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Wunschkind Fake Babys wecken echte Muttergefühle Bologna-Reform: Und die Studenten werden trotzdem nie erwachsen Pet Shop Boys – der Popsong als Kunstwerk Nr. 284 | 21. September bis 4. Oktober 2012 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

Surprise Strassenmagazin 284/12

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Surprise Strassenmagazin 284/12

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WunschkindFake Babys wecken echte Muttergefühle

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Pet Shop Boys – der Popsong als Kunstwerk

Nr. 284 | 21. September bis 4. Oktober 2012 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

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2 SURPRISE 284/12

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Ihre Meinung!Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, [email protected]. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen.

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

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EditorialEgo Music

Babyjahre, Jugendjahre, Studium und die Helden meiner eigenen Teenie-Zeit, dieunterdessen auch schon etwas ergraut sind – die Pet Shop Boys: Wir schlagen mitunseren Themen den Bogen über eine ganze Reihe von Lebensphasen. Und wirschauen uns Befindlichkeiten, Stimmungen und Veränderungen an, die uns beein-flussen, prägen.

Wir haben künstliche Babys besucht, in den Arm genommen und festgestellt: In ei-ner Zeit, in der über Sinn und Unsinn von Frauenquoten im Arbeitsleben diskutiertwird, gibt es tatsächlich Frauen, die ihren Baby-Attrappen täglich die Kleider wech-seln. Seit einiger Zeit schleicht sich ein hochstilisiertes Ideal von Mutterschaft zu-rück in eine Welt, die sich gerne recht gleichberechtigt gibt. Letzten Endes geht eshier um Rollenbilder und die Erwartungen, die man mit ihnen verknüpft. So führen uns auch die historischen Fotografien des Basler Fotografen Lothar Jeckund seines Sohnes Rolf Jeck vor Augen, wie im militärischen Vorunterricht 1945 dieMarschtüchtigkeit der Jugend zwangsweise gefördert wurde und wie knapp 50 Jahre später ein paar Skatereinen Wettbewerb daraus machen, wer auf einer Laufstrecke seinen Bierharass am schnellsten ausgesoffenhat. Die Bilder lassen ahnen, dass die Selbstverwirklichung vielleicht gar nicht so weit entfernt ist vom Drillfrüherer Jahre, weil die Heranwachsenden heute genauso gefangen sind: im Spass-haben-Müssen, aber auchim Funktionieren-Müssen. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls das, was unsere Journalistinnen über das Bologna-System an den Unisherausgefunden haben. «Im Prinzip ist Bologna die konsequente Fortführung der kapitalistischen Leistungs-gesellschaft: Du bringst eine Leistung, dann erhältst du einen Punkt», sagt ein Professor, und bemerkenswertist die Tatsache, dass bei allem Druck die Leistung offenbar trotzdem ausbleibt.

Nachdem sich die Pet Shop Boys musikalisch schon des Öfteren als Spezialisten für biografische Prägungenund Lebensgefühl erwiesen haben (man denke an «It’s A Sin» oder «Being Boring»), zeigen sie sich im Ge-spräch als ebenso geistreiche Kommentatoren des Zeitgeistes. Ihren Song «Ego Music» sehen sie als Blick voneiner Generationen auf die nächste, und im Gespräch mit dem Musikjournalisten Hanspeter Künzler warChris Lowe schon fast drauf und dran, eine Statistik hervorzusuchen, die belegt, dass in heutigen Songtex-ten dass Wort «ich» bedeutend öfter auftrete als noch vor 20 Jahren.

Trotzdem: Wir wollen jetzt nicht behaupten, früher wäre alles besser gewesen. Aber es ist spannend, in wel-chen Facetten des Lebens sich der Zeitgeist besonders schön zeigt.

Wir wünschen Ihnen eine unterhaltsame Lektüre Diana Frei

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DIANA FREI

REDAKTORIN

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4 SURPRISE 284/12

Inhalt03 Editorial

Zeitgeist05 Die Sozialzahl

An der Armutsgrenze06 Aufgelesen

Ramadan statt Randale 06 Zugerichtet

Eifersuchtsdrama07 Leserbriefe

Die Tür vor der Nase zuschlagen07 Starverkäufer

Ruedi Kälin08 Porträt

Politik als Performance17 Historische Fotografie

Jugend zwischen Autorität und Selbstverwirklichung

22 Fremd für DeutschsprachigeNationen im Luftraum

23 Freiluftkunst Hängende Weihnachtsbäume

24 Kulturtipps«Ein Klavier, ein Klavier!»

26 AusgehtippsMusikalische Entdeckungsreise

28 VerkäuferporträtDer 15-Jahre-Jubilar

29 Projekt SurplusEine Chance für alle!

30 In eigener SacheImpressumINSP

In den USA begann man schon in den Neunzigerjah-ren, Säuglinge aus Vinyl oder Silikon herzustellen. DieWissenschaft zeigt: Die Puppen sehen nicht nur le-bensecht aus, sie können auch echte Muttergefühleauslösen. Und das wiederum lässt Rückschlüsse aufdie Stellung der Frau zu. Nun hat der Boom der soge-nannten Reborn-Babys auch die Schweiz erreicht. EinAtelierbesuch bei einer Aargauer Reborn-Künstlerin.

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In den Achtzigerjahren stürmten die Pet Shop Boys re-gelmässig die Singlecharts. Seither bewegt sich dasDuo stilsicher zwischen Popbetrieb und Kunstwelt.Auf ihrem neuen Album «Elysium» singen sie über ver-blassende Berühmtheit und die Ego-Musik der Gegen-wart. Die Zeit der ganz grossen Hits ist vorbei, dennNeil Tennant und Chris Lowe sehen mittlerweile keineVerbindung mehr zu aktuellen Musikern: «Wir sindganz in unserer eigenen kleinen Welt versteckt.» InsRadio wollen sie aber weiterhin.

14 UniversitätenStudentenleben nach Bologna

Als das Bologna-System an den Universitäten Einzughielt, fürchteten Studierende und Professoren eine Ver-schulung des Lehrbetriebs und weniger Freiheiten.Man ging davon aus, dass Bologna die Studierendenzu karrieresüchtigen Lernmaschinen machen würde,unfähig zu eigenen kritischen Gedanken. Wir habendrei Thesen dazu aufgestellt, ob der Systemwechseltatsächlich einen Mentalitätswandel mit sich bringt.Ein Professor, eine Studentin und ein Studienberaternehmen Stellung.

10 RebornsDie Gefühlsattrappen

20 PopExil im Elysium

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entspricht 586 000 Personen. Die Differenz zwischen den bei-

den Zahlen ist bemerkenswert. 355000 Menschen beziehen

keine Sozialhilfe, obwohl ihr Einkommen unter der Armuts-

grenze liegt! Dies entspricht einer Nichtbezugsquote von 60

Prozent.

Das Bundesamt für Statistik hat 2011 erstmals auch Zahlen

zur Armut publiziert, bei denen eine relative Armutsgrenze

verwendet wird. Demnach ist ein Haushalt arm oder zumin-

dest armutsgefährdet, wenn sein Einkommen deutlich unter

dem mittleren Einkommen der Gesamtbevölkerung liegt. Die

Europäische Union (EU) geht davon aus, dass Haushalte ar-

mutsgefährdet sind, wenn ihr Einkommen weniger als 60 Pro-

zent des mittleren Einkommens beträgt. Die Organisation für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist

da strenger: Hier sind Haushalte erst dem Armutsrisiko aus-

gesetzt, wenn sie weniger als 50 Prozent des mittleren Ein-

kommens aller Haushalte erzielen.

Nimmt man nun den Massstab der EU, so sind 2010 14,2

Prozent der Bevölkerung in der Schweiz oder beinahe jede

siebte Person von Armut bedroht – das sind rund eine Million

Menschen. Verwendet man die von der OECD postulierte re-

lative Armutsgrenze, dann sind 7,6 Prozent oder rund 571000

Menschen in der Schweiz armutsgefährdet. Auch diese gros-

se Differenz lässt aufhorchen. Zum einen zeigt sich, dass die

absolute Armutsgrenze gemäss den SKOS-Richtlinien in etwa

im Bereich der restriktiveren Armutsgefährdungsschwelle der

OECD liegt. Zum anderen wird deutlich, dass sich sehr viele

Haushalte in der Schweiz mit ihren verfügbaren Einkommen

sehr nahe bei der Armutsgrenze befinden. Hier wird ein neu-

es Prekariat sichtbar. Und das droht angesichts des schlei-

chenden sozialen Abstiegs von Haushalten aus der Mittel-

schicht grösser zu werden.

CARLO KNÖPFEL ([email protected])

BILD: WOMM

Die SozialzahlWie viele Arme hat die Schweiz?

Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat im letzten Jahr sehrunterschiedliche Zahlen zur Armut in der Schweiz veröffent-licht. Die Sozialhilfestatistik, die Armutsstatistik und dieneue, europäisch vergleichbare Erhebung über die Einkom-men und die Lebensbedingungen (SILC) liefern Daten überdas Ausmass an Armut in diesem Land im Jahr 2010. Dochdie Angaben aus den verschiedenen Erhebungen liegen weitauseinander, wie die Grafik in aller Deutlichkeit illustriert.Leben nun 231000, 586 000 oder über eine Million Menschenin der Schweiz in Armut?Es hängt offensichtlich von der Definition von Armut, derverwendeten Armutsgrenze, der Berechnungsart und der Da-tengrundlage ab, ob es in der Schweiz mehr oder weniger Ar-me gibt. Die grossen Differenzen zwischen den verschiedenenAngaben zur Armut in der Schweiz lassen aber auch sozial-politische Rückschlüsse über die Nichtbezugsquote (also dieZahl jener, die trotz Anspruch keine Sozialhilfe beziehen) undein neu entstehendes Prekariat zu.Wer arm ist, hat Anspruch auf Sozialhilfe. Arm ist ein Haus-halt in der Schweiz, wenn sein verfügbares Einkommen unterder absoluten Armutsgrenze liegt. Bei der Festlegung dieser Ar-mutsgrenze orientiert sich das BFS an den Richtlinien der Kon-ferenz für Sozialhilfe (SKOS). So liegt zum Beispiel das sozialeExistenzminimum für einen Familienhaushalt mit zwei Kin-dern im schweizerischen Mittel bei 3990 Franken. Im Jahr 2010haben gemäss der Sozialhilfestatistik des Bundes 3,0 Prozentder Bevölkerung oder rund 231000 Personen mindestens ein-mal Unterstützungsleistungen vom Sozialamt bezogen. Doch längst nicht alle Armutsbetroffenen gehen zum So-zialamt. Dies verdeutlicht die Armutsstatistik. Im gleichenJahr weist sie eine Armutsquote von 7,8 Prozent aus. Dies

Armutsgefährdete

1 067 000

Armutsbetroffene

586 000

Sozialhilfebeziehende

231 000

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AufgelesenNews aus den 90 Strassenmagazinen,die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Nonnen auf Tour

Chicago. 14 katholische Nonnen tourtendiesen Sommer in einem Bus durch die USA.Ihre Mission ist «ein faires und von Mitgefühlgeprägtes Staatsbudget», sie kämpfen gegenden vonseiten der Republikaner drohendenKahlschlag am Sozialstaat. Unterwegs trafensie unter anderem eine Familie, die ihre 56-jährige Mutter verloren hatte – weil sie sichkeine medizinische Behandlung leistenkonnte. Der Papst indes protestierte: DieSchwestern sollen sich weniger für sozialeGerechtigkeit einsetzen und mehr gegenSchwulenehe und Abtreibung kämpfen.

Mehr als Fussball

Hamburg. Der FC St. Pauli ist nicht einfachein Fussballclub. An Heimspielen wähntman sich zuweilen eher an einem Punkkon-zert als an einem Fussballspiel. Entspre-chend umstritten war der Stadionneubau amMillerntor, der halt doch irgendwie fällig war.Zwei Fotografen – und Fans – haben die Zeitvor dem Abriss dokumentiert. Sie beschrei-ben das Dilemma des St.-Pauli-Fans: Manunterstütze den Club, damit er in die 1. Ligaaufsteigt, hoffe dann aber, dass es doch nichteintrifft – aus Angst um den «typischen St.-Pauli-Charme».

Muslime für Frieden

London. «Ich bin ein bisschen parteiisch»,sagt Ashley Chin, Schauspieler, Rapper undkonvertierter Muslim, «aber ich glaube, derIslam hat die Antwort auf viele Probleme Britanniens.» Ähnlich sieht dies Nurul Ullah,islamischer Jugendarbeiter in London, dererfolgreich gewalttätige Jugendliche mit ge-läuterten Häftlingen zusammenbringt. Vielemuslimische Jugendliche aus Problemvier-teln hätten bei den letztjährigen Unruhen inLondon nicht mitgemacht – weil Ramadanwar, «eine Zeit von Frieden, Spiritualität undRespekt».

ZugerichtetDas Ende einer heissen JulinachtEifersucht, schwarze Schwester der Liebe,krallt sich fest in der Brust, frisst die Seeleauf. Wie öd wär’ die Literatur ohne das Hef-tigste aller Gefühle. In der Wirklichkeit en-den solche Dramen häufig im Gerichtssaal,grosses Theater gibt es freilich auch da.Esmeralda*, seit zwei Jahren in Haft, sitztheulend vor den Oberrichtern. Sie selbst wieauch der Staatsanwalt erhoben Einsprachegegen das erstinstanzliche Urteil des Bezirks-gerichts Zürich, das sie wegen schwerer Kör-perverletzung zu vier Jahren Freiheitsstrafeverurteilte. Die Staatsanwaltschaft fordertsieben Jahre für versuchte Tötung, sie willeinen Freispruch. «Ich bin keine Mörderin!»,wehklagt sie übertrieben auf Spanisch. Dashat der Angeklagten auch niemand vorge-worfen, das Opfer hat überlebt.Esmeralda, vor 48 Jahren auf den Dominika-nischen Inseln geboren und mit 16 zum er-sten Mal schwanger, lebte mit ihrem Mann inSpanien. Doch ihr Geld verdiente sie im Zür-cher Kreis 4 als Prostituierte, «leider, leider»,ergänzt sie auf Deutsch. In einer Bar lerntesie den Bosnier Murat kennen, ein kindlichmachohafter junger Mann von 25 Jahren. Siehatte vielleicht den Wunsch nach einerernsthaften Verbindung. Denn eines verbandsie ohnehin – sie waren Fremde im fremdenLand, die einander gefunden hatten. Das un-getrübte Glück war es nicht. «Es war keinerichtige Beziehung, wissen Sie», schränkt sieein. «Er hat mich angerufen, er wollte diesund jenes, und wenn ich kein Geld hatte,dann wollte er auch nichts von mir.»Im Hochsommer vor zwei Jahren ging sie indie Bäckeranlage, da sah sie, wie er eine an-

dere Frau küsste. Eine Kränkung, die Esmeral-da wütend machte. Sie explodierte, riss dieNebenbuhlerin an den Haaren, ohrfeigte ihrenGeliebten. Die Zeugen hörten es klatschen. Da-nach ging jeder seines Weges.Kurz vor Mitternacht raste sie jedoch wie vonder Tarantel gestochen ins Asylzentrum, wo derjunge Bosnier wohnte. Erneut kam es zumStreit. Sie rangelten und schlugen sich. Er fiel zuBoden, japste nach Luft. Sie ging nach Hause.«Ich bin keine Mörderin», schluchzt Esmeral-da. Auf ihrem Pult liegt ein Dutzend zu-sammengeknüllte Taschentücher. Sie sei eineunterwürfige, arbeitswillige Mutter, niemalswürde sie jemanden töten. «Die Scham über ei-ne solche Tat würde mich umbringen.»Doch sie hatte sich bereits bei der Einvernahmein tausenderlei Widersprüche verheddert, stän-dig neue Versionen erzählt. Der Oberrichter be-stätigt das erstinstanzliche Urteil. Das Motivsei klar: Eifersucht. Das Spurenbild sei eben-falls eindeutig. Esmeralda habe ihren Freundniedergestochen. Ihrer Behauptung, wonach ervon selber ins Messer gefallen sei, «widerspre-chen die Indizien». Zudem sei das Tatwerkzeugverschwunden. «Das Opfer hat kein Interesse,es verschwinden zu lassen, und davonfliegenkann das Messer auch nicht.» Ob ein Tötungs-versuch vorliege, lasse sich nicht sagen, sicheraber handle es sich um eine schwere Körper-verletzung. Der Richter spricht von einer spon-tanen Überreaktion in einer Beziehungskrise.Esmeralda muss zurück ins Gefängnis, noch bisEnde Jahr. Dann hat sie die Strafe abgesessenund kann wieder nach Spanien. «Mein Ehe-mann wartet auf mich», lässt sie den Richterwissen, «das hat er mir versprochen.»

ISABELLA SEEMANN ([email protected])

ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

([email protected])

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Starverkäufer Ruedi KälinTamim Seradj und Marcel Giger aus Zürichnominieren Ruedi Kälin als Starverkäufer.Tamim Seradj: «Ruedi ist mein Starverkäufer,weil er mir jeden Morgen mit den neuestenInformationen über das Wetter, den Fussballoder das Eishockey die Türe öffnet. Dankihm fängt der Tag mit einem Lächeln an!»Und Marcel Giger schreibt: «Ruedi Kälinweiss stets von jedem seiner Stammkunden,ob er das neue Heft bereits gekauft hat odernicht. Jeder Verkauf wird akribisch in seinemBuch eingetragen, mit Standort, Wochentag,Uhrzeit und Wetter. Aufgrund dieser Datenplant er seine Einsätze. Ohne Ruedi würdeim Strassenbild etwas fehlen.»

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GNominieren Sie IhrenStarverkäufer!Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Siean dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, [email protected]

Leserbriefe«Je grösser der Besitz, desto kleiner die Bereitschaft zu teilen»

Nr. 281: Weise WorteWir sind Sammelweltmeister

Firmen verantwortlich für VerpackungSeit 38 Jahren lebe ich in Tunesien und möchte zum hochinteressantenArtikel übers Recycling folgendes vermerken: Das Sammeln von Abfallist problematischer, als man vermutet. Hier wurden vor einigen JahrenContainer aufgestellt, um Plastik vom übrigen Abfall zu trennen. DieÜbung wurde eingestellt, weil viele Leute sich foutierten. Sammler vonPlastik oder Petflaschen werden seither von spezialisierten Firmen fürdas Gesammelte bezahlt. Nun schmeissen die Leute auf der Suche nachPlastik den Abfall aus dem Container einfach auf den Boden und lassennatürlich alles liegen!Nun zur Schweiz: Der gewöhnliche Konsument ist nicht so verantwort-lich für das immense Volumen an Abfall. Ich nehme da die Firmen undHändler in die Verantwortung. Alles wird überflüssig verpackt. Man soll-te auch gefährliche Substanzen und somit hochgefährlichen Abfall (deroft in armen Ländern «entsorgt» wird) besser erst gar nicht herstellen. Marianne Traïki-Eigenheer, Hammamet/Tunesien

Basteln für eine bessere Welt

Den Humor überstrapaziert«Basteln für eine bessere Welt» gehört zu meinen Lieblingsleckerbissenim Surprise, obwohl Basteln nicht zu meinen Hobbys zählt. Ich liebe denHumor und die sanfte Erziehung zum Guten. Mit den Reiskuchen habenSie den Humor aber ein wenig strapaziert: Alle Ingredienzien ausser demFleisch stammen aus Übersee, und dann muss man die Dinger auch nochdrei bis vier Stunden kochen! Reis, Bohnen und Fleisch lassen sich auchmit weniger Energie zu etwas Essbarem verarbeiten und in einem Be-hälter mit ins Büro nehmen, der nicht im Abfall landet.Yvonne Lenzlinger, Zürich

Nr. 282: Bella vista

Lob für die neuen KolumnenOft können Bilder mehr aussagen als viele Worte! So ist es mir beim Fo-toartikel über Kinderarbeit ergangen. Besonders berührt hat mich dasBild mit dem Plastik sammelnden Jungen aus Myanmar. Ihr unter-schreibt dieses Bild mit: «Ein illegal eingereister Junge aus Myanmar …»Eine durchaus legitime Formulierung; obwohl sicher ist, dass sich dasKind keine Vorstellung von legal und illegal machen kann! Was hingegensicher illegal ist, ist die Tragödie, dass sich ein Kind in diesem Alter sodurchs Leben schlagen muss. Was mir sehr gut gefallen hat, ist die neue Kolumne «Fremd für Deutsch-sprachige» (geniales Wortspiel!!) von Shpresa Jashari und der neue Kul-turtipp «Piatto forte» von Tom Wiederkehr.Beni Gnos

Nr. 283: Feindbild FlüchtlingIm Nichts

Schweizerkreuz mit StacheldrahtIhr Artikel über das Ausreisezentrum Flüeli hat mich zum einen Teilsprachlos und zum anderen Teil wütend gemacht. Was ist mit unsererhumanitären Schweiz passiert? Wo sind die Grundgedanken von HenryDunant und anderen humanitär denkenden Schweizern geblieben? Mei-ne Beobachtungen zeigen, dass je grösser der Besitz, desto kleiner dieBereitschaft zu teilen ist. Peter Reber singt in einem Lied von offenen Tü-ren in der Fremde. Hier in der Schweiz würden einem die Türen vor derNase zugeschlagen. Ich finde die Zustände im Flüeli noch schlimmer.Der einzige Trost ist, dass es engagierte Leute wie diejenigen vom VereinMiteinander Valzeina gibt, die den Leuten helfen. Es wäre an der Zeit,das weisse Schweizerkreuz in unserer Flagge durch ein schwarzes «Ster-bekreuz» zu ersetzen und es mit Stacheldraht zu umkränzen.Cuno Seiler, Thürnen

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VON RETO ASCHWANDEN (TEXT) UND DOMINIK PLÜSS (BILD)

Christian Mueller wartet an der Kreuzung Feldberg-/Hammerstrasseim Kleinbasel, bis die Ampel auf Grün schaltet. Dann schiebt er sein Ve-lo, Typ alter Drahtesel, über den Fussgängerstreifen und weiter zum Ca-fé Hammer, das er mit Kollegen als Vereinslokal führt. Über der Bar hän-gen Spiegelglaskugeln in verschiedenen Grössen. So wie die unzähligenSpiegelteilchen das Licht brechen und in einzelnen Strahlen zurück-werfen, so facettenreich sind auch die Tätigkeiten von Christian Muel-ler. Auf die Bemerkung, er mache viele verschiedene Sachen, entgegneter: «Ja, aber nichts richtig.» Er lacht dabei, ganz ernst meint er das nicht.Denn sobald der 31-Jährige zu sprechen beginnt, redet ein Überzeu-gungstäter: engagiert und um keine Antwort verlegen.

Mueller hat an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Baselfreie Kunst studiert. Seit dem Abschluss darf er sich «eidgenössisch di-plomierter Künstler» nennen. Derzeit tritt er allerdings als Politiker inErscheinung. Nachdem er letztes Jahr als einziger Vertreter seiner eige-nen Partei Freistaat Unteres Kleinbasel (f-u-k) für den Nationalrat kan-didierte, bewirbt er sich nun mit zwei Partei-kollegen um einen Sitz im Grossen Rat, demParlament von Basel-Stadt. Ein Hauptanliegenist die Abspaltung Basels von der Schweiz. Dasklingt zunächst abwegig, der Gedanke dahin-ter ist es aber nicht. «Demokratie soll den Menschen ermöglichen, sichzu Fragen zu äussern, die sie betreffen. Ich muss nicht über Zweitwoh-nungen im Wallis abstimmen. Umgekehrt bin ich für ein Stimmrecht abWohnsitznahme.» Für Mueller bilden die beiden Basel, Teile von Solo-thurn, das Fricktal sowie Südbaden und das grenznahe Elsass einen ge-meinsamen Lebensraum. Dass ein solcher nicht an politischen Grenzenendet, lernte Mueller schon früh. «Ich ging in drei Kantonen zur Schu-le, habe dabei aber nur einmal das Schulhaus gewechselt», erzählt er.Im solothurnischen Nunningen besuchte er die Primarschule, dannwechselte er aufs Gymnasium nach Laufen, das seinerzeit noch zu Berngehörte und nach der Laufental-Abstimmung 1994 zum Kanton BaselLandschaft wechselte.

Kandidaturen aus dem kulturellen Umfeld sind in Basel derzeit inMode. Neben Mueller mischen im Wahlkampf auch Leute aus der Mu-sikszene wie Bianca-Story-Frontmann Elia Rediger mit. Geht es alsoeher um eine Performance als um ein ernsthaftes politisches Engage-ment? «Das schliesst sich nicht gegenseitig aus», sagt Mueller. «Politikist eine Art Performance. Performance heisst Aktion: Man verändertDinge, indem man etwas macht, nicht indem man darüber redet.» Erkomme gerade von der Documenta in Kassel, eine der bedeutendstenAusstellungsreihen für zeitgenössische Kunst, doch Mueller klingt nichtbegeistert: «Das meiste hat mich nicht interessiert. Es ist belanglos,dreht sich nur um sich selber.» Dabei habe die Documenta doch einstden Kunstbegriff ausgeweitet, auch dank Joseph Beuys. Mueller siehtsich in der Tradition des deutschen Aktionskünstlers: «Meine Philoso-phie bezüglich Kunst und Politik ist jener von Beuys ähnlich. Es geht umdie Gestaltung der Gesellschaft. Dabei darf man auch provokant sein.»

PorträtDer GesellschaftsgestalterChristian Mueller ist eidgenössisch diplomierter Künstler, doch zeitgenössische Kunst findet er belanglos.Stattdessen betreibt er Politik als Performance. Das Multitalent zeichnet und dichtet, fabriziert Taschen undarbeitet im Pornokino.

Provokant klingen auch manche von Muellers Aussagen. Etwa wenner erwähnt, dass er Zeitungen lese, jedoch keine Literatur. «Bücher lang-weilen mich. Die meisten sind einfach schlecht geschrieben.» Derschmal gebaute Mann wischt mit einem Satz die gesamte Weltliteraturvom Tisch. Er lese lieber Zusammenfassungen und Rezensionen: «Esnimmt mich schon wunder, was drinsteht, aber am Ende finde ich im-mer: Mach aus diesem Stoff doch einen Film.»

Einen Film will Mueller bald selber drehen. Das ist sein Projekt fürskommende Masterstudium in Bern, wo – ausgerechnet – Literatur sei-nen Schwerpunkt bildet. «Mir geht es darum, ein Drehbuch zu schrei-ben, und in diesem Studium triffst du auf viele Leute, mit denen du dichaustauschen kannst.» Sein Film soll weniger einem linearen Storytelling,wie es im Kino üblich ist, folgen, sondern die Möglichkeiten des Medi-ums ausschöpfen, aber Genaueres kann Mueller noch nicht sagen: «Ichhabe mir ein Denkverbot auferlegt, bis ich das Studium aufnehme.»

Im Kino verdient Mueller auch einen Teil seines Einkommens. Ge-nauer gesagt an der Kasse des Basler Pornokinos Mascotte. «Dort such-ten sie jemanden und es ist ein praktischer Job. Du hast Zeit zum Lesen

und zudem kann ich umsonst in alle Basler Kinos.» Beruflich bewegteer sich die letzten Jahre aber öfter in der Theaterwelt. Schon währendder Ausbildung interessierte ihn diese Sparte am meisten, weil sie ver-schiedene Kunstformen vereint. Mueller hat schon mehrere Stücke ge-schrieben und arbeitet auch mit Jugendlichen. Er hat ein kleines Pen-sum beim Jungen Theater Basel und hat bis vor Kurzem immer wiedermit Gymnasiasten Stücke entwickelt.

Als freier Künstler kennt Mueller keine Genregrenzen. Unter dem La-bel «gaggi» («einfach ein schönes Wort») stellt er Taschen her. Zudemschreibt er Gedichte und zeichnet. Vor vier Jahren veröffentlichte er je 27Werke dieser beiden Sparten im Buch «12092001». Die Zahlenfolge ver-weist auf den Tag nach dem elften September. «Damals hat etwas Neuesangefangen», sagt Mueller. «Darum fand ich den Titel spannend.» Die An-griffe auf die Wolkenkratzer können auch als politische Performance ver-standen werden, denn die Bilder sind bis heute im kollektiven Gedächt-nis verankert. «Visuell war das ungeheuer stark: die Flugzeuge, die in dieTürme fliegen, Feuer, Rauchwolken, der Zusammenbruch.» Nicht dassMueller Gewalt gutheissen würde, denn der einstige politische Sekretärder Basler Sektion der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) istPazifist. Und ein Menschenfreund: «Grundsätzlich ist niemand gern bö-se. Ausser es gibt einen Grund.» Den Einwand, das sei eine etwas naiveHaltung, weil doch Gier und Missgunst auch zu den menschlichen Cha-rakterzügen zählten, lässt er nicht gelten: «Missgunst entsteht nur, wenndu nicht die selben Möglichkeiten hast wie der andere.»

Missgünstig muss man Christian Mueller nicht begegnen. Ange-sichts der vielen Ausdruckmöglichkeiten, die er sich zu eigen macht,könnte man aber schon ein bisschen neidisch werden. ■

«Bücher langweilen mich. Die meisten sind einfachschlecht geschrieben.»

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VON DIANA FREI (TEXT) UND ROLAND SOLDI (BILDER)

Härchen einzustechen dauert Stunden, das macht Marina Wieser amliebsten vor dem Fernseher. Mit einer Nadel zieht sie die Mohair- oderAlpaca-Haare einzeln in den Puppenkopf, bis er die schüttere Frisur ei-nes Neugeborenen hat, Mikro- oder Monorooting heisst das im Fachjar-gon. Seit August widmet sich Wieser vollumfänglich dem Rebornen.Was heisst: Sie stellt lebensechte Puppen im Neugeborenenalter her. Inihrem Onlineshop bietet sie zudem Materialien für Kunden an, die sel-ber ein Reborn – auch Fake Baby genannt – herstellen wollen, und siegibt die nötigen Kurse dazu. Bis im Sommer war sie Betreuerin in einemBehindertenheim, doch unterdessen sind ihre Kurse innert Wochen aus-gebucht. Momentan hat sie acht Fake Babys in Auftrag: «Grad ein biss -chen viel», sagt die 23-jährige Aargauerin.

Auf eine Decke drapiert liegen die fertigen Babys da: Frühgeburt Dai -sy mit zugekniffenen Augen, Bethany mit hilfesuchendem Blick, dieHaut ganz sachte rot gefleckt, die einzelnenÄderchen schimmern durch die zarte Bauch-decke mit der kugeligen Form. Nimmt man einReborn mit seinen krummen Beinchen unddünnen Fingerchen in den Arm, spürt man sei-nen schweren Körper. Bei Luxusvariantenpocht das Herzchen, und Hersteller in den USA oder in England bietenauch solche an, die sich warm anfühlen. «Die meisten Frauen stützen dasKöpfchen, wenn sie es auf dem Arm haben», sagt Marina Wieser, «undkeine würde es wie einen Gegenstand einfach wieder hinlegen. Wenn ichsehe, wie die Leute drauf reagieren, ist klar, dass ein Reborn-Baby etwasin ihnen auslöst.» «Erweckt Emotionen» ist der Slogan ihres Shops, aberMarina Wieser selber sieht die Sache nüchtern: «Für mich geht es um diekünstlerische Arbeit, ums Ausprobieren von neuen Techniken, Farben,Nadeln, Haaren.» Sie setzt die Puppen aus einem vorgefertigten Vinyl-Bausatz zusammen, trägt Farbschicht um Farbschicht auf, Hautton, Au-genfarbe und Haare ganz nach Wunsch, mit oder ohne rote Fleckchenund Überbleibsel der Geburtsstrapazen, Glasaugen rein, Wimpern aufBestellung, Mädchen oder Junge, mit oder ohne Heart Beat Box. Das Ge-wicht ergibt sich durch die Füllung aus Edelstahl- und Glasgranulat, da-zu kommt der «Babyspeck», ein Softgranulat aus Plastik.

Hormondurchflutete Webseiten«Der Bausatz ist aus Vinyl, weil er sich so hautähnlich wie möglich

anfühlt, aber es kommen immer wieder neue Produkte auf den Markt»,sagt Marina Wieser. Es gibt auch schon Silikonbabys, die sind noch le-bensechter, aber teuer. Das letzte ging auf Ebay für 25000 Dollar weg.Wieser verkauft ihre Puppen zwischen 600 und 800 Franken, 50 bis 100Arbeitsstunden investiert sie in jedes Exemplar. Das Resultat ist ein ganzlegales Designbaby. Ein Wunschkind ohne Nebenwirkungen wie Ge-schrei, volle Windeln oder längerfristige Einschränkungen des Fami-lienbudgets.

Oft arbeitet Marina Wieser nach Fotos, die ihr die Kunden und Kun-dinnen schicken. Einmal war da ein Mann, der seine unterdessen vier-jährige Tochter als Reborn-Baby bestellte. «Wahrscheinlich für seineFrau als Erinnerung», meint Marina Wieser.

In solchen Fällen sucht sie unter Tausenden von Bausätzen nach ei-nem, der der Vorlage ähnelt: «Meistens findet man etwas. Die Ähn-lichkeiten sind schnell vorhanden, mit den Speckröllchen und den zer-knautschten Gesichtern.» Wieser ist in ständigem Kontakt mit denKunden und fragt nach, ob das Baby ihren Wünschen entspricht. «Dasagt vielleicht jemand, ich hätte gern noch ein bisschen geschlossene-re Augen oder einen offeneren Mund. Dann suche ich weiter.»

Entstanden ist das Rebornen in den frühen Neunzigerjahren in denUSA, unterdessen sind die Fake Babys auch in England etabliert, undauch in der Schweiz haben einige Rebornerinnen bereits ihr Nest ge-baut. Die meisten Webseiten von Reborn Artists hinterlassen einen emo-tions-, um nicht zu sagen hormondurchfluteten Eindruck. Die rosa

hinterlegten Fotos der Reborns erinnern an die Babygalerien von Ge-burtskliniken, und die Puppen gibt es unter der Rubrik «Adoption» zuerwerben, Grösse: 51 cm, Gewicht: 3948 g, geboren am: 15. April 2012,Geburtszertifikat und Klinikarmband inklusive.

«Mein Mann meint, ich hätte eine Schraube locker»Den Namen suchen die Auftraggeber aus. «Es gibt auch solche, die

sagen, wir überlegen es uns nochmals. Oder dann rufen sie drei- oderviermal an und ändern ihn hin und her», sagt Marina Wieser. Um die Il-lusion perfekt zu machen, legt sie einen Lufterfrischer mit Puderduft insBaby (nach einigen Minuten im Atelier vergisst man unweigerlich, von«Puppe» zu reden) und packt zwei frische Windeln, Söckchen, eine De -cke und einen Haarspray zur Befeuchtung ins Paket, wenn sie ein Re-born in sein neues Zuhause verschickt.

Gekauft werden die Reborns fast nur von Frauen, und die Gründesind unterschiedlich. Da gibt es die Puppenliebhaberinnen, die sich einsfür ihre Sammlung leisten, «vielleicht wie ein Mann, der Modellautossammelt», meint Wieser, «da gilt ja auch: Je echter es aussieht, destobesser.» Als ehemalige Behindertenbetreuerin kennt sie berufsbedingtauch den Einsatz für therapeutische Zwecke. Reborns können in Alters-heimen zum Einsatz kommen, um die Feinmotorik von dementen Leu-ten zu trainieren. «Es gibt ähnliche Konzepte auch in der Behinderten-betreuung», sagt sie. «Ich hatte eine Kundin, die ihrer behindertenSchwester ein Reborn machen liess.» Als sie eine Anfrage für ein Kindhatte, das gestorben war, war es für sie durchaus traurig, zu wissen,dass das Kind, nach dessen Bild sie arbeitete, nicht mehr lebt. «Aber ich

Reborns Die BabymacherinMarina Wieser stellt lebensechte Säuglingspuppen her, und die Frauen stützen unweigerlich deren Köpfchen,wenn sie sie in den Arm nehmen: Das Fake Baby wirkt wie ein Placebo für den Rausch des Mutterglücks.

Die Puppen gibt es unter der Rubrik «Adoption» zu er-werben. Und die Fotos erinnern an die Babygalerien vonGeburtskliniken.

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kann mir vorstellen, dass eine Mutter auf die Art besser mit dem Todumgehen kann.»

Und dann gibt es jene, die das Reborn als Ersatz für ein echtes Babysehen. Fernsehbeiträge zeigen Fake-Baby-Mütter beim Spazieren mitdem Kinderwagen, und klickt man sich durch Internetforen aus denUSA und aus England, liest man Beiträge folgender Art: «Ich habe kürz-lich Scarlett adoptiert und erlebe seither sehr gemischte Reaktionen.Entweder erwähnen es meine Freunde schon gar nicht, oder sie bemit-leiden mich. Wie weit geht Ihr mit Eurem Re-born? Geht Ihr mit ihm im Kinderwagen raus?Und wenn Leute sich für Euer Baby interessie-ren, sagt Ihr, dass es ein Reborn ist, oder lä-chelt Ihr einfach und geht weiter?» Eine ande-re Reborn-Mami schreibt: «Mein Mann meint, ich hätte eine Schraubelocker. Aber ich wollte schon früher mehr Kinder und konnte mir fi-nanziell nur zwei leisten. Nun habe ich Grosskinder, aber es scheintauch bei zwei zu bleiben.»

Mädchen bevorzugtAuch Marina Wieser kennt die Fernsehsendungen, in denen Frauen

mit den Tränen kämpfen, wenn sie ihr lang ersehntes Fake Baby aus-packen, und Reborn-Mütter ihren Vinylsäuglingen je nach Tagestempe-ratur die Kleidchen wechseln. «Ich kann nachvollziehen, dass das tat-sächlich gemacht wird», sagt sie, «aber ich glaube, in der Schweiz sinddie Hemmungen doch zu gross, dass jemand mit seinem Reborn-Babyspazieren gehen würde.» Doch kommt es wahrscheinlich nicht von un-gefähr, dass sie mehr Mädchen als Jungen verkauft: «Viel mehr.» Mäd-chen kann man in Röckchen einkleiden, rosa Maschen um die Köpfchen

binden. Man kann sie ganz anders schmücken als einen Jungen. Mankann mit ihnen besser «bäbele».

Dass eine Puppe so starke Gefühle auslösen kann, überrascht Hen-ning Scheich nicht. Scheich ist der Direktor des Leibniz-Instituts für Neu-robiologie in Magdeburg und ein Experte, wenn es um Muttergefühlegeht. Er hat die Hirnaktivitäten von Eltern und Nicht-Eltern beim Anhö-ren von Babylauten untersucht, und schon länger, so Scheich, habe dieForschung mit Attrappen-Versuchen klar gezeigt: «Gewisse Merkmale lö-

sen in uns ein ganz bestimmtes Verhalten aus. Fake Babys sind nichts an-deres als Baby-Attrappen, mit denen angeborene Reflexe ausgenützt wer-den.» An der Faszination für Reborns findet er nichts Pathologisches: DasReborn wirkt ganz einfach als Placebo, das einen Rausch des Mutter-glücks auslösen kann. Scheich spielte Müttern und Vätern, Eltern undNicht-Eltern Aufnahmen von vergnügten und weinenden Babys vor undmass ihre Hirnaktivität. Er fand deutliche Unterschiede: Die Reaktionenhingen davon ab, wie viel Erfahrung eine Person bereits mit Kindern ge-macht hatte. Ist ein Gehirn einmal auf Kinder eingestellt, braucht es kei-ne Hormonschübe mehr, um mütterliches Verhalten auszulösen. Es ge-nügt der blosse Reiz: der Anblick eines Babys. Oder eines Fake Babys.

Neurobiologen vom University College in London scannten zudemdie Gehirne von jungen Müttern beim Anblick ihrer Babys und regi-strierten dabei einen starken Anstieg im Belohnungsschaltkreis, zu demder Nucleus accumbens gehört. Er spielt eine zentrale Rolle bei der Ent-

«Wie weit geht Ihr mit Eurem Reborn? Geht Ihr mit ihm imKinderwagen raus?»

Kopf und Gliedmassen werden mit dem richtigen Hautton scheinbar zum Leben erweckt und zum Trocknen aufgehängt.

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stehung von Sucht und könnte dazu beitragen, dass Mäusemütter, wiesich in Tests gezeigt hat, ein geradezu rauschhaftes Verlangen nach Ba-bys entwickeln können. Bloss: «Die Spielerei mit angeborenen Men-schen-Schemata birgt soziale Gefahren», sagt Henning Scheich: «Indemman eine Maschine zum Ersatz für den realen sozialen Kontakt macht,kreiert man eine Abhängigkeit.»

Vor allem Frauen, die sich ein Leben lang primär der Kindererzie-hung gewidmet haben, kommt ein Stück Lebensinhalt abhanden, wenndie Kinder aus dem Haus sind. Was bleibt, istein Stapel Kinderzeichnungen und Fotos vonglacéverschmierten Mündern, zerschlagenenKnien und Zahnlücken-Grinsen. Und sonst:Leere in der Wiege, Lücke im Alltag, Loch imHerzen. «Empty Nest Syndrome» heisst die Fachbezeichnung: Leeres-Nest-Syndrom.

Mütter, die sich in Nichts auflösenZwar sind die mütterlichen Gefühle aus neurologischer Sicht ein an-

geborener Reflex. Aber wie sehr sich eine Frau in ihre Mutterrolle hin-einsteigern kann, hängt vom Wert der Mutterschaft und der Stellung desKindes in der Gesellschaft ab. In den Achtzigerjahren sorgte die franzö-sische Philosophieprofessorin Elisabeth Badinter mit ihrem Buch «DieMutterliebe» für Aufsehen, in dem sie den Wandel der mütterlichen Ge-fühle historisch betrachtete: Jahrhundertelang war die Mutter-Kind-Be-ziehung von Gleichgültigkeit geprägt, und noch im 18. Jahrhundert star-ben etliche Säuglinge in den Händen von Ammen und Pflegefamilien,ohne die leibliche Mutter je zu Gesicht bekommen zu haben. Aus Sorgeum die Kindersterblichkeit und damit um die Grundfesten des Staates

lautete die Devise erst vom 19. Jahrhundert an: Die Mütter müssen sichum die Kinder kümmern. Und Moralisten, Administratoren und Ärztefanden in der Folge Argumente, «um die Mütter zu überzeugen, sichwieder besseren Gefühlen zuzuwenden», schreibt Badinter.

Heute hat die Pille die meisten Kinder längst zu Wunschkindern ge-macht. Das Kind ist Zentrum der Familie, Investition in die Zukunft undoft auch Statussymbol. Der Rausch des Mutterglücks ist en vogue, undso kann man sagen: Das Reborn ist nicht nur Placebo, sondern auch

Symptom einer Gesellschaft, in der die Mütter in ihrer Rolle aufgehen,bis sie sich selbst in Nichts auflösen.

Marina Wieser macht zwar ein Baby nach dem anderen, ihre Rollehat sie aber als Geschäftsfrau gefunden. Da steht sie inmitten von Ba-bystramplern, Windeln und Körben voll Schnullern und gibt TV-Life-style-Magazinen und der Presse Auskunft über ihre Arbeit – und mussdabei eine bestimmte Frage des Öfteren über sich ergehen lassen: Sindeigene Kinder ein Thema? Marina Wieser winkt ab: «Wir sind damit be-schäftigt, mit dem Reborn-Shop ein Geschäft aufzubauen. Da hätte garkein Kind Platz.» Obwohl, ihr Mann hat auch schon einer Puppe dieWindeln angezogen: «Er weiss, wie es geht.» Aber vorerst hat sie nochnicht mal ein Fake Baby für sich behalten. ■

Wiesers Reborns an der Creativa Zürich: 27. bis 30. September, Halle 7, Stand D21.

www.rebornshop.ch

«Fake Babys sind nichts anderes als Baby-Attrappen, mitdenen angeborene Reflexe ausgenützt werden.»

Schläft friedlich: Frühgeburt Daisy.

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Universitäten Punktefressen allabologneseIm Juni haben an der Universität Basel die letzten Studierenden ihr Studium mit einem Lizentiat abgeschlossen.Ab jetzt gilt das Bologna-System. Was bedeutet das für das Leben der Studierenden? Wir haben uns in den Gei-steswissenschaften umgehört.

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VON DOROTHEE MINDER UND JANINE KERN (TEXT) UND IRENE MEIER

(ILLUSTRATION)

Wir studierten Kunstgeschichte und Englisch, weil uns diese Fächerinteressierten. Wir hatten kein Karriereziel, aber wir wollten etwas ler-nen, uns in Themen vertiefen und uns einen möglichst breiten Horizonterarbeiten. Wir genossen es, fachliche Schwerpunkte zu setzen. Die ei-ne ging für einen Monat nach Rom, um Renaissancekunst im Originalzu sehen. Die andere arbeitete in den Semesterferien, um in Zeiten vorErasmus die exorbitanten Studiengebühren für ein Jahr in Edinburghzusammenzusparen. Daneben jobbten wir im Service, als Hilfsassisten-tinnen oder als Kurierfahrerin. Wir waren Studentinnen.

Und dann kam die Umstellung auf das Bologna-System. Weder dieStudierenden noch die Dozierenden wollten diese Reform, so schien es.Alle fürchteten den grossen administrativen Aufwand für Prüfungen,Präsenzkontrollen und Statistiken. Es klang nach Verschulung, Kontrolleund Gängelei für die Studierenden. Trübe Aussichten für alle Verfechterder freien Geisteswissenschaften! Dieses System, so wurde geunkt, wür-de denkfaule Minimalisten produzieren, die ein Studium raschmöglichstabspulen. Schule und Hotel Mama bis zum ersten Job, und dann vielGeld verdienen.

Haben sich diese Befürchtungen bestätigt? Wir fragten bei einem Do-zenten, einer Studentin und einem Studienberater nach. Walter Leim-gruber ist Professor und Leiter des Instituts für Kulturwissenschaft undEuropäische Ethnologie an der Universität Basel und hat einen scharfenBlick dafür, wie sich die Mentalität der Studierenden verändert hat. Ta-mara Posillipo absolviert zurzeit einen Master in Kulturwissenschaften.Markus Diem leitet die Studienberatung der Universität Basel und kenntdie Sorgen der Studierenden. Mit ihrer Hilfe wollten wir unsere pessi-mistischen Thesen zu Bologna überprüfen.

These 1: Heute sind die Inhalte des Studiums nebensächlich, eszählen nur Kreditpunkte.

Wir selber besuchten an der Uni nur Veranstaltungen, die uns inter-essierten. In den Seminaren wurde angeregt diskutiert, denn alle warenaus Interesse da. Deshalb dauerte das Studium meistens sehr lange –fünf, sieben oder auch zehn Jahre waren keineSeltenheit. Vorgaben und Kontrollen waren mi-nimal. Irgendwann veränderte sich die Stim-mung in den Seminaren. Plötzlich wurde inden Seminaren ganz offen Zeitung gelesenoder am Handy herumgespielt. Das waren Bachelor-Studierende, die ihre Kurse wegen derrigiden Präsenzkontrollen absitzen mussten.

Für Markus Diem stimmt die These voll und ganz: «Das Studium istdas Kässeli, und die Kreditpunkte sind die Währung der Studierenden.»Sie rechnen genau aus, welche Veranstaltungen ihnen mit minimalemAufwand die nötigen Punkte bringen. Die Inhalte haben an Gewicht ver-loren. Auch Walter Leimgruber beobachtet diese Entwicklung: «Im Prin-zip ist Bologna die konsequente Fortführung der kapitalistischen Lei-stungsgesellschaft: Du bringst eine Leistung, dann erhältst du einenPunkt.» Ohne Belohnung wird kaum mehr etwas gemacht. Niemandmeldet sich für eine Exkursion an, die keine Kreditpunkte bringt, auchwenn sie von einem Mitstudenten initiiert und organisiert wird. Das istschade, meint der Professor, denn in den Geisteswissenschaften geht esgerade auch darum, Haken zu schlagen und einen anderen Blick auf dieWelt zu erhalten.

Tamara Posillipo sieht das genauso: «Ich belege eigentlich nur Veran-staltungen, die mich interessieren. Diese Freiheit nehme ich mir, dennes zwingt mich ja niemand, in der Regelstudienzeit fertig zu werden.»Auch das Auslandssemester in Seoul hat sie nicht für die Anerkennungim Studium gemacht, sondern um neue Erfahrungen zu sammeln. «Manmuss sich lösen von der Idee, nur für Punkte zu studieren», sagt Tama-ra. Natürlich lesen die meisten nur das Kapitel im Buch, das besprochenwird. «Aber dafür kann man ja nicht das System verantwortlich ma-chen.» Trotzdem ärgert sie sich über zu viele Kreditpunkte, die sie erar-beitet hat, die aber nirgends angerechnet werden. Kapital, das keinenErtrag bringt.

These 2: Bologna produziert stromlinienförmige Karrieristen.Der Berufsbildungsexperte Rudolf Strahm sagte einst in einem Inter-

view mit Surprise, mit Bologna sei es doch so: «Reinfüttern, rauskotzen,und wenn du genügend Kreditpunkte hast, bist du Akademiker.» Undder nächste Schritt, so stellt man sich vor, wäre dann der gut bezahlteJob in einer grossen Firma, wo man sich einordnet und die geforderteLeistung bringt.

Walter Leimgruber hat einen ganz anderen Eindruck. Die meistenseiner Studierenden haben keine beruflichen Ambitionen. «Das Bache-lorstudium ist zu einer langen Orientierungsphase geworden», stellt erfest. Viele Studierende wollen sich erst nach dem Diplom für eine be-stimmte Richtung entscheiden. Das bestätigt auch Markus Diem von derStudienberatung. Und das ist nicht nur beim Beruf so: Man will mög-lichst lange jung bleiben, keine Verantwortung übernehmen und alleOptionen offenhalten. Die Kehrseite davon ist ein Mangel an Durchset-zungsvermögen und Leistungsbereitschaft. Wer sich nicht festlegt, mussauch nie irgendeine Hürde überwinden. Die Frustrationstoleranz undKritikfähigkeit der Studierenden ist geringer geworden. Manche Studie-rende hören von Walter Leimgruber zum ersten Mal, dass ihre Recht-schreibung mangelhaft ist, und brechen ob der Kritik in Tränen aus.Auch das ist ein Zeichen der Zeit: «Wir räumen unseren Kindern jedenStein aus dem Weg und machen alles möglich», sagt Leimgruber. Man-che lernen nie, dass sie auch eine Eigenleistung bringen müssen. DerSchritt in die fordernde Arbeitswelt wird diesen jungen Menschen

schwerfallen. Und die strenge Struktur des Bologna-Systems mit demBachelor löst dieses Problem nicht, im Gegenteil. «Er ist eher eine wei-tere Streichelphase», findet Leimgruber «und das Aufwachen ist je spä-ter, desto härter.»

Tamara Posillipo sieht diese Einstellung nicht so negativ: «Karriereinteressiert mich nicht, weil ich diesem gesellschaftlichen Druck nichtnachgeben will.» Lieber will sie ihr Leben frei gestalten und sich im Stu-dium die dafür nötigen Denkweisen aneignen. Einem geregelten Jobnachzugehen kann sie sich nur schwer vorstellen. «Wir haben alle dieHoffnung aufgegeben, dass wir unser Wissen einmal anwenden kön-nen», sagt Tamara. «Wir probieren verschiedene Dinge aus, schauenüberall ein wenig rein. So lange das Geld für Miete, gutes Essen und Rei-sen reicht, ist uns das recht. Wir wissen, dass nichts sicher ist.»

«Das Studium ist das Kässeli, und die Kredit-punkte sind die Währung der Studierenden.»

Markus Diem

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These 3: Das freie Studentenleben von früher gibt es nicht mehr.Heute ist ein Vollzeitstudium straff organisiert.

Diese These bröckelt schon beim ersten Nachfragen. Denn die mei-sten Studierenden nehmen’s eher locker. Tamara Posillipo sitzt rund 15Stunden pro Woche in Seminaren und Vorlesungen. Mit Nachbereitenund Arbeiten-Schreiben macht das ein Pensum von rund 50 Prozent.Daneben hat sie immer zwei bis drei Jobs und arbeitet ein paar Stundenpro Woche als Hauswartin, als Nachhilfelehrerin, als Kassiererin oderals Projektmitarbeiterin. Da bleibt ihr noch viel Zeit zum Kochen −«heute haben alle ein Biogemüse-Abo» − für den Ausgang, für Shop-ping und Reisen. Das Studium ist nicht ihre Hauptbeschäftigung, findetsie, sondern nur ein Teil im gesamten Puzzle des Lebens. «Wir studie-ren, um das Leben frei gestalten zu können – und nicht, um später Kar-riere zu machen.»

Puzzeln als politisches Statement? Oder doch eher Angst, sich auf et-was richtig einzulassen? «Viele Studierende identifizieren sich nichtmehr mit ihrem Fach oder dem Institut. Siestudieren so nebenher und wollen sich nichtfestlegen», sagt Walter Leimgruber. Sie arbei-ten nicht, um sich das Studium zu ermög-lichen, sondern um ihren Lebensstandard zuhalten – die Reisen, das iPhone, die schickeTasche. Im Zentrum steht immer der Genuss.Mit dieser Haltung kann man sich zwar alleOptionen offenhalten. Aber man erlebt auch nie die Befriedigung, sichmit Haut und Haar auf etwas einzulassen. Das stimmt den Professornachdenklich: «Unsere Studierenden müssen aufpassen, dass sie nicht

abgehängt werden», sagt Leimgruber. Denn der akademische Nach-wuchs aus Deutschland, Osteuropa oder Asien ist eindeutig leistungs-bereiter. «Die wissen: wenn sie etwas erreichen wollen, müssen sie sichanstrengen.»

Fazit: Das Studium als Lifestyle-OptionBologna hat das Studentenleben in den Geisteswissenschaften nicht

komplett auf den Kopf gestellt. Aber die Studierenden haben sich ver-ändert. Studieren ist eine Lifestyle-Option, weniger eine Ausbildung fürdas Berufsleben.

Die Reglementierung und Ökonomisierung der Universitäten bedeu-tet insbesondere für die Dozierenden einen gewaltigen Verwaltungsauf-wand. Dem gegenüber steht der totale Individualismus vieler Studie-render in den Geisteswissenschaften, für die nur zählt, was im Momentgerade stimmt. Das ist ein Zeichen der Zeit: Ich lebe den Moment, neh-me das Beste zum günstigsten Preis und habe Spass. Mit der Individua-

lisierung einher geht die Anonymisierung des Studiums. Unser Institutwar ein zentraler Ort für uns, wo wir alle kannten, und alle kannten uns.Heute ist das anders. Man kommuniziert per E-Mail, arbeitet zu Hauseoder im Café. Wer aber keine Zeit im Institut, in der Bibliothek oder imGespräch mit den Dozierenden verbringt, wird sich nicht mit seinemFach identifizieren und auch kein besonderes Engagement zeigen. Dar-unter leidet die Wissenschaft.

Es gab auch früher gelangweilte Studierende, die sich nicht engagierthaben oder die mit der grossen Freiheit der Geisteswissenschaften nichtzurechtkamen. Die nahm man aber kaum wahr, und irgendwann mel-deten sie sich einfach ab. Bologna bietet diesen Studierenden klare Leit-planken und ein Diplom nach drei Jahren. So steigen sie nicht als Stu-dienabbrecher ins Berufsleben ein, sondern als Akademiker. Und das isteine gute Nachricht. ■

Die Bologna-Reform1999 unterschrieben die europäischen Bildungsminister in Bologna die«Bologna Deklaration». Darin erklärten sie die Absicht, bis 2010 eineneinheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Die wichtig-sten Ziele dieses einheitlichen Hochschulraums sind die Schaffung ar-beitsmarktrelevanter Qualifikationen für europäische Bürgerinnen undBürger, die Mobilität für Forschende und Studierende zwischen denUniversitäten und die Schaffung international vergleichbarer Abschlüs-se. Das Bologna-System sieht Hochschulabschlüsse auf zwei Stufenvor: Der Bachelor soll drei Jahre in Anspruch nehmen und eine Berufs-qualifikation bieten, während der Master als vertiefendes Studium aufdem Bachelor aufbaut und mindestens eineinhalb Jahre dauert.Akademische Leistungen werden mit Kreditpunkten (ECTS) honoriert.Ein Kreditpunkt entspricht einem Arbeitsaufwand von 30 Stunden; ineinem Studienjahr sollen 60 ECTS-Punkte erarbeitet werden. Im Herbstsemester 2009/10 haben alle Studierenden an einer universi-tären Schweizer Hochschule ihr Studium in einem Bachelorprogrammaufgenommen. An der Universität Basel, auf die wir für diesen Artikelfokussierten, gilt dies schon seit 2005. Hier haben die letzten Lizenti-atsstudenten ihr Studium diesen Sommer abgeschlossen.

«Wir haben alle die Hoffnung aufgegeben,dass wir unser Wissen einmal anwendenkönnen.»

Tamara Posillipo

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Jugend «Hauptsache Mitschwimmen» Der Basler Fotograf Rolf Walter Jeck führt fort, was sein Vater einst begann: Er rückt mit sei-ner Kamera immer wieder Kinder und Jugendliche ins Zentrum. So ist eine Bildersammlungentstanden, die über eine Zeitspanne von 80 Jahren Einblicke in die Welt der Jungen gibt.

«Vorunterricht 1945» von Lothar Jeck: Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die «Marschtüchtigkeit» der SchweizerJugend zwangsweise gefördert. Hier: Die vorder-

sten Läufer eines 10-Kilometer-Marsches, der im Rahmen des «militärischen Vorunterrichts» durchgeführt wurde, aus dem später «Jugend + Sport» hervorging.

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VON MENA KOST

Rolf Walter Jeck sitzt vor einem Kaffee im LoLa und streicht sich überseinen weissen Bart. Warum interessiert einen 77 Jahre alten Mann dieJugend? «Kindheit und Jugend sind derart prägende Zeiten im Leben je-des Menschen. Die Gesellschaft sollte mehr darüber nachdenken, unterwelchen Bedingungen sie stattfindet», findet der Basler Fotograf. An denWänden des Basler Quartiertreffpunkts LoLa hängen seine Bilder – unddie seines Vaters: seine hauptsächlich in Farbe, die des Vaters inSchwarz-Weiss. Die fotografischen Gegenüberstellungen der Epochen1930 bis 1950 und 1970 bis 2012 zeigen, wie sich die Zeiten gewandelthaben. Hier Pfadfinder, aufgenommen während des zweiten Weltkriegs:Sie transportierten auf einem Handwagen Stühle im Einsatz für die All-gemeinheit. Dort ein Bild des Basler Bierharassenlaufs 2010: Bei diesemTrinkspiel geht es darum, einen Harass Bier zu trinken, während maneine gewisse Strecke zurücklegt. Der Sieger erhält das Pfand aller insZiel gebrachten Harassen. Dann das belgische Flüchtlingskind, aufge-nommen 1941, das sich in einem Ferienlager in der Schweiz von denKriegswirren erholt. Und im Vergleich dazu eine lebhafte Schulklassewährend des Französischunterrichts an der Steinerschule Mayenfels inPratteln, aufgenommen 1986. Oder heutige Schulkinder, die als Direkt-betroffene die Bildungspolitik als Fasnachtsmotiv verwenden.

«Der Jugend wird und wurde sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt»,sagt Jeck und zieht seine Augenbrauen hoch: «Allerdings geht es dabei

fast immer ums Materielle.» Man versuche die Kinder von klein an aufdie Arbeitswelt vorzubereiten, die sie erwartet. «Früher galt Ordnungund Disziplin als wesentliche Vorbereitung. Heute sind Erziehung undSchulunterricht zwar freier, aber die Leistung steht immer noch imVordergrund. Der Eintritt in die Arbeitswelt ist schliesslich nicht leich-ter geworden.» Es werde alles dafür getan, dass die Kinder im Mainstre-am der Leistungsgesellschaft «mitschwimmen» können, das Wohlbefin-den des Kindes hingegen, seine individuelle Entwicklung, stehe nichtim Vordergrund. «Die Hilflosigkeit unserer Gesellschaft und die Über-forderung von Politikern und Polizei im Umgang mit den Jungen zeigtsich etwa in den Reaktionen der Erwachsenen auf die Revolten der Ju-gend», sagt Jeck und deutet auf ein Bild, das eine Frau zeigt, die vor demgeräumten alternativen Kulturzentrum Alte Stadtgärtnerei in Basel stehtund weint, aufgenommen 1988. «Viele Erwachsene haben nicht begrif-fen, dass man den Menschen an sich ins Zentrum des Lebens stellenmuss, nicht Erfolg, Leistung oder Prestige», sagt Jeck. «Viele meinen,wir seien heute weniger autoritätsgläubig als früher, aber bei genauemHinsehen entpuppt sich das als grosse Täuschung.» ■

«Kindheit und Jugend im Wandel». Die Ausstellung im Basler Quartierzentrum

LoLa, Lothringerstrasse 63, läuft noch bis 31. Oktober.

Führungen: Do, 27. September sowie Di, 9. und Do, 25. Oktober, jeweils 14.30 bis

15.30 Uhr.

«Kriegshilfsdienst 1942» von Lothar Jeck: Zwei Pfadfinder im Kriegshilfsdienst sind

mit dem Handkarren im Einsatz für eine «Züglete».

«Harassenlauf 2010» von Rolf Walter Jeck: Erstmals wurde der Basler Harassenlauf

1994 von einer Gruppe Skater ausgetragen.

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«Flüchtlingskind aus Belgien 1942» von Lothar Jeck: Ein vom Krieg gezeichnetes

belgisches Mädchen während eines Ferienaufenthalts in der Schweiz.

«Der erste Schultag 1936» von Lothar Jeck: Eine Mutter bringt ihren Sohn ins Basler

Gotthelfschulhaus.

Rolf Walter Jeck (* 1935) und Lothar Jeck (1898 bis 1983) In der Familie Jeck werden die Männer seit jeher Fotografen: SchonRolf Walter Jecks Grossvater hat damit seinen Lebensunterhalt ver-dient, dann sein Vater Lothar Jeck, und auch sein Sohn Valentin ar-beitet in der Foto-Branche.

Rolf Walter Jeck selbst, 1935 in Basel geboren, absolvierte die Foto-grafenlehre bei SINAR in Schaffhausen und den Cours de perfection-nement an der Fotoschule Vevey. 1961 legte er die Meisterprüfung ab.Zehn Jahre später übernahm er das Geschäft seines Vaters in Basel,welches er gemeinsam mit seiner Frau Verena bis 2000 führte. 1991war Rolf Jeck Mitgründer der Interessengemeinschaft für historischeFotografie Basel. Die aktuelle Fotoausstellung hat Rolf Walter Jeck auseigenen Arbeiten und Bildern aus dem Archiv seines Vaters konzipiert.Einige Archivbilder waren bisher nur als Negativ vorhanden und wur-den für die Ausstellung erstmals vergrössert. Lothar Jeck war 1925 bis1948 als freier Fotoreporter für Ringier unterwegs. Dabei sind viele Re-portagebilder von zeit- und sozialgeschichtlichem Wert entstanden: Erarbeitete zu den Themen Arbeitslosigkeit, Hitler wird Reichspräsident,Olympiade Berlin, Warschauer Ghetto, Generalmobilmachung, An-bauschlacht, Kriegszerstörung in Deutschland.«PISA? voll schreg!» aus dem Buch «Kreative Kinderfasnacht» 2009 von Rolf Walter

Jeck: Eine Schulklasse hat die PISA-Studie als Motto für die Kinderfasnacht auser-

koren.

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PopDie eigene kleine Welt derPet Shop BoysEin Vierteljahrhundert schon dauert die Gratwanderung der Pet Shop Boys zwischen hoher Kunst und der In-stant-Welt der Pop-Charts. Neil Tennant und Chris Lowe sind Meister im Wechselspiel von stilvoller Eleganzund schrillem Theater – alleweil verbunden mit unwiderstehlichen Ohrwürmern. Im Gespräch zum neuen, bit-tersüssen Album «Elysium» präsentiert sich das Duo unterhaltsam, auch wenn es nicht auf die eigentlichenFragen eingeht.

VON HANSPETER KÜNZLER

«Sie sind ja schon eine ganze Weile im Geschäft, aber allzu übel se-hen Sie noch nicht aus!» Ein Kompliment, wie es nur die nicht geradefür diplomatische Zurückhaltung bekannten Taxifahrer von London er-finden können. Oder: «Einige von Ihren frühen Sachen fand ich nochrecht gut.» Oder: «Warum machen Sie’s noch? Brauchen Sie etwa dasGeld?» Und zur Abrundung des munteren Geplauders beim Übergebendes Wechselgeldes: «Und wie war noch mal der Name?»

Das Zwielicht erinnerter Omnipräsenz – selten sind die herbstlichenGefühle eines Popstars, an den sich Menschen mittleren Alters allenfallsnoch aus ihrer Jugend erinnern, in prägnantere Worte gefasst worden.«Your Early Stuff» (Deine frühen Sachen) heisst das Lied, zu finden auf«Elysium», dem neuesten Album der Pet Shop Boys. «Jeden einzelnenSatz in dem Lied», schmunzelt der Autor des Textes, Neil Tennant, «hattatsächlich mal ein Taxifahrer zu mir gesagt. Es sind Sprüche, wie ichsie jeden Tag höre.» Tennant, 58, trägt das Lied in seinem unverkenn-baren, lakonischen Gesangsstil vor. Sein musikalischer Partner Chris Lo-

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we, der in diesen Tagen 53 wird, versieht es mit spacigem Bass, diskre-ten, mit Nile Rodgers’ Disco-Band Chic verwandten Streichern und ei-nem Hintergrundchor, der wie ein Engelsheer die Zeile «hey, what’syour name anyway» säuselt.

Solche melancholische Prägnanz ist im Umfeld von elektronischenBeats und Diskotheken rar. Doch bei den Pet Shop Boys war das immerso – schon bei der allerersten Single, dem super-trockenen Welthit«West End Girls» im Jahr 1984. Bei ihnen zählten nicht nur die Beatsund das Versprechen einer Party. In den Songswimmelte es auch von ironischen Zitaten ausdem biederen Alltag, dazu kam eine Palettevon Anspielungen und Verbindungen, dievom ur-englischen Romanautor Anthony Trol-lope (1815–1882) bis zu dem inzwischen ver-storbenen Filmemacher Derek Jarman undFragen der Sexualpolitik reichte. Das Londoner Duo schaffte dabei dasKunststück, dies alles in Popsongs und -shows zu verpacken, die fürsPublikum auch dann unvergesslich blieben, wenn es die Doppelbödig-keit des Gebotenen gar nicht wahrnahm.

Das neue Album «Elysium» ist in Los Angeles aufgenommen worden,aber die meisten Lieder komponierten Tennant und Lowe entweder imHotelzimmer während der letztjährigen Tournee (die man doch tat-sächlich als «Special Guests» der als Mittdreissiger wiederauferstande-nen Boygroup Take That absolvierte) oder in Berlin. «Wir verlassen Lon-don gern zum Arbeiten», sagt Tennant. «Es gibt weniger Ablenkung undes ist leichter, sich zu entspannen.» Am Anfang sei diesmal der Wunschgestanden, Musik mit mehr Wärme zu schaffen, mit viel Bass zum Bei-spiel, mehr Chorgesang im Hintergrund und Raum zum Atmen. Ihnenhatte der elektronische Sound von «808s Heartbreak», einem Album desRappers Kayne West, gefallen. So verpflichteten sie mit Andrew Dawsonkurzerhand den Mann als Produzenten, der dort als Toningenieur ge-wirkt hatte. «Ich höre aus dem Album ganz deutlich Los Angeles her-aus», erklärt Tennant. «So flauschige Backing Vocals gibt es nur dort. Soviel Raum hat es in unserer Musik bisher selten gehabt. Und auf zweiDritteln des Albums spielt ein Streichorchester mit – so subtil, dass manes kaum merkt. Aber Los Angeles ist nicht nur Sonnenschein. Die vie-len Läden ohne Kundschaft und die Armut auf der Strasse sind nicht zuübersehen …»

Der Blick auf die nächste Generation«Elysium» ist in der griechischen Mythologie die paradiesische Insel

am Rande des Erdkreises, wo die Götter ihre Lieblingshelden zur Be-lohnung hinschickten. Ein selbstironischer Scherz der Pet Shop Boysüber ihren Status im Pop-Firmament – alte Helden, die nun einem lu-xuriösen Ruhestand fernab vom Geschehen entgegenblicken? «Nach sovielen Jahren als Seele der Party», so singt Tennant im herrlich spät-sommerlichen Titel «Invisible», «ist es eigenartig, wenn man plötzlichunsichtbar ist … eigenartig, wie ich langsam aber sicher unsichtbar ge-worden bin. Goodbye …» Aber natürlich haben Tennant und Lowe zuviel Stil, als dass sie auf die Bedeutung ihrer Texte näher eingehen woll-ten: «Ich glaube, Texte sind gar nicht so wichtig», sagt Tennant. «Woraufes mir ankommt, ist der Klang. Schlechte Texte sind für mich Texte, de-ren Silben nicht mit den Beats zusammenpassen. Ich finde es faszinie-rend, wenn Fans in Brasilien jedes Lied Wort für Wort mitsingen kön-nen. Und wenn man später mit ihnen zu reden versucht, merkt man,dass sie kein Wort Englisch verstehen.»

Ein Gespräch mit Neil Tennant und Chris Lowe ist wie ein Vexier-bild. Höchst unterhaltsam zwar, aber auch ein bisschen frustrierend.Beide reden sie gern und bereitwillig. Der ehemalige MusikjournalistTennant wartet gewöhnlich mit den schlauen Pointen auf, Lowe mitden Scherzen. Dabei ergreifen beide jede Gelegenheit, der Essenz einerFrage auszuweichen, um sich mit grösstem Eifer über einen den Frage-steller überraschenden anderen Aspekt auszulassen. Etwa, wenn es um

«Ego Music» geht – ein Highlight des Albums –, mit dem Refrain «meme me me yes yes yes yes, you you you you, no no no no – ego music,it’s all about me». Ein Manifest der grossen Pop-Band Pet Shop Boys ge-gen die Popmusik von heute? «So weit würde ich nicht gehen», entgeg-net Tennant. Es sei halt «ein bisschen Humor auf einem ansonstenrecht ernsten Album». Ein Lied, wie es in den Achtzigerjahren die Pup-pen der satirischen englischen TV-Serie «Spitting Image» hätten singenkönnen. «Es ist der Blick von einer Generation auf die nächste. Es geht

um die Art und Weise, wie sich Texte heute um die Ich-Person im Lieddrehen», sagt Tennant weiter. «Heute singt man ganz direkt: ‹Ich hassedich für das, was du mir angetan hast.› Früher hätte man sich Mühe ge-geben, den Gedanken in ein poetisches Bild zu verpacken. Als JohnLennon ein Lied über seine Jugend schreiben wollte, kam ‹StrawberryFields Forever› heraus.» Es sei tatsächlich statistisch erhoben worden,dass das Wort «ich» in heutigen Songtexten bedeutend öfter auftrete alsnoch vor 20 Jahren, erklärt Lowe im Brustton der Überzeugung: «Ichmuss die Statistik suchen im Internet, damit ich sie das nächste Mal zurHand habe.»

«Wir wollen unsere Musik immer noch am Radio hören»Über die vielen Jahre ihrer Karriere hinweg haben die Pet Shop Boys

immer wieder mit den gerade angesagtesten Stars zusammengespannt,um Alben, Filme, Videos, aber auch Theaterstücke, Musicals und ge-waltige Live-Spektakel zu inszenieren. Auf der Tournee 1991 übernah-men David Alden und David Fielding von der English National OperaDesign und Kostüme, später stammte das Bühnendesign von der Künst-lerin Sam Taylor-Wood oder der Architektin Zaha Hadid. 2005 vertontendie Pet Shop Boys den Stummfilm-Klassiker «Panzerkreuzer Potemkin»neu, und sie produzierten eine Ballett-Adaption von Hans Christian An-dersens Märchen «The Most Incredible Thing», das im Sadler’s WellsTheatre aufgeführt wurde. Derzeit arbeiten sie zusammen mit dem Phil-harmonischen Orchester der BBC an einer Oper über das Leben vonAlan Turing, dem Erfinder des Computers, der seiner Homosexualitätwegen verfolgt und in den Selbstmord getrieben wurde.

Die Gratwanderung zwischen teetrinkenden englischen Gentlemenund schrillen Pop-Popanzen oder – im Fall von Lowe – wildem Party-Hengst hat ihnen nie Schwierigkeiten bereitet. Die herbstliche Stim-mung von «Elysium» scheint indes darauf hinzudeuten, dass das Duosich im bunten Pop-Treiben unterdessen eher als Aussenseiter wahr-nimmt. «Ha!», lacht Lowe auf und wendet sich Tennant zu. Darüberhätten sie doch erst vor ein paar Tagen gesprochen! Sie hätten Radiogehört und seien zum Schluss gekommen, dass sie nicht einmal mehrannähernd eine Verbindung hätten zu dem, was die anderen Popstarsso trieben. «Wir sind ganz in unserer eigenen kleinen Welt versteckt»,schliesst Lowe. Ein herrliches Elysium also, in welchem sie tun und las-sen können, was sie wollen? «Schon. Aber wir wollen unsere Musik im-mer noch am Radio hören!», entgegnet Tennant. Ein ironischesSchmunzeln spielt um seine Mundwinkel: «Natürlich aber, ohne dasswir irgendwelche Kompromisse eingehen müssten. Und das ist einschwieriger Trick.» ■

Pet Shop Boys: «Elysium» (EMI)

«Heute singt man ganz direkt: ‹Ich hasse dich für das, wasdu mir angetan hast.› Früher hätte man sich Mühe gege-ben, den Gedanken in ein poetisches Bild zu verpacken.»

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und Getränkewunsch, durch die Passagierrei-hen geschoben. Immer wieder gerät der Rhyth-mus ins Stocken, weil die Sprachen sich ver-heddern. Nachdem das Wägelchen dreimalnacheinander auf Nicht-Deutschsprachige ge-stossen ist, deren fragender Miene auch mitEnglisch und Französisch nicht beizukommenwar, landet es neben meinem Bruder. Die Kun-denorientierung der Begleiterin lichtet sich füreinen Moment und basale Zeigegesten kom-men zum Vorschein: Sie hält ihm eine Käse-und eine Fleischvariante vors Gesicht undwackelt etwas damit. Er greift nach Käse, undseine Fünf- bis Sechssprachigkeit guckt dummaus der Wäsche.

Bei der Landung ist unsere Akklimatisie-rung an Schweizer Verhältnisse weitestgehendvollzogen: Nur vereinzelt ist erleichtertes Klat-schen zu hören, mit dem die schlechter Inte-grierten dem Piloten ihre Dankbarkeit zeigenwollen. Die Mehrheit jedoch nimmt die siche-re Landung als technische Tatsache hin undgibt sich unbeeindruckt. Schweizer, Schwedenund jetzt auch wir können fliegen, wie wennwir Fahrstuhl fahren würden.

SHPRESA JASHARI

([email protected])

ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING

(RAHELEISENRING.CH)

Der Flieger Skopje-Kloten steht bereit. Eineriesige Metallpatrone, die uns nach dem Ur-laub in den Schweizer Alltag und ins alltäg -liche Ausländersein zurück schiessen wird.Während der paar Wochen in Mazedonienkonnte man sich davon erholen und Selbstver-ständlichkeit tanken: Keiner fragt, was das fürein Name sei, woher man komme, seit wannman da sei.

Beim Einsteigen schlagen uns gutgelaunte,kehlige oder gerollte Grüezis aus den rot be-malten Mündern der Flugbegleiterinnen entge-gen. Es handelt sich um dezent parfümierte,geduldige Krankenschwestern, die unserenWiedereintritt in die helvetische Atmosphäreprofessionell begleiten werden. Zögernd grüs-se ich zurück, mein Kehlkopf wehrt sich nochein wenig und überspringt das tiefsitzendeSchaffhauser «r». Anders der junge Mann hin-

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Fremd für DeutschsprachigeSchweizer Luft

ter mir: Aus seinem Hals läuft es in breitem Zü-richdeutsch heraus, als würde er darin ein nas-ses Handtuch auswringen.

Wir schlüpfen wieder ins Albanische, alswir unsere Plätze suchen und ein paar Scherz-worte wechseln. Noch darf man das doch?Hier ist Albanisch noch allen Ohren vertraut,klingt nicht komisch, stört nicht und hat nichtsmit Rasern aus Gratiszeitungen zu tun. Esherrscht ausgelassene Privatheit, und der un-bekannte Sitznachbar wird ohne einleitendeEntschuldigung angesprochen.

Aber die kulturellen Territorialverhältnissesind bereits nicht mehr eindeutig. Gehört dasInnere dieser Kapsel noch zum mazedonisch-albanischen oder schon zum Schweizer Ho-heitsgebiet? Sind wir schon Ausländerinnen?

Die Türen werden geschlossen und die Crewübernimmt routiniert die Kontrolle: Handge-päck wird verstaut, Sicherheitsgurte werdengeprüft, Zwischenverpflegung wird verteilt. Alldas natürlich mit dem Anspruch, uns Migran-ten, die balkanischen Berufstouristen, nichtspüren zu lassen, dass man uns für wenigerkultiviert oder niveauvoll halten könnte als et-wa den schwedischen Freizeittouristen mit sei-ner in helle Leinenstoffe gehüllten Kleinfamilie.Die alpenländische Willkommenswärme sollallen Passagieren in gleichmässiger Professio-nalität entgegenströmen.

Das Wägelchen mit der Verpflegung wird,rhythmisiert durch die Frage nach dem Essens-

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FreiluftkunstDie Leuchttürme der Kultur

VON MONIKA BETTSCHEN

Kopfüber baumeln Tannen anstelle der Bügel an einem Skilift. DerBlick verfängt sich in dieser humorvollen Auflösung des Oben und Un-ten bevor man merkt, dass die Bäume aus Plastik sind. Die Arbeit «Sem-pervirent» von Martin Jakob ist eines von insgesamt 18 Werken, die ei-nen Rundweg zwischen der Bergstation und dem Hotel Belalp rund2000 Meter über Meer säumen. Entlang einer halbstündigen Stre cke fü-gen sich Skulpturen, aber auch Installationen und performative Arbei-ten zum Thema «Über der Baumgrenze» in die Walliser Bergwelt in un-mittelbarer Nähe zum Aletschgletscher ein. Geschaffen wurden dieseWerke von Masterstudierenden der Schule für Gestaltung Wallis und derHochschule Luzern Design & Kunst. «Die Baumgrenze definiert nichtnur den Wechsel in eine andere Klimazone, sondern ist auch ein visuellreizvoller Übergang. Und über dieser Linie treten neben den Bergenauch Erhebungen wie Lawinenverbauungen oder Skilifte besondersmarkant hervor», beschreibt Hannes Brunner, Leiter des «Skulpturen-weg Belalp», das gross angelegte Projekt. Die touristische Erschliessungder Belalp ab dem 19. Jahrhundert und die veränderte Sicht auf den Al-penraum seither werden ebenso thematisiert wie der Klimawandel undder damit einhergehende Gletscherschwund. So spuckt etwa die mit So-larenergie betriebene Maschine «Ice Cube» von Walter Eigenheer umsomehr Eiswürfel aus, je stärker die Sonne scheint, und hinterfragt mitdiesem paradoxen Effekt die globale Erwärmung auf hintergründige Art.Daneben gibt es aber auch Arbeiten, die reglos bleiben, wie zum Bei-spiel die Betonskulpturen dreier Hunde. Es handelt sich dabei nicht umirgendwelche Vierbeiner, sondern es sind Nachbildungen der Dachs-hunde der dänischen Königin Margarethe und des Prinzen, geschaffenvon der dänischen Künstlerin Christina Jonsson. In würdevoller Haltungüberblicken sie, stellvertretend für die gekrönten Häupter, die ebensomajestätischen Berggipfel und den Aletschgletscher. Helike, Vega undEvita, wie die drei heissen, drücken jene eigentümliche Ergriffenheitaus, welche Reisende aus aller Welt überkommt, wenn sie hoch über derBaumgrenze aus der Gondel steigen und dieses traumhafte Panoramaerblicken.

Von stiller und monumentaler Erhabenheit sind auch die Skulpturenan der 5. Triennale der Skulptur in Bad Ragaz. Die Objekte von 80Künstlerinnen und Künstlern aus 17 Ländern verschmelzen traum-wandlerisch mit der Umgebung des berühmten Kurortes und regen zurentspannten Begegnung mit den gezeigten Arbeiten an. «Die Skulpturwird innerhalb des Kunstbetriebs oft unterbewertet. In diesem schnel-len Markt finden vornehmlich Gemälde und Grafiken Beachtung, wäh-rend die Skulptur ein Nischendasein führt», stellt Rolf Hohmeister,Kunstmäzen aus Leidenschaft und Mitbegründer dieser einzigartigenAusstellungsreihe, fest. Gemeinsam mit seiner Frau Esther sowie einer

Projektgruppe, bestehend aus Familienmitgliedern und Freunden, ist esihm deshalb zur Berufung geworden, alle drei Jahre die wahre Bedeu-tung der Skulptur sinnlich erfahrbar zu machen. «Skulpturen sind dieLeuchttürme in der Kultur. Ihre Geschichte reicht bis in die Antike zu-rück, man denke nur an die Pyramiden. Solche Werke überdauern denschnelllebigen Zeitgeist der Epochen», so Hohmeister. Auf diesen Über-legungen gründet denn auch das diesjährige Motto «Werte sehen – sehenswert». Bad RagARTz möchte jedermann fernab von starren mu-sealen Grenzen ansprechen. Objekte wie zum Beispiel jenes von PascalSuter und Christiane Bult veranschaulichen, welche Werte bejaht undwelche hinterfragt werden sollen. Die Skulptur der beiden Kunstschaf-fenden ist ein Stuhl, der auf meterhohen verlängerten Beinen in die Hö-he ragt. Ein einsamer Thron. Auch die Kunst läuft manchmal Gefahr,sich unverstanden auf einen Elfenbeinturm zurückzuziehen. Damit diesgar nicht erst geschieht, gibt es für Rolf Hohmeister nur eine Lösung:«Kunst soll nicht nur eine intellektuelle Elite erreichen, sondern alleMenschen berühren.» Ein Ziel, das der Kunstliebhaber und sein Teamauch dieses Jahr mit Sicherheit erreichen werden. ■

Skulpturenweg «Über der Baumgrenze», noch bis 7. Oktober auf der Belalp,

www.belalp.info

Bad RagARTz «Werte sehen – sehenswert», noch bis 4. November in Bad Ragaz,

www.badragartz.ch

Dem Weihnachtsbaum stehen die Nadeln zu Berge: «Sempervirent» von Martin Jakob.

Ein Skulpturenweg auf der Walliser Belalp und das international bekannte Bad RagARTz locken ihre Besucherzum herbstlichen Kunstgenuss in die freie Natur.

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Kulturtipps

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BuchEin unseriöser Herr von FormatZum ersten Todestag Loriots verneigen sich 73 Karikaturisten mitüber 100 Cartoons vor dem grossen Humoristen.

VON CHRISTOPHER ZIMMER

Der Karikaturist, Schauspieler und Regisseur Vicco von Bülow, bekanntals Loriot, stammte aus altem mecklenburgischem Adel. Und da dieserbekanntlich verpflichtet, tat er das, was er am besten verstand, nämlichdie Menschen zum Lachen zu bringen, mit der gebotenen Noblesse.Sein Humor adelte die Menschen, da er sie zwar dazu trieb, die Maskenfallen zu lassen, sie aber nicht blossstellte. Stets wahren seine Protago-nisten ihre Würde im täglichen Kleinkrieg gegen die Tücken des Objektsund die Fallstricke der Kommunikation. Das macht seine Szenen ausdem Alltag, dem Familienleben und der bürgerlichen Gesellschaft, seineCartoons, Sketche und Filme so liebenswert und unvergänglich. Kein Wunder also, dass viele seiner Einfälle, Figuren und Formulierun-gen sprichwörtlich geworden sind. Das Jodeldiplom und der Kosaken-zipfel, die Nudel und die Steinlaus, die suizidfördernde Sitzgruppe unddie zwei Herren im Bade, «Ein Klavier, ein Klavier!» und «Das Bild hängtschief!», die Titel seiner beiden Spielfilme «Ödipussi» und «Papa anteportas» bis hin zum schlichten und doch so aussagekräftigen «Achwas!» – all das und noch vieles mehr ist längst Allgemeingut geworden.Vor einem Jahr, am 22. August 2011, starb Loriot. Anlässlich des erstenTodestages haben sich nun 73 Künstler und Künstlerinnen der spitzenFeder für «eine Hommage an einen unseriösen Herrn von Format» zu-sammengetan. In über 100 Cartoons variieren sie auf spielerische WeiseMotive und Figuren aus Loriots Werk und verneigen sich damit vor ei-nem der grössten Humoristen Nachkriegsdeutschlands.Das Rennen um das beliebteste Motiv teilen sich, wie zu erwarten, dieNudel und die Herren im Bade nebst obligater Ente. Aber auch Loriotselbst wird des Öfteren zum Sub- oder Objekt seines eigenen Witzes.Dass sich dabei nicht selten der liebe Gott hinzugesellt, ist den gegebe-nen Umständen geschuldet. Das Schlusswort in diesem zwerchfellkit-zelnden Büchlein aber hat – wohl ganz im Sinne ihres bescheidenenSchöpfers – die Nudel. Ach was!Steffen Gumpert und Denis Metz (Hrsg.): Cartoons für Loriot. Lappan 2012.

18.90 CHF

DVDBrutale ZweisamkeitEin Mann entführt einen kleinen Buben, sperrt ihn ein und miss-braucht ihn. Aus dieser Story hätte ein oberflächlicher Schockerwerden können. Markus Schleinzer hat sie dagegen als kontro-verses Drama inszeniert.

VON PATRICK BÜHLER

Michael (Michael Fuith) ist ein irgendwo in den 30ern stehender Versi-cherungskaufmann, angepasst, langweilig, durchschnittlich, gut in sei-nem Job. In einem tristen Vorort von Wien hält er in einem Kellerver-lies den zehnjährigen Wolfgang (David Rauchenberger) gefangen undvergeht sich sexuell an ihm. Sein Doppelleben weiss er perfekt zu ver-bergen. Er habe keinen Genre-Film machen wollen, sagt der RegisseurMarkus Schleinzer über sein Regiedebut, dies wäre ihm zu oberflächlich,zu glatt und banal gewesen. Vielmehr geht es ihm darum, den Alltagzwischen einem erwachsenen Mann und einem entführten Kind zu zei-gen, welche sich als Täter und Opfer begegnen: vom gemeinsamen Es-sen, Puzzlespielen, Weihnachtsliedersingen über den Ausflug in denStreichelzoo, alles im Kontext des totalen pädophilen Abhängigkeitsver-hältnisses. Dies hätte auch ein voyeuristischer Schuss nach hinten wer-den können. Dank der präzisen Kameraarbeit und der dramaturgischzurückhaltenden Inszenierung wird der Film aber zu einer Tour de For-ce, in der sich viel hinter den nüchternen Bildern abspielt: ein verstö-rendes Täter-Psychogramm, gezeichnet ohne jegliche Empathie. Das österreichische Filmschaffen zeigt generell wenig Berührungsängsteund eckt immer wieder mit tabubrechenden Themen an. Schleinzer, derehemalige Schauspieler und Casting-Direktor, der unter anderem an Mi-chael Hanekes «Das weisse Band» mitgearbeitet hat, ist allerdings mitviel Fingerspitzengefühl an die Geschichte herangegangen. Eine foren-sische Psychiaterin, welche sich auf Missbrauchstäter spezialisiert hat,hat den Film fachlich begleitet und schreibt in einem begleitenden Es-say zur DVD: «Dort, wo keine sozial verträglichen Mechanismen erlerntwurden, werden wir immer wieder fassungslos von unglaublichen Ver-brechen hören.» «Michael» wurde letztes Jahr an den Filmfestspielenvon Cannes gezeigt und mit dem Max Ophüls Preis 2012 ausgezeichnet. Markus Schleinzer: «Michael» (Österreich 2011), 92 Min., mit Michael Fuith,

David Rauchenberger u. a., Sprache: Deutsch

Extras: Interviews mit Markus Schleinzer und Michael Fuith, inkl. Booklet mit

Essays zum Film

www.michaelfilm.com

Mit viel Fingerspitzengefühl: Ein Film darüber, wie ein Mensch zerstört wird.

Der Herr von Format sprengt den Rahmen.

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Die 25 positiven FirmenDiese Rubrik ruft Firmen und Institutionenauf, soziale Verantwortung zu übernehmen.Einige haben dies schon getan, in dem siedem Strassenmagazin Surprise mindestens500 Franken gespendet haben. Damit helfensie, Menschen in pre kären Lebensumstän-den eine Arbeitsmöglichkeit zu geben undsie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zube g leiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? DieSpielregeln sind einfach: 25 Firmen werdenjeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jenerBetrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet

werden?

Mit einer Spende von mindestens 500 Franken

sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3,

Verein Surprise, 4051 Basel

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Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag.

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Balcart AG, Carton Ideen Lösungen, Therwil

Psychiatrische Dienste Aargau AG (PDAG)

Locher, Schwittay Gebäudetechnik GmbH, BS

fast4meter, storytelling, Bern

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

Schweiz. Tropen- und Public Health-Institut, BS

seminarhaus-basel.ch

Supercomputing Systems AG, Zürich

AnyWeb AG, Zürich

VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

Cilag AG, Schaffhausen

Coop

Zürcher Kantonalbank

Kibag Management AG

Knackeboul Entertainment

Brother (Schweiz) AG

Musikschule archemusia, Basel

Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

Proitera GmbH, Betriebliche Sozialberatung, BS

responsAbility Social Investments AG

BEVBE Ingenieurbüro, Bonstetten

Judith Turcati, Englischunterricht, Wila

Axpo Holding AG, Zürich

Unternehmensberatung AbtConsulting, Wohlen

Kaiser Software GmbH, Bern

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Piatto fortePrima PastaTeigwaren sind die Allzweckwaffe der Küche. Einfach, schmack-haft, stets zur Hand. Doch in richtig guter Pasta steckt viel Wissenund Handwerk.

VON TOM WIEDERKEHR

«Italiener denken immer nur an zwei Dinge. Das andere sind Spaghet-ti …» Das meinte zumindest Catherine Deneuve. Grund genug, uns etwasgenauer um Pasta zu kümmern. Eines ist allen gekauften und getrockneten Teigwaren, also der klassi-schen «pasta asciutta», gemein: Sie werden immer aus Hartweizenmehlhergestellt, sofern es nicht Spezialitäten aus Dinkel oder Vollkorn sind.Im Gegensatz zum Weichweizen, welcher vor allem in unseren Breiten-graden angebaut wird, hat der Hartweizen einen deutlich höheren An-teil an Klebereiweiss, dem Gluten. Das ist für die Elastizität des Teigesverantwortlich. Je höher der Kleberanteil, desto besser lässt sich der Pa-stateig verarbeiten und formen. Aus diesem einst so klassischen Produkt hat sich in der Zwischenzeitein veritables Lifestyle-Produkt entwickelt. Der Vielfalt an Formen undFarben scheinen kaum mehr Grenzen gesetzt. Mit Ausnahme der ge-walzten Varianten wie Nudeln und natürlich der gefüllten wie Ravioliwerden alle Pastaformen durch Pressscheiben «gezogen». Die Ziehungbildet neben den Rohmaterialien den wichtigsten Faktor für die Qualitätder Pasta. Die Umsetzung erfolgt mit der «trafila»: Die Knetmasse wirddurch geformte Löcher gepresst, die die Teigwaren in die gewünschteForm bringen. Pastaliebhaber wissen, dass die Pressscheiben der «trafi-la» aus Bronze gefertigt sein müssen. Nur so bekommt die Pasta diesefein strukturierte Oberfläche, die es für eine optimale Verbindung mitder Sauce braucht.Welche Pastaform bevorzugt wird, bleibt dem Koch und seinen Gästenüberlassen. Grundsätzlich passen fein strukturierte Saucen wie ein klas-sischer Tomatensugo oder ein Pesto Genovese besser zu langen Teigwa-ren wie Spaghetti oder Linguine, da sich hier die Sauce gut mit der Pa-sta verbinden kann. Wenn gröbere Zutaten wie die fingerdicken Auber-ginenstücke in der «salsa alla norma» verwendet werden, bietet sicheher «pasta corta» wie Penne oder Rigatoni an: So lassen sich sowohlGemüse wie auch Pasta gut mit der Gabel aufstechen. Und falls es Sau-cen mit geschmolzenem Käse oder Rahm sind, dann sind oft Fusilli oderFarfalle die richtige Wahl, da sie über ihre spezielle Form die Sauce ambesten an sich binden.Bezugsquellen und Rezepte: http://piattoforte.ch/surprise

Der Geniesser weiss: Pesto zu Spaghetti, Auberginen zu Penne.

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Ausgehtipps

WinterthurÜber die SchallgrenzenEigentlich braucht Oliver Ackermann nicht sel-ber Krach zu schlagen. Als Gründer der FirmaDeath By Audio beliefert er schon seit zehnJahren Bands wie U2, Wilco und Nine InchNails mit Effektpedalen. Doch irgendwannwollte er nicht mehr nur die Gerätschaften be-reitstellen, sondern eigenhändig die Schallgren-zen erweitern. Und so erspielte er sich mit APlace To Bury Strangers schnell den Ruf als lau-teste Band von New York. Das Trio spielt eineeruptive Mischung aus Wave und Noise. Patestehen unüberhörbar Jesus And The MaryChain, die in den Achtzigerjahren neue Mass-stäbe im exzessiven Einsatz von Hall und Ver-zerrung setzten. Oliver Ackermann treibt die-sen Sound mit seinen Effektgeräten noch wei-ter in die Extreme. Zwischendurch zieht er dasTempo an und verwandelt tendenziell schlurfi-gen Shoegaze in tanzbare Klanggewitter. DieSongs sind brachial und konfrontativ, dochweil sich im Lärm immer wieder unwidersteh-liche Melodien winden, hält man die Ohrenhin, bis es pfeift. (ash)Mo, 24. September, 20 Uhr, Salzhaus, Winterthur.

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Eruptiver Lärm: A Place To Bury Strangers.

BaselMonstermässigKinder spielen manchmal den ganzen Tag langmit Monstern in allen Formen und Farben; sie sind enge Vertraute, die die Kleinen ausZeichentrickfilmen und Büchern kennen. Dra-chen und Fabelwesen bevölkern Werbung,Comics und Jugendliteratur; Vampire leben inunzähligen Geschichten unter Menschen. Sowerden Monster freundschaftlich in die Ge -sellschaft integriert – ihre Monstrosität kommtdabei abhanden. Gleichzeitig gewinnt diemetaphorische Bezeichnung «Monster» an Be-deutung und wird auf moralisches Verhaltender Menschen angewandt. Bei Familiendra-men wie erweitertem Suizid oder in Miss-brauchsfällen ist schnell vom Monster die Re-de, das die Tat begangen hat.Die Gruppenausstellung «How to Make a Mon-ster» erforscht, was ein heutiges Monster seinkann und wo dessen Ursprünge und Abgründeverborgen liegen. Jay Rechsteiner arbeitet ausseiner eigenen Biografie, Tarek Abu Hageb, derislamisch-christliche Wurzeln hat, beschäftigtsich mit politischen und religiösen Aspekten,und Eddie Haras Malerei mutet ein wenig wie ei-ne Traumwelt an: Seine traditionell indonesischinspirierten Monster sind eigentlich verspielte,aber nicht gänzlich harmlose Monsterchen. (dif)«How to Make a Monster», noch bis Do, 4. Oktober,

High Voltage, Zelle 40, Markthalle Basel.

Künstler-Workshops am So, 23. und

So, 30. September, 13.30 bis 16.30 Uhr,

Artist Talk am Mi, 26. September, 18.30 Uhr.

www.howtomakeamonster.ch

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Jay Rechsteiners freundliche Monster Boys.

Auf TourEntdeckungsreiseArbeitgeber von entdeckungsfreudigen Musik-liebhabern sollten sich nicht wundern, wennihre Angestellten in der letzten Septemberwo-che übernächtigt wirken. Diese Leute haben’snämlich streng. Das Clubfestival This Is Tigerrüberflutet das Land mit Konzerten. Von Genfüber Bern, Basel und Zürich bis St. Gallen be-suchen Newcomer aus dem In- und Ausland17 Klubs in neun Städten. Insgesamt tretenüber 40 Bands bei fast 100 Konzerten auf. Da-bei gilt die Regel: Jeder Act spielt in der jewei-ligen Stadt seinen ersten Auftritt. Bekannt sindfolglich die wenigsten Musiker, doch das könn-te sich schnell ändern, spielten doch bei frü-heren Konzerten unter dem Banner This Is Ti-gerr Acts wie James Blake und Anna Calvi ih-re ersten CH-Gigs. Stilistisch bewegen sich vie-le Künstler zwischen Folk und Songwritertum,doch auch Indie- und Elektropop-Freaks kom-men mit Newcomern wie dem Ein-Frau-Pro-jekt Foxes (Bild), das in Zürich, Lausanne undLuzern zu erleben ist, auf ihre Kosten. Es wirdspannend und schlafen kann man dann imOktober wieder. (ash)This Is Tigerr Fest #1: 24. bis 30. September,

verschiedene Orte und Lokale.

www.thisistigerr.ch

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Macht den Tiger: Newcomerin Foxes.

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ZürichTheater für 16 Franken Kunst ist für alle da! Diese Erkenntnis hat die neue Leitung der Gess-nerallee dazu gebracht, von der neuen Spielzeit an für mindestens einJahr einen Einheitspreis von 16 Franken einzuführen. Theater soll soselbstverständlich sein wie ein Kinobesuch und ist zu diesem Preis no-tabene erst noch billiger. Die neue Saison beginnt mit einem Eröff-nungsprogramm über zehn Tage, und zu sehen gibt’s internationaleProduktionen: Zeitgenössischen Tanz von Emanuel Gats; dann mit«(M)IMOSA/Twenty Looks or Paris is Burning at the Judson Church(M)» eine trashige Show, die ins wilde New York der Sechzigerjahreführt; die begehbare Installation «Warten auf die Barbaren» von Domi-nic Huber; machina eX lassen die Zuschauer über Avatare den Dach-boden bespielen, Sibylle Polster ermöglicht in «Strangers in a Song»musikalische Telefongespräche mit Zürcher Opernsängern und 400asaladen ins Perla-Moda zur «Entfernung» ein. Und vieles mehr. Für 16Franken. (dif)Saisoneröffnung an der Gessnerallee Zürich ist am 21. September.

www.gessnerallee.ch

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Nein, nicht USA-Ferien. Sondern «Warten auf die Barbaren».

— www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33 —

BernGlück aus weisser TinteZwei Ritter auf der Suche nach dem Glück. Das klingt nach Kinderthe-ater, ist es aber nicht, schliesslich hat sich mit dem Glück schon Aristo-teles beschäftigt. Und Woody Allen. Letzterer meinte: «Das Glückschreibt nur mit weisser Tinte.» Und weil es eben so unfassbar ist, ma-chen sich die Glücksritter im Tojo Theater nun auf, es zu finden. Sie rei-sen durch die Wogen von Gefühl und Verstand. Sie lernen ihre Begier-den dabei erst so richtig kennen, blicken dem Tod ins Gesicht, hadernmit dem Schicksal und versuchen der Versuchung zu widerstehen. Siefragen: Ist Glück lernbar? Die beiden Ritter werden es selber herausfin-den müssen. (dif)«Eliminate Happiness», Mi, 3. Oktober bis Sa, 6. Oktober, jeweils 20.30 Uhr,

Tojo Theater Bern. www.tojo.ch

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Ist Glück lernbar?

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AUFGEZEICHNET VON FLORIAN BLUMER

«Die schönsten Erlebnisse in meinen 15 Jahren Surprise waren dieStrassenfussball-Weltmeisterschaften 2003 in Graz und 2004 in Göte-borg. Das war das Grösste, dass ich dort dabei sein durfte. Wir fuhrenmit dem Zug nach Graz, dort wurden wir abgeholt. 18 Mannschaftenwaren dabei. Wir spielten gegen die USA, gegen die Russen … das warschön. Leider machten wir den letzten Platz. Aber wir gewannen denFairnesspreis – einen grossen Pokal gab das!

Seit dem dritten Heft bin ich bei Surprise dabei. Am Anfang gab esnoch nicht so viele Verkäufer und man konnte noch mehr Hefte ver-kaufen. Ich war sehr motiviert: Es gab einen Tag, da war ich 16 Stundenunterwegs, mit drei Pausen dazwischen. Heute habe ich nicht mehr soviel Ausdauer wie früher, körperlich wie psychisch. Ich habe viel mit derPsyche zu tun. Ich nehme Tabletten, und die machen mich sehr müde.Es sind starke Medikamente: Meine Frau hat mal eine kleine Tablette ge-nommen – ihr wurde gleich schwindlig davon. Heute sind schon zwei,drei Stunden verkaufen viel für mich. Dann bin ich müde und alles tutmir weh: die Gelenke, der Rücken …

1983 bin ich von Steinhausen im Kanton Zug für die Fasnacht nachBasel gekommen – und gleich geblieben. Ich konnte bei einem Kollegenin Muttenz wohnen. Nach drei Monaten musste ich dort weg. Weil ichkeine Wohnung hatte, schlief ich im Tramhäuschen am Aeschenplatz.Das war auch schön. Viele Leute brachten mir Essen und Geld. Ich wardamals noch Alkoholiker. Aber seit 15 Jahren trinke ich keinen Tropfenmehr, null und nichts. Am Aeschenplatz gefiel mir, dass es andere Al-koholiker hatte, unter ihnen fühlte ich mich wohl. Es gab fast nie Läm-pe, es war immer tipptopp. Nach zwei Monaten vertrieb mich die Poli-zei von dort, dann schlief ich einen Monat lang beim St. Albantor untereinem Baum. In dieser Zeit las ich in der Basler Zeitung, dass in Birs-felden ein Obdachlosenhaus aufmacht. Da bin ich losmarschiert und ha-be gefragt, ob ich dort wohnen kann. Sie willigten ein. Zwei Jahre undeinen Monat blieb ich dort. Dann suchte ich eine Wohnung, und nachdrei, vier Mal Vorstellen hatte ich schon eine Zusage. Das war im Sep-tember 95 – da war fertig mit obdachlos.

Fast so lange wie ich Surprise verkaufe, seit sicher 13 Jahren, macheich auch schon den Zusatzjob der Heftausgabe am Bahnhof. Jeden Mon-tag bis Freitag von vier bis halb sechs können Verkäufer bei mir Heftekaufen. Das ist gar nicht so einfach, wie es vielleicht klingt: Ich mussdie Abrechnung machen und zweimal pro Woche zur Post, um das Geldeinzuzahlen. Das ist eine ziemlich grosse Verantwortung.

Im alten Bahnhof gefiel es mir besser als jetzt. Da gab es noch denLuminator von Jean Tinguely, vor dem habe ich verkauft. Die Leute wa-ren damals besser verteilt, die einen gingen oben durch, die anderen un-ten. Und sie waren weniger gestresst als heute. Bis vor zwei, drei Jah-ren durften wir auch noch ausrufen am Bahnhof. Nach dem Verbot liefder Verkauf schlechter. Die Leute konnten nicht verstehen, dass die SBBdas untersagten. Das hat wohl einem höheren Kopf nicht gepasst.

«Sie verkaufen doch Surprise, oder?» Auch ohne Ausweis oder Hefte in der Hand erkennen ihn die Basler. KeinWunder: Peter Gamma verkauft seit September 1997 im Bahnhof Basel Surprise. 15 Jahre ohne Unterbruch.

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VerkäuferporträtDer Mann der ersten Stunde

Sonst fällt mir kein negatives Ereignis ein. Aber 15 Jahre Surprise, dashängt schon an. Ich habe nicht mehr ganz so viel Freude am Verkaufenwie früher. Aber ich bin gerne unter den Leuten. Mit vielen Kundenwechsle ich ein paar Worte: Wie es geht, über den FCB … MeinenStammkunden bin ich sehr dankbar. Es sind 50, 60, die ihr Heft jeweilsbei mir kaufen. Die meisten sind sehr grosszügig, viele geben mir Trink-geld. Ohne Surprise wäre es sehr schwer für mich. Wenn es gesund-heitlich geht, dann mache ich weiter, solange es Surprise gibt – sichernoch zehn Jahre!» ■

Lieber Peter, das hoffen wir – mindestens! Wir danken dir für deine Treueund dein Engagement und gratulieren ganz herzlich,

Das Surprise-Team

Peter Gamma mit einem neueren Heft und dem ersten Magazin, das er verkaufte: Es

war die dritte Ausgabe von Surprise.

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Kurt BrüggerBasel

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Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hat-ten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt habenund ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkaufdes Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation.Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neueSelbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialpro-gramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausge-wählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufen-den erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und werden beiProblemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft lei-sten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Ver-dienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise!

Anja UehlingerAargau

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30 SURPRISE 284/12

Impressum

HerausgeberVerein Surprise, Postfach, 4003 Baselwww.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9–12 Uhr, Mo–DoT +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 [email protected]äftsführungPaola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) AnzeigenverkaufT +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 [email protected] T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99Reto Aschwanden, Florian Blumer, Diana Frei (Nummernverant wort liche), Mena Kost [email protected]ändige MitarbeitRosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Ei-senring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz,Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher ZimmerMitarbeitende dieser AusgabeMonika Bettschen, Patrick Bühler, Janine Kern, Hanspeter Künzler, Irene Meier, Dorothee Minder, Dominik Plüss, Roland SoldiGestaltung WOMM Werbeagentur AG, BaselDruck AVD GoldachAuflage15000, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./JahrMarketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Oscar Luethi (Leitung), Melanie Oberli

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83, M +41 79 428 97 27Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, [email protected]üro ZürichT +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, [email protected]üro BernT +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, [email protected] T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99Paloma Selma, [email protected] T +41 61 564 90 10, F +41 61 564 90 99Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat, David Möller [email protected], www.strassensport.chVereinspräsident Peter Aebersold

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugs weiseoder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von derRedaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt.

Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsen-dungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichneteVerkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträ-ge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder demSpender – allen Verkaufenden zugute kommen.

Surprise ist:

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialenSchwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit.Surprise hilft bei der Integration in den Ar-beitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsitua-tion, bei den ersten Schritten raus aus derSchuldenfalle und entlastet so die SchweizerSozialwerke.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Be-nachteiligung betroffenen Menschen eineStimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellungfür soziale Gerechtigkeit.

Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinen-de Strassenmagazin Surprise heraus. Dieseswird von einer professionellen Redaktion pro-duziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illu-stratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft.Rund dreihundert Menschen in der deutschenSchweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlos-sen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur,verdienen eigenes Geld und gewinnen neuesSelbstvertrauen.

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport.In der Surprise Strassenfussball-Liga trainierenund spielen Teams aus der ganzen deutschenSchweiz regelmässig Fussball und kämpfenum den Schweizermeister-Titel sowie um dieTeilnahme an den Weltmeisterschaften für so-zial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hatSurprise einen eigenen Chor. GemeinsamesSingen und öffentliche Auftritte ermöglichenKontakte, Glücksmomente und Erfolgserleb-nisse für Menschen, denen der gesellschaft-liche Anschluss sonst erschwert ist.

Finanzierung, Organisation und internatio-nale VernetzungSurprise ist unabhängig und erhält keine staat-lichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mitdem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inse-raten finanziert. Für alle anderen Angebotewie die Betreuung der Verkaufenden, die Sport-und Kulturprogramme ist Surprise auf Spen-den, auf Sponsoren und Zuwendungen vonStiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte sozialeInstitution. Die Geschäfte werden vom VereinSurprise geführt. Surprise ist führendes Mit-glied des Internationalen Netzwerkes derStras sen zeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow,Schottland. Derzeit gehören dem Verband über100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.

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24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– )(Verpackung und Versand bietenStrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Gönner-Abo für CHF 260.–

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Verkäufer Urs Saurer sorgt mit dem Basler Vertriebs-mitarbeiter Thomas Ebinger für Cervelat-Nachschub.

Fatima Keranovic gönnt sich eine Pause vom Maga-zinverkauf.

Der Surprise Strassenchor singt überall – auch amGrillfest im Wald.

Geschäftsleiterin Paola Gallo (links) mit Surprise-Ver-käufer Fabian Schläfli und Vertriebsmitarbeiterin Anet-te Metzner.

Sänger und Sängerinnen des Surprise Strassenchorsmit Projektleiterin Paloma Selma (links).

Beste Stimmung beim Surprise-Grillfest.

Surprise StrassenchorZurück auf der Strasse!

Impressionen vom Basler Verkäuferfest

Der Sommer ist vorbei, der Chor ist zurück. Wir singen wieder!Und sind offen für neue Mitsängerinnen und Mitsänger – alle, dieFreude am Singen und Musizieren haben, sind bei uns herzlichwillkommen.

Nach einer erholsamen Sommerpause hat der Surprise Strassenchor sei-nen regelmässigen Probenbetrieb wieder aufgenommen. Die Probenfinden jeweils am Dienstag von 17.00 bis 19.00 Uhr in der Musikschu-le «archemusia» am Aeschenplatz statt.Wir singen Lieder aus aller Welt, freuen uns an unseren Stimmen im Zu-sammenklang des Chors und haben viel Spass miteinander.Eingeladen zur Teilnahme sind alle, die Freude am Singen haben undbereit sind, einmal pro Woche zwei Stunden zu proben. Auch öffentli-che Auftritte sind Teil des Programms, denn der Surprise Strassenchorist beliebt und wird immer wieder gebucht.In Basel werden bald mehrere Konzerte stattfinden:

– 22. September: Tag der offenen Tür im Hildegard Hospiz, 14.30 Uhr. – 17. Oktober: «Tag gegen Armut und soziale Ausgrenzung», vor der

Clarakirche, 18.00 Uhr und 19.00 Uhr. – 1. November: Neueröffnung des Projekts «Soup & Chill» an der

Solothurnerstrasse 8.– 8. November: «OffenBar» in der Predigerkirche um 19.30 Uhr, dort

gibt es auch ein günstiges Menü.

Wir freuen uns auf zahlreiche Besucherinnen und Besucher!

Anmeldungen für Chorproben und weitere Informationen:

Paloma Selma, 061 564 90 40.

Oder besuchen Sie unsere Website: www.vereinsurprise.ch/strassenchor

Der Surprise Strassenchor wird nicht über den Verkauf des Strassenmagazins

finanziert und ist daher auf Spenden angewiesen. Unterstützen Sie den Surprise

Strassenchor mit Ihrer Spende oder treten Sie dem Freundeskreis bei!

Spendenkonto: 12-551455-3 (Vermerk: Surprise Strassenchor)

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Von Aarbergbis Zuoz.

www.vereinsurprise.ch, www.strassensport.ch, Spendenkonto PC 12-551455-3Verein Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99

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24 Ausgaben für 189 Franken oder als Gönner-Abo für 260 Franken.Gutes lesen, Gutes tun und gleich bestellen!