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Thomas Khurana Was ist ein Medium? Etappen einer Umarbeitung der Ontologie mit Luhmann und Derrida Prätext Den Anfang eines neuen Denkens, das sich um die Marke "Medium" herum konstellieren sollte, geradewegs und in ganzer Konsequenz zu nehmen, würde nicht leicht fallen. Wir könnten versuchen, diesem Anfang etwas auszuweichen und ihn mithin zu erleichtern, indem wir uns an eine Frage hielten, die ein Vorwand bliebe, um eine Frage und Themenlage anderen Typs zu erschließen. Die Frage hätte die klassische und mithin zunächst beruhigende Form: Was ist ein Medium? Was also - könnte man dann ausführen - ist das Wesen, die Washeit dessen, was man ein Medium nennt? Welche notwendigen und hinreichenden Bedingungen gibt es dafür, etwas als ein Medium zu führen, welche essentiellen Prädikate lassen sich bestimmen? Oder aber, die Frage moderner ausbuchstabierend: Was läßt sich aus der Phänomenologie einiger spezifischer Vorkommnisse, die man Medien nennt, über die Familienähnlichkeit der Objekte lernen, die mit dem Wort "Medium" adressiert werden? In der Folge wäre dann danach zu fragen, welche Typen oder Arten von Medien sich in einer Familie oder anhand einer durch essentielle Prädikate bestimmten Wesenheit über akzidentelle Prädikate differenzieren lassen. In diesem klassifikatorischen und konzeptuellen Prozeß könnte man selbst noch die Unterscheidungskriterien differenzieren, die die Bildung von Typologien instruieren und so zu immer weiterer Klärung bringen, inwieweit dieser Terminus "Medium" verwendet wird und in Operation gebracht werden kann in diesem oder jenem theoretischen Zusammenhang. Die Form der Frage unterstellt dabei eine größtmögliche Neutralität. Wir stellen sie nicht schon als Kommunikationstheoretiker, als Pragmatisten, als Nachrichtentechniker, sondern scheinbar vor aller theoretischen Einbindung, vom Standpunkt des Begriffs als solchen. Diese Position aber - und genau hier könnte die Beantwortung der Frage, was ein Medium eigentlich sei, zur Klärung verhelfen - ist bereits ein Standpunkt, der die Antwort präjudiziert und beschränkt - und zwar derart, daß diese Marke "Medium" nicht die Kraft entfalten kann, die wir an ihr zu spüren meinen und die uns überhaupt erst nahelegt, den Versuch einer Begriffsklärung zu unternehmen. Die Frage, was ein Medium sei, wird recht verstanden ebenso etwas über die konzeptuelle Situation erkennen lassen, wie sie ein Sprungbrett ist, den Standpunkt des Begriffs (hin auf den der Unterscheidung) und den Standpunkt des Seins (hin auf ein "Spuken" und "Werden") zu überschreiten. I Was ist ein Medium ? Begriffsfeld: Mitte, Mittel, Milieu, Element Jede Frage nach den Medien wird hier und heute unmittelbar als eine nach den Massenmedien verstanden werden, als eine Frage nach Presse, Rundfunk, Television, Cinematographie und Computern - jenen "Dingen" also, die dieser Zeit den Namen "Medienzeitalter" aufprägen. Dabei bleibt relativ offen, was genau und in erster Linie dabei zum Medium gezählt werden kann: Lediglich das, was der Empfänger empfängt (das, was vom Rundfunk, was an Fernsehen zu empfangen ist, was auf dem Computer erscheint), die technische Infrastruktur, die den Empfang ermöglicht (die technischen Apparate der Aufzeichnung, der Verarbeitung, der Verbreitung, des Empfangs und der Archivierung) oder auch noch kontextuelle Bedingungen (was zur "Welt der Medien" gehört, rechtliche Rahmenbedingungen, politische Einflußnahmen, Interessen und Motive beteiligter Personen etc.). Die Bezeichnung "Medien" fungiert in diesem Sinne weniger als eine Markierung mit einem dinglichen Referenten (dieser oder jener Apparat, dieser oder jener konkrete Sachverhalt), vielmehr als eine recht lose Anzeige eines Feldes von Dingen, Erfahrungen, Akten, Einsätzen.

Thomas Kurana Was Ist Ein Medium

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  • Thomas Khurana

    Was ist ein Medium? Etappen einer Umarbeitung der Ontologie mit Luhmann und Derrida

    Prtext Den Anfang eines neuen Denkens, das sich um die Marke "Medium" herum konstellieren sollte, geradewegs und in ganzer Konsequenz zu nehmen, wrde nicht leicht fallen. Wir knnten versuchen, diesem Anfang etwas auszuweichen und ihn mithin zu erleichtern, indem wir uns an eine Frage hielten, die ein Vorwand bliebe, um eine Frage und Themenlage anderen Typs zu erschlieen. Die Frage htte die klassische und mithin zunchst beruhigende Form: Was ist ein Medium?

    Was also - knnte man dann ausfhren - ist das Wesen, die Washeit dessen, was man ein Medium nennt? Welche notwendigen und hinreichenden Bedingungen gibt es dafr, etwas als ein Medium zu fhren, welche essentiellen Prdikate lassen sich bestimmen? Oder aber, die Frage moderner ausbuchstabierend: Was lt sich aus der Phnomenologie einiger spezifischer Vorkommnisse, die man Medien nennt, ber die Familienhnlichkeit der Objekte lernen, die mit dem Wort "Medium" adressiert werden? In der Folge wre dann danach zu fragen, welche Typen oder Arten von Medien sich in einer Familie oder anhand einer durch essentielle Prdikate bestimmten Wesenheit ber akzidentelle Prdikate differenzieren lassen. In diesem klassifikatorischen und konzeptuellen Proze knnte man selbst noch die Unterscheidungskriterien differenzieren, die die Bildung von Typologien instruieren und so zu immer weiterer Klrung bringen, inwieweit dieser Terminus "Medium" verwendet wird und in Operation gebracht werden kann in diesem oder jenem theoretischen Zusammenhang.

    Die Form der Frage unterstellt dabei eine grtmgliche Neutralitt. Wir stellen sie nicht schon als Kommunikationstheoretiker, als Pragmatisten, als Nachrichtentechniker, sondern scheinbar vor aller theoretischen Einbindung, vom Standpunkt des Begriffs als solchen. Diese Position aber - und genau hier knnte die Beantwortung der Frage, was ein Medium eigentlich sei, zur Klrung verhelfen - ist bereits ein Standpunkt, der die Antwort prjudiziert und beschrnkt - und zwar derart, da diese Marke "Medium" nicht die Kraft entfalten kann, die wir an ihr zu spren meinen und die uns berhaupt erst nahelegt, den Versuch einer Begriffsklrung zu unternehmen. Die Frage, was ein Medium sei, wird recht verstanden ebenso etwas ber die konzeptuelle Situation erkennen lassen, wie sie ein Sprungbrett ist, den Standpunkt des Begriffs (hin auf den der Unterscheidung) und den Standpunkt des Seins (hin auf ein "Spuken" und "Werden") zu berschreiten.

    I Was ist ein Medium ?

    Begriffsfeld: Mitte, Mittel, Milieu, Element

    Jede Frage nach den Medien wird hier und heute unmittelbar als eine nach den Massenmedien verstanden werden, als eine Frage nach Presse, Rundfunk, Television, Cinematographie und Computern - jenen "Dingen" also, die dieser Zeit den Namen "Medienzeitalter" aufprgen. Dabei bleibt relativ offen, was genau und in erster Linie dabei zum Medium gezhlt werden kann: Lediglich das, was der Empfnger empfngt (das, was vom Rundfunk, was an Fernsehen zu empfangen ist, was auf dem Computer erscheint), die technische Infrastruktur, die den Empfang ermglicht (die technischen Apparate der Aufzeichnung, der Verarbeitung, der Verbreitung, des Empfangs und der Archivierung) oder auch noch kontextuelle Bedingungen (was zur "Welt der Medien" gehrt, rechtliche Rahmenbedingungen, politische Einflunahmen, Interessen und Motive beteiligter Personen etc.). Die Bezeichnung "Medien" fungiert in diesem Sinne weniger als eine Markierung mit einem dinglichen Referenten (dieser oder jener Apparat, dieser oder jener konkrete Sachverhalt), vielmehr als eine recht lose Anzeige eines Feldes von Dingen, Erfahrungen, Akten, Einstzen.

  • Diese Ebene einer eher losen Problemanzeige spielt heute auch in den meisten terminologischen Verwendungsweisen, die gar nicht notwendig in der Beschreibung der Massenmedien ihren Fokus haben, mit - und verleiht ihnen so oftmals eine suggestive Kraft wie einen unklaren Untergrund. Unterbelichtet bleibt dabei zumeist die doch vielschichtigere Semantik, die sich um den Term Medium in vergangenen Jahrhunderten gebildet hat. [1] Philosophisch wirkmchtig wurde der Term Medium als Bezeichnung der Mitte und des Mittels, was handlungstheoretische (Zweck/Mittel), ethische (die Mitte als das Ma) sowie eher logische Ausformulierung (Medium als medius terminus) erlaubte. [2] Eine Darstellung der [p.112] weitverzweigten Diskussionen, die diese Terme umgeben, ist auerhalb der Reichweite dieser Arbeit. Wichtig aber bleibt es zu notieren, da diese Begriffsgeschichte in modernen Verwendungsweisen im Hintergrund aktiv bleibt. Wir greifen hier einige Aspekte heraus:

    (1) Die Vorstellung von dem in der Mitte zwischen Zweien Liegenden ist assoziiert mit dem Medium als bertrger, als Kanal. (2) Ebenso zeichnet die Bedeutung des Mediums als Mittel sich ein in den instrumentellen Medientheorien [3], die in den modernen Medien vor allem technische Werkzeuge erkennen: Medien gelten als Instrumente, genauer noch: als Prothesen, Ersetzungen oder Ergnzungen menschlicher (Organ-)Funktionen. Die sicher berhmteste Ausformulierung dieser Linie hat Marshall McLuhan [4] geliefert, wenn er Medien als Extensionen des Menschen begreift und dabei selbst noch Sprache diesem Paradigma der technischen Amplifikation, der Ausdehnung unterordnet - statt am Medium so etwas zu entdecken, wie eine durch es geschehende Versprachlichung der Welt.

    (3) Da das Medium als Mittel in der philosophischen Tradition die Rolle der Zwischenursache spielt, das heit die Rolle dessen, was der Grund ist dafr, da eine Absicht Wirklichkeit erreicht [5], thematisiert die Medien des weiteren schon in ihrem Charakter als Scharnier zwischen Potentiellem und Aktuellem: Das Medium bereitet den bergang zwischen dem noch nicht erreichten Ziel (also etwas Potentiellem) und den das Ziel erreichenden Akten (Aktualitt). Das Medium wre hier ein Operator der Aktualisierung.

    (4) Impliziter noch als dieser Zug ist in den etablierten Fassungen von Mitte und Mittel die Verwendung von Medium als der grundstzlichen Situiertheit, in der etwas Bestimmtes vorkommt. Diese Verwendung schliet vor allem an den Begriff des Milieus an, der im Franzsischen bereits als Bezeichnung fr die Mitte, fr den rumlichen wie zeitlichen medius locus gedient hatte. Im 17. und 18. Jahrhundert war dieses Wort als bersetzung fr Newtons "medium" verwandt worden und bezeichnete das Element (im Sinne von Grundstoff), das einen Krper umgibt [6]: zum Beispiel ther, Wasser, Luft. Dabei wird durchaus nicht angenommen, da es sich bei dem Krper um eine Ausformung oder Gestaltung des Mediums handelt. Vielmehr ist das Augenmerk auf die Beziehungen oder Wechselbeziehungen der vollstndig geschiedenen Gren des Krpers oder Lebewesens einerseits und seines Milieus, seiner Umwelt oder Umgebung andererseits gerichtet. Dies ist in dieser Weise fr Medientheorie nicht unbedingt anschliebar. An der Fassung des Mediums als Milieu kann man aber den Seitenpfad festhalten, da dem Medium hier die Struktur eines Grundstoffes, eines Elements gegeben ist. Es wird folglich gefhrt als etwas, das der Aristotelischen Bestimmung zufolge das Letztelement abgibt, "woraus als erstem immanenten Bestandteil etwas zusammengesetzt ist, welcher nicht mehr der Art nach in Verschiedenartiges teilbar ist" [7]. Hier schiene das Medium, sofern es Element ist, als eine Ressource fr Formenaufbau auf. Es selbst besteht aus nicht weiter gegliederten oder strukturierten Teilchen, die nicht tiefer in distinkte Teile zerlegbar sind. So perspektiviert scheint das Medium eine nicht mehr unterschreitbare, grundlegende Ebene zu konstituieren, auf der sich durch Komposition seiner Elemente Formen aufbauen knnten, so da das Medium hier zu einer Art von Bestimmbarkeit wrde. Diese Beschreibung steht in Verbindung mit dem, was Aristoteles zur Materie (als hyl) und zur Potenz (dynamis als Prinzip des Erleidens, als potentia passiva) bemerkt. Die hyl als Erst-Materie ist als solche nichts als reine Bestimmbarkeit. Sie markiert den Zustand in dem Gegenstzliches zugleich mglich ist, in dem etwas Bestimmtes zugleich Sein-Knnen und Nichtsein-Knnen hat. Wenn sich dann eine Verwirklichung ergibt, etwas in der hyl Form gewinnt, dann bleibt die hyl wirksam, sofern sie ein Grund der Instabilitt dieser Form ist: Das, was einmal nicht war und blo mglich war, wird nicht ewig sein. Mit dynamis (als Gegenbegriff zu energeia und als Prinzip des Erleidens) kann man hier das einem Stoff innewohnende Potential, bestimmte Gestalten anzunehmen, Formung zu erfahren markieren. Die begriffliche Anlage, die "Medium" dort lokalisiert, wo sich

  • Element, hyl, und dynamis (als potentia passiva) treffen, liegt nahe an demjenigen Begriff von Medium, der in der Unterscheidung von Medium und Form, die wir etwas weiter unten vorstellen werden, angesetzt ist.

    (5) Wenn man Medium in seiner Verwandtschaft zum umgebenden Milieu eines Krpers schildert, dann kann man auch einen - vielleicht zunchst fernliegenden - Bezug zu Kants Anschauungsformen herstellen: Betrachtet man ein Objekt nicht als physikalische, biologische, soziale Entitt, die ein notwendiges Medium, Umwelt oder Feld braucht, sondern als Erkenntnisobjekt, so ergibt sich auch hier ein notwendiges "Milieu" oder "Medium" des Erkenntnisobjekts. Dieses besteht nun aber, da man nicht auf [p.113] das Ding als solches, sondern auf das Ding fr das Erkenntnissubjekt abstellt, in den Anschauungsformen des Raumes und der Zeit. Alles, was als Objekt erscheinen will, Form, Gestalt, Profil haben soll, mu eine rumliche und zeitliche Form annehmen knnen. Die Mannigfaltigkeiten des Raumes und der Zeit stellen allerdings nicht blo die Umgebung fr ein Ding bereit, sie geben seine grundstzliche Form vor, die Weise, in der es Erscheinung werden kann: Eben als eine rumliche und zeitliche Form. [8]

    (6) Im Anschlu an die Beschreibung von Medium als Element oder Grundstoff, als ther, kann man auch erneut die heute bedeutsame Verwendung erschlieen, die im Medium einen bertrger sieht. In dieser Trgervorstellung berkreuzen sich auf etwas vage, meist implizite Weise mehrere Verwendungsweisen, was vielleicht genau der Grund fr ihre Prominenz, ihre vielfltige Einsatzfhigkeit ist: Hier geht ein, da das Medium das in der Mitte Liegende, Vermittelnde ist - ohne da es nun zwischen Extremen (dem unendlich Groen und dem Nichts) eingespannt wre oder gar zwischen der Absicht (als finis oder cause) und dem erreichten Ziel (als actus oder effect). Dieses Medium, das zwischen Zweien liegt, fungiert als Vermittlung dieser Zwei, berspannt oder berbrckt eine Distanz so, da eine Mitteilung vom einen zum anderen mglich ist - was immer diese Mitteilung enthlt (Energie, Materie, Information). Dafr mu dem Medium die Fhigkeit attestiert sein, das zu bertragende aufzunehmen und zu transportieren - also abstrakt gesprochen eine noch offene Bestimmbarkeit zu sein, in der man aktuell eine Bestimmtheit einfgen kann: Element, uninformierte Materie oder hyl zu sein.

    Heutige Verwendungen

    Die Bestimmung des Mediums als Mitte oder Mittel verbleibt heute nur noch als Hintergrund, in erster Linie aber tritt das Medium als Instrumentelles, als Formbares sowie als bertrger auf.

    Es reicht, sich einige Flle ins Gedchtnis zu rufen, in denen man mit theoretischen Ansprchen von Medien spricht, um zu sehen wie sich verschiedene Elemente des oben skizzierten Begriffsfeldes immer wieder neu in Anordnung bringen und zumeist sich verflechten.

    (a) Der Krper, kann man heute hren, ist das Medium des Tanzes. So verwandt entspricht "Medium" einem Feld, einem in verschiedene Anordnungen zu bringenden Material, das im Tanz Bestimmtheit gewinnt. Zugleich ist die Leistung des Krpers dabei, den Tanzformen einen wahrnehmbaren Stoff zu leihen, diesen Formen den Raum einer Artikulation zu bieten. Man knnte hier davon sprechen, da der Krper Medium allererst in dem Sinne ist, da er Artikulationsmedium ist.

    (b) Glasfasern dienen als Medium fr Daten. In dieser Sprechweise, ist das Medium dasjenige, was einen Transfer, eine bertragung erlaubt und mithin die berbrckung (rumlicher) Distanzen. Hier liegt also ein Verbreitungsmedium vor. Diese Verwendungsweise des Medienbegriffs erhlt Bezge aufrecht zum Medium als dem in der Mitte Liegenden sowie zum Medium als dem Vermittelnden - wenn auch nicht unmittelbar im teleologisch Sinne zwischen Absicht und Akt. Vermittlung geschieht hier vielmehr zwischen Sender (den man aber schnell von seiner Absicht her begreift, als Verursacher einsetzt) und Empfnger (bei dem die Wirkungen sich einstellen sollen).

    (c) Man kann des weiteren auch davon sprechen, da Licht ein Medium der visuellen Form ist oder aber die Luft ein Medium fr Gerusche. In diesen Fllen hat man es ebenso mit Trgern zu tun, die Bestimmtheiten erlauben. Man akzentuiert aber vor allem, da mit Licht und Luft die selbst nicht als solche wahrgenommenen

  • Bedingungen fr Wahrnehmung geschaffen sind. Diese Trger sind Wahrnehmungsmedien, in dem Sinne, da sie berhaupt wahrnehmendes Erkennen, Rezeption erlauben. [9]

    (d) Der Computer wird zum Teil als ein elektronisches Medium bezeichnet, mit dem man Daten festhalten kann. Hier ist die Rede von einem Speichermedium. Das impliziert die Mglichkeit des Computers bestimmte Daten aufzunehmen, akzentuiert aber vor allem den Computer als ein Hilfsmittel, als technische Prothese: als einen externen Speicher, eine Entlastung des Gedchtnisses.

    (e) Der Computer erscheint auch als ein Verarbeitungsmedium, in dem Daten kontrolliert und manipuliert werden knnen. Das Medium erscheint hier erneut in seiner Bedeutung als Instrument oder Werkzeug, das aber interessanterweise auf "sich selbst" einwirkt. [10]

    Wenn wir derart einige Beispiele dessen herausgreifen, was als "Medium" gefhrt wird, so [p.114] haben wir unwillkrlich begonnen, funktional zu spezifizieren: Es geht bei Medien um Artikulierbarkeit, Transferierbarkeit, Wahrnehmbarkeit, Archivierbarkeit, Transformierbarkeit. Gibt es aber in dem, was Artikulation, Transfer, Rezeption, Archivierung und Transformation ermglicht, eine gewisse strukturelle Konstante, etwas, das man die Medialitt des diese Funktionen Erfllenden nennen knnte? Eben dies ist unsere Frage. Die traditionellen Antworten, die im Namen von "Medium" vorderhand verfgbar sind, scheinen uns dabei weniger zu treffen. Medialitt lt sich nicht am instruktivsten beschreiben ber ein in-der-Mitte-sein, ebensowenig bersetzen in ein Mittel zum Zweck oder modern: in Extensionen des Menschen, aufgefat als technische Prothesen, die bestimmte Organfunktionen ergnzen und steigern - selbst wenn das mit dem obigen Schema zunchst vertrglich scheint. Auch ein Ableger des instrumentellen Begriffs - Medien als Vermittelndes, als Raum und Zeitberbrckung, als bertragungsmittel - werden wir hier nicht zum Ausgangspunkt whlen.

    Eher scheint uns zu tragen, was sich im Milieu, im Element, in der Materie ankndigt: Medialitt heit, da es da etwas gibt, in dem sich Formen, Dinge, Bestimmtheiten geben lassen: ausdrcken, transferieren, konservieren, transformieren und entnehmen lassen. Medien erschienen also als Ermglichungsbedingungen fr Bestimmtheiten, als Bestimmbarkeiten, welche die Form der Bestimmtheit, die in ihnen vorkommen kann, limitieren. Wenn man sowohl Geld, als auch Television, Licht sowie den Computer als Medium auffassen will, dann bietet sich diese fast leere Formulierung an, da es hier um bloe Felder, um Ausprgbarkeiten von Formen, von Bestimmtheiten geht. Das Leere der Wendung deutet schon an, da man gleichsam alles auch als Medium bezeichnen knnte. Die begriffliche Fassung, die wir im folgenden andeuten wollen, ist mithin nicht instruktiv als ein Konzept, das bestimmte Dinge in der Welt ihrem Wesen nach in eine Klasse zusammenfat. Instruktiv wird diese Beschreibung nur werden, indem man damit ein Feld von den auf der jeweiligen Ebene vorhandenen Bestimmtheiten abheben kann. Die so angezielte Bestimmung von Medium macht Sinn nur als die Unterscheidung von Medium und Bestimmtheit.

    II Niklas Luhmanns Medientheorie

    Medium und Form

    Einen eben solchen distinktiven Medienbegriff hat Niklas Luhmann seit Mitte der achtziger Jahre mit Bezug auf die phnomenologische Psychologie Fritz Heiders formuliert. [11] Er nimmt die Unterscheidung Heiders zwischen Ding und Medium auf, die zunchst im Bereich der Wahrnehmungstheorie erklren soll, wie dingliche Sachverhalte ber Trger, die qua physikalischer Struktur sich zum Medium eignen, die Wahrnehmungsorgane des Menschen erreichen, und wie andererseits Handlungsabsichten vermittels Medien sich artikulieren knnen. [12] Diese Unterscheidung reformuliert Luhmann als eine von Medium und Form - und das heit: Es geht nicht mehr darum, einerseits Objekte auszumachen, deren Struktur als solche eine dinghafte ist, die also eine klar umrissene, fixierte Form haben, und andererseits Stoffe zu identifizieren, die als solche formlos sind und daher Medien genannt werden knnen wie z.B. Luft oder Licht. Medium oder Form ist etwas nie an sich selbst, sondern immer nur im Bezug auf das jeweils andere: Ein Medium ist nur Medium in Bezug auf bestimmte Formen, wie diese Formen nur als Form gesehen werden knnen in Bezug auf ihr Medium. In Relation zu anderen Sachverhalten mgen eben diese Formen dagegen als Medium fungieren.

  • Das Hauptmerkmal, mittels dessen es gelingt, etwas in Relation zu anderem als medial oder als Form auszuweisen, liegt dabei - mit einem kybernetischen Konzept gesagt - in der Striktheit der Kopplung seiner Elemente. [13] Mit diesem Merkmal unterstellt man zunchst, da sich Medium wie Form so beschreiben lassen, da sie sich aus Elementen zusammensetzen - die durchaus keine in einem ontologischen Sinne unteilbaren Einheiten sind, sondern nur gem eines bestimmten Beobachtungsrahmens als Letztelemente fungieren knnen. Medium und Form unterscheiden sich dann lediglich im Arrangement dieser Elemente: Form nennt man eine strikte, rigide Kopplung der Elemente, wohingegen das Medium durch eine lose Kopplung der Elemente ausgezeichnet ist. Beispielsweise fungieren die lose gekoppelten Molekle in der Luft als Medium fr die Schallwellen, die die Elemente einer periodischen Verdichtung und Verdnnung (wellenfrmige Dichtenderung) aussetzen und mithin die Elemente der Luft in eine Form bringen, strikt koppeln.

    So gefat unterscheidet man nicht mehr unterschiedliche Dinge in der Welt, von denen die einen die Struktur eines Dings haben, sofern sie sich aus fest verbundenen Elementen zusammensetzen, und die anderen eher Medien heien drfen, da sie aus unverbundenen [p.115] Elementen bestehen. Vielmehr haben in der Unterscheidung von Medium und Form die beiden Unterschiedenen dieselbe Elementarstruktur: Sie bestehen aus den selben Elementen und unterscheiden sich lediglich relativ im Hinblick auf das Arrangement der Elemente: sind strikter oder loser gekoppelt. Mithin wird jede Form zu einer Rigidisierung des Mediums, ist eigentlich ein Medium, das unter Konditionierungen gestellt ist. Bei Heider hingegen war das Medium durchaus als eine eigener, vermittelnder Stoff zwischen dem Ding und den Wahrnehmungsorganen gedacht. Die Unterscheidung von Form und Medium bei Luhmann reformuliert folglich nicht eigentlich die Differenz von Ding und Medium, sondern vielmehr jene von "falscher Einheit" im Medium und Medium im Ruhezustand bei Heider: als Folge nmlich einer Dinglichkeit mit echter Einheit (fest verbundenen Elementen) kann einem Medium, eben weil es eine unverbundene Vielheit ohne echte Eigendetermination ist, eine Formung aufgezwungen werden, die in es eine "falsche Einheit" einprgt, wie Heider formuliert, die zwar wahrnehmend von der echten Einheit eines Dings nicht zu unterscheiden ist, de facto aber nicht aus sich selbst heraus besteht, sondern ein reines Vielheitsgeschehen ist, das auenbedingt Form erhlt. Diese auenbedingte Einheit wirkt auf den Wahrnehmenden und gilt ihm als Zeichen oder Spur des Dings. Statt einem Ding (als Ursache falscher Einheiten, d.h. medialer Zeichen des Dings) gibt es in der Formulierung Luhmanns nur noch Spuren, nur noch eine Kopplung der Medienelemente zu einer Form - und diese Kopplung kann man hier - wenn man unbedingt auf Ursachen abstellen will - allenfalls auf ein System (ein organisches, psychisches, soziales) zurechnen, auf das bezogen die Unterscheidung von Medium und Form allererst theoretischen Sinn gewinnt. [14]

    Wenn man nun modellhaft Medium und Form sich derart vorstellt, da es eine Gruppe von Elementen gibt, die in einem lose gekoppelten Zustand das mediale Substrat bilden und bei festerer Kopplung die Ausprgung einer Form aus dem Medium ergeben, dann ist damit nur ein Anfang gemacht. Luhmann pflegt in unterschiedlichen Publikationen an dieser Stelle eine ganze Kette von Abhebungen von Medium und Form anzuschlieen, die diese Unterscheidung hin auf sinnverwendende Systeme spezifizieren.

    Statt einfach lose und strikte Kopplung gegenberzustellen scheint es, sofern eine Form nur durch die Benutzung des medialen Substrats und nicht auer ihm existiert, zunchst einmal treffender, die Unterscheidung von Medium und Form zu temporalisieren: Man hat es in einem Zusammenhang, in dem man Medium und Form unterscheiden kann, mit einem laufenden Koppeln und Entkoppeln einer Menge von Elementen zu tun. Implizit ist an dieser Stelle bereits an ein System (ein psychisches oder soziales System) gedacht, das sich in der Zeit entfaltet als Anschlu von Form an Form, also als Kette von Kopplungen und Entkopplungen von Formen. Das System "benutzt" in dieser Vorstellung ein Medium zur Kopplung von Formen. Aktuell scheint dann immer eine bestimmte Kopplung, das heit: Form vorzuliegen - oder aber es ist gar nichts erkennbar, da nur das lose gekoppelte mediale Substrat vorhanden ist, das als solches - auf der Ebene des Systems - amorph und sinnleer ist. Lge nur das mediale Substrat vor ohne weitere Formanschlsse, wre das System offensichtlich an seinem Ende, da es nur durch den laufenden Anschlu einer Form fortbestehen kann.

    Im Bezug auf einen auf Formen eingestellten Blick kann das Medium hier also nur als Abwesendes, Inaktuelles auftreten - was aber nicht heit: als Nichtexistentes. Denn wenn aktuell eine Form vorliegt, so macht sich das

  • Medium, das der Form zugrunde liegen soll und aus dem heraus dann auch eine neue Form folgen knnen soll, daran kenntlich, da die Form als entkoppelbar erscheint. Die Form mu hier als das Aktuelle einerseits durchsetzungsstrker als das Medium sein - das ist ein bloes Implikat der Tatsache, da sie in strikter Kopplung einer lose gekoppelten Konfiguration gegenbersteht -, andererseits mu sie als im Vergleich zum Medium instabil gedacht werden, sofern sie entkoppelbar ist. Dabei kann das Medium, das als solches (das heit: als Zustand der Entkopplung) keine greifbare Aktualitt hat, ein "Inaktuelles" ist, als stabil beschrieben werden, sofern es nach der Entkopplung einer Form jedesmal erneut regeneriert wird. [15] Die Form wre dasjenige, was stets in der Weise der Aktualitt gegeben, erkennbar und anschlufhig ist, wohingegen das Medium stabil ist, nur unter der Bedingung, blo virtuell prsent zu sein: Als das Woraus der Kopplung und das Worein der Entkopplung. Als das entkoppelte Substrat selbst liefert das Medium nichts Erkennbares. Das Medium ist mithin nie als solches, an sich selbst von Relevanz. Das Medium ist - wenn man es als operationalisiert in einem verzeitlichten System betrachtet - nur an den Formen erkennbar, es bildet ihre Grenze, ihren Horizont oder Hintergrund. Es ist gegeben erstens als das nicht aktualisierte Reservoir mglicher Kopplungen, aus dem die aktuelle Form [p.116] seligiert erscheint, und zweitens zugegen in Gestalt der offenen Mglichkeiten des Anschlusses anderer Formen. Das Medium also ist im Falle temporalisierter Verhltnisse immer nur als Vergangenheit und Zukunft der Form prsent und nie als Aktualitt an sich selbst. Das Medium ist hier eine "reine Virtualitt" (Luhmann 1993: 356). [16]

    Die Aufmerksamkeit auf die Zeitdimension (und die Differenz aktuell/inaktuell) bringt uns hier in die Nhe sinntheoretischer Formulierungen: Denn Sinn in der Prgung Luhmanns realisiert sich in allem Prozessieren der Differenz von Aktualitt und Potentialitt. Dies nun ist gem der obigen Charakterisierung mit jeder Differenz von Medium und Form mglich, sofern die Form etwas Aktuelles mit Verweisung auf ein Potential anderer Formen (das Medium) darstellt. Mithin gibt "Sinn" das Grundformular verschiedener Medium-Form-Arrangements an. In diesem Sinne spricht Luhmann dann auch davon, da Sinn das "allgemeinste Medium" darstellt, das fr Bewutsein und soziale Systeme mit ihrer temporalen Operationsweise "unhintergehbar" (Luhmann 1995a: 173) ist und in das mithin die in ihnen verwandten Medien eingelassen scheinen. Mit "Medium" ist an dieser Stelle nicht nur das bloe mediale Substrat benannt, sondern vielmehr das Arrangement der Differenz von medialem Substrat und Form. Verschiedene spezifische "Medien" wie gesprochene Sprache oder Schrift scheinen dann dieses allgemeine "Medium" Sinn durch bestimmte Medium-Form-Arrangements zu respezifizieren. [17]

    Die Seite des Mediums (des medialen Substrats) in der Differenz Medium/Form gleicht, wenn man sie von dem Grundformular "Sinn" her als Potentialitt versteht, auffllig der potentia passiva, die man in der Scholastik als eine bertragung der Aristotelischen dynamis vorfinden kann und die das Vermgen, Formung zu erfahren, meint. Die Form korreliert dann andererseits dem Aristotelischen Aktbegriff der energeia. Wenn dem so ist, liegt es aber nahe, sogleich die Unterscheidung von Medium/Form in jene von Materie (hyl) und Form (morph) zu bersetzen: Die hier gegebene Beschreibung scheint das Medium im Bereich des Unsichtbaren zu situieren. Es ist dasjenige, was nicht anschlufhig oder erkennbar ist, wie die erste Materie als solche keine Erkennbarkeit hat; zugleich ist es aber die Bedingung von Anschlufhigkeit, der Grund von Formen, wie auch die hyl als Bestimmbarkeit aufgefat werden kann, die Bestimmtheiten ermglicht. Das Medium ist die Bedingung der Mglichkeit von aktuellen, durchsetzungsfhigen, bestimmten Formen, wie die hyl notwendige Voraussetzung von Bestimmtheiten ist. Der Gegensatz von Materie und Form scheint hier eine einfache Neuauflage zu erleben: Das Medium wre gnzlich uninformierte Materie, in die eine Form eingeprgt wird, die die Materie nur als Substrat verwenden wrde, um sich zu inkarnieren. Darum kann es aber offensichtlich nicht gehen, wenn Formen als eine Selektion aus dem im Medium verankerten Potential aufgefat werden. Das Medium ist nicht uninformierte Materie, sondern eine diffuse Infrastruktur der Form, die ein Potential anderer Formen impliziert und die Form mit dem Verweisungshorizont auf diese anderen Formen versieht. Das Medium ist folglich nicht nur potentia passiva, die in der Scholastik mitunter der Materie (hyl) analogisiert ist, sondern ebensosehr mit dem Anschein der potentia activa ausgestattet, die in dieser Tradition dem Subjekt zuzuschreiben wre, welches das Vermgen zu handeln, Akte auszuprgen, besitzt.

    Die Restriktion, die das Medium fr die Formbildung bedeutet, und die Strukturiertheit, die es von uninformierter Materie als reiner Bestimmungslosigkeit abhebt, lt sich daran festmachen, da es aus

  • Elementen besteht [18], die eine Form haben: Diesen Elementen eignet Bestimmtheit, die erneut nur zu erlutern ist als Form, welche als feste Kopplungen eines "basaleren" medialen Substrats vorkommt. [19] Man kann dies auch derart ausdrcken, da jedes Medium auch eine Form sei - vor dem Hintergrund eines anderen Mediums: Wenn man lose assoziierte Mengen von Worten als Medium fr die Artikulation von Stzen auffat, kann man sehr schnell entdecken, da das mediale Substrat, die Worte, zugleich aus Formen im Medium der Laute besteht, wobei Laute erneut Formen im Medium der Gerusche sind - und so fort. Man erhlt auf diese Weise eine geschachtelte Hierarchie von Medium/Form-Paaren - und es ist immer eine Frage des spezifischen Interesses, ob man etwas als Medium oder als Form behandeln sollte. [20] Es gibt keine Medien oder auch Formen an sich, sondern lediglich die in einem Systemgeschehen prozessierten Differenzen von Medien und Formen, die sich anhand dieser Unterscheidung Medium/Form beobachten lassen.

    Die so ausgehend von der Unterscheidung loser und strikter Kopplung von Elementen und ihrer Entfaltung in der Zeit getroffene Beschreibung von Medium und Form bezieht Luhmann auf andere fr ihn wichtige Theoriestrnge, von denen wir hier zwei fr uns im weiteren [p.117] relevante herausgreifen: (a) Struktur/Ereignis sowie (b) Differenztheorie. [21]

    (a) Struktur/Ereignis. Es ist wesentlich, die Unterscheidung von Medium und Form auf jene von Struktur und Ereignis zu beziehen, um zu verdeutlichen, wie allgemeinen Zuschnitts die hier angelegte Theorie ist und inwieweit sie eine ganz dezidierte Version von Poststrukturalismus vortrgt, die ihre Entsprechungen bei Derrida oder Deleuze finden knnte. [22] Ein entscheidender Strang der Luhmannschen Theoriebildung lt sich als Theorie autopoietischer, also sich selbst reproduzierender Systeme formulieren. Diese Systeme nennt Luhmann auch strukturdeterminiert, was zum Ausdruck bringt, da nur ihre eigene Struktur das weitere Prozedieren der Systeme determiniert und alles in der Umwelt Befindliche lediglich Irritation darstellt. Die Originalitt liegt nun in der Auffassung dessen, was die Struktur dieses Systems ist: Hier wird nicht irgendeine substantielle, berzeitliche, ein Zentrum bildende Entitt angenommen, die in die Position dessen einrckt, was einst das Wesen war. Vielmehr existieren die Systeme und mithin ihre Struktur nur als radikal temporalisierte: Von Operation zu Operation steht die Existenz des Systems auf dem Spiel. Ein Kommunikationssystem existiert nur so lange, wie Anschlukommunikationen folgen - bleiben sie aus, verschwindet das System. Wie aber ist dann von Struktur zu sprechen? Diese kann allein in der Form der Ereignisse, die das System ausmachen, liegen: Diese Ereignisse sind hier gefat als Operationen eines bestimmten Typs, die zudem auf vorangegangene Operationen desselben Typs rekurrieren und Vorgriffe auf zuknftige beinhalten. Diese Rekursivitt und Prokursivitt der Ereignisse kann man auch derart beschreiben, da die Ereignisse als Selektionen aus einem gemeinsamen Potential erscheinen. Dieses Potential entfaltet sich als der Kontext eines Ereignisses und macht die in ihm auf spezifische Weise aktualisierte Struktur aus. Sofern die Ereignisse auf dieses Potential referieren, zeigen sie die Struktur an: "Selektionen, die dies [i.e. die Aktualisierung des Inaktuellen als Inaktuelles - tk] leisten, wirken als Strukturen - immer nur in dem Moment, in dem sie aktualisiert werden, aber dies nur dank ihrer das Aktuelle transzendierenden Referenzen." (Luhmann 1995a: 209). Dies nun entspricht recht genau der Konstellation von Formen-in-einem-Medium. Die Formen erscheinen als flchtige, ereignishafte, aktuelle Gestalten, die ber Rekurs auf vergangene Formen und durch Anschliebarkeit von weiteren Formen medial verankert wirken. Das Medium macht sich nur an den Formen und als der Proze des Koppelns und Entkoppelns von Formen einer gemeinsamen Elementarstruktur geltend, ist aber nie an sich selbst erkennbar [23]- ebenso wie die Struktur sich nur an der Vernetztheit der Operationen abzeichnet, nie aber als solche, jenseits der Ereignisse Realitt hat.

    Die Einheitlichkeit, Homogenitt und Zentriertheit, die der Terminus Struktur und vielleicht auch der Terminus des Mediums, des Mittleren, der Mitte, der Vermittlung implizieren, sind hier sehr weitgehend in Frage gestellt: Alles, was es gibt, ist der jeweils aktuelle Bezug auf eine Strukturiertheit, die aber nie als solche prsent oder gegeben ist, in keinem Punkt sich konzentrieren kann.

    (b) Differenztheorie. Luhmann bezieht die Unterscheidung von Medium und Form auch auf seine Applikation dessen, was er eine Protologik nennt, die Gesetze der Form von George Spencer Brown. [24] Die erste Anschlustelle liegt offenkundig darin, Spencer Browns Begriff der Form auf das zu beziehen, was Form in der Unterscheidung Medium/Form bedeutet. Spencer Brown fat eine Form als das Gesamt einer Unterscheidung

  • auf: Als eine Grenze, die zwei Seiten trennt, sowie den ganzen Inhalt beider Seiten. Eine Form entspricht also nicht blo einer Figur, sondern der Figur, ihrem Grund und der Grenze von Figur und Grund zusammengenommen. Dabei ist die Form, wie das Beispiel von Figur und Grund schon zeigt, eine asymmetrische Unterscheidung: Sie trennt zwei Seiten, von denen immer nur eine markiert ist, wohingegen die andere als unmarkierte wie ein Hintergrund zurcktritt.

    Nun wre es mglich zu behaupten, jede in einem Medium ber strikte Kopplung auszuprgende Form sei eine eben solche Zwei-Seiten-Form: eine Figur vor einem Grund. Die markierte Seite der Unterscheidung wre jene aktuell wahrzunehmende strikte Kopplung der Elemente, die nur mglich ist vor dem Hintergrund anderer mglicher Kopplungen. Dieser Hintergrund entsprche der unmarkierten Seite der Unterscheidung. So schildert Luhmann das Treffen einer ersten Unterscheidung dann auch als das Ziehen einer Grenze, indem man vom unmarkierten Zustand in den markierten Zustand herberkreuzt. Mithin wirkt das Treffen einer Unterscheidung wie die Selektion einer strikten Kopplung aus einem unmarkierten Zustand loser Kopplung heraus. Dieses ginge dann vor sich mit Blick auf Entkopplung der gerade etablierten Form hin auf eine andere Kopplung - das wre in Termini der [p.118] Unterscheidungslogik: Hinberkreuzen auf die unmarkierte Seite (Entkopplung), die nun markiert wrde (Neukopplung). Das also, was Spencer Brown eine Form nennt, entsprche an dieser Stelle der Form-in-einem-Medium: die Form gliche der markierten Seite der Zwei-Seiten-Form Spencer Browns, das Medium wre festgehalten im unmarkierten Raum (der hier eben nicht gnzlich unmarkiert wre sondern als das Gesamt der "anderen Mglichkeiten, die das Medium bietet" [Luhmann 1995a:169] mitformatiert wre).

    Gem der Schachtelung der Medium-Form-Arrangements wird es nun so sein, da man die lose gekoppelten Elemente eines Mediums wiederum als Unterscheidungen bestimmen kann: Handelt es sich bei den Formen um voneinander unterschiedene Worte, so sind diese strikte Kopplungen eines medialen Substrats, nmlich von Mengen von Buchstaben, die ihrerseits, wenn man sie als Formen beobachten will, ihren Wert nur als von anderen Buchstaben unterschiedene haben.

    Mithin impliziert die Medientheorie bei Luhmann ein konsequent differenztheoretisches Vorgehen, das jedes Vorkommnis nur als Differenz zult, als Markierung, die kontextuiert ist durch ihre unmarkierte Seite. [25] Durch die Einfhrung der Spencer Brownschen Begrifflichkeit ist an dieser Stelle auch die Mglichkeit erffnet, die Medium/Form-Unterscheidung auf ihr autologisches Moment stoen zu lassen: Die Unterscheidung von Medium/Form ist als solche selbst eine Zwei-Seiten-Form. Dies deutet Luhmann so, da die Unterscheidung von Medium und Form sich selbst (als Form) impliziert (Luhmann 1997: 198) und mithin jede mit ihr arbeitende Theorie autologisch macht: Wer mit der Unterscheidung von Medium und Form arbeitet, wird sich selbst als jemand entdecken knnen, der eine Form (nmlich die Form Form/Medium) verwendet, die als eine zu begreifen ist, die auf ein Medium (andere sprachliche Unterscheidungen wie System/Umwelt, Aktualitt/Potentialitt, Selektion/Variation usf.) verweist. Die Theorie findet sich also in dem von ihr abgesteckten Gegenstandsbereich - Zusammenhngen, die sich ber Medium/Form strukturieren - selbst wieder.

    Des weiteren lt sich von dieser differenztheoretischen Neubeschreibung aus erschlieen, da es bei der Verwendung von Medien auch darum geht, trotz immer weiter sich spezifizierender Formenwahl immer wieder die Zugnglichkeit von Welt zu regenerieren: Unterscheidungen im Sinne Spencer Browns sind vollkommenes Enthaltensein, "perfect continence" der Welt, die im unmarked space Remarkierung findet. Der Prototyp der Unterscheidung ist hier: etwas Bestimmtes von allem anderen zu unterscheiden. Die Form, sofern sie das Bestimmte, alles andere und die Grenze zwischen beiden enthlt ist eine Figur von Welt. In Form der unmarkierten Seite bleibt dabei der gerade nicht in einer Form markierte Rest-der-Welt zugnglich. Und man kann diesen Rest in der Nachfolgeoperation selektiv markieren - unter Einziehung eines neuen unmarkierten Raums, der die Zugnglichkeit der nie vollaktualisierten Welt erneut regeneriert. Desgleichen liefert der Rand des Mediums um die Form die Zugnglichkeit anderer Kombinationsmglichkeiten und im Ent- und Neuverkoppeln wird dieser Horizont anderer Kombinationsmglichkeiten laufend regeneriert.

    Was also ist ein Medium?

  • Was kann angesichts dieser Begrifflichkeiten ein Medium sein? Es ist das Woraus und das Worein einer Form, das als solches nie prsent ist und nicht an sich selbst zu erkennen ist, sondern immer nur an der je aktuellen Form. Die destabilisierende Wirkung eines derart ungreifbaren und von Sein als Prsentsein entfernten Sachverhalts liee sich sicher in Grenzen halten, wenn man alle Last auf die Form verlagern knnte: Diese in der Aktualitt gegebene Bestimmtheit bestimmt auch das Sein des Mediums. Wrde man aber so vorgehen, wre selbst die von Luhmann vertretene basale Asymmetrie aller Unterscheidungen berspannt und die Unterscheidung zur Seite der Form aufgehoben. Will man ernst machen mit der Konzeptualisierung ber Distinktionen, so mu man sehen, da Form nur das ist, was sie ist, aufgrund des Mediums, aus dem heraus sie seligiert wird und das sie bei ihrer Entkopplung regenerieren wird. Eine Form, die nicht als Selektion aus einem Medium erschiene, wre sinnfrei, wre keine Form, knnte keinen Beitrag leisten in einem autopoietischen Proze. Akzentuiert man die Verwiesenheit der Form auf das Medium, kann man nicht umhin zu sehen, da hier in den Kern der Aktualitt, in das lebendige Jetzt, das mit aller Punktualitt eine Bestimmtheit prsentiert, die diffrance eingeschrieben ist, um mit einem Kunstwort Derridas zu sprechen: die Form ist nur qua sachlicher Unterschiedenheit von der Nicht-Form und vermge eines Verweises auf das Zeitlich-Differente. Die Verwiesenheit der Form auf das [p.119] Medium trgt in die Form ihre Selektivitt, ihre Kontingenz und ihr Eingebettetsein ein - und, um noch ber das schon Gesagte hinauszugehen, ihre grundstzliche Wiederholbarkeit oder Copierbarkeit.

    Diese Bestimmungen betreffen in jedem Falle alle sozialen und psychischen Tatsachen, da die Autopoiesis des Bewutseins wie die des Sozialsystems nur vermge des Prozessierens von Differenzen von Medium (Potentialitt) und Form (Aktualitt) mglich wird. Welchen Platz aber nehmen dann jene Vorkommnisse oder Felder ein, die man normalerweise mit dem Wort "Medien" anzuzeigen versucht: das Medium der Sprache, der Schrift, der Rundfunk, das Fernsehen, der Computer?

    Zunchst fllt auf, da es kaum Sinn machen kann, diese als Medium in Sinne einer lose gekoppelten Menge von Einheiten aufzufassen. Wenn man von gesprochener Sprache spricht, meint man schlielich nicht eine Menge von im Sprechen verwandten Elementarlauten, sondern vielmehr: diese Elemente und die Arten und Weisen, in denen man sie gemeinhin verknpft. Will man also fortfahren, Sprache oder Schrift als "Medium" zu bezeichnen, wird man "Medium" nicht als synonym mit "medialem Substrat" verstehen drfen. Man kann statt dessen die Handhabung der Differenz von medialem Substrat und Form insgesamt "Medium" nennen. Mit gesprochener Sprache oder Schrift wren mithin "Medien" im Sinne von Arrangements von spezifischen Differenzen von medialem Substrat und Form angesprochen.

    Dabei werden Sprache und Schrift hier nher charakterisiert als Medien der Kommunikation. Kommunikationsmedien liegen im Fall gesprochener Sprache, Schrift oder auch elektronischer Medien in dem Sinne vor, da jeweils Vorrichtungen und ein Regularitten aufweisender Gebrauch existiert, welcher die Ausbildung von Formen erlaubt (wobei diese Formen jeweils als Kopplungen eines spezifischen medialen Substrats zu analysieren sind), die in Kommunikation verwandt werden: Vermge der in diesen Medien vollzogenen Kopplungen und Entkopplungen der z.B. stimmlichen, schriftlichen oder audiovisuellen Formen knnen sich Kommunikationsoperationen - als Formen hherer Ordnung - ausprgen.

    Kommunikation wird hier im Kontext der Luhmannschen Soziologie recht spezifisch als ein systemisches Geschehen gedacht, das aus einzelnen Kommunikationsoperationen sich zusammensetzt, die jeweils in der Engfhrung dreier Selektionen bestehen: die Selektion einer Information, einer Mitteilung und eines Verstehens mssen zusammentreffen, wobei das Verstehen gerade die Operation abschliet, indem im Verstehen die Selektionen von Information und Mitteilung unterschieden und aufeinander bezogen werden. In Begriffen von Handlung vereinfacht knnte dies heien: Ego beobachtet die hektische Handbewegung von Alter und fat sie als die Selektion einer Mitteilungsweise der Information auf, da es dort drben etwas zu sehen gibt - wobei im Moment auch andere Informationen htten ausgewhlt werden knnen. Dieses Unterscheiden und Aufeinanderbeziehen von selektiver Information und selektiver Mitteilung firmiert hier als "Verstehen" - unabhngig davon, was Alter mit seiner Handbewegung sagen wollte und ob er berhaupt etwas sagen wollte. Dabei wird man von Kommunikation erst reden wollen, wenn das Verstehen nicht nur einem psychischen Akt

  • von Ego entspricht, sondern sein Verhalten derart affiziert, da es sich in Anschlukommunikationen bemerkbar macht.

    Das Zustandekommen einer Kommunikation besteht mithin in der strikten Kopplung von Selektionen (die hier den Status lose gekoppelter Elemente haben). Dabei wre die Koppelbarkeit der Elemente schon relativ spezifisch, insofern immer nur die Kopplung dreier aufeinander verwiesener Selektionen unterschiedlicher Art (Informationen, Mitteilungen, Verstehensselektionen) eine Form ergbe. Nun lieferten Kommunikationsmedien als ein mediales Substrat Mengen lose gekoppelter Elemente (z.B. Worte), die bei fester Kopplung Selektionen (Aussagen) als Form ausbilden. Dabei htte - angewandte - Sprache die Spezifitt, in der Kopplung zu Aussagen (sprachliche Formen) bereits Informations- und Mitteilungsselektionen zu kombinieren (im Sinne der performativen und der konstativen Aspekte der uerung). Damit es dann zur Schlieung der kommunikativen Operation kme, mte nur noch eine Verstehensselektion hinzutreten, die sich erneut durch eine Aussage (sprachliche Form) markieren liee. Eine geregelte Sequenz von Aussagen wrde folglich die Sprache (als Menge lose gekoppelter Worte mit bestimmten Verknpfbarkeiten) in Anspruch nehmen, um in bergreifenden Sprachmustern Kommunikationsoperationen (Kopplungen von Selektionen) auszuprgen.

    Die Elemente, die nun gesprochene Sprache, Schrift, Telephon, Telegraphie, E-Mail, bewegte Bilder, Computer zur Verfgung stellen, damit man Formen ausprgen kann, an denen die [p.120] Differenz von Information und Mitteilung sich abzeichnet und in deren Verwendung es zur Einzeichnung von Verstehen kommt, variieren ganz erheblich - mit weitreichenden Folgen fr die Struktur gesellschaftlicher Kommunikation. Dabei ist die fr die Luhmannsche Kommunikationsoperation paradigmatische Situation durchaus die ber gesprochene Sprache vollzogene Kommunikation unter Anwesenden: Hier sind die eingeprgten Formen schon aus Grnden der Beschaffenheit des medialen Substrats (das sich aus Lautkomplexen, also momenthaft prsenten Vorkommnissen, zusammensetzt) genau so zeitpunktgebunden, wie es fr Operationen temporalisierter Systeme eingngig ist. [26] Jeder Laut ist unmittelbar nach seinem Erscheinen verschwunden und es ist nicht anders denkbar, das System fortfahren zu lassen, als durch ein neues Arrangement von Lauten, das zugleich ein Verstehen der vorhergehenden Artikulation markiert und als zu Verstehendes fr die nchste Anschlukommunikation fungiert.

    In Schrift, Buchdruck, Telekommunikation, bewegten Bildern und Computern finden sich nun entscheidende Abzweigungen von diesem Ausgangsfall. Sofern die gesellschaftliche Kommunikation mehr und mehr auf Schrift, Buchdruck und elektronische Medien umstellt, um Kommunikation sich reproduzieren zu lassen, kommt es zu einer praktischen Dekomposition der Operation Kommunikation, die Luhmann zusammenfassend als "soziale Entkopplung" (Luhmann 1997: 309) der Kommunikation begreift: Kommunikation geschieht nun jenseits einer ber gemeinsamen Raum und gemeinsame Zeit strukturierten Gegenwart mehrerer Bewutseine, Information und Mitteilung einerseits und Verstehen andererseits werden zunehmend raumzeitlich enkoppelt und vor allem in den elektronischen Medien schwindet die Bedeutung der Leitdifferenz von Information und Mitteilung, die berhaupt die Ausdifferenzierung der Sozialdimension als getrennt von der Sachdimension ermglichte. Das ist ganz ohne Verrenkung als eine praktische und operative Dekonstruktion der gesellschaftlichen Kommunikation zu beschreiben, die hier durch neue Kommunikationsmedien (im Sinne von: Medium-Form-Arrangements) eingeleitet wird, die nicht mehr klarer Weise Kommunikationsmedien sind.

    Dies ist dann auch der Hintergrund, vor dem die Unterscheidung von Medium und Form eine "gesteigerte Bedeutung" (Luhmann 1997: 311) erhlt, eine Dringlichkeit, die sich in Beschreibungen umsetzt, wie einer Rede vom Medienzeitalter oder einer Prominenz des Medienbegriffs, die die Frage erfordert, was der Begriff leistet und vor allem Anregung gibt, die Frage nach den Medien grundstzlich zu stellen, um die bereits vor der Hervorbringung bestimmter neuer Medien vorhandene Medialitt als Struktur aufzuspren.

    Dabei ist Luhmann sehr zurckhaltend in seinen Hauptthesen ber die Folgen der medialen Entkopplung der Kommunikationsoperation fr das weitere Prozedieren von Gesellschaft. Klar ist nur, da bei der Kommunikation unter Abwesenden (also in allen Formen der Telekommunikation) und unter Entkopplung von Information/Mitteilung und Verstehen das Zustandekommen von Kommunikationsoperationen und vor allem

  • das klare Annehmen von Selektionsofferten immer unwahrscheinlicher wird. Fr den Fall der Schrift und des Buchdrucks war die Folge die Entfaltung "symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien" (wie Wahrheit, Werte, Liebe, Macht/Recht, Eigentum/Geld, Kunst), die die Funktion erfllen, die Annahme von Kommunikationen - das heit, da Kommunikationen zu Prmissen fr nachfolgende Kommunikationen werden - wahrscheinlicher zu machen. Auch fr diese Medien fungieren weiterhin die Selektionen von Informationen, Mitteilungen und Verstehensvollzgen als das mediale Substrat. [27] Das Neuartige liegt in den Restriktionen, unter die sie die strikte Kopplung der Selektionen stellen. Ganz grundstzlich laufen sie ber den Mechanismus, fr die Selektionen bestimmte Konditionierungen auszudifferenzieren, die dann mit Motivationen verbunden sind, die so konditionierten Kommunikationen anzunehmen: Man mu Information und Mitteilung hin auf "Wahrheit" seligieren (durch Orientierungen an Theorien und Methoden) und macht mithin eine Annahme der Kommunikation durch Folgekommunikationen, die dann in hnlicher Weise spezifiziert sind, wahrscheinlicher. Oder aber man orientiert die Selektionen an Gesichtspunkten der Passung ihrer Elemente (Kunst) und macht dadurch die Annahme in einem anderen Kommunikationsfeld wahrscheinlicher. Die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien leisten mithin vor allem eine inhaltliche, semantische Spezifikation von Kommunikationsofferten, die von personaler Anbindung unabhngig machen: Egal, wer etwas in welcher Absicht, wann und wo auch immer mitgeteilt haben mag, welche Autoritt ihm auch zugekommen sein mag, er hat Information und Mitteilung derart semantisch spezifiziert, da ich mich vor dem Hintergrund symbolisch generalisierter [p.121] Kommunikationsmedien aufgefordert sehen kann, sie zu akzeptieren.

    Es scheint aber fraglich, ob symbolische Generalisierung das Fortsetzen von Kommunikation ermglichen knnte angesichts audiovisueller sowie computerbasierter Kommunikationsmedien. Die audiovisuellen Medien scheinen schlicht "alles" kommunikabel zu machen und lassen dabei die Unterscheidung von Annahme/Ablehnung als solche in den Hintergrund treten. Die computergesttzte Kommunikation fhrt sogar zu einer semantischen Entkopplung durch die Transformationen, die zwischen in- und output intervenieren.

    Dennoch liegt hier wohl in symbolischer Generalisierung die einzige vorbereitete theoretische Lsungsoption, wie gegenber den in diesen Medien vorhandenen Kommunikationsofferten geregelter Anschlu zu finden ist. Diese Option setzt dabei - der Tendenz nach recht traditionell auf semantische Vereinheitlichung und auf asymmetrische, binre Codes, um Anschlufhigkeit zu generieren. Eine Alternative zur Kontinuierung entlang der diversen Kommunikationsmedien ist schwer zu sehen. Es gibt allenfalls eine Andeutung Luhmanns, die aber in ihrer Vagheit fast eher als weiterer Schritt der Dekomposition der Gesellschaft denn als Weg des Wahrscheinlicherwerdens von Kommunikation aufzufassen ist: "Vielleicht gibt es eine ganz neue Fhigkeit, berzeugungen ganz einfach dadurch zu erzeugen, da man vor dem Bewutsein sofort wieder verschwindende Ereignisse aufblitzen lt, das dann, w i e aus sich selbst heraus, eigene Schlufolgerungen zieht." [28] Das entscheidende Wort, um hier Sozialitt und Kommunikativitt trotz "sozialer Entkopplung" zu reklamieren, liegt in dem von uns gesperrten "wie", welches unterstreicht, da es hier nicht um die Autopoiesis des Bewutseins gehen kann, das aus sich selbst heraus Schlufolgerungen zieht, sondern um eine sich fortschreibende Sozialitt, die lediglich einen neuen Operationstyp oder zumindest eine neue Technik verwendet, um ihr Netz fortzuweben: sie benutzt die scheinbar selbstlufigen, punktuellen, scheinbar idiosynkratischen Assoziationen, um soziale Redundanz entstehen zu lassen. Allein wie das gelingt, bleibt unklar. Es wird deutlich das genau hier das Feld fr weitere Forschung beginnt.

    Wollte man hier etwas zu schnell vorgehen, knnte man auf etwas verweisen, das als eine alternative Beschreibung in Frage kommt, wie Fortsetzung von Sozialitt angesichts dekomponierender Kommunikationen - zumindest in einigen spezifischen Bereichen - sich realisiert: Derridas Schilderungen des "archive fever" und insbesondere der Arbeit an und mit den Gespenstern, das heit mit dem, was nur kurz vor dem Bewutsein aufblitzt und es im folgenden seine eigenen Schlufolgerungen ziehen lt. Diese Schlufolgerungen sieht Derrida vor allem in dem Versuch dieses Bewutseins, in diesem Aufblitzen einen Vorlufer zu finden, den man beerben, das heit selektiv wiederholen mu, wobei dieser Erbschaft eine Trauerarbeit koextensiv wre. Genau dort, wo der Marxsche Text im gegenwrtigen Diskurs mehr und mehr unlesbar wird, keine klare Kommunikationsofferte mehr zu sein scheint, versucht Derrida ihn wieder lesbar zu machen, indem er seine Gespenster "beschwrt" und den Text zu beerben sucht.

  • Bevor wir aber diesen Strang entwickeln knnen, werden wir erst darstellen mssen, inwiefern Derrida unter dem Namen Hantologie, ohne sie in aller Strenge zu entfalten, eine Theorie der Medialitt angedeutet hat, die eine Reihe der Aspekte der Luhmannschen trifft, aber auf fr uns interessante Weise anders akzentuiert.

    III Jacques Derridas Hantologie

    Marx' Gespenster

    In der sehr komplexen Intervention "Marx Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale" [29] lt Derrida verschiedenste Register sich berkreuzen, ohne den Verlauf des Textes danach auszurichten, was an formalisierbaren Theoremen sich ergibt. [30] Insoweit bleibt hinlnglich unklar, was in diesem Buch eigentlich geschieht. Ein Element scheint eine - nicht als solche ausgewiesene - Theorie der Medialitt zu sein, welche die Struktur, die wir als die eines Mediums kennzeichnen wrden, unter dem Phnomen der Spektralitt, der Gespenstigkeit erscheinen lt. Dies kann man sehen, wenn man versucht, die Bemerkungen ber das Erscheinen des Gespenstes, des Spuks, der Heimsuchung hin auf die Differenz von Medium und Form zu lesen. Dabei bieten sich vorderhand zwei Strategien an: Die Gespenstigkeit ist die Form dessen, was man eine Form-in-einem-Medium nennen knnte: sobald etwas mediatisiert ist, hat es etwas Gespenstisches. Die zweite Strategie: Der Spuk und das Gespenstische sind Formen, in denen sich das Medium als solches artikuliert. Beide Strategien laufen dabei auf ein gemeinsames hinaus: Wenn eine Form gespenstisch erscheint, [p.122] dann deshalb, weil an ihr der Schatten des Mediums auftaucht [31], das strukturell immer schon als ihr Kontext mitgegeben war.

    Das Gespenst als Form-in-einem-Medium

    Wir setzen damit an, "Gespenst" als mediatisierte Form aufzufassen. Den ersten Ansatz dazu bieten Derridas Bemerkungen zum Verhltnis von Geist und Gespenst. Das Gespenst gilt ihm mit Bezug auf Marx als eine paradoxe Verkrperung, als fleischliche Erscheinungsform des Geistes (Derrida 1995: 21), oder allgemeiner gesprochen des Ideellen. Der Geist inkarniert sich im Gespenst und wird so zu einem schwer benennbaren "Ding". Ein Gespenst wrde folglich darin bestehen, da eine Idealitt oder Form (Geist) in einem Medium, einem materiellen Substrat (Leib), in dem sie nicht natrlicher Weise ausgebildet ist, Gestalt annimmt. Bei Form im Sinne Luhmanns hat man es mit eben solch einem "Ding" zu tun: Von der Beschreibung Heiders her liegt zunchst ein Ding vor, in dem Form und Substrat natrlicherweise zusammenstimmen. Dieses nun erzeugt im medialen Substrat die Einprgung einer Form, die dort nicht natrlicherweise oder von der Eigenstruktur des Substrats aus zu erwarten wre. Diese Form in einem Medium ist also die bloe Spur des Dings, eine "falsche Einheit", also przise ein "Ding" in Anfhrungszeichen. Formen im Sinne Luhmanns werden nun gedacht ohne Bezug auf das erste, natrliche Ding und betreffen nur noch die "falschen Einheiten", die "Dinge", die sich in einem Medium (Leib), d.h. einer lose gekoppelten Menge von Elementen, ausprgen.

    Marx, der Derridas Referenzautor im Bezug auf das Gespenst ist, akzentuiert, da die Verleiblichung des Geistes im Falle des Gespenstes in einem prothetischen Leib stattfindet. Er schildert den spektrogenen Proze, die Erzeugung eines Gespenstes (in unserer Lesart: einer Form), als einen Abstraktions- und Inkorporationsproze: Zunchst lst man eine Idee oder einen Gedanken von seinem Substrat ab, um ihm dann einen anderen artifiziellen, prothetischen Leib zu geben (Derrida 1995: 200). Dies erzeugt ein Gespenst, ein Phantom des Geistes. Nun bricht Derrida mit dem von Marx hier noch hochgehaltenen Gegensatz zwischen dem natrlichen und dem prothetischen Leib und macht mithin jede Verkrperung von Geist, das heit: jede in einem Substrat ausgeprgte Form, letztlich zum Gespenst (- ganz analog zu Luhmann, der in seiner Leseweise Heiders jede Form zu einer "falschen Einheit" macht).

    Wir qualifizieren unsere Aussage hier mit der Wendung "letztlich", da es offensichtlich keinen Sinn hat, alles vorkommende, alles Gestalt habende, immer und berhaupt als Phantom oder Gespenst auszuweisen. Es ist lediglich so, da es zur Struktur jeder Gestalt gehrt, da es in jedem Moment mglich ist, an ihr etwas Gespenstisches auszumachen - indem man nmlich an ihr kenntlich macht, inwiefern sie nur die Aktualisierung in einem Medium beziehungsweise die Aktualisierung eines Mediums ist. Diese Medialitt lt sich bei Derrida

  • vom Term der Iterabilitt aus erlutern. Sofern etwas Vorkommendes Form, Gestalt oder "Geist" hat, so eignet ihm eine gewisse Idealitt. Idealitt in Derridas Sinne kommt nun nur jenem zu, was wiederholbar, was iterierbar ist. Wiederholbarkeit aber ist nicht einfach das Andauern von etwas, Fortbestand in einem unzerstrbaren Zustand. Wiederholbarkeit mu doch vielmehr meinen, da etwas - paradigmatischerweise etwas Ereignishaftes - zu verschiedenen Zeitpunkten, an verschiedenen Orten hervorgebracht werden kann. Dann aber ist alles, was Form hat, auf den Moment in sich selbst geteilt, lst sich unmittelbar von sich ab. Es kann nur dann als Form-habend erkannt werden, wenn an ihm sichtbar ist, wie sich von der Aktualisierung in diesem oder jenem Substrat eine Form ablsen lt, um sie zu anderer Zeit, an anderem Ort, in einem anderen Substrat erneut zu aktualisieren. Als Form erkennen lt sich dasjenige nur, wenn es virtuell schon eine Wiederholung ist. Diese Aktualisierung, der man gegenbersteht, kann also nie die Auszeichnung erhalten, die Form in ihrem natrlichen Leib zu zeigen, da zur Formalitt der Form eben gehrt sich immer schon von ihrem Leib abzulsen. Jeder Leib ist insoweit ein prothetischer. Gleichwohl behauptet Derrida keineswegs einen Idealismus der Form, mit dem ein Reich abstrakter Idealitten unterstellt wre, die sich immer nur flchtig in ihnen letztlich uerlichen Materien einprgen. Formalitt und Idealitt sind vielmehr Effekte einer wiederholenden Praxis - die Derrida unter dem Namen einer verallgemeinerten Schrift bedenkt: Es handelt sich um Effekte in einem laufenden De- und Rekombinieren von durchaus "materiellen" Mustern. Wiederholbarkeit und Idealitt sind hier das Korrelat von Medialitt: eines prothetischen Leibes, der sich de- und rekombinieren lt und mithin erlaubt, bestimmte Ausprgungen zu regenerieren.

    Jede Form als wiederholbare hat dabei etwas Gespenstisches, sofern sie im vorhinein [p.123] heimgesucht ist von ihren vergangenen und zuknftigen Iterationen, die schon in der ueren Gestalt, erst recht aber in ihrer Signifikanz im ganzen Gefge anderer Formen, Variationen aufweisen. Im Grenzfall wird die Form als eine in einem Set von De- und Rekombinationsmglichkeiten wiederholbarer Komplex von eben diesem Medium selbst heimgesucht: an ihr wird kenntlich, da sie - wie im Prinzip jede Form - nur aufgrund der De- und Rekombinierbarkeit ihrer Zge ist. Wenn man dies beobachtet, dann kann man der Form etwas Gespenstisches attribuieren. Das entspricht der Erfahrung, eine Form wahrzunehmen, in der eine oder mehrere andere Formen diffus zu spuken, "mitzuschwingen" scheinen. Das mu nicht eine ngstigende Form annehmen, wird aber durchaus darin wiederzugeben sein, da einen da unter einer Form etwas besticht, verfolgt, da man - mit einem englischen Wort gesagt - "haunted" ist.

    Was erzwingt die Semantik des Gespenstes?

    Welchen Sinn aber hat es, mit dieser doch recht eingreifenden Interpretation auf eine Strukturhnlichkeit zur Beschreibung Medium/Form hinzufhren, um das Gespenst als eine Gestalt der Form-in-einem-Medium aufzufassen? Warum "Gespenst" ("spectre", "revenant") sagen, wenn man klarer und direkter "Form" sagen kann? [32] Dieser Kunstgriff hat den Sinn, die Tragweite der begrifflichen Konzeption von Medium/Form auszumessen. Wir versuchen mit dem Gespenst das Paradigma der Form anzugeben, auf das man stt, wenn man beginnt, sie konsequent auf das Medium zu beziehen: Die Form erhlt in diesem Bezug etwas Spektrales, wird ein Wiedergnger, der nicht die Form des Seins hat, sondern in der Form der Heimsuchung, des "es spukt" vorkommt. Was es genau bedeutet, die Form zum Gespenst zu machen, kann man in drei Zgen andeuten, die der temporalen Struktur, der phnomenalen Erscheinungsweise und der Rezipierbarkeit der medialen Form gelten:

    (a) Die temporale Struktur des Gespenstes. Das Gespenst entsteht in klassischen Formulierungen derart, da ein Ideales von einem Substrat abgelst wird und in einem anderen Substrat sich inkarniert. Mithin ist das Gespenst ein Wiedergnger, ein Revenant, ein Zurckkommender. Es erscheint als etwas Vergangenes, das sich an dem Punkt des Spuks in modifizierter, in uneigentlicher Form wiederholt. Dabei handelt es sich im genauen Fall eines Gespenstes um einen Toten oder eine Tote, der oder die gleichwohl in anderem Krper wiederkommt - was hier den spezifischen ngstigenden Spuk des Gespenstes ausmacht: die Wiederkehr des Toten zu sein. Diese Figur ist im strengen Sinne wohl kaum auf den allgemeinen Begriff von Form-in-einem-Medium zu applizieren. Durchaus verallgemeinern lt sich aber, da die Gestalt des Gespenst wie die der Form bedeutsam ist, nur insoweit sie etwas Gewesenes wiederholt, nur insofern sie also einen Rckgriff impliziert. Das in ihrer Vergangenheit Liegende scheint also die Quelle ihrer Geformtheit, die sich hier in einen anderen Krper

  • bersetzt. Dabei aber ist das Gespenstische nie einfach damit abgegolten, da man hier und jetzt den Toten wieder wachruft. Es ist vielmehr der zeichengebende Tote, der prophetische Wiedergnger, jener der gewissermaen eine Zukunft ankndigt, der das Gespenstische ausmacht. Das Gespenst als ein Spuk hat nicht die ganze Kraft einer natrlichen Gegenwart eines ehemals Vergangenen: der Spuk scheint vielmehr aus der Zukunft zu kommen, er scheint lediglich anzukndigen: ich werde wiedergekommen sein. Das zumindest ist es, was Derrida unter dem Wiedergnger verstanden wissen will: Er ruft jemand Totes wach, aber kommt aus der Zukunft, hat den Charakter einer Ankndigung, eines Versprechens, ist ein Kommender, bleibt ein Kommender, zu-Knftiger, -venir, bleibt virtuell und vage, steht noch aus. [33]

    So gesehen wre das Gespenst eine flchtig erscheinende Gestalt, die den Rckgriff auf die Vergangenheit wie den Ausgriff in die Zukunft bedeutet. Dabei aber ist sie nicht perfekte Wiederholung oder Versprechen einer vollen Wiederholung, sondern von einer ganz spezifischen, jeweils singulren Form: sie ist ein Ereignis, im strikten Sinne eine Singularitt. Am Gespenst zeigt sich zugleich Wiederholung und erstes Mal (wie auch Wiederholung und letztes Mal). Das Gespenst nimmt eine Form auf und kndigt ihr Wiedererscheinen an - das aber in einer Form, die von singulrer Gestalt ist und nie eine ganze Wiederholung darstellt, oder in Zukunft eine volle Wiederholung erfahren wird. Gespenster wren Ereignisse, an denen eine gewisse Selektivitt haftet, die sie in actu eine Struktur evozieren lt, in der sie aber nicht aufgehen. In der Figur des Gespenstes kann man mithin eine poststrukturalistische Konzeption des Ereignisses ausmachen. Es ist situiert in einem zeitlichen Proze der Iteration mit Zgen von Wiederholungen und Variationen, dem etwas Spukhaftes zueigen ist: Man hat [p.124] jeweils nur etwas vor sich, das qua Wiederholbarkeit Strukturiertheit evoziert, und etwas Vergangenes wachzurufen scheint, dennoch aber ganz einzigartig ist. Man hat zudem etwas vor sich, was nie ganz hier und jetzt ist, sondern noch aussteht, auf Zuknftiges verweist. Das Gespenst als Gestalt des Ereignisses besteht gerade in der aktuellen Aufspreizung auf Vergangenes und Zuknftiges, ist eine Spur der Vergangenheit, die die Zukunft ankndigt. An der Form wird unter der Gestalt des Gespenstes das Wirken des Nichtprsenten deutlich.

    Die hier angelegte Theoriedisposition fhrt in eine Lehre der Heimsuchung, die Derrida "hantologie" nennt, um so stumm mit dem Vorsatz eines "h" ein Denken des Ereignisses in die "ontologie" einziehen, sie heimsuchen zu lassen (Derrida 1995: 27). Dabei markiert Derrida von Anfang an, da es damit nicht um eine Aufgabe der Ontologie geht, sondern um eine Wiedereinschreibung in eine weiter gefate Logik des Spuks, die recht verstanden keine Logik oder Lehre mehr ist (wie man sich beim Lesen von Marx' Gespenster unschwer berzeugen kann), sondern nur der Versuch, das Medium der Form "Sein" zu remarkieren. Sein - wohl in erster Linie Sein des Daseins - wird dann reinterpretiert als Erben, und das kann heien: als selektives Wiederholen in einem Medium. Als wiederholbares und mediatisiertes ist das Sein - des Daseins - fr jeden Spuk offen. Das, was Sein hat, ist nicht mehr Ding, Objekt, Seiendes, sondern wird zu einem Ereignis, das nur ist, insoweit es einerseits wiederholt und verspricht, also auf anderes herauskommt, und insofern es andererseits genau diese Bezge an einem Punkt zu einer singulren Gestalt gerinnen lt, also ganz einzigartig, ganz in sich und auf anderes irreduzibel ist. Die Einzigartigkeit besteht dabei gerade in der Art und Weise des Verwiesenseins auf Anderes und mithin ist die Identitt des Ereignisses eben genau seine spezifische Weise der Verwiesenheit (oder, wenn man so will: seiner Selbstdiversitt).

    (b) Die Erscheinungsstruktur. Neben den temporalen Bestimmungen lt sich die Art von Phnomenalitt, die ein Spuk beinhaltet, noch nher charakterisieren - um so auch klarer die Spezifitt dessen, was ein Gespenst - und nicht blo das Ereignis im allgemeinen - ist, zu sehen. Das Gespenst ist nicht einfach ein Ding in Aktualitt. Es ist ein Un-ding, eine paradoxe Erscheinung: Es ist die Erscheinung von Entschwundenem - und zwar des Entschwundenen als Entschwundenes. Im Gespenst macht sich das Virtuelle, das Abwesende, das Inaktuelle als solches aktuell geltend. Das Gespenst entsteht (gem der klassischen Schilderung) durch die Inkarnation einer Form (Geist), realisiert sich aber nur insoweit, als im Gespenst sowohl Geist wie Phnomenalitt verschwinden und vielmehr einem ungreifbarem Spuk Platz machen. Derrida evoziert zur Veranschaulichung auch das Clich des Gespenstes als einer transparenten, halbdurchsichtigen Erscheinung. Das Gespenst macht so Entschwundenes als solches sichtbar, gibt die Unsichtbarkeit selbst zu sehen. So gefat scheint das Gespenst eine Figur zu sein, an dem das Medium selbst sich bemerkbar macht: Ohne da eine klare Form geprgt wre, gibt sich hier eher die Gruppe "lose gekoppelter Elemente", in denen die Formen virtuell, schemenhaft warten,

  • zu sehen. Der Spuk wre eine Figur des Mediums selbst - die gleichwohl operieren macht, also so etwas wie "anschlufhig" ist. [34] Von Luhmann aus scheint dies eine unwahrscheinliche Konstellation, da im Grunde nur die Form als anschlufhig firmiert und das Medium dasjenige ist, was in der Operation hinter ihr zurcktritt. Wie sollte also das Medium selbst in Erscheinung treten?

    Inwiefern diese Art von Spuk mglich wre, lt sich von der Qualifizierung des Spuks als etwas "sinnlich unsinnliches" zeigen, die Derrida aus Marx' Warencharakteristik aufnimmt: Sobald etwas mediatisiert ist, scheint es beschreibbar als sinnlich unsinnlich: Es gibt sich zu sehen, ist wahrnehmbar, aber nur im Horizont von aktuell nur unsinnlich gegebenen Sachverhalten: 1. Die frheren und zuknftigen Wiederholungen seiner Form und 2. der anderen im Medium mglichen Formen, die den Absetzungshintergrund der Form bereit stellen. Die Form ist mithin ein sinnlicher Zugang zum Unsinnlich-Mitgegebenen. Das Ausma, in dem man die Form in spezifizierender Absicht eine gespenstische oder unheimliche nennen knnte, wre daran zu bemessen, wie vage und kurz der Moment der "Sinnlichkeit" wre, der hier den Verweis auf eine Mannigfaltigkeit unsinnlicher Gegebenheiten erlaubt. [35] Je gespenstischer also, desto mehr liegt der Akzent auf dem nur unsinnlich, abstrakt, virtuell gegebenen - desto mehr also macht sich das mediale Substrat bemerkbar. Ein Gespenst wre also nicht streng genommen ein Medium an sich selbst - dazu weist das Medium ja auch gar nicht die entsprechende Reinheit eines Selbst auf - und folglich auch keine unmgliche Erfahrung. Es wrde sich vielmehr zur Erfahrung bringen knnen als eine Form-in-Dekomposition.

    (c) Rezeptionsstruktur. Wenn das Gespenst eine aufgespreizte zeitliche Struktur exponiert und [p.125] nur flchtig oder vage sinnlich aufscheint, um einen Exze der eigenen Form in Richtung des "Unsinnlichen" einzuleiten, dann ist dies mit bestimmten Forderungen an denjenigen verbunden, der das Gespenst wahrnehmen oder adressieren will. Das Gespenstische bietet sich dar in der Form einer Erscheinung, die unerwartbar und kaum kalkulierbar erscheint, die unfixierbar wirkt, wenn sie eintritt, und der etwas Singulres eignet. Wenn das Gespenst erscheint, ist es nie klar identifizierbar, nie sicher auf einen ursprnglichen Geist zurckzubeziehen, der sich hier ja in einem knstlichen Leib, in anderer Hlle darbietet, quasi unter einer Maske. Diese Maske ist im strengsten Fall, so Derridas Eindruck, ein Visier, das das Gespenst schtzt, ihm aber erlaubt, uns anzublicken, das heit - in Ausnutzung der franzsischen Semantik des "regarde"- : uns anzugehen. Das Gespenst sieht immer zuerst uns an, und wir sehen nicht, was uns da ansieht.

    Dieser Erfahrungstypus des Spuks als einer des Angegangenseins hat nun zwei Aspekte: Erstens ist, das, was einen dort angeht, unerkennbar, unsinnlich, irgendwie diffus, schon vergangen oder noch zuknftig. Hier zeigt sich also eine Form-in-Dekomposition, eine Form, die ins Mediale bergeht. Die Wahrnehmungshaltung mte hier eine offene sein, die sich darauf einlt, das Unerwartete und das Unfixierbare mitzusehen, die sich vollzieht als eine Art Wahrnehmung durch Nichtwahrnehmung: man sieht nicht einfach etwas, sondern hat nur einen vagen Eindruck, der etwas Zu-kommendes ankndigt, das auf die Suche setzt.

    Der zweite Aspekt des Angegangenseins aber ist, da es sich bei dem Gespenst um eine soziale Form handelt: Es gilt hier nicht einfach irgendeinen Sachverhalt wahrzunehmen oder zu erkennen, eher die verwischte Fhrte einer Person aufzunehmen, diese Person als soziale Figuration aus dem Unerkennbaren hervortreten zu lassen, sie zu "verstehen": verstehen, inwieweit sie einen angeht. Das Gespenst im Kontext Derridas ist gedacht vom toten Anderen, der einen in seinem Verschwundensein weiterhin angeht, eine diffuse Forderung darstellt, etwas mitzuteilen scheint, etwas bedeutet. Wenn es hier also eine Weise der Rezeption dieses Gespenstes gibt, dann nicht einfach durch wahrnehmendes Erkennen, sondern vielmehr in einer Art Verstehen, einer Art Aufnahme des Gespenstes, eine Art Erwiderung seines Blicks. Derrida gibt dem wiederholt die Form, da es hier gelte, das Gespenst zu "beerben".

    Wir finden uns hier also im Falle gespenstischer Formen nicht in einer erkenntnismigen oder blo psychischen Problematik, sondern vielmehr einer des sozialen Anschlusses, was Derrida erlutert am "Gespenst" (Form-in-Dekomposition), sofern es der tote Andere ist. Dieser geht einen nicht in der Weise an, da man an eine ihm zugeschriebene Kommunikation eine Folgekommunikation anschlieen wrde. Die Art und Weise, wie man an ihn anknpft, ist eine Art, ihn zu beerben - und das heit hier, ihn selektiv zu wiederholen: Beispielsweise seinen Gestus, seinen Stil, seinen Habitus in sich Form annehmen zu lassen, seine Sprechweise in die eigene zu

  • bersetzen. Das Vermgen, das von dem Gespenst hier folglich zu erben wre - das man also auszuagieren htte -, ist Derrida zufolge die "Sprache" (in einem weiten Sinne), die Fhigkeit also (von dem, was man geerbt hat) zu zeugen. Vom Anderen Zge zu erben, heit also, Zge des Bezeugens, des Sprechens, des Artikulierens, des Vererbens zu erben und in sich Gestalt annehmen zu lassen. Was man erbt ist also nicht ein Besitz, eine feste Struktur - folglich auch nicht einfach der denotative Gehalt einer Rede -, sondern eher das Potential der Artikulation, eine Sprechweise, eine performative Struktur. Man erbt die Fhigkeit, eine Erbschaft zu hinterlassen, die dem nchsten Erben nichts weiter an die Hand gibt, als die Fhigkeit, auf einen spezifische Weise zu erben - und so fort. Folglich ist diese auf sich selbst zurckkommende Struktur des Erbens nichts anderes als die Gewhrleistung eines immerwhrenden Anschlusses, indem jede Sprechweise (mit Benjamin wre zu sagen: Art des Meinens) das Erbe - oder die bersetzung - der vorangegangenen antritt. Das heit, eine soziale Operation schliet an vorangegangene hier nicht mehr blo nach dem Muster Frage-Antwort, Brief-Rckbrief an. Sie schliet an, indem sie vorangegangene Operationen selektiv annimmt, indem sie diese aufnimmt. Dabei mu Aufnehmen jetzt nicht immer heien: einfach wiederholen. Vielmehr knnen die Arten, wie man sich unter die Anforderungen eines gewissen Erbes stellt, sehr variieren. Dabei ist entscheidend, da fr ein Erbe im Sinne Derridas konstitutiv ist, da es Filterung, Auswahl, Selektion erfordert: Ein Erbe ist wesentlich eine in sich ungeschlossene Mannigfaltigkeit und stellt, wenn es angetreten werden soll, vor die Notwendigkeit, nur bestimmte seiner Zge zu aktualisieren. Daher auch kann man davon sprechen, da das Gespenst vor die Aufgabe des Erbens stelle: hier liegt eine vage Mannigfaltigkeit vor, die einen filternden suchenden Blick in Operation versetzt, in dessen Zuge erst eine Gestalt sich (in dem Rezipierenden) herausheben kann. [p.126]

    Derrida versucht nun, diese Struktur des Erbens immer wieder zu verallgemeinern (bis zu dem extremen Punkt, an dem Erben gleichgesetzt wird mit Sein [des Daseins] berhaupt). Derrida nennt so den Versuch, den Marxschen Theoriegestus zu kontinuieren, einen Versuch, Marx zu beerben, und charakterisiert (geistes)geschichtliche Prozesse insgesamt als Ketten von Erbschaften. Erbschaft wird in einem abstrahierten Sinne mithin zu einer Weise des selektiven Kontinuierens, die fr das soziale Feld insgesamt gelten knnte und dabei gerade von Formen-in-Dekomposition aus, von gespenstischen Formen aus ansetzen wrde. Man knnte hier verschiedene Grobformen unterscheiden, wie politische, sthetische, familire Erbschaften, deren Gespenster einen auf jeweils spezifische Weise angehen und die Forderung stellen: neu zu taktieren, um dieselbe relative Position zu erhalten, immer neue Konstellationen zu vollziehen, um eine gewisse Weise der Passung wiederherzustellen, ein gewisses Trauma durch das Finden immer neuer Maskierungen fortzuschreiben usf.

    Die neuen Medien und die Gespenster

    Vor diesem Hintergrund lt sich nun fragen, was durch die aktuellen elektronischen Medien geschieht, wie sie die basale Medialitt aller sozialen Phnomene und die korrelative Struktur des Erbes restrukturieren. Was geschieht dadurch, da die sthetisch, religis, finanziell usw. codierten Dinge recodiert durchs Fernsehen, in der Presse, via Cyberspace oder als ein gewisser Posten in einer ber elektronische Datenverarbeitung geregelten Transaktion vorkommen, was geschieht, wenn der andere einem nur noch in Gestalt techno-medialer Spuren entgegentritt? Offensichtlich nimmt die ganze Erscheinungsstruktur der sozialen Tatsachen andere Formen an. [36] Das kann so weitgehend und fundamental geschehen, da es ntig wird, Sozialitt als solche, in ihrer Grundstruktur neu zu fassen. Die aus unserem Zusammenhang unmittelbar interessante Dimension der Wandlungen ist gewi, ob an den sozialen Entitten ihre Medialitt durch die technische Recodierung vielleicht deutlicher zutage tritt, oder ob diese gerade unsichtbarer an ihnen wird. Das ist nun auch die Frage danach, ob die neuen Medien die Gespenster (Formen-in-Dekomposition) zahlreicher machen, die Mglichkeiten und Dringlichkeiten zu erben anreichern oder aber dezimieren.

    Natrlich liegt es schon wegen der neuen Prominenz des Medienbegriffes nahe, zu unterstellen, die neuen elektronischen Medien htten gerade erst zur Verdeutlichung der Medialitt der sozialen Dinge verholfen, htten erst die ganze Codiertheit sozialer Formen und ihr Verwiesensein auf Formen desselben Typs zu Bewutsein gebracht, htten in Erfahrungen nur pltzlichen Aufscheinens von Formen das sinnlich Unsinnliche, Chock und Spuk greifbar gemacht. Dies gilt sicher fr die Theorie, die von der Entfaltung moderner Medien lernen konnte, wie vermittelt die "Realitt" aus strukturellen Grnden seit je sich ergab. Inwiefern die so erschlossene

  • Erfahrung der Medialitt in den von diesen Medien ausgebildeten Formen auch erneut Eingang gefunden hat, ist verschiedenenorts festgehalten worden. [37] Dabei scheint aber nicht der Eindruck vertreten zu werden, da dieser Wiedereingang zu einer hheren Bewutheit gefhrt htte oder unmittelbar geschhe. Es braucht aufwendige Lektre-Bemhungen, um in den Medien die Medien selbst als ihre Botschaft zu lesen.

    Mithin ist die Ansicht prominent, da gerade die neueren elektronischen Medien nicht die Medialitt der Erfahrung zu Bewutsein bringen, sondern vielmehr ideologischen Charakter haben: sie verdecken gerade die Medialitt und Selektivitt der vorgebrachten Formen und naturalisieren das in ihnen vorgebrachte, wie die Waren den Hang haben mgen, die sie bestimmenden Relationen zu naturalisieren.

    Man knnte so versuchen, die Wirkweise der modernen Medien in dem zusammenzuziehen, was Derrida mit dem doppeldeutigen Term der Conjuration fat: Die neuen Medien verschwren sich im doppelten Sinn: Sie beschwren die Gespenster, um sie dann in einer Verschwrung um so mehr auszutreiben. Die Beschwrung lge darin, die Spuren der Medialitt an den Dingen zu evozieren, indem erstens die Medien alles kommunikabel machen, sogar jede Person in mediatisierter Form ihrer Iterabilitt aussetzen, das heit verdoppelbar machen. Dies wre vor allem eine Sache der allgemeinen Reproduktibilitt und wrde Doppelgnger, nicht aber unbedingt Gespenster in dem vollen von Derrida herausgearbeiteten Sinne zeugen: Gespenster wren ja eher Formen-in-Dekomposition. Diese knnten die Gestalt haben, da - zweitens - die Formen auffllige Spuren anderer Formen tragen - an denen etwas Verwirrendes, Bestechendes (im Einzelfall: Bengstigendes) sein mte, um vom Spuk zu sprechen und nicht blo von der schlichten Wiederholung des Gleichen. Diese Dekomposition knnte den Charakter haben, eine unstrukturierte, unkoordinierte, vermischende, [p.127] berkreuzende Darbietungsweise einzurichten, die im blichen Mediengebrauch in der Tat vorkommt und vor der eine starke Aufteilung der Reaktionen in Annahme/Ablehnung eines Dargebotenen und eine Zurechenbarkeit auf erkennbare Personen abnimmt.

    Die Austreibung nun des Spuks mit neuen Techniken wrde suggerieren, die Wirklichkeit selbst zu erreichen: in Echtzeit, in dem Ereignis absoluter Aktualitt, hinter dem die unkoordinierten, sich berkreuzenden Bild- und Tonreihen zurcktreten. [38] Das Live hat seinen spezifischen Wert erst mit dem Medium gewonnen, das am Leben den Aufschub, das Delay und die unmittelbare Wiederholbarkeit markierte. Mit dem Live sucht man nun das technische Medium zum Ort der Prsenz berhaupt zu machen, so da es zum zentralen und umkmpften Territorium wird.

    Wenn die Medien also die Gespenster vermehren, da sie letztlich alles technisch kommunikabel und reproduzierbar zu machen scheinen, da sie Formen bercodieren und die gewohnten semantischen und pragmatischen Ordnungsmuster in Dekomposition versetzen, so zeichnen sich an und in ihnen zugleich die radikalsten Versuche ab, das Wirkliche selbst zu rekonstituieren. Mit Derrida knnte man hier in Analogie zu dem, was er von den philosophischen Gespensteraustreibern Marx und Stirner sagt, den Versuch einer Rckkehr zum Geist auszumachen, einer Rckkehr zur perfekten Form ohne Leib - oder wenigstens: zu einer Form in natrlichem Leib. In diesem Versuch wrde man dem Bild einer gnzlich prsenten Idee nachjagen, einer Form, die nicht aufgrund ihrer Wiederholbarkeit sofort beginnt, ihr eigenes Medium zu sekretieren. [39] Eine Form ohne Medium, reine Prsenz ohne Schatten des Nichtprsenten - das ist vielleicht eine Vision, in der die modernen Medien mit ihrer "Echtzeitbertragung" und die neuen Fundamentalismen zusammentreffen - eine Zusammengehrigkeit auf die Derrida wiederholt verweist.

    Gegen Marx und Stirner - und per Analogie, so unsere Lesart, gegen den Mythos der Echtzeit und andere Mechanismen der Prsenzfiktion in den Medien - steht der Appell, die Gespenster einzulassen, zu ihnen zu reden, sie nicht auszutreiben, sich von ihnen ansehen zu lassen.

    Dies scheint zu der Engfhrung zweier Gesten oder Haltungen den Gespenstern gegenber zu fhren: Der des Erbens und der des Trauerns. Die Spur dieser beiden Techniken der Kontinuierung sozialer Realitt durchziehen dabei auch andere Arbeiten Derridas - vornehmlich die, die der Frage des toten Freundes und des Archivs gelten. [40] Das Setzen auf Kryptoanalyse, Erbschaft und Trauerarbeit, das hier den Spuk des anderen wachhalten soll, wird dabei entfaltet am Gegenstand "alter Medien", die die Geister vielleicht nur in dem Mae herbeigerufen

  • haben, wie sie ertragbar waren: Schichten von Gestein (archologische Materien), Stadtkrper (architektonische Medien), Schriften, Photographien. Diese Medien scheinen ihre Formen so zu enkodieren, da in den Formen das Medium sichtlich spukt - das heit so, da virtuell andere Formen in der Form spuken. Dieses Spuken macht deutlich, da es in jedem Moment etwas zu erben gibt - und folglich in jedem Moment etwas zu betrauern ist, da man nicht alles in der Form Spukende beerben kann, sondern immer nur je eine gefilterte Form. Jede existente Form ist eine, die aktiv geerbt wurde - unter den Kosten von Filterung, Selektivitt und Vergessenlassen, was darauf verpflichtet, zu trauern um das Nichtrealisierte. Erbschaft und Trauerarbeit, das sind hier komplexe Motive des stndigen Fortsetzens von - medialer - Kommunikation: Einerseits liegt hier der Versuch, die Entkopplung und Dekomposition der sozialen Formen zu verlschenden Spuren anzuhalten, indem die Spuren gelesen, nachgezogen, beerbt werden. Das aber drngt andererseits bestimmte, nicht nachgezogene Zge der verlschenden Spuren in den Hintergrund. Zudem reproduziert die Erbschaft die Entkopplung der sozialen Form immer wieder, sofern sie selbst nur die Gestalt einer verlschenden Spur hat: Geerbt wird schlielich nur eine Weise des Vererbens und diese gibt sich dem nchsten nur zu verstehen unter der Gefahr, ihrerseits unerkannt zu bleiben. Das Erben mu selbst von einem Medium von Spuren zehren, um sich zu manifestieren, um so die nchste Erbschaft - und korrelativ: Trauer ber die immer unvollkommene Gestalt des Erbes - ins Werk zu setzen.

    Wenn wir hier aber zu suggerieren beginnen, in den Haltungen der Erbschaft und der Trauer fnden sich Operationen, mittels derer die medial dekomponierte soziale Realitt sich fortsetzbar hielte - und dies sogar noch ohne eine Prsenzfiktion zu bemhen - mu doch eine gewisse Schrgheit dieses Vorschlags auffallen. Wo es sich aufdrngt, da der tote Freund einem die Brde des Erbens auferlegt und verpflichtet, seine Spuren - so verwischt und so verloren sie im Medium der Erinnerung, der Photographien, seiner Texte, der Orte, an denen man ihn finden konnte, sind - so zu lesen, da man ihm gerecht werden kann, da man ihn [p.129] beerben kann und zugleich nicht derart aneignet, da er als Anderer verlschen wrde, da schiene es doch seltsam, eine verirrte, kryptische E-mail-Botschaft einer derart intrikaten Spurensuche unterziehen zu wollen, um "erben" zu knnen. Die Besonderheit der Erbschaftssemantik, vor allem ihr appellativ-ethischer Charakter und ihre affektive Tnung, lt es problematisch erscheinen, das "Erben" hier in Richtung auf eine allgemeine, grundlegende Operation sozialer Wiederaufnahme hin zu lesen.

    Daneben existiert noch ein weiterer Grund der Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch ergeben, im "Erben" und "Trauern" (im abstrahierten Sinne) andere, durch neue Medien forcierte Modi sozialer Fortschreibung zu erkennen: Geht man von einer systemtheoretischen Perspektive im Sinne Luhmanns aus, die psychische und soziale Systeme als gegeneinander geschlossen auffat, ist die Frage, inwiefern diese Begriffe nicht dadurch ungeeignet werden, da sie in ihrer zunchst handlungstheoretischen Prgung eher psychische Erfahrungen treffen wollen, als Prozesse zu beschreiben, die ein Modus sozialer Autopoiesis sind. In der Tat wrde man hier Schwierigkeiten haben, die von Luhmann als basale Operation allen sozialen Geschehens ausgewiesene Kommunikationsoperation (Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen) auszumachen. [41] Das trifft sich aber andererseits durchaus mit dem Befund, die Medien fhrten zur raumzeitlichen Dekomposition dieser Operation und weiter zur "sozialen Entkopplung". Vielleicht lassen die elektronischen Medien eine andere Ebene der Erzeugung sozialer Redundanz entstehen, die man gerade mit engem Bezug zu psychischen Operationen behandeln mte. Luhmann selbst macht deutlich, da die neuen Medien das Problem verschrft vor Augen fhren, wie die Autopoiesis des Sozialen sich unter Inanspruchnahme von Bewutsein fortsetzen kann. Bliebe also die Frage, ob es mglich wre, die in sehr spezifischem Kontext vorgebrachte Haltung der Erbschaft und der Trauer derart zu verallgemeinern, da sie zeigte, wie es in enger struktureller Kopplung mit Bewutsein anhand der in technischen Medien prozessierten Formen zu einer Fortschreibung von Sozialitt kommt, die nicht mehr recht zu verstehen ist als Anschlu von Kommunikation an Kommunikation. [42]

    III Systematisches und Architektonisches zu einer Theorie der Medien

    Aktualitt und Potentialitt

    Nachdem wir nun auf etwas berdeterminierten Wegen eine Reihe von begrifflichen Bestnden, Analyseformen und Hypothesen durchgegangen sind, wollen wir einige Linien etwas enger ziehen, um so die Systematizitt

  • einzuholen, die wir in Aussicht gestellt haben durch eine Frage wie "Was ist ein Medium?", durch einen Vorschlag, Medium/Form zur Leitdifferenz zu machen, und durch den Terminus einer Hantologie.

    Wir unterstellen dabei, da eine historische und kulturelle Situation es nahelegt, ganz elementare Strukturen mittels der Unterscheidung von Medium und Form zu rekonzeptualisieren, da man so die basale Textur sieht, auf deren Grundlage so etwas wie ein "Medienzeitalter" als Selbstbeschreibungsweise der Gesellschaft durchdringend werden kann.

    Die allgemeinste Gestalt von Medium und Form suchen wir dabei im Anschlu an die von ontologischer und metaphysischer Tradition geprgten Unterscheidungen von Aktualitt und Potentialitt sowie von Form und Materie. Sofern Medium/Form mit Potentialitt/Aktualitt enggefhrt wird, ist die ber Medium/Form strukturierte Situation immer eine sinnhaft strukturierte Situation, in dem sehr abstrakten Sinne, den Luhmann der Kategorie Sinn gegeben hat. [43]

    Ein Medium im Bezug auf eine Form entspricht dem Potential im Bezug auf eine Aktualitt. Dieses Potential ist zunchst als potentia passiva aufzufassen, als das Bereitstellen von Mglichkeiten zur Ausprgung eines Aktes (einer Aktualitt). Gleichwohl kann man dem Akt nicht die Verantwortung fr seine Ausprgung selbst zuschreiben. Es ist vielmehr die Verkettung der Akte, das heit also die gerichtete Fortschreibung des Mediums als Potential von Ausprgung, die neue Akte hervorbringt. Folglich htte man ebensoviel Recht, dem Medium Eigenschaften der potentia activa anzusinnen. Diese etwas unklare Situation lsen wir auf, indem wir uns mit unserer Rede von Medium/Form an den Fall halten, in dem es ein temporalisiertes System gibt, das heit einen in der Zeit sich ausspinnenden, sich selbst reproduzierenden Zusammenhang, der in der Verkettung von Formen besteht. Der Trger der Aktivitt, der Potenz des Einprgens der Akte, wre mithin das System. [44] Dasjenige, aus dem heraus es Formen prgen wrde, wre das Medium. Das Medium ist nun aber nicht einfach als ein Material gedacht, sondern ist ein Korrelat des Anschlusses von Form an Form.[p.129] In diesem Anschlu zeichnet sich, wenn es sich um ein System handeln soll, eine Kohrenz ein, das heit eine Isomorphie der Formen, die aber, wenn es sich um eine temporalisiertes System handeln soll, keine absolute Isomorphie sein kann: Ohne minimale Variation der Formen, wre Zeit hier nicht gegeben.

    Das System bestnde also, so die These, in einem variierenden Wiederholen von Formen. In diesem Zusammenspiel von Alteration und Wiederholung lieen sich zu jedem Moment per Analyse bestimmte distinkte Zge der verketteten Formen, eine bestimmte Elementarstruktur dieser festmachen. Diese Elementarstrukturen, diese zu Elementen dekomponierten Formen sind nun eine Weise, in der das Medium beschreibbar ist. Das Medium ist mithin kein Material, kein Trger, keine Wachsmasse, die einem Subjekt in seinem Inneren zur Verfgung steht, auf da es in sie seine Gedanken eintragen knnte. Das Medium ist die in Form von Potential gebrachte Systemvergangenheit. Es ist festzumachen an der Tatsache, da eine Verkettung von Formen eine Elementarstruktur und Restriktionen von Verknpfbarkeit erkennen lt, die in den Formen, verstanden als Rekombinationen der Elemente, lesbar sind.

    Insoweit ist die Gegebenheitsweise des Mediums genau in der Systematizitt des Systems zu sehen. Dieses System nmlich ist durchaus nicht ein Container, in dessen Inneren Formen aneinandergereiht werden. Es ist einfach die Reihe der Formen als Reihe, das heit als temporal entfalteter Zusammenhang. Folglich ist es auch keine wirkliche Hilfe, dem System die Einprgeaktivitt zuzuschreiben, da es nichts ist, als eben diese Prgung. Auf dieser basalen Ebene macht es noch keinen echten Sinn - auer den des Vertrauterwerdenlassens des Beschriebenen - von Handelndem und Handlung zu sprechen, eine Sprecherin (als Akteurin) vom Wort (als Akt) im Medium der Sprache (als dem Einprgematerial) zu trennen. Wir haben vielmehr einen selbstlufigen Proze von Ordnungsaufbau, an dem wir verschiedene Aspekte unterscheiden wollen - Medialitt, Formalitt, Systematizitt, Temporalitt usf. - die wir dazu nominalisieren als Medium, Form, System, Zeit usf.

    Wir haben nun also das Vorhandensei