essen wir zum Beispiel Fertigsup-pe statt selbst gemachte Gemüsebrühe – diewir doch eigentlich viel lieber hätten. Über dieses Dilemma sprach Claudia Bosshardt mit der Sozial- und WirtschaftspsychologinMirjam Hauser, ab Seite 18.Auch in unseren zwischenmenschlichen Be-ziehungen würden wir uns wieder mehr Klar-heit wünschen. Aber die technologischenMöglichkeiten haben die klassischen Kommu-nikationsmuster aufgehoben. Was das für Aus-wirkungen hat, schreibt Wolfgang Lotter abSeite 16.

Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre,

J. Konstantinidis

Haben Sie eine Surprise-Ausgabe verpasst oder erinnern Sie sich an eine Geschichte,die Sie gerne noch einmal lesen möchten? Ab sofort können Sie in unserem Online-Archiv in Heften blättern, die auf der Strasse nicht mehr erhältlich sind. Auf unserer Website www.strassenmagazin.ch finden Sie unter der Rubrik «Magazin/Archiv 2009und Archiv 2010» alle Ausgaben ab Nummer 200 zum Nachlesen.

Wir wünschen frohes Stöbern und schöne Lektüre.

Archiv onlineNichts verpasst!

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Basteln für eine bessere WeltDas Karussell der Bundesratskandidaten kommt in Schwung! Gleich zwei freie Plätze im Regierungsreigen sind zu besetzen. Wer esaufs Surprise-Wahlkarussell schafft, hat schon mal keine schlechten Chancen.

Öffnen Sie eine leere Schachtel Schmelzkäse und

legen Sie sie auf den Tisch.

Geben Sie Leim auf das obere Ende

der Rolle und kleben Sie den Deckel

der Käseschachtel drauf.

Malen Sie das Karussell an, sobald der

Leim trocken ist. Mit Haarspray können

Sie das Karussell lackieren.

Befestigen Sie die Figuren auf der Hinter-

seite mit einem auf die entsprechende

Länge gekürzten Zahnstocher.

Schneiden Sie aus Magazinen und Zeitungen

Figuren aus, die auf dem Karussell fahren sol-

len, zum Beispiel Rössli, Autos oder Kutschen.

Stechen Sie dort, wo die Figuren

stehen sollen, mit einer Nadel

kleine Löcher in den Boden des

Karusells. Stecken Sie die Figuren

am Zahnstocher in die Löcher.

Schneiden Sie aus Zeitungen, Magazinen oder Foto-

alben Ihre Bundesratsfavoriten aus und kleben Sie sie

auf das hohe Ross oder in die Bundesratslimousine.

Schneiden Sie eine WC-Rolle durch. Schieben

Sie sie so zusammen, dass sich ihr Durch-

messer verkleinert. Kleben Sie die WC-Rolle

mit Klebeband wieder zusammen.

Leimen Sie die WC-Rolle mittig auf

den Boden der Käseschachtel.

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AufgelesenNews aus den 90 Strassenmagazinen,die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Ungemütlich

München. In München fällt es den Bewoh-nern schwerer als früher, sich wohl zu füh-len: Auf einer Bank oder Mauer ein Eis essenoder einen Schwatz halten – vielerorts ist dasnicht mehr möglich. Um zu verhindern, dassJugendliche es sich im öffentlichen Raum gemütlich machen oder Obdachlose auf ei-ner Parkbank übernachten, werden baulicheMassnahmen ergriffen: Mauern, die giebelar-tig zulaufen, Bänke, die durch Armstützenverhindern, dass man sich hinlegen kann –und die Telefonkabine, in die man sich beiRegen einst flüchten konnte, hat ebenfallsausgedient.

Authentisch

Salzburg. Nie wurde so viel über Kinder-erziehung debattiert wie heute – immer mitdem Ziel, als Eltern möglichst keine Fehlerzu machen. Dabei: «Perfekte Eltern sind fürKinder eine grosse Hypothek. Sie schätzen esviel mehr, wenn ihre Eltern authentischsind», so Erziehungscoach Edith Lettner. Oftseien es denn auch die sogenannt schwieri-gen Kinder, die erbarmungslos enttarnten,wenn Erziehung mehr mit gesellschaftlichenNormen und Vorstellungen zu tun hat als mitehrlichem Anliegen.

Einsam

Stuttgart. Eine Verkäuferin des StuttgarterStrassenmagazins über Einsamkeit: «Zuzweit ist das Leben schön. Es kann aber auchpassieren, dass der Ehemann trinkt und dashart verdiente Geld in die Wirtschaft trägt.Als Ehefrau wird man dann vielleichtschlecht behandelt: Beschimpft, geschlagen,gedemütigt. Geld hat man auch bald keinesmehr. Und wenn man welches hätte – mitGeld kann man ja nicht reden und nicht la-chen. Also geht man auf die Strasse, suchtsich einen Platz zum Schlafen. Unterwegstrifft man andere, die ebenfalls einsam sind.»

ZugerichtetWas kostet ein Seckel?

Von einer Nacht auf die andere standensich die Kumpels Albert und Bruno als erbit-terte Rivalen gegenüber. Denn Alberts Freun-din Petra wechselte zu Bruno. Das Glück desneuen Paars war dem versetzten Liebhaberverhasst. In Telefonanrufen verunglimpfte er die ehemaligen Freunde hemmungslos –bis Bruno den Schmähungen Einhalt gebot.Er liess ein schlimmes Wort über AlbertsMutter fallen.

Die Mutter Alberts war Bruno gänzlich unbekannt. Er war auch nur darauf gekom-men, sie zu beschimpfen, weil jener ja keineFreundin mehr hatte, deren Ehre er hätte be-schmutzen können. Kaum war die Beleidi-gung derb und deftig ausgesprochen, ahnteBruno, dass er einen Fehler begangen hatte.Albert zeigte ihn wegen Beschimpfung an.

Das Delikt «Beschimpfung» wurde wohleigens erfunden, damit auch erwachsene Mimosen eine Anlaufstelle zum «Rätschen»haben. Meist spricht der Richter eine Busseaus, von der der Anzeigeerstatter allerdingsnichts hat. Ausser die Rachebefriedigung:«Ätsch, jetzt musst du dafür zahlen, dass dumich ‹Blöde Kuh› genannt hast.» Im Gegen-satz zur üblen Nachrede oder der Verleum-dung, welche dann vorliegt, wenn einer demanderen wider besseres Wissen öffentlich un-ehrenhaftes Verhalten unterstellt, erfährt derBeschimpfte mit dem Urteil keine offizielleEhrenrettung.

Ein Blick in die Rechtsprechung gibt Auskunft über die Kreativität der Beleidigerund den Ermessensspielraum der Richter. So musste ein Basler Gericht bereits über dieZulässigkeit von «Verdammti Dräcksieche,

verfluechti Schoofseggel, Stingger, verdammti Arschlöcher» als Betitelung zweier Velofahrerentscheiden und büsste den Automobilisten mit500 Franken. Nur «Affe» nannte ein Mann seineFrau und kam damit im Tessin günstig weg: 200Franken. Mit den Worten «Wichser» und «Hue-rä Usländer» bedachte ein unzufriedener Gastden Pizzaiolo einer Prättigauer Beiz, was ihnum 350 Franken erleichterte. Für «Du huereSchafseckel, chasch din Sauhund nüd a d Leineneh!» und «Ich mach dir dä Siech susch kaputt»sind in Zürich 300 Franken zu bezahlen. KeinenLyrikpreis, sondern eine Busse von 400 Frankenerhielt jene Dichterin, die im Internet Verseüber einen Aargauer Politiker schmiedete: «Dokännid mer en andere, gopferdeckel/fürs Gäldmacht de alles, e sone S…». Begründung desGerichts: Obwohl «Seckel» nicht ausgeschrie-ben sei, ergebe sich aus dem Reim doch impli-zit dieser strafbare Ausdruck.

Auch Ausflüchte, so ausgefuchst sie seinmögen, werden selten honoriert. Ein Mann, derseinen Nachbarn vor Zeugen mit «Hueresohn»ansprach, behauptete nur «Huereseich» gesagtzu haben. Tarif in Thun: 600 Franken. Selbstder sizilianische Kurier, der einem Motor-radfahrer den Stinkefinger gezeigt hatte, kammit seiner ethnologischen Erklärung, wonach«Südländer raumgreifend gestikulieren», nichtdurch. Busse: 500 Franken, Verletzung der Ver-kehrsregeln inklusive.

Das Beschimpfungsverfahren Albert vs.Bruno stellt der Richter hingegen ein: Weil esum so gut wie gar nichts geht. Dass bei demMännerstreit auch seitens Albert heftig ausge-teilt wurde, findet Bruno nicht weiter tragisch.Im übrigen hat er schon die nächste Freundin.

ISABELLA SEEMANN ([email protected])

ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

([email protected])

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ERWIN …ist zu dick VON THEISS

VON RETO ASCHWANDEN

Die Schweizer Drogenpolitik der letzten 15 Jahre ist eine Erfolgsge-schichte. Eigentlich. Und ein Gegenbeispiel zur oft beklagten Unbe-weglichkeit des hiesigen Systems. Es war nicht nur die Drogenhölle derfrühen 90er am Zürcher Letten, die zur Abkehr von der reinen Repres-sionspolitik führte. Nicht nur die braven Bürger in den Innenstädten,die morgens aus der Haustür und in gebrauchte, womöglich HIV-infi-zierte Spritzen traten. Auch in den vermeintlich heilen Welten derInnerschweiz, im Rheintal und im Berner Oberland kannte damals je-der einen, der am Heroin zugrunde ging. Und dabei Familie und Freun-de mit ins Elend zerrte. So wie es die Väter mit dem Schnaps vorge-macht hatten.

Süchtige sind krank und nicht kriminell. Sie brauchen Hilfe und nichtStrafe. So lautete die Lektion, die ein ganzes Volk oder zumindest einean der Urne manifeste Mehrheit damals lernte.

Seither erhalten Schwerabhängige ihren Stoff vom Staat oder könnenihn zumindest in geschützten Einrichtungen konsumieren. Die Polizeisorgt derweil dafür, dass sich keine offenen Szenen bilden. So weit, sogut. Und doch ist der Wille zum moralbefreiten, lösungsorientiertenUmgang mit Rausch und Sucht bis heute nicht konsequent umgesetztworden. Wer sich mit verbotenen Substanzen berauscht, macht sichnoch immer strafbar. Folge: Die Betroffenen erhalten Bussen, die sienicht bezahlen können und deshalb in Haftstrafen umgewandelt wer-den. Die Abhängigen werden damit aus ihren sozialen und beruflichenUmfeldern gerissen. Das ist deshalb gravierend, weil dank der Abgabe-programme viele Heroinkonsumenten trotz Sucht weitgehend integriertbleiben. Zudem verursacht die Kriminalisierung immense Kosten beiPolizei und Justiz.

Nun gibt es einen neuen Anlauf, den Drang zum Rausch zu entkri-minalisieren. Und zwar nicht von Hanfaktivisten oder irgendwelchenutopischen Träumern. Es sind Gesundheitsfachleute des Bundes, diefeststellen: Eine sinnvolle Suchtpolitik kann nicht entlang der Unter-scheidung zwischen legal und illegal operieren. Besitz und Konsum al-ler Rauschmittel sollen deshalb nach dem Willen der Experten künftigstraffrei bleiben (siehe Artikel Seite 10).

Bei Surprise haben wir einige Verkaufende, die mit Suchtproblemenkämpfen – vielleicht hat Ihnen einer davon dieses Heft verkauft. Des-halb wissen wir, dass Abhängige ihr Leben nur dann in den Griff be-kommen können, wenn sie Unterstützung beim Ausstieg aus den Dro-gen und Hilfe beim Wiedereinstieg in die Gesellschaft erhalten. Strafenhingegen verschärfen das Elend.

Die Schweizer Drogenpolitik ist auf dem richtigen Weg. Eigentlich.Bloss ist sie auf halber Strecke stehengeblieben. Es ist Zeit, dass sie wie-der in Bewegung kommt. Nicht eigentlich. Sondern wirklich. ■

DrogenpolitikRaus aus der KriminalitätExperten des Bundes fordern Straffreiheit für den Besitz und Konsum von Drogen. Dafür ist es höchste Zeit.Denn die pragmatische Politik der letzten Jahre ist auf halbem Weg stehengeblieben.

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VON JANINE KERN (TEXT) UND IVO ANDRI (BILD)

Wie ein Grand Hotel aus vergangenen Zeiten sieht er aus, der Schwei-zerhof in Santa Maria, dem verträumten Dorf im Münstertal, am Fuss desOfen- und des Umbrailpasses. Im grossen Jugendstil-Speisesaal diniertman umgeben von viel Holz unter einem grossen Kronleuchter. In denVitrinen altes Porzellan, an den Fenstern schwere rote Vorhänge. Undmittendrin der Gastgeber Jon M. Conradin. Er begrüsst alle Gäste per-sönlich, serviert Wein und Essen, fragt hier nach dem Befinden und gibtdort einen Ausflugstipp, ist immer präsent und drängt sich nie auf. Con-radin ist ein Gentleman von ausgesuchter Höflichkeit gepaart mit einemscharfsinnigen Humor: «Das Fleisch für Bresaola stammt aus Brasilien,jenes für Bündnerfleisch aus Argentinien», erklärt er einer Dame, dienach dem Unterschied gefragt hat. Seine Gäste sind im Schweizerhof fürein paar Tage Königinnen und Könige, denn es ist seine Ambition, sieglücklich zu machen.

Diese Leidenschaft wurde Jon Conradin in die Wiege gelegt. Das Ho-tel Schweizerhof ist seit drei Generationen im Besitz der Familie. Es ver-körpert die Geschichte einer Familie, die mit Ausdauer, Einfallsreichtumund Flexibilität viele schwere Zeiten überstand.

Das Hotel wurde 1903 von Geschäftsleuten aus St.Moritz erbaut, zweiJahre nach dem Bau der Strasse über den Umbrailpass, die das abgele-gene Münstertal auch vom Veltlin her zugänglich machte. Allerdingsblieb der Erfolg im Münstertal aus: Bereits 1909 musste die GesellschaftKonkurs anmelden und das Haus verkaufen.

Das war die Chance für die Familie Conradin aus Vulpera. Sie war ge-rade von der mächtigsten Familie im Dorf aus ihrem Gästehaus vertrie-ben worden. Im Hotel Schweizerhof wagte das Paar mit dem kleinenSohn den Neustart mit einer guten Idee: Frau Conradin stammte aus derBasler Grossfamilie Preiswerk mit elf Geschwistern sowie 13 Tanten undOnkeln. Also wurde die ganze Familie Preiswerk gratis zu einer Über-nachtung in den Schweizerhof eingeladen.Dass man damals nicht bloss für eine Nachtvon Basel ins Münstertal reisen konnte, gehör-te zur Strategie. Aber die Preiswerks kamen –und blieben. Und bezahlten für die zusätz-lichen Nächte. Das Hotel kam in Schwung, und Jon Conradin ist nochheute beeindruckt vom klugen Marketing seiner Grosseltern.

«Doch dann rasselten Österreich und Italien an der Grenze mit den Säbeln, der Erste Weltkrieg begann. Weil die Schweiz eine Invasion ausItalien befürchtete, marschierte die Armee im Münstertal und auf demUmbrailpass auf. Als Kommandoposten bestimmte der Generalstabschefdas Hotel Schweizerhof», weiss Conradin.

So konnten sich die Conradins zwar finanziell über Wasser halten,aber die Böden im Hotel wurden durch die Nagelschuhe der Soldatenund die Kanonen im Speisesaal ruiniert. Für Renovationen blieb keine Zeit, denn noch vor Ende des Krieges kam 1918 die SpanischeGrippe, und wieder bot nur der Schweizerhof genügend Platz, um dievielen Kranken aufzunehmen. Die Conradins überstanden diese Kriseebenso, wie sie die 1930er-Jahre und den Zweiten Weltkrieg über-standen.

PorträtDer GastgeberJon M. Conradin ist Hotelier mit Leib und Seele. Seine Welt ist das Hotel Schweizerhof in Santa Maria, das erin dritter Generation führt. Er wollte nie etwas anderes als seine Gäste glücklich machen.

1950 übernahm Jon Conradins Vater den Schweizerhof. Noch immerwar das Hotel nur im Sommer geöffnet. «Es gab keine Heizung, nur ein-zelne Öfen im Speisesaal und in einigen Zimmern», erzählt Jon Conra-din. Jon und seine drei Geschwister schliefen in den Gästezimmern – solang es freie gab. «Wenn alles ausgebucht war, schliefen wir auf Stroh-säcken in der Wäscherei», sagt Conradin. «Das war gang und gäbe zu derZeit, wir kannten es nicht anders.» Die Kinder halfen selbstverständlichim Betrieb mit. Jon mochte das Hotel schon immer am liebsten. Auch alser mit 16 nach Chur auf die Mittelschule ging, kam er jeden Sommernach Hause und arbeitete im Service mit. Bald war klar, dass er das Ho-tel weiterführen würde.

In den frühen 1970er-Jahren war es so weit. Jon hatte Ideen, inves-tierte in den Ausbau der Zimmer – und fand die Liebe. Eine junge Zür-cherin, die mit ihren Eltern Ferien im Schweizerhof machte, eroberte dasHerz des Hoteliers. 1983 zog Belinda nach Santa Maria und stieg in denHotelbetrieb ein. Das Paar bekam zwei Töchter und begann, Themen-wochen im Schweizerhof zu organisieren. Jon Conradin arbeitete oft bisMitternacht im Restaurant, schlief eine Stunde und brach um ein Uhrmit einer Gruppe auf, um zum Sonnenaufgang auf dem Piz Chavalatschzu sein. «Um zehn Uhr kamen wir zurück, um zwölf stand ich wiederfür das Mittagessen im Restaurant», lacht er. «Heute habe ich nicht mehrso viel Kraft.»

Conradins Ehe ging nach zehn Jahren auseinander. Er sei mehr mitdem Hotel als mit ihr verheiratet, warf ihm Belinda vor. «Wahrscheinlichhatte sie recht», sagt er selbstkritisch. Mit seiner Exfrau verbindet ihnheute eine enge Freundschaft. Auch die Töchter sind ihrem Vater ver-bunden. Doch der Schweizerhof bleibt für Jon Conradin Lebensmittel-punkt: «Das Hotel ist für mich wie ein Kind, zu dem man Sorge tragenmuss. Es ist meine Existenz, und es macht mir viel Freude.»

Diese Freude spüren die Gäste rund um die Uhr. Jon Conradin ist im-mer da, am Morgen beim Frühstück, danach an der Rezeption, am Mit-

tag im Restaurant, beim Abendessen im Speisesaal und später in der Bar.Seinen Gästen erfüllt er jeden Wunsch. Er weiss immer die richtige Wan-derroute, putzt schmutzige Schuhe, gibt Wandersleuten seinen Feldste-cher mit und leiht Gästen in Not sein Auto.

Wenn der Schweizerhof Mitte November für zwei Monate schliesst,stellt Jon Conradin die Heizung ab und geniesst den Holzherd in seinerWohnung im ersten Stock. Er besorgt die Administration, beantwortetAnfragen, die Arbeit geht nie aus. Ferien kennt er nicht. «Aber ich neh-me es etwas ruhiger.»

«Ich wollte nie etwas anderes machen als dieses Hotel führen», sagt er.Mittlerweile ist Jon Conradin 65 und macht sich Gedanken über die Zu-kunft. Die Töchter wollen den Schweizerhof nicht übernehmen, er wirdin absehbarer Zeit verkaufen. Deshalb führt er jetzt auch nichts Neuesmehr ein. Er kann loslassen. Aber den Gästen wird er fehlen. Denn einenwie Jon Conradin wird es im Schweizerhof nicht mehr geben. ■

«Wenn alles ausgebucht war, schliefen wirauf Strohsäcken in der Wäscherei.»

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Die Schweizer Drogenpolitik gerät wieder in Bewegung. Nach einigen Jahren der relativen Ruhe fordert nun eine Expertenkommission des Bundes die Entkriminalisierung von Besitzund Konsum. Die Diskussion unter Fachleuten, Politikern und Betroffenen ist eröffnet.

DrogenlegalisierungAm Anfang der Debatte

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Stress durch Strafverfolgung: Die Repression zwingt Süchtige zu riskanten Konsumformen.

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Gruppe dem sogenannten Public-Health-Ansatz (siehe Kasten). Dieserverzichtet «auf die gesundheitspolitisch wenig hilfreiche Unterschei-dung zwischen legalen und illegalen Substanzen.» Dahinter steckt kei-ne Ideologie, sondern purer Pragmatismus. François von der Linde, Co-Autor des Leitbildes und Präsident der Eidgenössischen Kommissionfür Drogenfragen, erklärte gegenüber der Presse: «Verbote im Sinne desStrafrechts bringen nichts.»

Unter Fachleuten hat sich die Ansicht, dass Süchtige nicht als Ver-brecher, sondern als Kranke zu betrachten sind, schon lange durchge-setzt. Vor dem Gesetz aber macht sich jeder Konsument illegaler Dro-

gen bis heute strafbar. «Die User haben relativ häufig Kontakt mit derPolizei», sagt K+A-Leiterin Flotiront: «Wenn man alle Einträge unsererKlienten auf einen Haufen legen würde, käme ein ganz schönes Regis-ter zusammen.» Die Entkriminalisierung von Besitz und Konsum wür-de sie begrüssen: «Das brächte Ruhe in unseren Betrieb, denn die Ille-galität sorgt für Stress.»

Repression fordert MenschenlebenPeter Wölfli* und Dominik Sutter* verkehren regelmässig in der

K+A. Die langjährigen Drogenkonsumenten entsprechen dem Alters-durchschnitt der Klienten, der bei knapp 40 liegt. Die kontrollierte Abgabe sei eine gute Lösung, finden sie. Eine Entkriminalisierung vonBesitz und Konsum wäre aber trotzdem nötig. «Das würde weniger Be-schaffungsstress bedeuten. Je grösser der Stress, desto mehr machst duSachen, die den Körper schädigen», sagt Wölfli. Sutter betont denAspekt der Integration: «Heutzutage gibt es viele Abhängige, die sozialund beruflich eingebunden sind, sie haben Familien und Jobs. Durchdie Illegalität läufst du aber permanent Gefahr, dass du eine Strafe er-hältst und dadurch unter Umständen die Arbeit verlierst. Das kann zueinem sozialen Abstieg bis in den Ruin führen.» Auch für die Reinte-gration nach überwundener Sucht seien Vorstrafen hinderlich. Dass eine Entkriminalisierung zu mehr Neueinsteigern führen würde, glau-ben weder Wölfli noch Sutter. Nachholbedarf sehen sie aber bei derPrävention: «Bei den Jungen gibt es viel Neugier und Unwissen, des-halb muss man ihnen die Augen öffnen», sagt Sutter, der im Rahmenvon Präventionsaktionen auch schon als Betroffener vor Schulklassenaus seinem Leben erzählte.

Einen hohen Preis fordert auch die Repression – und zwar nicht nuran Geld, sondern auch an Menschenleben. Zu diesem Schluss kommteine Studie, die Anfang Jahr veröffentlicht wurde. Die Forscher RudolfStohler und Carlos Nordt von der Psychiatrischen Uniklinik Zürich wei-sen darin einen Zusammenhang zwischen polizeilicher Konsumenten-verfolgung und Drogentoten nach. Kurz gesagt: Je mehr Repression,desto mehr Tote. Nordt erklärt den Zusammenhang gegenüber der«UZH News» mit dem erhöhten Stress, dem Süchtige durch die Straf-verfolgung ausgesetzt seien, was zu Überdosierungen führen könne.Mit Blick auf die lange Zeit umstrittenen Abgabeprogramme sagt der

VON RETO ASCHWANDEN

Der Vorplatz der Kontakt- und Anlaufstelle Wiesenkreisel am Stadt-rand von Basel ist gut gefüllt. Rund 30 Drogenabhängige stehen an die-sem Freitagnachmittag im August auf dem abgesperrten Gelände,unterhalten sich, «mischeln», und immer wieder verschwinden einpaar im Gebäudeinnern, wo sie unter kontrollierten Bedingungen denmitgebrachten Stoff konsumieren können. Nein, besonders viel seiheute nicht los, meint Evelyne Flotiront zur Begrüssung. Die Leiterinder Kontakt- und Anlaufstellen (K+A) in Basel-Stadt ist sich mehr Be-trieb gewohnt. In Basel-Stadt leben etwa 2000von harten Drogen Abhängige, in den K+Averkehren rund 500 Süchtige. Zwei Drittel vonihnen absolvieren ein Abgabeprogramm, er-halten Heroin oder Methadon vom Arzt. Vielekonsumieren zusätzlich Kokain und dessen aufputschende Wirkunghat Auswirkungen auf den Betrieb der K+A: «Bei Heroin hat manirgendwann seinen Pegel und dämmert weg. Kokain aber kann man im-mer noch mehr nehmen. Das führt zu Hektik und Aggressionen», er-klärt Evelyne Flotiront.

Die Kontakt- und Anlaufstellen dienen der Überlebenshilfe undSchadensminderung und gehören zu einem der Standbeine des Vier-Säulen-Modells. Dieses umfasst zusätzlich Prävention, Therapie undWiedereingliederung sowie Repression und Kontrolle. In mehreren Ab-stimmungen hat das Schweizer Volk diesen Ansatz gutgeheissen. DieInitiative «Jugend ohne Drogen» hingegen, die einseitig auf Repressionsetzte, wurde genauso bachab geschickt wie die weitgehenden Libera-lisierungsforderungen der «Droleg»-Vorlage.

Die Polizei hält sich im Umfeld der K+A Wiesenkreisel zurück. Be-sitz und Kleinhandel toleriert sie, solang die Situation nicht überbordet,ansonsten kann es schon einmal eine Razzia geben. Szenenbildungenim öffentlichen Raum hingegen unterbindet die Polizei konsequent.Dieses koordinierte Vorgehen funktioniert hier wie auch anderswonicht schlecht: Offene Szenen gibt es in der Schweiz kaum noch unddie Todesfälle unter den Konsumenten sind seit dem traurigen Höhe-punkt von 1992 mit 419 Toten massiv gesunken. Nur: Wie die vier Säu-len gewichtet werden, entscheidet jede Stadt, jeder Kanton anders.

Der Kranke als VerbrecherRechtlich handelt es sich bei Besitz und Konsum von Betäubungs-

mitteln um Übertretungen, also um die leichteste Form eines Gesetzes-verstosses. 2009 hatten sich in der Schweiz fast 35000 Menschenwegen solcher Verstösse zu verantworten, darunter 4796 Minderjähri-ge. Vor dem Gesetz ist Drogenkonsum etwa gleich gravierend wie dasMissachten einer roten Ampel. Ob die Eltern – oder der Lehrmeister –eines 17-Jährigen, der eine Busse fürs Kiffen bekommt, das auch so se-hen, ist eine andere Frage. Wer Drogen braucht, wird sich durch denGesetzesbruch nicht vom Konsum abhalten lassen.

Eine Expertengruppe des Bundes plädiert nun für ein grundsätzli-ches Umdenken: Im August präsentierte das Gremium sein Leitbild«Herausforderung Sucht», das unter anderem die Entkriminalisierungaller Rauschmittel und den straffreien Konsum umfasst. Dabei folgt die

«Die Unterscheidung zwischen legalen undillegalen Substanzen ist wenig hilfreich.»

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Forscher: «Während medizinische Behandlungen ihre Wirksamkeitständig in Studien nachweisen müssen, scheint dies für die Repressionnicht zu gelten.» Da sie ihre Ziele nur teilweise erreiche und dabei ne-gative Auswirkungen habe, müsse die Frage nach ihrem Sinn gestelltwerden dürfen.

Ein Drogenkrieger denkt umBereits beantwortet hat diese Frage der Tessiner FDP-Ständerat und

Europaratsabgeordnete Dick Marty. In einem Interview mit dem öster-reichischen «Kurier» bezeichnete er das Drogenverbot Mitte August als«totale Pleite». Als Staatsanwalt ging Marty 15 Jahre lang energisch ge-gen Drogen vor und wurde für dieses Engagement von der Internatio-nalen Vereinigung der Drogenbekämpfungsbehörden ausgezeichnet.Heute konstatiert er ernüchtert, vor Gericht gebracht hätte er «immernur die Kleinen», während die Grosshändler «kaum gestört» würden.Nur eine weltweite Freigabe der Drogen könnte das Geschäft der Dro-genkartelle zunichte machen. Marty ist der Ansicht, dass eine Legali-sierung nicht zu mehr Konsumenten führen müsste, sofern das Geld,das heute in die Bekämpfung des Drogenhandels fliesst, in die Präven-tion gesteckt würde. Über die Umsetzungschancen seiner Forderungmacht sich der Politiker keine Illusionen. Die globale Legalisierung vonDrogen werde er sicher nicht mehr erleben, so der 65-Jährige.

Bis heute fliesst wesentlich mehr Geld in die Repression als in diePrävention. «Ohne Repression geht nichts», sagt K+A-Leiterin Floti-ront, «sie gehört zum Vier-Säulen-Modell, aber man sollte die Säulengleich gewichten, das heisst, mehr in die Prävention investieren.» BeimKokain beispielsweise steigt die Zahl der Konsumenten laut Daten ausder Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2002 und 2007 trotzRepression. Insbesondere Jugendliche haben heute öfter Erfahrung mitKokain als noch vor einigen Jahren.

Das Konzept «Public Health»

«Public Health (Öffentliche Gesundheit) ist ein soziales und politischesKonzept, das durch Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention undandere gesundheitsbezogene Interventionen auf Verbesserung von Ge-sundheit, Lebensverlängerung und Erhöhung der Lebensqualität vonganzen Bevölkerungen abzielt.» So definiert die Weltgesundheitsorga-nisation WHO den Ansatz, auf den sich die Experten des Bundes beiihrem Leitbild für eine künftige Schweizer Suchtpolitik stützen. Aufden Rauschmittelkonsum übertragen, bedeutet das eine starke Beto-nung der Prävention sowie der Schadensminderung für Betroffeneund ihr Umfeld. Das suchtpolitische Handeln soll sich am Schaden-spotenzial einer Substanz orientieren und der tatsächlichen Problem-last für Individuum und Gesellschaft. Dieser Ansatz würde eine ganz-heitliche Suchtpolitik ermöglichen, die Alkohol, Tabak sowie heute illegale Substanzen, aber auch Abhängigkeiten wie Spielsucht alsKrankheiten betrachtet, die nicht mit dem Strafgesetzbuch behandeltwerden können.

Gefährliches Katz-und-Maus-Spiel

Im Bereich der synthetischen Stoffe, den sogenannten Partydrogen,läuft ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Produzenten und Behörden.Weil im Betäubungsmittelgesetz jede Substanz genau definiert ist,reicht schon eine kleine Modifikation der chemischen Struktur und dieSubstanz gilt nicht mehr als illegal beziehungsweise erst dann, wennsie der Gesetzgeber explizit verbietet. Dadurch hinken die Behördenden Entwicklungen in der Szene stets hinterher. An der diesjährigenStreetparade waren beträchtliche Mengen undefinierbarer Substanzenim Umlauf – die Polizei beschlagnahmte 700 Pillen mit unbekanntemInhalt, die als Ecstasy verkauft wurden. Die Produzenten und Händlerversuchen sich so vor Strafverfolgung zu schützen. Die Konsumentendienen dabei als Versuchskaninchen, denn wie diese Stoffe genau wir-ken und welche Langzeitfolgen sie haben können, weiss niemand.

Gesundheitsexperten sind sich einig, dass eine Entkriminalisierungoder gar Legalisierung die Drogenprobleme massiv verringern könnte.Die grundsätzliche Straffreiheit ist aber bis heute ein Tabu. Denn so-bald die Politik die Vorschläge der Fachleute aufnimmt, treten ideologi-sche Denkmuster an die Stelle von sachlichen Einschätzungen. Insbe-sondere das rechte Lager bekämpft aus Prinzip jegliche Liberalisierungverbotener Substanzen. Umdenken braucht Zeit – nach Jahrzehntendes «War on Drugs» ist weiten Teilen der Bevölkerung nur schwer zuvermitteln, weshalb statt Polizisten und Staatsanwälten besser Ärzteund Präventivmediziner den Umgang mit Suchtmitteln aller Art regelnsollten. Evelyn Flotiront von den Basler K+A macht sich keine Illusio-nen: «Durch die Entkriminalisierung hätten die Konsumenten nicht länger das Stigma des Gesetzesbrechers. Das wäre wichtig. Doch wirstehen erst am Anfang der öffentlichen Debatte.» . ■

* Namen geändert

Sicher und sauber: Heroinkonsum in der Abgabestelle.

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Dicke sind dumm und faul, und sie sind schuld, wenn die Kosten unseres Gesundheitssystemsweiter steigen. Übergewichtige sind die neuen Feinde der gesundheitswahnsinnigen Gesell-schaft. Doch das nehmen sie nicht einfach so hin.

ÜbergewichtSchwer getäuscht

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faul ist, um etwas anderes zu tun, als herumzuliegen und fernzusehen.Man würde Rosa L. Willensschwäche unterstellen und an ihrer Intelli-genz zweifeln. Denn gescheite Leute lassen sich nicht so gehen. WäreRosa L. bei einem Meter 68 statt der aktuellen 140 nur 60 Kilo schwer,würden Betrachter der Frau auf dem Sofa ein paar Mussestunden nacheinem anstrengenden Arbeitstag gönnen: Eine Studie der kanadischenUniversity auf Alberta ermittelte, dass dünnen Menschen, die auf einemSofa liegen, die Ruhe gegönnt wird, während übergewichtigen Personenbei derselben Aktivität Faulheit, Undiszipliniertheit, Genusssucht undZügellosigkeit attestiert wird.

Die Studienergebnisse lassen sich vom Testlabor direkt auf den All-tag von Rosa L. übertragen: «Am meisten verletzt es mich, dass ichfalsch eingeschätzt werde», erklärt sie. Wenn etwa der Arzt auf die Fra-ge nach dem Beruf seiner Patientin bei ihrer Antwort aus allen Wolkenfällt. Für Rosa L. nichts Aussergewöhnliches: «Einer übergewichtigenFrau traut man keine intellektuellen Fähigkeiten zu.» Der Arzt schlossaus der für ihn nicht zu vereinbarenden Kombination von Intelligenzund Übergewicht, dass Rosa L. aus einer Bauernfamilie stammen müs-se. Anders konnte er sich ihre körperliche Erscheinung nicht erklären.Doch weit gefehlt – der Vater von Rosa L. war Beamter in Bundesbern.

Die Frau mit den klaren blauen Augen und der farblich sorgfältig ab-gestimmten Kleidung ist ohne Vorverurteilungen aufgewachsen: «Ichnahm erst gegen Ende meines Studiums stark zu. Davor realisierte ichnicht, mit welchen Vorurteilen Übergewichtige konfrontiert sind.» Sohabe sie etwa nie Probleme gehabt, eine Stelle zu finden. Nun aber, dasie als Ergänzung zu ihrer Selbstständigkeit eine Teilzeitstelle sucht, hatsie Mühe, Arbeit zu finden. Sie schreibt das auch ihrem Erscheinungs-bild zu. Denn die Reaktionen darauf sind augenfällig. Einem möglichenArbeitgeber sei bei ihrem Anblick buchstäblich der Laden runtergegan-gen, als Rosa L. nach vielversprechender schriftlicher und telefonischerBewerbung persönlich zum Vorstellungsgespräch erschien. «Nach der

VON JULIA KONSTANTINIDIS

Es scheint, als habe die Gesellschaft nach den Rauchern eine neueBevölkerungsgruppe gefunden, die für steigende Gesundheitskosten ge-radestehen muss: Kein Tag vergeht, an dem nicht Meldungen über ge-fährliches und ungefährliches Fett, Berichte über die gesundheitlichenAuswirkungen von Übergewicht oder Berechnungen von Zusatzkosten,die Dicke unseren Krankenkassen zumuten, durch die Medien gehen.Und dabei sind es nicht mehr nur Frauenzeitschriften, die das Themaaufgreifen. Der Tenor ist einstimmig: Übergewicht ist krankhaft undschadet der Gesellschaft.

Ein entsprechend rauer Wind weht denjenigen entgegen, die dengängigen Normen nicht entsprechen. Und die sind dank des Body-Mass-Index (BMI) schnell auszumachen: Wer einen BMI über 25 hat, ist über-gewichtig, wessen Punktzahl über 30 liegt, leidet unter Adipositas, Fett-sucht. In der Schweiz fallen 37,6 Prozent der Bevölkerung in eine derbeiden Kategorien. Zugegeben eine hohe, wenn auch relativ stabileZahl. Zu hoch, sagen Gesundheitsexperten, Gesundheitspolitiker, aberauch Gesundheitsfanatiker. Die Übergewichtigen sind ein Risiko für al-le und so zahlreich, dass von einer Epidemie gesprochen wird. Die Zahlist aber auch zu hoch, um die Übergewichtigen als Gesundheitssünderunter Generalverdacht zu stellen.

Dick und gescheitRosa L. ist zielstrebig, dynamisch und erfolgsorientiert. Sie hat sich

von der KV-Stiftin über Abendmatur, Betriebswirtschafts- und Jurastu-dium zur Geschäftsleiterin eines Unternehmens mit 15 Angestelltenhochgearbeitet und sich dann als Beraterin selbstständig gemacht. Es istdie perfekte Laufbahn einer karrierebewussten Frau.

Legt sich die 50-Jährige nach einem ausgefüllten Tag allerdings aufihr Sofa, sehen die meisten Leute jedoch das: Eine dicke Frau, die zu

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Übergewichtige müssen Jobs – trotz gleicher Qualifika-

tion – oft schlankeren Mitbewerbern überlassen.

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Gesund ist aber nicht, wer dem ästhetischen Bild entspricht, findetAdler. «Gesundheit ist ein Teil eines ganzen, glücklichen Menschen. Wermit sich selber zufrieden ist, ist auch gesund.» Fühle er sich wohl in sei-ner Haut, wirke sich das auf seinen Gesundheitszustand aus. Deshalbspricht Dominique Adler statt von Normalgewicht lieber von Wohlfühl-gewicht. Und das liegt je nach individueller Wahrnehmung auch überdem BMI-Wert von 25. Krankmacher ortet Adler auch anderswo: «Fühltsich eine dicke Person ausgeschlossen, wird sie unzufrieden, vielleichtisst sie deshalb umso mehr und gerät so in den Teufelskreis ungesundenVerhaltens.»

Er möchte so, wie er ist, am Leben teilnehmen und fühlt sich deshalbdurch zu enge Stühle, Autos, Flugzeugsitze, Toiletten oder Sportgerätemit geringer Zuladung diskriminiert. Doch Dominique Adler lässt sichnicht in die Opferrolle drängen und kämpft auch mit seiner Internetsei-te dafür, dass das Selbstbewusstsein dicker Menschen nicht mehr vonihrem Gewicht abhängt. Damit stösst er offenbar auf Zustim-mung – seine Internetseite zählt rund 64 000 Besucher pro Woche.

Dick und kämpferischWeder Rosa L. noch Dominique Adler entsprechen dem Bild, das von

dicken Menschen so gerne in der Öffentlichkeit gemalt wird. Sie sind al-les andere als willensschwache und verantwortungslose Dicke. Undauch sie wissen, wann ihr Körpergewicht zum Problem wird. Für Do-minique Adler schrillen die Alarmglocken, wenn sein Körper wegen desGewichts seinem Kopf nicht mehr nachkommt: «Wenn ich ein Hobbynicht mehr machen kann, weil es zu anstrengend ist, muss ich abneh-men, um mein Wohlfühlgewicht wieder zu erlangen. Alles was drunterist, ist Luxus.» Auch er ist, wie wohl die meisten Übergewichtigen, diät-erprobt, inklusive der Erfahrung frustierender Jo-Jo-Effekte.

Dominique Adler kämpft gut gelaunt und selbstbewusst im Internet –mit Kontaktbörse für dicke Singles, Einkaufstipps, Rezeptsammlung,aber auch mit Informationen rund ums Dicksein für die Akzeptanz sei-

ner Bevölkerungsgruppe. Er liegt damit auf der Wellenlänge des «fat acceptance movements», das seinen Ursprung in den USA hat und sichinternational gegen die Diskriminierung von Übergewichtigen einsetzt.In Deutschland wurde vor einigen Jahren mit der Gesellschaft gegen Ge-wichtsdiskriminierung ein deutschsprachiges Pendant ins Leben gerufen.

Rosa L. hingegen kämpft auf juristische Weise gegen die Vorurteileund Diskriminierungen: Sie engagiert sich bei der Schweizerischen Adi-positas Stiftung und bietet dort Rechtberatungen für übergewichtigeMenschen an, die aufgrund ihres Körpergewichts bei der Arbeit oder inanderen Lebensbereichen diskriminiert wurden. Obwohl auch sie sichmehr Akzeptanz für Übergewichtige wünscht, ist sie sich der Risiken,die dieses mit sich bringt, bewusst: «Wenn ich durch mein Gewicht inmeiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt bin, die Knie und Füsseschmerzen oder ich ausser Atem komme, ist der Leidensdruck zu hoch.»Deshalb hat sie sich zum Ziel gesetzt, ihr Gewicht innert zwei Jahrenum die Hälfte zu verringern. Auch, weil sie sich dadurch bessere Chan-cen auf dem Arbeitsmarkt ausrechnet. Denn das momentane öffentlicheStimmungsbarometer lässt keine baldige Abkühlung der Diskussion umdie Bedrohung der gesundheitswahnsinnigen Gesellschaft durch Über-gewichtige vermuten. Doch der pauschalen Vorverurteilung erwächstWiderstand. Und der fällt ins Gewicht. ■

Für Rechtsberatungen und weitere Infos:

www.adipositas-stiftung.ch

www.rundnaund.ch

Absage für den Job sprach ich den Mann direkt auf seine Reaktion an.Er versicherte mir, dass seine Entscheidung nichts mit meinem Gewichtzu tun habe», erinnert sich Rosa L. Abnehmen kann sie dem Herrn die-se Aussage bis heute nicht.

Rosa L. reagierte pragmatisch auf ihre Erfahrungen: «Früher habe ichaus Prinzip Bewerbungen ohne Foto eingereicht. Heute lege ich eins bei.So wissen die Leute gleich, woran sie sind.»

Wer zu viel wiegt, muss lernen, mit Vorurteilen umzugehen, be-sonders zu Zeiten, in denen die Wirtschaftslage nicht die rosigste ist:«Seit der Krise herrscht die Meinung, dass Übergewichtige mehr zurKasse gebeten werden sollen», beobachtet Rosa L. Tatsächlich wird dieDiskussion, ob Übergewichtige höhere Krankenkassenprämien bezah-len sollen, seit einigen Jahren geführt.

Gemäss einer Schätzung, die 2009 im Auftrag des Bundesamts fürGesundheit durchgeführt wurde, entfallen knapp vier Milliarden Fran-ken auf die direkten Kosten übergewichtsbedingter Erkrankungen – et-wa auf die Behandlung von Diabetes oder Bluthochdruck. Was also isteinfacher, als Personen mit einem BMI von über 25 stärker zur Kassezu bitten?

Doch ist Rosa L. wirklich so viel ungesünder als eine normalgewich-tige Person? Die Betriebswirtin ernährt sich seit Jahren vegetarisch, seitzwei Jahren gar vegan. «Ich bin gesund, meine Werte sind gut. Wenn dieLeute eine übergewichtige Person sehen, überlegen sie nicht, ob diesegesund sein könnte», enerviert sie sich.

Dass die Anfeindungen, die sie erlebt, nicht einfach Hirngespinste ei-ner Betroffenen sind, zeigen die Erfahrungen, die Karin Hegar bei ihrerArbeit macht. Die Psychologin ist Co-Leiterin des Behandlungspro-gramms bei Adipositas mit Schwerpunkt Ernährungsverhalten und Le-bensstiländerung am Universitätsspital Basel und deshalb viel in Kon-takt mit Übergewichtigen. Auch sie weiss von Leuten, die Jobs trotzgleicher Qualifikation schlankeren Mitbewerbern überlassen mussten.«Das Image dicker Menschen ist von Attributen wie gemütlich, faul, un-belastbar geprägt. Dabei leisten übergewichti-ge Personen oft mehr, um von diesem Imagewegzukommen.» Obwohl Hegar Übergewichtals grundsätzliches Gesundheitsrisiko einstuft,weist sie darauf hin, dass die Rechnung dickgleich ungesund nicht immer aufgeht. «Es gibt Faktoren, die diese Glei-chung wieder aufheben. Lieber ein sich viel bewegender Übergewichti-ger als ein schlapper Normalgewichtiger.»

Dick und zufriedenDass das Bild eines schweren Menschen, der sich gerne bewegt, nicht

in die Köpfe normalgewichtiger Menschen passt, erfährt Dominique Ad-ler zum Beispiel dann, wenn er im Sportgeschäft ein neues Snowboardkaufen will. «Die Leute zeigen sich oftmals überrascht, wenn ich ihnensage, dass ich seit bald 23 Jahren Snowboard fahre», sagt der 43-Jähri-ge, der 135 Kilos auf die Waage bringt. Durch die allgegenwärtige Über-gewichts-Diskussion fühle er sich zunehmend unter Druck, etwas anseiner Situation ändern zu müssen. «Richtig aktuell wurde es, nachdemman die Raucher kleingemacht hatte. Ein neues Ziel musste her. Es gehtum Politik.»

Aber Dominique Adler ist gerne beleibter als der Durchschnitt, ihmgefallen auch Frauen, die etwas mehr auf den Rippen haben. Deshalbbetreibt er zusammen mit seiner Frau die Internetseite rundnaund.ch –der Fettfleck auf dem Web. Der technische Sachbearbeiter ist ein selbst-bewusster Übergewichtiger, der sich seine emanzipierte Haltung seit derSchulzeit, in der er stark zunahm, erarbeitet hat. «Ich wünsche mir ei-ne Normalisierung der Diskussion», meint er. Denn ohne Druck fiele esvielleicht auch manchem Dicken einfacher, Kilos abzuspecken: «Dergrösste Teil der Menschen, die abnehmen wollen, tut dies nicht wegender Gesundheit, sondern weil sie einem Gesellschaftsbild entsprechenwollen, es geht um Ästhetik.»

«Einer übergewichtigen Frau traut man keineintellektuellen Fähigkeiten zu.»

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Der moderne Mensch vernetzt sich täglich neu, geht Kooperationen ein und pflegt Kontakte. Was soll das? Ver-bergen sich hinter der sozialen Betriebsamkeit Verbindungen mit Substanz oder geht es nur um schlampigeVerhältnisse? Ein Essay zum Beziehungsverhalten im Web-Zeitalter.

NetzwerkweltBeziehungen für Erwachsene

Rein oberflächlich betrachtet treibt es jeder mit jedem, und das fängtfrüher an, als man denkt. Haben Marketing-Leute wirklich eine «tiefe Be-ziehung» zu ihren Kunden? Warum duzen uns Unternehmen, als ob wirihre Kumpels wären? Kennen wir uns? Und warum bietet eigentlich nie-mand Ikea das Sie an? Wer so etwas fragt, gilt schnell als Spiesser. Vonminimalem Benimm und etwas Distanz, die auch dabei helfen könnten,gewollte und echte Nähe besser zu erkennen, redet keiner. Und sonst?Die Netzwerke aller Art, ohne die man heute angeblich nicht mehr lebenkann, pflegen soziale Promiskuität. Das führt zu vielen billigen Gele-genheiten, aber selten zu etwas Festem.

Globale BeziehungskisteDas Wort Netzwerk ist erst in den vergangenen Jahren zur Worthülse

geworden. Für Techniker war das Netzwerk stets eine eindeutige undverbindliche Sache, ein nachvollziehbares System, dessen Teile klar iden-tifiziert werden können und jeweils eine bestimmte Funktion haben. Dersystemtheoretische Ansatz förderte zutage, dass starre, hierarchische Or-

VON WOLF LOTTER

Das schlampige VerhältnisFrüher war nicht alles besser, aber manches klarer. Und Klarheit ist

heutzutage ein knappes Gut. Nehmen wir das Wort Beziehung. Dasstand vor einigen Jahrzehnten noch für etwas sehr Klares. Eine Bezie-hung hatten zwei Menschen, wenn sie miteinander was hatten, sichmochten oder gar liebten. Dieser Zustand war, auch wenn man nicht verlobt oder verheiratet war, verbindlich gedacht, nicht vage. Eine Be-ziehung war eine klare Sache mit klaren Regeln und einem klaren Ziel,nämlich das, was man hat, noch besser zu machen. Am Anfang dieserBeziehungen «erklärte» man sich. Man sagte einander, was Sache ist –und umgekehrt. Daneben gab es auch früher andere Beziehungskisten.Da hatten Menschen was miteinander, aber unverbindlich, mit vielenHintertüren. Da wollte sich niemand erklären. Keine Verpflichtungen ein-gehen. Das nannte man ein schlampiges Verhältnis. Das kennen wir gut.Heute nennen wir es Netzwerk.

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ErklärungenRein theoretisch ist diese Entwicklung nicht neu. Kooperation als

Grundelement wirtschaftlichen Handelns beschäftigt die Wissenschaftseit Langem – etwa die Spieltheorie. Der Homo cooperativus als legiti-mer, überlegener Nachfolger des Homo oeconomicus ist aber ein neuesModell. Die Kooperation wird erwachsen, wird praktisch, alltäglich undnormal. Ein gutes Zeichen. Doch solange über Netzwerke mit quasireli-giöser Verehrung geredet wird, ist etwas faul. Der Homo cooperativus istkein edler Gutmensch, sondern kennt seine Interessen – und wahrt siedurch die Kooperation. Der alte Beziehungsbegriff ist moralingetränkt, ertut immer so, als ob es keine Interessen gäbe. Deshalb wuchert auch dieHeuchelei überall dort, wo es um Zusammenarbeit, Kooperationen,Netzwerke geht, so stark. Man darf einfach nicht sagen, was Sache ist:Ich kooperiere, weil es mir nützt.

Miteinander arbeiten – das hiess in der Sprache der Organisationennoch vor einigen Jahren vor allem: übereinander herfallen (man kanndas auch Fusionen nennen). Und Fusionen bedeuteten, dass man Markt-anteile «eroberte», nicht etwa, dass man versuchte, neue Märkte zu

schaffen, indem die Kraft auf Innovationen gelenkt wurde. Als gelun-gene Fusionen galten diejenigen, bei denen alle Reste der Kultur des gekaperten Unternehmens beseitigt worden waren. Da ging es nur gele-gentlich ums Geschäft, weit öfter um alte Rechnungen.

Das funktioniert nicht mehr. Die Strukturen sind zu komplex. Die Mit-arbeiter zu selbstbewusst. Die Märkte zu gesättigt. Statt zur Zwangshei-rat kommt es heute zur Vernunftehe. Das ist nicht das Schlechteste.

ResultateUnternehmensberater kennen die Beziehungswirtschaft aus eigenem

Erleben. Viele von ihnen verbringen mehr Zeit in der Organisation ihrerKunden als in der Firma, auf deren Gehaltsliste sie stehen. Sind sie jetztTeil des Unternehmens, das sie bezahlt, oder eigentlich schon längst indie Kultur des Auftraggebers integriert? Die Praxis beantwortet diese Frage: Statt hohler Loyalität zum Boss gibt es eine Loyalität zur eigenenArbeit. Wie bei jeder guten Beziehung geht es um Inhalte. Nicht um Formen. Und es geht um Unterscheidbarkeit.

Warum aber sollten Spezialisten und Experten tun, was in Koopera-tionen unerlässlich ist – ihr Wissen teilen? War nicht die alte Ordnung so,dass man das, was man konnte, möglichst sorgsam vor dem Zugriff an-derer – einschliesslich der eigenen Organisation – bewahren musste, umzu überleben? Jeder kennt sie, die kleinen Haie in der eigenen Firma, dieNeider, die Abstauber und Quertreiber. Warum sollte es draussen, beiden alten Konkurrenten und nun potenziellen Kooperationspartnern,besser aussehen? Haben wir nicht alle gelernt, dass Kooperation eher be-straft wird als belohnt? Und sind Begriffe wie Team und Gruppe in derRealität nicht meist heuchlerische Umschreibungen von Kumpanei undorganisiertem Nichtstun?

Doch es geht eben nicht um Seilschaften, um den Betriebsklüngel, derallenthalben regiert und bestimmt, «was Sache ist». Wer wirkliche Ko-operation will, muss gerade diese Spielchen abschaffen. Wer zulässt,dass die Kooperationsfähigkeit im Unternehmen leidet, schadet dem Ge-schäft. So einfach ist das.

Tja, so einfach und so schwer. Denn die schlampigen Verhältnisse, dieheute vielfach als Beziehung verkauft werden, sind noch weit verbreitet.In Sachen Beziehung stecken die meisten in der Pubertät. Und deshalbfunktioniert sie so oft noch nicht, die richtige Beziehung, bei der aus einsplus eins drei werden könnte. Das ist aber das einzige Resultat, das zählt.

Eine Beziehung für Erwachsene eben. ■

ganisationen, die sich als abgeschlossene Welten verstanden, in einerkomplexen, arbeitsteiligen Welt mit einer Vielzahl an unterschiedlichenBedürfnissen und Funktionen zu nichts mehr taugten. Alte Unternehmenwaren erfolgreich, weil sie alles im Griff hatten – und zwar hundertpro-zentig. Neue Unternehmen sind erfolgreich, weil sie wissen, mit wem siezusammenarbeiten sollten, damit sie ein Problem lösen. Die Erfahrunggibt den neuen Organisationen recht. Ob Energie, Informationstechnik,Forschung und Innovation: Ohne Kooperation geht nichts mehr. DieGrenzen der alten Organisation sind gesprengt. Die alte Kontrollwirt-schaft wird durch Beziehungswirtschaft ersetzt. Sind wir darauf vorbe-reitet?

Freunde suchenAnders gefragt: Sind wir verbindlich genug? Lassen wir uns auf Zu-

sammenarbeit wirklich ein? Sind wir beziehungsfähig? Tatsächlich istdas Wort Netzwerk für die meisten Leute eine Phrase, mit der man denAntworten auf diese Fragen prima ausweichen kann. Nie ging das leich-ter als im Web. Da ist so viel Interaktivität, so viel Gelegenheit, dass mangar nicht mehr zum Schuss kommen muss. Su-chen wir in den Social Networks wirklichFreunde? Bei Freunden kennen wir Stärken undSchwächen, Vorlieben und Interessen, Rich-tung und Kurs. Man investiert Vertrauen undhat Respekt vor dem anderen. Das ist ein erhebliches Risiko. Es interes-siert mehr als eine Fähigkeit; der Mensch besteht nicht nur aus Eigen-schaften. Solche persönlichen Beziehungen erkennt man auch daran,dass man vortrefflich miteinander streiten kann, um letztlich gemeinsamvoranzukommen.

Diese ganze Aufstellung kennt kein «Vielleicht» und «Möglicher-weise», keine soziale Schonhaltung und auch nicht den Wahn, man kön-ne Beziehungen in ihre Bestandteile und Kategorien zerlegen, also gera-de so, wie sich Teilnehmer in Social Networks heute präsentieren. Wieimmer, wenn etwas nicht echt ist, gibt es dazu Formulare. Immerhin ha-ben fast 500 Millionen Menschen auf Facebook so ein Formular ausge-füllt, um sich zu präsentieren. Dabei kommt heraus, was auch beim Amtrauskommt: nichts oder wenig. Statt Beziehungswirtschaft haben wir ei-ne neue Form von Sozialbürokratie, diesmal eine freiwillige, Pro Forma2.0 sozusagen.

Quid pro quoNur damit es keine Missverständnisse gibt: Nicht alle Menschen in So-

cial Networks machen es sich so leicht. Und es genügt auch nicht, dassman sich nun schnurstracks von der Beliebigkeit der Netzwerkbeziehunggleich in den nächsten Irrtum flüchtet, die berüchtigte Beziehungsarbeitzum Beispiel. Mit diesem Wort belegten 68er-Sozialpsychologen jenenEiertanz, bei dem man so lange über menschliche Verhältnisse redet, bisman sich nichts mehr zu sagen hat. Sozialingenieure doktern an ihrenVerhältnissen so lange herum, bis sie zum Totalschaden werden. Dasliegt an der leicht irren Idee, man könne menschliche Beziehungen all-gemein und verbindlich planen, steuern, konstruieren und nach Bedarfzusammenschrauben – so lange, bis sie dem eigenen, meist völlig ver-korksten Weltbild entsprechen. Das hat wenig mit Beziehungsfähigkeitzu tun, aber jede Menge mit Manipulation.

Genau das will Kooperation eben nicht.Denn die Frage dabei lautet immer: Was könnt ihr denn anbieten? Was

können wir für euch tun? Wie kommt dabei etwas heraus, das wir – je-der für sich – nicht so gut schaffen würden? Kooperation ist ein evolu-tionäres Prinzip. Man legt zusammen, und aus 1+1 wird 3. Das gilt inden neuen Netzwerken, wie es in den ältesten galt, die wir kennen. Diealten Lateiner haben den Sinn der Sache in der Phrase quid pro quo zu-sammengefasst. Dieses für jenes. Eine Beziehung ist kein Selbstbedie-nungsladen, kein Wunschkonzert. Eine Beziehung ist kein Geschenk. Eine Beziehung ist ein Geschäft. Ein Deal. Quid pro quo.

Kooperation ist ein evolutionäres Prinzip. Man legtzusammen, und aus 1+1 wird 3.

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Fast Food und industriell produzierte Lebensmittel haben ein katastrophales Image. Eine Mehrheit in derSchweiz mag sie nicht – und kauft sie doch. Die Menschen sehnen sich nach natürlichen und handgearbeite-ten Produkten – im Alltag sind sie ihnen aber zu kompliziert. Ein «Sehnsuchtsmantel» hat sich um unser Ernährungs- und Kaufverhalten gelegt, sagt eine neue Studie des Gottlieb Duttweiler Institute. Ein Gesprächmit der Autorin der Studie, der Psychologin und Trendforscherin Mirjam Hauser.

Ernährung Die Sehnsucht nach gutem Essen

VON CLAUDIA BOSSHARDT (INTERVIEW) UND ANDREA GANZ (BILDER)

Frau Hauser, reden wir zuerst von den Werten, die hinter den Sehn-süchten stehen: Wie hat sich das Wertesystem der Konsumentinnenund Konsumenten verändert?Werte kommen und gehen nicht einfach, sondern verändern sich in ihrer Bedeutung. Der Wert «Zurück zum Ursprünglichen, zum Authen-tischen, zurück zu den Wurzeln» hat an Wichtigkeit gewonnen. Darun-ter verstehen die Leute: sich Zeit nehmen zum Essen, mit der Familieoder in Gemeinschaft essen, selber kochen, wissen, woher die Produk-te kommen und wie sie verarbeitet wurden. Was ein paar Generationenfrüher selbstverständlich war – dass das Gemüse aus dem eigenen Gar-ten und das Brot vom Bäcker im Dorf kam –, danach sehnen sich dieMenschen heute.

Welche Werte sind über eine lange Zeitdauer geblieben?Zum Beispiel der Wert Gesundheit. Er ist in den letzten Jahrzehnten do-minant geworden und wird in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen.Neu ist das Bewusstsein, dass Werte sichüberlappen, zum Beispiel der Wert Gesund-heit und das Wertefeld «nachhaltig-biologisch-ursprünglich». Die Konsumenten realisieren,dass das eine ohne das andere nicht möglichist. Ein umfassendes Verständnis von Gesundheit bedingt, dass mansich Zeit nimmt fürs Essen, selber kocht und natürliche Produktewählt.

Es besteht also ein neues Bedürfnis, die einzelnen Werte zu verbin-den. Und wenn sich die Werte widersprechen?Dann wird es schwierig! Zum Beispiel wird die «schöne heile Welt derMarken» nach wie vor von den Konsumenten gewünscht. Darunter ver-stehen wir Markenvielfalt, grosse Auswahl, einen gewissen Qualitäts-standard, ästhetische Verpackung, Haltbarkeit etc. Ebenso gehört dazu,dass man sich in einem Laden mit allem eindecken kann. Einfach,schnell, überall verfügbar – darauf wollen die Leute nicht verzichten.

Die Konsumenten wollen also den Batzen und das Weggli?Genau. Die grosse Frage ist nun: Wie kann man ein Angebot schaffen,das einige dieser Werte verbindet. Es ist klar, dass man nicht allen Wer-ten gleichzeitig gerecht werden kann. Schnell, einfach, überall erhältlichund gleichzeitig ursprünglich und nachhaltig – das wird schwierig um-zusetzen. Aber vielleicht lassen sich zwei, drei Werte in einem Angebotverbinden und neue Vertriebskanäle schaffen.

Haben die Lebensmittelanbieter auf dieses neue Bedürfnis schonAntworten?Nein, bis jetzt gibt es nur Teilantworten. Für jeden Wert besteht ein Teil-angebot. Zum Beispiel antwortet das Angebot «Functional Food» auf ei-nen eng gefassten Gesundheitsbegriff: Ein bestimmter Mangel wirddurch einen Nahrungsmittelzusatz behoben. Die Konsumenten wissensehr wohl, dass dies keine nachhaltige Lösung ist. Für einen etwas wei-ter gefassten Gesundheitsbegriff mit einer leichten, bekömmlichen Er-nährung, wie sie heute von verschiedenen Strömungen propagiert wird,gibt es ebenfalls Teilangebote. Aber für einen umfassenden Gesund-heitsbegriff existiert noch gar kein Angebot. Die grosse Frage ist, wiekönnen natürliche Lebensmittel für die grosse Masse produziert wer-den, so wie die Konsumenten es sich wünschen?

Eigentlich eine paradoxe Situation: Die Masse wünscht sich nicht-massenproduzierte Lebensmittel. Wo sehen Sie da Lösungsansätze?Im Moment ehrlich gesagt nur in sehr kleinen Nischenangeboten. Wirbeobachten in einigen Konzepten in Europa und in den USA, dass die

Produzenten direkt mit den Konsumenten in Kontakt treten. Es entste-hen spannende Kooperativen, in denen sich Produzenten und Konsu-menten verbindlich zusammenschliessen: Die Konsumenten verpflich-ten sich, wöchentlich eine gewisse Menge, zum Beispiel an Gemüse,abzunehmen, zum Teil ohne zu wissen, was genau sie erhalten, aberimmer mit der Sicherheit, dass es regionale, frische Produkte sind. DenBauern garantiert dieses Modell einen sicheren Absatz. Die Zürcher Ko-operative «ortoloco» funktioniert nach diesem Prinzip. «Tor14 Food-coop Zürich» ist ein Zusammenschluss von Konsumenten, die nach-haltige Lebensmittel möglichst direkt bei den Erzeugern einkaufen, soden Zwischenhandel ausschliessen und die Produkte ohne Profit an ihre Mitglieder weitergeben.

Interessant an diesen Modellen ist ja, dass es zu einem Vertrag zwi-schen Konsumenten und Produzenten kommt und die Beziehungverbindlich wird. Aber sind solche Modelle massentauglich?Nein, das sind Teillösungen. Aber wir glauben, dass sich noch sehr vie-le solche Nischenangebote herausbilden werden. Die grosse Revolutionwird im Kleinen stattfinden. Das extremste Szenario wäre die totaleKonsumverweigerung.

«Einfach, schnell, überall verfügbar – daraufwollen die Leute nicht verzichten.»

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www.gvm-ag.ch

Natürliche Energie.Mit Erdgas bleibt auch die Umwelt in Schwung.

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Wie wahrscheinlich ist das?Sehr unwahrscheinlich! Wobei: Wenn sich massive Lebensmittelskan-dale ereignen würden, wird dieses Szenario schon eher denkbar. Wirwissen, dass kleinere Skandale der Vergangenheit den Unmut der Kon-sumenten gesteigert haben. Unsere Studie zeigt, dass die Sehnsüchteder Konsumenten noch grösser geworden sind. Und die Konsumentenwissen noch weniger, wie sie ihre Sehnsüchte verwirklichen können.Sie sind enttäuscht, dass Industrie und Handel zu wenig auf ihre Be-dürfnisse reagieren.

Gibt es vielversprechende Ansätze grösseren Stils?Ja, ein weiterer interessanter Ansatz ist, dass Produzenten zum Händ-ler kommen. Zum Beispiel «Whole Foods» in den USA: Dieser reine Bio-Supermarkt stellt seine Produzenten in den Mittelpunkt und deklariertgenau, was woher kommt. Produzenten – zum Beispiel Bauern – kom-men in den Laden und erzählen, wie ihr Alltag im Gemüseanbau aus-sieht. Das fördert bei den Konsumenten das Verständnis dafür, was esbraucht, um Güter des täglichen Bedarfs zu pro-duzieren.

Und in Europa?In Deutschland gibt es zum Beispiel die Bio-Supermärkte «Alnatura» und «tegut». Diese ArtLäden versucht die Gegensätze zu vereinen: eine gewisse Standardisie-rung des Angebots und gleichzeitig grosse Transparenz, Ehrlichkeit undklare Prinzipien. Denn die grösste Herausforderung ist, dass die Le-bensmittelhersteller und Händler das Vertrauen der Kundschaft zurück-gewinnen. Ohne Transparenz und Vertrauen läuft nichts mehr.

Wie sieht es mit den Bio-Linien von Coop und Migros aus? Wiekönnten sie auf die neuen Bedürfnisse reagieren?Der Supermarkt als solcher hat nach wie vor ein riesiges Potenzial, weiler die breite Schicht abholen kann. Auch die Konsumenten sehen denSupermarkt weiterhin als Laden der Zukunft. Gleichzeitig sind sie skep-tisch. Die Supermärkte könnten reagieren, indem sie die ganze Wert-schöpfungskette transparent machen, und zwar von A bis Z. Es fehlt amDialog.

Convenience-Produkte, Fast Food und Take-aways haben ein ka-tastrophales Image – das hält die Studie deutlich fest. Warum boo-men diese Produkte trotzdem?Diese Art Produkte steht für die negativen Werte: industrielle Produk-tion, schlechte Qualität, Profitorientierung. Doch die «Macht der Si-tuationen» ist stärker: Wir haben keine Zeit, wollen schnell unserenHunger befriedigen – und kaufen gegen unsere Ideale. Solche«Zwangssituationen» wird es weiterhin geben; unser Arbeitsleben und

unsere Gesellschaft wird sich nicht fundamental verändern, sodass wirmehr Zeit haben. Das heisst, die Nachfrage nach schnellem Essen undVerfügbarkeit wird bleiben, aber sie verbindet sich mit den Werten gesund und nachhaltig! Es werden neue Angebote in diese Richtungentstehen.

«Die Konsumenten handeln täglich gegen ihreeigenen Ideale.»

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Kennen Sie Beispiele?In den USA ist «fresh & easy» erfolgreich, ein Convenience-Store in oderin der Nähe von Wohnquartieren, der neben Grundnahrungsmittelnauch zahlreiche Fertiggerichte möglichst natürlich anbietet. Man kannalso auf dem Heimweg das Nötigste einkaufen und gleich noch das vor-bereitete Nachtessen besorgen.

Sind sich die Konsumenten eigentlich bewusst, dass sie oft inkon-sequent handeln? Ja, durchaus. Wir sehen aus den Daten, dass die Leute eigentlich gernebiologische Produkte kaufen und selber kochen möchten, aber die Zeitund das Wissen über die Zubereitung fehlen. Die Konsumenten steckenin einem riesigen Dilemma: Ihre Sehnsucht ist als Ideal vorhanden, abersie können sie nicht konkretisieren und handeln täglich dagegen. Des-halb verharren sie weiterhin, wenn auch unglücklich, in ihren Gewohn-heiten und alten Einkaufsmustern.

Ist das nicht ein frustrierendes Resultat?Ja und nein! Immerhin ist das Bewusstsein der eigenen Inkonsequenzvorhanden, ebenso ein gewisses Ideal. Die Differenziertheit der Wert-vorstellungen, die in den Konsumenteninterviews zum Vorschein kam,hat mich überrascht.

Die Konsumenten sind also nicht so dumm, wie sie oft hingestelltwerden?Genau! Sie sind sich ihrer Handlungen bewusst. Wir müssen sie wirk-lich ernst nehmen. ■

Psychologin und Trendforscherin

Mirjam Hauser (29) studierte Sozial- und Wirtschaftspsychologie so-wie Politikwissenschaften an den Universitäten Zürich und Granada(Master of Science). Seit 2007 arbeitet sie als Forscherin am GottliebDuttweiler Institute und analysiert gesellschaftliche Veränderungen,insbesondere das Konsumentenverhalten in den Bereichen Ernährungund Wohnen.

Studie: Wertewandel im Konsumverhalten

Die neue Studie des Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) basiert auf 613ausführlichen Konsumenteninterviews, die persönlich in der Schweizund in Deutschland geführt wurden. Zum ersten Mal wurde im Be-reich Ernährung ein neues Analyse-Instrument angewandt und derWerteraum der Konsumenten bestimmt. Durch periodische Erhebun-gen können die Veränderungen im kollektiven Wertespektrum gemes-sen werden. Der Basisbericht mit erstem Update kostet 240 Franken.Auf der Website des GDI ist eine prägnante, neunseitige Zusammen-fassung als PDF abrufbar. www.gdi.ch

Consumer Value Monitor (CVM) – Werteraum Food: Wie neue Sehnsüchte den

Lebensmittelkonsum verändern (GDI-Studie Nr. 35/2010).

Autorinnen: Nicole Lüdi, Mirjam Hauser

ISBN 978-3-7184-7048-8

«Wir müssen die Konsumenten ernst nehmen.» Mirjam Hauser auf der Terrasse des GDI am Zürichsee.

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Cédric fragen können?», säusle ich schuldbe-wusst. «Der liegt doch den ganzen Tag imBett!» «Sind die Schmerzmittel. Der Arztmeint, vielleicht wird sein Kiefer nochmalsoperiert.» «Oder Pierre?» «Der hat mit seinerMagaly genug zu tun!», triumphiert Paul. «Habich euch übrigens erzählt, dass am Strand jetzt57 Familienväter mitwetten?» «Wobei?», willCatherine wissen. «Bei ‹Wer legt Magaly zuerstflach›, was sonst!» «Bringst du Pierre des-wegen das Rudern bei?», wird Catherine jetztmisstrauisch. «Natürlich nicht! Pierre soll einbisschen Zeit für sich haben!», wehrt OnkelHervé ab. «Der Stress im Büro …»

Zwei Stunden später kommt Geraldine ver-heult vom Strand zurück. «Alles okay?», willich vorsichtig wissen. «Okay? Die Nachbars-katze liegt tot in der Einfahrt!» «Tot?!» «Schonwieder?», zermalmt Onkel Hervé mit der Fausteinen Knoblauch. «Der bringt uns um!» «Nichtmeine Schuld!», wehrt Paul ab. «Du wolltest,dass ich mit dem Motorrad Brot hole …!»

DELIA LENOIR

[email protected]

ILLUSTRATION: IRENE MEIER

([email protected])

Neulich in der Familienküche in Frankreich.«Merde!», hackt Onkel Hervé wütend Petersi-lie. «Dass du mit 102 deinen schrottreifen Ca-dillac abgibst, d’accord! Aber ein Motorrad?!»«Da ist einer neidisch», schneidet Paul in Zeit-lupe Brot. «Ich lebe die grosse Freiheit und dunicht!» «Freiheit?», schiesst Onkel Hervé dasBlut ins Gesicht. «Beruhige dich!», kommt ihmCatherine zuvor. «Jetzt plättet er keine Nach-barsbäume mehr! Und wir können wieder Ro-sen pflanzen!»

«Was gibts zum Abendessen?», nuschle icham Tisch, in mein Buch vertieft. «Muscheln,Muscheln und Muscheln!» «Schon wieder?»«Geraldines neuer Freund hat die Kurve ge-kratzt», setzt mich Catherine ins Bild. «Ver-dammter Mist! Das gibts doch nicht!» «Sie sitztseit heute morgen im Strandzelt und heult»,fegt Onkel Hervé die Petersilie in den brodeln-

den Topf. «Ihr hättet diesem neuen Freund haltwas gönnen sollen!», wirft Paul ein. «AndereFrauen! Drogen! Wenn ich ihn gewesen wäre,hätte ich mich auch gelangweilt!» «Vielleichtwar das Unkraut jäten zu viel für ihn?», putztCatherine nachdenklich Muscheln. «Glaub ichnicht!», schüttelt Onkel Hervé den Kopf. «MeinAuto hat er doch auch anstandslos repariert!»«Und dass er nicht schwimmen kann, konnteja keiner ahnen.» «Er konnte nicht schwim-men?», werde ich hinter meinem Buch neugie-rig. «Er sollte Paul gestern ans Ufer holen», flüstert mir Catherine zu. «Aber der rudertdoch ziemlich weit raus!» «Wenn ich verfolgtwerde, gebe ich Gas, ist doch klar!», machtPaul auf beleidigt. «Jedenfalls hat der ganzeStrand mitgekriegt, wie Paul diesen Freundirgendwann aus dem Wasser schleifen mus-ste!» «Ha! Und dann hab ich ihn in den Sand geknallt und gebrüllt: Beweg dich unddu bist tot!» Catherine und ich sehen unsschweigend an.

«Keine Ahnung, warum der junge Mann aufdie Idee kam, meine Tochter zu heiraten!» «Er wollte sie heiraten? Endlich!», freue ichmich für Geraldine. «Jetzt nicht mehr.» «Das –ähm – liegt aber nicht an uns oder?», taucheich wieder in mein Buch ab. Catherine wischtsich die Hände und schüttelt den Kopf. «Dassdu ihn jeden Morgen das Strandzelt hast auf-bauen lassen, war okay. Hervé hätte das mitseinem Rücken nicht geschafft.» «Ich hätte

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Le mot noirKleine Freiheit

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Ausstellung Kunst macht mobil

VON MICHÈLE FALLER

Am Rande des idyllischen Baselbieter Dorfs Gelterkinden liegt dasZeughaus. Die Fenster sind vergittert, doch die Türen stehen offen. «11.0Telefonmaterial» lautet die Beschriftung eines Holzregals. Unweit davonbefindet sich ein Schildchen mit der Aufschrift «Murmelifigger». Einpaar Maschendrahtzäune weiter sind die Regale mit «Warnzaunausrüs-tung», «MG 51» und «Mineurtasche» angeschrieben. Darauf befindensich unzählige Kinderpuppen aller Hautfarben, die Kunststoffärmchennach vorne ausgestreckt. Hier wachsen Bäume ohne Blätter aus einemSandboden, und dort ist aus Holzpaletten eine Art Labyrinth mit Licht-effekten entstanden.

Im Zeughaus Gelterkinden ist die Kunstausstellung «mobilmachen»zu Gast. Die Künstlerin und Initiantin des Projekts, Ursula Pfister, freutsich über die Möglichkeit, das Zeughaus im Rahmen einer Zwischen-nutzung mit Kunst zu beleben: «Geschichtsträchtige Örtlichkeiten liegenja nicht gerade am Wegesrand.» Das Zeughaus sei ein Ort, der Ge-schichten von früher erzählt. «Es wurde leer geräumt, und nun kommenneue Geschichten der 23 Künstlerinnen und Künstler hinein.»

Begonnen hat das Projekt «mobilmachen» nicht erst mit der Vernis-sage; das Publikum war bereits dazu eingeladen, bei der Entstehung derKunst zuzuschauen. Und unter dem Motto «Militärmusik begegnetKunst» wartete Mitte Juni das Spiel der Militärmusikkapelle RS 16-1 miteinem Konzert auf. «Das ist mein Markenzeichen, dass ich die Men-schen in meine Projekte einbeziehe», sagt Pfister und schwärmt vomKonzert, dem grossen Besucherandrang und dem Engagement des Lei-ters des Rekrutenspiels. Ihr Plan, ein Publikum anzulocken, das sichsonst nicht in Galerien verirrt, ging auf. «Darum liebe ich diese Unorte»,freut sie sich über die Durchmischung, und stellt im gleichen Atemzugklar, dass sie nicht erwarte, dass es alle toll finden. «Am wichtigsten istmir, dass Fragen aufgeworfen werden.»

Die Kunstwerke geben allerdings auch Antworten. Sie fügen sich inden Raum ein, stellen sich ihm entgegen, kommunizieren und spielenmit dem Vorhandenen, sodass teilweise die Grenzen zwischen «originalZeughaus» und «Kunstwerk» verschwimmen. Oft wird das Thema desLagerns, Aufbewahrens und Etikettierens aufgegriffen, zum Beispiel beiden «Ceramic Disks» von Oswald Platten, der eine Art Archiv von «CD-und LP-Fossilien» erfindet, die Informationen aus vergangenen Zeitenwie Bilder, Jahreszahlen, Porträts von Schlachtenführern und Feldher-ren enthalten sollen, und die sich dann und wann aus den Regalen indie Lüfte erheben. «Von Aff bis Zwipf» heisst der Beitrag von MatthiasFrey, der Begriffe des inoffiziellen Schweizer Soldatenjargons an denverschiedensten Ecken des Zeughauses angebracht hat. Die witzigen,derben und von politisch unkorrekt bis diskriminierend in allen Facet-

ten schillernden Ausdrücke entfalten im Zwiegespräch mit der echtenZeughausbeschilderung erst ihr volles Potenzial an Komik oder Skurri-lität. Während das Schanzwerkzeug neben dem «Chinesebeton» (Reis-gericht) zum Schmunzeln animiert, löst «Gschtampfte Jud» (Fleisch-konserve) im Zusammenhang mit Zitaten von jüdischen Emigranten des Zweiten Weltkriegs – wie sie in der Arbeit «Licht ins Dunkel» von Simone Berger an den Fenstern des Dachraums zu lesen sind – eher Beklemmung aus.

Der Reiz von «mobilmachen» ist die Vielfalt der Auseinandersetzun-gen mit dem Themenkreis. Gleichzeitig zeigt das Projekt Gemeinsam-keiten des vermeintlichen Gegensatzpaars Kunst und Militär auf. Im Spannungsfeld von Zweckentfremdung und Originalinhalt des Zeug-hauses entfaltet sich eine ungeahnte Schönheit. Die Objektkunst – oftalltägliche, aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissene Ge-brauchsgegenstände – findet im Zeughaus eine unerwartete Heimat. ■

Ausstellung «mobilmachen», bis 17. September, Zeughaus Gelterkinden.

www.mobilmachen.ch

«Ceramic Disks»: CD-Fossilien mit Fluchtinstinkt im Zeughaus.

Im Zeughaus lagert normalerweise Zeug, das im militärischen Alltag gebraucht wird. Mit der Ausstellung «mobilmachen» im Zeughaus Gelterkinden wird die Welt des militärischen Materiallagers durch künstlerischeAssoziationen neu belebt.

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FilmFantastisches Fantoche

Das Animationsfilmfestival Fantoche wird dieses Jahr mit «Fan-tastic Mr. Fox» eröffnet. Ein wunderbarer und witziger Trickfilmmit den Stimmen von George Clooney und Meryl Streep, der so-mit nun doch noch auf – zumindest eine – die Leinwand kommt.

VON PRIMO MAZZONI

Der amerikanische Regisseur Wes Anderson hat sich einen Namen mitverschroben-komischen Spielfilmen wie «The Royal Tenenbaums» oder«The Darjeeling Limited» gemacht. Als anfangs Jahr seine Trickfilm-adaption von Roald Dahls «Fantastic Mr. Fox» angekündigt wurde, wardie Überraschung und Vorfreude gross. Allerdings fand dann der Filmtrotz prominenter Besetzung – neben George Clooney und Meryl Streepliehen auch Willem Dafoe, Jason Schwartzman und Bill Murray den Fi-guren ihre Stimmen – nicht auf die hiesigen Leinwände. Vielleicht weilder Puppentrickfilm (!) nicht mit überwältigendem 3D auffahren kann?Auf jeden Fall unverständlich, denn der Film ist, sorry, fantastisch, wit-zig, bis ins kleinste Detail liebevoll gestaltet und für Kinder und Er-wachsene ein Spass. Wer es trotzdem nicht nach Baden ans Fantocheschaffen sollte, kann sich ab Mitte September mit der DVD trösten. DasFestival nicht zu besuchen, wäre aber schade. Denn es gibt so vieles zuentdecken: Neben dem internationalen und dem Schweizer Wettbe-werbsprogramm sei zum Beispiel der Schwerpunkt Märchen empfoh-len, der unter anderem ein Wiedersehen mit Walt Disneys «Schnee-wittchen und die sieben Zwerge» und dem grossartigen Anime «MeinNachbar Totoro» von Hayao Miyazaki («Howl’s Moving Castle» unddemnächst mit «Ponyo» in unseren Kinos) anbietet. Fantoche – internationales Festival für Animationsfilm, 7. bis 12. September in Baden.

Programmübersicht und Tickets: www.fantoche.ch

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Fantastisch, denn seine Stimme gehört George Clooney: «Fantastic Mr. Fox».

Kulturtipps

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BuchWer ist Nina Hagen?Vieles wurde schon über die deutsche Sängerin Nina Hagen be-richtet, ihr angedichtet und als Gerücht in die Welt gesetzt. Wersie ist, weiss nur sie selbst. Mit ihrem Buch «Bekenntnisse» erhältdie schillernde Figur ein selbst skizziertes Gesicht.

VON ISABEL MOSIMANN

Wer sich auf Nina Hagens Buch einlässt, muss sich auch mit ihremGlauben an Gott und Jesus auseinandersetzen. Das ist vielleicht nichtjedermanns Sache, doch im Zusammenhang mit ihrer Geschichte wirddie Suche nach Halt nachvollziehbar. Als Kind war sie häufig sich selbstüberlassen. Über ihre Kindheit schreibt die 1955 geborene Tochter desDrehbuchautors Hans Oliva Hagen und der Schauspielerin Eva-MariaHagen: «Während mein unangepasster, intellektueller Papi mehr undmehr eingesperrt und abgeschnitten wurde, eilte meine Mutter von Er-folg zu Erfolg.»Den fehlenden Halt suchte «Kleen Nina» oft ausserhalb ihrer Familie.Mit einem Nachbarsmädchen ging sie regelmässig am Sonntagmorgen,wenn die Eltern schliefen, in die Kirche um die Ecke und kam jeweils«knallefröhlich aus dem Gotteshaus». Mit ihrer Pflegemutter auf demLand – wohin sie als schwieriger Teenager von ihren überforderten El-tern verfrachtet worden war – betete sie jeden Abend zu Gott. Immerwieder zog sich Nina Hagen im Laufe ihres Lebens mithilfe ihres Glau-bens aus dem Sumpf, oder eben, wie in Kapitel zwölf beschrieben, ausdem «Amsterdamer Schneegestöber».Ihre Erzählungen aus der Kindheit, die Umstände, in denen sie als jun-ger Mensch in der DDR lebte, die Ausbürgerung, die Einflüsse von Lie-dermacher und Pflegevater Wolf Biermann, ihre Zeit als Punk und dieErfahrungen mit einem indischen Guru sind spannend, interessant undlebendig geschrieben. Und echt. An manchen Stellen flicht sie ihre Berliner Schnauze ein: «Weisste wat dett is? Sklaverei ist dette!» oder eigene Wortkreationen wie: «feuerrotmarylinlilasonnengelbbabyrosa-wiesengrünundhimmelblau». Das Buch trägt das Prädikat «echt Nina»,und deshalb kann man ihr das missionarisch anmutende, ständigwiederkehrende Thema Glauben durchgehen lassen.«Nina Hagens Charakter könnte man mit zig Adjektiven beschreiben,nur mit einem nicht: langweilig!», schrieb eine Bloggerin im Internet.Das gilt auch für dieses Buch. Empfehlenswert ist ausserdem eine vi-suelle und akustische Kostprobe einer ihrer Lesungen auf youtube. IhreSprache und die auf dem Kopf drapierten farbigen Blumen darf man sichnicht entgehen lassen.Nina Hagen: Bekenntnisse. Pattloch Verlag 2010, Richtpreis CHF 30.50.

Schwarz-weiss ist bei Nina Hagens

Biografie nur das Coverfoto.

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Die 25 positiven FirmenDiese Rubrik ruft Firmen und Institutionenauf, soziale Verantwortung zu übernehmen.Einige haben dies schon getan, in dem siedem Strassenmagazin Surprise mindestens500 Franken gespendet haben. Damit helfensie, Menschen in pre kären Lebensumstän-den eine Arbeitsmöglichkeit zu geben undsie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zube g leiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? DieSpielregeln sind einfach: 25 Firmen werdenjeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jenerBetrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet

werden?

Mit einer Spende von mindestens 500 Franken

sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3,

Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel

Zahlungszweck:

Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag!

Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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Schweizerisches Tropen- und Public Health-

Institut, Basel

Niederer, Kraft & Frey, Zürich

Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

Kaiser Software GmbH, Bern

Responsability Social Investments AG, Zürich

chefs on fire GmbH, Basel

Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

Scherrer & Partner GmbH, Basel

TYDAC AG, Bern

KIBAG Strassen- und Tiefbau

OTTO’S AG, Sursee

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

Canoo Engineering AG, Basel

Lehner + Tomaselli AG, Zunzgen

fast4meter, storytelling, Bern

Brother (Schweiz) AG, Baden

Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf

IBZ Industrie AG, Adliswil

Zeix AG, Zürich

Zürcher Kantonalbank, Zürich

Axpo Holding AG, Zürich

Experfina AG, Basel

AnyWeb AG, Zürich

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MusikGriffige Psychedelic-Orgien

Ihren Einsatz für die Junkies von Vancouver müssen die Musikervon Black Mountain wohl aufgeben. Denn dank ihres neuen Al-bums «Wilderness Heart» werden die Psychedelic-Rocker baldauf der ganzen Welt gefragt sein.

VON OLIVIER JOLIAT

«No Hits» hiess der erste Hinhörer von Black Mountain. Irritierende sie-ben Minuten mit durchpochendem Discobeat und doch so gar nicht fürdie Tanzfläche gemacht. Denn zum technoiden Bumm-Bumm kamenSchamanengetrommel, flirrende Orgeln, fiepende Gitarren, quäkendeTrompeten und die herrlich schräg harmonierenden Stimmen von Am-ber Webb und Stephen McBean. Dieser Song prägte sich ein, war jedoch zu verstörend, um entgegen dem Titel doch ein Hit zu werden.Die Konzerte ihrer ersten Schweizer-Tour waren denn auch nur spärlich besucht und so arbeiteten drei der fünf Musiker daheim in Ka-nada weiter für Insite, eine Organisation die sich um Drogenabhängigekümmert.Damit dürfte mit dem neuen Album «Wilderness Heart» Schluss sein.Denn auf ihrem Drittwerk brechen Black Mountain ihre ausuferndenSoundorgien runter auf Songs von drei, vier Minuten mit griffigen Riffsund eingängigen Melodien. Nicht ganz unschuldig an dieser Entwick-lung wird Produzent Dave Sardy sein. Der hat schon mit den Debütal-ben von Jet oder Wolfmother den 70er-Jahre-Rock wieder en vogue undvor allem charttauglich gemacht.Kandidaten für die Hitparade – wenn auch nicht für jene in der Schweiz – enthält «Wilderness Heart» einige. Nebst dem Titelsong wä-ren da die herrlich orgelnde Single-Auskopplung «Old Fangs» oder dasherzergreifende «Burried By The Blues». Gerade bei letzterem zeigtsich, dass die Stimmen wohl die grössten Gewinner der Zusammenar-beit mit Sardy sind. Kämpften sie bei den bisherigen zwei selbstprodu-zierten Alben auf Augenhöhe mit den Instrumenten, thronen sie nunklar über dem Sound. Der Song zeigt, dass die Band gewillt ist, neueWege zu gehen, dabei aber darauf bedacht, ihre Identität zu bewahren.Einige eher finstere Songs von «Wilderness Heart» nahmen sie darumin Seattle mit Randall Dunn auf, der sonst die avantgardistischen Dro-ne-Metaller von Sunn O))) produziert. Vielleicht war da doch noch dieFurcht, dass ihnen andernfalls das Schicksal von Wolfmother und Jet blüht, die seit ihrem Hit-Debüt nichts annähernd Gutes veröffent-licht haben. Wir geben Entwarnung: «Wilderness Heart» funktioniertnicht nur im Jetzt, sondern liefert auch ein Versprechen für die Zu-kunft.Black Mountain, «Wilderness Heart» (Jagjaguar/Irascible).

Gruppenbild im Gerätepark: Black Mountain.

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Festhalten! Der Cirque de loin lebt akrobatisch gemeinschaftlich.

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Ausgehtipps

Aarau Zukünftige VergangenheitWas wäre die Zukunft ohne die Vergangenheit? Was das Wünschen oh-ne das Erinnern? Jeder trägt ein anderes Bild von bereits Erlebtem insich. Klar, dass wir uns in unseren kühnsten Zukunftswünschen daraufbeziehen. Frei nach dem Motto «Gestern wird besser sein», beschäftig-ten sich 35 internationale und nationale Künstler unterschiedlicher Ge-nerationen mit der Schnittstelle zwischen Erinnerung und Zukunft: Daist die Fotoinstallation von Fiona Tan, die eine Assemblage von Bildernaus Schweizer Familienalben zeigt, oder die als Wandarbeit dargestellteListe der Namen aller Verwandten, an die sich der Brite Douglas Gordonerinnern kann. Cyprien Gaillard wiederum versieht antiquarische Land-schafts-Kupferstiche mit modernistischen Gebäuden und bringt so Ver-gangenheit und Zukunft zusammen. (juk)Ausstellung «Yesterday will be better», noch bis zum 7. November, Aargauer

Kunsthaus, Aarau.

Was ist hier falsch? Kunst von Cyprien Gaillard.

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— www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33 —

Auf Tournee Experiment WohnenDer Zirkus Chnopf heisst jetzt Cirque de loin und ist mit seiner neuenProduktion «Bisou» im Land unterwegs. Das Programm bietet aller-dings keine klassischen Zirkusnummern, sondern ist Zirkus im weite-ren Sinne: Aus einem Wohnexperiment im dreistöckigen Wagen hat die14-köpfige Truppe ein artistisch-musikalisches Theater entwickelt, dasdie herkömmliche Art des Zusammenlebens infrage stellt. Leben undLieben – ein ewiges, akrobatisches Gschtürm. «Bisou» gibt ein humor-volles und dynamisches Bild davon ab, wie gemeinschaftliches Lebenauch noch möglich ist. (juk)Cirque de loin, «Bisous», nächste Aufführungen: 28. August, 20 Uhr und 29. August,

17 Uhr, Am Horn, Richterswil; 2./3./4. September, jeweils 20 Uhr und 5. September,

17 Uhr, Schulhaus Pünt, Uster; 7. September, 20 Uhr und 8. September 19 Uhr,

Weierwiese, Wil; 10./11. September, jeweils 20 Uhr und 12. September, 17 Uhr,

Seeburgareal, Kreuzlingen ; weitere Aufführdaten: www.cirquedeloin.ch

Anzeige:

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Bern Führung durch den SchandfleckSchon vier Mal haben die Stadtberner an der Urne für das Kulturzentrum Reitschule votiert. Dasist für die SVP noch lange kein Grund, nicht weiter gegen den angeblichen «Schandfleck» zu mo-bilisieren. Am 26. September entscheiden die Stimmbürger deshalb über eine Initiative, die denVerkauf der Reitschule an den Meistbietenten verlangt. Dagegen wehren sich Berner Musiker mitder CD «Reitschule beatet mehr», im September sind die Reitschüler mit einem mobilen Stand inder Stadt unterwegs und wer schon immer mal wissen wollte, wie es in den legendären Gemäu-ern zu und her geht, sich aber nie so recht hingetraute, hat nun Gelegenheit: In der Gruppe gehtsdurch Beiz, Theater, Druckerei, Kino und allerlei weitere Räumlichkeiten. Wer möchte, kann an-schliessend bei einem Apéro oder beim Znacht Vorstellungen und Vorurteile einem Reality-Checkunterziehen. (ash)Führungen: 28. August, 4./5./9./11. und 15. September, jeweils 17 Uhr, Treffpunkt vor dem Eingangstor,

Reitschule, Bern. www.reitschulebietetmehr.ch Die beissen nicht: Die Reitschule lädt zum Besuch.

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Scheppert roh und nuschelt dazu: Rockstar Jon Spencer (links).

Zürich Coole SauDer Mann hat einen Ruf zu verlieren. Nämlich den als coolste Sau imganzen Rock’n’Roll. Jon Spencer spielte mit Bands wie Pussy Galore,Boss Hog und der Blues Explosion stets altertümliche Stile für jungeHipster. So was schätzen Indie-Anhänger und weil der schöne Spencerauf der Bühne zum archetypischen Rockstar mutiert, stimmt auch derUnterhaltungsfaktor. Nun ist er mit der Formation Heavy Trash unter-wegs. Natürlich scheppert auch die roh. Und doch gehört das aktuelleAlbum «Midnight Soul Serenade» zu Spencers zugänglicheren Platten.Frühe Rock’n’Roller wie Gene Vincent stehen Pate und mit diesen Vor-bildern im Rücken singt Spencer hingebungsvoller den je. Live wird derGesang wohl gewohnt cool vernuschelt, sodass man nur das «Yeah!» vordem Gitarrensolo versteht. Der Mann hat eben einen Ruf zu verlieren.(ash)Heavy Trash, 8. September, 20.30 Uhr, Rote Fabrik, Zürich.

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… zum Geburtstag, liebe Kaserne, zum Geburtstag viel Glück!

Basel 30 Jahre, 90 Künstler, 1 FestDie Kaserne Basel wird 30 und schmeisst ein gigantisches Geburtstags-fest: Drei Tage lang zeigen 90 Kunstschaffende aller Sparten ihr Könnenund beleuchten die bewegte Geschichte des Kulturbetriebs: In der Me-ga-Performance «Zeitreise» etwa lassen Künstlerinnen und Künstlerwährend sechs Stunden die vergangenen 30 Jahre revue passieren – unter anderem auf der Bühne stehen Musikerin Anna Aaron, die Per-formance-Gruppe Les Reines Prochaines, Schauspieler Ueli Jäggi, Regis-seur Michael Koch und Choreograph Viet Dang. Im Rosstall zeigt Künst-ler und Dramaturg Mats Staub seine Installation «Feiertage – Jahrgang1980», die 30-jährige Baslerinnen und Basler und ihr bisheriges Lebenin den Mittelpunkt stellt. Und Matthias von Hartz und das Jugendsym-phonieorchester Regio Basiliensis laden mit ihrer Orchesterkaraoke zumMitsingen ein: Jeder aus dem Publikum kann aus einer Liste bekannterSongs einen Titel auswählen und diesen, unterstützt vom Jungendsym-phonieorchester, von der Bühne schmettern: Happy Birthday! (mek)30 Jahre Kaserne Basel, 2./3./4. September 2010, jeweils ab 19 Uhr, Kaserne, Basel.

Detailprogramm: www.kaserne-basel.ch

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Verkäuferporträt«Ich lese immer alle Artikel»

AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN

«Mein Weg zu Surprise führte über den Strassenfussball. Zu dem kamich, weil ein Betreuer der Hausgemeinschaft von ‹WOhnenbern›, in derich damals lebte, fragte, ob ich mitkicken wollte. ‹WOhnenbern› undSurprise hatten je eine Mannschaft, die an den Strassenfussballturnie-ren teilnahmen. Dank meiner Erfahrungen als Handball-Goalie in jun-gen Jahren schaffte ich es bis zum Goalie der Nationalmannschaft. ImAugust 2007 reiste ich mit meinem Team an den Homeless World Cupnach Kopenhagen.

Zurück in der Schweiz, fing ich mit dem Verkauf von Surprise an.Seither verkaufe ich, wenn es meine Gesundheit zulässt, immer in etwadie gleiche Anzahl Magazine pro Ausgabe. Einen Standplatz habe ichnicht, ich verkaufe ‹fliegend› – dafür habe ich meine Stammkunden, diekaufen das Heft stets bei mir. Sobald die neue Ausgabe da ist, lese ichalle Artikel, so habe ich Gesprächsstoff für den Verkauf und kann denInhalt weiterempfehlen.

Im Verkauf habe ich Erfahrung, denn ich war viele Jahre im Aussen-dienst tätig. Ursprünglich habe ich Möbelschreiner gelernt, in Winter-thur. Nach der Lehre ging ich nach Zürich zu Globus und arbeitete dortals Möbelverkäufer. Dank internen Weiterbildungen wurde ich Einkäu-fer. Nach zehn Jahren wechselte ich zur Migros, später zu Jelmoli. Fürdiese Firmen besuchte ich Möbelmessen in ganz Europa und kaufte Rie-senmengen an Möbelstücken ein. Da war man natürlich jemand, wennman als Einkäufer eines grossen Möbelanbieters an einen Stand kam!

Wegen einer Frau wechselte ich nach Bern und arbeitete fünf Jahrefür Büro Fürrer im Aussendienst. Die neue Herausforderung, in der Kun-denbetreuung zu arbeiten, war mir sehr willkommen. Und schliesslichbetreute ich für Siemens fünf Jahre lang im Aussendienst die ganze Ost-schweiz im Bereich Beleuchtungstechnik.

1998 wurde ich arbeitslos. Weil ich keine Stelle fand, machte ichmich als Möbelhändler selbstständig. Doch mit der Zeit plagten michmehr und mehr Existenzängste. Meine Nöte gingen so weit, dass ich indie psychiatrische Klinik Waldau in Bern eintreten musste. Nach zweiJahren wechselte ich in die betreute Wohngemeinschaft von ‹WOhnen-bern›, wo ich mein eigenes Zimmer hatte. Insgesamt lebten etwa 20 Leute dort. Das war eine gute Zeit. Auch meine Arbeit bei der Stiftungfür berufliche Integration GEWA gefiel mir sehr gut, ich war dort Ku-rierfahrer und zuständig für den Postausgang. Leider war diese Stelleauf zwei Jahre beschränkt. Mit der Untätigkeit verschlechterte sich mei-ne Gesundheit wieder und ich verbrachte noch einmal fast zwei Jahrein der Klinik.

Heute lebe ich in einem Wohnheim in Utzigen, wo ich im Herbst ei-ne nigelnagelneue kleine Wohnung beziehen kann. Ich muss sagen, mirgeht es sehr gut. Dank einer Rückenoperation im Frühling habe ich kei-

Otti Janz (59) weiss nach vielen Jahren als Aussendienstarbeiter in der Privatwirtschaft, wie man seine Kund-schaft berät. Heute verkauft er Surprise in Bern, besucht gerne Schwingfeste und die Heimspiele von YB.

ne Schmerzen mehr und auch meine Bronchitis wurde schwächer. Sokann ich auch wieder meinen Leidenschaften nachgehen: Fussballmat-ches und Schwingfeste besuchen. Ich bin Fan des Berner FussballklubsYB und besuche, wann immer möglich, die Heimspiele. Auch die WMin Südafrika habe ich dieses Jahr am Fernsehen verfolgt. 2014 in Brasi-lien möchte ich live dabei sein!

Mit dem Schwingen bin ich schon mein Leben lang verbunden: MeinVater war Schwinger und mein Sohn ist Kranzschwinger. Ich selber ha-be nur als Bub geschwungen, habe aber zehn Jahre lang für die BernerZeitung als ehrenamtlicher Berichterstatter Schwinganlässe besucht.Mein Vorgänger hatte mich eingeschleust, und so besuchte ich währendzehn Jahren gratis die Wettkämpfe und lieferte dafür meine Berichte ab.Auch heute besuche ich gerne Schwingfeste. Das Eidgenössische inFrauenfeld habe ich mir auf jeden Fall nicht entgehen lassen.» ■

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Surprise kümmert sich um Menschen, die we-niger Glück im Leben hatten als andere. Men-schen, die sich aber wieder aufgerappelt habenund ihr Leben in die eigenen Hände nehmenwollen. Mit dem Verkauf des Strassenmaga-zins Surprise überwinden sie ihre soziale Iso-lation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wie-der einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstach-tung und erarbeiten sich aus eigener Kraft ei-nen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassen-verkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-

ber. Das verdient Respekt und Unterstützung.Regelmässige Verkaufende werden von Sur -prise-Sozialarbeiterinnen be treut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehörtauch, dass sie von Surprise nach bestandenerProbezeit einen ordentlichen Arbeits vertrag er-halten. Mit der festen Anstellung übernehmendie Surprise-Verkaufenden mehr Verantwor-tung; eine wesentliche Voraussetzung dafür,wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarktzu werden.

Vorname, Name

Strasse

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1 Jahr: 8000 Franken 1/2 Jahr: 4000 Franken 1/4 Jahr: 2000 Franken 1 Monat: 700 Franken

Ja, ich werde Götti/Gotte von:

Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, [email protected], PC-Konto 12-551455-3

232/10

Wolfgang KreibichBasel

Eine Chance für alle!Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte

Starverkäufer

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Susanna Keller aus Wabern nominiert Asme-lash Mihretaeab als Starverkäufer: «AsmelashMihretaeab gefällt mir, weil er sehr ruhig unddiskret auf seinem Platz steht. Die lauten undauffallenden Verkäufer haben ihren Platz undso auch die leisen. Wir wechseln jeweils einpaar Worte. Ich weiss unterdessen, dass ersich weiterbildet, dass er endlich seine Papie-re erhalten hat, dass er die orthodoxe Kirchebesucht. Er grüsst mich mit meinem Namen.Ich freue mich immer, wenn ich ihn sehe!»

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer!Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, wel-

chen Verkäufer Sie an dieser Stelle sehen möchten:

Strassenmagazin Surprise, Redaktion,

Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel,

F +41+61 564 90 99, [email protected]

Peter Gamma, BaselPeter Hässig, BaselBob Ekoevi Koulekpato, BaselMarika Jonuzi, BaselRené Senn, ZürichJovenka Rogger, Zürich

Ausserdem im Förderprogramm SurPlus:

Anja Uehlinger, BadenKurz Brügger, BaselMarlise Haas, BaselMarlis Dietiker, OltenFatima Keranovic, Baselland

Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit dieChance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.

Jela VeraguthZürich

Andreas Ammann Bern

Tatjana Georgievska Basel

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30 SURPRISE 232/10

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24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– )(Verpackung und Versand bietenStrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Gönner-Abo für CHF 260.–

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232/10

Impressum

HerausgeberStrassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel,www.strassenmagazin.chGeschäftsführung T +41 61 564 90 63Fred Lauener, Agnes Weidkuhn (Assistenz GF) Öffnungszeiten SekretariatMo–Do 9–12 Uhr, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 [email protected] T +41 61 564 90 70Fred Lauener (Leitung), Reto Aschwanden, Julia Konstantinidis, Mena Kost, Thomas Oehler (Sekretariat)[email protected] MitarbeitIvo Andri, Claudia Bosshardt, Michèle Faller, AndreaGanz, Hanna Jaray, Olivier Joliat, Janine Kern, Delia Lenoir, Wolf Lotter, Primo Mazzoni, Irene Meier, IsabelMosimann, Isabella Seemann, Priska WengerKorrektorat Alexander JungoGestaltungWOMM Werbeagentur AG, BaselDruckAVD GoldachAuflage29 400, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./JahrAnzeigenverkauf T +41 76 325 10 [email protected]

Marketing T +41 61 564 90 61Theres BurgdorferVertrieb T +41 61 564 90 81Smadah Lévy (Leitung)Vertrieb Zürich T +41 44 242 72 11Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, Mobile +41 79 636 46 12 [email protected] Bern T +41 31 332 53 93Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, Mobile +41 79 389 78 [email protected] und Förderung T +41 61 564 90 51Rita Erni Chor/Kultur T +41 61 564 90 40Paloma SelmaStrassensport T +41 61 564 90 10Lavinia Biert Trägerverein Strassen magazin Surprise Präsident: Carlo Knöpfel

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugs weiseoder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird vonder Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt.

Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Post-sendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeich-nete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag vonCHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehendeBeträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oderdem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen.

Surprise ist:

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialenSchwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit.Surprise hilft bei der Integration in den Ar-beitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsitua-tion, bei den ersten Schritten raus aus derSchuldenfalle und entlastet so die SchweizerSozialwerke.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Be-nachteiligung betroffenen Menschen eineStimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellungfür soziale Gerechtigkeit.

Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinen-de Strassenmagazin Surprise heraus. Dieseswird von einer professionellen Redaktion pro-duziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illu-stratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft.Rund dreihundert Menschen in der deutschenSchweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlos-sen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur,verdienen eigenes Geld und gewinnen neuesSelbstvertrauen.

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport.In der Surprise Strassenfussball-Liga trainierenund spielen Teams aus der ganzen deutschenSchweiz regelmässig Fussball und kämpfenum den Schweizermeister-Titel sowie um dieTeilnahme an den Weltmeisterschaften für so-zial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hatSurprise einen eigenen Chor. GemeinsamesSingen und öffentliche Auftritte ermöglichenKontakte, Glücksmomente und Erfolgserleb-nisse für Menschen, denen der gesellschaft-liche Anschluss sonst erschwert ist.

Finanzierung, Organisation und internatio-nale VernetzungSurprise ist unabhängig und erhält keine staat-lichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mitdem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inse-raten finanziert. Für alle anderen Angebotewie die Betreuung der Verkaufenden, die Sport-und Kulturprogramme ist Surprise auf Spen-den, auf Sponsoren und Zuwendungen vonStiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte sozi-ale Institution. Die Geschäfte werden von derStrassenmagazin Surprise GmbH geführt, dievom gemeinnützigen Verein StrassenmagazinSurprise kontrolliert wird. Surprise ist führen-des Mitglied des Internationalen Netzwerkesder Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glas-gow, Schottland. Derzeit gehören dem Ver-band über 100 Strassenzeitungen in 40 Län-dern an.

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Hier könnte Ihre Werbungstehen.

Werfen Sie Ihr Werbegeld nicht auf die Strasse.Investieren Sie es dort.Surprise erreicht 144 000 Leserinnen und Leser. Und das in den grössten Städten und Agglomerationen der Deutschschweiz.* Denn dort stehen die 380 Surprise-Verkaufenden für Sie auf der Strasse. Tagtäglich.Ganze 80 Prozent der überdurchschnittlich verdienenden und ausgebildeten Käuferinnen und Käufer lesen die gesamte Ausgabeoder zumindest mehr als die Hälfte aller Artikel.Das Strassenmagazin steht für soziale Verantwortung und gelebte Integration. Mit Ihrem Inserat zeigen Sie Engagement und erzielen eine nachhaltige Wirkung.

Anzeigenverkauf, T +41 76 325 10 60, [email protected]

*gemäss MACH Basic 2010-1.

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Macht stark.

www.strassenmagazin.ch ❘ www.strassensport.ch ❘ Spendenkonto PC 12-551455-3Strassenmagazin Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, Tel. 061 564 90 90, Fax 061 564 90 99