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Verschwörung der Roboter

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Verschwörung der Roboter Sie dienen dem Dunklen Oheim

von Hubert Haensel

Atlan - König von Atlantis - Nr. 489

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In das Geschehen in der Schwarzen Galaxis ist Bewegung gekommen. Schwerwiegende Dinge haben sich bereits vollzogen – weitere Ereignisse von großer Bedeutung bahnen sich an.

Es begann damit, daß Duuhl Larx, der verrückte Neffe, mit zwei gefange­nen Magiern an Bord des Organschiffs HERGIEN durch die Schwarze Ga­laxis raste und Unheil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, daß die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis gebracht wur­de und nicht zuletzt auch damit, daß Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten.

Inzwischen hat die große Plejade den Lebensring um Ritiquian aufgelöst. Der Dunkle Oheim mußte seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Neffen, die Statthalter des Dunklen Oheims, sterben aus.

Ob damit das Schicksal der dunklen Mächte in der Schwarzen Galaxis endgültig besiegelt ist, bleibt abzuwarten. Der Dunkle Oheim trifft jedenfalls einschneidende Maßnahmen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusam­menführt.

Während dies sich vollzieht, ohne daß Atlan die Entwicklung entschei­dend behindern kann, passieren auf Pthor besorgniserregende Dinge. Ei­nes davon ist die VERSCHWÖRUNG DER ROBOTER …

Die Hautpersonen des Romans: Leenia - Die ehemalige Körperlose wird verfolgt. Quabs - Ein Robotdiener. Gambor - Ein Dalazaare mit mehr als einer Seele. Atlan und Kennon - Der Arkonide und der Terraner auf den Spuren einer Mordverschwörung. Herr Moonkay - Großbürger von Wolterhaven.

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1.

Die Dunkelheit um sie herum war fast vollkommen, Leenia hatte jeden Begriff für die Zeit verloren, die inzwischen verstrichen war. Matt und ab­geschlagen fühlte sie sich, ihre Füße schmerzten, und die Hände waren mit Schürfwunden bedeckt, die sie sich auf rostigen Leitern zugezogen hatte.

Aber sie gab nicht auf. Hunger quälte sie und Durst. Sie hatte weder Aussicht, etwas Eßbares

aufzutreiben, noch eine Quelle zu finden. Aus Stahl waren die Wände, stählern auch der Boden und die Decke.

Enge, kilometerlange Gänge, düstere Schächte, die in eine ungewisse Tie­fe führten.

Das einzige, was es in Hülle und Fülle gab, war Staub. Bei jedem Schritt wirbelte er auf, brannte wie Feuer in den Augen und legte sich er­stickend auf die Schleimhäute.

Die Zunge klebte Leenia am Gaumen, ihr Hals war rauh und trocken. Kurz und heftig ging ihr Atem, während sie hustend vorwärts taumelte.

Es gab kein Zurück, gab nur ein Weiter – unermüdlich, hoffend, und wenn es sein mußte, bis zum bitteren Ende. Wie tanzende Irrlichter er­schienen ihr manchmal die Leuchtmarkierungen, die in regelmäßigen Ab­ständen angebracht waren. Immer öfter schwollen sie zu rotierenden Feu­erbällen an, die schließlich aufglühend vergingen. Was blieb, war eine dü­stere Schwärze, in der man die Hand kaum vor Augen sehen konnte.

Die ehemalige Körperlose wußte, daß die Sinne ihr einen Streich spiel­ten; aber sie brachte es nicht fertig, sich aus diesem Teufelskreis zu lösen. Im Gegenteil. Es wurde ständig schlimmer.

Die Markierungen führten zu einem Schacht, dessen Ende nicht abzuse­hen war. Leenia zitterte, als sie sich bäuchlings halb hineingleiten ließ und mit den Füßen nach der Leiter tastete, die irgendwo am Rand verankert sein mußte.

Sie stieß ins Leere. Angst schlich sich in ihre Gedanken ein. Schattenhafte Wesen schienen

sie von allen Seiten zugleich anzuspringen, verzerrte Fratzen starrten sie an.

All die Spannung, unter der sie stand, löste sich in einem gellenden Schrei. Aus der Tiefe drang ein vielfaches Echo zu ihr herauf.

Die Enge war bedrückend, legte sich wie ein eisernes Band um ihren Brustkorb und nahm ihr den Atem.

Langsam rutschte Leenia ab. Eine Schraube, die neben ihr gelegen hatte, rollte über den Boden und

verschwand in der Finsternis. Scheinbar eine kleine Ewigkeit verging, bis

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sie unten aufschlug. Dann herrschte wieder Stille.

Fassungslos starrte das Gewicht den Dalazaaren an. Das feiste, aufge­schwemmt wirkende Gesicht verzog sich in ungläubigem Erstaunen.

»In seiner Brust wohnen drei Seelen«, stammelte der Orxeyaner. Lang­sam wich seine gesunde Farbe einer unnatürlichen wächsernen Blässe.

Es war schwer zu begreifen … Drei Seelen! Solches hatte es nie zuvor gegeben. Immer wieder schüttelte er den Kopf. »Vielleicht wurde die Seelenwaage irgendwann beschädigt«, sagte

Gäham Lastor, der Händler, dem die beiden Dalazaaren das verkaufen wollten, was für viele nur Legende war: die Stahlquelle, gelegen inmitten des unwegsamen Blutdschungels, umgeben von tödlichen Gefahren.

Er hätte besser geschwiegen. »Du bist ein Narr, Gäham«, kreischte das Gewicht. »Ein hirnloser, gott­

verdammter Narr, der nur Quorks zu scheffeln weiß, aber niemals in die Geheimnisse unseres Seins eindringen wird.«

»Und …?« machte Lastor verständnislos. »Dann will ich dir etwas sagen, du Halsabschneider. In der Chronik von

Orxeya steht es verzeichnet, daß die Zeit reif sein wird, wenn viele Seelen sich zusammenfinden. Dann werden schwarze Nebel das Land verhüllen, und Kälte wird aus den Wassern emporsteigen und die Herzen der Men­schen vergiften. Und Pthor wird sein wie ein Staubkorn unter vielen …«

»Das Geschwätz von Waschweibern!« behauptete der Händler. »Was willst du damit entschuldigen? Tygon Hasset war ein Seelenprüfer, der die Waage behandelte wie ein rohes Ei. Du hingegen bist nur auf die Bezah­lung versessen.«

»Wage es nicht, Gäham, mir solches vorzuwerfen. Gerade du, der du nicht davor zurückschrecken würdest, deine eigene Mutter zu bestehlen …«

»Reicht das?« unterbrach der Händler abrupt. Aus einer der vielen Fal­ten seines Umhangs förderte er einen Quork hervor, den zwar feine, leider aber verschwommene Schnitzereien zierten.

Das Gewicht schüttelte den Kopf. »Wofür? Doch wohl nur für den einen mit dem niedrigen Seelenwert.« »Für beide!« Der Alte starrte den Händler verblüfft an, als würde dieser sich vor sei­

nen Augen in ein Monstrum verwandeln. Er schien nicht zu wissen, ob er weinen oder lachen sollte, brach dann aber in glucksendes Gelächter aus.

»Drei Seelen sind teurer als eine, mein Freund. Was glaubst du, welche Mühe ich habe, einen neuen Schein auszustellen.«

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»Wieviel?« »Drei Quorks! Aber keine minderwertigen Exemplare.« Gäham Lastor stöhnte auf. Abermals griff er in seinen Umhang, und er

brachte wunderschön verzierte Knochen zutage. Das Gewicht strahlte, als es diese erblickte.

»Zwei«, sagte der Händler. »Nicht einen mehr. Immerhin, das mußt du zugeben, sind sie von besonderem Wert.«

»Gib her! Mit dir Geschäfte zu machen, fällt schwer.« Lastor grinste. Das Gewicht verschwand, kehrte aber schon nach wenigen Minuten mit

zwei Blättern des Bmuuhr-Baumes zurück. Das waren die Seelenscheine, die auch in Jahrzehnten nicht welken würden, denn der Seelenerschaffer hatte sie in seiner Aura präpariert.

Ein gurgelnder Schrei ertönte von der Waage her, der abrupt abbrach. Lastor wirbelte herum, als er des Gewichts ungläubige Miene sah. Der alte Mann zitterte. Leenia lauschte dem längst verhallten Klang. Die Furcht schnürte ihr die Kehle zu.

Krampfhaft suchte sie nach einem festen Halt, doch ihre Hände rutsch­ten auf dem glatten Boden ab. Die stickige Luft hier unten und die An­strengung trieben ihr den Schweiß aus allen Poren.

Irgendwo mußte eine Leiter sein, das wußte Leenia. Wenn nicht, hatte sie ohnehin verloren, blieb ihr nur ein einziger Weg offen – der Weg zu­rück zur Kuppel des Herrn Merpaux, wo inzwischen sicher die Diener des Großbürgers warteten.

Plötzlich stießen ihre Füße gegen ein Hindernis. Leenia erkannte es als Verbindungsstück zwischen Leiter und Schachtwand.

Die jäh aufkommende Hoffnung verlieh ihr neue Kräfte. Für die Dauer einiger tiefer Atemzüge sah es tatsächlich so aus, als könne sie sich halten, dann stürzte sie endgültig.

Kein Laut kam über ihre Lippen. Im Bruchteil eines einzigen Augen­blicks zog all das an ihr vorüber, was sie in den vergangenen Tagen erlebt hatte.

Pthor befand sich im Umbruch – die Dimensionsfahrstühle versammel­ten sich, die Magier waren verschwunden, und überall tauchten unheim­lich wirkende, den Technos ähnelnde Wesen auf, die man nie zuvor gese­hen hatte. Und die Robotbürger von Wolterhaven hatten Geheimnisse, die in irgendeiner Weise mit dem Dunklen Oheim in Zusammenhang standen.

Zwei Meter, vielleicht auch drei, war Leenia gefallen, als ein heftiger Ruck durch ihren Körper fuhr. Ihre Füße trafen auf etwas Hartes, glitten aber daran ab.

Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde sie nach vorne gerissen, stauchte

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sich die Arme, die sie in einer Reflexbewegung ausstreckte, und schlug mit dem Kopf gegen die Schachtwand.

Ihre Knie schrammten über Metall, sie spürte einen Schlag gegen ihren Leib, der ihr die Luft aus den Lungen preßte, und drohte die Besinnung zu verlieren.

Sie schaffte es dennoch, zuzupacken. Ihre Hände verkrampften sich um das kühle Metall einer Strebe.

Leenia wußte später nicht zu sagen, wie lange sie hilflos im Schacht ge­hangen hatte. Irgendwann fanden ihre Füße einen zweiten Widerstand, und sie stemmte sich dagegen und schaffte es, die Arme zu entlasten.

Die Leiter! schoß es ihr durch den Sinn. Sie fragte nicht lange, weshalb die obersten Sprossen fehlten, denn was wirklich zählte, war einzig und al­lein, daß sie noch lebte.

Während sie dann langsam in die Tiefe hinabstieg, drehten sich ihre Ge­danken nur um den Dunklen Oheim und die Ungeheuerlichkeiten, die sie vom Herrn Merpaux erfahren hatte. Vor Pthor lag eine düstere Zukunft.

Endlich war die Leiter zu Ende. Da Leuchtmarkierungen fehlten, mußte Leenia sich in völliger Finsternis zurechtfinden. Der Schacht durchmaß ungefähr zwei Meter und war völlig glatt. Nirgends schien es eine Öff­nung zu geben, durch die man hinausgelangen konnte.

Leenia bedauerte, daß sie keine Lampe bei sich trug. So blieb ihr nichts anderes übrig, als das Metall abzutasten.

Sie hatte sich auf eine längere Suche eingestellt – indes fand sie recht schnell eine senkrecht verlaufende Rille, die in etwa eineinhalb Metern Höhe rechtwinklig abbog. Im Mittelpunkt der so abgegrenzten Fläche gab es eine winzige Vertiefung. Als sie ihren Daumen darauf preßte, entstand ein schnell größer werdender Spalt. Die Wand schob sich zur Seite.

Der Himmel über Wolterhaven war diesig. Erst vor kurzem schien es geregnet zu haben.

Leenia schloß trotzdem geblendet die Augen, denn die plötzliche Hel­ligkeit schmerzte. Gierig sog sie die frische, würzige Luft ein. Die begin­nende Schwäche, die sich wie Blei in ihren Gliedern bemerkbar machte, klang rasch ab.

Leenia verließ dann die Röhre. Sumpfiger Boden schloß sich schmat­zend um ihre Knöchel.

Mit einemmal waren alle Zweifel wie weggeblasen. Die ehemalige Kör­perlose kannte das Gelände nördlich von Wolterhaven. Es war morastig und unwegsam; in diesem Gebiet verlor sich die Straße der Mächtigen et­wa fünf Kilometer vor der Stadt.

Zurückblickend sah sie das ausgedehnte gerüstähnliche Gebilde, auf dem die Plattformen der Robotbürger ruhten. Unzählige glatte Röhren strebten senkrecht in die Höhe, bis etwa zehn Meter über dem Boden die

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eigentliche Stadt begann. Errichtet auf trügerischem Grund, dachte die Frau. Und genauso trüge­

risch ist das Verhalten ihrer Bewohner. Noch befand sie sich nicht in Sicherheit, noch konnten jeden Moment

Roboter erscheinen, um sie, die Unvollkommene, zu töten. Der Blick auf die Sonne blieb ihr verwehrt. Sie wußte nicht, ob es später Nachmittag war oder erst früh am Morgen. Wenn sie wartete, bis die Dämmerung herein­brach, setzte sie sich nur unnötig der Gefahr aus, entdeckt zu werden. Ganz abgesehen davon, daß die Maschinenwesen des Nachts ebenso gut sehen konnten wie am Tag.

Leenia zögerte nicht länger. Während sie nach Norden lief, wandte sie sich mehrmals um. Aber die

Stadt lag still da, wie ausgestorben. Nichts deutete darauf hin, daß sie be­obachtet wurde.

Leenia benötigte fast eineinhalb Stunden, um die Straße der Mächtigen zu erreichen.

Hier wurde das Gelände wüstenähnlich. Die Frau vermied es geflissent­lich, auf dem ausgeglühten Band der Straße weiterzugehen, obwohl sie sich sagen mußte, daß gerade da am wenigsten Gefahr drohte. Zu ihrer Linken erstreckten sich in einiger Entfernung die Ausläufer des Blutd­schungels, während auf der anderen Seite das Land weithin eben war und überschaubar. Fern im Süden erhoben sich die Gipfel der Großen Barriere von Oth aus dem flimmernden Dunst des Tages.

Leenias vorläufiges Ziel war Orxeya, die Stadt der Händler. Dort, so hoffte sie, würde man ihr weiterhelfen. Ein schnelles Yassel, vielleicht so­gar ein Zugor, mochte sie innerhalb kürzester Zeit zur FESTUNG bringen.

Es war warm, beinahe schwül. In der Luft lag das Summen unzähliger Insekten, die in riesigen Schwärmen am Rand des Dschungels tanzten. Von weither kam rollender Donner. Über der Ebene Kalmlech schien sich ein Unwetter zusammenzubrauen.

Leenia blieb nun öfter stehen und wandte sich um. Wolterhaven, wie ein funkelndes Juwel am Rand der grünen Wildnis, war inzwischen in seiner ganzen Ausdehnung zu überblicken. Kühn geschwungene Türme erhoben sich neben mächtigen Kuppelbauten, und aus der Ferne wirkten die tragen­den Säulen wie Hunderte winziger Füße.

Im Laufe der nächsten Stunden kam sie gut voran. Aber dann, als der Himmel aufriß und die Sonne für kurze Zeit sichtbar wurde, gewahrte Leenia einen winzigen, glitzernden Punkt, der schnell näherkam. Im Schein der schräg einfallenden Strahlen erkannte sie einen Roboter, der ihr folgte. Er war allerhöchstens noch vier oder fünf Kilometer hinter ihr.

Obwohl der Verfolger sie längst entdeckt haben mußte, war die Frau nicht gewillt, sich einfach dem Schicksal zu ergeben. Wenn sie Glück hat­

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te, konnte sie den Dschungel erreichen, bevor der Diener sie einholte. Sie hastete weiter, das quälende Stechen in der Brust ignorierend, das

sich schon nach wenigen hundert Metern bemerkbar machte. Jeden Au­genblick rechnete sie damit, von der Energie einer Strahlwaffe getroffen zu werden.

Aber nichts geschah. Ein Gefühl sagte ihr, daß der Roboter schnell aufholte. Sie konnte nur

hoffen, daß die Maschine im Gestrüpp des Urwalds ihre Spur verlor. Das dichte Unterholz war bereits zum Greifen nahe, da gewahrte Leenia

eine flüchtige Bewegung. Entsetzt hielt sie inne, als die ersten Büsche sich vor ihr teilten. Silbern schimmerte es zwischen den Ästen.

Ein Roboter trat ihr entgegen, von simpler Konstruktion und wahr­scheinlich ein Handlanger. Trotzdem würde sie sich nicht gegen ihn be­haupten können.

Leenia wandte sich um und floh erneut. Gleichzeitig wußte sie aber auch, daß sie keine Chance hatte zu entkom­

men. Alles schien in einem wirblenden Reigen zu versinken. Das Meer der Far­ben, das ihn in der Seelenwaage umfangen hatte, wich noch immer nicht von ihm.

Fremde Gesichter starrten ihn an – Gesichter, die näherkamen und sich dabei zu grinsenden Fratzen verzerrten. Ihre riesigen Augen schienen ihn bannen zu wollen. Aus den sich öffnenden Mündern schlug ihm ein dump­fes Murmeln entgegen.

Gambor verstand nicht, weshalb sie ihn bedrängten. Ich hasse euch! dachte er. Wer ihr auch sein mögt und woher ihr

kommt, ich hasse euch! Er fühlte Befriedigung und offenkundige Zustimmung und wurde ruhi­

ger. Die wirbelnde Bewegung verlangsamte sich daraufhin. »In seiner Brust wohnen drei Seelen.« Seltsamerweise begriff Gambor den Sinn dieses Satzes, und er ahnte,

daß damit das gemeint war, was er für die Stimmen der Ahnen hielt. Denke nicht darüber nach! Da waren sie wieder, diese Worte, die scheinbar in seinem Innern ent­

standen, die aus ihm heraus zu ihm sprachen. Wer bist du? fragte der Dalazaare lautlos. Vergiß meine Anwesenheit! Finde dich damit ab, daß du ohnehin nichts

zu ändern vermagst. Und wenn ich nicht will? Ich weiß, du hast in deinem Leben alles ausgeführt, was du dir vor­

nahmst. Andernfalls hättest du nie die Stahlquelle gefunden. Aber verzich­te auf solche Überlegungen, denn die Wahrheit würde deinen Geist ver­

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wirren. Ich hasse dich! Hallendes Gelächter ließ Gambor zusammenzucken. Es füllte seinen

Schädel aus und trieb ihn an den Rand des beginnenden Wahnsinns. »Ich hasse dich!« schrie er laut hinaus. »Laß mich in Ruhe, Dämon!« Ein beklemmender Druck fiel von ihm ab. Schlagartig war alles anders.

Gambor erkannte, daß nur die Seelenwaage an seinem Zustand schuld war. Wenn er sie zerstörte, mußte der Spuk vorübergehen.

Den gebrechlich wirkenden Orxeyaner, der sich das »Gewicht« nannte, stieß er kurzerhand zur Seite. Zwei seltsam geformte Blätter fielen zu Bo­den, und der Alte stieß einen schrillen Schrei aus.

»Haltet ihn!« Gambor hastete vorwärts. Hell und durchscheinend war das Material, aus dem die Schale, das

Kernstück der Seelenwaage, bestand. Den Dalazaaren erinnerte es an Ala­baster.

Mit bloßen Fäusten drosch er darauf ein. Indes blieben seine Schläge wirkungslos; die Schale schien sich zu verformen, auszuweichen. In das Kreischen des Gewichts mischte sich ein dumpfes Brausen wie von einem losbrechenden Sturm.

Das Geräusch kam von den verschiedenen Figuren rund um den hölzer­nen Pfahl. Sie veränderten sich auf erschreckende Weise. Waren sie bisher schon von abstoßender Häßlichkeit gewesen, so offenbarte sich in ihnen nun alle Abscheu der Unterwelt. Das Böse, das innerhalb der Schwarzen Galaxis eine Heimstatt gefunden hatte, sprach aus diesen einfachen Schnitzereien. Gleichzeitig senkte sich Finsternis über den Raum.

»Nein!« Die Stimme des Gewichts überschlug sich förmlich. »Tu es nicht! Du zerstörst die Hoffnung unzähliger Generationen.«

Mit einer Kraft und Verbissenheit, die niemand ihm zugetraut hätte, fiel der Alte Gambor in den Arm. Der Dalazaare wurde herumgewirbelt, bevor er überhaupt richtig erfaßte, was geschah.

Dann ging alles ziemlich schnell. Mochte die Seele von Pthor wissen, woher Gäham Lastor plötzlich den Knüppel hatte, jedenfalls schlug er da­mit zu, und Gambor sank stöhnend zu Boden.

Das Gewicht wurde mitgerissen und jammerte fürchterlich. Es beruhigte sich erst wieder, als es sah, daß die Seelenwaage langsam in ihren ur­sprünglichen Zustand zurückfand.

»Man sollte ihn den Horden der Nacht zum Fraß vorwerfen«, schimpfte der Orxeyaner und zeigte auf den regungslos daliegenden Gambor. »Die Peitschenträger werden ihre Freude haben.«

Schon hatte er sich umgewandt und schritt auf die Tür zu, als die Klinge eines Schwertes ihm unmißverständlich zu verstehen gab, daß es besser

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sei, zu bleiben. »Ich meine es ernst«, fauchte Merdino. »Niemand wird meinen Freund

ausliefern.« In die Augen des Alten trat ein wütendes Funkeln. So mit ihm umzu­

springen, hatte bisher niemand gewagt. »Ich hoffe, wir haben uns richtig verstanden«, drängte Merdino. »Vergessen wir den Vorfall«, ließ sich jetzt Gäham Lastor vernehmen.

»Der Dalazaare hat auf mich einen äußerst verwirrten Eindruck gemacht, was wahrscheinlich auf das ihm fremde Wiegen seiner Seele zurückzufüh­ren ist.«

»Vergessen …?« platzte das Gewicht heraus. »Niemals! Für mich ist er nichts weiter als ein Wilder, der selbst vor einem Mord nicht zurück­schreckt.«

»Vielleicht läßt dein Gedächtnis sich damit beeinflussen.« Der Händler zog zwei Quorks aus seinem Umhang hervor und hielt sie dem Alten hin.

»Hm«, machte der und griff blitzschnell zu. »Zwei sind herzlich wenig, findest du nicht auch?«

»Wieviel?« »Noch zwei, aber von den wertvollsten, die du bei dir trägst.« »Ich denke gar nicht daran, deine Raffgier …« »Wie du willst, Gäham. Doch kenne ich dich gut genug, um zu wissen,

daß du es nicht zulassen wirst, daß ein Dalazaare das Gewicht tötet. Au­ßerdem würde keiner von euch dieses Haus lebend verlassen.«

Merdino blickte den Händler fragend an. Lastor bedeutete ihm, das Schwert zu senken.

»Also gut, zwei Quorks zusätzlich. Aber dafür schweigst du über den Vorfall, bis die Dalazaaren und ich unser Geschäft abgewickelt haben.«

»Für heute vergesse ich, was geschehen ist«, nickte das Gewicht. »Jeder folgende Tag kostet dich einen weiteren Quork. Ich nehme an, der Handel, den du abzuschließen gedenkst, verspricht sehr viel Gewinn.«

Gäham Lastor blieb keine andere Wahl, als zähneknirschend zu bezah­len. Während etliche Knochenstücke mit wunderschönen Schnitzereien den Besitzer wechselten, kam Gambor wieder zu sich.

»Was ist geschehen?« wollte er wissen, als er die Waffe in Merdinos Hand sah. Seine bewußten Erinnerungen endeten in dem Augenblick, als er die Seelenwaage betreten hatte. Der Roboter war abermals schneller und versperrte ihr den Weg. Leenia resignierte.

»Was soll nun geschehen?« fragte sie. »Was hat der Herr Moonkay mit mir vor?«

»Ich weiß es nicht«, kam es erstaunt von dem Handlanger. »Allerdings will mir scheinen, daß du mich nicht erkennst, Leenia. Ich bin Quabs.«

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»Quabs!« rief sie erfreut aus. »Warum folgst du mir?« »Der Herr Merpaux meinte, daß du vielleicht Hilfe nötig hättest.« Das hatte sie wirklich. Sie fühlte sich schwach und ausgelaugt, hatte

Hunger und Durst, die Beine taten ihr weh, und ihre Hände wiesen Blasen auf und unzählige offene Stellen, die so bald wie möglich ausgewaschen werden mußten.

»Wenn du mir helfen willst, bringe mich nach Orxeya.« Der Roboter nahm Leenia auf die Arme und hob vom Boden ab. In

schnellem Flug ging es nach Norden. Quabs berichtete, daß die Dienerscharen des Großbürgers noch immer

gegen die Kuppel des Herrn Merpaux anrannten. Seltsamerweise schienen sie diese nicht zerstören zu wollen, denn das wäre ihnen leichtgefallen.

Plötzlich schwieg er. »Wir werden verfolgt«, erklärte er nach einer Wei­le.

»Roboter?« »Sie kommen aus der Richtung von Wolterhaven.« »Ob sie uns entdeckt haben?« »Das ist anzunehmen. Da es sich nicht um Handlanger handelt, sind ihre

Ortungen besser als meine.« »Das trifft wahrscheinlich auch auf ihre Geschwindigkeit zu«, vermute­

te Leenia spontan und wunderte sich gleichzeitig, daß sie so gelassen blieb.

»Sie werden uns bald eingeholt haben«, bestätigte Quabs. Er ging tiefer und nutzte den Schutz jeder Bodenerhebung.

Sosehr Leenia sich auch anstrengte, sie konnte nichts von den Verfol­gern sehen.

»Wieviele sind es?« »Drei«, sagte Quabs. »Die Entfernung beträgt etwas mehr als fünf Kilo­

meter.« »Wir müssen in den Dschungel fliehen.« »Das würde wenig nützen, weil sie uns auch dort aufgrund meiner ener­

getischen Streustrahlung aufspüren können. Nur wenn wir uns trennen und ich sie ablenke, kannst du ihnen vielleicht entkommen.«

Unbewußt schreckte Leenia davor zurück, allein und ohne Waffen den Gefahren des Urwalds begegnen zu müssen. Andererseits sah sie natürlich ein, daß es keine bessere Möglichkeit gab als die von Quabs aufgezeigte.

Der Roboter landete, setzte sie ab und drang vor ihr in das Dickicht ein. Krächzend stob ein Schwarm buntgefiederter Vögel auf. Etliche kleinere Tiere suchten erschreckt das Weite.

Dann hatten Quabs und Leenia den schmalen Buschgürtel hinter sich gelassen. Das feucht-schwüle Reich der riesigen Blutbäume umfing sie.

Blühende Moose und dickblättrige Pflanzenarten bedeckten den Boden,

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der hier noch sandig war und trocken. Erleichtert stellte Leenia fest, daß sie keine Spuren hinterließen.

Nachdem sie einige hundert Meter weit vorgedrungen waren, sagte Quabs:

»Es ist an der Zeit, daß du deinen eigenen Weg gehst. Halte dich immer nach Norden und verlasse den Dschungel erst, wenn du sicher sein kannst, daß die Verfolger nicht mehr hinter dir her sind.«

Leenia warf dem Handlanger einen bedauernden Blick zu. Sie wußte selbst nicht, wieso, aber mit der Zeit entwickelte sie so etwas wie ein Freundschaftsgefühl für ihn.

»Das klingt fast, als würden wir uns nicht wiedersehen«, meinte sie. »Vielleicht«, erwiderte Quabs. »Ich besitze keine Waffe, um meine Exi­

stenz wirksam zu schützen. Aber der Herr Merpaux hat schon mehrere sei­ner Diener verloren, er braucht um einen Handlanger nicht zu trauern.«

»Du bist ebenfalls dieser Meinung?« »Mein Dasein ist rein mechanischer Natur. Ohne den ständigen Kontakt

zu meinem Herrn würde ich kaum selbständig handeln können. – Doch nun geh, Leenia. Die Diener des Großbürgers nähern sich dem Blutd­schungel.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schwebte Quabs davon, tiefer in den Urwald hinein, wo dieser dichter wurde und Lianen und allerlei schmarot­zende Pflanzen die Sicht behinderten.

»Lebe wohl«, murmelte Leenia, verharrte noch einen Augenblick und lief dann weiter. Das gelegentliche Ächzen und Stöhnen, das aus großer Höhe zu ihr herabdrang, erschreckte sie. Es hörte sich an, als würden die Bäume miteinander kämpfen. Als plötzlich abgerissene Äste neben ihr ins Moos klatschten, schrie Leenia erschrocken auf und begann zu rennen.

Erst eine ganze Weile später hielt sie inne, um sich zu orientieren. Nach dem Stand der Sonne konnte sie sich nicht richten, weil diese hinter dich­tem Laub verborgen blieb. Aber sie fand schnell heraus, daß viele Bäume auf einer Seite mit Flechten bewachsen waren. Je tiefer sie in den Dschun­gel eindrang, desto spärlicher wurde dieser Bewuchs, der in Richtung auf die Steppe zeigte, von wo aus hin und wieder kalte Winde einfielen.

Die Schwüle zehrte an Leenias Kräften, außerdem verspürte sie ein schier unerträgliches Kratzen im Hals, weil Mund und Gaumen völlig aus­gedörrt waren. Einige Beeren, die sie fand, brachten kaum Linderung.

Schließlich hörte sie das Plätschern von Wasser. Das Geräusch schien von überall her zu kommen; es fiel schwer, seinen

Ausgangspunkt zu bestimmen. Erst als es merklich leiser wurde, erkannte Leenia, daß sie in die falsche Richtung lief.

Sie eilte zurück und hielt sich mehr nach rechts. Und wirklich, schon nach wenigen Minuten gelangte sie an den Rand einer kleinen Lichtung,

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auf der eine Quelle sprudelte. Das Wasser sammelte sich in einem schlam­migen Becken und verschwand als recht ansehnliches Bächlein in einer tiefen Schlucht, die hier ihren Anfang nahm und in ihrer Länge nicht zu überblicken war.

Das kühle Naß ließ Leenia jegliche Vorsicht vergessen. Erst als unter ihr der Boden in Bewegung geriet, fiel ihr siedendheiß das Versäumte ein.

Leider zu spät. Selbst der verzweifelte Sprung zur Seite konnte sie nicht mehr davon bewahren, zusammen mit einer trügerischen Schicht aus Erde, Laub und Pflanzen in die Tiefe zu stürzen.

Zum Glück fiel sie weich und verletzte sich nicht. Aber dann mußte sie feststellen, daß es keine Möglichkeit gab, die etliche Meter tiefe Grube wieder zu verlassen. Die Wände waren steil und boten keinerlei Halt. So­bald sie versuchte, an ihnen emporzuklettern, brach das Erdreich nur wei­ter aus.

Nach und nach fand Leenia schließlich zu ihrer gewohnten Ruhe zu­rück.

Sie war wütend auf sich selbst, daß sie blindlings in diese Falle getappt war. An manchen Stellen wirkten die Wände wie festgestampft und mit ei­ner dünnen, glasigen Schicht überzogen.

Hatten Jäger eines der im Blutdschungel lebenden wilden Stämme die Grube ausgehoben? Das schien wahrscheinlich. In diesem Fall durfte Lee­nia darauf hoffen, über kurz oder lang aus ihrer mißlichen Lage befreit zu werden.

Ein leises Geräusch ließ sie aufmerken. Es kam nicht von oben, sondern von der Seite, aus der Erde. Tatsächlich

zeigte sich gleich darauf eine erste Bewegung. Sand bröckelte aus, und ein rasch größer werdendes Loch entstand.

Leenia wich zurück. Sie fühlte förmlich das Unheimliche, das langsam näherkam.

Etwas, das aussah wie ein borkiger Baumstamm, schob sich aus der ent­standenen Öffnung, verhielt und schien zu wittern. Winzige Extremitäten zu beiden Seiten des mindestens drei Meter langen Körpers befanden sich in unablässiger Bewegung. Unzählige Haarbüschel, die aussahen wie fein gefächerte Korallen, richteten sich auf.

Das Tier ließ sich auf den Boden gleiten und kroch mit ruckartigen Be­wegungen auf Leenia zu.

Angsterfüllt sah die Frau sich um. Es gab keinen Fluchtweg. Ihre Hände tasteten nach einem großen Stein, der halb aus der Erde her­

ausragte. Mit einiger Anstrengung gelang es ihr, diesen zu lösen. Aber sie hatte nicht die Kraft für einen gezielten Wurf, und der Felsbrocken blieb kaum einen halben Meter vor dem wurmähnlichen Geschöpf liegen.

Nachrutschende Erde zwang Leenia zur Seite. Ein Teil der Wand brach

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in sich zusammen und bildete so eine zwar verhältnismäßig steile aber kei­neswegs unbezwingbare Schräge.

Mit einem schnellen Satz warf sich die Frau herum. Unter ihren Füßen gab lockerer Sand nach, und sie brach fast bis zu den Knien ein. Verzwei­felt kämpfte sie sich wieder frei.

Mehr kriechend als laufend gewann sie an Höhe und kam dem Rand der Fallgrube näher. Aber dann hagelte es Steine und faustgroße Dreckklum­pen. Erneut verlor sie den Halt und rutschte die Schräge hinunter. Ein flüchtiger Blick zeigte ihr, daß der Wurm für das unvermindert anhaltende Bombardement verantwortlich war. Seine unzähligen Beine rissen den Bo­den auf und schleuderten ihr das Geröll entgegen.

Im Fallen bekam Leenia einen Ast zu fassen. Verzweifelt klammerte sie sich daran fest, und als sie endlich wieder auf die Beine kam, schwang sie ihn wie eine Keule und ließ ihn auf das Monstrum herabsausen.

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2.

Es gab unzählige Kneipen in Orxeya; an fast jeder Straßenecke schlug dem Fremden der Geruch schalen, abgestandenen Kromyats entgegen, den die Händler längst nicht mehr wahrnahmen. Gäham Lastor, in Begleitung der beiden Dalazaaren, lenkte seine Schritte zu einem Gebäude, das durch sein rotes Aushängeschild schon von weitem als Schänke zu erkennen war.

»Die ›Drei Brunnen‹ ist haargenau das Richtige für euch«, sagte er. »Der Wirt versteht es, Drachenfleisch schmackhaft zuzubereiten.«

Sie stiegen hinab in einen muffigen, von blakenden Fackeln nur unzu­reichend erhellten Keller.

Bänke und Tische bestanden aus rissigen, ungehobelten Brettern, die man notdürftig zusammengefügt hatte. Dennoch waren fast alle Plätze be­setzt.

»Gäham, wieviele Plätze suchst du?« dröhnte ein tiefer Baß. Der Wirt eilte geschäftig herbei und hielt dem Händler einen bis obenhin gefüllten Krug entgegen.

»Dort drüben ist etwas frei.« Er deutete auf eine seitliche Nische, die von der Treppe her nicht einzusehen war.

»Was soll ich euch bringen?« »Noch einen Kromyat und zwei Portionen Fleisch für meine Freunde«,

bestellte der Händler. Ein mißbilligender Zug erschien auf dem Gesicht des Wirtes. »Der Braten ist ausgezeichnet. Du kränkst mich, Gäham, Freund meiner

Stieftochter, wenn du das Mahl ausschlägst.« »Später, Pergat, später. Ich weiß deine Kochkünste zu schätzen, nur ist

meine Zeit knapp bemessen.« »Du hast dich sehr lange nicht um Alma gekümmert. Mir dünkt, deine

Leidenschaft zu ihr wird mit jedem Tag kälter.« Der Wirt stemmte die Fäuste in die Hüfte und funkelte den Händler wütend an.

»Ganz bestimmt nicht«, beeilte Lastor sich, zu versichern. »Es geht um ein Geschäft von einhundert Quorks.«

»Einhun …?« »Die Hälfte davon soll Alma gehören. Aber zuvor …« »Die Hälfte?« Pergats Augen wurden deutlich größer. »Wirklich die

Hälfte?« »Zuerst sieh zu, daß die beiden hier das Beste bekommen, was du zu

bieten hast. Ich zahle später für sie.« »Nicht nötig«, wehrte der Wirt ab. Sein fettes Gesicht glänzte vor freu­

diger Erregung. »Deine Freunde sind selbstverständlich meine Gäste. Und

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für sie habe ich wirklich das Beste.« Damit nahm er den Krug vom Tisch und verschwand.

Grinsend wandte Lastor sich den Dalazaaren zu. »Wenn ihr gesättigt seid, unterhalten wir uns weiter. Allerdings komme

ich nicht in die Schänke zurück …« »Das kann ich verstehen«, unterbrach Gambor, »wenn diese Alma ge­

nauso ist wie ihr Stiefvater.« Lastor zeigte mit den Händen, daß sie minde­stens die doppelte Leibesfülle besaß wie er selbst, woraufhin der Dalazaa­re betroffen schwieg.

»Ihr findet mich in meinem Haus«, sagte Lastor. »Wenn ihr die Kneipe verlaßt und die Gasse geradeaus weitergeht, könnt ihr es überhaupt nicht verfehlen. Es ist das mit dem schönsten Fachwerk, ungefähr tausend Meter weiter auf der linken Seite.«

»Wir werden es finden.« Als der Wirt mit zwei neuen Krügen kam, verschwand Gäham Lastor

wortlos. Keine zehn Minuten später standen zwei Schüsseln mit riesigen Portio­

nen von gebratenem Fleisch vor den Dalazaaren, dazu gedünstetes Gemü­se und Obst, wie sie es bisher nicht gesehen hatten. Und alles mundete ausgezeichnet. Sie verschlangen es mit einem wahren Heißhunger. Schnell leerten sie auch die Krüge.

»Was wird Lastor jetzt machen?« platzte Gambor plötzlich heraus. Merdino sah ihn erstaunt an. »Er scheint eine Verabredung zu haben.« »Ich traue ihm nicht ganz. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß er uns

übervorteilen will. Ich werde mich draußen ein wenig umsehen.« »Wie du meinst.« Merdino leckte sich die vom Bratenfett triefenden

Finger ab und langte erneut in die Schüssel mit dem Fleisch. »Ich halte es hier eine ganze Weile aus. – He, Wirt, noch einen Krug von diesem ausge­zeichneten Wein!«

Pergat mußte sogar ein drittesmal nachschenken, bevor Merdino sich allmählich Gedanken machte, wo Gambor blieb.

»Vielleicht ist er bereits bei Gäham«, meinte der Wirt. Merdino zuckte mit den Schultern. Schließlich erhob er sich aber doch

und verließ die »Drei Brunnen«. Der Weg war leicht zu finden und ebenso das Haus, das Lastor be­

schrieben hatte. Indes zeigte sich keine Spur von Gambor. Die Tür war offen, so daß Merdino nicht widerstehen konnte. Sie knarr­

te leise in den Angeln, als er sie aufstieß. Der Dalazaare betrat nacheinander mehrere kostbar ausgestattete Räu­

me. Dicke Teppiche dämpften seine Schritte.

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Ein Geräusch ließ ihn innehalten. Es war von oben gekommen. Merdino hastete die weit geschwungene Treppe hinauf. Eine zweite Tür. Sie war nur angelehnt. Von dahinter erklangen hastige

Atemzüge und ein undefinierbares Rascheln. Merdino stieß die Tür mit dem Fuß auf … … und erstarrte. Keine zwei Schritte von ihm entfernt kniete Gambor.

Quabs hatte die drei Diener des Herrn Moonkay in der Ortung. Sie waren zweifellos hinter ihm her und holten allmählich auf. Aber dann trennten sie sich und zwei drangen seitlich tiefer in den Dschungel ein.

»Sie wissen, daß du ihnen unterlegen bist«, gab der Herr Merpaux über Funk zu verstehen. »Deshalb werden sie dich einkreisen und überwälti­gen.«

»Ich habe ihnen nichts entgegenzusetzen.« »Du mußt kämpfen, Quabs, denn sie wollen deine Existenz auslöschen.

Vergiß nicht, daß alles, was du tust, für die Erhaltung der Vollkommenheit ist.«

»Ich weiß es, Herr.« »Dann handle danach!« Der Roboter, der als einziger der Spur des Handlangers folgte, holte

langsam auf, während die beiden anderen sich nach Westen entfernten. Quabs gelangte an eine tief eingeschnittene Schlucht, deren Hänge ge­

röllbedeckt waren. Nur wenige Bäume wuchsen hier, aber selbst diesen schien die Nahrung zu fehlen, denn sie waren verkrüppelt und trugen nur spärliches Laub.

Mehr als einhundert Meter waren es bis zur anderen Seite. Schon wollte der Handlanger vom Boden abheben, als ein heftiger Impuls des Herrn Merpaux ihn innehalten ließ.

Daraufhin setzte er sich in Marsch und stieg vorsichtig den Hang hinab. Jeder Schritt löste eine Vielzahl von Steinen, die polternd und weitere Brocken mit sich reißend in der Tiefe verschwanden.

Quabs durchquerte den kleinen Fluß am Grund der Schlucht und schick­te sich an, wieder in die Höhe zu steigen. Diese Wand war steiler und fast völlig kahl. Mächtige Felsblöcke ragten aus dem zum Teil recht lockeren Erdreich hervor, die, wenn sie erst einmal in Bewegung gerieten, nichts mehr aufzuhalten vermochte.

Manche dieser Findlinge waren von Flechten überwuchert, hinter denen sich Hohlräume gebildet hatten. Vorübergehend spielte Quabs mit dem Gedanken, sich darin zu verbergen und für eine begrenzte Zeit sämtliche Funktionen auszuschalten. Aber der Befehl, den er erhielt, ließ dies nicht zu.

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Der Handlanger verstand nicht, weshalb er die Klappe an seinem Kör­per öffnen sollte und eine der beiden Speicherzellen entnehmen. Er begriff genauso wenig, welchen Sinn es hatte, diese unter einem weit überhängen­den Felsen zu verbergen. Das Versteck wäre für ihn groß genug gewesen.

Auf Geheiß des Herrn Merpaux aktivierte er schließlich sein Flugaggre­gat, schwebte senkrecht in die Höhe und landete unmittelbar am Abhang. Von hier aus war deutlich zu erkennen, wo auf der anderen Seite er hinab­gestiegen war.

Quabs wartete. Keine fünf Minuten später erschien drüben der Arbeiter des Großbür­

gers. Quabs nahm es nur flüchtig wahr, weil er sämtlichen Energiever­brauch auf ein Minimum gedrosselt hatte, gerade soweit, daß er hand­lungsfähig blieb.

Der Verfolger verharrte zunächst, dann näherte er sich zielstrebig dem Versteck, in dem die Speicherzelle lag und mehr als das Zehnfache der Energie nutzlos abstrahlte, die Quabs in seinem augenblicklichen Zustand verbrauchte.

»Jetzt!« kam ein geraffter Impuls vom Herrn Merpaux. Dessen Diener schreckte aus seiner Starre auf und stemmte sich eine

Nanosekunde später gegen einen zentnerschweren Stein, der den Hang hinunterpolterte und dabei eine wahre Lawine auslöste. Keine zehn Meter tiefer löste sich der überhängende Felsen unter der Wucht des Aufpralls.

Der Arbeiter des Großbürgers reagierte zwar schnell, aber nicht schnell genug, um den Gefahrenbereich noch verlassen zu können. Er wurde in die Tiefe gerissen; sein stählerner Körper brach mitten entzwei. Während die eine Hälfte aufglühend verging, verschwand die andere im aufschäu­menden Wasser des Flusses.

Quabs' Flug wirkte unsicher, als er den Hang hinunterschwebte. Er fühl­te sich auch entsprechend »schlecht«, soweit man bei einem Roboter über­haupt von Gefühlen reden kann. Obwohl ihm nach den Gesetzen der Lo­gik das Fehlen seines zweiten Energiespeichers nichts hätte ausmachen dürfen, war er erleichtert, diesen unbeschädigt in der Felsspalte wiederzu­finden, in der er ihn zurückgelassen hatte. Anschließend ging es ihm bes­ser, und er kam sogar von selbst auf die Idee, nach der Strahlwaffe des zer­störten Dieners zu suchen. Er fand sie auf dem Grund des Flusses, zwi­schen Algen und Kieseln, unmittelbar neben dem Torso.

»Du mußt vorsichtig sein«, mahnte der Herr Merpaux. »Glaube nicht, nachdem du einen Arbeiter besiegt hast, daß du auch die beiden anderen schnell überwältigen kannst.«

»Ich verstehe«, antwortete Quabs. »Und ich werde alles daransetzen, um der Vollkommenheit Geltung zu verschaffen.«

Er verließ die Schlucht in nordwestlicher Richtung. Höchstens zwei Ki­

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lometer trennten ihn von dem nächsten Roboter, während der andere sich sofort seinem neuen Kurs anpaßte und ihm folgte. Eine kurze Berechnung verriet Quabs, daß er im Abstand von zwei Minuten mit beiden konfron­tiert werden würde, vorausgesetzt, er behielt seine Geschwindigkeit bei.

Der Dschungel wurde dichter, die Bäume traten näher zusammen. Lia­nen und andere schmarotzende Pflanzen versperrten zeitweise die Sicht. Quabs zerfetzte sie mit schnellen Bewegungen seiner Arme.

Plötzlich klatschte etwas Schweres auf ihn herab. Ein sich windender, länglicher Körper, mit einer Vielzahl von Saugnäpfen bewehrt und mes­serscharfen Klauen, die selbst in dem Metall, aus dem der Handlanger be­stand, tiefe Kratzen hinterließen.

Quabs versuchte, das schlangenähnliche Tier abzuschütteln. Es gelang ihm nicht. Als er zupackte, spritzte ihm eine trübe, Flüssigkeit entgegen, die sich wie ein hauchdünner Film auf seine Sehzellen legte.

Quabs verlor die Orientierung, drehte sich mehrmals haltlos im Kreis und stürzte. Die Schlange ließ von ihm ab, als er am Boden lag. Aber nur, um sich gleich darauf mit weit aufgerissenem Rachen abermals auf ihn zu stürzen. Diesmal bekam der Roboter sie am Nacken zu fassen und schleu­derte sie weit von sich.

Mit Moos und Büscheln von Gras begann Quabs dann, seine Sehzellen zu säubern. Anfangs verwischte die Flüssigkeit, und er konnte nicht viel mehr erkennen als verschwommene Konturen. Erst nach einer Weile wur­de sein Blick klarer.

Das war auch der Zeitpunkt, in dem die Stimme hinter ihm erscholl. »Mein Herr möchte von dir wissen, wohin diese Leenia geflohen ist.« Quabs erschrak. Es war ein Fehler gewesen, die beiden Arbeiter des

Großbürgers vorübergehend aus seinen Gedanken zu verdrängen. »Sprich endlich, oder Merpaux wird um einen weiteren Handlanger är­

mer sein.« »Ich weiß es nicht«, antwortete Quabs. »Sie hat sich von mir getrennt

und geht ihre eigenen Wege.« »Wohin hat sie sich gewandt?« Er streckte einen Arm aus und deutete nach Nordwesten. »Sie wollte

zur Feste Grool.« »Du lügst«, stellte der Arbeiter unumwunden fest. Quabs wirbelte herum. Die sengende Hitze eines Strahlschusses streifte

ihn, war aber möglicherweise nur als Warnung gedacht. Trotzdem sprang er mit einer blitzschnellen Bewegung zur Seite und schoß.

Der Diener des Herrn Moonkay verging in einer blendenden Explosion. Flammen huschten über den Waldboden, erstarben jedoch schnell wieder, da sie in dem saftigen Grün kaum Nahrung fanden.

Ungläubig starrte Quabs auf die verstreut liegenden Trümmer.

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Ich habe ihn zerstört, dachte er. Ich, ein einfacher Handlanger, den alle bisher verachtet haben.

»Nicht alle«, meldete sich sein Herr. »Es war schon immer meine Mei­nung, daß größere Fähigkeiten in dir stecken.«

Quabs hörte das nicht ungern. »Bist du wirklich davon überzeugt?« fragte er.

»Wir reden darüber, sobald du den dritten Arbeiter ausgeschaltet hast. Leenia muß entkommen, denn sie weiß die Vorschrift der Vollkommen­heit zu achten.«

War der Herr Merpaux skeptisch? Seinen wohlgewählten Worten nach zu urteilen, schien er von der Überlegenheit seines Dieners doch nicht all­zu viel zu halten.

Ich werde es ihm zeigen! nahm Quabs sich vor. Tatsächlich erhielt er dazu schneller die Gelegenheit, als ihm lieb war.

Ein Strahlschuß bohrte sich unmittelbar vor ihm in den Boden und verfehl­te ihn nur, weil er just in diesem Moment abhob. Sofort schaltete er auf höchste Beschleunigung und verschwand im Gewirr der Baumkronen.

»Was willst du von mir?« hallte seine Stimme durch den Dschungel. »Du bist unvollkommen und hast dich gegen die Vorschrift gestellt.« »Ich – unvollkommen?« Es hörte sich an, als lache Quabs. »Sage dem

Großbürger, daß er sich einen anderen Dummen suchen soll, der ihm das glaubt.«

Langsam schwebte er durch ein Meer von Blättern, wich dicken Ästen aus und wischte dünne Zweige mit wütenden Bewegungen zur Seite. Nie hätte es geschehen dürfen, daß er derart überrumpelt wurde. Er hatte den Arbeiter in der Ortung, aber um einen gezielten Schuß anzubringen zu können, mußte er ihn auch sehen. Indes schien es dem anderen genauso zu ergehen. Fauchend brannte ein Energiestrahl eine Bresche in das Laub­werk – fast einen Meter entfernt.

Quabs näherte sich dem mächtigen Stamm eines Blutbaums. »Nutze ihn als Deckung!« forderte der Herr Merpaux. Der Handlanger verharrte, registrierte erneut, wo sein Gegner sich be­

fand und ging tiefer. Abermals verfehlte ihn ein Schuß. Dann brach er aus der Baumkrone hervor und feuerte, kaum daß er freie

Sicht hatte. Der Arbeiter des Herrn Moonkay wurde mitten in der Bewe­gung getroffen und stürzte. Quabs nahm die Greifklauen erst vom Auslö­ser seiner Waffe, als nur noch glutflüssiges Metall übrig war.

»Und jetzt«, ließ er seinen Herrn wissen, »werde ich Leenia folgen.« Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß Gäham Lastor nicht mehr leb­te. In seltsam verkrümmter Haltung lag er inmitten einer ausgedehnten Blutlache.

Das Zimmer sah aus, als habe ein heftiger Kampf stattgefunden. Möbel­

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stücke waren umgeworfen, kostbare Wandteppiche herabgerissen. In sei­ner Rechten hielt der Händler ein Schwert, dessen Klinge abgebrochen war. Der Mörder mußte mit enormer Kraft zugeschlagen haben.

Selbst jetzt lag noch ein deutlicher Zug grenzenlosen Erstaunens auf dem Gesicht des Toten. Eine weit aufklaffende Wunde zog sich quer über seinen Oberkörper. Sie mußte sofort tödlich gewesen sein.

Allerdings konnte Merdino sich keine Waffe vorstellen, die eine solche Verletzung hervorrief.

Wirklich keine …? Gambor erhob sich soeben. Er war blaß und zitterte, und in seiner Hand

funkelte das Schwert aus der Stahlquelle. Und noch etwas sah Merdino: Der Dalazaare trug wieder das Fell der Yam-Katze locker um seine

Lenden geschlungen. »Du …«, stammelte er. »Du hast ihn getötet!« Gambor blickte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. Zögernd, als berei­

te es ihm Schwierigkeiten, sich in dieser Umgebung zurechtzufinden, setz­te er einen Fuß vor den anderen. Merdino wich zurück.

»Warum? Nur des Felles wegen?« »Ich …«, brachte Gambor schwerfällig hervor, dann schüttelte er den

Kopf. »Soll das heißen, daß Lastor nicht durch deine Klinge starb?« Mit einer ruckhaften Bewegung schob Gambor das Schwert in den Gür­

tel, was sein Freund mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. »Ich fand ihn so«, behauptete er. Nur sprachen die Tatsachen eindeutig dagegen. Der Händler konnte

kaum länger als einige Minuten tot sein. Und Merdino hatte, als er die Schänke verließ, niemanden auf der Straße gesehen. Zwar stand ein Fen­ster des Raumes offen – doch um durch dieses auf den Hof zu fliehen, mußte man schon fliegen können.

»Das ist die Wahrheit«, beteuerte Gambor. »Weshalb sollte ich ihn um­bringen – sage mir, weshalb? Ich hätte überhaupt keinen Grund dafür.«

»Und das da?« Merdino deutete auf das Fell. Gambors Augen weiteten sich in jähem Erstaunen, aber auch Entsetzen

zeichnete sich in ihnen ab. Allmählich schien er zu begreifen, daß niemand ihm glauben würde.

»Es lag neben der Leiche«, sagte er. »Ich habe es an mich genommen, weil es mir gehört. Aber Lastor deshalb zu töten – das ist Unsinn. Merdi­no, du mußt mir glauben, hörst du, du mußt!« Die letzten Worte schrie er förmlich heraus. Er schien der Verzweiflung nahe.

Der schrecklichen Wunde nach zu schließen, hätte sein Schwert blutbe­fleckt sein müssen, womöglich gar sein Wams. Aber das war beides nicht.

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Und ganz bestimmt hatte Gambor nicht die Zeit gehabt, wenigstens die Klinge zu säubern. Je länger Merdino darüber nachdachte, desto unhaltba­rer wurde sein Verdacht. Außerdem – würde der Freund sich nicht eines Skorpionwurms bedient haben, um unauffällig zu töten?

»Mag sein, daß du die Wahrheit sagst«, gab er schließlich zu. »Aber wer ist der Mörder? Bist du ihm begegnet?«

Gambor schüttelte den Kopf. »Ich war auf der Straße, als ich verdächtige Geräusche hörte. Dann

schrie jemand, aber während ich die Treppe heraufstürmte, brach der Schrei abrupt ab. Ich hörte einen Körper fallen und fand Lastor wenige Augenblicke später. Er war bereits tot.«

»Also hast du den Täter gesehen.« »Nein. Das Zimmer war leer, nur das Fenster stand offen.« »Nichts könnte mich zwingen, da hinauszuspringen«, stellte Merdino

fest. Unmittelbar neben der Hauswand führte ein alter Brunnenschacht in die Tiefe. Es hätte einer gehörigen Portion Glück bedurft, nicht hineinzu­stürzen.

»Dann war es ein Geist!« stieß Gambor hervor. »Kein Orxeyaner wird uns das abnehmen. Weißt du, was sie mit uns

machen werden?« »Mit mir, meinst du.« »Wie ich die Händler einschätze, kennen sie da keinen Unterschied.« »Dann glaubst du mir?« »Obwohl es schwerfällt«, nickte Merdino. »Das ist interessant«, erklang plötzlich eine tiefe Stimme. »Wir sind

nämlich ganz anderer Meinung.« Gambor schrie überrascht auf, Merdino wirbelte herum. Wie lange die

drei Orxeyaner auf dem obersten Treppenabsatz standen und ihnen lausch­ten, vermochte keiner zu sagen.

»Es ist uns egal, wer von euch Gäham erstochen hat, denn ihr werdet beide sterben.«

»Wir waren es nicht«, beteuerte Gambor abermals, ohne Gehör zu fin­den. »Schließlich wollten wir mit ihm ein Geschäft abschließen.«

»Morden und Rauben – das ist alles, was ihr Wilden könnt.« Mit gezogener Klinge stürmte der erste der Orxeyaner vor. Gambor pa­

rierte seinen schwungvoll geführten Hieb mit spielerischer Leichtigkeit. Währenddessen eilte Merdino zur rückwärtigen Wand, wo etliche Waffen zur Zierde aufgehängt waren. Er riß die ersten beiden Schwerter an sich, die er greifen konnte. Gerade noch rechtzeitig wandte er sich um, und schlug einen geschleuderten Speer beiseite. Ein wütender Aufschrei ant­wortete ihm.

Mit seinen zwei Klingen wehrte Merdino den Angreifer mühelos ab.

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Der Kampflärm mußte mittlerweile die halbe Stadt aufgeschreckt haben. »Auf die Straße hinunter!« schrie Gambor. »Hier sitzen wir in der Fal­

le!« Merdino prellte seinem Gegner die Waffe aus der Hand. Der Augen­

blick der Überraschung genügte ihm, den anderen bewußtlos zu schlagen. Auf der Treppe ertönte lautes Rufen. Schon war Gambor bei der Tür,

hastete die Stufen hinab und stieß entsetzt dreinblickende Händler über das Geländer, bevor diese begreifen konnten.

»Komm, Merdino, schnell!« Wie durch ein Wunder entging Gambor gleich zwei Speeren, die sich

unmittelbar hinter ihm in die hölzerne Wandverkleidung bohrten. Das Fell! dachte Merdino. Es beschützt ihn! Jetzt war er ebenfalls auf der Treppe und sah sich einem halben Dutzend

zu allem entschlossener Orxeyaner gegenüber. Sie behinderten sich gegen­seitig, als sie auf ihn eindrangen.

Merdino kämpfte wie ein Berserker. Mit der Linken schlitzte er einem der Händler das Wams auf, daß dieser laut schreiend stürzte, mit der Rech­ten trieb er einen anderen die Stufen hinunter. Es war wie ein Rausch, der über ihn kam. Keuchend und schwitzend, aber mit der Kraft der Verzweif­lung, hielt er sich die Angreifer vom Leib.

Von der Straße her vernahm er jetzt Gambors Rufen. Es wurde drängen­der. Gleichzeitig hörte er auch das Schreien der heranrückenden Menge. Wenn er ihr in die Hände fiel, war sein Schicksal besiegelt. Zweifellos würden die aufgebrachten Händler keine Gnade kennen.

Ein Yassel wieherte. Gleich darauf wurde Hufschlag laut, der sich schnell entfernte. »Gambor!« schrie Merdino, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Wieso ließ der Freund ihn schändlich im Stich? Hatte er vergessen, daß

sie einst geschworen, einander zu helfen? Der Dalazaare stürzte vor, und seine Klingen lichteten die Reihen der Angreifer.

Er hatte das Ende der Treppe fast erreicht, als ein harter Stoß in den Rücken ihn straucheln ließ. Vor seinen Augen begann alles zu verschwim­men. Merdino stürzte, wollte sich abfangen, aber seine Arme versagten ihm den Dienst. Da erst spürte er die Schmerzen, die ihm den Atem nah­men, und er verstand.

Er hatte verloren! Zu Ende war sein Traum von Macht und Reichtum. Merdinos letzter Gedanke galt dem Freund. Früher hätte Gambor ihn nie­mals im Stich gelassen, aber in den vergangenen Tagen hatte er sich ver­ändert – seit sie zum erstenmal die Stimmen der Ahnen vernommen … Der Wurm stieß ein gräßliches Zischen aus, das Leenia eisige Schauer über den Rücken jagte. Wieder und wieder schlug sie zu, als sie bemerkte, daß er dann in seinen Bewegungen innehielt. Aber kaum hörte sie auf,

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schob er sich erneut weiter. Zurück konnte Leenia nicht, es war ihr überhaupt unmöglich zu fliehen.

Sie konnte nur ausweichen. Doch irgendwann würden ihre Kräfte nachlas­sen, und was dann kam, daran wagte sie lieber nicht zu denken.

Erneut ließ sie den Ast auf die Bestie herabsausen. Krachend zersplitter­te er, und sie hielt nur noch einen kurzen Stummel in der Hand, der ihr nichts mehr nützen konnte. Mit einem entsetzten Aufschrei schleuderte sie das Holz dem Untier entgegen.

Leenia war wie von Sinnen – was sie tat, geschah völlig mechanisch und ohne ihr Zutun. Sie erfaßte das Geschehen erst wieder in voller Kon­sequenz, als sie abermals mit einem Hagel von Dreck und Steinen über­schüttet wurde und das Geröll sie in die Tiefe riß. Da half es auch nicht, daß sie mit Händen und Füßen den Sturz abzufangen versuchte.

Der Wurm war über ihr, bevor sie sich erheben konnte. Stinkender Atem schlug ihr entgegen und ließ sie würgen.

Das Gewicht des Tieres preßte Leenia auf den Boden. Zwei Reihen na­delscharfer Zähne näherten sich ihr. Sosehr sie in diesem Augenblick eine Ohnmacht herbeisehnte, das Schicksal zeigte sich hart und unnachgiebig; bis zuletzt sollte sie fühlen, daß Pthor eine gnadenlose Welt war und nie­mand sich ungestraft dem Willen des Dunklen Oheim widersetzen durfte.

Plötzlich lag ein Fauchen in der Luft. Leenia glaubte, einen grellen Blitz wahrzunehmen, der das Firmament spaltete.

Der Wurm bäumte sich auf, ließ von ihr ab. Ein zweiter Blitz … … gefolgt von einem lauten Ausruf: »Leenia!« Sie vermochte es kaum zu glauben. »Quabs!« stieß sie hervor. »Quabs, dich schicken die Götter.« Der Roboter schwebte zu ihr herab. »Es ist irrational, an das Vorhandensein einer Vielzahl körperlich nicht

faßbarer Wesenheiten zu glauben«, stellte er fest. »Der Herr Merpaux schickt mich, dich sicher nach Orxeya zu geleiten.«

Leenia winkte ab. »Wer immer es auch sein mag, du hättest keinen Augenblick später

kommen dürfen. – Hilf mir hinauf!« Sie schmiegte sich in die Arme des Handlangers, als dieser mit ihr zu­

sammen in die Höhe stieg. Mit gezielten Schüssen hatte der Roboter den Wurm zweigeteilt. Das

Tier bewegte sich zwar noch, aber wahrscheinlich war dies auf Muskelre­flexe zurückzuführen.

»Woher hast du die Waffe?« fragte Leenia, als sie schaudernd in die Grube hinab starrte. »Und was ist mit den drei Dienern des Großbürgers

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geschehen?« »Sie existieren nicht mehr«, sagte Quabs mit nicht zu überhörendem

Stolz in der Stimme. »Sie wurden ein Opfer ihrer eigenen Unvollkommen­heit.«

»Du hast sie zerstört?« »Ja.« Leenia nickte anerkennend. »Wir müssen weiter!« drängte der Roboter. »Bevor der Herr Moonkay

andere Arbeiter hinter uns her schickt.« »Hätte er das nicht längst tun können?« »Bis jetzt sind alle Ortungen negativ.« »Dann ist noch Zeit, daß ich mich erfrische.« Leenia eilte zur Quelle

und schöpfte mit der hohlen Hand. Das Wasser war angenehm frisch und belebend.

Als die ehemalige Körperlose sich wieder aufrichtete, stand Quabs un­mittelbar hinter ihr. Das stete Glimmen in seinen Sehzellen war erloschen.

Zweifellos hatte ein Befehl seines Herrn ihn desaktiviert. Aber weshalb? Was war geschehen, daß …? Mit einemmal kam wieder Bewegung in seinen stählernen Leib. Er rich­

tete den Strahler auf Leenia. »Du wirst mich begleiten!« schnarrte er. »Zurück nach Wolterhaven,

wo der Großbürger auf uns wartet.« »Bist du verrückt geworden?« platzte die Frau heraus. »Ganz im Gegenteil. Nie habe ich deutlicher gewußt, was zu tun ist.« »Der Herr Merpaux soll dich …« »Nichts wird er, denn er ist mit meiner Handlungsweise einverstanden.

Er gehorcht jetzt der Vorschrift der Vollkommenheit.« »Hat er das nicht stets?« »Er hat erkannt, daß du sein Vertrauen mißbraucht und ihn belogen

hast. Der Großbürger konnte ihn zum Glück rechtzeitig davor bewahren, Schaden anzurichten.«

Auch wenn Leenia nicht wußte, was geschehen war, aus dem, was Quabs sagte, ließ sich so manches zusammenreimen. Demnach mußte es den Bürgern gelungen sein, den Herrn Merpaux entweder umzuprogram­mieren oder davon zu überzeugen, daß all sein Tun einzig und allein auf einem Irrtum beruhte.

Wie dem auch war, die Aussichten, die sich daraus ergaben, schienen alles andere als rosig.

»Halte wenigstens die Waffe nicht andauernd auf mich gerichtet.« Der Roboter reagierte nicht darauf. »Vorwärts!« befahl er. »Und versuche nicht zu fliehen, ich müßte dich

sonst töten.«

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Leenia blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Während sie sich anschickte, die Lichtung zu verlassen, nahm sie aus den Augenwinkeln heraus eine flüchtige Bewegung wahr – zu kurz, um feststellen zu können, worum es sich handelte. Aber im nächsten Moment hörte sie ein Zischen, das ihr nur allzu bekannt vorkam. Auf dem Absatz fuhr sie herum.

Sie glaubte, ihren Augen nicht mehr trauen zu dürfen, als sie sah, daß Quabs nahe daran war, das Gleichgewicht zu verlieren. Nur mit Mühe konnte er sich der beiden Würmer erwehren, die ihn heftig attackierten. Wie Kletten hingen sie an seinen Gliedmaßen und behinderten ihn.

Doch woher, bei allen Ungeheuern des Blutdschungels, waren sie ge­kommen?

Die zwei Löcher im Waldboden, die von Moos halb verdeckt wurden und sich deshalb einem flüchtigen Blick entzogen, waren Leenia Antwort genug. Sie schauderte, als sie daran dachte, vor wenigen Sekunden selbst daran vorbeigegangen zu sein. Denn an Stelle des Roboters hätten die Tie­re auch sie angreifen können.

In dem Moment, als Quabs stürzte, fiel Leenia auf, daß er waffenlos war. Deshalb also setzte er sich nicht nachdrücklicher zur Wehr. Zielsicher krümmten sich die Würmer auf seine Antennen zu, als wüßten sie, daß ihr Opfer entscheidend geschwächt wurde, sobald diese kurzen Metallstifte abknickten.

Leenia schöpfte wieder Hoffnung, dem Herrn Moonkay entkommen zu können. Sie sah, daß der Strahler zwei Schritte von Quabs entfernt lag. Der Roboter mußte ihn verloren haben, als die Tiere angriffen.

Aber hieß das nicht …? Leenia wischte den Gedanken beiseite. Die Waffe war ihr jetzt wichti­

ger als alles andere. Sie brauchte nur einige Meter zurückzugehen und sich danach zu bücken.

Als sie nach dem Strahler griff, schnellte einer der Würmer auf sie zu. Leenia schrie auf, aber da spürte sie bereits das kühle Metall in ihrer Hand. Sie fand den Auslöser, und ein ungezielter Strahlschuß fauchte ins Dickicht des Dschungels. Der Wurm zuckte zurück.

Aus Quabs' Lautsprecher drang ein Knistern und Krachen, das abrupt abbrach. Die Tiere schieden eine Flüssigkeit aus, die das Metall des Robo­ters zerstörte. Vielleicht eine Säure, mit der sie Nahrung aus dem Waldbo­den herausfilterten. Der Handlanger hatte dem jedenfalls nichts entgegen­zusetzen.

Das Verhalten der Würmer schien von einem nicht geringen Instinkt ge­prägt zu sein. Sie ließen Leenia unbeachtet, als fürchteten sie die Wirkung der Waffe. War es demnach kein Zufall gewesen, daß Quabs den Strahler verloren hatte?

Obwohl Teile des Roboters sich bereits auflösten und er sich nicht mehr

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bewegte, ließen die Tiere nicht von ihm ab. Leenia hastete weiter. Im Vorübereilen warf sie einen flüchtigen Blick

in die Fallgrube. Irgendwie hatte sie sogar damit gerechnet, den Kadaver nicht mehr vor­

zufinden. War es vermessen, anzunehmen, daß sich aus dem einen Wurm zwei neue entwickelt hatten, aus jeder Hälfte einer, und daß diese Tiere über sämtliche Erfahrungen verfügten und deshalb den Roboter angegrif­fen hatten, weil er ihnen gefährlich werden konnte?

Wenn Leenia es recht bedachte, war das Schicksal bisher gnädig mit ihr gewesen. Aber noch war Orxeya mindestens fünfzig Kilometer entfernt.

Bald holte die Nacht sie ein. Leenia fand Zuflucht im Geäst eines nicht allzu hohen Baumes. Die vielfältigen Stimmen des Dschungels waren schuld daran, daß sie kein Auge zutat. Hin und wieder glaubte sie in der Dunkelheit glühende Lichter zu sehen, die zu ihr heraufstarrten. Doch stets verschwand der Spuk, sobald sie die Waffe hochriß.

Einbildung …? Gefährliche Wirklichkeit …? Sie vermochte es nicht auseinanderzuhalten. Lange vor Anbruch des

Morgengrauens forderten Müdigkeit und Erschöpfung ihr Recht. Die blitzende Klinge übte eine besondere Faszination auf Gambor aus, zog ihn in ihren Bann und hieß ihn kämpfen. Erst als er sich bereits auf der Straße befand, fiel ihm der Freund wieder ein. Er rief nach Merdino.

Laß ihn! war da die Stimme in seinem Innern. Aber ich kann nicht einfach … Du mußt! Wenn ihm die Kraft fehlt, seinen Weg zu gehen, kannst auch

du nicht helfen. Nur die Stärksten wird der Oheim zu sich holen. Vor dem Haus des Händlers waren mehrere Yassels angebunden. Sie

mochten jenen gehören, die vor Gambors Klinge zurückgewichen waren. Der Dalazaare folgte einem lautlosen Befehl, löste die Zügel des wohl schnellsten Tieres und schlug die der anderen mit dem Schwert durch.

Von allen Seiten kamen jetzt Orxeyaner, die der Lärm anlockte. Gam­bor schwang sich in den Sattel und preschte davon. Niemand konnte ihn aufhalten, als er die Stadt in östlicher Richtung verließ.

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3.

Legrain hatte die kapuzenähnliche Haube über den Kopf gezogen, als er in die Dämpfe eindrang. In seinem transparenten enganliegenden Schutzan­zug wirkte er wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Denn selbst für kelot­tische Begriffe war er überaus schlank, beinahe dürr zu nennen, und seine Haut war weiß. Auch die Körperausdünstungen, die sein Gesicht bedeck­ten, konnten diese Bleiche nicht übertönen. Außerdem waren seine Augen von einer unnatürlichen roten Färbung – nicht von jenem hellen Blau, das für Kelotten typisch war. Und sein Schädel wies leichten flaumigen Haar­wuchs auf.

Zweifellos war Legrain eine Mutation, gengeschädigt zu einem Zeit­punkt, als sein Körper sich in der Aufbauphase befand. Seine Mutter, hieß es, sei damals mit einem neuentwickelten chemischen Kampfstoff in Be­rührung gekommen, der im Auftrag der Herren der FESTUNG in größerer Menge produziert und in der Nähe des Giftsees getestet wurde.

Schon während Legrain die Luftschleuse passierte, begann seine Haut sich zu verändern. Dies war ein Vorgang, der sich seiner bewußten Kon­trolle entzog.

Schier unerträgliche Hitze schlug ihm entgegen. Jeder andere Kelotte hätte es trotz Schutzanzug nur wenige Minuten ausgehalten, er aber konnte bis zur zehnfachen Zeit innerhalb einer fast tödlichen Umgebung zubrin­gen.

Ein Ventil mußte geplatzt sein, anders wußte Legrain sich die fauchen­den Dämpfe nicht zu erklären, die für beträchtlichen Überdruck sorgten. Die giftig-gelben Schwaden waren bereits so dicht, daß er kaum die Hand vor Augen sehen konnte.

Was blieb ihm anderes übrig, als sich langsam an die Bruchstelle heran­zutasten? Nur das laute Geräusch des ausströmenden Gases war ihm eine Hilfe bei der Orientierung.

Schritt für Schritt drang Legrain tiefer in das Chaos ein. Unter seinen Händen fühlte er glühendheiße Rohrleitungen. Andere wieder durften nicht über den Gefrierpunkt hinaus erwärmt werden, sollte eine spontane Detonation vermieden werden, die sicherlich weite Teile des Forschungs­gebäudes in Trümmer gelegt hätte. Auf ihnen begannen sich die Dämpfe niederzuschlagen und kondensierten zu einer ätzenden Flüssigkeit, die in­nerhalb kürzester Zeit sämtliche Ummantelungen zerfraß und die Kühl­schlangen angriff. Sobald diese ausfielen, war jeder gefährdet, der sich im Umkreis von fünfhundert Metern aufhielt.

Zielstrebig bewegte sich der Kelotte auf das Leck zu. Er war gezwun­gen, den Schutzhelm abzunehmen, als dieser sich mit gelben Kristallen be­

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schlug. Jeder andere hätte jetzt fluchtartig den Raum verlassen müssen. Keine fünf Minuten später stand Legrain vor dem undichten Ventil. Der

Lärm, den das ausströmende Gas erzeugte, ließ ihn fast taub werden. Seine Hände tasteten nach dem Leck. Er trug alles Werkzeug bei sich,

das erforderlich war, um die schadhafte Stelle notdürftig abzudichten. Aber er fand nichts …

Und dann stockte ihm der Atem. Die Einkerbung in dem handflächengroßen Schwungrad, mit dessen

Hilfe ein manuelles Verstellen des Ventils möglich war, wies in die falsche Richtung. Das bedeutete nichts anderes, als daß jemand daran ma­nipuliert hatte, denn von selbst konnte es sich nicht bewegen.

Es bedurfte nur zweier Handgriffe, um den ursprünglichen Zustand wie­derherzustellen. Augenblicklich verstummte das Fauchen. Dafür hörte Le­grain nun die Arbeitsgeräusche der großen Exhaustoren.

Sabotage! Die Gedanken des Kelotten drehten sich allein um dieses eine Wort. Aber wer konnte ein Interesse daran haben, die Arbeit von vielen Jahren

zu vernichten? Und vor allem: wem nützte es? Allmählich verflüchtigten sich die Dämpfe. Legrain konnte die in un­

mittelbarer Nähe verlaufenden Rohrleitungen auf weitere Beschädigung überprüfen.

Unverhofft stolperte er und wäre gestürzt, hätte er sich nicht im letzten Moment festhalten können. Legrain bückte sich nach dem vermeintlichen Hindernis – und prallte entsetzt zurück.

Was er da berührte, war kein Werkzeug, das jemand achtlos liegenge­lassen hatte …

Er schauderte, denn vor ihm lag der Leichnam eines Kelotten. Was ihm sofort auffiel, war, daß der Mann keinen Schutzanzug trug.

Folglich mußte er in dem Raum gewesen sein, bevor der Dampf ausström­te – und er konnte das Ventil nicht geöffnet haben, weil er dann zweifellos vorsichtiger hantiert hätte.

Legrain stieß einen Schrei aus, als er erkannte, um wen es sich handelte. Der Tote war Troquar – einer der regierenden Wissenschaftler. Auf den ersten Blick ließen sich keine äußeren Verletzungen feststellen.

Aber als wieder normale Verhältnisse herrschten und das Licht der Leuchtstoffröhren den Raum erhellte, erkannte Legrain die Würgemale. Jemand hatte dem Wissenschaftler nicht nur die Kehle zugedrückt, son­dern ihm auch das Genick gebrochen.

Andere Kelotten stürmten herein. Ihre begeisterten Rufe wichen be­drücktem Schweigen, als sie den Leichnam sahen.

»Was ist geschehen? Hat er …?«

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Legrain schüttelte den Kopf. Seine Körperausdünstungen wurden so stark, daß sein Gesicht sich mit einer wächsernen Schicht bedeckte. Er war überaus nervös und erregt.

»Troquar wurde ermordet«, ließ er die anderen wissen. »Wahrscheinlich hat sein Mörder das Ventil geöffnet, um die Tat zu vertuschen. Wenn das Gebäude in die Luft geflogen wäre, hätten wir kaum noch etwas feststellen können.«

Sie starrten ihn an, als könnten sie nicht begreifen. Ausgerechnet Tro­quar, der von den Wissenschaftlern der Älteste und Erfahrenste war.

»Er hält etwas in der Hand«, stieß einer der Umstehenden hervor. Tatsächlich war dies bisher niemandem aufgefallen. Legrain bückte sich

und öffnete die bereits steif werdenden Finger. Zwei etwa zehn Zentimeter lange dunkle Stacheln fielen ihm entgegen. »Pfisters!« rief jemand überrascht aus. Ein anderer wehrte entsetzt ab. »Keines dieser Wesen würde einen Mord begehen. Wir kennen sie gut

genug, um das zu wissen.« »Aber Troquar wollte uns darauf hinweisen. Was sonst hätten die Sta­

cheln zu bedeuten?« »Es kann Zufall sein«, behauptete Legrain. »Und wer hat das Ventil geöffnet, um sämtliche Spuren zu beseitigen?

Nur ein Pfister kommt dafür in Frage – oder einer der von ihnen betreuten Mißgriffe.«

»Das ist eine Vermutung, aber kein Beweis.« »Wozu müssen wir überhaupt debattieren? Wir sollten es ihnen ein für

alle Mal verleiden, ihre stumpfen Nasen in unsere Angelegenheiten zu stecken.«

»Merghem hat recht. Laßt uns den Pfistern eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht vergessen werden.«

»Ich bitte euch, überstürzt nichts«, begann Legrain, wurde jedoch un­verhofft unterbrochen. Einer der Kelotten hatte inzwischen das Ventil nä­her in Augenschein genommen und schien tatsächlich etwas gefunden zu haben, denn er bückte sich und rief gleichzeitig nach den anderen.

»Hier! Seht euch das an – wenn das kein Beweis ist!« Was er geradezu triumphierend hochhielt, war ein Stachel … Legrain konnte es noch immer nicht glauben. Ausgerechnet ein Pfister,

eines der friedliebensten Wesen, die er kannte, sollte hier eingedrungen sein, einen geachteten Kelotten ermordet und Sabotage begangen haben?

»Der Schaden wäre enorm gewesen«, stellte Merghem fest. »Ganz zu schweigen von den unzähligen Toten, die eine Explosion gefordert hätte.«

Empörte Rufe wurden laut. Es gab keinen, der in diesem Augenblick nicht irgend etwas zu sagen hatte. Der Schrei nach Rache, nach Vergel­

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tung brandete auf. »Laßt euch nicht vom Zorn hinreißen«, mahnte Legrain. »Wenn es eine

Gerechtigkeit gibt, werden wir den Schuldigen finden. Die Wissenschaft­ler mögen dann das Urteil sprechen.«

Aber niemand hörte auf ihn. Sie lachten über seine Worte und nannten ihn einen Narren.

»Die Pfisters sollen spüren, daß wir nicht mit uns spaßen lassen. Dies­mal sind sie zu weit gegangen.«

»Zündet ihre Nester an!« »Ja, brennt sie nieder.« Die Kelotten drängten aus der Halle. Sie achteten nicht mehr auf Le­

grain, der sich ihnen notgedrungen anschloß. Er ahnte, daß es Unheil ge­ben würde, und was in seiner Macht stand, wollte er tun, um größeren Schaden zu verhindern.

Unaufhaltsam wälzte sich der Mob durch die Straßen von Aghmonth nach Westen. Immer mehr Kelotten schlossen sich an, bis sie schließlich ungefähr fünfzig waren, als hinter den letzten Kühltürmen, hinter Gastanks und unzähligen Behältern mit giftigen Flüssigkeiten die Ruinen des Gettos sichtbar wurden.

Träge Nebelschleier hingen in der Luft, die das Licht der Sonne verbar­gen. Der Himmel war von einem eintönigen Grau, das Sturm und Regen verhieß.

Hinter einer hohen Mauer fanden sie das erste Nest. Mit einem Durch­messer von fünf Metern war es nicht sonderlich groß, aber in ihm tummel­te sich eine Familie von zehn Pfisters. Als diese die heranrückenden Ke­lotten gewahrten, verschwanden sie mit einer Behendigkeit, die niemand ihnen zugetraut hätte.

»Steckt das Nest in Brand!« Eine Flamme züngelte auf, fand in den trockenen Ästen und dem Laub

ausreichend Nahrung. Rasend schnell fraß sie sich weiter und hatte schon nach wenigen Sekunden das halbe Geflecht erfaßt.

Der Wind fachte das Feuer an. Prasselnd stob Glut auf, wirbelte höher und höher und verwehte erlöschend zwischen den Ruinen. Dichter Rauch, der sich träge über den Boden wälzte, behinderte allmählich die Sicht.

Jemand riß einen dicken Ast aus dem Feuer. Hundert Meter weiter fand er das nächste Nest und schleuderte das brennende Holz hinein. Im Nu breiteten sich auch hier die Flammen aus. Unter der enormen Hitzeent­wicklung stürzte eine Mauer aus gebrannten Lehmziegeln in sich zusam­men.

In ohnmächtigem Zorn mußte Legrain zusehen, wie nacheinander sie­ben große Nester in Flammen aufgingen. Dann endlich schienen die Kelot­ten ihre aufgestaute Aggressivität abgebaut zu haben. Sie zogen sich zu­

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rück. Und die stacheligen Wesen, die ihre Behausungen verloren hatten, waren klug genug, ihnen nicht zu nahe zu kommen. Sie schwamm in einem Meer von Purpur, in einer endlosen Weite. Den­noch war sie nicht einsam. Um sie herum war viel Vertrautes – etwas, das sich in einem einzigen Begriff ausdrücken ließ:

Heimat! Sie glaubte zu schweben, losgelöst von aller Schwere körperlichen

Seins, begleitet von Gefühlen, die Glück bedeuteten und Zufriedenheit. Die Höheren Welten verhießen Frieden – einen Frieden, den man ihr

nicht gönnte. »Du hast versagt!« wurde ihr vorgeworfen. »Nichts kann wieder so

sein, wie es einst war. Das Böse ist zu mächtig.« Sie wollte aufbegehren, sich rechtfertigen – die Wesenheiten ließen sie

nicht zu Wort kommen. »Geh zurück!« befahlen sie. »Rette Pthor vor der Zerstörung, die aus

ihm selbst kommt.« Das purpurne Leuchten erlosch. An seine Stelle trat das Schwarz des

Weltraums. Leenia glaubte zu fallen. Ein Sog hatte sie erfaßt, der sie im­mer schneller mit sich riß – einer undurchdringlichen Finsternis entgegen, die mit gierigen Fängen nach ihr griff.

Die ehemalige Körperlose spürte etwas Glitschiges über ihr Gesicht ta­sten …

Mit einem Schrei auf den Lippen erwachte sie. Unmittelbar vor ihr pen­delte eine Ranke hin und her und verschleuderte schleimige Nesseln. Ab­rupt wurde Leenia aus ihrer Traumwelt in die rauhe Wirklichkeit zurück­gerissen. Die Pflanze schnellte auf sie zu. Irgendwo im dichten Laub der Baumkrone war eine Bewegung. Zwei weitere Ranken senkten sich herab.

Instinktiv riß die Frau den Strahler hoch und feuerte. Ein Ächzen ertön­te, das ihr eisige Schauder über den Rücken jagte. Gleichzeitig riß das Blattwerk auf, und ein mächtiger, tonnenförmiger Körper wurde sichtbar.

Abermals betätigte Leenia den Auslöser ihrer Waffe. Das Ding, von dem sie nicht wußte, ob es Pflanze war oder Tier, verlor den Halt. Als es im Moos aufschlug, platzte seine Hülle, und Dutzende faustgroßer Sporen­kapseln segelten durch die Luft. Wo sie die Erde berührten, entwickelten sie sofort blattähnliche Gebilde, die an der Rinde der nächsten Bäume in die Höhe wuchsen.

Erst jetzt wurde Leenia die Gefahr bewußt, in der sie sich befunden hat­te. Ihr war übel. Vermutlich hatte sie verdorbene Früchte gegessen und ta­gelang in einem ohnmachtähnlichen Schlaf gelegen. Aber es hatte keinen Sinn, sich deshalb Vorwürfe zu machen. Inzwischen herrschte die trübe Helligkeit eines wolkenverhangenen Morgens.

Die Waffe entsichert in der Hand, machte Leenia sich auf den Weg.

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Hinter jedem Baum, in jedem Gebüsch vermutete sie irgendeine Gefahr. Sie hielt sich nahe am Waldrand, kam wegen des manchmal recht dich­

ten Unterholzes zwar nur langsam voran, blieb aber dafür vor weiteren un­angenehmen Begegnungen mit den Bestien des Dschungels verschont. Ständig war sie darauf gefaßt, überraschend mit Robotern konfrontiert zu werden.

Träge flossen die Stunden dahin. Es wurde Mittag, dann Abend. Leenia stillte ihren ärgsten Hunger mit Beeren und Pilzen, die sie roh verzehrte. Wasser fand sie in so manchem Blütenkelch – und trotz der dampfenden Schwüle war es frisch und belebend.

Mit der beginnenden Dämmerung wurden ganze Schwärme von Insek­ten angriffslustig. Zum Glück erinnerte Leenia sich, daß Sator Synk ein­mal von hellen, stacheligen Früchten gesprochen hatte. Nach einigem Su­chen fand sie tatsächlich einen solchen Strauch und verrieb das zer­quetschte Fruchtmark auf ihren freien Hautpartien. Von da an hatte sie Ru­he vor den Plagegeistern.

Die Nacht verbrachte sie abermals in luftiger Höhe. Vor Erschöpfung schlief sie schon bald ein, und nicht einmal die vielfältigen Geräusche des Urwalds konnten sie wecken.

Der Morgen kam und überzog das Land mit einem Wetterleuchten, des­sen unstetes Flackern selbst durch die Wipfel der Blutbäume drang. Hoch über Pthor schien ein stetes Glimmen und Glühen den Raum zu durchei­len. Leenia vermutete, daß dieses Phänomen durch die Berührung der Wölbmäntel verschiedener Dimensionsfahrstühle zustande kam. Dennoch wurde es nicht richtig hell. Der Tag zeigte sich wolkenverhangen und trüb.

Ihrer Schätzung nach war es später Nachmittag, als sie sich zum ersten­mal wieder aus dem Dschungel hervorwagte. In einiger Entfernung sah sie das ausgeglühte Band der Straße der Mächtigen. Von eventuellen Verfol­gern aber war keine Spur.

Nun kam sie wesentlich schneller voran. Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit hielt sie nach einem geeigneten Platz für die Nacht Ausschau. Entlang der Straße wuchsen vereinzelte Bäume, und mancher von ihnen bot sich mit weit verzweigtem Geäst an.

Es wurde nicht richtig dunkel. Ein schwaches Leuchten überzog das Fir­mament, das an die sternenklaren Nächte nahe dem Zentrum einer Galaxis erinnerte. Hin und wieder zuckten gespenstische Blitze auf.

Diesmal schlief Leenia nicht gut. Sie wurde von einer unerklärlichen Unruhe geplagt und von Alpträumen, aus denen sie schweißgebadet er­wachte.

Einmal glaubte sie, weit vor sich Lichter zu sehen. Schwach zwar und hinter dräuenden Nebeln verborgen – aber doch Wirklichkeit und nicht bloß Einbildung.

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Als sie am anderen Tag sehr früh aufbrach, hielt sie sich in diese Rich­tung. Dunst hüllte den nahen Dschungel ein und stieg nur langsam höher. Die Frau blieb unmittelbar am Rand der Straße, um in dem Brodem nicht die Richtung zu verlieren. Mit der Zeit wurde es drückend schwül, ein re­gelrechtes Treibhausklima. Dumpf klangen die Schreie irgendwelcher grö­ßerer Tiere. Einmal glaubte Leenia sogar den Hufschlag und das Wiehern etlicher Yassels zu hören, die auf der anderen Seite der Straße an ihr vor­beizogen. Aber bis sie das ausgeglühte Band überquert hatte, waren die Reiter längst im Nebel verschwunden.

Eine bedrückende Stille senkte sich über die Steppe. Es schien als halte Pthor den Atem an vor den kommenden Ereignissen, die unsagbares Leid über diesen und andere Dimensionsfahrstühle bringen würden. Unwillkür­lich mußte Leenia daran denken, was der Herr Merpaux ihr in seiner Ver­trauensseligkeit offenbart hatte.

Allmählich wurde die Sicht besser. Felder mit grünen, melonenartigen Früchten zeigten sich. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wurden diese von Orxeya aus kultiviert, obgleich von der Stadt selbst noch nichts zu sehen war. Aber Leenia fühlte, daß sie ihrem Ziel nahe war. Inzwischen neigte sich der Tag erneut seinem Ende entgegen.

Ein leichter Wind kam auf, der die Nebelschwaden mit sich riß. Gleich­zeitig vermeinte die Frau, Schreie zu hören und ein metallisches Klingen.

Wieder erscholl dröhnender Hufschlag. Es mochten etwa zwei Dutzend Reiter sein, die nur als düstere Schemen zu erkennen waren und in ge­strecktem Galopp in nordwestlicher Richtung verschwanden.

Minuten später war der Nebel plötzlich wie abgeschnitten. Ungefähr zwei Kilometer entfernt erblickte Leenia die Mauern von Orxeya.

Sie sah aber auch, daß vor der Stadt gekämpft wurde. Keenies, Nedolks und Dalazaaren brachen in Scharen aus dem Blutdschungel hervor und griffen die Orxeyaner erbittert an. Trotz der Überlegenheit ihrer Waffen hatten die Händler einen schweren Stand.

Leenia erkannte, daß sie mit den langsam vorrückenden Schwarzen zu­sammentreffen mußte, wenn sie die Richtung beibehielt. Deshalb schwenkte sie nach Osten ab, um die Stadt von jener Seite her zu betreten.

Immer wieder blickte sie sich um, aber zu ihrer Erleichterung kamen die Krieger nicht näher. Nur ungern hätte sie von ihrer Strahlwaffe Gebrauch gemacht.

Dann sah sie die Maschine am Himmel, die allem Anschein nach von der Stadt aufgestiegen war, eine Schleife über dem Rand des Dschungels drehte und langsam nach Osten weiterschwebte.

Ein Zugor …! Leenia blieb stehen und beobachtete. Sie war überzeugt davon, daß Del­

los die Besatzung der Flugscheibe bildeten, die – beladen mit Kisten und

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Körben – sicher Kurs auf die FESTUNG nehmen würde. Aber die Androiden schienen ihr Rufen nicht zu hören, nahmen auch ihr

heftiges Winken nicht wahr. Mehr als einen Kilometer von Leenia entfernt flog der Zugor vorüber.

Da riß die Frau ihre Waffe hoch und drückte ab. Ein fauchender Ener­giestrahl brachte für Sekunden die Luft zum Kochen. Die Dellos wurden augenblicklich darauf aufmerksam. Heftig schlingernd ruckte der Zugor herum, und Leenia befürchtete schon, er werde abstürzen.

Sie hielt den näherkommenden Androiden ihre leeren Handflächen ent­gegen, um ihre friedlichen Absichten zu zeigen. Immerhin konnte sie nicht damit rechnen, daß diese künstlich geschaffenen Wesen sie kannten.

»Was willst du?« rief einer von ihnen mit lauter Stimme und brachte seine Waggu in Anschlag.

»Ich bin Leenia! Ich muß sofort mit Atlan sprechen!« »Du siehst schlecht aus, Leenia. Hast du Wichtiges zu berichten?« Sie nickte. »Ich floh aus Wolterhaven und schlage mich seither durch den Blutd­

schungel. Die Robotbürger müssen verrückt geworden sein – sie scheinen mit dem Dunklen Oheim zusammenzuarbeiten.«

Überraschte, gleichzeitig aber auch ungläubige Blicke trafen sie. Leenia bemerkte dies wohl. Desgleichen die Skepsis, die ihr entgegenschlug.

»Ich weiß, wovon ich rede«, sagte sie. »Es ist blutiger Ernst.« »Wir fliegen ohnehin zur FESTUNG«, antwortete einer der Dellos,

»und können dich mitnehmen. Nur wirst du Atlan dort nicht begegnen, denn er ist zusammen mit dem Knyr und der GOL'DHOR zu den anderen Dimensionsfahrstühlen aufgebrochen.«

»Wann war das?« »Vor mehreren Wochen. Wir sind seither in seinem Auftrag unterwegs,

um Waren einzutauschen.« »Und die Söhne Odins?« »Möglich, daß du einen von ihnen antriffst.« »Dann bringt mich hin!« Der Dello nickte und half Leenia an den gestapelten Waren vorbei auf

den Zugor. Der Flug nahm etliche Stunden in Anspruch, weil die Maschine keine

der besten war. Mehrmals setzte der Antrieb aus, und die Androiden hatten alle Hände voll zu tun, um die Scheibe aufzufangen.

Die Nacht brach herein. Flackernde Lichterscheinungen am Horizont sorgten für ein gespenstisches Halbdunkel.

Endlich zeichnete sich in nicht mehr allzu weiter Entfernung die Silhou­ette einer großen Pyramide ab. Die FESTUNG war erreicht.

Zu ihrer Rechten bemerkte Leenia einen goldenen Schimmer. Als der

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Zugor nahe daran vorbeiflog, wurden der Kopf und die angewinkelten Fangarme einer ins Gigantische vergrößerten Gottesanbeterin sichtbar. Der Rest blieb hinter Büschen und Bäumen verborgen.

Leenia wußte, daß es sich um die GOL'DHOR handelte, jenes sagenhaf­te Raumschiff der Magier, das eine Ewigkeit in einer Höhle der Barriere geruht hatte. Aber – bedeutete das nicht, daß Atlan wieder auf Pthor weil­te?

Ein lautes Krachen schreckte sie aus ihren Überlegungen auf. Sie konn­te sich gerade noch an ihrem Sitz festklammern, da schmierte der Zugor bereits ab. In rasendem Sturz ging es in die Tiefe. Leenia schrie, als sie er­kannte, daß sie hilflos zerschmettern mußten.

Fünfzig Meter … Dreißig Meter … Ein Aufheulen ging durch die Flugscheibe. Mit einem jähen Satz schien

sie auf die FESTUNG zuzuspringen. Schon sah es so aus, als könnte der Pilot eine Bruchlandung vermeiden, da streiften sie die Äste eines weit ausladenden Baumes.

Mit gräßlichem Knirschen riß die Unterseite des Zugors auf. Er neigte sich nach vorne, wurde in der Krone eines zweiten Baumes abgebremst und schlug den Bruchteil eines Augenblicks später auf.

Leenia spürte noch, daß eine unwiderstehliche Kraft nach ihr griff und sie hochwirbelte.

Dann war nichts mehr … Seit es die Herren der FESTUNG nicht mehr gab und folglich auch keine Befehle, für deren prompte Erledigung jeder einzelne Kelotte verantwort­lich gewesen war, wurden kaum mehr Dellos produziert. Nur die Anlagen, weitflächige Fabrikkomplexe, ausgestattet mit Hunderten komplizierter Maschinen, mußten weiterhin gewartet werden, denn schließlich konnte es sein, daß eines Tages ein neuer Befehl erging.

Gynold, einst Angehöriger der Miliz von Aghmonth, langweilte sich. Immerhin hatte früher die gesamte Produktion in diesem Abschnitt seiner Kontrolle unterstanden, und gelegentlich war auch ein Mißgriff in das Get­to der Pfisters abzuschieben gewesen.

Jetzt hingegen schlug er sich die Nächte um die Ohren, einzig und allein damit beschäftigt, unzählige Maschinen auf gleichbleibendem Tempera­turniveau zu halten.

Folglich hatte er ein Recht, wütend zu sein, wenn er nicht rechtzeitig abgelöst wurde.

Und Gynold war wütend. Seit beinahe einer halben Stunde ließ Normain auf sich warten – auch

war es keineswegs das erste Mal, daß solches vorkam. In letzter Zeit flaute sein Interesse an der Arbeit merklich ab. Gynold argwöhnte, daß dies mit

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dem Pfister-Mädchen zusammenhing, das Normain vor nunmehr einem Monat kennengelernt hatte. Er schien darüber ganz zu vergessen, daß sein Verhalten dem eines Kelotten unwürdig war.

Eine Viertelstunde später beschloß Gynold, die Ablösung notfalls mit Gewalt herzuschleifen. Schließlich durfte es sich niemand erlauben, dem angeordneten Dienst einfach fernzubleiben.

Also machte er sich auf den Weg zu dem nahegelegenen Barkot-Schutzbunker, in dem sie beide und außerdem ein Dutzend anderer ehema­liger Milizionäre Quartier bezogen hatten. Wenn er Normain dort nicht an­traf, würde er sich ins Getto begeben müssen, was ihm naturgemäß unan­genehm war.

Wütend stieß Gynold die Tür des Bunkers auf und tastete nach dem Lichtschalter. Als die Beleuchtung aufflammte, schloß er vorübergehend geblendet die Augen.

Normains Aufenthaltsplatz lag am anderen Ende des Raumes. Etliche Decken waren dort wahllos aufeinandergehäuft, aber unter ihnen zeichne­ten sich die Umrisse eines Körpers ab. Er schlief also tatsächlich, während alle anderen, deren Schichten zum Teil wesentlich früher begannen, an ih­ren Arbeitsplätzen weilten.

»Dir werde ich …« Der Kelotte bückte sich und riß mit einer blitzschnellen Bewegung die

Decken zur Seite. Normain rollte auf den Rücken. Er schien zu grinsen. Schon wollte Gynold, von jäh aufwallendem Zorn getrieben, zuschla­

gen, da bemerkte er, daß die Augen, die ihn blicklos anstarrten, glasig wa­ren.

Normain konnte sein Lager nicht mehr verlassen – er war tot. Erwürgt. Sein Hals wies unzählige blutunterlaufene Flecken auf; zwölf, um genau zu sein.

Das Pfister-Mädchen! schoß es Gynold durch den Sinn. Immerhin war Troquar auf ähnliche Weise ums Leben gekommen.

Er sah sich nach Spuren um, die der Mörder eventuell hinterlassen hatte. Tatsächlich fand er sehr schnell ein Büschel blauer Haare, die nur zwei Schritte von Normains Leichnam entfernt lagen. Dieselben Haare hafteten auch an dessen Kleidung.

»Nein«, murmelte Gynold leise vor sich hin. »Das kann kein Pfister ge­wesen sein.« Gleichzeitig erinnerte er sich der Würgemale. Wenn der Mörder mit zwei Händen zugedrückt hatte, mußte er über jeweils sechs Finger verfügen.

»Ein Mißgriff!« platzte er lauthals heraus. »Was ist geschehen?« fragte jemand. Zutiefst erschrocken wirbelte Gy­

nold herum. Er hatte den Kelotten nicht kommen hören, der plötzlich hin­

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ter ihm stand. Es war einer von denen, die mit ihnen den Bunker teilten, und der seine Schicht inzwischen beendet hatte.

»Normain ist tot!« »Das sehe ich«, erwiderte Defune gereizt. »Ich hörte dich etwas von ei­

nem Mißgriff murmeln. Hast du Beweise dafür, daß ein Dello der Täter war?«

»Hier.« Gynold hielt ihm die unnatürlich gefärbten Haare hin. »Willst du noch mehr sehen?«

»Ich denke, das reicht. Wir sollten uns den Burschen kaufen. Um ehr­lich zu sein, mir war nie ganz wohl dabei, daß die Mißgriffe einfach der Obhut der Pfisters übergeben wurden. Die Herren der FESTUNG hätten ein besseres Auge auf die Fehlzüchtungen haben sollen.« Defune wandte sich um und eilte auf den Ausgang zu.

»Wohin willst du?« rief Gynold ihm hinterher. Der andere blieb an der Tür kurz stehen. »Ich kenne einige Kelotten, die

derselben Meinung sind wie ich – jedenfalls was die Dellos anbelangt.« Von Orxeya aus war Gambor zunächst dem Verlauf der Straße der Mäch­tigen gen Zbahn und Zbohr, den Zwillingsstädten an der Ostküste Pthors, gefolgt, hatte aber schon bald eine stärker werdende innere Unruhe ver­spürt und sein Yassel nach Süden gelenkt, wo in weiter Ferne der Crallion wie ein mahnend erhobener Finger aufragte. Der Berg wies dem Dalazaa­ren den Weg, bis dieser schließlich ein zweitesmal abschwenkte und Rich­tung Wolterhaven ritt.

Irgendwie fühlte Gambor, daß er nicht mehr Herr seiner Entscheidun­gen war, doch konnte er nichts dagegen tun. Je weiter er kam, desto schlimmer und gleichzeitig unangenehmer wurde die Empfindung.

Wie eine düstere, unheilverkündende Wolke lastete etwas Böses auf ihm, fremd und unbeschreiblich, zwingend und fordernd zugleich. Es mußte mit den Stimmen der Ahnen zu tun haben, denn sie meldeten sich nicht mehr, seit dieses Gefühl da war.

Etwa auf halbem Weg stieß Gambor auf eine Ansiedlung. Genauge­nommen waren es nur sieben primitiv wirkende Hütten, aus Steinen und roh zugehauenen Stämmen errichtet, mit strohgedeckten Dächern und in­mitten ausgedehnter Wiesen gelegen, deren oftmals mannshohes Büffel­gras sie einem flüchtigen Blick entzog.

Vorsichtig, das Schwert griffbereit auf die Knie gelegt, ritt der Dalazaa­re näher. Plötzlich standen sie vor ihm, bärtige, verwildert aussehende Ge­stalten. In den Händen hielten sie fremdartige Schußwaffen, deren Gefähr­lichkeit und Durchschlagskraft unverkennbar waren. Sie sagten nichts, aber ihre Blicke bedeuteten Gambor, abzusitzen.

Vier waren es. Wenn er dem Yassel die Hacken in die Flanken drückte und die Zügel schießen ließ, konnte er sie umreiten, bevor sie zum Schuß

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kamen. Doch ein Geräusch ließ ihn zurückschauen. Dicht hinter ihm stan­den weitere vier, die ein Entkommen unmöglich machten. Sie erinnerten ihn an Piraten, die das Gebiet entlang des Regenflusses beherrschten. Möglich, daß die Wirren auf Pthor sie so weit nach Süden verschlagen hat­ten. Sie mochten die Ebene Kalmlech zu einer Zeit durchquert haben, als es bereits keine Horden der Nacht mehr gab.

Ein unmißverständlicher Wink mit der Waffe – Gambor hielt es für an­gebracht, abzusteigen. Nur mit Mühe unterdrückte er den Impuls, seine Klinge sprechen zu lassen. Sein Verstand sagte es ihm, daß er in der au­genblicklichen Situation den kürzeren ziehen mußte. Außerdem hatte er nie in seinem Leben nur aus der Lust am Kämpfen getötet.

Du wirst es erleben! lachten die lautlosen Stimmen. Er reagierte nicht darauf.

»Was willst du hier?« Die Piraten blickten nicht eben freundlich drein. »Ich bin auf dem Weg nach Süden«, erklärte Gambor. »Dort liegt die Große Barriere von Oth. Du aber bist kein Magier – also

sage uns, was du vorhast.« Ein unmißverständlich drohender Unterton lag in der Aufforderung verborgen.

Wohin will ich eigentlich? mußte der Dalazaare sich fragen. Lasse ich mich nicht von den Einflüsterungen der Stimmen leiten?

»Ich weiß es nicht«, gestand er ein. »So«, äffte einer der Piraten nach. Er war der größte von ihnen und ver­

mutlich ihr Anführer. »Du weißt es nicht. Uns sind Fremde nicht sehr will­kommen, es sei denn, sie verfügen über kostbare Habe. Was trägst du bei dir?«

Einige der Männer lachten. In ihrer aller Augen stand eine unverhohlene Gier geschrieben.

»Nichts«, sagte Gambor. »Nur das, was ich anhabe.« »Und dein Schwert? Es sieht kostbar aus; eine edle Klinge.« »Wage nicht, es anzurühren. Ich holte es mir aus der Stahlquelle und er­

beutete auch das Fell der Yam-Katze im Kampf.« Auf den Zügen des Piraten zeichnete sich offensichtliches Erstaunen ab. »Fürwahr«, nickte er. »Du scheinst ein ausgezeichneter Krieger zu sein,

wenn deine Worte der Wahrheit entsprechen. Aber«, fuhr er im gleichen Atemzug fort, »das wird dir jetzt nicht weiterhelfen. Gib mir dein Schwert!«

»Hole es dir.« »Wie du willst.« Ein stählerner Bolzen bohrte sich unmittelbar vor Gambors Füßen in

den Boden und zersplitterte einen etwa faustgroßen Stein in unzählige Bruchstücke.

»Der nächste Schuß wird dir ins Herz fahren. Davor schützt auch dein

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Fell nicht, selbst wenn es das der Yam-Katze wäre. Also …« Verlangend streckte der Pirat die Hand aus. Es überraschte Gambor, daß

die beiden fremden Seelen in seiner Brust in diesem Moment schwiegen und ihn nicht zum Kämpfen aufforderten. Sahen sie ein, daß es sinnlos war? Schweren Herzens trennte er sich von der Klinge.

»Bindet ihn und werft ihn in eine leere Hütte. Wenn die anderen von der Jagd zurück sind, werden wir entscheiden, was mit ihm zu geschehen hat.«

Gambor mußte es sich gefallen lassen, daß die Piraten ihm die Hände auf den Rücken fesselten und sogar seine Beine zusammenbanden. Sie stießen ihn in eine modrige Hütte. Er machte sich kaum noch Hoffnungen, was sein weiteres Schicksal anbelangte, denn von den Piraten des Regen­flusses hörte man mitunter Schauriges erzählen.

Gambor zerrte an seinen Fesseln; sie gaben nicht einen Millimeter nach. Irgendwann mußte er einsehen, daß er so nicht freikam. Schließlich konnte er sich nicht mehr wachhalten, und ihm fielen die Augen zu.

Es wurde ein unruhiger, von Träumen geplagter Schlaf. Schon bald schreckte der Dalazaare auf, weil er ein Geräusch gehört zu haben glaubte, als wäre ein metallener Gegenstand auf den festgestampften Lehmboden gefallen.

Und tatsächlich … Nicht viel mehr als einen Meter zu seiner Rechten lag sein Schwert. Jemand mußte es durch das Fenster hereingeworfen ha­ben. Aber wer hatte ein Interesse daran, daß er floh? War es gar die Ab­sicht der Piraten, ihn beim Verlassen der Hütte zu stellen und im Kampf zu besiegen?

Gambor wälzte sich so weit herum, bis er die Klinge mit den Fingerspit­zen berührte. Es war leicht, die Stricke zu durchtrennen, die um seine Handgelenke gewickelt waren. Dann nahm er das Schwert und schlug sei­ne Beinfesseln durch.

Die ins Stocken geratene Blutzirkulation kam langsam wieder in Gang. Gambor stand auf und lauschte, aber draußen blieb alles ruhig. Da waren keine leise schleichenden Schritte, nicht das verhaltene Atmen in der Nähe wartender Männer.

Einen Spalt weit öffnete er die Tür und spähte hinaus in die Düsternis der Nacht. Ein fernes Glühen ließ es nicht völlig dunkler werden.

Aus einer der Hütten drang gedämpftes Stimmengemurmel. Gambor schloß daraus, daß die Piraten sich sicher fühlten und nicht damit rechne­ten, ihr Gefangener könne entkommen – bis auf den, der ihm das Schwert zugespielt hatte.

Plötzlich zerriß ein gellender Schrei die Stille. Männer stürmten ins Freie, nur halb bekleidet, aber Waffen in den Händen.

»Brattheim ist tot! Jemand hat ihn erstochen.« »Der Dalazaare. Wer sonst sollte unseren Anführer …«

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Schlagartig begriff Gambor, und gleichzeitig wußte er, daß niemand ihm glauben würde.

Als die Piraten auf ihn zukamen, zögerte er nicht länger. Sie entdeckten ihn, sobald er sich aus dem Schatten der Hütte löste, und sie waren keine schlechteren Läufer als er auch.

Krachend schlug ein Bolzen neben ihm in einen Balken. Fast gleichzei­tig entdeckte Gambor, daß sein Yassel hinter der nächsten Hütte ange­pflockt war. Sofort warf er sich herum.

Die Piraten heulten vor Wut auf, als sie seine Absicht erkannten. Gam­bor hetzte jetzt in wilden Sprüngen vorwärts und entging dadurch einem weiteren auf ihn abgeschossenen Bolzen.

Dann hatte er das Tier erreicht. Mit dem Schwert schlug er den Strick durch, der es am Weglaufen hinderte. Die Piraten hatten den Sattel und das Zaumzeug abgenommen, aber der Dalazaare konnte auch ohne diese Hilfsmittel reiten.

Völlig unverhofft wurde er von einem Mann attackiert, der wie aus dem Boden gewachsen plötzlich vor ihm stand. Nur mit Mühe konnte er dessen wuchtig geführten Hieb parieren, unterlief den Schwertarm des Gegners und stieß seinerseits zu. Stöhnend ging der Angreifer zu Boden.

Die anderen waren fast heran, als Gambor sich auf das Yassel schwang und lospreschte. Er hörte das bösartige Zischen ihrer Schußwaffen, indes verbarg ihn das Büffelgras bereits vor ihren Blicken. Im nächsten Moment bäumte sich sein Tier auf. Er hatte Mühe, sich in der Mähne festzuklam­mern.

Obwohl das Yassel lahmte, trieb der Dalazaare es unerbittlich weiter. Minuten später brach es zusammen. Aus seiner Hinterhand ragte das Ende eines Bolzens hervor. Nur zwei Zentimeter höher, und das Geschoß hätte sich Gambor in den Rücken gebohrt. Er wurde blaß, als er daran dachte. Sollte das Fell der Yam-Katze ihn vor dem Tod bewahrt haben?

Mit einem blitzschnellen Schwertstreich erlöste er das Yassel von sei­nen Schmerzen. Dann eilte er zu Fuß weiter.

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4.

Innerhalb kürzester Zeit hatte Defune einen Trupp von zwanzig Kelotten aufgestellt, die Aghmonth durch das Westtor verließen und in das Getto der Pfisters eindrangen. Ihre Suche galt einem Androiden mit blauen Haa­ren und zwölf Fingern. Sie hatten nur einen Speichercomputer zu befragen brauchen, um herauszufinden, daß ein solcher Dello vor zwei Jahren her­angezüchtet, wegen verschiedener Fehler jedoch nie ausgeliefert worden war. Die Pfisters hatten sich damals seiner angenommen.

Hin und wieder sahen sie einige Pfisters, die von den Rändern ihrer Ne­ster herabblickten. Aber sobald die Kelotten sich ihnen zuwandten, ver­schwanden sie.

Endlich lief ihnen der erste Mißgriff über den Weg. Er hatte keine Chance, der aufgebrachten Meute zu entkommen. Als Defune dann vor ihm stand, blickte ihn dieser aus drei Augen ängstlich an.

»Wer von euch war am Morgen oder in der Nacht in Aghmonth?« woll­te der Kelotte wissen.

Er erhielt keine Antwort. »Rede, Kerl, wenn ich dich etwas frage!« Der Dello schwieg. Er war nicht sonderlich groß, nahezu genauso breit

wie lang, verfügte über kurze Arme und zwei Stummelfüße, auf denen er sich watschelnd fortbewegte. Sein Mund befand sich in ständiger Bewe­gung, wie das Maul eines Fisches, der auf dem Trockenen liegt und nach Luft schnappt.

»Wenn du nicht willst, wir können auch anders. Einer von uns wurde umgebracht – ein Mißgriff war der Täter. Bringe uns zu ihm, dann lassen wir dich laufen. Andernfalls …« Aufgebracht fuchtelte Defune mit dem Haarbüschel herum und fuhr sich bedeutungsvoll mit der Hand über die Kehle. Der Dello schien zu begreifen, denn laut quietschend wandte er sich um und führte die Kelotten tiefer in den Ruinensektor hinein. Aus der anfangs breiten Straße wurde schon nach kurzer Zeit eine enge, gewunde­ne Gasse, zu beiden Seiten von hoch aufragenden Mauerresten begrenzt.

Der Mißgriff schien des Sprechens nicht mächtig. Wiederholt gab er seltsame Laute von sich, die wahrscheinlich eine Äußerung seines Ge­mütszustands sein sollten. Und plötzlich war er verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

»Ich glaube, er ist dort hinein!« meinte einer der Kelotten. Doch keiner konnte es wirklich beschwören. »Wir schwärmen aus!« bestimmte Defune. »Jeweils vier von uns durch­

suchen eine Ruine.« Die ersten Räume, die sie betraten, waren leer. Allerdings war der

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Schutt stellenweise beiseite geräumt worden, was darauf hindeutete, daß diese alten Mauern nicht völlig ohne Leben waren. Eine Treppe führte zur nächsten Etage empor. Der Kelotte zögerte, bevor er die wenig vertrauen­erweckend aussehenden Stufen hinaufstieg. Seine Begleiter folgten ihm in einigem Abstand.

Sie fanden drei Lager, die so aussahen, als wären sie noch in der ver­gangenen Nacht benutzt worden. Im Nebenraum gab es eine Kochmög­lichkeit und sogar eine funktionierende Wasserleitung.

Prüfend sog Defune die Luft ein. Hier roch es nicht, wie überall in Agh­month und der näheren Umgebung, nach Chemikalien und Gasen, hier lag unverkennbar der Duft von frischem Braten und Gemüse in der Luft.

»Sie müssen in der Nähe sein«, sagte Defune. »Ich fühle, daß sie auf uns lauern.« Laut rief er: »Kommt heraus! Es nützt überhaupt nichts, wenn ihr euch vor uns versteckt. Wir finden euch, und wenn wir das ganze Vier­tel in Schutt und Asche legen müssen.«

Irgendwo polterte etwas. Es war über ihren Köpfen. »Schnell, zur Treppe!« Die Kelotten hasteten ins nächste Stockwerk hinauf. Sie kamen gerade

noch rechtzeitig, um einen Schatten verschwinden zu sehen. »Hinterher!« schrie Defune. Sie rannten einen Korridor entlang, dessen Ende von einer hölzernen,

wurmstichigen Tür gebildet wurde, die schief in den Angeln hing. Ein hef­tiger Fußtritt ließ sie auseinanderbrechen. Staub wirbelte auf, beeinträch­tigte vorübergehend die Sicht. Als er sich verzogen hatte, gewahrten die Kelotten, daß von diesem Zimmer aus Stufen aufs Dach führten. Sie schie­nen nicht minder morsch als die Tür, jedenfalls hatten sie dem Gewicht des Mißgriffs nicht standgehalten, der vor den Verfolgern geflohen war. Das Wesen schien aus größerer Höhe abgestürzt zu sein; es lag reglos und aus mehreren Platzwunden blutend am Boden. Aus seinem verzweifelten Blick sprach eine panische Furcht.

»Sieh da, unser Kleiner von vorhin«, stellte Defune ohne erkennbare Gefühlserregung fest. »Du hättest besser daran getan, nicht davonzulaufen. Aber vielleicht hast du uns jetzt einiges zu sagen. Nur laß mich nicht lange warten, ich kann sonst sehr unangenehm werden.«

Wieder erhielt er keine Antwort. »Packt ihn!« brüllte der Kelotte dann. »Prügelt aus ihm heraus, was er

uns verschweigt!« »Das würde ich nicht tun«, erklang völlig unerwartet eine leise Stimme

vom Korridor her. »Selbst wenn ihr ihn totschlagt, kann er euch nichts verraten, denn er besitzt keinen Kehlkopf.«

Defune und die anderen wirbelten herum. Unter dem Türstock stand ein hagerer, großgewachsener Androide, der auf den ersten Blick vollkommen

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normal wirkte. Allerdings war sein Körper überaus dicht behaart. Bläulich schimmernder Flaum bedeckte sogar sein Gesicht.

»Der kleine Stumme hat mir bedeutet, daß ihr mich sucht.« »Du warst in Aghmonth?« »Ich habe das Getto nicht verlassen, seit die Pfisters mich bei sich auf­

nahmen und mich lehrten, was es heißt, wirklich zu leben und frei zu sein.«

»Du lügst!« »Kein Mißgriff wird die Unwahrheit sagen. Die Pfisters haben uns ge­

zeigt, in Frieden miteinander auszukommen. Dazu gehört, daß jeder seinen Nächsten achtet und keine Geheimnisse vor ihm hat.«

»Hoffentlich erwartest du nicht, daß wir dir das abnehmen, zumal du einen von uns getötet hast.«

»Ich?« Der Dello schien ehrlich erschrocken. »Wer behauptet das?« »Die Farbe der Haare, die wir am Tatort fanden, ist Beweis genug.« »Das kann unmöglich sein …« »Schweig! Oder gibt es noch einen, der blau ist wie du?« »Nein«, machte der Mißgriff erstaunt. Defune begann zu lachen. »Mir scheint, du lügst wirklich nicht.« »… aber vielleicht meinst du Drenkho, der vor wenigen Tagen starb.

Wenn du sein Grab sehen willst, Kelotte.« Defune winkte heftig ab. Er stellte fest, daß der Androide an jeder Hand

nur fünf Finger hatte, maß dem aber keine Bedeutung bei. »Nichts will ich«, zischte er, »außer abrechnen.« Der Dello warf sich herum und rannte in Richtung auf die Treppe. Er

kam nicht weit. Zwei Kelotten holten ihn schon nach wenigen Metern ein und stießen ihn zu Boden. Mit den Fäusten schlugen sie auf ihn ein. Er wehrte sich nicht, hob nur schützend die Arme vor sein Gesicht.

»Verteidige dich, du Feigling.« »Du wirst keinen von uns mehr umbringen. Du nicht …« Der Dello schlug nicht zurück. Über seine Lippen drang ein Stöhnen. Ir­

gendwie schaffte er es, auf die Beine zu kommen. Er taumelte ein paar Schritte weit, dann mußte er sich an der Wand abstützen. Langsam sank er in die Knie. Seine Augen schienen in weite Fernen gerichtet zu sein. Er nahm nicht mehr wahr, was um ihn herum geschah. Mit einem letzten Seufzer brach er zusammen.

Ohne auf den Stummen zu achten, dessen Blick um Hilfe flehte, verlie­ßen die Kelotten das Haus. Auf der Gasse trafen sie mit den anderen zu­sammen. Nur eine Gruppe war ebenfalls auf Dellos gestoßen und hatte diese fürchterlich verprügelt, weil keiner bereit gewesen war, die verlang­ten Auskünfte zu geben. Als sie die Augen aufschlug, sah sie über sich ein besorgt blickendes Ge­

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sicht, das von langen, hellen Haaren umrahmt wurde. Im ersten Moment wollte sie aufspringen, doch der Mann drückte sie mit sanfter Gewalt in die Kissen zurück.

»Wo bin ich? Was ist geschehen?« fragte sie mit bebender Stimme. »Du hattest einen Unfall, Leenia, und warst etliche Stunden bewußtlos.

Aber nun ist alles wieder in Ordnung …« »Atlan!« Erkennen huschte über ihre Züge. »Du weißt nicht, was ge­

spielt wird. Die Roboter …« Sie brach ab und rang nach Atem, weil ein plötzlicher Druck ihr den Brustkorb einschnürte. Der Arkonide sah es mit besorgter Miene.

»Die Schmerzen müßten bald vergehen«, sagte er. »Soweit wir feststel­len konnten, hast du zum Glück nur Prellungen und Abschürfungen erlit­ten; innere Verletzungen sind unwahrscheinlich. Gönne dir ein wenig Ru­he.«

»Aber ich muß dich warnen.« »Die Dellos haben mir bereits berichtet. Demnach arbeiten die Bürger

von Wolterhaven mit dem Dunklen Oheim zusammen. Das kommt keines­wegs überraschend, denn ich habe eine ähnliche Entwicklung für den Fall vorausgesehen, daß der Oheim sich Pthor nähert.«

Leenia schüttelte den Kopf. »Du weißt nicht alles, Atlan. Die Roboter haben einen Bürgerkrieg be­

rechnet, der Pthor in ein Chaos stürzen wird und darüber hinaus die an­grenzenden Dimensionsfahrstühle. Wenn sie ihr Vorhaben ausführen, wird es unzählige Tote geben, und Leid und Verderben werden das Land über­ziehen.«

Es war dem Arkoniden anzumerken, daß er erschrak. »Sind deine Informationen zuverlässig?« platzte er heraus. »Ich habe sie von einem Bürger, der mir vertraute – außerdem bekam

ich die ersten Anzeichen bereits am eigenen Leib zu spüren. Hals über Kopf mußte ich aus Wolterhaven fliehen.«

Leenia versuchte abermals, sich aufzurichten. Überraschenderweise hat­te sie kaum noch Schmerzen.

»Haben alle den Absturz des Zugors überlebt?« wollte sie übergangslos wissen.

»Das war Glück im Unglück«, nickte der Arkonide. Leenia zeigte sich erleichtert. »In allen Einzelheiten haben die Roboter geplant, wie man verschiedene

Bevölkerungsschichten gegeneinander ausspielen kann«, fuhr sie fort. »Sie haben sogar errechnet, wie viele Opfer es auf jeder Seite geben darf, ohne daß einzelne Gruppierungen vernichtet oder auch nur handlungsunfähig gemacht werden. Wenn ihr Plan zur Ausführung gelangt, wird ganz Pthor auf Jahre hinaus in einem möglicherweise selbstmörderischen Dauerkrieg

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verstrickt werden. Wir müssen den Anfängen wehren, ehe es zu spät ist.« »Ich fürchte«, sagte Atlan bedrückt, »das ist es bereits.« »Nein«, stöhnte Leenia, und ihre Augen weiteten sich in jähem Schreck. »Die Dellos brachten mir die Nachricht, daß Gäham Lastor erstochen

wurde, einer der angesehensten Händler von Orxeya. Die Täter sollen zwei Dalazaaren gewesen sein, von denen einer fliehen konnte. Etliche Orxeya­ner drangen daraufhin in den Blutdschungel vor, überfielen eine ihnen be­kannte Ansiedlung der Schwarzen und machten diese dem Erdboden gleich. Sie schütteten damit Öl auf die Glut der ständigen Kämpfe um die Stadt, die erneut und heftiger als jemals zuvor aufflammten.«

»Ich habe es gesehen«, nickte Leenia betreten. »Auch Keenies und Ne­dolks sind daran beteiligt.«

»Nicht nur Orxeya scheint sich zum Krisenherd zu entwickeln. In den wenigen Stunden, die ich mich wieder auf Pthor befinde, wurde mir auch von zwei spektakulären Morden in Aghmonth berichtet. Das erste Opfer war einer der führenden Wissenschaftler, das zweite ein ehemaliger Mili­zionär, der mit einer Pfisterin sympathisierte. Es heißt, daß er sich intensiv für eine Aufhebung des Gettos einsetzte und erreichen wollte, daß die Mißgriffe als vollwertige Intelligenzen angesehen werden.«

»Weiß man, wer die Täter waren?« »Das eine Mal ein Pfister. Den zweiten Mord soll ein Mißgriff began­

gen haben. Die Kelotten haben natürlich in beiden Fällen Rache geübt und dabei das halbe Ruinenviertel in Brand gesteckt.«

»Das war zu erwarten.« Nachdenklich strich Leenia sich die Haare aus der Stirn. »Zumindest in einem Fall wurde das Opfer also von einem der Wesen umgebracht, für die es sich besonders eingesetzt hatte. Ich kann mir vorstellen, daß solcher Undank Vergeltungsmaßnahmen geradezu her­ausfordert, zumal es sicher viele gibt, die mit der Einstellung des Ermorde­ten keineswegs einverstanden waren. Für die ist das ein gefundenes Fres­sen.«

»Man kann wirklich sagen, daß die Roboter ganze Arbeit geleistet ha­ben«, stellte Atlan fest. »Die von den Racheaktionen Betroffenen werden sich zu recht verkannt fühlen und zurückschlagen. Und schon brechen er­bitterte Kleinkriege aus.«

»Aber wozu das Ganze?« fragte Leenia. »Welchen Sinn kann es haben, außer die Abwehrkraft von Pthor entscheidend zu schwächen?«

Der Arkonide brauchte sich darüber nicht lange den Kopf zu zerbre­chen. Allein die Erwähnung des Dunklen Oheims im Zusammenhang mit den Morden genügte, um auf den richtigen Schluß zu kommen.

»Der Oheim hat damit begonnen, jenes Klima zu schaffen, das ihm ein Höchstmaß an Wohlbefinden verspricht. Bis in wenigen Tagen wird allge­meiner Haß um sich greifen – und das nicht nur auf Pthor.«

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Atlan hatte noch mehr sagen wollen, wurde indes unterbrochen, weil je­mand in größter Eile die Tür aufstieß und hereinhastete. Es war Razamon. Mit einem einzigen Blick streifte er die Einrichtung des Raumes, der so et­was wie ein medizinisches Labor war und mehrere gepolsterte Liegen so­wie technische Apparaturen enthielt. Er nickte Leenia kurz zu und wandte sich dann an den Arkoniden.

»Ein Dello sagte mir, daß ich dich hier finden könnte.« Der Berserker wirkte aufgeregt und nervös und zog nicht einmal sein Bein mit dem Zeit­klumpen hinterher.

»Schieß los!« forderte Atlan ihn auf. »Selbst wenn es schlechte Nach­richten sind.«

»Du solltest als Hellseher zu den Magiern gehen«, versuchte Razamon ein Grinsen. Weiter kam er nicht, denn die Tür hinter seinem Rücken wur­de erneut aufgestoßen, und ein stämmiger, bärtiger Orxeyaner stürmte her­ein.

»Sieh da«, platzte dieser heraus, als er Leenias ansichtig wurde. »Ist es dir in Wolterhaven auf die Dauer zu langweilig geworden.«

»Pah«, machte die Frau. »Seit du den Zugor geklaut hast, spielen die Roboter verrückt.« Ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens zeigte sich auf dem Gesicht des Mannes.

»Sator Synk«, sagte Atlan. »Ich nehme an, daß Razamons Aufregung mit deiner unerwarteten Rückkehr zusammenhängt.«

»Richtig. Ich komme unmittelbar aus Moondrag; das heißt, ich mußte von dort fliehen, sonst hätte man mich gelyncht. Und das nur, weil ich zwischen den beiden Parteien vermitteln wollte.

Keine Ahnung, wie es geschah, auf jeden Fall liegen die Parias, die sich außerhalb der Stadt niedergelassen haben, und die Bewohner von Moon­drag sich gewaltig in den Haaren. Es hat schon mehr als ein Dutzend Tote gegeben, und wenn wir nichts unternehmen, wird an der Küste kein Stein mehr auf dem anderen bleiben.«

»Daß es so schlimm ist und allem Anschein nach überall Unruhen aus­gebrochen sind, hätte ich nicht gedacht«, gestand Atlan ein. »Donkmoon und Panyxan, von denen wir noch keine Nachricht haben, scheinen davon genauso betroffen zu sein wie die anderen Städte. Und von diesen neural­gischen Punkten aus werden die Aufstände auf die kleinen Siedlungen und Dörfer übergreifen, wenn wir dem nicht Einhalt gebieten.«

»Wie gedenkst du vorzugehen?« warf Razamon ein. »Du solltest deine Pthorer inzwischen gut genug kennen, um zu wissen, daß sie sich von schönen Worten allein nicht besänftigen lassen. Schon gar nicht, wenn sie gerade dabei sind, sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen.

Falls ich eine Horde Berserker hätte, so wie damals, als ich noch …« »Aber du hast sie nicht«, unterbrach Atlan gereizt. »Glaubst du außer­

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dem, daß auch nur ein Volk sich eine solche Einmischung widerstandslos gefallen lassen würde?«

»Hm«, machte Razamon. »Sie würden sich wundern.« »Gewalt ist ganz sicher keine Lösung, um neue Übergriffe zu vermei­

den. So geht es jedenfalls nicht. Das einzige, was ich tun kann, ist, daß ich mich persönlich der Robotbürger annehme und ihnen gehörig ins Gewis­senrede.«

»Du willst …« »… nach Wolterhaven. Und zwar auf dem schnellsten Wege.« »Davon muß ich abraten«, warnte Leenia. »Nach allem, was ich erfah­

ren habe, wäre das reiner Selbstmord.« »Der Herr Moonkay erkennt mich als König von Atlantis an. Ich denke,

er wird bereit sein, mit mir zusammenzuarbeiten, wenn ich ihm die richti­gen Vorschläge unterbreite.«

»Und wenn er seine Einstellung dir gegenüber inzwischen revidiert hat? Was dann?« wollte Razamon wissen. »Allein gleichst du doch einem …« Er erkannte, daß er um ein Haar zu weit gegangen war und brach er­schrocken ab. Aber Atlan lachte nur.

»Sprich dich ruhig aus, Freund. Das Tier, das du meinst, kenne ich min­destens ebensogut. Behaupte nicht, daß es dumm ist.«

»Das wollte ich damit nicht sagen. Ich …« Atlan winkte ab. »Wenn wir erfahren dürften, um was es geht«, meinte Sator Synk.

»Leenia und ich würden gerne mitlachen.« »Nichts von Bedeutung«, sagte der Arkonide, aber in seiner Stimme

schwang ein wenig Heimweh mit. »Razamon hat mich nur eben an zehn­tausend Jahre meines Lebens erinnert.«

Der Orxeyaner warf sich in Pose. »Selbstverständlich begleite ich dich ebenfalls. Du kannst mit meiner

Hilfe rechnen.« »Danke, aber ich glaube, daß es besser ist, wenn ich allein gehe. Die

Roboter sind mitunter unberechenbar. – Einen gibt es noch, der vielleicht etwas tun könnte.«

»Wer?« »Sinclair Marout Kennon!« »Weshalb ausgerechnet der Terraner?« fragte Synk verwundert. Seiner

Miene nach zu schließen, hielt er sich für mindestens ebenso prädestiniert. »Die Lage ist zwischenzeitlich so bedrohlich geworden«, erklärte Atlan,

»daß es sicher nicht ausreichen wird, die Bewohner Wolterhavens als die Anstifter zu allen Untaten zu entlarven – abgesehen davon, daß die Pthorer dann ihren Zorn an den Robotern auslassen würden, wir auf diese aber kei­nesfalls verzichten können. Leenia, sagtest du nicht, daß der Dunkle

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Oheim den Befehl gegeben hat?« »Zumindest indirekt wurde mir dies vom Herrn Merpaux bestätigt.« »Der Plan läßt sich nur dann durchkreuzen, wenn man den Völkern

Pthors die wahren ›Mörder‹ präsentiert und diese gleichzeitig zwingt, zu verraten, in wessen Auftrag sie handeln.«

»Ich verstehe«, nickte Razamon. »Bei den Mördern handelt es sich zweifellos um Robotdiener. Um sie zu überführen, braucht man einen ge­wieften Kriminalisten, der außerdem mit den Blechkameraden umgehen kann. Auf Pthor gibt es dafür keinen geeigneteren Mann als Kennon; daß er nebenbei gewisse Haßgefühle gegen Roboter hegt, ist sogar günstig.«

»Zum Glück weilt Sinclair in der FESTUNG, und wir müssen ihn nicht erst suchen lassen. Ich denke, wir sollten ihn wecken.«

Zwei Stunden später war alles besprochen, was es zu klären gab. Atlan brach mit einem Zugor nach Wolterhaven auf, während Kennon beschlos­sen hatte, sich nach Aghmonth zu begeben. Dort konnte die Lage überaus bedrohlich werden.

Wie Atlan glaubte auch der Terraner an bessere Erfolgsaussichten, wenn er seine Mission allein ausführte. Verzweiflung lag in dem Blick, mit dem Anshara den kleinen Stummen bedachte. Jetzt, nachdem seine Wunden gesäubert und verbunden waren, nachdem sie ihm viel von der Furcht genommen hatte, die er empfand, war auch sie ruhiger. Nur ein Gedanke quälte sie noch – die Frage nach dem, was morgen sein würde.

Die Mißgriffe hatten gelernt, das Leben zu achten und in Frieden mit­einander auszukommen. Sie taten niemandem etwas zuleide.

Amshun und seine Helfer waren es einst gewesen, die den bedauerns­werten Geschöpfen die Achtung vor sich selbst zurückgegeben und ihnen gezeigt hatten, wie man das Land jenseits des Gettos urbar machte und be­stellte. Inzwischen ernteten die Dellos sogar Überschüsse an Obst, Gemü­se und Salat, die sie hin und wieder an die Kelotten verkauften. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte die junge Pfisterin Normain kennen und schät­zen gelernt.

Anshara ließ ihren Blick über die versammelten Mißgriffe schweifen. Den ärmsten unter den Armen war ihr Nest zur Zuflucht geworden – be­dauernswerte Geschöpfe, geboren als das Produkt ungezügelter wissen­schaftlicher Perversion. Das Mädchen bemühte sich dennoch, sie als Men­schen zu sehen.

Ich bin die Enkelin Amshuns, des Einsiedler, dachte sie. Als solche ha­be ich ein großes Vermächtnis zu erfüllen.

Aber gerade deshalb kam sie nicht darüber hinweg, daß die Kelotten zwei ihrer Schützlinge totgeschlagen und anderen übel mitgespielt hatten. Daß nur wenige Stunden vorher etliche Nester in Flammen aufgegangen

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waren, beschäftigte sie dagegen kaum. Material ließ sich zu jeder Zeit er­setzen.

»Ich bin froh, Amshun«, murmelte die Pfisterin, »daß du das nicht mehr erleben mußtest.«

Die Kelotten konnten jederzeit wiederkommen. Der kleine Stumme hat­te ihr zu verstehen gegeben, daß sie einen Mörder suchten.

»Aber nicht bei uns! Nicht hinter den Mauern des Gettos!« Anshara wurde sich erst bewußt, daß sie laut geredet hatte, als einer der

Mißgriffe auf sie zukam und ihr mit sanfter Hand über die Stacheln strich. »Du … bist … traurig …«, brachte er stockend und nur schwer ver­

ständlich hervor. Seine beiden Münder verzogen sich dabei zu einer selt­sam anmutenden Grimasse. Das Feuer in seinen Augen, als Anshara zu ihm aufsah, sagte mehr, als selbst tausend Worte es je vermocht hätten.

Nach und nach trafen dann die Pfisters ein, die das Mädchen zu sich ge­beten hatte. Das Nest war groß genug, um sie alle aufzunehmen, denn es unterschied sich stark von anderen, weil es in einem Turmbau der alten Stadtmauer untergebracht war und nicht auf oder neben einem der vielen halbverfallenen Gebäude. Außerdem bestand es nur aus einer Geflechtver­kleidung der Mauern.

Es war Amshuns Nest. Hier hatte vor langer Zeit ein Mißgriff gelebt, dessen Name inzwischen auf Pthor ein Begriff war: Koy, der Trommler.

»Ich freue mich, daß jeder erschienen ist, dem mein Ruf galt«, begann Anshara, als zwanzig Pfisters versammelt waren.

»Wir sind es dir schuldig«, erwiderte ein männliches Wesen, dessen Stacheln vom Alter grau waren und brüchig. »Außerdem gilt es, weiteren Überfällen der Kelotten zuvorzukommen.«

»Danke, Khaizal«, sagte das Mädchen. »Du warst schon Amshun ein treuer Freund.«

»Sage uns, was wir tun sollen«, rief ein anderer. »Wir werden alle Kräf­te für eine friedliche Verständigung einsetzen.«

Ansharas Haltung drückte Anerkennung und Zustimmung aus. »Ich hatte viel Zeit, um über unsere Lage nachzudenken. Demnach

scheint es mir das beste, eine Delegation nach Aghmonth zu entsenden, um die Kelotten zu bitten, wenigstens die Dellos in Frieden zu lassen. Sie können bestimmt nichts dafür.«

»Sehr richtig«, wurde ihr beigepflichtet. »Jeder andere Vorschlag wäre falsch und unakzeptabel. Die Frage ist nur, wer von uns diese ehrenvolle Aufgabe übernimmt.«

»Selbstverständlich werde ich gehen«, ließ Anshara wissen. Doch Khai­zal lehnte sofort ab.

»Du wirst hier dringender benötigt. Sieh dir deine Schützlinge an, wie verängstigt sie sind. Ich bin zwar alt, aber ich nehme die Mühen gerne auf

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mich. Wer kommt mit mir?« Niemand wollte sich ausschließen. Khaizal bestimmte vier Männer, de­

ren Nester durch den Brandanschlag zerstört worden waren. Gerade sie, die unmittelbar an der Grenze zu Aghmonth lebten, mußten ein besonderes Interesse daran haben, daß die Verhältnisse möglichst bald normalisiert wurden.

Die Pfisters brachen auf, nachdem Anshara ihnen Glück gewünscht hat­te. Das Leben im Getto nahm dann schnell wieder seinen gewohnten Lauf.

Wie im Flug vergingen die Stunden. Es wurde Nachmittag, schließlich Abend. Aber keiner kehrte zurück.

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5.

Atlan hatte damit gerechnet, spätestens beim Überfliegen der Stadtgrenze von Wolterhaven in ersten Kontakt zu den Robotdienern zu kommen. Daß jedoch schon etliche Kilometer vorher sein Zugor von etwa zwanzig Ma­schinen eingekreist wurde, erfüllte ihn mit Besorgnis.

Sie wollen vermeiden, daß ein Außenstehender Dinge sieht, die nur die Bürger selbst betreffen, stellte der Logiksektor unumwunden fest.

Atlan mußte, um einem Zusammenstoß zu entgehen, auf einer der er­sten, niedrigsten Plattformen landen. Kurz darauf näherte sich ihm ein merkwürdiges Geschöpf, das aus einem Durcheinander verschiedenartig geformter Bauteile, Schaltknöpfe, Meßskalen und einem System großer Linsen bestand. Der Arkonide hatte dieses Ding schon früher gesehen. An verschiedenen Eigenheiten erkannte er Iwein, einen Arbeiter des Großbür­gers.

»Mein Herr heißt dich willkommen, Atlan«, schnarrte der Roboter. »Gleichzeitig erkundigt er sich nach deinem Begehren.«

Vorsicht! mahnte der Extrasinn. Nur dieser knappe Impuls, nichts sonst. »Warum zwingt man mich, hier zu landen, auf der unwichtigsten aller

Plattformen?« brauste der Arkonide auf. »Ich bin gekommen, um meine Rechte als König von Atlantis geltend zu machen, nicht aber, um mich be­handeln zu lassen, als wäre ich nur einer von Odins Söhnen. Sage das dei­nem Herrn.«

»Er nimmt es zur Kenntnis und bittet gleichzeitig um Auskunft darüber, ob du endlich gewillt bist, die Herrschaft über Pthor anzutreten.«

Atlan lauschte in sich hinein. Aber da war nichts – weder ein gutge­meinter Ratschlag noch eine eindringliche Warnung. Eigentlich hatte er sich das alles anders vorgestellt.

»Ich werde das Erbe der FESTUNG übernehmen!« behauptete er. »Dann«, sagte Iwein, »bietet der Herr Moonkay dir seine Unterstützung

im Kampf um die Herrschaft auf Pthor an.« Atlan war überrascht. Es lag nicht lange zurück, da hatte der Herr Soltz­

amen Sator Synk gegenüber behauptet, die Roboter von Wolterhaven wür­den auf keinen Fall aktiv in den Kampf um die Macht eingreifen.

»Der Großbürger schlägt dir vor«, fuhr der Arbeiter fort, »daß du einige Diener mit zurücknimmst, damit sie für dich spionieren und dich vor At­tentätern schützen können.«

Auch eine Art, jemanden schnellstens wieder loszuwerden, bemerkte der Logiksektor.

In der Tat. Die Absicht des Herrn Moonkay war leicht zu durchschauen. Zum einen lag sein »großherziges« Angebot sicherlich im Sinn des

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Dunklen Oheims, denn ein solches Vorgehen würde für weitere Aufre­gung sorgen, zum anderen wurde der lästige Besucher damit auf elegante Weise aus Wolterhaven hinauskomplimentiert.

»Dein Vorschlag kommt überraschend für mich«, gestand Atlan. »Deshalb wäre ich dir dankbar, könnte ich in der Stadt verweilen, bis ich meine Pläne unter diesem neuen Aspekt durchdacht habe.«

Iwein zögerte. »Auf Pthor sind Unruhen ausgebrochen«, stellte er dann fest, »zu deren

Beilegung es einer festen Hand bedarf. Der Großbürger meint, du solltest nicht länger damit warten, die Herrschaft an dich zu reißen.«

Atlan schüttelte den Kopf. »Auf einen Tag mehr oder weniger wird es nicht ankommen.« »Du bestehst darauf?« »Ich fordere dies in meiner Eigenschaft als König von Atlantis.« »Dann sei es, wie du verlangst.« Der Arkonide bekam nur wenig von der Stadt zu sehen, aber ihm fiel

auf, daß noch immer an vielen Stellen gearbeitet wurde. Umbauten ent­standen, die nicht zu dem Wolterhaven passen wollten, wie er es kannte.

Er glaubte förmlich das Mißtrauen zu spüren, das ihm von allen Seiten entgegenschlug.

Atlan war überzeugt davon, daß ein Befehl des Dunklen Oheims die Bürger veranlaßt hatte, ihr Verhalten grundlegend zu ändern, hegte jedoch Zweifel daran, daß zwischen ihnen und dem Ringwesen eine direkte Ver­ständigung möglich war. Denn selbst die Alven, die seit undenkbaren Zei­ten im Schatten des Oheims lebten, bedurften der Hilfe der Gersa-Pre­doggs, um sich mit ihm zu verständigen.

Gab es demnach in Wolterhaven etwas – oder jemanden, das als Ver­bindungsglied zwischen dem Herrscher der Schwarzen Galaxis und den Robotern diente?

Atlans Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf jene Halle, von der man Leenia fernzuhalten versucht hatte. Das Gebäude war nicht allzu weit von seinem Quartier entfernt. Ein Aufschrei der Empörung pflanzte sich in Windeseile durch das Getto fort. Die Gefühle schaukelten sich gegenseitig hoch – aus berechtigter Em­pörung wurde Zorn, dann Haß, der manches bis eben noch friedliebende Individuum in blinder Wut nach Vergeltung rufen ließ.

An der Grenze nach Aghmonth hatte man die fünf Pfisters gefunden, die aufgebrochen waren, um für sich und ihre Schützlinge zu bitten. Sie waren tot – erschlagen, und nur Kelotten kamen als Täter in Frage.

Erst war es bloß eine Handvoll Pfisters, die einen Teil ihrer angebore­nen Friedfertigkeit vergaßen, später schlossen andere sich ihnen an, und allmählich bildeten sich die ersten Stoßtrupps, die den Kelotten auflauer­

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ten, wo immer diese erschienen. Nicht, daß sie die Absicht gehabt hätten, zu töten, es gab durchaus andere, wirksame Methoden, einen Gegner aus­zuschalten, für längere Zeit kampfunfähig oder auch nur lächerlich zu ma­chen.

Zwischen Aghmonth und der Straße der Mächtigen, die nach Donk­moon führte, lag der Giftsee, eine Kloake, in welche die Kelotten sämtli­che Abfälle aus ihrer chemischen Produktion einlaufen ließen. Es existier­ten Gerüchte, daß in dieser dampfenden, schlammigen Brühe ein Mon­strum hauste, das aus magisch aufgeladenen Überresten der Delloprodukti­on entstanden war. Aber niemand hatte das Bhutynna je zu Gesicht be­kommen.

Dorthin waren aufgebrachte Pfisters unterwegs. Sie schleppten Eimer, Kästen und Flaschen mit sich, eben alles, was sie in größter Eile aufgetrie­ben hatten und das irgendwie als Behälter zu verwenden war.

Von Südwesten her wehte ein leichter Wind über den See. Die aufstei­genden Dämpfe nahmen den stachelbewehrten Wesen den Atem, ließen ihre Augen tränen und manchen von ihnen mit einer plötzlichen Übelkeit kämpfen.

Doch Furcht und Haß waren ihre Motivation, und beides trieb sie uner­müdlich weiter, hin an den Rand des fast kreisrunden, gelbgrün schim­mernden Wassers, dessen Oberfläche leichte Wellen schlug. Blutroter Schaum bedeckte das Ufer, wurde aufgewirbelt und vom Wind davonge­tragen.

Keiner der Pfisters redete viel, als sie mit Schaufeln den Faulschlamm, der sich wie ein blasenwerfender Gürtel um den See zog, in die mitge­brachten Behälter füllten. Ihre Bewegungen wirkten eckig, manchmal un­kontrolliert, und offenbarten, wie sehr die Bewohner des Gettos unter den giftigen Gasen litten.

Als einer von ihnen mit dem roten Schaum in Berührung kam, zuckte er wie vom Blitz getroffen zusammen. Wo der Schaum seine Haut benetzte, zeigte sich blankes, blutiges Fleisch. Blasen schwollen in Sekundenschnel­le an, platzten auf und sonderten einen schleimigen Inhalt ab. Nach einer Weile verlor der Bedauernswerte das Bewußtsein. Seine Stacheln began­nen auszufallen.

Die Pfisters brachen ihre Tätigkeit ab. Zwei von ihnen nahmen den Ver­letzten auf, die anderen schleppten die inzwischen fast vollständig gefüll­ten Gefäße. Sie waren noch nicht weit gekommen, da wölkte sich in der Mitte des Sees die schleimige Brühe auf, und eine Flutwelle entstand, die sich rasend schnell näherte. Die Pfisters begannen zu laufen. Hinter ihnen leckte brodelnde Gischt über das Ufer. Die wenigen Pflanzen, die dort ein kümmerliches Dasein fristeten, verdorrten in Sekundenschnelle. Zurück blieb schwarzes, verbrannt wirkendes Land.

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Die Pfisters wußten, daß sie dem Verderben nur knapp entronnen wa­ren. Sie wandten sich nicht mehr um, bis sie die ersten Gassen des Gettos erreicht hatten. Deshalb entging ihnen auch die einzelne Gestalt, die ihnen unter Ausnutzung jeglicher Deckungsmöglichkeit folgte. Vor Gambor wuchsen die Säulen von Wolterhaven auf – wuchtig, unbe­zwingbar und gleichzeitig furchteinflößend. Es war das erstemal in seinem Leben, daß er diese Stadt sah, die er bisher nur aus Erzählungen kannte.

Er packte sein Schwert fester, als ein Hauch des Bösen ihn streifte. Für kurze Zeit wurde ihm die Unsinnigkeit seines Handelns bewußt. Was tat er hier? Welcher Dämon hatte ihn dazu getrieben, ausgerechnet Wolterhaven als Ziel zu wählen?

Ruhig! mahnten die Stimmen der Ahnen. Nichts geschieht ohne Sinn. Die Zeit hat sich erfüllt. Wir wurden gerufen, dem Plan zu dienen.

Ein Ding näherte sich, das aus zwei großen, aneinandergefügten Kugeln bestand. Angsterfüllt starrte Gambor dem entgegen, bis ihm klar wurde, daß es sich um einen Roboter handelte.

Die Maschine landete unmittelbar vor dem Dalazaaren. Eine der beiden Kugeln klappte auf und bildete derart einen bequemen, gepolsterten Sitz.

Schon wollte Gambor das Schwert hochreißen, da traf ihn ein heftiger Impuls, der ihn taumeln ließ.

Geh! befahlen die Ahnen. Man erwartet uns. Ein Schatten huschte durch das Getto und näherte sich den Toren von Aghmonth, ständig darauf gefaßt, unverhofft auftauchenden Pfisters oder Dellos ausweichen zu müssen. Im Schutz halbverfallener Gebäude ver­harrte er hin und wieder, schien den Gesprächsfetzen zu lauschen, die aus den mächtigen, kunstvoll geflochtenen Nestern zu hören waren.

Der menschliche Schatten nickte manchmal, bevor er wieder weiter eil­te.

Irgendwann brandete Lärm auf, der ihn wie mit magischer Gewalt an­lockte. Nach etlichen hundert Metern gewahrte er vor sich einen Trupp Kelotten, die verzweifelt hinter größeren Trümmerstücken und in Mauer­nischen Schutz suchten. Sie schienen in einen Hinterhalt geraten zu sein. Ein wahrer Hagel von Geschossen prasselte auf sie herab – kleine, mit Schlamm gefüllte Beutel, die beim Aufprall platzten und ihren Inhalt ver­schleuderten. Wo immer ein Kelotte getroffen wurde, ging dieser schrei­end zu Boden und begann wie besessen um sich zu schlagen.

Mindestens die Hälfte der Gruppe wurde außer Gefecht gesetzt, bevor der Rest erkannte, womit man es zu tun hatte.

»Das ist Schlamm aus dem Giftsee!« brüllte einer. »Er tötet nicht, ruft aber gräßliche Verletzungen hervor. Zeigt es diesen stacheligen Teufeln, laßt sie ihre eigene Heimtücke kosten!«

Mit dem Mut der Verzweiflung rannten die Kelotten gegen eine ver­

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schlossene Tür an. Bevor das Mauerwerk rings um den Rahmen ausbrach und das Holz splitterte, wurden abermals zwei von ihnen Opfer der giftge­füllten Geschosse. Sie wälzten sich im Staub der Gasse, während ihre Ge­sichter und Gliedmaßen anschwollen.

Unterdessen stürmten ihre Gefährten eine Treppe im Innern des Gebäu­des hinauf. Sie waren erstaunt, auf dem Flachdach nur zwei Pfisters vorzu­finden. Die Entfernung zu den Nebengebäuden war zu groß, als daß die dort postierten entscheidend hätten eingreifen können.

Mit herausgebrochenen Mauersteinen und langen Stangen, die früher ei­ne Abgrenzung des Treppenschachts gebildet hatten, setzten die Kelotten sich zur Wehr. Jetzt zeigte sich, daß die Pfisters das Handwerk des Kämp­fens nie erlernt hatten. Sie wurden derart in die Enge getrieben, daß ihnen nur ein einziger Ausweg blieb.

Die beiden sprangen fast gleichzeitig, schnellten sich mit letzter Kraft vorwärts. Aber während der eine das Dach des nächsten Hauses erreichte und sich an einem Vorsprung festklammern konnte, stürzte der andere kreischend in die Tiefe.

Niemand bemerkte den Schatten, der sich abwandte und verschwand. Er hatte genug gesehen, aber bei weitem noch nicht alles, um sich wirklich ein Bild über die herrschenden Zustände machen zu können.

Nur eines war ihm klargeworden: Es galt keine Zeit zu verlieren. Aus Angst hatten sie sich zusammengefunden – aus Angst um ihre Be­schützer, die sie gelehrt hatten, Konflikte niemals mit Gewalt zu lösen, und die nun, da sie in die Enge getrieben wurden, selbst keinen anderen Ausweg kannten. Mehr als fünfzig Mißgriffe waren versammelt. Sie schenkten ihre Aufmerksamkeit dem kleinen Stummen, der mit aus­schweifenden Gesten seine Rede hielt.

Es geht um uns und unser Dasein, bedeutete er. Die Übergriffe der Ke­lotten mehren sich; wieder mußten zwei Pfisters ihr Leben lassen. Sie op­ferten es für uns, die wir ihnen ohnehin alles zu verdanken haben, was wir besitzen – auch unser Leben.

»Was können wir tun?« kam ein Ruf aus der Menge. Der Stumme sah sich um. Eine Gegenfrage bewegte ihn, und er stellte

sie, ohne zu zögern: Was fangen wir ohne unser Beschützer an, falls es jemals soweit

kommt? Allgemeines Murmeln wurde laut. Der Mißgriff hatte in ein Wespennest

gestochen. Die Pfisters sind gezwungen, Dinge zu tun, die ihrer innersten Einstel­

lung zutiefst zuwiderlaufen, fuhr er fort. Wenn wir dem nicht schleunigst Einhalt gebieten, wird ihr Handeln bis zur Selbstzerstörung führen. Wel­che Folgen das für uns hätte, muß ich wohl nicht erwähnen.

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Ein kugelförmiges Wesen mit einer Vielzahl von Gliedmaßen schob sich auf ihn zu. »Ohne die Pfisters sind wir verloren«, stellte es mit schril­ler Stimme fest.

Sehr richtig, nickte der Stumme. Deshalb müssen wir uns zur Wehr set­zen, bevor es zu spät ist.

»Aber wir sind zu schwach …« Schwach ist allein derjenige, der seine wirkliche Stärke nicht kennt. Wie

viele von uns wissen noch nicht, ihre Fähigkeiten richtig einzusetzen? Wenn wir überleben wollen, müssen wir uns und die Pfisters verteidigen.

»Wir sollen töten?« In diesen drei Worten offenbarte sich aller Zwie­spalt, den die Dellos empfanden. Resignation sprach aus ihnen.

Ja, machte der Stumme. Die unverhofft eintretende Stille irritiert ihn. Aber sie galt nicht ihm.

Als er sich umwandte, stand Anshara hinter ihm. Wunden bedeckten ihren Körper. Ihr Blick hatte etwas Gehetztes an sich; sie zitterte.

»Was habt ihr vor?« war das erste, was über ihre Lippen kam. »Keiner von euch darf zum Mörder werden – auch nicht aus einer falsch verstande­nen Situation der Gegenwehr heraus. Haben wir Pfisters euch das gelehrt, damit ihr uns in den Rücken fallt?«

Nein, Anshara, gestikulierte der Stumme. Nur bleibt uns diesmal keine andere Entscheidung offen. Sieh dich an. Die Kelotten hätten dich töten können.

Das Mädchen schwieg, und das sagte mehr als jedes Wort. Wo ist es geschehen? Anshara taumelte und wäre gestürzt, hätten nicht mehrere Mißgriffe

schnell reagiert und sie aufgefangen. Liebevoll strichen sie ihr über das Gesicht, betasteten jeden ihrer langen, dunklen Stacheln.

Dann brach es aus dem Mädchen hervor: »Wir wurden in der Nähe des Westtors überfallen. Mir gelang die Flucht, aber drei unserer Freunde mußten sterben.«

»Das sollen die Kelotten büßen. Niemand tut unserer Anshara unge­straft ein Leid an.«

»Nein«, stöhnte die Pfisterin. »Ich will kein weiteres Morden. Habt ihr denn alles vergessen?«

Gerade weil wir nichts vergessen können, meinte der kleine Stumme, müssen wir diesmal unseren eigenen Weg gehen. Es tut mir leid, Anshara – uns allen.

Sie wollte ihn zurückhalten, ihm klarmachen, daß er im Begriff stand, ein Unrecht zu begehen, doch er wandte sich einfach um, ohne auf ihre flehenden Worte zu hören. Alle folgten ihm – bis auf die Mißgriffe, die zurückblieben, um Ansharas Wunden zu versorgen. Als die Explosion erfolgte, warf Legrain sich geistesgegenwärtig zur Seite.

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Eine blendende Stichflamme zischte über ihn hinweg, begleitet von einem unwiderstehlichen Luftdruck. Glühende Trümmerstücke polterten nur we­nige Meter von dem Kelotten entfernt zu Boden.

Noch während er im Begriff war, sich aufzurichten, stürmten Wachtpo­sten herein. Sie brauchten nicht zu fragen, was geschehen war, sie sahen es. Inmitten der Halle, wo die Versuchsanlagen zur Wiederaufbereitung organischer Materie gestanden hatte, waberten verzehrende Gluten.

»Du hattest unwahrscheinliches Glück, Legrain«, sagte eine laute Stim­me hinter ihm. »Nur eine Sekunde früher, und es hätte dich erwischt.« Als er sich umwandte, blickte er in das bleiche, unbeweglich scheinende Ge­sicht von Merghem.

»Wie ist das möglich?« fragte er. »Die Anlage ist durch eine doppelte Druckkammer geschützt.«

»Vielleicht ein magischer Prozeß innerhalb des Protoplasmas«, sagte Merghem. Er wirkte verkrampft, ließ seinen Blick durch die Halle schwei­fen und vermied es geflissentlich, Legrain in die Augen zu sehen. »Du wirst aber doch an der Beschlußfassung über die Auflösung des Gettos teilnehmen?« wollte er dann wissen.

»Selbstverständlich«, nickte Legrain. »Nichts kann mich daran hindern, meine Meinung offen kundzutun. Du kennst sie. Es wurde genug Blut ver­gossen.«

»Ja«, nickte Merghem, »ich weiß. Allerdings solltest du dir darüber klar sein, daß nur eine Minderheit deine Meinung teilt. Du wirst einen sehr schweren Stand haben.«

»Ist das eine Warnung? Es klang beinahe so.« »Ein gutgemeinter Hinweis, nicht mehr. Weshalb willst du nicht verhin­

dern, daß Pfisters und Mißgriffe weiterhin ihr Unwesen treiben?« »Weil ich ihr Leben, ihre Existenz achte und …« »Aber nicht die Dellos«, platzte Merghem heraus. »Auch sie. Pthors Geschichte kennt bereits zu viele Kriege. Sieh dir die

alten Schriften an, die von erbarmungslosen Feldzügen berichten.« »Mit dieser Ansicht stehst du nahezu allein.« »Ich habe etliche Freunde, die sich ebenfalls dafür einsetzen.« »Du bist verbohrt, Legrain, und unfähig, die Erfordernisse der Zeit zu

erkennen. Sieh dich vor, es gibt Kelotten, die keine andere Meinung als die ihre gelten lassen.« Damit wandte Merghem sich um und verschwand, bevor ihn jemand zurückhalten konnte. Legrain sah ihm nachdenklich hin­terher, dann verließ er ebenfalls die Halle, in der mit Aufräumungsarbeiten begonnen wurde.

Sein Weg führte ihn nach Westen, zwischen riesigen Behältern hin­durch, an monströsen Fabrikkomplexen vorbei, in denen früher Unmengen von Dellos herangezüchtet worden waren. Er lief so lange ziellos hin und

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her, bis er sicher sein konnte, daß niemand ihm folgte. Dann erst näherte er sich dem vereinbarten Treffpunkt.

Etwa hundert Kelotten hatten sich bereits versammelt. Ihre Gesichter drückten durchweg grimmige Entschlossenheit aus. Sie alle wollten ver­hindern, daß es zu weiteren Gewalttätigkeiten kam. Eine verschwindend geringe Anzahl zwar im Verhältnis zur gesamten Einwohnerschaft von Aghmonth, aber mancher von ihnen besaß die Macht, seinen Willen auch durchzusetzen.

»Du läßt uns lange warten«, warfen sie Legrain vor. »Ich wurde durch eine Explosion im Plasmasektor aufgehalten, die

mich um ein Haar das Leben gekostet hätte«, erwiderte er. »Ein Attentat?« Legrain nickte. »Ich fürchte, wir müssen schneller zuschlagen, als wir vorhatten, wollen

wir ohne große Verluste die Macht an uns reißen.« »Unser Plan steht fest; er läßt sich selbst unter den gegebenen Umstän­

den ausführen. Sobald …« »Still!« Ein leises, kaum wahrnehmbares Fauchen ertönte, das schnell näher­

kam. Es klang, als würde Gas unter hohem Druck durch eine Leitung ge­preßt. Das Geräusch steigerte sich innerhalb weniger Augenblicke zum donnernden Tosen.

»Weg hier!« brüllte Legrain entsetzt, als er die Gefahr erkannte. »In Deckung!«

Jemand hatte das alte, stillgelegte Röhrensystem geflutet, das wenige Meter entfernt verlief. Es hielt der Belastung nicht mehr stand. Fontänen brühheißer Dämpfe fauchten aus undichten Ventilen, bahnten sich einen Weg durch brüchig gewordene Ummantelungen. Ganze Leitungssegmente platzten förmlich auseinander. Im Nu war die Luft erfüllt von kochendem Nebel. Von irgendwo her erklangen die Schritte eines Kelotten, der es nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte, sich in Sicherheit zu bringen. Sie brachen abrupt ab. Nie zuvor hatte der kleine Stumme einen solchen Zwiespalt erlebt wie den, der nun sein ganzes Denken beeinflußte. Er wußte, daß es jedem an­deren Mißgriff ähnlich erging. Sie hatten Angst um die Pfisters, gleichzei­tig aber fürchteten sie sich davor, töten zu müssen.

In mehreren Gruppen durchstreiften sie das Getto, vor allem die unmit­telbar an Aghmonth angrenzenden Straßen und Plätze, und drangen manchmal sogar auf das Gebiet der Stadt vor.

Der Stumme erschrak, als ein groß gewachsener Dello mit tonnenför­mig aufgewölbtem Brustkorb ihn völlig unerwartet festhielt. Zwei mächti­ge Pranken deuteten nach links, wo soeben mehrere bewaffnete Kelotten

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aus dem Schatten eines Gebäudes hervortraten. Suchend sahen sie sich um und hasteten dann weiter. Die Waffen in ihren Händen redeten eine deutli­che Sprache.

Wir folgen ihnen, bedeutete der Stumme seinen Begleitern. Es ging tiefer in das Getto hinein. Weil die Straßen enger wurden und

gleichzeitig die Schutthaufen größer, fiel es den Dellos leicht, unbemerkt näher aufzuschließen.

Schließlich gewahrten sie den ersten Pfister, der ihnen nichtsahnend den Rücken zuwandte. Einer der Kelotten hob seine Waffe an.

Die Mißgriffe zögerten nicht länger. Sie waren über den Angreifern, be­vor diese Zeit fanden zu begreifen, was geschah.

Berserker hätten kaum schlimmer zuschlagen können, als die Dellos es taten. Sie kämpften nur mit Fäusten und Zähnen, aber ihre Übermacht war erdrückend. Die Kelotten hätten vielleicht eine Chance gehabt, wären sie nicht überrascht worden.

Weiter! heischte der kleine Stumme dann. Nehmt ihre Waffen an euch. Wir werden dafür sorgen, daß keiner von ihnen mehr das Getto betritt.

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6.

Lange Zeit hatte Atlan sich nur aufs Beobachten beschränkt und dabei festgestellt, daß die Aufmerksamkeit der Robotdiener allmählich nachließ. Der Tag verging und auch die folgende Nacht, ohne daß es zu außerge­wöhnlichen Ereignissen gekommen wäre. Der Herr Moonkay schien mit der unerschütterlichen Ruhe einer Maschine darauf zu warten, daß Atlan ihm seine Entscheidung mitteilte.

Aber noch zögerte der Arkonide. Er unternahm Spaziergänge in seine nähere Umgebung, verweilte stundenlang in den Parkanlagen. Soweit lie­ßen die Roboter ihn gewähren.

Du denkst an Ginover, stellte der Extrasinn spöttisch fest. Weniger als an Thalia, gab Atlan erregt zurück. Du willst herausfinden, welches Geheimnis Wolterhaven birgt. Gleich­

zeitig aber ist es dir unmöglich, wegen der vorhandenen Sensoren das be­treffende Gebäude zu betreten.

Es muß einen anderen Weg geben – einen, der durch das Innere der Plattformen führt. Immerhin konnte Leenia auf diese Weise fliehen.

Atlan ließ sich auf einen Baumstumpf nieder. Vor ihm erstreckte sich eine große, von dichtem Gebüsch überwucherte Fläche.

Vielleicht findest du hier, was du bisher vergebens suchst. Atlan stutzte. Er erinnerte sich. Ginover, die Göttin der Nacht, hatte an

dieser Stelle einen Orxeyaner besiegt, als sie gekommen waren, Wolterha­vens Schätze zu plündern. In Gedanken sah er sie wieder vor sich, hörte ihre letzten Worte: »Wenn das Schicksal es will, kreuzen sich unsere We­ge noch einmal.« Dann war sie im Gestrüpp verschwunden und nicht wie­der aufgetaucht.

Richtig! Weshalb war er nicht schon früher darauf gekommen? Atlan achtete nicht auf die dornigen Äste, die ihm die Haut zerkratzten, als er in das Gebüsch eindrang. Sein Extrasinn lachte leise.

Tatsächlich fand er schon nach kurzer Suche mehrere Hecken, deren Blätter nicht so saftig grün waren wie die der anderen. Der ansonsten locker aufgeschüttete Humus wirkte hier festgetreten, als hätte jemand des öfteren diesen Weg benutzt.

In dem Moment, in dem Atlan unbewußt seine Hand nach einer am Bo­den liegenden verdorrten Wurzel ausstreckte, ertönte ein leises Summen. Ein quadratisches Stück Erdreich, auf dem er stand, senkte sich langsam ab. Die nur wenige Zentimeter dicke Krume mochte schuld daran sein, daß die Pflanzen hier nicht so üppig wucherten wie alle anderen.

Bereits nach wenigen Metern kam die Platte zum Stillstand. Atlan be­fand sich am Anfang eines spärlich ausgeleuchteten engen Stollens. Als er

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den Lift verließ, glitt dieser sofort wieder in die Höhe. Der Arkonide folgte dem Verlauf der stählernen Wände. Nach einer

Weile teilte sich der Gang. Atlan wählte die Abzweigung, die steil nach oben führte.

Eine einzige Frage beschäftigte ihn, während er die in dem Schacht be­findliche Leiter empor kletterte. Es war wohl kaum ein Zufall, daß der Einstieg sich ausgerechnet in Ginovers Park befand. Was hatte die Göttin der Nacht mit dem Geheimnis von Wolterhaven zu tun?

Der Extrasinn schien darauf ebenfalls keine Antwort zu wissen, denn er schwieg konsequent und gab nicht einmal eine seiner gelegentlichen Be­merkungen von sich.

Endlich gelangte Atlan durch eine Art Schleuse ins Innere einer weit­läufigen Halle. Endlos scheinende Regalreihen erstreckten sich vor ihm. Er hielt sich jedoch nicht lange auf, weil er das Böse spürte, das wie ein unsichtbarer Schleier auf allem lastete. Es trieb ihn vorwärts, dem näch­sten Schott entgegen, das er entdeckte. Nachdem er dieses geöffnet hatte, bot sich ihm ein herrlicher Blick über die Bauten von Wolterhaven, und ihm wurde klar, daß er sein Ziel erreicht hatte. Dies mußte ein Komplex sein, von dem man schon Leenia fernhielt.

Ein Roboter, der aus zwei zusammengefügten Kugeln bestand, schweb­te von einer der unteren Ebenen herauf. In einer der Kugeln, die aufge­klappt war, kauerte ein Dalazaare.

Das Ding kommt hierher, warnte der Extrasinn. Laß dich nicht sehen. Atlan verbarg sich hinter den nächsten Regalen. Als nur Sekunden spä­

ter der Roboter durch das erneut aufgleitende Schott hereinschwebte, folg­te er ihm in sicherem Abstand. Er kam in einen großen Raum, der ange­füllt war mit einer Unzahl von Konsolen und Schaltpulten. Flackernde Kontrollen und etliche kleinere Bildschirme verbreiteten eine bescheidene Helligkeit.

Niemand hielt sich in der Zentrale – denn um nichts anderes handelte es sich – auf. Mehrere Schotte erregten Atlans Aufmerksamkeit. Er wollte gerade auf eines von ihnen zugehen, da öffnete sich dieses, und eine Viel­zahl von Robotern quoll daraus hervor. Die Waffen in ihren Händen ließen es ratsam erscheinen, zu tun, was sie verlangten.

Sie brachten den Arkoniden in die Kuppel des Herrn Moonkay, der Re­chenschaft forderte für dessen überaus ungebührliches Verhalten und seine Neugierde, die eines Königs von Pthor nicht würdig sei.

Ein Wort gab das andere, und hätte der Logiksektor nicht mehrere Male eingegriffen, Atlan wäre dem Großbürger sicher unterlegen und von die­sem als störend in Hinsicht auf die Vorschrift der Vollkommenheit einge­stuft worden. So aber stellte er schließlich fest, daß Moonkay davon über­zeugt war, vor wenigen Wochen mit dem Dunklen Oheim selbst in Ver­

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bindung gestanden zu haben. Gleichzeitig schien es, als würden sämtliche Einwohner Wolterhavens den bloßen Verdacht, ein Vermittler habe sich zwischen sie und den Herrscher der Schwarzen Galaxis, geschaltet, als empörend zurückweisen.

Du solltest das nicht außer acht lassen, mahnte der Extrasinn. Wenn du den Robotbürgern beweisen könntest, daß ein Vermittler tatsächlich exi­stiert, dürfte dies einen argen Schock in ihnen auslösen, der sie vielleicht wieder zur Vernunft bringt.

»Und was ist mit dem Dalazaaren?« wollte Atlan dann wissen. »Wohin hat man ihn gebracht?« Er vermutete da einen möglichen Zusammenhang.

»Kein im biologischen Sinn lebendes Wesen hält sich derzeit in Wolter­haven auf – außer dir«, antwortete der Großbürger.

»Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen.« »Dann mußt du dich getäuscht haben, Atlan. So etwas ist durchaus

menschlich. Das sind die kleinen Schwächen, über die Roboter zum Glück nicht verfügen.«

»Vielleicht lügst du aber auch.« »Ich bin vollkommen«, entrüstete sich der Herr Moonkay. »Meine Mit­

bürger wissen ebenfalls nicht, wovon du sprichst.« Zwei Tage hatte Sinclair Marout Kennon in Aghmonth und dem Pfister-Getto zugebracht. Mehrmals war es ihm nur mit Mühe gelungen, Kampf­handlungen zu entgehen. Allerdings hatte er in dieser Zeit auch einen na­hezu vollkommenen Überblick erhalten. Bei den Kelotten war er sogar of­fiziell als Abgesandter der FESTUNG aufgetreten, hatte sie aber nicht da­zu überreden können, sowohl Pfisters als auch die Mißgriffe fürderhin un­behelligt zu lassen. Im Gegenteil. Man hatte ihn sofort als Anhänger der gemäßigten Gruppen verdächtigt, und es war ihm nur mit Mühe gelungen, in das Getto zu fliehen.

Nach dem, was er inzwischen wußte, wäre sein Ziel ohnehin die Rui­nenstadt gewesen, denn dort würde mit großer Wahrscheinlichkeit das nächste Attentat erfolgen.

Im Augenblick kämpften die Kelotten sowohl gegen Pfisters und Miß­griffe wie untereinander. Die Mehrzahl von ihnen war Verfechter eines harten, unnachsichtigen Kurses, während kleine Gruppierungen, die laut nach Frieden und Freiheit für Pthor riefen, nur noch im verborgenen Zu­spruch fanden und ihre Mitglieder wegen sich hin und wieder ereignender »Unfälle« um ihr Leben bangen mußten. Niemand wußte, wer wirklich hinter all dem steckte.

Die einzigen, die nach wie vor fest zueinander hielten, waren Pfisters und Dellos. Damit wußte Kennon, welchen Schritt der unheimliche Geg­ner als nächsten plante: Er würde dafür sorgen, daß es zwischen den Be­wohnern des Gettos zum Bruch kam.

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Für die Pfisters mußte eine Welt einstürzen, wenn sie Grund zu der An­nahme erhielten, daß ein Mißgriff einen der ihre getötet hatte, zumal wenn es sich bei dem Opfer um einen Pfister handelte, der sich wie kein zweiter für die Dellos eingesetzt hatte. Und ein solcher existierte: es war ein jun­ges Mädchen namens Anshara, die am Rand der Ruinen lebte.

Kennon sah in ihr das potentielle nächste Opfer. Bei fast allen bisheri­gen Morden führten Spuren stets zu dem Volk, mit dem die Getöteten ein besonders inniges Verhältnis verband.

All dies eruierte Kennon noch einmal, während er sich Ansharas Nest näherte. Sämtliche Vermutungen waren hieb- und stichfest. Es mußte ein­fach so kommen, wie er es voraussagte. Die Mentalität der Roboter von Wolterhaven ließ keine andere Handlungsweise zu.

Inzwischen wußte der Terraner, daß das Pfister-Mädchen etliche Miß­griffe bei sich beherbergte. Trotzdem erschrak er, als sich plötzlich eine ei­sige Hand um seinen Nacken legte. Gleichzeitig ertönten zischende Laute:

»Was schleichst du hier herum?« Der Griff wurde fester. Kennon stöhnte. »Ich komme, um euch zu warnen.« »Du lügst. Ich beobachte dich seit geraumer Zeit, deine Spur führt nach

Aghmonth.« »Und wenn schon …« Kennon brach mit einem gurgelnden Schrei ab.

Der Dello schien ihm mit bloßen Händen das Genick brechen zu wollen. Der Terraner ließ seine Arme hochzucken, bekam den Angreifer zu fas­

sen, wirbelte gleichzeitig herum und setzte zum Dagorgriff an. Die Kraft, die er in seine Drehung hineinlegte, schleuderte den Mißgriff mehrere Me­ter weit durch die Luft. Es war ein stämmiger Bursche mit drei Säulenbei­nen und sich deutlich unter der Kleidung abzeichnenden Muskelpaketen. Wieder einmal wurde Kennon bewußt, was sein veränderter Körper im Gegensatz zu früher zu leisten imstande war.

Behende kam der Dello auf die Beine und wollte erneut zupacken, aber ein lauter Befehl ließ ihn innehalten.

»Was geht hier vor?« Ein kleiner Pfister stand in der Öffnung des Turmes. Ein Weibchen. Die

Färbung ihrer Stacheln wies sie als junges Wesen aus. »Anshara?« platzte Kennon heraus. »Die bin ich. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.« Der Terraner nickte. »Ich bin gekommen, um dem sinnlosen Morden

ein Ende zu machen«, sagte er. »Du?« brüllte der Mißgriff und nahm eine drohende Haltung ein. Halb

wandte er sich an das Mädchen. »Die Kelotten haben ihn geschickt.« »Ist das wahr?« »Ich komme aus Aghmonth – aber nur, weil ich mich dort umgesehen

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habe.« »Dann heraus mit der Sprache. Was hast du vorzuschlagen?« Kennon berichtete, schilderte die Missetaten der Robotdiener in den dü­

stersten Farben. Immer mehr Dellos und auch einige Pfisters scharten sich um ihn. Mit Befriedigung nahm er ihr Erschrecken zur Kenntnis.

»Ich bin bereit, mit dir zusammenzuarbeiten«, willigte Anshara ein, nachdem er geendet hatte.

»Auch wir Dellos haben keinen sehnlicheren Wunsch, als den Kämpfen endlich ein Ende zu setzen«, erklärte der Mißgriff, der Kennon vor weni­gen Minuten beinahe getötet hätte. »Was sollen wir tun?«

Die folgende Erklärung des Terraners wurde zunächst mit Skepsis auf­genommen, schließlich aber doch als einzig möglicher und erfolgverspre­chender Vorschlag akzeptiert. In Windeseile begannen die Vorbereitun­gen. Wenn der heimliche Mörder kam – und das konnte sehr bald der Fall sein –, durfte sich niemand mehr in der Nähe des Nestes zeigen.

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7.

Kennons Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Die Nacht war schon vor Stunden hereingebrochen, als er endlich ein

leises Scharren vernahm, das aus nächster Nähe kam. Angestrengt lauschte er, bemüht, sich nicht durch heftiges Atmen zu

verraten. Jedoch bestand auch die Möglichkeit, daß nur ein Tier, das um den Turm strich, das Geräusch hervorgerufen hatte.

Aber da war es wieder. Und wesentlich näher, wie es schien. Kennon ahnte, daß die Entscheidung unmittelbar bevorstand. Sollte es

sich herausstellen, daß er unrecht hatte, würde er ganz sicher keine zweite Chance mehr erhalten. Zweimal kurz hintereinander zog er an dem hauch­dünnen Faden, der durch einen Mauerriß ins Freie führte und erst mehr als einen Kilometer entfernt endete. Etliche Dellos warteten nur auf dieses Zeichen. Bewußt hatte Kennon darauf verzichtet, Funkgeräte einzusetzen, weil ihm die Ortungsgefahr zu groß erschien. Er wollte den Mörder nicht durch irgendeine Unvorsichtigkeit warnen.

Wenige Zentimeter über dem Boden schwebte der Roboter herein. In der Dunkelheit des uralten Gemäuers funkelten seine Sehzellen wie die Lichter eines umherstreifenden Raubtiers.

Jetzt mußte er die in Decken gehüllten Körper der schlafenden Dellos sehen. Er beachtete sie nicht.

Daß die Maschine sich ungeheuer vorsichtig bewegte, bestätigte den Verdacht des Terraners. Niemand durfte sie zu Gesicht bekommen, denn sobald die Pthorer erfuhren, wer die Urheber des sich ausbreitenden Chaos waren und sie gegeneinander aufhetzte, würden sie bittere Rache üben. Nichts lag den Bürgern von Wolterhaven aber so nahe wie ihre eigene Si­cherheit. Gerade darauf basierte Kennons Plan.

Der Roboter näherte sich der vermeintlichen Anshara. In einer seiner Greifklauen blitzte ein langer Dolch.

In dem Moment, in dem er zustieß, ließ Kennon die Falle zuschnappen. Ein einzelner Balken löste sich aus dem Mauerwerk. Zusammen mit nach­stürzenden Steinen begrub er den Roboter und das potentielle Opfer unter sich. In den entstehenden Lärm mischte sich das Krachen überbeanspruch­ten Metalls. Aufwirbelnder Staub ließ so gut wie gar nichts erkennen, ob­gleich mehrere starke Scheinwerfer aufflammten, die von einem Behelfs­aggregat versorgt wurden. Zwei feinmaschige, aus nahezu unzerreißbarem Kunststoff bestehende große Netze fielen von oben herab.

»Haben wir ihn?« ertönte von draußen Ansharas Stimme. »Ja«, rief Kennon. »Es hat geklappt. Die Frage ist nur, wie lange wir ihn

festhalten können.«

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»Die anderen werden bald kommen.« »Hoffentlich. Was hilft es, wenn nur du und ein paar Pfisters den Robo­

ter sehen. Niemand sonst wird uns glauben.« Während Anshara im Eingang erschien, begann es unter den Trümmern

bereits zu rumoren. Einzelne Steine bewegten sich und rollten zur Seite. Kennon mußte daran denken, daß die Pfisterin nur mit Mühe zu bewegen gewesen war, nicht selbst den Köder zu spielen, sondern sich durch einen ausgestopften, in aller Eile mit Stacheln versehenen Sack vertreten zu las­sen. Der Roboter hatte den Betrug nicht gemerkt, auch nicht, daß die ver­meintlichen Dellos ebenfalls Puppen waren.

Ein stählerner Arm wurde sichtbar, dem wenig später ein zweiter folgte. Der Balken polterte auf den Boden. Jeden Augenblick konnte die Maschi­ne sich aufrichten. Kennon wußte, daß es unmöglich war, sie lange in ei­nem Pfister-Nest festzuhalten, nicht einmal mit Hilfe der Netze, in denen sie sich unweigerlich verfangen mußte.

Schwankend kam der Roboter hoch, fiel dann aber unversehens zurück. Sein Gleichgewichtssinn schien beschädigt zu sein, denn er verstrickte sich immer mehr in den engen Maschen.

Endlich brandete von draußen Lärm auf. Die ersten Dellos stürmten her­ein. Sie hatten Kennons Signal verstanden und lockten eine Meute mord­gieriger Kelotten hinter sich her. Auch etliche Pfisters waren nun zur Stel­le.

Der Anblick des Roboters, der sich inzwischen fast vollständig befreit hatte, ernüchterte sie alle. Selbst die Kelotten vergaßen ihre Absicht. Wie erstarrt standen sie da und starrten auf den metallenen Kasten.

Sinclair Marout Kennon nutzte die Gunst des Augenblicks. »Das«, sagte er, und seine Worte verhallten in vielfachem Echo, »ist ei­

ner der Mörder, die schuld daran sind, daß ihr euch gegenseitig die Schä­del einschlagt. Er kam hierher in der Absicht, Pfisters und Dellos zu ent­zweien. Sein Werk ist die Vernichtung.«

Vereinzelte Ausrufe der Entrüstung wurden laut. Mancher senkte seine Waffe, die er in der Absicht zu töten erhoben hatte.

Kennon schien sich nicht geirrt zu haben, als er davon ausging, daß die Pthorer der ewigen Auseinandersetzungen überdrüssig waren. Allem An­schein nach bedurfte es wirklich nur eines kleinen Anstoßes, um die sinn­losen Kämpfe zu beenden.

Kelotten wandten sich um und eilten davon, Pfisters und Dellos schrien die Neuigkeit lauthals hinaus. Eine Woge der Erleichterung erfaßte alle. Noch hielten die Vertreter der verschiedenen Völker zwar eine gewisse Distanz zueinander, die Kunde vom Auftauchen eines Robotdieners aus Wolterhaven verbreitete sich aber wie ein Lauffeuer und machte selbst vor der Grenze nach Aghmonth nicht halt.

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»Ihr habt die Falschen verfolgt«, rief Kennon, »habt euch blenden las­sen vom Schein der Dinge, die so aber nicht waren.« Er zeigte auf einige bunte Stoffetzen, die der Roboter verloren hatte. »Diesmal war es seine Absicht, einen Pfister zu töten und die Schuld den Mißgriffen zuzuschie­ben. Denn mancher Dello trägt solch bunte Kleidung, und es hätte keines weiteren Beweises bedurft, um sie zu verdächtigen.«

Die Erregung der Menge steigerte sich in einen Taumel, der sich über kurz oder lang gegen ein einziges Ziel entladen würde. Der Roboter schien durchaus in der Lage, dies zu analysieren, denn er verstärkte seine Bemü­hungen, freizukommen.

»Nieder mit den Bürgern von Wolterhaven!« gellte ein Schrei, elektri­sierend und mitreißend zugleich. Ein Kelotte hatte ihn ausgestoßen.

Kennon wußte, daß jeder Versuch, die Maschine zum Reden zu bringen, von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Auch mit Drohungen ließ sich einem Roboter gegenüber nichts ausrichten. Außerdem war der Die­ner lediglich Befehlsempfänger. Der wahre Schuldige befand sich in Wol­terhaven – ihm galt es Angst einzuflößen.

Niemand vermochte später zu sagen, wer den ersten Stein geworfen hat­te. In der Folge wurde der Roboter von Geschossen aller Art verbeult. Und Kennon nutzte die Gunst der Stunde, um Kelotten, Pfisters und Dellos weiter aufzuhetzen. Zwar ging er damit ein nicht unbeträchtliches Risiko ein, aber er vertraute darauf, daß es ihm rechtzeitig gelingen würde, die Pthorer wieder zu beschwichtigen, bevor Wolterhaven in Trümmer sank. Im Grunde genommen war niemand wild auf neue Kämpfe und das Land längst überreif für einen Frieden, den der Dunkle Oheim ihm nicht gönnte. Genau darauf lief auch alles hinaus, was der Terraner sagte. Unterschwel­lig sprach er das Bewußtsein der Pthorer an, keinen neuen Krieg heraufzu­beschwören. Die mechanischen Speicher des Roboters aber waren unfähig, diesen Sinn zu verarbeiten. Irgendein Bürger in Wolterhaven, wahrschein­lich gar der Herr Moonkay selbst, mochte inzwischen davon überzeugt sein, daß er in Kürze die ungezügelte Wut des Volkes zu spüren bekom­men würde.

Jetzt muß es sich zeigen, daß auch Roboter mitunter Nerven haben kön­nen, dachte Kennon.

Sicher, ein direkter Angriff auf die Stadt im Südwesten von Pthor mußte Tausende Opfer fordern. Selbst wenn es nicht gelang, Wolterhaven einzu­nehmen, der Plan, den die Bürger berechnet hatten, war dadurch – wenn nicht inzwischen sinnlos geworden – aufs Äußerste gefährdet.

Laut sagte der Terraner: »Alle Völker werden sich gemeinsam erheben und jene, die als Befehls­

empfänger des Dunklen Oheims neues Elend über das Land bringen, hin­wegfegen.«

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Zeigte sein Appell bereits die ersten Folgen? Der Robotdiener bewegte sich nicht mehr. Was veranlaßte den Großbürger dazu, die Anwesenheit eines Dalazaaren zu leugnen? Atlan wußte keine Antwort auf diese Frage, und sein Extra­sinn schwieg sich aus.

Seit mehreren Stunden wurde er nun schon in der Kuppel des Herrn Moonkay festgehalten, von schweigsamen Robotern bewacht. Er durfte nicht in sein Quartier zurückkehren. Aus Sicherheitsgründen, war ihm mit­geteilt worden. Dabei zweifelte er daran, daß es um seine Sicherheit ging als vielmehr um die vermeidbare Belästigung, die er für die Bürger dar­stellte.

Die bedrückende Stille wurde schlagartig von einem bösartigen Ge­räusch verdrängt, das sich anhörte wie das Summen eines Schwarmes wü­tender Hornissen. Im selben Moment blickte Atlan in die Mündungen mehrerer entsicherter Waggus. Die Bewegungen der Robotdiener waren eckig und ungelenk, keineswegs so, wie er sie gewohnt war. Auch ohne den Hinweis seines Logiksektors hätte er erkannt, daß bedeutsame Ereig­nisse ihre Schatten warfen. Der Herr Moonkay fuhr unzählige verschiede­ne Antennen aus, und in mancher seiner Kugeln begann es verhalten zu brummen.

»Moonkay?« sagte Atlan, erhielt jedoch keine Antwort. Er glaubte es selbst kaum, aber die Roboter ließen ihn ungehindert vor­

bei. Möglicherweise nahmen sie ihn gar nicht mehr wahr. Ein unstetes Flackern in ihren Sehzellen ließ erkennen, daß sie mit anderem befaßt wa­ren.

Was konnte von derartiger Wichtigkeit sein? Du vergißt Kennon! erinnerte der Extrasinn. Hatte der USO-Spezialist inzwischen Erfolge erzielt? Dann war klar,

was den Großbürger in einer Weise beschäftigte, daß darüber alles andere unwichtig schien. Dann drohte nämlich das einzutreten, was die Herren von Wolterhaven seit undenkbar langer Zeit verhindern konnten: Pthorer würden die Stadt angreifen und die pedantische Ordnung vernichten.

Atlan trat vor den Trog mit den siebenundzwanzig silbernen Kugeln hin.

»Du hast Probleme, Moonkay?« Abermals wartete er vergebens darauf, daß der Großbürger zu einer Er­

widerung ansetzte. »Die Entscheidung, die du jetzt treffen mußt, ist sehr schwer. Ich denke,

letztlich hängt nicht nur deine Existenz davon ab, sondern die sämtlicher Bürger. In kürzester Zeit wird man überall in Pthor wissen, an wem man für die vielen Morde der letzten Tage und Wochen Rache nehmen muß.«

»Niemand wird es wagen, Wolterhaven anzugreifen.«

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Atlan lachte. »Bist du dir dessen wirklich sicher, Moonkay? Ist es nicht vielmehr so,

daß die ersten aufgebrachten Pthorer schon hierher unterwegs sind? Ich habe dein Spiel längst durchschaut. Nur fehlt mir bisher ein letzter

Beweis, den alle akzeptieren. Wie die Dinge liegen, benötige ich ihn nun nicht mehr.«

»Woher willst du wissen, was geschehen ist?« fragte der Großbürger schroff.

»Ich habe also recht? Man wird Wolterhaven dem Erdboden gleichma­chen.«

»Niemand darf es wagen …« »Weder eine Armee von fünfzehntausend Dienern und mechanischen

Arbeitern noch eure Energiestrahler werden sie aufhalten können. Die Zahl der Angreifer wird um ein Vielfaches größer sein – außerdem verfü­gen sie ebenfalls über wirksame Waffen, überwiegend wohl von den Kro­locs erbeutete Strahlenlanzen.« Atlan legte eine Kunstpause ein, um die Wirkung seiner Worte voll auszukosten. »Vielleicht gibt es aber einen Ausweg«, behauptete er dann.

»Ja …?« Die Reaktion des Herrn Moonkay kam in dieser Weise keines­wegs überraschend. Er mußte sich einem Dilemma ausgesetzt sehen, das zufriedenstellend zu bereinigen ihm unmöglich war. Wie er auch ent­schied, der errechnete Plan war undurchführbar geworden. Also trat das Interesse, die eigene Existenz zu erhalten, in den Vordergrund jeder Über­legung.

»Wenn die Robotbürger offiziell eingestehen, daß sie sich vom Dunklen Oheim beeinflussen ließen und sie selbst keine Schuld an den jüngsten Vorfällen trifft, will ich mich dafür einsetzen, daß die Pthorer Wolterha­ven verschonen. Allerdings benötige ich die Garantie, daß ihr euch dem nächsten Befehl des Oheims widersetzen werdet.«

Atlan war überzeugt, daß der Herr Moonkay alle anderen Herren über eine Kommunikationsschaltung an ihrem Gespräch teilnehmen ließ. Tat­sächlich sprach dieser, als er antwortete, in der Mehrzahl.

»Wir sind mit deinen Bedingungen einverstanden, können dir aber die gewünschte Zusicherung nicht geben.«

»Dann liefert mir das Wesen aus, das als Verbindungsglied zwischen Wolterhaven und dem Dunklen Oheim fungiert.«

»Ein solcher Vermittler existiert nicht.« »Es muß ihn geben«, behauptete Atlan. »Und zwar ganz in der Nähe.« »Nichts und niemand kann sich gegen unseren Willen in der Stadt ver­

borgen halten. Es würde nur Stunden dauern, bis wir ihn entdeckt hätten.« »Für wen sind dann die neu errichteten Unterkünfte bestimmt?« »Die Vollstrecker sollten sie beziehen – und einige ausgewählte Persön­

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lichkeiten benachbarter Dimensionsfahrstühle.« »Auch der Dalazaare, den ich in der Halle sah?« »Du irrst, Atlan. Dies sagte ich dir bereits.« »Und du lügst entweder oder weißt es wirklich nicht. Ich empfehle dir,

Wolterhaven gründlich zu durchsuchen. Andernfalls sehe ich keine Veran­lassung, euch zu helfen.« Das Warten wurde für Atlan zur Qual. Er, der einen Großteil seines Le­bens mit Warten verbracht hatte, fieberte der Entscheidung entgegen – egal, wie sie ausfallen mochte.

Und dann flammte ein Bildschirm auf. Was der Arkonide zu sehen be­kam, ließ ihm den Atem stocken. Damit hatte er nicht gerechnet.

Ein kleiner Gersa-Predogg! Im Herzen von Wolterhaven. Niemand wußte, wie die Maschine in die Stadt gelangt war. Und von ihr

würde keiner mehr Auskunft erhalten, denn sie zerstörte sich selbst und verging in einer grellen Explosion, kaum daß ihr Versteck entdeckt wor­den war.

Aber noch etwas sah Atlan: Ginover – die Göttin der Nacht. Zweifellos war sie tot. In erstarrter Haltung saß sie hinter einer Unzahl verschiedenar­tiger Kontrollgeräte.

Und zwei Diener führten soeben einen Dalazaaren ins Freie, der einen denkbar mitgenommenen Eindruck machte. Kaum konnte er sich auf den Beinen halten.

Der Zorn der Robotbürger über den Betrug, dem sie aufgesessen waren, schien groß.

»Wir wußten es nicht«, sagte der Herr Moonkay. »Es ist, als hätte die Anwesenheit des Gersa-Predoggs unzählige Schaltkreise blockiert, die erst jetzt die in ihnen enthaltenen Informationen freigeben.«

»Was ist mit Ginover?« »Sie war ein Dello – programmiert, um die Einhaltung der Vorschrift

der Vollkommenheit zu überwachen und Fehler auszumerzen. Erst die Vernichtung des Gersa-Predoggs macht mir diese Information zugänglich. Gleichzeitig mit seinem Eintreffen auf Pthor wurde Ginover überflüssig.«

Atlan verbiß sich die Frage, die er auf der Zunge hatte, als zwei Roboter die Kuppel betraten. Sie trugen den Dalazaaren zwischen sich. Mit ihm ging es sichtbar zu Ende.

Er stammelte leise vor sich hin. Was er erzählte, klang zunächst verwir­rend, ließ aber schließlich doch einen Sinn erkennen.

Demnach hatte es vor langen Zeiten, als der Dunkle Oheim seine Nacht festigte, schreckliche Kämpfe auf Pthor gegeben. Die Seelen jener Krie­ger, die in der Nähe der Stahlquelle gestorben waren, hatten auf unbegreif­liche Weise die Jahrtausende überdauert. Aber erst die längerwährende

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Anwesenheit des Gersa-Predoggs ermöglichte es ihnen, in neue Körper überzuwechseln, wobei der Haß, der sich in ihnen angestaut hatte, den Ro­boter aus dem Zentrum der Schwarzen Galaxis auf sie aufmerksam werden ließ. Diese so verschiedenen Existenzformen hatten eines gemeinsam: den Drang zu kämpfen. Dem Gersa-Predogg war es vor allem darum gegan­gen, sein Wissen zu erweitern; deshalb hatte er einen Diener veranlaßt, den Dalazaaren aus der Gewalt der Piraten zu befreien. Und deshalb war Gambor nun am Ende, ausgelaugt, das Wrack eines Menschen. Er starb, ohne daß jemand ihm helfen konnte.

»Ich habe allen Robotern, die noch unterwegs sind, um den Plan auszu­führen, befohlen, sich sofort zu erkennen zu geben«, sagte der Herr Moon­kay. »Manch einer wird nicht zurückkehren – aber das ist der Preis, den wir bezahlen müssen. Den angerichteten Schaden können wir leider nicht mehr gutmachen.

Außerdem werden wir erneut Kontakt zu den Robotzivilisationen der benachbarten Dimensionsfahrstühle aufnehmen, damit auch sie sich gegen den Befehl des Oheims zur Wehr setzen und dafür sorgen, daß Friede in ihren Ländern herrscht.«

Allein aufgrund dieses Versprechens hätte Atlan zufrieden sein können. Leider war er sich der Tatsache bewußt, daß Kennon und er nur ein unter­geordnetes Problem gelöst hatten, während der Dunkle Oheim weiterhin unbeirrbar seinem unbekannten Ziel entgegen eilte. Es gab genug, was ei­ner Erledigung harrte. Als nächstes wollte Atlan sich intensiv um die Par­raxynt-Bruchstücke kümmern, die in der FESTUNG lagerten. Es wurde allmählich Zeit, daß der Bildermagier Valschein Ergebnisse vorlegte.

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Weiter geht es in Atlan Band 490 von König von Atlantis mit: Expedition zur Lebensquelle von Marianne Sydow

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