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6.Ausgabe, Juli 2012 Bremens freies Unimagazin INVASION BUBBLE TEA INVASION BUBBLE TEA Exzellente Uni Rektor Müller setzt sich die Krone auf Primark Konsumkult aus Irland Bunker Valentin Historie des größten Rüstungsprojekts der Nazis

6. Ausgabe

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6 . A u s g a b e , J u l i 2 0 1 2

B r e m e n s f r e i e s U n i m a g a z i n

INVASION BUBBLE TEA INVASION BUBBLE TEA

Exzellente UniRektor Müller setzt sich die Krone auf

PrimarkKonsumkult aus Irland

Bunker ValentinHistorie des größten Rüstungsprojekts der Nazis

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Kurzmeldungen 4

Hochschulpolitik Exzellenzinitiative - Die Entscheidung 5

Die Gremienwahlen 2012 8

Wahlkampfreportage 11

Hochschullisten und ihre Bundesparteien 12

Upgrade und Downgrade von Unis 14

Campusleben Study Buddy 16

Interview mit chinesischer Austauschstudentin 18

International Day 20

Studiengang KMW 22

Wohnungsnot in Bremen 24

Gedicht „Wissen schafft“ 26

Bremen Bunker Valentin 27

Bremens grüne Lunge 28

Breminale 32

Sinti und Roma 34

Feuilleton Wikipedia 38

Bubble Tea 40

Primark 42

documenta 44

spotify 46

Lautsprecher 47

Buchrezension: „Don‘t sleep, there are snakes“ 48

Menschliche Werbeflächen 49

Fernweh: Israel 50

Impressum 52

Inhalt

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20 International Day

28 Bremer Grüne Lunge

49 Menschliche Werbeflächen

Ein anderer Kult, der immer wieder entweder für fragende Blicke oder unverhohlene Begeisterung sorgt, ist der Klamottenladen Primark. Vor über drei Jahren hat die erste Filiale Deutschlands in Bremen eröffnet, seitdem sind sechs weitere dazugekommen. Aus scheinbar allen Ecken Norddeutschlands strömen seitdem die Massen, auf der Suche nach den besten Schnäppchen, in die Waterfront. Sie tragen voller Stolz riesige Tüten nach Hause, auf denen groß das allzu bekannte blaue Logo prangt. Doch was ge-nau macht den Reiz dieses Geschäftes eigentlich aus? Vermutlich niemand würde auf die Idee kommen, zum Einkaufen bei KiK oder C&A kilometerweit zu fahren – obwohl die Preisklasse ähn-lich ist. Also wie hat Primark es geschafft, dass die Klamotten als „cool“ gelten, obwohl (oder gerade weil) sie so billig sind?

Werden künftig alle Studenten mit Primarkklamotten und Bubble Tea den täglichen Weg in die Exzellenzuni antreten? Eine neue Spezies macht sich in Bremen breit...

Die Würfel sind gefallen: Wir studieren an einer Exzellenzuni. Yeah! Vorsichtshalber werden wir durch das knallrote unüber-sehbare Banner am MZH auch gleich täglich daran erinnert. Für uns Studenten werden die Auswirkungen wohl überschau-bar sein, da das meiste Exzellenzgeld in die Forschung fließen wird. Zumindest hat sich der ehemalige Linksaktivist Müller nun als Exzellenzkönig selbst gekrönt. Ob der Status bis auf das Image, das er mitbringt, auch tatsächliche Verbesserungen für jeden einzelnen Studenten bringt, wird stark bezweifelt. Doch den letzten Funken Hoffnung sollten wir vielleicht noch nicht aufgeben. Nicht ganz so auffällig wie diese exzellenten Banner, aber doch nicht zu übersehen, sind die aus dem Boden schießenden Bubble-Tea-Shops. Wird dieser Trend aus Taiwan bald so flä-chendeckend präsent und etabliert sein wie McDonalds, Sub-way oder Starbucks? Was bringt Menschen dazu, diese bunte Flüssigkeit mit den Gummiperlen zu sich zu nehmen? Um das rauszufinden, haben unsere Autoren tief in die Blasen des Tees geschaut und nicht nur Hintergründe offengelegt, son-dern auch den Selbstversuch gewagt. Die Erkenntnisse sind so schockierend, dass man sich fragen muss, wozu das massen-weise Schlürfen dieses bunten Gute-Laune-Tees führen wird. Kann Bubble Tea tödlich sein?

Editorial

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Ihr erreicht uns bei Fragen, Anregungen oder Kritik entweder persönlich auf dem Campus oder unter [email protected].

Liebe KommilitonInnen, liebe LeserInnen!

Anne Glodschei Lukas Niggel

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Auch in diesem Jahr wurde das „Festival contre le racisme“ durch das Anitdiskriminierungsreferat des AStAs der Uni

Bremen in der Zeit vom  11. bis 15. Juni organisiert. Und auch in diesem Jahr konnte sich das Programm sehen lassen. Gemeinsam mit zahlreichen engagierten Kooperationspartnern wurde ein buntes Programm auf die Beine gestellt. Theater, Vorträge, Tanz und gute Diskussionen setzten eine Woche lang den Rahmen, sich gegen Rassismus in unserer Gesellschaft auszusprechen. Ei-nen musikalischen Höhepunkt präsentierten die Organisatoren mit einem Konzert auf der „Treue“. Salsa, Rock und SKA setzten ein lautstarkes Zeichen gegen Rassismus in unserer Gesellschaft. Aber auch Vorträge wie der von Adam Donen, dessen Vater Kämpfer gegen die Apartheit in Südafrika gewesen ist, und sze-nische Inszenierungen durch Studentinnen der Fachhochschule Ottersberg boten eine gute Gelegenheit, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.  „Eine Woche stand das Thema besonders im Fokus, doch müssen wir uns weiter täglich für ein antirassis-tisches  Zusammenleben und gegen Diskriminierung einsetzen“, so die Organisatoren abschließend.

Festival gegen Rassismus

Am 23. Mai fand zum wiederholten Male der so genannte Semestergipfel statt. Diesmal stand er unter dem Motto

„MAKE!“ – „Miteinander! Aktiv! Kreativ! Eigenverantwortlich!“ Obwohl die Beteiligung von Studierenden erneut zu wünschen übrig ließ, kam es zu einigen interessanten Auseinandersetzun-gen. Die Konzentration lag dabei insbesondere auf der Partizipa-tion von Studierenden. Viele würden sich noch immer zu wenig einbringen, obwohl diejenigen, die es täten, auch im späteren Leben vielfach davon profitierten. So zumindest die relativ ein-hellige Meinung. Es wurde der Vorschlag gemacht, Partizipation innerhalb des Studiums und auch im Zusammenhang mit Lehr-angeboten stärker zu fördern. An gleicher Stelle diskutierten die Teilnehmer des Gipfels darü-ber, ob Studierende vielleicht aus Sorge um Repressionen mit ih-rer Kritik an Inhalt und Didaktik von Lehrveranstaltungen hin-term Berg hielten. „Dies scheint ein Thema zu sein, um das man sich weiter kümmern muss“, resümiert Heidi Schelhowe, Kon-rektorin für Lehre und Studium auf eine Anfrage des Schein-werfers. Wie zuletzt bei allen Gipfeln, herrschte jedenfalls auch diesmal Bedauern über das geringe studentische Interesse.

Aktiv im Studium – Der Semestergipfel im Mai

Die tagesWEBschau ging am 04. Juni an den Start, pünkt-lich zum Beginn der Fußball-EM und dem heiß diskutier-

ten, scherzhaften Streich, den der Bundestrainer Joachim Löw einem Balljungen spielte. Dass dieser sympathische Ausschnitt vor Spielbeginn aufgezeichnet und von der FIFA, die die kom-pletten Bildrechte besitzt, als Liveübertragung ausgegeben wur-de, sorgte für Furore. Das Echo, das zu solchen und weiteren tagesaktuellen Themen im Internet entsteht, ist der Inhalt des neuen Formats der ARD, das sich vornehmlich an ein junges, internetaffines Publikum richtet. Mit Filmsequenzen und Grafi-ken werden Themen, die die Netzgemeinde interessieren, aufbe-reitet und reflektiert wiedergegeben. Produziert wird die „kleine Tochter“ der Tagesschau in Bremen, in der „Digitalen Garage“ bei Radio Bremen. Unter anderem sind einige Masterstudenten der Uni Bremen an diesem Projekt beteiligt. Diese erstellen zum Beispiel zu jedem Beitrag ein Content, also eine Auswahl an verwandten Seiten oder Artikeln im Netz, die weiterführende Informationen bereit halten. Im Herbst wird die Evaluation die-ses Nachrichtenportals Gegenstand einer Masterarbeit sein.Die tagesWEBschau ist täglich ab 17 Uhr online unter www.tagesschau.de/tageswebschau/, auf den Websites aller jungen Radiosender der ARD (Bremen Vier) und über die Smartphone-App der Tagesschau zu sehen.

„Kleine Schwester“ der Tagesschau im Netz

Zivilklausel verstoßen wurde. Trotz Bestätigung dieser Verlet-zungen durch Rektor Müller sind der Öffentlichkeit keine ge-naueren Ergebnisse der Umstände zugänglich. Informationen über die jeweiligen Projekte, deren finanziellen Rahmen und die Drittmittelgeber bleiben unter Verschluss. Neben der gesetzli-chen Verankerung der Zivilklausel im Bremischen Hochschulge-setz verweigert das Rektorat auch das Einsetzen einer universi-tätsinternen Kontrollgruppe.

Kurzmeldungen Kurzmeldungen

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Kurzmeldungen

Am 02. Juli wurde der Universität Bremen vom Stifterver-band für Deutsche Wissenschaft das Zertifikat zum Audit

„Vielfalt gestalten“ verliehen. Damit gehört sie zu den ersten acht Diversity-Hochschulen Deutschlands. Auf der Homepage der Universität heißt es, Managing Diversity beinhalte den „bewussten Umgang mit Diversität als Aufgabe für alle Betei-ligten“. Daher sei es eng mit Ansätzen zu Antidiskriminierung und Chancengleichheit  sowie zu Internationalisierung und In-terkulturalität  verknüpft. Der Weg nach Berlin, wo die Preis-verleihung stattfand, begann schon vor zwei Jahren, als der Stifterverband das Projekt „Ungleich besser – Verschiedenheit als Chance“ ausschrieb. Aus 58 Bewerbern wurden acht Hoch-schulen ausgewählt, die im Rahmen eines Benchmarking-Club

Nicht nur Exzellenz-, sondern auch Diversity-Hochschule

ein Auditierungsverfahren entwickelten. Nach diesem Verfahren wurden nun eben diese acht Hochschulen zertifiziert und dür-fen sich die nächsten drei Jahre Diversity-Hochschule nennen.Als Pionierhochschule bleibt die Bremer Uni Mitglied in dem gegründeten Benchmarking-Club und steht Hochschulen, die die Zertifizierung anstreben, mit Ratschlägen zur Seite. „Das ist noch wichtiger als Geld habe ich festgestellt“, weiß Christina Focke, Dezernentin für studentische Angelegenheiten, diesen vielfältigen Austausch mit anderen Hochschulen zu schätzen. Ungefähr alle zwei Monate finden Treffen des Clubs statt, bei denen durch Expertenvorträge und Diskussionen das Thema Di-versity vertieft und weiterentwickelt wird.

Im Mai war bekannt geworden, dass die Universität Bremen trotz bestehender – und im April durch den Akademischen

Senat (AS) erneut bestätigter – Zivilklausel indirekt über den OHB-Konzern einen an diesen erteilten Rüstungsforschungs-auftrag der Bundeswehr übernommen hatte. Hierbei ging es um die Beschleunigung der Datenübertragung für Tornado-Kampf-jets. Nun gibt es neue Vorwürfe. Eine interne Überprüfung er-gab, dass darüber hinaus mindestens in zwölf Fällen allein im Zeitraum von 2003 bis 2011 gegen die seit 1986 bestehende

Weitere Rüstungsforschung an Uni aufgedeckt

Am 06. Juni fand an der Uni Bremen der Tag der Lehre statt. In diesem Rahmen sollen Studierende und Lehrende ge-

meinsam ins Gespräch kommen, betont Prof. Dr. Heidelinde Schelhowe, Konrektorin für Studium und Lehre der Uni Bre-men, gegenüber der UniPresse.Dafür wurde der Vormittag für Veranstaltungen innerhalb der einzelnen Fachbereiche offen gehalten und für den Nachmittag ein uniweit offenes Programm angeboten. Zum einen gab es eine Einführung durch Schelhowe zum Thema „Auf Augenhö-he – Gedanken zu guter Lehre und gutem Studieren“ und zum anderen unterschiedliche Workshops zu Themen wie Bologna, Forschendem Lernen oder der Universitätsbibliothek. Abge-schlossen wurde der Tag der Lehre mit der feierlichen Verleihung des Berninghausenpreises. Bilanz des Tages: Das Konzept sei auf dem Weg sich zu etablieren, jedoch wünscht sich Schelhowe für die Zukunft mehr Beteiligung, um die Lehre gemeinsam gestal-ten zu können.

Tag der Lehre

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Bewilligungsausschuss ausgezeichnete Graduiertenschule – also eine Doktorandenschule – und zum anderen das Exzellenzcluster, bei dem es um die Einrichtung einer interdisziplinär forschenden Wissenschaftsgruppe geht. In Bremen ist dies zum einen das MARUM (Zentrum für Marine Umweltwissenschaften) als Exzellentcluster und zum anderen die Bremen International Graduate School for Social Sciences (BIGSSS), die gemeinsam von Uni und Jacobs University Bremen als sozialwissenschaftliche Graduiertenschule betrieben wird. Professor Susanne K. Schmidt, Direktorin der BIGSSS, sagte kurz vor Verkündung des Ergebnisses gegenüber dem Scheinwerfer: „Ich glaube wir sind hier an einer sehr guten Uni. Wie das heute wirklich ausgeht, kann ich natürlich noch nicht sagen - ich habe die Nachricht noch nicht. Aber vor allem für die BIGSSS, die eine Grundvoraussetzung für die Uni-Exzellenz ist, bin ich sehr zuversichtlich.“ Dennoch, auch Schmidt musste zu bedenken geben, dass „wir natürlich auch stark davon betroffen wären, wenn es in Zukunft keine Förderung der BIGSSS mehr gäbe – das hätte nicht nur Auswirkungen auf die Bewerbung für das Zukunftskonzept“. Doch diese Bedenken sollten sich kurze Zeit später als überflüssig erweisen. Noch vor der öffentlichen Verkündung durch Bundesbildungsministerin Professor Anette Schavan in Bonn machte die frohe Kunde über den Erfolg der Uni Bremen bei der Exzellenzinitiative die Runde. „Ich habe gerade die Nachricht per Telefon erhalten, sie ist also eigentlich noch nicht offiziell da, aber wir haben Großes geleistet“, verkündete Rektor Wilfried Müller im Gespräch mit dem Scheinwerfer. Auch die Konrektorin für Studium und Lehre, Professor Heidelinde Schelhowe, die erst Minuten, nachdem die inoffizielle Bestätigung vorlag, im MARUM eintraf, zeigte sich im kurzen Gespräch erfreut und machte gleichzeitig einen Schritt auf die, der Exzellenzinitiative kritisch gegenüberstehenden, Studierenden zu. „Ja, ich kenne das Ergebnis schon und wir werden alles tun, dass die Lehre hiervon genauso profitiert wie die Forschung!“, versprach Schelhowe.

Am 15. Juni war es soweit, der Bewilligungsausschuss der Exzellenzinitiative hatte für diesen Freitag die Verkündung der Gewinner in der letzten Runde der Exzellenzinitiative

angekündigt. Neben den bereits in den vorangegangenen Runden ausgezeichneten Unis in Aachen, Berlin (FU) ,Freiburg, Göttingen, Heidelberg, Konstanz, Karlsruhe und München (TU und LMU) hatten sich für diesen finalen Termin auch die Unis Berlin (HU), Dresden, Mainz, Köln, Tübingen und nicht zuletzt Bremen mit einem Zukunftskonzept auf den Titel Exzellenz-Universität beworben. Auf dem Spiel stand für alle Bewerber viel. Insgesamt ging es um die Verteilung von 2,7 Milliarden Euro bis zum geplanten Ende der Exzellenzinitiative im Jahr 2017. Es war demnach auch die letzte Chance für deutsche Hochschulen von der im Jahr 2005 erstmals durchgeführten Initiative zu profitieren. Nachdem eine Jury aus internationalen Wissenschaftlern die antragsstellenden Institute bereits ähnlich einer Ampel in grüne – zu fördernde Universitäten – , gelbe – Wackelkandidaten – und rote Universitäten – nicht förderungswürdig – eingeteilt hatte, ging es an diesem Tag ganz besonders um die Gruppe der als Wackelkandidaten eingestuften Unis. Vorab hatten die Landesbildungsminister, die neben den internationalen Wissenschaftlern ebenfalls Stimmen im Bewilligungsausschuss haben, bereits verkündet, sich dem Votum der Wissenschaft beugen zu wollen. Nichtsdestotrotz darf überdies nicht der Länderproporz außer Acht gelassen werden. Bereits bei den vorangegangenen Runden war Baden-Württemberg überproportional zu den anderen Ländern mit Exzellenz-Unis ausgezeichnet worden. 2006 hatte bereits Schleswig-Holstein wegen einer zu schwachen Repräsentation der norddeutschen Unis das Konzept Exzellenzinitiative beinahe scheitern lassen. Von einem Politikum war damals die Rede und das sollte um jeden Preis für die letzte Runde vermieden werden. Auch AStA-Referent Jan Cloppenburg hoffte, „dass man sich bei der Entscheidung klar an den wissenschaftlichen Kriterien der Gutachter orientiert und diese Entscheidung nicht zum Politikum macht“. Grundvoraussetzung, um über das sogenannte „Zukunftskonzept“ als Exzellenzuniversität ausgezeichnet zu werden, sind zwei weitere Cluster. Dies sind zum einen eine vom

Exzellente Forschung – Exzellente Uni?

Hochschulpolitik

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Text: Katrin PleusFotos: Katrin Pleus, privat (rechts)

Hochschulpolitik

AStA-ReferentJan Cloppenburg

Kaum hatte Rektor Müller am 15. Juni die frohe Kunde über die Auszeichnung der Uni Bremen als Exzellenzuni verkündet, begann auch schon das große mediale Tamtam. Hatte man

sich vorher noch offiziell um Zurückhaltung bemüht und nichts vom Label einer zu kürenden Elite-Uni wissen wollen, begann nun der ganz große Auftritt des Mannes, der sich ganz unmissverständlich selbst am liebsten mit dem Titel „Exzellenz-Macher“ oder noch besser „Elite-Macher“ schmücken würde. Es sei das wohl großartigste Ereignis in der 40-jährigen Geschichte der Universität Bremen, verkündete er da von seinem hohen Ross. Er? Natürlich er, Rektor Müller, oder auch Professor Dr. Wilfried Müller. Norddeutsches Understatement, Zurückhaltung und Bescheidenheit gehören nun bei weitem nicht zu seinen herausstechenden Eigenschaften. Man könnte nach fünf extra für die Presse inszenierten La-Ola-Wellen, der demonstrativen Gerhard-Schröder-Gedächtnispose mit weit in Richtung Himmel ausgestreckten Zeigefingern und dem medienwirksamen Entrollen zweier (noch ohne das Wissen um

den Ausgang der letzten Runde der Exzellenzinitiative) vorsorglich vorbereiteter überdimensionierter Banner auch meinen, ihm fehle das rechte Maß. Ja, das mag so sein. Aber jetzt sind wir Exzellenzuni und dazu gehört zweifellos auch eine exzellente Außendarstellung. Von der haben die Studierenden zwar noch weniger als von den Forschungsgeldern der Exzellenzinitiative, aber dafür haben wir jetzt dekorative Banner am MZH. Von der leider nicht explizit ausgezeichneten exzellenten Rüstungsforschung, die Rektor Müller – ob wissentlich oder unwissentlich – durchgewunken hat ganz zu schweigen. Macht euch das nicht auch glücklich?

Gefakter Jubel - Klappe die Dritte

KommEnTar:Eine exzellente Inszenierung

Text: Benjamin ReetzFoto: Katrin Pleus

Konrektorin für Lehre Prof. Dr. Heidi Schelhowe

Rektor Prof. Dr. Wilfried Müller

Direktorin der BIGSSSProf. Dr. Susanne K. Schmidt

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mitunter locker mit Linkspartei, PIRATEN und FDP messen. Weit abgeschlagen und nicht im SR vertreten sind „So geht das nicht!“ und die Liste Leeramt. Im Vergleich zum vergangen Jahr büßte AfA zwar zwei Sitze ein, kann sich aber gemeinsam mit CG, die alle ihre Sitze wiedererlangten, als Wahlsieger betrachten. LiSA, AntiRA und BaLi hielten sich ebenfalls überwiegend stabil. Gleiches gilt für den RCDS. Der SDS und LaD.i.y Liberty traten nicht erneut zu den SR-Wahlen an. Während LaD.i.y Liberty in der Versenkung verschwunden zu sein scheint, wurde beim SDS beschlossen, sich künftig nur noch als Hochschulgruppe zu engagieren und sich aus der SR-Politik herauszuhalten.

Auch bei den Wahlen zum AS hat es Veränderungen gegeben. Während AfA auch hier die Mehrheit errang und sich mit 25,7 Prozent einen der vier studentischen Sitze sicherte, gelang dies auch, wie in der vergangenen Legislaturperiode, CG mit knapp 20 Prozent und LiSA mit 17,4 Prozent der Stimmen. Für einiges Zähneknirschen dürfte die Wahl zum AS aber bei den Christdemokraten gesorgt haben. Waren diese in der vergangenen Legislatur noch mit einem Sitz im AS vertreten, schnappte sich dieses Mal LiMINT mit 25,4 Prozent der Stimmen und gerade einmal fünf Stimmen hinter AfA erstmals einen Sitz im höchsten

beschlussfassenden Uni-Gremium.

Die Frischlinge im ParlamentIn der kommenden Legislaturperiode haben es die Studierenden mit Uni-Aktiv, der PARTEI und der Liste MINT mit gleich drei Neuzugängen in der Bremer Hochschulpolitik zu tun. Dass es trotz der Wahl der PARTEI nicht allein um einen Scherz der Wählerschaft gehen kann, zeigt der Einzug von Uni-Aktiv. Doch woher kommen die neuen Listen so plötzlich?

Nach eigener Aussage gibt es die PARTEI an der Universität erst seit Mitte Mai dieses Jahres. Kurz vor dem Ende der Frist meldete sich die Satireliste zu den Wahlen des Studierendenrates an und ist damit in mehrfacher Hinsicht für nicht wenige eine Überraschung gewesen. So gab es einige Wochen zuvor ernsthafte Gerüchte darüber, ein PIRAT würde dieses Jahr ebenfalls teilnehmen. Über die PARTEI hörte man bis zur heißen Phase des Wahlkampfes indes wenig. Auch Uni-Aktiv hat bereits eine längere Geschichte hinter sich und ist ein Beleg für die schnelllebige hochschulpolitische Landschaft der Universität Bremen. Die Liste trat schon einmal 2006 zu den Wahlen an und errang in einer Zeit, in der beispielsweise der RCDS noch bei einem und CG bei lediglich zwei Sitzen gelegen hatten,

Wer in diesem Jahr an den Gremienwahlen teilnahm, hatte nicht nur die üblichen Alternativen auf dem Papier. Zur Wahl des Studierendenrats (SR) traten

insgesamt zehn Listen an, 132 Kandidatinnen und Kandidaten versuchten, das Vertrauen der Wählerschaft auf ihre Seite zu ziehen. Neben AfA (AStA für Alle), AntiRa (Antirassistische Liste), BaLi (Basisdemokratische Linke), CG (Campusgrün), LiSA (Liste der Studiengangsaktiven) und dem RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten), die allesamt schon Erfahrung im Wahlkampf haben und einige Legislaturperioden in Regierung oder Opposition vertreten waren, sind mit Uni-Aktiv für den Studierendenrat und LiMINT (Liste der MINT-Studierenden) für den Akademischen Senat (AS) zwei neue Listen auf den Plan getreten. Ergänzt wurde die illustre Runde dazu von gleich drei kleinen und noch unbekannten Listen. Denn „So geht das nicht!“, Leeramt und die PARTEI warben nicht weniger hartnäckig um die Stimmen, traten jedoch alle nur für den SR an.

Wählerauftrag, aber keine MehrheitInsgesamt sind bei dieser Wahl nicht nur viele neue Listen angetreten, von denen es drei auch direkt in den SR beziehungsweise AS schafften, sondern auch deutlich mehr Studierende zur Wahl gegangen. Die traditionell niedrige Wahlbeteiligung an der Universität Bremen, die im vergangen Jahr noch bei 10,7 (AS) und 8,7 Prozent (SR) gelegen hatte, erhöhte sich in diesem Jahr auf 12,7 (AS) und 12,3 Prozent (SR). Während AfA und CG in der letzten Legislaturperiode noch allein im SR regieren konnten und freiwillig in eine Koalition mit dem SDS (Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband) traten, waren die beiden stärksten Listen diesmal auf einen dritten Partner angewiesen. AfA gelang es, mit 23,4 Prozent und sechs Sitzen die Mehrheit der Stimmen zu ergattern. Direkt darauf folgte CG mit 19,9 Prozent, was fünf Sitzen entspricht. LiSA positionierte sich mit 15,6 Prozent und vier Sitzen als stärkste Liste innerhalb der übrigen linken Listen, liegt aber noch knapp abgeschlagen hinter dem RCDS, der mit 16 Prozent aber ebenfalls vier Sitzen in den Studierendenrat einzieht. BaLi und AntiRa kommen auf 4,6 und 5,4 Prozent der Stimmen und damit auf jeweils einen Sitz. Für die Wahlüberraschung sorgten Uni-Aktiv und die PARTEI. Die beiden Frischlinge auf dem SR-Wahlzettel zogen mit 5,4 und genau einer Stimme mehr als AntiRA beziehungsweise 7,9 Prozent ebenfalls in den Rat ein und erhielten auf Anhieb jeweils zwei Sitze. Zum Vergleich: Ginge es um den Bundestag, könnten die Listen sich

Alte Bekannte und neue Listen – Die Gremienwahlen 2012Eine spannende Wahl mit verhältnismäßig hoher Wahlbeteiligung ist vorüber. Es gab viele Listen und Kandidaten, die um die Stimmen der Studierenden warben. Welche Listen tatsächlich in die Parlamen-te der Universität einziehen konnten, fasst der Scheinwerfer zusammen.

Hochschulpolitik

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Hochschulpolitik

dem Ergebnis der Wahl allgemeine Zufriedenheit bei der frisch gewählten Liste. „Dass wir aus dem Stand rund ein Viertel aller Stimmen geholt haben, empfinden wir als starken Rückenwind und Bekräftigung unserer Arbeit. Die Wahlbeteiligung war aber dennoch viel zu niedrig“, so die Mitglieder der Liste auf Anfrage des Scheinwerfers. Auf die Frage, wieso nicht versucht wurde, diesen Erfolg auch im SR umzusetzen, antworteten diese: „Wir wollen unsere Kapazitäten erst einmal nur auf das Gremium fokussieren, in dem sich unsere Ziele am besten erreichen lassen.“ Uni-Aktiv war ebenfalls zu einer ersten Stellungnahme bereit. Auch hier heißt es, man freue sich über die hohe Wahlbeteiligung. Zu ihrem doch sehr sprunghaften Erfolg befragt, meinen die Listenmitglieder: „Auf einen Sitz hatten wir gehofft, der zweite Sitz war eine sehr positive Überraschung.“ Insgesamt herrscht hier also eher Bescheidenheit. So wird offen vermutet, die Liste sei überwiegend von Freunden und Mitstudierenden gewählt worden. Unabhängig davon wolle Uni-Aktiv versuchen, die allgemeinen Interessen der Studierendenschaft zu vertreten. Von der PARTEI heißt es in einem ersten Kommentar zum Wahlerfolg: „Wir haben damit gerechnet, die absolute Mehrheit zu erlangen und sind dementsprechend entsetzt über das Versagen unserer Wähler, ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle zu machen.“ Wie erwartet bleibt sich die Liste zumindest ihren Worten nach auch nach der Wahl treu: Satire über alles.Auch bei AfA betrachtet man die gestiegene Wahlbeteiligung positiv und ergänzt: „Wir werden dafür arbeiten, dass sich diese tolle Entwicklung im nächsten Jahr fortsetzt.“ Die Reaktion auf den Einzug neuer Listen fällt dabei etwas verhaltener aus: „Dass sich mehr Leute für die studentische Vertretung engagieren möchten, begrüßen wir sehr, auch wenn wir so unser besonders gutes Ergebnis aus dem letzten Jahr nicht ganz wiederholen konnten.“Bei CG zeigt man sich wie die meisten Listen überwiegend zufrieden mit dem Wahlergebnis. Die höhere Wahlbeteiligung ist aber auch den Grünen nicht genug: „Dass die Wahlbeteiligung dieses Mal bei etwa 12 Prozent liegt, ist unserer Meinung nach zwar eine deutliche Verbesserung zum letzten Jahr, aber noch lange kein Wert, mit dem wir zufrieden sind.“ Der Einzug von Uni-Aktiv und der PARTEI wird mit Verweis auf die gestiegene Pluralität des Gremiums positiv bewertet. Außerdem wird ergänzt: „Wir freuen uns auf eine Zusammenarbeit mit diesen beiden Listen und auf deren neue Ideen.“

Der neue AStANach den Koalitionsverhandlungen sprach der Scheinwerfer erneut mit den einzelnen Listen. Bereits nach der Wahl zeichnete sich ab, dass AfA zwar als stärkste Liste in den SR einziehen würde, jedoch selbst mit CG keine eigene Mehrheit erreicht. Um eine stabile Regierung zu bilden, einigten sich AfA und CG mit der erstmals eingezogenen PARTEI auf eine Koalition. Dazu befragt, was der Grund dafür sei, dass sich AfA und CG auf die PARTEI geeinigt hatten, heißt es von AfA: „CG hat den Wunsch geäußert, mit der Partei koalieren zu wollen. Wir haben dem zugestimmt, nachdem die PARTEI uns versichert hat, ernsthaftes Engagement leisten zu wollen und dafür auch klare Inhalte vorgestellt hat.“ Mit LiSA sei indes keine vernünftige Zusammenarbeit möglich und dem RCDS werden elitäre Inhalte vorgeworfen, die

vier Sitze des studentischen Parlaments. Aus „Lust und Interesse“ daran, „aktiv an der Hochschulpolitik mitzuwirken“ und mit dem Anspruch, eine „unparteiische Position“ einzunehmen, hat sich Uni-Aktiv in diesem Jahr dann wieder gegründet. Die Liste der MINT-Studierenden, die sich ihrem Namen nach aus Studierenden der Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zusammensetzt, hat im AS das erreicht, was der PARTEI und Uni-Aktiv im SR gelang. Mit ihrem ersten Antritt etabliert sich die Liste erfolgreich als wählbare Alternative neben alten Hasen wie AfA und CG. Der Ursprung der Liste ist unter anderem in der Diskussion um die Stiftungsprofessur und die Zivilklausel im vergangenen Jahr zu suchen. Weil die Listengründer der Meinung waren, dass Argumente in der Debatte weniger zählten als verhärtete Positionen und sich Ende des vergangenen Wintersemesters auch von anderen hochschulpolitischen Akteuren darin bestätigt sahen, entschlossen sie sich zur Listengründung. Heute engagieren sich insbesondere Studierende aus den technisch-naturwissenschaftlichen Fachbereichen für die Liste. Während anfangs nur fünf Aktive dabei waren, gelang es, die Mitgliederanzahl zu Beginn des laufenden Sommersemesters zu verdreifachen. Einen Monat danach fand dann die Wahl statt, die LiMINT ins Parlament brachte.

Nach der Wahl: Erste ReaktionenIn ersten Reaktionen äußerten sich bereits einige der Listen zu den Ergebnissen der Wahl. Der RCDS-Vorsitzende René Marcel Mittelstädt erklärte in einer Pressemitteilung beispielsweise, man sei stolz, gerade bei der höheren Wahlbeteiligung ein stabiles Ergebnis im SR erreicht zu haben. Auch zeigte man sich erfreut darüber, dass das von ihnen in der Art subsumierte linke Lager, insgesamt Sitze eingebüßt habe. Dass der Sitz im AS verloren wurde, sei ein Wehrmutstropfen. Die Wahl von LiMINT sieht der RCDS aber als Signal dafür, dass die bisherige AStA-Politik besonders beim Thema Zivilklausel von der Studierendenschaft äußerst kritisch betrachtet werde. LiMINT selbst äußert sich in dieser Hinsicht jedoch etwas anders. Ihre Wahl sei kein Zeichen gegen die Zivilklausel, hinter welcher die Liste nach wie vor stehe. Vielmehr habe sich gezeigt, dass die Studierenden die Haltung der Liste teilten, die Zivilklausel nicht zur Dämonisierung von Grundlagenforschung zu missbrauchen. Insgesamt herrscht nach

Daten: SR-Wahlkommission Grafik: Katrin Pleus

12,31% (2.211)

87,69% (15.756)

SR-Wahl: Beteiligung der wahlberechtigten Studierenden (insgesamt 17.967)

Abgegebene Stimmen

Nichtwähler

Daten: SR-Wahlkommission Grafik: Katrin Pleus

0

5

10

15

20

25

4,58

15,98

7,90

19,86

5,37

23,41

15,79

5,42

1,68

SR-Wahl: Stimmen der Listen in % Stimmen in %

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unter anderem ihren Vorstellungen von Bildungsgerechtigkeit klar entgegenstünden. Zu einer Kooperation mit Uni-Aktiv heißt es: „Wir stehen auch einer Zusammenarbeit mit Uni-Aktiv offen gegenüber.“ Wieso es trotzdem nicht zu einer Koalition kam, wird aber nicht erläutert. Bei Uni-Aktiv heißt es dazu: „CG und AfA haben gemeinsam entschieden, dass die PARTEI besser mit ihren Überzeugungen und Zielen übereinstimmt.“ Gleiches ist bei CG zu hören: „Wir haben uns gegen Uni-Aktiv entschieden, da wir bei zentralen inhaltlichen Fragen große Differenzen gesehen haben.“ Ansonsten habe man mit Ausnahme des RCDS aber mit allen Listen gesprochen. Einer Zusammenarbeit mit den linken Listen wurde eine Absage erteilt, weil es Vorbehalte gegen die vermutete Arbeitsweise im AStA gegeben habe. Bei der PARTEI aber schien alles gepasst zu haben: „Bei der PARTEI haben wir sofort viele inhaltliche Gemeinsamkeiten feststellen können.“ Darüber hinaus habe man sich schnell auf eine Arbeitsweise einigen können, wozu beigetragen haben könnte, dass die PARTEI künftig das Referat für Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit übernimmt. Hierbei werden auch neue Denkanstöße erwartet. Welche genau das sein könnten, hätte die PARTEI bei der konstituierenden Sitzung des AStA darstellen können. Im Laufe der circa fünfstündigen Sitzung wurde aber nicht allen Beteiligten klar, mit welchem konkreten Konzept die PARTEI das neu geschaffene Referat führen will. Die PARTEI selbst sieht darin kein Problem: „Es ist vollkommen in Ordnung, sich in wichtige Positionen wählen zu lassen, ohne überhaupt zu wissen, was man da so macht.“ Gleichzeitig wird aber betont, wie interessiert man daran sei, „den AStA und seine Serviceangebote bekannter zu machen.“

Die übrigen Listen sind derweil nicht sparsam mit ihrer Kritik am neuen AStA-Bündnnis. Der RCDS wirft der Koalition sogar vor, es sei beim neuen Referat um die Schaffung eines neuen Postens für den dritten im Bunde gegangen. Ein weiterer Vorwurf an den neuen AStA lautet, es gehe ihm allein um den Machterhalt. Die Gemeinsamkeiten, von denen bei AfA und CG in Bezug auf die PARTEI die Rede ist, will man dort nicht sehen und spricht von „keinerlei inhaltlicher Übereinstimmung zwischen dem alten AStA und der PARTEI“, wie Mittelstädt betont. Bei Uni-Aktiv heißt es: „Wir stehen dieser Koalition kritisch gegenüber.“ Dies sei insbesondere auf die vorgelegten Pläne des Bündnisses bezogen. „Bei der Präsentation wurde deutlich, dass manche Konzepte schlecht ausgearbeitet und durchdacht sind.“ Dazu nennt die Liste das Referat für Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch jenes für Kritische Wissenschaften. Insgesamt geht Uni-Aktiv aber gnädiger mit den Koalitionären um als der RCDS: „Wir sind zuversichtlich, dass zu der nächsten Sitzung ein sinnvolles Konstrukt hinter allen Referaten steht, sodass der AStA auch gezielt im Amt arbeiten kann“, heißt es dort versöhnlich. Kritik an der PARTEI gibt es aber auch hier: „Wir sehen in der PARTEI eine momentane Modeerscheinung und stellen uns die Frage, inwiefern sich mit parodistisch-satirischem Charakter seriöse Hochschulpolitik gestalten lässt.“ Interessant an allen Äußerungen ist, dass der PARTEI die Fähigkeit zum verantwortlichen politischen Handeln

auf der einen Seite zugesprochen wird, während sie andere nur als Spaßpartei betrachten. Es wird sich im Laufe der Legislaturperiode vielleicht zeigen, was genau die Intention ihrer Wähler gewesen ist und ob deren Wünsche erfüllt werden können

Ritsch und ratsch – wer vor einiger Zeit aufmerksam und zu sehr früher oder später Stunde durch die Uni lief, konnte es hören: Das Geräusch des Wahlkampfes. Während

frühmorgens das Klebeband von der Rolle gelöst wurde, um die Wahlplakate der Listen an wirklich allen erdenklichen und undenkbaren Orten zu platzieren, ertönte es spät abends erneut, wenn jeweils gegnerische Listen die Plakate der anderen von den Wänden rissen. Dass jede Liste Angst davor hat, nicht genügend Beachtung zu finden und sich deshalb alle in die Werbespirale begeben, in der sie sich hochschaukeln, bis alle Tische rosa, grün oder blau sind, ist bekannt. Dabei haben weder ökologische noch finanzielle Argumente in den letzten Jahren Veränderungen bewirkt. Um herauszufinden, was die Wähler dazu denken, ist der Scheinwerfer in der Wahlkampfzeit durch die Uni gelaufen, hat ein offenes Ohr für die Studierenden gehabt, hier und dort gelauscht und ein paar Studierende zu ihrer Sicht befragt. Das Ergebnis war durchwachsen.Die Werbung fällt zumindest auf. Es ist noch nicht einmal nötig, die Leute direkt anzusprechen. Ein guter Platz in der Mensa oder unter den Treppen des GW2 offenbart so manchen Kommentar, der die Listen selten erreichen dürfte. Als ich für den Scheinwerfer in der Wahlwoche durch die Uni ging, um mich umzuhören, setzten sich beispielsweise direkt unter den GW2-Treppen zwei Studenten neben mich. In der Mitte des Tisches klebte ein Aufkleber der PARTEI und auch zwei, drei Flyer lagen dort. Es dauerte nicht lange und die beiden Studenten unterhielten sich belustigt über die Wahlvorschläge der Liste. Eine Flugabwehrkanone auf das MZH zu stellen – so schlecht kam die Idee der PARTEI scheinbar nicht an, die nach den Wahlen mit immerhin zwei Sitzen in den Studierendenrat (SR) eingezogen ist. Trotzdem gab es dann etwas Kritik. Er würde sie ja glatt wählen, sagte der eine. Er habe aber Angst, dass die nur so lustig täten und da tatsächlich jemand Böses dahinter stecken würde. Was genau er damit meinte, oder was eine Liste im Studierendenrat seiner Meinung nach Böses anstellen könnte, erklärte er seinem stirnrunzelnden Mitstudenten aber nicht. Nachdem die beiden irgendwann wieder verschwanden, fand sich eine kleine Gruppe Studierender ein. Während diese sich eigentlich eher mit dem Statistikprogramm SPSS hätten rumärgern müssen, hat sich eine Studentin augenscheinlich sehr gelangweilt. Sie faltete einen vor ihr liegenden zusammengefalteten Flyer der PARTEI wieder auseinander, nur um ihn nach wenigen Sekunden des Lesens wieder zu zerknüllen und mit einem herzhaften „Was für ein Scheiß!“ wegzuwerfen – die armen Reinigungskräfte. In den nächsten Tagen versuchte ich vermehrt, ein paar Studierende direkt anzusprechen und sie nach ihrer Meinung zu den Werbekampagnen zu befragen. In der Mensa traf ich dabei auf die Linguistikstudentin Sonja. Ob sie wisse, dass gerade Wahlen sind, fragte ich sie. Sie bejahte, schien aber sichtlich genervt. Auf die Frage, wie sie die Plakate und Flyer denn fände, rollte sie nur mit den Augen. „Das ist total nervig! Überall kleben Zettel – besonders auf den Tischen liegt noch mehr Papier als sonst!“ Die Wahlwerbung sei aber keine Hilfe bei der Entscheidung. Student Jasper, den ich am gleichen Tag im GW2 traf, sah das ähnlich.

Trotzdem hatte er ein paar lobende Worte parat. Als ich ihn frage, was er von der Art der Wahlwerbung halte, hebt er sofort den RCDS hervor. „Der ist dieses Jahr wirklich weniger penetrant als im letzten Jahr“, tönt er lachend und deutet auf die gläserne Umrandung, wo noch ein Jahr zuvor tatsächlich ungefähr doppelt so viele Plakate des RCDS hingen. In Sachen Penetranz werden aber nicht alle derart gelobt. LiSA sei besonders aufdringlich. „Die würde ich schon allein deshalb nicht wählen, weil deren Plakate überall hängen!“, erklärt er sichtlich genervt, schiebt aber relativ zügig nach: „Nicht, dass der RCDS für mich wählbar wäre.“ Hochglanzplakate oder Massenplakatierung: Für Jasper war beides nicht wirklich ansprechend. Anders sei dies im Übrigen bei den Partyflyern des StugA-Politik. „Die fallen auf – sogar irgendwie positiv“, erklärt er und lässt mich dann sichtlich staunend zurück. Kurz darauf wollte auch ich nach Hause gehen, begegnete in der Glashalle aber noch Psychologiestudentin Stefanie. Als ich sie fragte, wen sie denn wählen wolle und ob die Werbung das beeinflusse, grinste sie nur schief. Wählen werde sie wohl nicht. Aber falls doch, dann definitiv nicht LiSA oder andere Listen, die sich derart präsent platzieren. „Irgendwie nervt das nur“, stellte sie fest und änderte ihre Meinung auch nicht, als ich Advocatus Diaboli spiele und frage, wie die Listen denn sonst auf sich aufmerksam machen sollen. Diese Frage wird mir dann im Übrigen von einigen anderen Studierenden beantwortet, die dem Wahlkampf der PARTEI lauschen durften. Statt nämlich mit Flyern und Plakaten um sich zu werfen, stellten sich deren Mitglieder direkt auf den Boulevard – samt Megafon. Trotz allen Gesprächen, die ich führte: Eine letzte Antwort gibt es natürlich nicht. Viele nerven die Flyer und Plakate und doch wissen erschreckend viele nicht, dass überhaupt Wahlen stattfinden– oder wollen es gar nicht wissen. Vielleicht gibt es ja im nächsten Jahr einen Kompromiss: Die Listen versprechen, ein paar Bäume weniger für ihre Werbung abzuholzen und die Studierenden gehen nächstes Mal in großer Mehrheit wählen. Vermutlich sind dann alle zufrieden. Zumindest bis zu den Koalitionsverhandlungen.

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Hochschulpolitik

Kommentar: Wieso eigentlich nicht Opposition?

„AfA geht aus der Wahl wieder als stärkste Kraft hervor“, titelte die linke Bündnisliste kurz nach der SR-Wahl auf ihrer Homepage. Dazu an dieser Stelle erst einmal: Herzlichen Glückwunsch. 23,4 Prozent, also fast ein Viertel der Stimmen, ist bei zehn angetretenen Listen sicherlich ein gutes Wahlergebnis. Ebenfalls verlauten ließ man auf der Homepage, dass man daher gerne weiter im AStA arbeiten möchte. „Möchten“ ist aber nicht „müssen“.Denn eigentlich war die Situation für AfA denkbar ungünstig. Eine Koalition mit Campusgrün würde zu einer in Deutschland ja bekanntlich eher schlecht angesehenen Minderheitsregierung führen. Bei der Suche nach einem dritten Bündnispartner müsste man allerdings große Hürden überwinden. Auf der rechten Seite steht da der RCDS, zwar professionell aufgestellt, vor allem für die weiter linksgerichteten Aktiven bei AfA aber ein „schwarzes Tuch“. Auf der linken Seite dann LiSA und die gesammelte Mannschaft der Linken Listen. Doch auch hier ist der Graben spätestens nach den Querelen der vergangenen Jahre sehr tief. Bleibt noch Die PARTEI, eine Spaßpartei mit Anlehnung an Martin Sonneborns Satireprojekt einer bundesweit aktiven Partei, die der Politik ihre Wirkung auf den Bürger vorhalten will, aber an handfester Politik wohl eher nicht interessiert ist, und UNI-AKTIV, eine neue und noch schwer einzuschätzende Liste. Wie soll man da eine stabile Koalition bilden?Am besten einfach gar nicht. Die stärkste Kraft zu sein, bedeutet noch lange nicht, dass man die Regierung anführen muss. Vor allem an der Universität, bei einer kurzen Legislaturperiode von nur einem Jahr, ist ein Verzicht auf die Koalitionstätigkeit kein irreparabler Beinbruch. Doch an diese kühne Möglichkeit, die Verantwortung zur Regierungsbildung an die anderen Listen zu übergeben, hat man bei AfA wohl in keinem Moment gedacht. Schließlich präsentierte sich der neue AStA-Vorsitzende bereits auf dem Vorstraßenfest, nur einen Tag nach der Wahl, als eben solcher. Dies lässt Professionalität, Ernsthaftigkeit und Fingerspitzengefühl auf dem Weg zur Macht vermissen. Und so entstehen Bündnisse, bei denen man dem Wähler ein Kopfschütteln nicht verübeln kann.

Wahlkampfarena UniEine Papierflut bricht über die Glashalle ein und in der Mensa liegen das einzige Mal im Jahr deutlich mehr politische Flyer. Eine Reportage über den Wahlkampf vor den Gremienwahlen.

Hochschulpolitik

Text: Björn KnutzenGrafik: Katrin Pleus

Text: Fabian NitschmannText: Björn KnutzenGrafik: Katrin Pleus

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Hochschulpolitik

Bereits seit mehreren Jahrzehnten ist an der Universität Bamberg die Unabhängige Studierenden Initiative, kurz USI, als parteiübergreifende Liste aktiv. 65 Mitglieder aus

den teilweise verschiedensten Parteien haben sich hier zusammen gefunden, um Hochschulpolitik zu machen. „Wir haben Parteibücher der CDU, der SPD und der Grünen unter einem Dach vereint. Dazu kommen Mitglieder mit Grundansichten der FDP und der Linken“, erklärt Christian Herse, für USI Mitglied des Konvents der Uni Bamberg (gleichzusetzen mit dem SR der Uni Bremen). „Und die Meinungsfindung in den Fraktionssitzungen gelingt dennoch sehr gut.“ Aktuell besteht die Fraktion im Konvent aus vier Sitzen, insgesamt schaut man auf eine jahrelange und kontinuierliche Mitarbeit im Studentengremium der Uni Bamberg zurück. Inhaltlich setzt sich die Studierendeninitiative gegen überfüllte Hörsäle und Wohnungsnot, bessere Verkehrsanbindungen, die Absenkung der Studiengebühren an der Uni Bamberg bis hin zur vollständigen Abschaffung der Gebühren im Freistaat Bayern sowie für freiwillige Prüfungswiederholungen auch bei bestandenen Prüfungen ein. „Es geht immer um die Studenten und nicht um irgendwelche ideologische Grabenkämpfe außerhalb der Hochschulpolitik“, macht Herse deutlich. Von ideologischen Grabenkämpfen ist im Norden an der Universität Bremen derweil häufiger die Rede. Hier prägen vor allem die parteinahen und parteitreuen Listen das hochschulpolitische Bild. Bei zehn angetretenen Gruppierungen zur vergangenen Studierendenratswahl waren mit dem RCDS, AfA, Campusgrün und Die PARTEI vier Listen zumindest dem Namen nach an eine Partei gebunden. Insgesamt erreichten diese 17 der 25 SR-Sitze. Auch wenn die Organisationsstrukturen Unterschiede aufweisen, geht es im Prinzip immer um das Gleiche: Jede politische Richtung möchte auch bei den Studierenden mitmischen. Die CDU garantiert sich ihren langen Arm in die Hochschulpolitik über den RCDS, der aber ausdrücklich kein Teil der christdemokratischen Partei ist. „Wir sind als RCDS ein eingetragener Verein. Somit sind wir faktisch keine Vereinigung oder ähnliches der CDU. Innerhalb der Partei gelten wir als Sonderorganisation“, erklärt Luisa Katharina Häsler, Landesvorsitzende des RCDS Bremen. Dennoch teile man mit den Christdemokraten die gleichen Grundansichten, zu denen Häsler die Orientierung am christlichen Menschenbild, die parlamentarische Demokratie als beste Staatsform und die

Bedeutung der sozialen Marktwirtschaft zählt. Nach eigenen Angaben engagieren sich beim RCDS Parteimitglieder der CDU, Mitglieder anderer CDU-Vereinigungen wie etwa der Jungen Union oder auch Nicht-Mitglieder. „Die einzige Einschränkung ist für uns aufgrund der immensen inhaltlichen Diskrepanz zwischen christlich demokratischer Politik und linker Politik, Mitglieder der Partei Die Linke aufzunehmen, wobei wohl mit diesem Parteibuch auch niemand Interesse an der Mitarbeit im RCDS hätte“, erläutert die Landesvorsitzende gegenüber dem Scheinwerfer.Speziell durch Häsler besteht für den RCDS eine einflussreiche

Verbindung zur CDU. Denn Häsler ist neben ihrer Tätigkeit als Landesvorsitzende des RCDS auch Abgeordnete in der Bremer Bürgerschaft, natürlich für die CDU. „Durch unsere direkte Verbindung in die Bürgerschaftsfraktion haben wir sogar die Möglichkeit, unsere hochschulpolitischen Interessen in die Bremer Landespolitik einfließen zu lassen“, erklärt die junge Politikerin und fügt mit dem Antrag zur Einführung eines Bremen-Stipendiums und der Öffnung der Hochschulen zwei

Beispiele an, die einstimmig angenommen wurden. Enger, aber auch ein wenig komplizierter ist das Verhältnis zwischen SPD/ Jusos und AfA geregelt. Eigentlich ist die SPD mit Juso-Hochschulgruppen an den Universitäten und Fachhochschulen vertreten. An der Uni Bremen gründete sich allerdings vor 24 Jahren mit AfA eine linke Bündnisliste, die im Kern aber eine Juso-Hochschulgruppe darstellt. Die meisten Mitglieder sind Jusos und mit Elena Reichwald (AfA-Sprecherin) ist man auch im Landesvorstand der Jusos in der SPD vertreten. „Wir versuchen aber schon, als AfA unabhängig von den Jusos zu agieren. So sind bei uns auch Mitglieder der Grünen oder der Piraten aktiv“, versucht Julien Hauth, Sprecher von AfA, die Verhältnisse zu relativieren. Dass die Jusos bei AfA den Großteil ausmachen, bestätigt er aber ebenso.Als Beispiele dafür, dass AfA nicht allein die SPD-Meinung vertritt, nennt Hauth im Gespräch mit dem Scheinwerfer das elternunabhängige Bafög und die Zivilklausel, für die AfA auch weiterhin mit voller Kraft auch gegen die allgemeine sozialdemokratische Position – eintreten will. „Man kann bei uns schon einen klareren Drang nach links verzeichnen“, so Hauth. Da wundert es auch nicht, dass man bei Asta für Alle nicht gleich jedes Parteibuch akzeptieren würde. „Ganz unabhängig davon, dass man vermutlich nicht mit jedem Parteibuch oder dementsprechenden Gedanken bei uns glücklich wird“, schmunzelt der AfA-Sprecher an dieser Stelle und trifft damit ähnliche Töne wie Häsler für

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Unabhängigkeit um jeden PreisHinter vier der zehn bei der SR-Wahl angetretenen Listen steht eine Partei, die auf Bundesebene aktiv ist. Dies bringt Vor-, aber auch Nachteile. Der Scheinwerfer hat untersucht, wo die Unter-schiede zwischen Listen mit und ohne Partei im Rücken liegen und ob eine parteiübergreifende Liste in Bremen benötigt wird.

den RCDS. Völlig losgelöst von der scheinbar nur namentlich nahestehenden Partei sieht sich derweil die Liste Campusgrün. „Wir sehen uns generell gar nicht zur Partei Bündnis 90/Die Grünen zugehörig oder mit ihr verbunden“, erklärten die Campusgrünen in einer gemeinsamen Erklärung gegenüber dem Scheinwerfer. Sogar die Mitgliedschaft im Bundesverband von Campusgrün wurde in dieser Erklärung geleugnet (eben jener Bundesverband äußerte sich auf Nachfrage des Scheinwerfers übrigens nicht zur Thematik). Dementsprechend werden bei CG auch Parteimitglieder anderer Parteien, vor allem links der Mitte, akzeptiert. Trotz aller Abgrenzung von den Bündnisgrünen und auch deren Jugend berichtet die Liste allerdings von einer finanziellen Unterstützung: „Wir haben uns für den Wahlkampf jetzt erstmalig mit 50 Euro von der Grünen Jugend sponsern lassen und dieses Geld in den Druck der Plakate investiert. Dabei haben wir allerdings klar gemacht, dass dies eine Unterstützung unserer Gruppe ist, die wir nicht durch Übernahme bestimmter inhaltlicher Positionen honorieren“, so die Liste in ihrer Erklärung.Auf dem Weg zu einer Liste, die sich parteipolitisch unabhängig und gleichzeitig nicht überdeutlich rechts oder links verorten lässt (dass Beispiel USI in Bamberg zeigt, dass dies möglich ist), liegen die Hoffnungen vor allem auf den beiden neuen Hochschullisten Die PARTEI und UNI-AKTIV. Wie ernst man erstere nehmen kann, bleibt allerdings durchaus fraglich. Ob hier Satire oder wirklicher politischer Auftrag in Form von konstruktiver Arbeit im Studierendenrat die Oberhand gewinnt, bleibt noch abzuwarten. Vielleicht größere Hoffnungen erfüllen könnte die pünktlich zur SR-Wahl gegründete Liste UNI-AKTIV. Die bislang neun Mitglieder starke Gruppe setzt sich aus Studierenden der Fächer Betriebswirtschaftslehre, Physik, Biologie und Kulturwissenschaft/ Kommunikations- und Medienwissenschaften zusammen und präsentiert sich bisher als unparteiisch. „Wir empfinden keine Parteiverbundenheit und unsere Mitglieder haben unterschiedliche

Einstellungen“, erklärt Marei Neitsch, seit der vergangenen Wahl Mitglied im SR. „In den Diskussionen machen wir uns dann gemeinsam ein Bild und legen die Inhalte fest“, so Neitsch weiter. Eine Nähe zum Bamberger Erfolg USI lässt sich in der Konzeption nicht von der Hand weisen. Zu den im Wahlkampf beworbenen Inhalte gehören für UNI-AKTIV unter anderem die Erweiterung des E-Book-Angebots in der Bibliothek, kostenlose prüfungsrelevante Fremdsprachenkurse, die Ausdehnung von Studentenrabatten in Bremen sowie die Vergabe von Credit Points für soziales und politisches Engagement.Eine Tatsache eint übrigens alle befragten Listen: Die Finanzierung. Keine der Listen erhält in großen Mengen Geld von einer Partei im Hintergrund. Während man sich beim RCDS über Spenden der eigenen Mitglieder freut und nur durch Zuschüsse des Bundesverbandes des RCDS grundlegend finanziert wird (der RCDS in Bremen erhebt keine Mitgliedsbeiträge), erhält AfA von Seiten der Jusos ausschließlich direkte Unterstützung in Form von Flyern und Werbematerial. „Unsere Referenten geben einen Anteil an die Liste ab“, erklärt Sprecher Hauth die weitere finanzielle Ausstattung. Bei den Listen ohne direkte Parteizugehörigkeit stellt sich die Frage nach der Finanzierung durch eine Partei nicht und auch der 50-Euro-Zuschuss der Grünen Jugend für Wahlkampfmaterial der Campusgrünen kann wohl nicht als kontinuierliche, großflächige Finanzhilfe angesehen werden. Zumindest ein Punkt, der die Listen in ihrer Glaubwürdigkeit hinsichtlich der meist deutlich bekundeten Unabhängigkeit zu Parteien bestärkt. Doch genau dieser Aspekt macht die Untersuchung auffällig: Nämlich die Tatsache, dass keine Liste mit Freude die Nähe zu einer Partei bekundet.

Text: Fabian NitschmannGrafik: Wienke Menges

Von ideologischen Graben-kämpfen ist im Norden an

der Universität Bremen derweil häufiger die Rede.

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Hochschulpolitik

Ein Artikel der financial times Deutschland hätte für viel Wirbel in der Unilandschaft sorgen können. Er hätte Professoren über ihre Forschung und Studenten über die Qualität der

Lehre nachdenken lassen können. Trotzdem blieb es erstaunlich still. Am 4. Mai berichtete das Wirtschaftsmagazin auf Seite eins über die Pläne von Horst Hippler. Dieser plant, ein Rankingsystem für Unis und Fachhochschulen (FHs) einzuführen. Am Ende eines Bewertungsverfahrens soll die Abstufung einiger Unis zu FHs und die Hochstufung der FHs zu Unis stehen. Wenn Horst Hippler einen solchen Vorschlag macht, hat das durchaus Gewicht. Er ist nicht nur Präsident der Universität Karlsruhe, sondern gleichzeitig Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK). 267 Mitgliedshochschulen (Universitäten und Fachhochschulen) zählt das Gremium. Somit repräsentieren die Mitglieder auch 94 Prozent der immatrikulierten Studenten. Der Präsident besitzt die Richtlinienkompetenz. Er kann also verbindliche Vorgaben für die Arbeit der HRK geben – zum Beispiel auch ein Bewertungssystem für die Hochschulen einführen.Aber was soll nun bewertet werden? Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es nicht: Die Forschung der Unis soll untersucht werden. Ein Rankingsystem wird angewendet, ähnlich wie bei der Exzellenzinitiative. Hier werden Kriterien in den drei Bereichen Graduiertenschulen, Exzellenzcluster und Zukunftskonzepte bewertet. Die Schwerpunkte liegen auf einer breiten Forschung, verstärkter Eigeninitative der Doktoranden und gesellschaftlicher Relevanz. Die Universitäten, die am Ende des Rankings stehen, sollen ihren Status verlieren und zu Fachhochschulen werden. Das hätte beispielsweise zur Folge, dass einer betroffenen Universität das Promotionsrecht entzogen wird. Umgekehrt wird den führenden FHs der Universitätsstatus verliehen. Dahinter steht der Gedanke, dass Unis forschen und Fachhochschulen praktisch arbeiten sollen. Während an der Uni Bremen keine Reaktionen

laut wurden, zeigte sich die Hochschule Bremen überrascht. „Das Hochschulsystem ist nicht die deutsche Fußball Liga“, betont Prof. Dr. Karin Luckey, Rektorin der Hochschule Bremen. Sie bezeichnet die Abstufungspläne als mangelndes Verständnis vom deutschen Hochschulsystem. Tatsächlich deutet Hipplers Verständnis darauf hin, dass Fachhochschulen Universitäten zweiter Klasse sind. Das sollen sie aber nicht sein. Den Unterschied zur Uni macht nicht die Qualität, sondern die praktische Ausrichtung einer FH. „Uniprofessoren haben angesichts ihrer ausschließlichen Sozialisierung im Wissenschaftssystem in der Regel nicht das Zeug für Fachhochschulen, schon gar nicht die schlechten“, meint der Sprecher eines Zusammenschluss von Hochschulen für angewandte Wissenschaft deshalb. Sind Hipplers Pläne am Ende gar nicht umsetzbar? Vieles deutet darauf hin. Im Zuge der Bachelorumstellung wurden auch die Universitäten dazu verpflichtet, praxisorientiert zu arbeiten. Die Studenten sollten besser auf ein Berufsleben vorbereitet werden. Umgesetzt wurden die Vorgaben mit Praxissemestern und verpflichtenden Praktika. Somit haben sich Fachhochschulen und Universitäten vielleicht angenähert, befinden sich aber lange nicht auf einem Niveau. Das zeigen schon die Zugangsberechtigungen. Bekanntermaßen benötigen Unistudenten Abitur, während auch ein Fachabitur für den FH-Besuch reichen kann. Bedeutet eine Hochstufung der Fachhochschulen dann auch, dass nicht alle der dort immatrikulierten Studenten weiter studieren können? Hipplers Ausführungen geben darauf keine Antwort. Wie und ob seine Pläne umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Bis dahin sollte man die Vielfalt der deutschen Hochschullandschaft genießen.

Fahrstuhl fahren im HochschulsystemDer Präsident der Hochschulrektorenkonferenz plant, schlechte Unis zu Fachhochschulen „herabzustufen“.

Text: Marie BornickelGrafik: Wienke Menges

der nötige Elan, die Welt zu verbessern. Oder die jugendliche Un-bedarftheit, mit der Neuheiten begegnet wird. Sich Wissensinhalte in die Rübe zu knallen, auch das funktioniert nicht mehr in ge-wohnter Schnelligkeit. Oh Mann, was sind die Jungen zu beneiden! Nicht nur wegen ihrer ungebändigten Power, ihres zumeist glatten Teints (jedenfalls bei Nichtrauchern) oder ihrer Fähigkeit, auch nach mehrfach hintereinander durchgemachten Nächten noch halbwegs zivil auf der Matte zu stehen. Andererseits: ohne PC, Han-dy und Navi aufgewachsen zu sein, Mondlandung, Kennedymord

und Mauerbau („Wende“ ohnehin) sowie die Beatles, Elvis und Abba als Zeitge-nosse erlebt zu haben, da darf man schon ein paar Falten aufweisen! Na und wenn ich erst an meine Zeit als Matrose auf Noahs Arche denke…Schön, wenn sich beide Gruppen auf Augenhöhe be-gegnen. Geht übrigens auch bei differierender Körper-größe, jedenfalls mehr oder weniger. Und sogar, wenn es mit Du oder Sie anfänglich noch hakelt. Missverständ-nisse sind möglich, sogar wahrscheinlich – aber reiz-voll. Hej, der Alte, der dich von der Seite anquatscht, denkt nicht an Anmache. Der weiß nur nicht, wie er den Raum für die nächste Veranstaltung findet. Und

hej, der junge Schnösel, der dir älterer Person nicht mit nötiger Ehrfurcht zuhört, hat wahrscheinlich nachher eine wichtige Klau-sur. Oder musste mal wieder bei seinem 400-Euro-Bedien-Job bis morgens um 4 Uhr auf den Beinen sein. Vielleicht ist er/sie einfach schüchtern oder hat‘s nicht so gut mit Älteren. Aber echt spannend kann es trotzdem werden, wenn man sich gegenseitig austauscht; wenn sich Wissensdurst und Lebenserfahrung ergänzen. So habe ich es jedenfalls bisher des Öfteren erlebt, und immer positiv. Na gut: meistens jedenfalls.Und deswegen vertraue jetzt auch darauf, dass ich beim nächsten Gang über den Campus nicht von vermeintlich falsch Eingeschubladeten gelyncht werde…

Linguistinnen sind die Nettesten (jedenfalls nach eigenen Angaben), vor allem, wenn man sich gemeinsam mit ih-nen in Richtung Mensa bewegt. KuWi‘s sind allein schon

fachbezogen offen. PoWi‘s sind neugierig, wort- und zugewandt, können allerdings auch ganz anders. ReligionswissenschaftlerInnen und PsychologInnen, Letztere übrigens mit ungewöhnlich hohem Linkshänder-Anteil, sind fachlich nicht selten am rumeiern, par-don, haben jede Menge Standpunkte. Und die Musikerinnen ge-fallen zumeist mit stiller Harmonie. Zugegebenermaßen ist diese Kategorisierung eigentlich nicht erlaubt und rein sub-jektiv, zumal nur auf wenige Spezies der jeweiligen Gat-tung bezogen. Aber Schub-laden machen bekanntlich das Leben leichter und über-schaubarer. So’n stylischer Apothekerschrank mit 96 Stück davon hat doch was, oder!Und wie sieht es mit den Alten aus, die sich in zu-nehmendem Maße auf dem Campus – und bisweilen pulkartig in gewissen Vor-lesungen – tummeln? Zu-mindest der größte Teil der Männer ist grau- und dünn-haarig; bei den Frauen ist es dank fortgeschrittener Che-mie nicht immer eindeutig. Manche lassen gerne mal ihre humanistische Bildung raushängen, Graecum oder Ganz Großes Latinum, wow! Andere hängen ihren Gedanken so lange nach – Denken braucht schließlich Zeit! –, dass die folgen-de drängende Frage bestimmt eine halbe Stunde zu spät im Vor-lesungsablauf gestellt wird. Manche pinseln mit, als gelte es das Leben. Aber die meisten sind total brav. Einige wenige zwischen 80 und 85 (Alter! –nicht Jahrgang!!) streben ihren Bachelor oder die Promotion an, um sich endlich ins Berufsleben zu stürzen. Er-innert an Spätzündung in schlecht eingestelltem Motor – der unter Umständen nach kurzem Getöse – buff! – seinen letzten Schnaufer macht. Finito. Aber wer will das schon im Voraus behaupten wol-len?Gut haben sie’s ja, die Alten, können einfach drauflos studieren, rein nach Lust und Laune. Ohne Prüfungskommissionsstress, ohne zwingenden Nebenjob, ohne nervige Eltern, die ihre Sprösslinge gerne baldigst auf der Seite der Einkommensbezieher wissen wür-den. Und was fehlt ihnen, besser: ist bei manchem ziemlich verlo-rengegangen? Leider bisweilen auch einiges. Etwa die Illusion und

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Text: Gerd KlingebergFoto: Katrin Pleus

Campusleben

Kollision oder Kommunikation Von Schubläden, Schnöseln und Spätzündern

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Aufbrechen in die Ferne, in eine neue Kultur eintauchen, eine neue Sprache lernen oder eine Schulsprache auffri-schen. Einfach mal weg von zu Hause, neu anfangen,

dem Alltag entfliehen oder nur einmal ein Semester durchat-men. Urlaub machen, feiern und neue Leute aus anderen Län-dern kennenlernen. Die Liste der Gründe für ein Auslands-semester ist lang. Aber egal, ob man nun freiwillig und voller großer Erwartungen ins Ausland geht, ob das Auslandssemester ein Pflichtbestandteil des Studiums ist oder sich einfach nur gut im Lebenslauf machen soll, der Anfang ist meistens ähn-lich: Man steht verschwitzt nach einer langen Reise mit seinem viel zu schweren Koffer vor einem Haus, das für die nächsten Monate sein neues zu Hause sein soll. Und vielleicht das erste Mal in seinem Leben wartet niemand, aber wirklich niemand, auf einen. Wenn man noch nie ganz alleine in eine neue Stadt gezogen ist, in der man niemanden kannte, ist das eine wirklich neue ErfahrungIn Bremen sollen Austauschstudenten deshalb mit dem Pro-gramm Study Buddy über den Unialltag hinaus einen Ansprech-partner bekommen. Bereits vor ihrer Abfahrt werden sie durch die Uni Bremen gefragt, ob sie an dem Programm teilnehmen möchten und können sich dafür schon von zu Hause aus anmel-den. Es gibt aber auch noch die Möglichkeit, erst einzusteigen, wenn sie schon in Bremen angekommen sind. Bremer Studenten können freiwillig an dem Programm teilnehmen und die aus-ländischen Studenten betreuen. Dabei sind es hauptsächlich aus dem Ausland zurückgekehrte Studenten, die Interesse an dem Programm zeigen und sich dafür engagieren. Verena Timm, die im Rahmen ihres freiwilligen, kulturellen Jahres das Study Bud-dy Projekt seit letztem August für ein Jahr betreut, teilt den an-gemeldeten Bremern einen Study Buddy aus dem Ausland zu. Bei der Auswahl der Partner achtet sie vor allem auf Gemein-samkeiten im Bezug auf Studiengänge, Interessen und Hobbies der Teilnehmer. Auf Sprachwünsche wird hingegen nicht spezi-ell eingegangen, da sonst die Gefahr bestünde, dass das Study

Buddy Programm von den Teilnehmern schnell zu einem reinen Sprachtandem gemacht würde, was laut Verena Timm nicht dem Sinn des Projekts entspräche. Ziel des Programms ist es, den interkulturellen Austausch zwi-schen ausländischen und Bremer Studenten zu fördern. Dafür werden auch Veranstaltungen organisiert, an welchen die Study Buddies teilnehmen können. Das Programm variiert dabei von Freizeitaktivitäten, wie gemeinsamem Schlittschuhlaufen oder Kanufahren, bis hin zum interkulturellen Training. Im Moment wird eine Kooperation mit dem Café Kultur diskutiert, in des-sen Rahmen beispielsweise Buffets mit Livemusik für die Study Buddies stattfinden könnten. Abgesehen von diesen Angeboten bleibt es den Bremer Studenten und ihren Schützlingen überlas-sen, wie die Betreuung aussehen soll und was sich daraus entwi-ckelt. So holen manche Bremer laut Verena Timm ihren Study Buddy bereits am Bahnhof oder Flughafen ab, während andere sich zum ersten Mal zum Anfang des Semesters im Gewühl der Mensa treffen. Ob es bei einem Treffen bleibt oder sogar eine Freundschaft entsteht, die über das Auslandssemester hinaus hält, liegt dann allein in der Hand der Teilnehmer. Aber in je-dem Fall sind die meisten Rückmeldungen, die Verena Timm erhält, positiv. Natürlich können aber auch nicht immer alle Erwartungen ganz erfüllt werden. Andreas Koppay von der Universität Bremen nahm vom Wintersemester 2010 bis einschließlich Sommer-semester 2011 an dem Programm teil und betreute gleich zwei Study Buddies. Vor allem durch den Vergleich mit Slowenien, wo er selber als Erasmusstudent an dem Study Buddy Programm teilnehmen konnte, hat er noch Verbesserungsvorschläge für das Bremer Projekt. So sieht er zwar auch die positiven Seiten der Gestaltungsfreiheit, würde sich aber allgemein noch mehr Ange-bote von den Koordinatoren wünschen. Im Vergleich zu Slowe-nien, wo die Teilnehmer des Programms mit einer Empfangsrede des Rektors und einem kostenlosen Abendessen in der Mensa willkommen geheißen wurden, seien die Angebote in seiner Zeit

…ein Konzept, tausend Möglichkeiten…

S tudienentwirrer T ouristenführer U nterkunftspender D eutschlehrer Y ogabegleiter

als Bremer Study Buddy zu selten und leider dann oft nicht ausreichend geplant gewesen. Auch die Zulosung seiner Study Buddies sei erst sehr spät erfolgt, so dass seine ersten Tipps an die ausländischen Studenten teilweise ebenfalls zu spät kamen. Er erhofft sich für das Bremer Programm mehr Werbung und vor allem mehr Angebote. Trotz dieser Kritik ist er froh, an dem Programm teilgenommen zu haben und würde die Teilnahme auf jeden Fall weiterempfehlen. Denn dadurch wurde nicht nur sein Erasmussemester um gefühlte zwei Semester verlängert, wie er sagt, sondern es fand darüber hinaus wirklich ein interkultu-reller Austausch zwischen ihm und seinen Study Buddies statt. Was die Teilnahme an dem Programm sonst noch interessant macht, ist die Möglichkeit, ein interkulturelles Zertifikat zu er-werben, welches vom International Office vergeben wird (An-sprechpartner: Sonja Spoede). Zudem ist die Anmeldung per E-Mail schnell gemacht und Bremer Studenten werden immer gesucht. Letztes Wintersemester gab es so beispielsweise etwa 150 internationale Studenten, die sich einen Bremer Study Buddy gewünscht hatten, aber nur 130 Bremer, die teilnehmen wollten. Für 20 der internationalen Studenten bedeutete das also, alleine in Bremen anzukommen und sich dann auch alleine durch den unbekannten Uni-Dschungel zu schlagen und die ers-ten Kontakte zu knüpfen. Wie alle aus dem Ausland zurückge-kehrten Studenten sich vielleicht erinnern können, ist es oftmals nicht ganz einfach, als Erasmusstudent „Einheimische“ kennen-zulernen. Dabei ist es doch auch für uns immer spannend, mit Studenten aus anderen Ländern und Kulturen in Kontakt zu kommen. Mal wieder Englisch, Französisch oder Spanisch zu sprechen oder aber zu einem typisch türkischen oder polnischen Essen eingeladen zu werden. Über gemeinsame Interessen zu sprechen und kulturelle Unterschiede zu entdecken. Das Study Buddy Programm unterstützt den ersten Schritt in so ein internationales Abenteuer und bietet für wenig Aufwand viel eigene Gestaltungsfreiheit. So kann man seinem Study Buddy nicht nur helfen, sich im GW2 zurechtzufinden (vorausgesetzt

man hat es in den Jahren seines Studiums überhaupt selbst ge-schafft, das System dieses Gebäudes zu durchschauen) oder ihm die deutsche Mülltrennung erklären, sondern man findet in ihm vielleicht einen neuen Yogabegleiter oder Partykumpanen. Denn mal mit internationalen Studenten feiern zu gehen, kann die Bremer Nacht in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Außerdem hat man als Touristenführer die Möglichkeit, seine ei-gene Stadt noch einmal ganz neu kennenzulernen oder sich viel-leicht sogar zu einem neuen Hobby überreden zu lassen. Doch selbst, wenn es bei der ersten Begegnung bleiben sollte: Jeman-dem, der ganz allein in ein neues Land und eine fremde Stadt kommt, eine schöne Ankunft zu bescheren und ihm das Gefühl zu geben willkommen zu sein, ist vielleicht schon Grund genug, über die Teilnahme im nächsten Semester einmal nachzudenken.

Text: Carolin KaiserFoto: Ben Blondeau

Campusleben

Ausflug nach Hamburg mit den Study Buddies am 21. Juni 2012

B undesligaerklärer U niansprechpartner D olmetscher D okumentenbesorgerPartY organisator

Für alle, die Interesse haben, egal ob sie nun schon einmal selbst im Ausland waren oder nicht:

http://www.uni-bremen.de/international/internationaler-campus/ kompass-forum-international/study-buddy.html

http://www.io.uni-bremen.de/studiumbremen/Studybudtext.pdf

Für alle, die sich gleich fürs Winteremester anmelden wollen:Per E-Mail unter [email protected] oder aber direkt im International Office der Uni Bremen bei Verena Timm im VWG 0560.

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Eigentlich seien die Stadtmusikanten der Grund gewesen, weshalb sie nach Bremen gekommen ist. Yiyang lacht und beschreibt die Atmosphäre, die in Shanghai herrscht,

unter so vielen Mitmenschen sei kaum Ruhe zu finden. Deshalb gefalle ihr Bremen, das eben keine Millionenstadt ist, aber trotz-dem sei etwas los. Ein für sie prägendes Erlebnis fand vor kurzem statt, das EM-Spiel Deutschland gegen die Niederlande. Die 21-Jährige hat das Spiel auf der Leinwand am Theater vor dem Goetheplatz mit vielen ande-ren Fans verfolgt und war begeistert: Die ausgelassene Stimmung, die Freu-de beim Sieg der Mannschaft und das gemeinsame Feiern. So etwas gäbe es in China nicht. Zumal die favorisier-ten Sportarten Badminton und Tisch-tennis schwerlich auf gleiche Weise verfolgt und gefeiert werden könnten. Zu schnell sei der Spielablauf, man käme aus dem Jubeln ja nicht mehr raus, scherzt sie. Und sie räumt mit ei-nem Klischee auf, das im Ausland oft vorherrscht: Die Deutschen seien im-mer sehr ernst, ruhig und fleißig. „Am Abend“, sagt sie, „sieht es ganz anders aus, wenn alle mit einem Bier in der Hand unterwegs sind und feiern.“ Nach dem gewonnenen Spiel wurde der Bahnhofsvorplatz spontan in eine Tanzfläche ver-wandelt, ein Feuerwerk begleitete Yiyang in den Bahnhof zum Zug nach Oslebshausen, nach Hause in ihre WG. Der Stadtteil scheint relativ weit von der Uni entfernt, die WG dort wurde ihr und ein paar anderen organisiert, bevor sie nach Bremen kamen. Aber im Vergleich zu den Distanzen in Shanghai sei es ein kurzer Weg zur Uni. Obgleich die Universität und Yiyangs Elternhaus beide in Shanghai liegen, dauert der Weg länger als zwei Stunden. Deshalb lebt sie wie alle Studenten in China un-ter der Woche im Studentenwohnheim auf dem Campus. Nur am Wochenende fährt sie nach Hause, dann sei es langweilig im Wohnheim. Und auch eng auf Dauer: Yiyang lebt mit vier anderen Mädchen zusammen in einem Zimmer, sie teilen sich

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ein Bad, eine Küche gibt es gar nicht. „In der Mensa gibt es Frühstück, Mittag und Abendessen, alle Studenten essen dort.“ Damit sich alle versorgen können, gibt es vier Mensen, jede ein-zelne größer als die am Boulevard, und alle sind brechend voll, zu jeder Uhrzeit. Hier in Bremen genießt sie deshalb besonders die Freiheit eines eigenen Zimmers, sagt sie, denn das Leben auf

engem Raum ohne Rückzugsmöglichkei-ten sei anstrengend. Gerade, wenn man von früh bis spät lernt. Yiyang studiert Germanistik, in Bremen kann sie ihre Kenntnisse nun erproben. In Shanghai pauken sie und ihre 36 Kommilitonen täglich Vokabeln und Grammatik der deutschen Sprache, zwanzig Stunden pro Woche, dazu kommen noch Pflichtkurse in Englisch, Politik und Computertech-nik, die jeder chinesische Student bele-gen muss. An der Tongji-Universität, die vor 105 Jahren von einem deutschen Arzt in Shanghai gegründet wurde, ist Yiyang noch eine von wenigen Germanistik-Stu-denten, aber eine Fremdsprache zu erler-nen sei angesagt und es biete ihr gute Chancen, vielleicht später in die Wirt-

schaft zu gehen. Nach vier Jahren hat sie ihren Bachelor, wenn sie, wie bislang geplant, später als Über-setzerin arbeiten möchte, muss sie noch einen Master machen. In China ist es mit der freien Nutzung des Internets und dem Zugang zu Informationen nicht so einfach. Angesprochen auf diese Beschränkungen erklärt mir Yiyang, dass gerade Seiten wie Facebook stark eingeschränkt sind für die Nutzer, es seien nicht so viele Optionen möglich wie auf den Social-Network-Seiten anderer Länder. Jedoch gebe es auch Wege, die Einschränkun-gen zu umgehen, wenn man dies wolle. Sie selbst fühlt sich bislang nicht stark begrenzt, aber als Studentin habe sie auch noch nicht viele Erfahrungen in dem Bereich gesammelt. Und entgegen einiger Vorurteile herrsche zumindest in der Uni die Freiheit, sich kritisch gegenüber der Politik zu äußern – auch, wenn diese Freiheit in den Zeitungsredaktionen schon wieder

bedeutet Wasser. Ihr Name gefalle ihr und sei ihr wichtig, als Verbundenheit mit Famile und Heimat, mit Shanghai, der Ha-fenmetropole.Yiyang ist die erste aus ihrer Familie, die nach Europa gekom-men ist. „Meine Eltern hoffen, dass ich ihnen irgendwann, wenn auch sie einmal herkommen, alles zeigen kann“. Dafür hat sie schon viel getan, hat gemeinsam mit anderen Gaststudenten Berlin, Hamburg, Hannover, Weimar und Erfurt besucht. Seit März ist sie schon hier, bis Mitte August wird sie noch bleiben. Was sie vermissen werde an Bremen seien ihre neu gewonnene Unabhängigkeit und das Beck’s Bier, das gebe es in China leider noch nicht.

Text: Jessica HeidhoffFoto: Ye Lingxiao

endet. „Überhaupt“, sagt sie, „es gibt nur die eine Partei, das ist das Problem“. Dafür kennt sie sich schon mit den deutschen Parteien aus, nennt die SPD und die Grünen, die gerade die Regierung Bremens stellen.Yiyang ist Einzelkind, wie eigentlich alle Chinesen, aber sie ist die letzte Generation, die unter dieses Gesetz fällt. Wie in Deutschland schreitet in China der demografische Wandel vo-ran, sodass Yiyang später auch mehr als ein Kind bekommen darf. Vorausgesetzt, sie und ihr Freund sind beide Einzelkinder. Der Wunsch nach einer Familie ist in ihrer Gesellschaft fest ver-ankert. Yiyang erzählt, wie groß die Freude über ein Neugebo-renes ist. Mit dem Namen, den die Eltern ihrem Kind geben, geben sie ihm ihre Hoffnungen und Wünsche mit auf den Weg. Das „Yi“ in Yiyang steht für Sorglosigkeit, das „yang“ bedeu-tet Ozean und verbindet sie mit ihrem Nachnamen, Wang, das

Campusleben

Von Shanghai nach BremenWenn wir an China denken, kommen uns Bilder einer Metropole in den Kopf. Shanghai ist eine von ihnen, zwanzig Millionen Einwohner hat die Hafenstadt am Ostchinesischen Meer. Das Leben ist bunt, schnell und aufregend. Yiyang Wang kennt das, sie kommt aus dieser Megacity. Um in ihrem Auslands-semester etwas anderes zu erleben entschied sie sich, als Gaststudentin nach Bremen zu kommen.

Yiyang Wang mit ihren Freunden an den Bremer Stadtmusikanten.Yiyang Wang genießt das Bremer Unileben

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Den International Day am 7. Juni auf dem Campus nicht mitzubekommen war schier unmöglich, da man von den Menschenmassen, Farben und Gerüchen in

und um die Glashalle fast erschlagen wurde. Zu Bestaunen gab es außer den verschiedenen bunt geschmückten Ständen auch Aktionen von den an der Universität aktiven Communities und Kulturgruppen. Ein besonderes Spektakel lieferten die verschie-denen Tanzaufführungen aus den unterschiedlichsten Kulturen – wie beispielsweise die chinesische Tanzgruppe SPEECHLESS. Einige Stände boten sogar leckere Häppchen an, die einem ei-nen Vorgeschmack der kulinarischen Vielfalt boten und den ein oder anderen studentischen, auf Tiefkühlpizza konditionierten, Gaumen erwachen ließ. Organisiert wurde der International Day vom Konrektorat für Interkulturalität und Internationalität und vom International Office. Das kompass-forum internatio-nal, das sich im vergangenen Jahr gegründet hat, hatte die Idee, durch diesen Tag die Kontakte unter den internationalen Stu-denten zu fördern. Seit es das kompass-forum international gibt haben sich an der Bremer Uni 13 studentische Communities gegründet, was als großer Erfolg verstanden wird.Auf dem International Day, der unter dem Motto „CampusLe-ben International“ stand, gab es viel zu sehen und viele neue Menschen kennen zu lernen. Einige kamen in ihrer landestypi-schen Kleidung und die meisten vertretenen Gruppen und Or-ganisationen hatten sich kleinere oder größere Attraktionen ausgedacht. So gab es zum Beispiel eine Karaokemaschine, mit der jeder Besucher sich in verschiedene Volkslieder versuchen konnte, sofern er die Sprache kannte. Die ägyptische Gruppe

präsentiere sich sogar in Pharaonenkostümen und verloste einige kleine Geschenktüten. Auch das anwesende Goethe Institut ver-loste Deutschkurse, was zur Folge hatte, dass ihr Stand regelrecht geplündert wurde. Große Aufmerksamkeit und viele Fans hatte die Reggaeband Coffee Full Flavoured, die auch auf der Bremi-nale aufgetreten sind.Die Preisverleihung des Deutschen Akademischen Austausch-dienst (DAAD) wurde inmitten dieses Trubels abgehalten. Die Rede der Preisträgerin Carmen Villacanas de Castro, die den mit 1.000 Euro dotierten Preis für ihr hohes wissenschaftliches und soziales Engagement entgegen nehmen konnte, war bei der Ge-räuschkulisse leider schwer zu verstehen. Auch wenn einige nicht vorgewarnte Studenten etwas irritiert von diesem kleinen Festival in der sonst recht leeren Glashalle waren, so kann man abschließend sagen, dass der erste Inter-national Day an der Bremer Uni enormen Zuspruch von den Besuchern bekam und sich die 13 internationalen Communities von ihrer besten Seite präsentiert haben. Da störte es auch nicht, das man etwas länger gebraucht hat, um durch die Glashalle zu seiner Vorlesung zu kommen, denn die gute Laune der Anwesen-den hat sich direkt auf die Vorbeieilenden übertragen.

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Campusleben

Text: Natalie VogtFoto: Martin Gajsek

Ein bunter Haufen GlashalleAm 7. Juni war der International Day, auf dem sich viele Kulturgruppen der Bremer Uni präsentierten. Mit Essen, Tanz, Preisverleihungen und jeder Menge Kultur wurden die Besucher angelockt.

Campusleben

Die indische Tanzgruppe verzauberte das Publikum am International Day mit ihrer Darbietung

Pakistanische Hochschulgruppe singt ihre Nationalhymne (mitte)

Afrikankanische Sänger stimmen durch exotische Musik ein (oben)

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Mit einem solchen Ansturm hatten sie dann doch nicht gerechnet: 60 Studienplätze hatte das Bremer Insti-tut für historische Publizistik, Kommunikations- und

Medienwissenschaft (IPKM) ausgeschrieben – am Ende lagen über 2.000 Bewerbungen auf dem Tisch. Doch der Zufall kam den Bewerbern zu Hilfe: Aufgrund des doppelten Abiturjahr-gangs und der Aussetzung der Wehrpflicht wurden 2011 aus dem Hochschulpakt von Bund und Ländern zusätzliche Mittel für Studiengänge bewilligt, die mehr Bewerber aufnahmen. So konnte die Universität Bremen zum Wintersemester rund 120 Studierende im nagelneuen Bachelor Kommunikations- und Medienwissenschaft willkommen heißen. Die Frage ist: Was macht diesen Studiengang auf Anhieb so beliebt? Eigentlich sind rund 100 offizielle Studienplätze ja schon eine enorme Zahl, vergleicht man sie mit den spärlichen 38 Plätzen im verwandten Studiengang der Universität Hamburg. Diese werden allerdings auch jedes Jahr von über 3.000 Bewerbern umkämpft, daher konnte man sich denken, dass der Bremer Bachelor ähnliches Interesse wecken würde. Nach inoffiziellen Angaben lag der Numerus Clausus (NC) hier gleich im ersten Anlauf bei 1,7. Alternativ konnte man sein Glück mit acht War-tesemestern versuchen. Und das war erst der Anfang. Professor Andreas Hepp, der geschäftsführende Direktor des IPKM, ist sozusagen der „Vater“ des neuen Bachelorstudien-gangs Kommunikations- und Medienwissenschaft, den alle we-gen seines ellenlangen Namens nur als KMW abkürzen. Hepp beobachtete in den letzten Jahren an der Universität Bremen eine große Nachfrage nach dem Master Medienkultur. Außer-dem hätten viele der Studierenden aus dem Bachelor Kultur-wissenschaft (der auch Anteile an KMW enthält) den Wunsch geäußert, sich voll und ganz auf den Medien-Bereich konzen-trieren zu können. „In einer solchen Situation liegt nahe: So etwas müssen wir einrichten!“, so Hepp. Mit dieser Einschätzung scheint er richtig gelegen zu haben. Ist der neue Studiengang jedoch das immense Interesse wert? Klar ist, dass er das Rad nicht neu erfinden wird. Er hat aber durch-aus den Anspruch, anders zu sein, etwas Neues. Der Studien-gang KMW soll laut offizieller Werbung in eigener Sache seinen Studierenden „eine breite kommunikations- und medienwissen-schaftliche Grundlage- sowie Methodenausbildung einerseits und eine gestufte medienpraktische Ausbildung in Kooperation mit regionalen Medienunternehmen andererseits“ vermitteln. Diese doppelte Schwerpunktsetzung in Medienanalyse und Medienpraxis ermöglicht es den Studierenden, nach dem vier-ten Semester zu wählen, welchem der beiden Wege sie folgen wollen. Sie können dann entweder ihr theoretisches Wissen im Studium vertiefen oder ein komplettes Praxissemester in einer Medienorganisation einlegen. Das ist laut Professor Hepp et-

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was ganz Besonderes. Ein weiterer Aspekt, mit dem etwas Neu-es geschaffen werden sollte, sind Anteile an Medieninformatik und wahlweise Soziologie, Betriebswirtschaftlehre oder Politik im Studium. Noch mehr Praxisbezug verspricht darüber hin-aus ein achtwöchiges Pflichtpraktikum und ein Medienpraxis-Modul im dritten und vierten Semester. Darin werden unter der Betreuung von Lehrpersonen aus regionalen Medienunterneh-men Veranstaltungen vom Fernsehen über Public Relations und Projektmanagement bis hin zum Radio angeboten. Das ist mit Sicherheit ganz im Sinne der KMWler, die in einer stichproben-artigen Umfrage des Scheinwerfers angaben, den Studiengang vor allem wegen seines Praxisbezugs gewählt zu haben. Von den 40 Befragten gaben 28 an, dass ihnen die fächerübergreifenden und medienpraktischen Inhalte bis jetzt am besten gefielen. Allerdings wurde bemängelt, dass der Lernstoff der Veran-staltungen bisher zu wenig aufeinander abgestimmt sei. Und tatsächlich wirken die ersten zwei Semester – vielleicht auch aufgrund des Versuchs, disziplinübergreifend eine breite theore-tische Grundlage zu bieten – etwas zerstückelt. Ein bisschen aus dem Studiengang Digitale Medien hier, ein wenig aus der Poli-tikwissenschaft da. Ob diese Strategie am Ende aufgehen wird und der Bachelor den Erwartungen der Studierenden gerecht werden kann, wird sich in den nächsten Jahren herausstellen. Denn natürlich liegen auf dem Weg jedes neueingeführten Stu-dienganges auch ein paar Steine. Bis jetzt läuft zwar laut Pro-fessor Hepp „alles bestens“, doch die individuellen Meinungen gehen wie immer auseinander. So klagten einige der befragten Studierenden über zu wenige Lehrveranstaltungen, niedriges Anspruchsniveau und die dann doch überwiegende Theorielas-tigkeit der ersten zwei Semester. Nun, einige Geburtsfehler gibt es sicherlich immer – und über alles lässt sich meckern. Aber warum wollten sie nun alle diesen Studiengang studieren? Dass sie sich für Medien interessieren, dass ihnen der Praxisbezug gefällt und dass sie später in der Medienbranche arbeiten wollen, sind die drei offensichtlichen Gründe. Aber die Ursache für den allgemeinen Run auf Me-dienstudiengänge muss woanders gesucht werden. Es muss et-was sein, das man hinter diesem fast schon mystifizierten Begriff der „Medien“ vermutet, etwas sehr Verlockendes scheinbar. Aber: „Viele Vorstellungen, die man im Alltag so von ‚den Me-dien’ hat, entsprechen nicht ganz dem, was ‚die Medien’ sind“, stellt Hepp klar. Was sind also die Medien? Sie sind überall, sie sind „in“. Casting-Shows, Facebook, I-Pads, Werbung, Compu-terspiele – all das hat irgendwie damit zu tun, ist aber lange nicht so zentral wie man dachte. Und wie hängt alles mit Kom-munikation zusammen? Und vor allem: Was fängt man damit an? Will hier wirklich jeder Journalist werden? „Viele, die das Studium beginnen, wollen ‚irgendwas mit Medien’ machen und

spannend macht, dass sich jährlich tausende von Bewerbern auf die begehrten Plätze an Journalistik-Schulen und in Medienstu-diengängen stürzen. Es bedeutet aber auch, dass man sich erst mal gar nicht festlegen muss, weil es den goldenen Weg sowie-

so nicht gibt. Professor Hepp möchte seinen Studierenden daher auch nur einen einzigen Tipp geben: „Informieren Sie sich breit, was es im Bereich von Medien und Kommuni-kation an spannenden Berufen gibt. Wenn man von der Schule kommt, kann man viele Beru-fe gar nicht kennen, sondern denkt immer nur an die Jour-nalisten, von denen man Sa-chen im Internet liest, die man im Radio hört oder im Fernse-hen sieht. Die Berufswelt von Medien und Kommunikation ist aber vielfältiger und nach-haltig im Wandel, selbst im Bereich des Journalismus. Hier würde ich mich an Ihrer Stelle erst einmal offen umschauen,

bevor ich mich festlege, was ich werden will.“Was bleibt also nach zwei Semestern Bachelor Kommunika-tions- und Medienwissenschaften für eine Zwischenbilanz? Bis-her sind offenbar alle zufrieden – von den Befragten gaben 60 Prozent an, dass „alles ok“ sei, kein einziger bezeichnete sich als „unzufrieden“. Niemand hat das Studium nach dem ersten Semester abgebrochen, die Durchschnittsnote der Klausur im Einführungsmodul lag bei ungefähr 2,5 und nur 20 von 104 Teilnehmern mussten zum zweiten Versuch antreten. Alles gut soweit. Bis der Prototyp des Studiengangs Kommunikations- und Medienwissenschaften seinen ersten Durchlauf geschafft hat, stehen noch vier Semester bevor. So lange haben die Stu-dierenden genug Zeit, sich in der großen weiten Medienwelt zu orientieren. Und danach müsste man sie erneut fragen: Glaubst du, dass der Studiengang hilfreich für deine Zukunft war?

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Text: Alice EchtermannGrafik: Katrin Pleus

haben dabei zum Teil keine klaren Vorstellungen, was das bedeu-tet“, erklärt Hepp. „Auch ich wollte einmal Zeitungsjournalist werden, nach dem ersten Praktikum war mir aber klar, dass das Produzieren von Zeilen auf die Minute hin nicht mein Ding ist und ich mache jetzt gewissermaßen ‚irgendetwas anderes mit Medien’.“ Er sieht daher das Vorurteil, dass alle Medienstudierenden später einmal zwangsläufig Journalisten werden, im Allgemeinen nicht bestätigt: „Viele arbeiten später in anderen spannen-den Bereichen. Sie sind in der Öf-fentlichkeitsarbeit tätig, arbeiten im Bereich der sogenannten ‚Content-Produktion’ für Digitale Medien und vieles mehr.“Es stimmt: Mit dem KMW-Studium sind die Studierenden keinesfalls fest-gelegt. Theoretisch können sie so gut wie alles machen. Das ist etwas Posi-tives – hat aber auch seine Schatten-seiten. Hier scheint die sprichwörtli-che Qual der Wahl eine große Rolle zu spielen. Nur sechs der 40 Befrag-ten hatten bereits eine klare Vorstel-lung, welchen Beruf sie nach dem Studium ergreifen wollen. Die große Mehrheit konnte sich nicht entscheiden und wollte am liebsten alles machen – Fernsehen, Print, Werbung, PR. Das ist vielleicht ein Problem, das viele junge Menschen haben. In der Medienbranche kommt jedoch eine noch größere Ungewissheit dazu. Es geht hier nicht nur um die Frage: Wo ist mein Platz? Man fragt sich vielmehr: Finde ich diesen Platz überhaupt? Was ist dran an Gerüchten über schlechte Bezahlung, den Nieder-gang der traditionellen Medien wie der Zeitung und ein Dasein als Dauerpraktikant? Ist man als KMWler nicht doch zu wenig spezialisiert, gerade in einer Branche, in der einen (wie oft be-hauptet wird) nur Spezialwissen aus der Masse abheben kann? Vielleicht sollte man nicht erwarten, dass ein Studium all diese Fragen gleich am Anfang klärt. Schließlich geht es, wie Professor Hepp betont, bei einer Bachelor-Ausbildung um die Grundla-gen, eine Basis für weitere Spezialisierung. Es ist der Charakter der Medien, dass sie sich ständig verändern, immer neu, innovativ und mit einem Hauch von Glamour be-haftet sind. Wahrscheinlich ist es das, was sie so anziehend, so

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„Wir machen was mit Medien!“Seit dem Wintersemester 2011 gibt es den Bachelor Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Uni Bremen. Was daran neu ist, warum sich alle darum reißen und wie die Lage nach zwei Semestern aussieht.

Auszüge aus der Umfrage: „Der Lernstoff ist interessant“: 28 von 40 (70 %)

„Ich glaube, dass der Lernstoff hilfreich für meine Zukunft ist“: 18 von 40 (45 %)

„Ich glaube, dass der Studiengang mich meinem Wunschberuf näher bringt“: 30 von 40 (75 %)

„Ich habe den Studiengang gewählt, weil mir der Praxisbezug gefällt“: 20 von 40 (50 %)

Eine klare Vorstellung von ihrem späteren Beruf haben nur 6 von 40 (15 %).

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seien, so sei man auch diesbezüglich nicht gebunden. Mieten darf, wer zahlen kann. Ein gutes Geschäft, doch fraglich bleibt, ob das die Wohnungsprobleme beheben kann. Beim Studentenwerk klingen diesbezüglich sowieso ganz andere Töne an. Die Auswahl der Studierenden erfolge „nach einer Bewerberliste“, wie Jürgen Steins, Sachgebietsleiter Wohnraumverwaltung des Studentenwerks Bremen, erklärt. Es gebe Kriterien wie die Tatsache, dass das Einkommen der Mieter nicht höher als das Anderthalbfache des BAföG-Satzes sein darf, und für Menschen mit Behinderung gelte eine gewisse Priorität, aber generell gehe es um die Bedürftigkeit. Eine freie Auswahl, gar nach Kapitalstärke, ist hier nicht vorgesehen. Die Mieten liegen, abhängig von Wohnanlage und Zimmergröße, zwischen 182 und 280 Euro. Dabei handelt es sich um Pauschalmieten inklusive Energie, SAT-Fernsehen und Internetanschluss. Nachforderungen wegen höherer Nebenkosten gibt es damit nicht. Auch im Fall von Mietausfällen werde immer versucht, gemeinsam mit den Studierenden eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Auf die Frage, wie sicher die Miethöhe ist, erklärt Steins: „Natürlich versuchen wir im Interesse der Studierenden, die Mieten stabil zu halten, auch wenn wir nicht dafür garantieren können. Wenn es beispielsweise zu einer deutlichen Steigerung der Energiekosten kommt, können auch wir nicht ausschließen, dass wir die Mieten doch anheben müssen.“ Dabei verweist er wiederum auf die dennoch niedrigeren Mietkosten der Wohnheime, „obwohl auch bei uns vollmöblierter Wohnraum mit weitgehend allen Annehmlichkeiten zu finden ist.“ Außerdem pocht er darauf, dass bei allem Service, den die Privaten bieten, das Studentenwerk doch andere Ziele verfolge. „Was uns abhebt, ist, dass wir uns um unsere Mieter kümmern!“, stellt er fest und erläutert, dass es um einen menschlichen Umgang mit den Mietern gehe. „Wir sind für euch da, ihr seid in guten Händen“, sei das Gefühl, dass er den Studierenden vermitteln wolle. Uni-Rektor Prof. Dr. Wilfried Müller kennt die Kritik der Studierendenvertretung ebenso wie die Klagen des Studentenwerks und spielt den Ball auch prompt weiter. Auch er stellt zwar fest, dass es einen generellen Wohnungsmangel gebe. „Vor diesem Hintergrund“, heißt es dann aber weiter, „freue ich mich über das Engagement privater Investoren.“ Grundsätzlich beklagt jedoch auch er: „In Bremen gibt es zu wenige staatlich finanzierte Wohnheime.“ Eine Position, die auch aus dem Studentenwerk immer wieder zu vernehmen ist. Zwar sei man sich dort der schwierigen Haushaltslage bewusst, dass man aber derzeit nur mit Überschüssen und Rücklagen vergangener Jahre rechnen könne, sei ein großes Problem. Natürlich werde versucht, beim Bremer Senat um weitere Mittel zu werben. Kieschnick erklärt dazu: „Wir wollen weiterhin neuen Wohnraum für Studierende schaffen. Um eine für Studierende bezahlbare Miete anbieten zu können, sind wir auch auf Unterstützung angewiesen. Wir müssen aber erkennen, dass wir dabei nicht immer erfolgreich sind. Gleichwohl ist es dem Studentenwerk gelungen, im Mai 2012 eine neue Wohnanlage in der Neustadt mit 63 Plätzen zu eröffnen.“ Im Übrigen würde er

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Text: Björn KnutzenFoto: Katrin Pleus

Campusleben

Ko m m e n t a rStudierende zwischen iPhone und Obdachlosigkeit Da stampft der Großkapitalist ein neues Wohnheim aus dem Boden, den Rektor freut’s – zumindest irgendwie – und die uniweite Linke geht auf die Barrikaden. Was wie der übliche Kampf um Gerechtigkeit klingt, ist angesichts der heutigen Lebensrealität der Studierendenschaft allerhöchstens noch Klischee. Dass überteuerte Mieten für viele unerschwinglich sind, wird niemand bezweifeln. Auch hat niemand, bis auf den Bremer Senat vielleicht, behauptet, dass alles in Ordnung sei. Die Kritik ist richtig, wo sie sich auf diesen Kern bezieht. Zum wahren Unsinn wird es aber, wenn Studierendenvertreter über die vermeintliche Lebenswirklichkeit von Studierenden fabulieren und die Existenz privater Wohnheime per se bekämpfen. Es braucht kein marktradikales Gedankengut, um festzustellen, dass dieses Angebot nur dort zieht, wo auch die Nachfrage besteht. Natürlich leben in den Wohnheimen, allen Wünschen zum Trotz, nicht nur Studierende. Dass dort jedoch genau solche auch leben, sich durchaus wohlfühlen und in der Lage sehen, die Mieten zu bezahlen, kann nicht ignoriert werden. Ein schleswig-holsteinischer Kommunalpolitiker sagte in einer ähnlichen Diskussion kürzlich: „Man muss doch mal aufhören, Studierende andauernd als Hartz IV-Empfänger zu betrachten.“ So ungehobelt und politisch inkorrekt das auch klingen mag, so sehr trifft es den Nagel auf den Kopf. An einer Universität, an der sich manche Studierende auch teuerste Markenkleidung und iPhones leisten, gibt es auch Studierende, die die Galileo-Residenz bezahlen können und gern dort leben. Anstatt darüber froh zu sein, dass diese Studierenden so zumindest keinen bezahlbaren Wohnraum in Stadtnähe besetzen, übt man sich in Radikalkritik und fordert schlimmstenfalls noch „selbstorganisierte Wohnheime“, die dann vielleicht nicht mehr ökonomisch, aber politisch und nach moralischer Einstellung selektieren. Das Problem ist nicht die Kritik an privaten Investoren und der tatsächlich unsäglichen Freiheit, die diese genießen. Das Problem ist, wie so oft, die geringe Fähigkeit, zu differenzieren.

Text: Björn Knutzen

zwar von einer schwierigen Lage sprechen, eine Wohnungsnot, wie in anderen, auch kleineren Städten mit großen Universitäten, gebe es in Bremen seiner Ansicht nach aber nicht. Während also hier und da mal private, mal öffentliche Wohnheime errichtet werden und über die Ausmaße der Wohnungskrise diskutiert wird, bleibt damit am Ende eine ziemlich nüchterne Erkenntnis: Alles eine (haushalts)politische Frage.

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Während es mit zehn öffentlichen Wohnheimen in Bremen und zwei in Bremerhaven noch immer nicht genügend Plätze für alle Studierenden gibt, wird ein

privates Wohnheim nach dem anderen aus dem Boden gestampft. Hier das Problem, dort die Lösung. So scheint es. Der öffentliche Wohnheimbau durch die Studentenwerke ist jedoch selbst auferlegte Pflicht des deutschen Sozialstaats. Der private Investor hat in erster Linie privates Interesse: Profit. Neues Problem? Vielleicht. Im Jahre 1975 wurden die ersten öffentlich finanzierten Wohnheime in Bremen errichtet. Das Angebot ist dabei verhältnismäßig umfangreich. Möblierte Wohnungen für Einzelne sind genauso zu finden wie Wohnraum für Familien. Trotzdem ist die Nachfrage längst nicht gestillt. Der mit der Verkürzung der Schulzeit in vielen Bundesländern sowie dem Ende der Wehrpflicht einhergehende Anstieg von Studienanfängern, die händeringend nach einer Wohnung suchen, leistet dabei das Übrige. Im Bremer Senat

herrscht diesbezüglich relative Entspannung. Obwohl Bremen im bundesweiten Durchschnitt der Länder auf dem letzten Platz liegt und nur rund 6,3 Prozent seiner Studierenden einen Wohnheimplatz bietet (zum Vergleich: In Sachsen liegt diese Quote bei rund 14,5 Prozent), reagiert der rot-grüne Senat gelassen auf eine diesbezügliche Anfrage der Linksfraktion und verweist obligatorisch auf die schwierige Haushaltslage des Landes. Dass anstelle der öffentlichen Förderung nun private Investoren auf den Campus drängen, scheint ein Segen für einige Studierende zu sein. Wohnheimplätze sind schwer zu kriegen und schnell vergeben. Wer nach Alternativen sucht und die höheren Mieten der privaten Wohnheime bezahlen kann, hat Grund zur Freude. Dass die Galileo-Residenz regelmäßig ausgebucht ist, zeigt zumindest,

Investitionsobjekt Wohnheim Heutzutage wird in absolut alles investiert: Lebensmittel, Wohnheime und Aktien sozialer Netzwerke. Zumindest zwei davon bieten ordentlichen Profit für Investoren und Spekulanten.

dass es Bedarf gibt – auch an im Vergleich teurem Wohnraum. Dieser schaffe auch das entsprechende urbane Flair, das sich beispielsweise der Baudezernent der Uni Bremen, Hans-Joachim Orlok, wünscht. Im Gespräch mit dem Weser Kurier im November vergangenen Jahres erklärte er, dass die Galileo-Residenz sowie der Campus-Park bereits ein guter Anfang gewesen seien und verweist dabei gleich auf einen weiteren Wohnheimbau auf dem Uni-Gelände, der bis zum Wintersemester 2012 fertig gestellt sein soll. „Es verbessert die Wohnsituation der Studenten und die Aufenthaltsqualität auf dem Campus, weil zum Beispiel das Bistro die Gegend belebt“, konstatiert er an gleicher Stelle. Bei anderen herrscht dagegen weniger Optimismus. Aus dem Studentenwerk gibt es Klagen, dass die Mieten für viele Studierende unbezahlbar seien. Die Zahlung von 350 Euro Kaltmiete für 17 und 19 Quadratmeter oder 525 Euro für 37 und 38 Quadratmeter sei unzumutbar, wie Hauke Kieschnick, stellvertretender

Geschäftsführer des Studentenwerks Bremen, dem Weser Kurier wiederum mitteilte. Ähnliches ist aus der Hochschulpolitik zu hören. Für Stefan Weger, AStA-Vorsitzender der vergangenen Legislaturperiode, der der Zeitung im November vergangenen Jahres für ein Gespräch zur Verfügung stand, sind solche Preise „einfach unmöglich“. Er äußert sich dabei kritisch dazu, inwiefern solche Mieten noch mit der Lebensrealität vieler Studierender zu vereinbaren seien. Dass es um die Lebensrealität vieler oder gar aller Studierenden nicht geht, zeigt die Tatsache, dass hinter den privaten Wohnheimen wahre Großinvestoren stehen – Campusviva, Kapitalpartner Campus oder Großkontor Invest GmbH sind so schillernde Namen.

Während bei letzterem die Rede von „Studentenappartements“ ist, ein Begriff der Lifestyle, Chick und Luxus verspricht, wird an anderer Stelle deutlich, wer die wirkliche Zielgruppe ist. Auf der Internetpräsenz der Kapitalpartner Campus werden zahlreiche Fragen für den geneigten Privatinvestor beantwortet. Da geht es um die Höhe der Studierendenzahlen ebenso wie um das Risiko von Mietausfällen. Kein Problem im Übrigen, die Eltern haften. Auch das ist sicher nichts, was nur bei privaten Wohnheimen so gehandhabt wird. An gleicher Stelle erläutert die Kapitalpartner Campus, wie viel Spielraum Investoren in Bremen gewährt wird. Natürlich könnten die Wohnungen im gerade neu entstehenden Wohnheim zu relativ frei wählbaren Preisen vermietet werden. Und auch, wenn die Hauptzielgruppe, wie es dort heißt, Studierende

Campusleben

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Ich betreibe Wissenschaft

Erkenne das, Erkläre was.

Gib mir den Geist, der Wissen schafft.

Vielleicht die Geisteswissenschaft.

Ich strukturiere Themen, Theorien

Mache Erhebungen und befrage Menschen

Alles ist komplex, sehr undurchsichtig...

Ich forsche weiter

So objektiv wie‘s eben geht, ach ja und reflektiert

sehr konkret, individualisiert und subjektiviert

Forsche forsche

Für die Erkenntnis.

Denn so wirklich vernünftig hat das doch noch keiner gesagt

Mit den Analysekonzepten -gegenständen und -perspektiven,

oder mit den sozialen Systemen/Strukturen/Interaktionen.

Vielleicht finde ich ja die subjektiven Sinnstrukturen oder den normativen Bedeutungs-

rahmen mit einer genuin handlungstheoretisch ausgerichteten Wissensanalyse.

Wo bin ich eigentlich? Ist das transdisziplinär?

Dann beschreiben, definieren wir das erstmal und ordnen es ein,

Wissen aber, dass es nicht geht.

Wahrheit gibt es sowieso nicht.

Wir sind relativ!

Relativ planlos.

Wissen schafft

Caroline Morfeld

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ten, dass durch die fast sieben Meter dicken Decken und 4,5 Me-ter dicken Wände keine Bomben dringen konnten und man da-her, auch im Falle eines Angriffes, weiter an den U-Booten bauen konnte. Am 19. Juni 1943 wurden die Planungsarbeiten für den Typ XXI durch die Konstruktionsabteilung der Deschimag AG Weser in Bremen fertiggestellt. Der Beginn der Auslieferung der U-Boote wurde für den März 1945 festgesetzt und als Standort Bremen Farge gewählt. Anlass für diese Wahl war, dass die Akti-en-Gesellschaft Weser und die Bremer Vulkan AG bereits in der Nähe angesiedelt waren und damit die benötigten Sachkenntnis-se und Produktionshallen längst vor Ort waren. Die Deschimag AG Weser und die Bremer Vulkan AG gehörten damals zu den bedeutendsten Werften und Arbeitgebern in Bremen.Zweckgerecht wurde der U-Boot-Bunker Valentin in zwei Tei-le unterteilt. Zum einen in die an der Weserseite gelegene 350 Meter lange Montagehalle und zum anderen in einen circa 70 Meter langen Abschnitt, in welchem sich die Verwaltung, die Lagerräume und die Werkstätten befinden sollten. Letztere wur-de in drei Etagen mit einem Zwischengeschoss unterteilt. Der unterkellerte Teil des Erdgeschosses war als Luftschutzbunker für die deutschen Ingenieure und Bauarbeiter während der Bau-zeit geplant. Vor dem Bunker wurde unter anderem auch eine künstliche Bucht angelegt, damit die Boote direkt aus der ver-bunkerten Werft in die Weser gelangen konnten, um von da aus ins Meer zu fahren. Laut Planung sollte auch ein Tauchbecken an einer Seite gebaut werden, um die Kampfmaschinen direkt vor Ort auf kleine mögliche Fehler hin zu prüfen. Der Über-druck hätte selbstverständlich nicht mit dem im offenen Ozean übereingestimmt, was den Planern damals vielleicht noch nicht bewusst war. Im Hinterland befanden sich sechs Bauabschnitte, wo einzelne Maschinenteile vorgefertigt wurden. Der Plan war es, die Einzelteile per Schiff oder Reichsbahn zum Bunker zu transportieren und dort an 13 Taktplätzen und vier parallelen Taktstraßen zusammenzubauen. Folgende Schritte sollten nur

Boah, geil! Wir gehen jetzt gleich in einen U-Boot-Bun-ker“, ist das Erste, was wir von einem jungen Besucher am Treffpunkt aufschnappen. Andere Stimmen der äl-

teren Besucher ranken eher von: „Muss ich da wirklich rein?“ über stilles Staunen bis hin zu „Wow, ist der groß!“. Die Rede ist von dem U-Boot-Bunker Valentin in Farge, direkt an der Weser, im Ortsteil Rekum. Er gilt als der größte frei stehen-de Bunker in Deutschland und der zweitgrößte in Europa. Im 1941 besetzten Frankreich, genauer gesagt in Brest, steht noch ein deutscher Bunker, der diesen in seiner Größe übertrifft. Der Anfang der 1940er-Jahre erbaute Bunker in Brest gehört zum damals geplanten Atlantikwall, der eine knapp 3.000 Kilometer lange Küstenlinie im Westen Europas umfasste und als Schutz vor einer „alliierten Invasion“ dienen sollte. Der erste Blick auf das große und mächtige Bremer Gebäude ist zunächst sehr ein-schüchternd. Die graue 20 Meter hohe Mauer, die teilweise von Efeu umrankt ist und der zwei Meter hohe Zaun davor, der an manchen Stellen mit Stacheldraht verziert ist, verstärkt dieses Gefühl. Um den Bunker herum befindet sich ein Campingplatz, der das Bild weiterhin sehr grotesk wirken lässt.

Die PlanungDer Grund für die Planung dieses Projekt war es, dass die Al-liierten – anders als die Nationalsozialisten – in der Lage wa-ren, bereits wenige Stunden, nachdem deren Schiff zerbombt und „erfolgreich“ versenkt wurde, ein neues Boot auszusenden. Die Nationalsozialisten wollten diese Befähigung übertrumpfen. Mitte des Zweiten Weltkrieges stellte sich Nazi-Deutschland zeitweise die Frage, ob man den damals laufende Seekrieg abbre-chen sollte – man entschied sich jedoch dagegen und eröffnete stattdessen den „totalen U-Boot-Krieg“. Daraufhin wurde das bis dato modernste U-Boot vom Typ XXI entwickelt, welches in einer verbunkerten Werft wie am Fließband produziert werden sollte. Die Idee hinter dem Bau war es, den Bunker so zu gestal-

Gigantisches Bremer Bauwerkauf dem Weg zur Gedenkstätte

Bremen

Der Bunker Valentin in Bremen Farge ist eine Bauruine aus dem Zweiten Weltkrieg und galt als größtes Rüstungsprojekt der Nationalsozialisten. Während des Baus sind zahlreiche Zwangsarbeiter ums Leben gekommen. Heute ist das Bauwerk ein Ort der Erinnerung des Krieges.

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in Farge durchgeführt werden: Endfertigung, Ausrüstung, Stapellauf und Probefahrt. Die Planer hatten die Absicht, die verschiedenen Segmente, die für den Bau der U-Boote hätten vorhanden sein müssen, auf dem Wasserweg anzuliefern. Ein Gleisanschluss existierte zugleich an der östlichen Bunkerstirn-wand. Hier war die Anlieferung der Kohle für das bunkereigene Elektrizitätswerk geplant. Das Ziel war, alle 56 Stunden ein neues U-Boot auszuliefern, was insgesamt, mit den extern vorbereiteten Einzelteilen, eine Herstellungszeit von nur dreißig Tagen pro U-Boot bedeutet hätte. 4.500 Zwangsarbeiter sollten dafür sieben Tage am Stück in zwei Schichten à zehn Stunden arbeiten. Aufgrund der früh-zeitigen Bombardierung des Bunkers ist es jedoch nie zu einer Anlieferung, geschweige denn einer U-Boot-Fertigung gekom-men.

Der BauFür die Ausfertigung der Planungsarbeiten wurden Zwangsar-beiter zur Baustelle deportiert, hauptsächlich Kriegsgefangene und Häftlinge. Diese kamen aus zahlreichen Lagern im Umkreis von drei bis acht Kilometern rund um Bremen, unter anderem aus dem Kriegsgefangenenlager in Schwanewede, welches Ar-beitserziehungslager und Außenlager des Konzentrationslagers Hamburg-Neuengamme war. Tagtäglich sind zwischen 10.000 und 12.000 Arbeiter in Märschen zur Baustelle gelaufen. Sie liefen teilweise auf nackten Sohlen oder nur in behelfsmäßigen Schuhen und das über mehrere Kilometer. Die Arbeiter hoben zunächst eine riesige Baugrube aus, bis sie auf den tragfähigen „Lauenburger Ton“ stießen. Obwohl bereits modernste Tech-nologien zur Verfügung standen, mussten die Arbeiter, die wie Sklaven behandelt wurden, die harten und zermürbenden Ar-beiten übernehmen. Mit teilweise nur noch 40 Kilogramm Ei-gengewicht schleppten sie bis zu 50 Kilogramm schwere Beton-Säcke, deren Staub sich in den Lungen festsetzte. Generell war das Leben der Arbeiter von großer Dürftigkeit geprägt. Einmal am Tag bekamen sie Nahrung, meistens Kohlsuppe, da vor allem Kohl aufgrund der angrenzenden Felder zahlreich vorhanden war. Selbst bei Krankheit mussten die Gefangenen ihre Arbeit weiter ausüben und wagten es aus Angst, die Mahlzeit verwehrt zu bekommen, nicht, um Hilfe zu bitten. Denn wer gestand, krank zu sein, wurde umgehend in die Konzentrationslager zu-rückgeschickt, was für die meisten den sicheren Tod bedeutete. In den Konzentrationslagern wurde den kranken Arbeitern das

Essen vollkommen entzogen, weil sie im Sinne der nationalsozi-alistischen Ideologien kein Anrecht mehr auf ein Leben hatten. Als traurige Konsequenz starben die Kranken oft schon in den darauffolgenden drei Tagen. Die Leichen der Arbeiter wurden verbrannt und die Asche in der Lagergärtnerei verteilt. Die ge-samte Todeszahl ist nicht genau beschrieben, es wird allerdings geschätzt, dass zwischen 1.100 bis 4.000 Arbeiter beim Bau vor Erschöpfung, bei Arbeitsunfällen oder durch die willkürli-chen Tötungen der Aufsichtspersonen starben. Die Aufsicht der Zwangsarbeiter übernahmen die sogenannten Kapos, deren Na-mensursprung umstritten ist. Vermutet wird die Ableitung von „Kameradschaftspolizei“, dem italienischen „il capo“ (Haupt oder Anführer) oder vom französischen Wort „Caporal“ (Kor-poral). Die Kapos, welche von der SS befördert wurden, waren Funktionshäftlinge, die zur Leitung des jeweiligen Arbeitslagers gehörten und minimale Zugeständnisse, wie zum Beispiel Alko-hol, erhalten haben. Für diesen „Luxus“ mussten sie – bewaffnet mit Knüppeln – für die Folgsamkeit der Häftlinge sorgen. Zu dieser Gruppe gehörten unter anderem Kriminelle oder politisch Inhaftierte. Außerdem übernahmen die Kapos Hilfsdienste für Soldaten, worunter besonders die Franzosen litten und deshalb zahlreiche Verluste zu beklagen hatten. Dadurch, dass die Kapos nicht wie die restlichen Häftlinge schwere Arbeiten übernehmen mussten, hatten sie meist eine höhere Lebenserwartung. Die Baumaterialien stammten aus dem gesamten Reichsgebiet. Eine besondere Art Kies wurde zum Beispiel extra aus Däne-mark angeliefert. Alles in allem wurden für den Bau eine Million Tonnen Kies und Sand, 132.000 Tonnen Zement, 27.000 Ton-nen Stahl und 60.000 Kubikmeter Beton pro Monat von Juli bis November 1944 verbraucht. Für das komplette Projekt „U-Boot Bunker Valentin“ beliefen sich die Gesamtkosten auf 120 Mil-lionen Reichsmark. Joseph Goebbels besuchte die Baustelle um den Bunker Valentin 1944 und war begeistert.

Die BombardierungIn den Karten wurde der Standort Valentins als Wiese einge-zeichnet, obgleich das riesige Bauwerk auch aus weiter Entfer-nung leicht zu entdecken war. Trotzdem warteten die Alliierten bis kurz vor Kriegsende mit dessen Bombardierung. Am 27. März 1945 bombardierte die britische Luftwaffe den Bunker Valentin mit dreizehn Zehn-Tonnen-Bomben. Zwei fielen durch die Decke, die damals noch nicht ausreichend verstärkt wor-den war, und richteten großen Schaden an. Am 30. März 1945

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Das 21. JahrhundertBereits in den Neunzigern gab es die ersten Delegationsbesuche von Überlebenden oder Angehörigen. Von 1999 bis 2005 war der Bunker Valentin eine Spielstätte des Bremer Theaters. Die Künstler spielten auf mehreren Bühnen in einem bestimmten Bunker-Bereich, der inzwischen nicht mehr betretbar ist. Auf-grund des Risikos von herabstürzenden Trümmern beendete man schließlich die Gastauftritte. Die letzten Reste des Theaters sind jedoch noch heute zu sehen. Seit 2010 befindet sich der Bunker in der Vorbereitung zum Denkort und seit Mai 2011 ist er offizi-ell eine Gedenkstätte. Bis das Projekt komplett abgeschlossen ist, müssen noch einige kleinere Arbeiten, wie zum Beispiel ein aus-gebautes Wegesystem, durchgeführt werden. Dieser Ort leistet politische Bildungsarbeit für alle Gesellschaftsschichten und Al-tersklassen, schulisch und auch außerschulisch. Das Projekt, aus dem Bunker einen Denkort zu machen, ist über fünf Jahre aus-gelegt. 3,8 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung, wovon eine Hälfte der Staat, insbesondere Kulturstaatsminister Bernd Neumann, und die andere Hälfte das Land Bremen trägt. Die Besucher müssen während ihres Besuches im baufälligen Bunker aus Sicherheitsgründen Bauhelme tragen. Heute ist der Bunker circa 412 Meter lang und damit das längste Gebäude Bremens. Im Eingangsbereich steht ein großes Mahnmal, das all den Op-fern und dem Schrecken des Nationalsozialismus gedenken soll. Inzwischen ist der Bau dieses Bunkers fast 70 Jahre her und die Baustelle ist so überwuchert, dass diese sowie die Lager nur noch mit guten Ortskenntnissen zu finden sind. Unübersehbar ist und bleibt Valentin, weshalb er als Ort für die Gedenkstätte gewählt wurde. Wie jedes verlassene Bauwerk hat auch dieses seine My-then und Geheimnisse. Unterirdische Gänge werden vermutet und an manchen Stellen sind nackte Fußabdrücke im Zement zu erkennen sowie Unterschriften der vielen Arbeiter, die Teil des Baus dieses Giganten waren. Mittlerweile ist nicht mehr das gesamte Bunkerareal betretbar. Vermutlich ist aus genau diesem Grund ein kleiner Bereich zu einem der größten Winterquartiere für viele verschiedene Fledermaus-Arten geworden. 2009 zähl-te man dort 4.500 Tiere. Den geplanten U-Boot-Typ XXI kann man mittlerweile in Bremerhaven besichtigen – die „Wilhelm Bauer“ ist weltweit das einzig Erhaltene seiner Art.

warf dann die amerikanische Luftwaffe abermals zweiundsechzig Zwei-Tonnen-Bomben ab, die zwar das Gebäude an sich nicht weiter zerstörten, dafür aber die umliegende Baustelle. Die Ar-beiter wurden noch von den Nationalsozialisten evakuiert und auf sogenannte „Todesmärsche“ zurück in die Konzentrations-lager geschickt. Neben der Beschlagnahmung des Bunkers und zahlreicher Industriebetriebe Bremens – darunter die Deschi-mag AG Weser und die Bremer Vulkan AG – am 07. Mai 1945, führte auch die Zerstörung zum Abbruch des Projektes U-Boot-Bunker Valentin. Nachdem am 20. Mai 1945 der Bunker wieder freigegeben wurde, entfernten die Deschimag AG Weser und die Bremer Vulkan AG ihre Maschinen von der Baustelle.

Die NachkriegszeitAb 1946 nutzten die Briten und die Amerikaner den Bunker im Zuge des „Project Ruby“, um neu entwickelte Bomben zu testen. Diese schadeten dem Bunker jedoch in keinster Weise. Wohl aber den Anwohnern, die sich durch die Bombardierung bedroht fühlten. 1948 sollte Valentin mit Bauschutt aus dem Bremer Westen zugeschüttet werden um dort nutzbare Hügel und ein Ausflugslokal zu errichten. Aufgrund der hohen Kosten wurde dieses Vorhaben jedoch schnell wieder verworfen. Eine weitere Idee war, den Bunker zu sprengen. Doch auch dieses Streben wurde aufgrund zahlreicher Proteste der Anwohner so-wie von Professor Bock, Inhaber der Arbeitsgemeinschaft „Agatz & Bock“, die während des Bunker-Projektes das Amt der Baulei-tung innehatten, und von Dr. Erich Lackner, dem bauleitenden Ingenieur, abgewendet. Beide sahen den Bunker als ihr Lebens-werk an. Immer wieder kam die Frage auf, was mit dem unvollständi-gen Bauwerk geschehen sollte. Die Alliierten schlugen vor, den Bunker als Lagerfläche oder für die damals aufstrebende Ato-mindustrie zu verwenden. Nichts von diesen Anregungen trat in Kraft, sodass der Bunker in den fünfziger Jahren zunächst in Vergessenheit geriet und innerorts als nicht ganz unge-fährlicher Spielplatz für die Kinder und Jugendliche diente. In den sechziger Jahren wurden schließlich Teile des Bunkers von der Bundesmarine übernommen, was bis zum Einzug 5 Millionen Deutsche Mark verbrauchte. Im Oktober 1966 wurde das „Marinematerialdepots 2 Teildepot Bremen-Farge“ eröffnet. Jedoch wurden im Dezember 2010 die Unterhalts-kosten im Bunker zu hoch und der Standort, der ohnehin nur ein Unterdepot war, wurde schlicht nicht mehr benötigt.

Text: Neele Meyer, Katharina DellingFoto: Neele Meyer (S. 27), Landeszentrale für politische Bildung/Staatsarchiv Bremen (S. 28/29).

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Es ist Sommer, in den Straßenbahnen ist es warm und sti-ckig und die Busse sind überfüllt. So manch Studieren-der fährt da doch lieber mit dem Fahrrad zur Uni oder

geht gleich zu Fuß. Dabei führt der Weg die Meisten durch den Stadtwald und den Bürgerpark nahe der Uni. Dort erstreckt sich, mitten im Herzen Bremens, eine gewaltige Grünfläche, die gerade im Sommer einen ruhigen Gegenpol zum urbanen Tru-bel bietet.Grüne Wiesen laden zum Entspannen ein, befestigte Waldwe-ge zum Spazieren oder Joggen. Und auch das Freizeitangebot der Grünanlagen ist breit gefächert: Von Bootsverleih über Minigolf bis hin zur Open-Air-Bühne gibt es für jeden Geschmack etwas. Da sich Bürgerpark und Stadtwald zusammen über mehr als 200 Hektar erstrecken, bleibt dabei auch genügend Platz für alle Park-besucher. Wie das einstmalige Weideland, aus dem der Bürgerpark entstand, zum Eigentum der Bremer Bürger wurde, wird seither in einer Legende überliefert. Dernach soll im Jahre 1032 die Gräfin Emma von Lesum den notleidenden Bremern so viel Weideland versprochen haben, wie ein Mann im Laufe eines Tages umschrei-ten kann. Der missgünstige Schwager der Gräfin fürchtete aber um seinen Erbteil an Ländereien und habe daraufhin einen Krüppel erwählt, das Land abzuschreiten. Dieser schaffte es jedoch, wie von Zauberhand, den Bremern die erhoffte Weidefläche zu sichern. Die Gräfin stand zu ihrem Wort und bis heute finden sich in Bürger-park und Stadtwald zahlreiche Figuren und Gedenktafeln, die an ihre Mildtätigkeit und Großzügigkeit erinnern. Neben dem vielseitigen Freizeitangebot ist der Bürgerpark aber auch seit jeher ein Beispiel erfolgreicher Bürgerinitiative. Die Ent-stehung des Parks reicht bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhun-derts zurück. In dieser Zeit wurden die Grünanlagen und Liegewie-sen von der Initiative „Comité für die Bewaldung der Bürgerweide“ unter der Leitung Justin Friedrich Wilhelm Lönings organisiert und gestaltet. Das Besondere an der Geschichte des Parks ist die Verwaltung der Anlage durch Bürgerhand. Wurden anderenorts Parks oft nur für den Adel geschaffen und lediglich später für alle Bürgerinnen und Bürger geöffnet, so entstanden Bürgerpark und Stadtwald auf den Wunsch der Bremer nach Erholungsplätzen. Während in anderen Städten in der Regel mehrere Privatinvestoren oder die Stadtverwaltung als Träger der Parks auftreten, werden die Bremer Parkanlagen bis heute über Parkverein und Bürgerinitia-

tiven verwaltet, organisiert, gestaltet und über Spenden finanziert. Damit ist der Bürgerpark einzigartig in Deutschland und vereint Bremerinnen und Bremer aller Altersklassen und Gesellschafts-schichten. Die jährlich zum Erhalt des Parks benötigten Gelder be-laufen sich auf über zwei Millionen Euro. Da diese Summe durch Spenden nur schwer zu erzielen ist, veran-staltet der Parkverein jährlich über mehrere Monate eine Tombola und verkauft an zahlreichen Buden überall in der Stadt Lose. Die Verkaufsbuden nehmen in der Innenstadt allerdings viel Raum ein und sind daher nicht bei allen Bremern gern gesehen, für den Erhalt des Stadtparks sind sie jedoch ein wichtiges Standbein. Jen-seits dieser sozialen Aspekte ist der Park jedoch auch von großer ökologischer Bedeutung für die Stadt Bremen. Stadtwald und Bür-gerpark bieten mit ihren Seen, Wildwiesen und Waldgebieten ein wichtiges Refugium für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten. Rehe, Füchse und Wildschweine leben in den Parks und Wäldern und fin-den hier einen wichtigen Rückzugsort. Ohne die weitläufigen Grünanlagen wären diese Tiere schon längst aus Bremen verschwunden. Des Weiteren sorgen die vielen Pflanzen in der Stadt für frische Luft, regulieren das Stadtklima und filtern Lärm und Smog. Bürgerpark und Stadtwald sind Bremens größte zusammenhängende Grünanlagen und für die Stadt von großer Be-deutung. Ihr Fortbestehen kann allerdings nur von den Bürgerinnen und Bürgern gesichert werden. Wenn ihr das nächste Mal durch den Park kommt, denkt doch einmal darüber nach, was Bremen ohne ihn wäre. Wir nehmen diese wunderbaren Grünanlagen einfach als gegeben hin und erfreuen uns an ihnen, dabei ist der Bremer Bürgerpark als Bürgerprojekt entstanden und kann auch nur als solches weiterbe-stehen. Wenn euch der Park am Herzen liegt, dann gibt es genügend Möglichkeiten, sein Fortbestehen mit zu unterstützen und so wird der nächste Weg durch den Park auch von dem guten Gewissen begleitet, selbst ein Stück zur Erfolgsgeschichte dieser wundervollen Grünanlagen beigetragen zu haben.

Text: Jan-Hagen RathFoto: Jan-Hagen Rath

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Grünflächen und Parks prägen das Bremer Stadtbild. Der Scheinwerfer geht den Ursprüngen dieses grünen Stadtcharakters auf den Grund undhat sich in Bürgerpark und Stadtwald mal etwas genauer umgesehen.

Bremens grüne Lunge

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Breminale, das bedeutet Live-Musik in Zirkuszelten, „umsonst und draußen“, fünf Tage musikalische Vielfalt, Jongleure, Feuerspucker, Theater, Öko-Dorf, Fair Trade, Finanzlücken und einen hartnäckiger „schlecht-Wetter-Mythos“, der das Wasser auch schon mal von allen Seiten heraufbeschwört. So wie vor einigen Jahren, als sich die Weser zum Mitfeiern direkt auf das Festivalgelände begab.

Bremen

Text: Elisabeth Schmidt Foto: Dieter Röseler (links), Lars Kaempf

Das Ende der Weserlust 1983 war gleichzeitig auch der Anfang ei-nes neuen Festivals. Konzerte in Zirkuszelten direkt am Osterdeich, das ganze kostenlos und schwellenfrei, machten die Breminale in den letzen Jahren auch außerhalb Bremens bekannt. Seit 25 Jahren bietet das fünftägige Open-Air Kulturfestival an den Osterdeich-wiesen großen und kleinen Bands eine besondere Plattform. Hin-ter den Kulissen des immer größer werdenden Festivals steht, im Vergleich zu den Besucherzahlen, ein wesentlich kleineres Team, das sich jedes Jahr aufs neue der Herausforderung annimmt, Spon-soren für die eintrittsfreie Breminale zu gewinnen sowie regionale, nationale und internationale Bands an die Weser zu locken. Ihren 25. Geburtstag feierte die Breminale vom 11. bis 15. Juli mit 100 Bands und etwa 200.000 Besuchern.

Als die Weserlust, ein mehrtägiges Kulturfest mit Kunstaktionen, und Ausstellungen, eingestellt wurde, bildete sich eine Initiative im Viertel, um ein stadteigenes Festival auf die Beine zu stellen. Aus der Initiative „Kulturkooperative Bremen e.V.“ wurde die AG Breminale. Horst Franke, der damalige Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst, unterstützte die Breminale mit 100.000 Deutschen Mark. Für das damals geplante Festival reichte dieser Betrag aber noch nicht aus, deswegen wurde die Breminale erst 1987 eröffnet. Die Finanzierung des eintrittsfreien Kulturfestivals ist auch heute noch ein Problem. „Wir zittern jedes Jahr aufs Neue, um die Breminale“, sagt Max Maurer, der Projektleiter der Bre-minale. 2001 stand die Breminale vor dem Aus, die Kalkulation ergab ein Minus von 25.000 Euro. Als bekannt wurde, dass die 15. Breminale nicht stattfinden würde, erklärte sich der Energiever-sorger swb bereit, die fehlende Summe zu zahlen und unterstützt die Breminale seitdem als Sponsor. Nur vier Jahre später zog sich die Stadt aus der Finanzierung zurück. Die dadurch entstandene Finanzierungslücke war zu groß, sodass es kein Festival auf dem Osterdeich gab. Auf den Ausfall der Breminale folgten eine ganze Menge Hilfs- und Kooperationsangebote. Seit zwei Jahren wird das Festivalgelände von einem symbolischen Spendenzaun geteilt, an dem man das Festival mit einem eigens gewählten Betrag unterstüt-zen kann. Der „Zaun“ ist etwa in der Mitte des Festivalgeländes. Er besteht aus einer quadratischen Stahlkonstruktion mit Stoffbah-nen, die sich quer über die Breminale erstreckt. „Damit wollen wir spielerisch daran erinnern, dass die Breminale kostenlos ist“, so Maurer. Durch diese Aktion sind im ersten Jahr 16.000 Euro Spen-den zusammen gekommen. Das große Rubbellos stellt eine weitere Spendenquelle dar, die Gewinne werden von den Sponsoren und Partnern gestellt. Gewinnen konnte man unter anderem Fahrräder

und wetterfeste Umhängetaschen. Für zwei Euro kann man ein Los kaufen und dann eine kleine Fläche auf dem 39 Meter langem und 1,60 Meter hohen Los freirubbeln. Eine weitere Spendenmöglich-keit auf dem Festivalgelände sind die Fotos der Besucher mit dem Untertitel „Breminale Supporter“. Die Besucher konnten dort als „Zirkusdirektor“ mit den Tieren posieren, die auf dem diesjährigen Plakat zu sehen waren.

Dieses Jahr traten 100 Bands bei der Breminale auf. Die verschie-denen regionalen, nationalen und internationalen Künstler unter einen Hut, beziehungsweise unter ein Zirkuszelt, zu bekommen, ist mit einem großen organisatorischen Kraftakt gleichzusetzen. Allein der Veranstaltungsort, die Osterdeichwiesen, fordert das Planungs-talent der Organisatoren heraus. „Es ist ein schwieriges Gelände, es gibt keinen Strom und keine Wasseranschlüsse, aber vom Flair her, ist es grandios“, weiß Maurer. Das Kulturfestival direkt an der We-ser hat sich sogar, mehr oder weniger unfreiwillig, bei Google Maps verewigt. Wer bei dem Portal den Osterdeich in Bremen eingibt, sieht auf dem Bild die Zelte der Breminale.

Die Anfänge des Kulturfestivals wurden von einem tragischen Er-eignis überschattet: Gleich bei der ersten Breminale gab es einen Todesfall. Bei einem Feuerwerk wurde eine Rakete vom anderen Ufer der Weser angezündet, diese traf am Osterdeich einen Besu-cher der Breminale. Seit dem tragischen Start wurden Feuerwerke weitgehend aus dem Programm der Breminale verbannt, die Weser wird aber weiterhin mit in das Festival einbezogen. Auf der MS Treue kamen Bands und Besucher der Weser ein Stück näher. Ein Katamaran, beladen mit einem blauen Kamel, fuhr das Festival auf dem Wasserweg ab. Die kleinen Breminalegänger konnten auf einer Kogge Piratenfahrten machen. Wem es im Zelt zu voll wurde, der tobte sich dieses Jahr auf dem Tanzboden aus, der zwischen Welt-bühne und Hofnarr zu finden war und von Tanzschulen betreut wurde. Das „Ökodorf“ wurde auf dem Festivalgelände erweitert, genauso wie das Deichbankett, der einzige Programmpunkt der Breminale, für den man tatsächlich eine Karte braucht.

Ein extra abgestimmtes Programm zum 25. Geburtstag der Bre-minale suchte man dagegen vergeblich: „Wir freuen uns jedes Jahr über die Breminale, da gibt es keinen Grund, die 25 noch extra mit Torte zu feiern“, meint Maurer. Bei 100 Bands wäre eine Torte wahrscheinlich auch überflüssig gewesen oder im Trubel unterge-gangen. Ein Großteil der Bands kommt aus dem Bremer Umland, viele bewerben sich direkt bei der Breminale. Mit den Direktbewer-

bern setzt sich Susanne von Essen, von der künstlerischen Leitung auseinander. Der Kontakt zu nationalen und internationalen Bands kommt über die Kooperationspartner Bremen Vier, Schwankhalle und Lagerhaus zustande. Max Maurer sieht in der Breminale eine gute Plattform für Bands, ganz unabhängig vom Bekanntheitsgrad: „Wie oft geht man schon auf ein Konzert von einer eher unbe-kannten Band? Bei der Breminale schaut man einfach, wer so spielt und auch für bekanntere Bands ist es eine gute Werbung.“ Mirja Klatte, die Assistentin der Projektleitung, ergänzt noch einen an-deren Aspekt: „Es macht eine bekannte Band auch symphatisch, wenn sie auf einem Event wie der Breminale auftreten.“. Zu den „großen“ Bands auf der Breminale gehörten Flo Mega, Joy Denala-ne, Pohlmann, Jupiter Jones, Miss Platnum, Curse und Anfang der 90er Jahre sogar Green Day, damals waren sie aber noch nicht so populäre wie heute. „Einige größere Künstler stehen dem Festival etwas kritisch gegenüber, aber wenn sie erst mal hier waren, schät-zen sie die Breminale sehr“, so Maurer. Er erinnert sich noch an ein Interview von Selig, die nach dem Konzert begeistert waren von dem Flair und sich bei der guten Stimmung mit der Anzahl der Besucher glatt um eine Null nach oben verschätzt hatten. Durch die Zusammenarbeit mit dem Bremer Bandwettbewerb „Live in Bremen“ treten an den Osterdeichwiesen auch Bands aus Schwe-den, der Türkei, Norwegen, Großbritannien, Spanien, Indien und den USA auf.

In die Sparte regionale Bands gehören Avery Mile und De fofftig Penns. Die fünfköpfige Band Avery Mile kommt aus dem Bremer Umland, ihre Songs sind in der melodischen Pop- und Rockmusik zu Hause. 2010 waren sie im Finale des New Music Award und sind bei der Popkom im Hangar des alten Flughafens Tempelhof aufgetreten. Avery Mile waren schon 2009 bei der Breminale und haben dort Pohlmann getroffen: „Wir haben mit ihm Wein getrun-ken und ihm anschließend das Viertel gezeigt.“ Ein Stadtrundgang der besonderen Art sozusagen. Für Avery Mile ist es als Bremer Band ein Muss, bei der Breminale dabei zu sein. Egal, ob nur zum zuschauen oder als einer der auftretenden Acts: „Der Reiz liegt häu-fig darin, einfach ungeplant über das Gelände zu gehen und da stehenzubleiben, wo einen die Musik kickt, so lernt man wirklich gute Bands kennen. Nämlich die, die live überzeugen.“

Die drei Bandmitglieder von De fofftig Penns sind dieses Jahr zum ersten Mal auf der Breminale aufgetreten. Ihre Musikrichtung nen-nen sie Dialektro – eine Verbindung aus Elektro-Hip-Hop und Plattdeutsch, was auch den Bandnamen erklärt. Der Name De foff-tig Penns hat nichts mit einer plattdeutschen Übersetzung von 50 Cent zu tun. Die Gruppe erklärt das Ganze so: „Es hängt mit alten Küstenredensarten wie ‚50 Penns sünd Bremer Recht‘ oder ‚Wer andern eine Grube gräbt, kriegt 50 Penns‘ zusammen.“ De fofftig Penns sind große Fans der Bands von Grillmaster Flash und Dogs Run Free, die 2009 bei der Breminale aufgetreten sind.

Max Maurer ist als Bremer praktisch mit der Breminale groß gewor-den. Das Festival war für ihn der ausschlaggebende Grund, der ihn letztendlich dazu bewegt hat, Kulturwissenschaft zu studieren. Seit 2008 ist er Veranstalter und „Macher“ des Kulturfestivals, vorher hat er bei der Schwankhalle gearbeitet. Mirja Klatte legte eine Pause in ihrem Kulturwissenschaftsstudium ein, um die Breminale mit zu organisieren. Seit Februar arbeiteten sie intensiv an dem Kulturfesti-val. Und wenn sie nicht selbst während der Breminale genug zu tun hätten, wären sie auf jeden Fall zu den Konzerten von Me and my Drummer und Oliver Schories & Mila gegangen.

Das Plakat von 2008 verband die Breminale zum ersten Mal mit den Bremer Stadtmusikanten. Ein Kulturfestival mit dem Schwerpunkt Musik, da liegen die Bremer Stadtmusikanten als Symbolfiguren ei-gentlich nahe. Auf die Idee kamen aber keine Bremer sondern die Hamburger Designfirma Giraffentoast, die seit vier Jahren für die Plakate der Breminale immer wieder eine neue tierische Hommage an die altbekannten Musikanten von Bremen kreiert. Das Plakat von 2008 beispielsweise spielte mit dem scheinbar festhaftenden Regenwetter-Mythos der Breminale: Der Esel trägt, wie ein gut vor-bereiteter Festivalgänger, gelbe Turnschuhe und auf dem Kopf des Hahns tanzt eine Person mit Regenschirm.

25 Jahre Musik und Kultur auf den Osterdeichwiesen

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Die Bands Avery Mile (links) und De fofftig Pennis waren Teil des 25. Geburtstags der Breminale.

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Sinti, Roma, „Zigeuner“, „fahrendes Volk“… was sind sie nun eigentlich, unsere Mitbürger? Seit wann leben sie in Bremen und was haben sie seitdem erlebt? Was unterscheidet

sie von den Nicht-Sinti? Das haben Romano Hanstein, der erste Vorsitzende des Sinti-und-Roma-Vereins in Bremen, und Dardo Balke, der für den Landesverband der Sinti und Roma in Bremen und die Beratungsstellen in Bremen und Bremerhaven tätig ist, dem Scheinwerfer erzählt.

D e r B e G r i f f S i N T i

romano Hanstein: Sinti und Roma kommen ursprünglich aus Indien. Von dort sind sie vor circa 600 Jahren ausgewandert und haben sich praktisch auf der ganzen Welt verteilt. Der Unter-schied zwischen Sinti und Roma fängt schon mal da an, dass Sinti meistens aus den deutsch-sprachigen Gebieten kommen. Roma sind die größere Gruppe, die im Balkan überall verteilt sind. Wir sprechen beide die glei-che Sprache: das Romanes. Aber es gibt natürlich Unterschiede im Dialekt. Wenn man seit 600 Jahren in Deutschland lebt, gibt es in der Sprache eines deut-schen Sinto natürlich auch deutsche Wörter. Aber im Ursprung können sich alle verständigen. Es ist natürlich so, dass die Sinti und Roma sich den jeweiligen Ländern, in denen sie leben, an-gepasst haben. Zum Beispiel beim Thema Religion. Ich werde oft gefragt: Was habt ihr denn für eine Religion? Dardo Balke: Im Norddeutschen Raum sind die meisten Sinti deshalb evangelisch und im süddeutschen Raum katholisch. Es gibt mittlerweile auch Gemeinden. Die Sinti-Kultur wird dort in die Gemeinte eingebracht: Die Musik ist zum Beispiel viel fröhlicher, es wird viel in die Hände geklatscht, ähnlich wie in einer Gospelgemeinde. In Bremen kann man sich so etwas zum Beispiel sonntags immer um 16 Uhr in der Woltmershauser Straße 286 ansehen.

K U LT U r U N D S P r A C H e

Dardo Balke: Die Kultur der Sinti ist die Sprache, die sie bis heute behalten haben. Die Sprache wird nur mündlich weiter-gegeben. romano Hanstein: Sinti und Roma wurden immer verfolgt und es war praktisch eine Art Schutz, dass die Sprache nicht schrift-lich niedergelegt ist, damit kein Nicht-Sinti sie lernen und man sich trotzdem immer untereinander verständigen kann.

Dardo Balke: Also die Sprache und dann die Roma-Musik, die immer weiter getragen worden ist und die auch beliebt ist. Dann haben wir die Sinti-Musik, die gibt es erst seit 1930. Aber die richtige traditionelle Roma-Musik ist überall auf der gan-zen Welt zu finden. Große Künstler wie Tchaikovsky haben sich dort Inspiration geholt. Wenn wir jetzt von Sinti-Swing hören, das Musikgenre Hot Swing, das ist die Musik der deutschen Sinti.romano Hanstein: In den 30er Jahren gab es ja diesen berühm-ten Gitarristen Django Reinhardt, der die Musik der Sinti sehr beeinflusst hat. Deswegen spricht man heute vom „Zigeuner-jazz“. Aber die Ursprungsmusik von uns kommt eigentlich von

den Roma: Die spanische Musik und Flamenco. Auch die Spani-er sagen, dass das unsere Musik ist. Diese Tänze sind unsere Tänze.

„ Z i G e U N e r “

romano Hanstein: Weißt du, warum wir nicht möchten, dass wir Zigeuner genannt werden? Wenn du vor einigen Jahren den Duden aufgemacht hast, stand da „Zigeuner = ziehender Gauner“. Und wir sind einfach

keine ziehenden Gauner. Wir sind Sinti oder Roma. Aber es ist so, dass viele leider mit dem Begriff Sinti und Roma nichts an-fangen können. Privat werde ich zum Beispiel oft gefragt: „Was bist du denn für eine Nationalität?“. Ich mach mir da meistens einen Scherz draus und sage „Rate mal!“ Die Leute raten und ich habe schon alles Mögliche gehört, aber die kommen niemals da-rauf, was ich eigentlich bin. So und dann sag ich, ich bin Sinto. Wenn sie mich daraufhin ratlos angucken, sag ich „Sinti“. Wis-sen sie dann immer noch nicht: „Sinti und Roma“. Und dann muss ich notgedrungen sagen „Ja, ich bin Zigeuner.“ Dardo Balke: Und dann kommt die Antwort „Ist doch nicht schlimm. Das sind auch Menschen“ oder „Hätt ich nie von dir gedacht!“.romano Hanstein: Genau. Manchmal sag ich deshalb auch „Ich bin Deutscher.“ Stimmt ja auch. Ich bin Deutscher. Da lachen die, „du bist doch kein Deutscher“. Aber wieso bin ich kein Deutscher? Nur weil ich ein bisschen dunkler bin, schwarze Haare und braune Augen habe?

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D i e G e S C H i C H T e

romano Hanstein: Im Mittelalter waren die Zigeuner in Deutschland vogelfrei. Dardo Balke: Das heißt, ein Jäger durfte sie abschießen. Sie haben in den Wäldern gelebt, sie mussten in Lagern wohnen. Und dann haben sie angefangen: Puppenspieler, Zirkus, Kasper-letheater, Kupferschmied, Korbmacher, Schleifer. Das kam doch alles aus diesen Zeiten – und hat sich bis heute fortgesetzt. Der Sinto ist einer, der überlebt. Der es geschafft hat. Bis heute. Ein Überlebenskünstler. Und dass es ihn noch gibt, das ist ja schon ein Wunder. Er ist einzigartig auf der ganzen Welt. Der soge-nannte „Zigeuner“ hat bis heute noch nicht einen Krieg geführt. Trotzdem hat er gelernt, zu kämpfen. Er hat sich angepasst. romano Hanstein: Und die Bremer Geschichte: Wie das nun genau vor 600 Jahren war, kann ich natürlich nicht sagen. Vor dem Zweiten Weltkrieg sind die Leute noch viel gereist. Da gab es viele Leute, die keinen festen Wohnsitz hatten und durch ganz Deutschland und Europa gereist sind. Das hat sich dann in den 50er, 60er Jahren geändert. Da wurden die Sinti richtig sesshaft und haben ihre Wohnungen gehabt. Sie sind dann auch noch gereist, weil das Reisen zur Tradition gehört. Aber in Deutsch-land gibt es ja eine Schulpflicht, von daher wurde nur noch in den Schulferien gereist. Nach dem Krieg in den 50er Jahren gab es in Woltmershausen bei Riespot ein Gelände, das den Sin-ti zugewiesen wurde. Dort standen teilweise Wohnwagen und Hütten, in denen sie sich angesiedelt haben. Bis irgendwann he-rauskam – und das war natürlich auch ein Ding der Unmöglich-keit – dass dieser Platz ein Nebenlager von einem ehemaligen Konzentrationslager war. Daraufhin haben sich dann Leute or-ganisiert, Sinti und Nicht-Sinti, und dafür gesorgt, dass sie von dem Platz wegkommen und sich in Bremen verteilen können.

N A T i O N A L S O Z i A L i S M U S

romano Hanstein: Die Zigeuner wurden damals von der Arbeit weggeholt. Die haben dann geschrieben „KZ, verhaftet worden. Grund: arbeitsscheu“. Das war natürlich Blödsinn. Die Leute wurden aus dem Grund verhaftet, dass sie einfach nicht arisch, sondern Zigeuner waren. Es ging los zwischen 1933 und 1935. In Bremen wurden sie zum Beispiel alle am Schlachthof gesam-melt, wo heute eine Gedenktafel ist. Einige, die die finanziellen Möglichkeiten hatten, sind geflüchtet. Aber die meisten hatten keine Chance und sind dann in die Lager gekommen. Die Sinti

sind nach den Juden die zweitgrößte Gruppe der Verfolgten im dritten Reich. Es wurden 500.000 Sinti und Roma umgebracht. Das ist auch ein Teil unserer Arbeit, nicht nur Erinnerungsarbeit sondern auch Aufklärung. Bei Berichten wird meistens nur über Juden berichtet. 6 Millionen Juden wurden umgebracht. Was na-türlich schlimm genug ist. Aber was man nicht vergessen darf, ist, dass es auch noch andere Gruppen gab, wie zum Beispiel uns, die Sinti und Roma, aber auch behinderte Menschen, Homose-xuelle, politisch Verfolgte und so weiter. Von diesen Menschen hört man selten irgendetwas. Es gibt keine Zahlen, aber es sind nicht mehr viele Sinti zurückgekommen nach Bremen. Sie haben teilweise dann von ihrer Familie gar nichts mehr vorgefunden, weil die ja alle umgebracht wurden. Mein Vater zum Beispiel hat-te acht Geschwister und war der einzig Überlebende von seiner ganzen Familie.

Die Sinti,ein Volk von Überlebenskünstlern

Bremen Bremen

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Wenn ihr noch mehr erfahren wollt, hier ein paar Empfehlungen:

Literatur

Ewald Hanstein: „Meine hundert Leben“Der Autor ist der Vater von Romano Hanstein und ehemaliger Vorstand des Sinti-Vereins

Musik

Wawau AdlerThe Swing Kids

Veranstaltung

Das Gypsy-Festival.7. und 8. September im Schlachthof

Romano (links) und Dardo im Sinti-Verein Bremen

Denkmal für alle verschleppten und ermordeten Sinti und Roma vor dem Schlachthof in Bremen

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D i S K r i M i N i e r U N G

romano Hanstein: Früher gab es Schilder an den Campingplät-zen in Deutschland, auf denen stand: „Landfahrer und Zigeuner nicht erwünscht“. Dann hat man sich damals dafür eingesetzt, dass diese Schilder wegkommen. Aber die Schilder hängen immer noch – in den Köpfen der Leute nämlich. Das ist das Problem. Das heißt, du kannst vielleicht dafür sorgen, dass solche Schilder wegkommen oder dass irgendwas im Gesetzbuch steht. Aber es ist leider noch oft so, dass solche Blockaden, solche Vorurteile, bei den Leuten bestehen. Deswegen ist es für uns als Verband sehr wichtig, dass wir in die Schulen gehen, schon in der Grund-schule angefangen, und dort versuchen, die Kinder aufzuklären. Dardo Balke: Wenn man die Leute gefragt hat, was sie über Zigeuner wissen, haben die gesagt „Ja weiß nicht, die fahren mit dem Wohnwagen ‘rum, ist ein schönes Leben. Würde ich auch gerne machen.“ Lustiges Zigeunerleben. Das ist den meisten im-mer eingefallen, weil man sich das immer herausgepickt hat. Das Lagerfeuer, die Musik, die roten Röcke mit den weißen Punkten und die Wahrsager. Das ist alles geblieben bis heute. romano Hanstein: Also was er damit sagen will ist: Es ist immer noch nicht vorbei. Selbst nach so vielen Jahren gibt es immer noch viel zu tun.

W Ü N S C H e

Dardo Balke: Ich würde mir mehr Interesse wünschen. Dass die Vorurteile gegen diesen Oberbegriff Zigeuner aufhören und dass man sich informiert, wenn man von Sinti und Roma hört.

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Bremen

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Dardo Balke: In den 60er Jahren ging das mit der Wiedergut-machung los. Den Juden wurde Wiedergutmachung gezahlt und den Sinti wurde gar nichts gezahlt. Deshalb haben sie sich aufgemacht und Verbände gegründet. Und dann haben sie an-gefangen, Gelder zu beantragen, was eine sehr schwere Arbeit

Aufgezeichnet von: Carolin KaiserFoto: Carolin Kaiser (S. 32, S. 34), Katrin Pleus (S. 33), Donat Verlag und Wawau Adler (S. 33)

Bremer Sinti-Verein e.V. Herdentorsteinweg 41 28195 Bremen Tel.: 0421-541014 Fax : 0421-541015 e-Mail: [email protected]

Bei Fragen:

Bremerhavener Sinti-Verein e.V. Auf den Sülten 18 27576 Bremerhaven Tel.: 0471-503208 Fax : 0471-503208

„ Es wurde ganz lange – und das ist ganz wichtig zu wissen – der Völkermord an den

Sinti und Roma nicht anerkannt.

Dardo Balke

war. Denn es wurde lange gesagt, dass Zigeuner in die Lager geschickt wurden, weil es Kriminelle waren. Es wurde ganz lan-ge – und das ist ganz wichtig zu wissen – der Völkermord an den Sinti und Roma nicht anerkannt.romano Hanstein: Mein Vater hat über 25 Jahre für eine Ren-te von 500 Deutschen Mark gekämpft, als Wiedergutmachung. Es ging ihm eigentlich nur ums Prinzip. Denn mit 500 DM im Monat wirst du nie wieder gutmachen können, dass sie dir deine ganze Familie genommen haben. Es ging einfach nur um das Recht, dass das anerkannt wird. Bis vor zehn Jahren waren immer noch Leute dabei, die nichts bekommen haben. Leute, die immer noch darum kämpfen mussten, dass der Völkermord an den Sinti und Roma überhaupt anerkannt wird. Viele Leute waren sogar schon verstorben, bevor sie etwas bekommen ha-ben. Und das sehen wir praktisch nochmal als zweite Verfolgung an unserem Volk. Dass man da noch hinterherlaufen muss und sagen muss „Hallo, bei uns ist auch eine halbe Million umge-kommen.“ Das war wirklich eine schwierige Zeit.Dardo Balke: Das ist heute noch eine schwierige Zeit.romano Hanstein: Jetzt sind die Gräber der Überlebenden des Nationalsozialismus, die als Denkmäler anerkannt werden sol-len, ein aktuelles Thema. Das ist immer noch nicht durch und dafür kämpfen wir jetzt schon ein paar Jahre. Normalerweise muss es selbstverständlich sein, dass das geehrt wird und als eine Art Erinnerung bleibt, damit so etwas nie wieder passiert.

Poster einer ehemaligen Ausstellung über Sinti in Bremen.

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Börsengang, Mitgliederrekorde, Datenschutz: Facebook ist in aller Munde und bestimmt die mediale Berichterstat-tung über die digitalen Phänomene unserer Zeit. Auch

an der Universität Bremen nimmt Facebook einen nicht zu un-terschätzenden Teil im Alltag vieler Studierender ein. Aber es ist nicht das einzige internationale Internetprojekt, das Anstalten macht, die Welt zu verändern. Auch Wikipedia, die freie En-zyklopädie, kann auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken, mit der sie zu einem wichtigen Bestandteil der digitalen Revolution geworden ist. So selbstverständlich sie von vielen genutzt wird, so ist der Blick auf ihre Inhalte oft zu kritisch und manchmal auch zu unkritisch. Aber was genau steckt eigentlich in und hin-ter dem Phänomen?

Die Wikipedia wurde von Jimmy Wales und Larry Sanger im Januar 2001 gegründet. Ursprünglich war sie als begleitendes Forum für Anregungen und Ideensammlungen für die Nupedia vorgesehen, eine rein auf wissenschaftlicher Arbeit basierende Online-Enzyklopädie. Diese kam aber nicht in Schwung, so wurden in den drei Jahren des Bestehens nur 24 Artikel fertig-gestellt. Stattdessen war es die Wikipedia, die dank ihrer Of-fenheit besser angenommen wurde und rasant wuchs. Besonde-re Sympathie erlangte sie dadurch, dass sie sich ausschließlich über Spenden und nicht durch Werbung oder Datenweitergabe finanziert – ein Konzept, das übrigens keine andere der zehn meistbesuchten Internetseiten der Welt verfolgt. In den ver-gangenen elf Jahren ist daraus eine Bewegung für freies Wissen entstanden, die sich auf die Fahne geschrieben hat, das Wissen der Menschheit zu sammeln und die Inhalte frei zugänglich zu machen und zu verbreiten.

Was nützen einem aber die Fakten, wenn man sich nicht auf sie verlassen kann? Dieses Bild prägt den universitären Umgang mit Wikipedia. Die Artikel enthalten zu viele Fehler, man weiß nicht, wer was geschrieben hat und die Seiten sind anfällig für

Vandalismus. Dass die Wikipedia Fehler enthält, steht außer Frage. Genauso ent-halten wissenschaftliche Arbeiten, Schulbücher und Zeitungen auch Fehler, denn wo Menschen arbeiten, passie-ren diese nun mal. Da alleine die deutschsprachige Ausgabe aber von mehreren Millionen Menschen pro Mo-nat benutzt wird und viele Tausend von diesen helfen, sie zu erweitern und qualitativ zu verbessern, kann man vor allem frequentiert gelesene Artikel ohne große Sorge für wertvoll erachten. Logisch, dass sich vor allem in we-niger beachteten Artikeln mehr Fehler einschleichen, aber auch Wikipedia legt Wert auf Quellenangaben und hat mit der Zeit ein effektives Qualitätssicherungssystem entwickelt, das sich ste-tig verbessert. Man kann Artikel und Nutzer melden, Admins und fleißige Autoren überwachen Änderungen und wenn ein Artikel keine ausreichenden Quellenangaben hat oder einige Aspekte fehlen, weist ein farblich unterlegter kurzer Text am Anfang darauf hin. Dass das Maximum an Qualität noch nicht erreicht ist, wohl auch nie erreicht werden kann, heißt nicht, dass man die Enzyklopädie deshalb verteufeln solle. Korrigieren, nicht kritisieren sollte der erste Gedanke sein, wenn einem ein Fehler auffällt oder ein Thema fehlt. Gleiches hat sich Artur, Masterstudent der Meeresbiologie, gedacht, als er vor einigen Jahren den Artikel über Tintenfische gelesen hat: „Der Artikel war nicht sonderlich lang und ich hätte ihn aus dem Kopf ver-bessern können. Also habe ich mir ein Biologiebuch aus meinem Schrank geschnappt und ein paar Abschnitte hinzugefügt.“ Auch im Artikel über Ameisen finden sich einige Zeilen von ihm. Eine andere Dimension der ehrenamtlichen Mitwirkung hat Roland Kutzki erreicht, einer der Architekten der Staats- und- Univer-

Gefährliches Halbwissen?„Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen“ (Joseph Weizenbaum, gefunden auf Wikiquote)

Text: Marius Fischer Foto: Wikimedia

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FeuilletonFeuilleton

sitätsbibliothek Bremen. Im Ap-

ril feierte er sei-nen 1000. selbst

angelegten Artikel, mitgearbeitet hat er an

ungefähr 10.000. Per-sönliche Aushängeschilder:

„Die Artikel über die Sowjet-union und die KPdSU stammen

zu 70 bis 80 Prozent von mir. Und im Artikel ,Leben’ habe ich die Einleitung ge-

schrieben.“ Des Weiteren sind viele Artikel über Bremer Stadtteile und Bauwerke von ihm angelegt worden. Dies sind zwei Beispiele, wie man zu der Bewegung des frei-en Wissens beitragen kann. Denn diese Bewegung existiert und wird neben den vielen freiwilligen Autoren hierzulande von Wikimedia Deutschland e.V. getragen und koordiniert, ein ge-meinnütziger Verein, der sich genauso wie Wikipedia und ihre Schwesterprojekte ausschließlich über Spenden finanziert.

Nichtsdestotrotz steht die Bewegung weiterhin vor vielen Hür-den: Der digital divide macht sich auch in der Wikipedia be-merkbar, so übersteigen die verfügbaren Informationen über den „globalen Norden“ die des „globalen Südens“ um ein Vielfaches. Und auch unter den Autoren wäre mehr Vielfalt begrüßenswert, da beispielsweise über 80 Prozent der aktiven Schreiber männ-lich sind. Wie kann man das nun ändern? Hilfreich wäre zum Beispiel, Aufklärung und Werbung für das Projekt zu machen, sich als Autor zu beteiligen (auch in den Schwesterprojekten wie Wikiquote oder Wikinews) oder es finanziell zu unterstützen. Die Überwindung dieser Probleme wird nur schwierig, wenn manche Professoren und Dozenten weiterhin ein nicht der Re-alität entsprechendes Bild der Wikipedia vermitteln. Die Wis-senschaft sollte sich besinnen, dass Wikipedia kein Feind der

Bildung, sondern Befürworter derselben ist. Man bedenke, dass viele Geisteswissenschaftler sich generell schwer damit tun, ihre Erkenntnisse und Diskussionsinhalte an die Gesamtgesellschaft zu bringen. Anstatt sich der neuen Möglichkeiten zu versagen sollte man gemeinsam anstatt gegeneinander agieren, was einen Mehrwert für die Wissenschaft, die Gesellschaft und die Welt zur Folge hätte. Merke: Diese Zusammenarbeit wird von Wikimedia angestrebt, es sind manche regressive Teile der Wissenschaft, die diese Entwicklung zurückhalten. Unter den Talaren…

Eine objektivere Betrachtung auf der Höhe der Zeit vermittelt ein deutlich positiveres Bild: Es gibt inzwischen über 280 verschie-dene Sprachversionen der Wikipedia. Die Nutzung ist lediglich an die Fähigkeit zu Lesen und einen Internetzugang gebunden. Im Gegensatz zu vielen wissenschaftlichen Texten verzichtet sie auf einen Aufmarsch von Fremdwörtern und Fußnoten und kann das Instrument werden, uns Menschen das zu bringen, was wir in Zeiten von komplizierten Krisen, technologisch-kultu-rellem Wandel und Globalisierung so dringend benötigen: Eine Erklärung unserer Zeit. Eine neue Phase der Aufklärung. Wissen über Zusammenhänge und Gegebenheiten in der Welt. Einen Wegweiser durch Geschichte und Ideologien, der im Gegensatz zu vielen Medien einen neutralen Standpunkt einnimmt. Einen Schritt in eine bessere Welt. Die Wikipedia, die freie Online-Enzyklopädie, ist eine der größ-ten kulturelle Leistungen, die unser noch junges Jahrhundert hervorgebracht hat. Immense Chancen werden vergeben, be-trachtet man das als nicht unterstützenswert.

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Das Geheimnis der süßen PerlenEs scheint, als wäre das Teetrinken zu einem neuen Lebensgefühl avanciert.Der Trend heißt Bubble Tea. Wir stellten uns mutig dem Selbstversuch mit den bunten Blasen.

Text: Jessica Heidhoff, Natalie Vogt Foto: Natalie Vogt

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Seit neustem kann man in fast kein Einkaufszentrum mehr gehen und keine Straße der Innenstadt betreten, ohne auf einen Bubble-Tea-Laden zu treffen. Die Shops schießen

wie Pilze aus dem Boden und sind poppig bunt gestaltet. Eine große deutsche Zeitung schrieb, Bubble Tea sei wie Starbucks für Menschen, die (noch) keinen Kaffee tränken. Bei dem far-benfrohen Getränk ist es kein Wunder, dass sich eher Teenager davon angezogen fühlen. Und tatsächlich: Während unserer Re-cherchearbeit waren es nur Minderjährige, die sich von ihrem Taschengeld einen Plastikbecher voll süßen Tees bestellten. Von allen anderen wurden wir verständnislos angesehen, während wir, unsere Bubbles durch überdimensionale Strohhalme schlür-fend, durch die Stadt schlenderten. Doch was ist eigentlich ge-nau drin in einem Bubble Tea?Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, wenn man sich die verschiedenen Möglichkeiten zur Fertigstellung seines eigenen Bubble Teas anguckt. Auf den teilweise nur auf Eng-lisch und Chinesisch gehaltenen Angebotsta-feln haben wir die Wahl zwischen ungesüß-tem Tee, Milchtee, Tee mit Aroma, Eistee, Joghurtdrinks, Milchshakes und Säften. In jeder dieser Kategorien gibt es gefühlte 50 Geschmacksrichtungen, welche leider nicht immer ganz zu übersetzen sind. Und dann kommt noch die schwierige Frage nach den Bubbles. Fruchtige Popping Bobas, die an Molekularküche erinnern, traditionelle Topia-kaperlen oder doch Frucht Jellys, die eine Wa-ckelpuddingkonsistenz haben? Wer die Wahl hat, hat die Qual. Und wer keine Ahnung hat, was das vor ihm auf der Theke sein soll, ist überfordert. Zum Glück klären uns die freundlichen Mitarbeiten im zweiten Shop unseres (Selbst-test-) Vertrauens auf.Eigentlich sollte der Bubble Tea, der Mitte der 1980er Jahre in Taiwan erfunden wurde, durch den enthaltenen Fruchtsirup Kinder zum Teetrinken animieren. Die Idee mit den Tapioka- Perlen kam erst später dazu. Die Tapiokastärke, die aus der Ma-niokwurzel hergestellt wird, ist schon lange ein wichtiger Teil in den Küchen Asiens und Afrikas. Da die Wurzel sehr viele Kohlehydrate enthält (35 Gramm auf 100 Gramm der Knolle), kann man sie vom Gebrauch in der Küche sehr gut mit unserer Kartoffel vergleichen. Doch das Mehl wird eher für Süßspeisen verwendet, da der Geschmack neutraler ist, ähnlich dem der Speisestärke. Das merkt man auch den Tapioka Perlen an. Sie haben eine glibberige Konsistenz, die man schlecht mit etwas vergleichen kann, wenn man nicht schon einmal Rote Grütze selbst gemacht hat und nicht schnell genug mit dem Einrühren der Speisestärke hinterher gekommen ist. Die Fans des Bubble Teas schreiben der Maniokwurzel und der Tapiokastärke viele Vitamine und wichtige Mineralien zu. Be-trachtet man jedoch die geringe Menge der Perlen im Bubble Tea, schleichen sich Zweifel ein. Im Schnitt 30 Perlen kommen auf 300 Milliliter Tee. Entgegen den Argumenten der Befürwor-ter und Bubble-Tea-Ketten, enthält die Maniokwurzel an sich schon wenig Vitamin C, Kalzium und Eisen. Wird diese dann noch eingekocht, pulverisiert, zu einem klebrigen Brei ange-

rührt, weitere 25 Minuten gekocht und dann in Zuckerwasser ab-geschreckt wird, ist die These der gesunden Tapiokaperlen kaum noch haltbar. Zum Vergleich: In 100 Gramm Maniokwurzel fin-den sich 35 mg Kalzium, 0,7 mg Eisen, 36 mg Vitamin C und 1,2 g Proteine. 100 Gramm frischer Mais hat 20 mg Kalzium, 2 mg Eisen und 12 mg Vitamin C. Trotzdem ist Maisstärke nicht wirklich gesund, genau wie Tapiokastärke.Auch die Zusatzstoffe, die nicht gekennzeichnet sind, und die hohe Kalorienanzahl sorgen mehr und mehr für Furore um die-ses Getränk. „Der gesunde Drink mit dem Snack- Effekt“, der zu „100% BIO“ ist, wie eine Franchise-Kette auf ihrer Inter-netseite behauptet, verliert seine Glaubwürdigkeit. Doch Tan Huynh, der im Marketing der Franchise- Kette BoboQ arbeitet, verteidigt: „Wir haben nie verbreitet, dass es ein Diätmittel ist.“ Doch ein Getränk zu verkaufen, das drei- bis sechsmal so viele Kalorien hat wie Cola und diesem auch noch den Namen Tee zu geben, grenzt schon an Verbrauchertäuschung. Grade Kin-

der und Jugendliche sind fasziniert von dem leckeren Tee mit den bunten Farben und den vielen geschmacklichen Auswahlmöglichkei-ten. Von giftgrün bis rosa scheint jede Farbe vertreten zu sein. Und von langweiligem Erd-beer- bis hin zu gewagtem Erdnusstee sowie für die Experimentierfreudigen Rote Bohne als Geschmacksrichtung sind der Fantasie kei-ne Grenzen gesetzt. Als wir uns dem Selbstversuch stellten, waren wir von den knalligen Farben der Bubbles und Popping Bobas überzeugt, doch geschmack-

lich waren die Perlen einfach nur süß. Das Mango-Boba hätte auch Ananas sein können und das Aloe Vera Jelly genauso gut Lycheegeschmack. Wenigstens der Tee war lecker, auch wenn der Milchtee aus einem weißen Pulver bestand, das mit Wasser auf-geschüttelt wurde. Wo sollten bloß all die Kalorien her kommen? Der Tee war, bis auf die Popping Bobas, die wir uns aussuchten, nicht sehr süß. Vielleicht hatten wir ja die kalorienarme Variante erwischt. Doch als wir den nächsten Bubble Tea bestellt und ihn halb ausgetrunken hatten, wurde klar: Es war weder die kalori-enarme noch die ungesüßte Variante. Uns wurde schlecht und ein bisschen schwindelig. Und das nach ungefähr 400 Milliliter Flüssigkeit innerhalb einer Stunde. Auch wenn mittlerweile die Krankenkassen vor dem Verzehr des Tees warnen und sich 200 Milliliter mit 200 bis 500 Kalorien auf den Hüften der Republik absetzten, verbreitet sich der Trend weiter: Demnächst im McCafé erhältlich, in Imbissen und bald womöglich auch an der Uni?!Um hinter das Geheimnis des Bubble-Tea-Phänomens zu kom-men, hätten wir uns eventuell mit kleineren Geschwistern in die Shops begeneb sollen. Doch für uns bleibt das Rätsel um die Perlen bestehen.

Die Fans des Bubble Teas schreiben der Maniok-

wurzel und der Tapioka-stärke viele Vitamine und

wichtige Mineralien zu.

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Samstagnachmittag in der Straßenbahnlinie 3 Richtung Gröpelingen: Eine erwartungsschwangere Stimmung liegt in der Luft. Bei der Mehrzahl der Fahrgäste handelt es sich

um Teenies – Leggings-tragende Mädchen mit großen Handta-schen und Jungs mit bunten Hoodies und Röhrenjeans. End-lich, Haltestelle Use Akschen: Die Menschenmassen drängen auf den Bahnsteig und stürmen über die rote Ampel direkt zur Waterfront. Trotz der 91 Geschäfte scheinen die meisten nur ein Ziel zu haben: Primark – der Newcomer auf dem deutschen Bekleidungsmarkt. Am 22. Mai 2009 eröffnete die erste Filiale Deutschlands in der Waterfront Bremen mit einer Verkaufsfläche von 5.380 Quad-ratmetern. Beim Reinkommen empfängt einen ein Schwall von Plastik, Schweiß und abgestandener Luft. Zu dieser Tageszeit liegen die Kleidungstücke schon wild auf dem Boden verstreut und in den Gängen wühlen die Kunden nach den besten Schnäppchen. Torsten, Anfang 40, der mit seiner Frau ein-einhalb Stunden an der Kasse stand, bezeich-net Primark als die „Hölle der Waterfront“. Kathrin, Mitte 30 aus Hamburg, findet den Laden „für einen ramschigen Laden sehr, sehr schön“. Alina, 15, hält ihn einfach nur für „proppenvoll“. Der Bekleidungs-Discounter Primark ist eine Tochtergesell-schaft des irischen Unternehmens Associated British Foods (ABF) und wurde 1969 unter dem Namen Penneys gegründet. Um eine mögliche Verwechslung mit der US-amerikanischen Kette JCPennys auszuschließen, wurde für den internationalen Markt der Name Primark entwickelt. Ab der ersten Filialgrün-dung in der Dubliner May Street expandierte Primark stetig und verfügt heute über 226 Geschäfte mit 36 000 Mitarbeitern und rund drei Milliarden Pfund Jahresumsatz. Auf die Filiale in Bremen folgten Niederlassungen in Frankfurt, Gelsenkirchen, Dortmund, Hannover, Saarbrücken und Essen. Die hannove-rische Zweigstelle ist bis heute mit rund 8.700 Quadratme-tern Verkaufsfläche auf vier Etagen die flächenmäßig größte in Deutschland. Dieses Jahr werden Filialen in Karlsruhe und Ber-lin eröffnet. Worin besteht das Erfolgsrezept von Primark? Obwohl die Klei-dungsstücke preislich auf derselben Stufe wie zum Beispiel die des Textil-Discounters KiK stehen, ist das Image ein komplett anderes. Einen Klamotten-Einkauf bei KiK würde man wohl eher nicht an die große Glocke hängen, wohingegen Primark als cool gilt: Auf zahlreichen Modeblogs zeigen Bloggerinnen

und Blogger stolz ihre Primark-Ausbeute. Der Mode-Discounter greift, ähnlich wie H&M, die neuesten Mode-Trends von den Laufstegen auf und aktualisiert seine Kollektion ständig. Wäh-rend mit KiK also einfach nur das Attribut „billig“ assoziiert wird, stehen bei Primark die Assoziationen „modisch“ und auch „ein wenig ausgeflippt” im Vordergrund. Ein weiterer Faktor zur Erklärung der Beliebtheit der Bekleidungskette könnte sein, dass bisher erst in wenigen Städten in Deutschland Filialen er-öffnet haben – ein Ausflug zu Primark ist immer noch etwas Besonderes. Immerhin treffen wir bei unserer Recherche viele Leute von außerhalb, die nur wegen Primark nach Bremen ge-kommen sind. Das Firmen-Credo des Primark-Konzerns lau-tet also: Modische Kleidungsstücke zu sehr günstigen Preisen.

Kinga, Mitte 30, extra für Primark aus Ham-burg angereist, bringt es auf den Punkt: „Man hat ne pralle Tüte für 80 Euro.“ In ihrer prallen Tüte sind Schuhe, Jacken, T-Shirts, Röcke, und Wohnaccessoires. Doch wie kann Primark dieses Ziel umsetzen? Auf der Homepage des Unternehmens werden die Strategien zur Kostenersparnis erläutert. Demnach werde wenig Geld für die Werbung ausgegeben und vermehrt auf den Effekt der

Mund-zu-Mund-Propaganda der Kunden vertraut. Darüber hinaus werden die Kleidungsstücke in sehr hohen Stückzahlen ge- und verkauft und die Betriebskosten dank eines hochentwi-ckelten Logistiksystems niedrig gehalten. Tatsächlich verwendet Primark, abgesehen von vereinzelten Radio-Spots und Lokalan-zeigen, die das Unternehmen aus Anlass von Geschäftseröffnun-gen schaltet, keine Werbung im herkömmlichen Sinne.Des Weiteren mietet der Konzern üblicherweise die Immobi-lien nicht nur, sondern kauft mindestens jede zweite Filiale. Daraufhin werden die Räumlichkeiten komplett entkernt und so effizient wie möglich ausgestattet. Das heißt: Eine Vielzahl von Umkleidekabinen und Kassen, welche über eine zentrale Warteschlange organisiert werden. Auch die Fischernetz-artigen Einkaufskörbe sind ein wichtiger Faktor des Gesamtsystems zur Umsatzsteigerung, da diese Platz für eine große Anzahl an Klei-dungsstücken, Schuhen, Accessoires und Einrichtungsartikel liefern. Um den Kundenfluss nicht unnötig zu stören und das hohe Verkaufstempo aufrechtzuerhalten, werden die Aufräum-, Säuberungs- und Nachfüllarbeiten von einer Nachtschicht er-ledigt. Laut Primark handelt es sich dabei, trotz des Nachar-beitszuschlags und des entstehenden Chaos, um die rentablere

Die Hölle der WaterfrontWie der Mode-Discounter Primark den deutschen Markt erobert.

Text: Anna Tappe, Christina FreihorstFoto: Karam Miri

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FeuilletonFeuilleton

Vorgehensweise. Ein hohes Tempo wird bei Primark auch in Sachen Angebotswechsel und Rabattierung an den Tag gelegt. Somit werden Kleidungsstücke, die sich langsam verkaufen, so-fort rabattiert und aussortiert, und die, die gut laufen, umge-hend nachbestellt. Um die Lagerbestände zu begrenzen, offeriert man ausschließlich die gängigsten Größen. Trotz dieser Marke-tingstrategie stellt man sich die Frage, ob Primark nicht auch an den Herstellungsbedingungen spart. Die Organisation „Aktiv gegen Kinderarbeit“ kommt zu folgen-den Fazit: Die Primark-Verantwortlichen positionieren sich im Code of Conduct, welcher auf der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UNDHR) und den Standards der internati-onalen Arbeitsorganisation (ILO) basiert, gegen Kinderarbeit und diese lässt sich auch nicht nachweisen. Primark behauptet, dass es unmöglich für jeden Käufer sei, einen Überblick über die Produktionskette zu haben und dass jede Ausbeutung der Arbeiter durch die Beurteilungsinstanzen (Lieferantenaudits) behoben werden würde. „Aktiv gegen Kinderarbeit“ bezweifelt dies und bezieht sich dabei auf Interviews mit Arbeitern, die erhebliche Probleme in der Herstellung deutlich machen. Sie kritisieren, dass das Unternehmen nicht alle relevanten Produk-tionsschritte kontrolliert und somit Kinderarbeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. In einer BBC-Reportage aus dem Jahr 2008 wurde berichtet, dass bei mehreren Zulieferfirmen Primarks in Indien Kinder arbeiten. Diese Vorwürfe stellten sich aber im Nachhinein als falsch heraus. Um potentiellen Kritikern den Wind aus den Se-geln zu nehmen, veröffentlichte Primark die Website „Ethical Primark“. Primark verweist dort auf die Ethikrichtlinien wie den Code of Conduct und auf die Teilnahme bei der „Ethical trading Initiative (ETI)“. Die Mitglieder verpflichten sich, bestimmte ethische Richtlinien einzuhalten. Zum Beispiel Engagement für fairen Handel, jährlicher Nachweis einer Verbesserung der Ar-beitsbedingungen und Unterstützung der Lieferanten bei dieser sowie die Offenlegung der Aktivitäten. Diese Kriterien sind al-lerdings relativ allgemein gehalten. Wenn Primark jedoch wirklich nichts vorzuwerfen ist, stellt sich die Frage, warum sich in den Kleidungsstücken kein Nachweis über die Produktionsstätte finden lässt. Auf die Frage, warum der Mode-Discounter so günstige Artikel anbieten kann, äu-ßerte die Mehrzahl der Befragten die Vermutung, dass Primark wahrscheinlich keine fairen Bedingungen gewährleistet. Vielleicht liegt das wirkliche Problem auch nicht nur in der Verantwortung eines einzelnen Unternehmens, sondern in dem Konsumverhalten, welches bei einem Großteil der heutigen

Gesellschaft allgegenwärtig ist. Anja, Anfang 40, spricht von einer „Wegwerfgesellschaft“, in der ein Trend immer schneller vom nächsten abgelöst wird und somit ein Kleidungsstück nicht unbedingt lange halten muss. Länger als ein Jahr überlebt bei Anjas Kindern sowieso nichts im Kleiderschrank. Alle Befragten verweisen auf die mangelnde Qualität und fehlende Haltbar-keit. Trotzdem würde keiner auf Primark verzichten wollen. Der günstige Preis ist wichtiger als eine gute Qualität. Andererseits scheint unter vielen Menschen schon ein Umden-ken zu beginnen. Das Internet macht es heute so einfach wie nie zuvor, sich selbst über Produkte und Unternehmen zu infor-mieren. Die Internetplattform utopia.de zum Beispiel wirbt mit dem Slogan: „Stellen Sie Ihr Leben um auf Nachhaltigkeit, wir zeigen Ihnen, wie’s geht“. Hier findet man Produkttests, Rat-schläge für alle Bereiche des Alltags und eine Community, in der man sich mit anderen zu Themen von „Wo finde ich die beste fair gehandelte Jeans?“ bis zu Energie- (und Geld-) sparendem Hei-zen austauschen kann. Gütesiegel wie „Fairtrade“, „Naturtextil Best“ und das Siegel der Importorganisation EZA garantieren die Einhaltung strenger Qualitätsstandards und machen es den Konsumenten leicht, ethische Aspekte in die Kaufentscheidung miteinzubeziehen. So kann jeder selbst entscheiden, welche Un-ternehmen er in Zukunft durch sein Geld unterstützen möchte. Denn Kathrin sagt: „Die einzige Macht, die man als Konsument hat, ist ja, nicht zu konsumieren. Die einzige Macht, die man hat, ist: ich kauf es oder ich kauf es nicht.“

Informationen liefert: www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de www.utopia.de. Seiten wie www.kleiderkreisel.de bieten die Möglichkeit, unkompliziertKleidung zu tauschen oder zu kaufen bzw. verkaufen.

Beim Reinkommen emp-fängt einen ein Schwall

von Plastik, Schweiß und abgestandener Luft.

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Die documenta wird als welt-weit wichtigste Ausstellung von zeitgenössischer Kunst

neben der Biennale in Venedig an-gesehen. Alle fünf Jahre versammelt sich hier für 100 Tage, was Rang und Namen hat, um Kunst zu sehen und zu erleben, zum Debattieren und Diskutieren, um zu hinterfragen und Anstöße zu bekommen. Die diesjäh-rige dOCUMENTA (13) soll wieder einmal die Kunst in den Fokus der „Lebens-Wirklichkeit“ rücken, so das Ziel des Erfinders Arnold Bode, der die erste Ausstellung bereits 1955 ins Leben rief. Damals plante er diese noch im Rahmen eines Be-gleitprogramms der Bundesgarten-schau. Heute ist die documenta ein Riesen-Event, welches Kassel mit 50 Ausstellungsorten und Werken von über 150 Künstlern aus 55 Ländern vom 9. Juni bis zum 16. September zur Weltkunststadt werden lässt. Doch was macht die Ausstellung so besonders? Ist es die Kunst? Sind es die Skandale der Künstler, die Werke für Kunst erklären, die in der Bevöl-kerung Verständnislosigkeit und Är-ger hervorrufen? Ein Beispiel hierfür ist eine Aktion von Schlingensief bei der documenta X, der ein Schild an der Orangerie befestigte, das für die zur Mittagszeit geplante Aktion „Tö-tet Helmut Kohl“ aufrief. Oder sind es doch die Momente, an denen der Alltag weit weg ist und man sich faszinieren lässt von einer ande-ren Welt, in der Kreativität, Ästhetik, Phantasie, Wahrnehmung, Grenzen, Individualität und eine andere Wirklichkeit eine große Rolle spielen? Ein Moment, in dem die Seele, wie Picasso sagt, vom Staub des Alltags gewaschen werden kann?„Hoffen wir, daß die Kunst: Malerei, Plastik, Dichtung, The-ater, Musik – die zweite Wirklichkeit – zur „Lebens-Wirklich-keit“ wird, denn ohne sind wir „arm“, ganz arm. Unser Traum:

Wir hoffen – hoffen, daß wir leben überleben und Kunst uns Glück bedeutet!“, schreibt Bode, der nicht nur Erfinder, sondern auch Kurator der ersten drei Ausstellungen der Jahre 1955, 1959 und 1964 war.Für die diesjährige amerikanische Kuratorin Carolyn Christov-Ba-kargiev, die von ihren Mitarbeitern liebevoll nur CCB genannt wird, hängt alles mit allem zusammen. Es gehe um Formen des Wissens, die im Bereich der Kunst zusam-menkommen, aber nicht unbedingt nur von schaffenden Künstlern nach traditionellen Vorstellungen stammen, sondern auch „Nicht-Kunst-Künstler“ zu einer grenzen-los offenen Kunst beitragen lassen. In ihrem Manifest belegt sie: „Was manche dieser Teilnehmer tun, und was sie in der dOCUMENTA (13) „ausstellen“, mag Kunst sein oder auch nicht.“ Eine Kunstausstellung also mit Nicht-Künstlern? Nicht ohne Grund wird Christov-Bakar-giev nachgesagt, ihr Lieblingswort sei „maybe“ – vielleicht. Alles ist offen, nichts ist unwichtig, alles re-levant und nichts egal.Ihr Kunstbegriff ist genau dies alles. Für Künstler ist es oft nicht wich-tig, ob ihre „Projekte“ als Kunst angesehen werden oder nicht und genau so sieht „CCB“ dies auch im

Bezug auf die Ausstellung. Sie definiert nicht, ob ein „Projekt“ Kunst ist oder nicht, weil sich die Zeit verändert und Kunst kaum noch definierbar ist. Es gehe nicht um die 150 besten Künstler, sondern um eine Ausstellung über Kunst, jedoch nicht ausschließlich mit Kunst. Sie verunsichert und lässt Fragen des Besuchers offen. „Die dOCUMENTA (13) in Kassel ist absicht-lich unbequem, unfertig, kantig. Bei jedem Schritt muss der Besucher wissen, dass ihm grundsätzliches Wissen fehlt, irgend-

Es schmeckt nach KunstPaul Klee, Piet Mondrian, Pablo Picas-

so, Joseph Beuys, Marcel Duchamp, Christoph Schlingensief, Gerhard Rich-ter – All diese Künstler der documenta

prägen bis heute eine über 50 Jahre alte Ausstellungsreihe.

Text: Hanna Düspohl Foto: Hanna Düspohl

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Feuilleton

was, das unsichtbar und nicht greifbar ist. Eine Erinnerung, eine unbeantwortete Frage, Zweifel“, sagt Christov-Bakargiev auf einer Presseveranstaltung. Eine Konzeptlosigkeit, bei der die Kunst für sich sprechen soll, ein Kunstbegriff, der neu geprägt wird und doch eine Note, die ganz eindeutig hervordringt: Der Rückzug in das Organische, in die Natur. Die Kuratorin lässt rund 60 Kunstwerke im Staatspark Kassel, der Karlsaue, sowie zum ersten Mal an verschiedenen Orten der Welt ausstellen und schafft damit eine documenta, die weltweit Präsenz zeigt. Es ist eine räumliche Wende, eine andere Sicht auf den „Ort“, der nicht mehr greifbar ist und gleichzeitig geht es um die Frage: Wie können wir als Mensch unseren Standpunkt verlassen, wie können wir allein durch die Sinne erfahren?Betritt man das Fridericianum, die Kunsthalle Kassels und da-mit das „Gehirn“ der dOCUMENTA (13), sieht man erst ein-mal nichts. Ein leerer Raum, kahle Wände, verwirrte Blicke der Besucher, die sich fragen: „Wo ist die Kunst?“ Bleibt man für einen Augenblick stehen und schließt eventuell sogar die Augen, denn zu sehen gibt es hier definitiv nichts, so spürt man Wind. Eine kühle Brise, die den Besucher mit der Installation von Ryan Gander zu der dOCUMENTA (13) empfängt. Viel Wind um nichts? Viele der Besucher sind enttäuscht. Kunstkritiker und Kunstwissenschaftler äußern sich jedoch positiv und erklären den Wind als eine eindeutige Aussage gegen den Sehsinn, der gewöhnlich mit Kunst in Verbindung gebracht wird, und für die anderen Sinne wie Fühlen, Schmecken, Riechen und Hören. „Ich glaube es geht im Grunde um die Überzeugung, dass es mehr gibt als das, was man so sehen kann“, berichtet die SWR-Kunstkritikerin Kathrin Hondl im SWR2 Radio.

Und das ist immer wieder deutlich spürbar. Ein anderes Beispiel stellt das Werk von Christian Philipp Müller in der Karlsaue dar. Der Künstler nahm bereits an der documen-ta X teil und präsentiert sich dieses Jahr mit einem bepflanzten Floß. Dabei arbeitete er zur Anfertigung mit dem Institut für ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel zusam-men und stellte ein Floß aus drei Kästen her, die mit verschie-denen Pflanzen bestückt wurden. Das Werk lädt ein, betreten zu werden und von den Kräutern, zum Beispiel Mangold, eine Kost-probe zu nehmen. Wie bereits bei Gander steht hier der Sehsinn nicht im Vordergrund. Das Kunstwerk ist temporär, verändert sich und wird verändert. Es wird greifbar und bewegt sich mit dem Betrachter als eine Einheit. Müller selbst sieht seine Kunst als Untersuchung von künstlerischer Produktion im Verhältnis zu wirtschaftlichem, historischem, kulturellem, politischem und gesellschaftlichem Umfeld.

Betritt man die dOCUMENTA (13) dieses Jahr also vorurteil-frei, offen und ohne eine Vorstellung von Kunst und lässt sich einen Moment lang einfach auf das Vorhandene ein, mit Respekt vor dem schaffenden „Künstler“, so gelingt vielleicht ein Besuch, bei dem man eine Idee von Alltag mit Kunst bekommt. Eine Idee, die wir in den Alltag integrieren können, damit unsere See-len täglich neu die Chance haben, von der Kunst „abgestaubt“ zu werden.

Floß von Christian Philipp Müller

Doing Nothing Garden von dem chinesischen Künstler Song Dong

Das Fridericarium ist bereits seit der ersten documenta Mittelpunkt jeder Ausstellung

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„Dieses Video ist in Deutschland leider nicht verfügbar. Das tut uns leid.“ Wer hierzulande legal und kostenlos Musik hören möchte, stößt bei der Suche auf YouTube schnell auf diese Ansa-ge. Abhilfe sollen nun Streaming-Services bieten, zu denen sich im März als neuestes Mitglied Spotify gesellt hat. Seit dem Start des Programms 2008 in Schweden haben mittlerweile Menschen in 13 Ländern Zugriff auf die rund 16 Millionen Lieder, die auf Spotify verfügbar sind. Das Prinzip ist ganz einfach: Nach der Anmeldung wählt der Nutzer zwischen einer Gratisversion, bei der nach einigen Lie-dern Werbespots eingeblendet werden oder zwei kostenpflich-tigen Versionen, die dementsprechend werbefrei sind und je nach Höhe des Betrags noch weitere Extras bieten. Die Musik muss nicht gekauft werden, sondern wird über das Internet gestreamt. Der Nutzer kann die Lieder seiner Wahl also nicht hören, wenn er offline ist und unterwegs auch nur über ein Smartphone und gegen Bezah-lung. Dieser Service unterschei-det sich von den zahlreichen illegalen Download-Seiten im Internet dadurch, dass alle Mu-sik in Absprache mit den Plat-tenfirmen zur Verfügung ge-stellt wird. Spotify hat Verträge mit allen großen Labels, wie Universal oder Sony, und auch mit den meisten Independent-Labels abgeschlossen, weshalb die Nutzung rechtlich unbedenklich ist. Trotz der Legalität von Spotify wurde schon kurz nach der Einführung in Deutschland erste Kritik laut. Datenschützer bemängeln, dass eine Anmel-dung nur über einen Facebook-Account möglich ist. Denn das sogenannte Telemediengesetz in Deutschland schreibt vor, dass eine anonyme Nutzung derartiger Online-Dienste grundsätzlich möglich sein muss. Durch Facebook wird nun aber jedes Lied, das man hört, direkt mit dem eigenen Namen verbunden. Da-ten, die für alle Beteiligten von großem Interesse sind. Beson-ders, wenn man an personalisierte Werbung denkt.Hinzu kommt, dass Spotify in Deutschland an den Start ge-gangen ist, bevor ein endgültiger Vertrag mit der GEMA abge-schlossen wurde. Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte erhält von ähnlichen Streaming-Anbietern pro Abo-Kunde einen Euro im Monat und für jedes gratis angehörte Lied sechs Cent. Eine Einigung mit Spotify ist derzeit noch offen. Falls die Verhandlungen erfolglos bleiben, drohen den Nutzern über kurz oder lang vermutlich ähnliche Verhältnisse wie auf YouTube.

Doch nicht nur die GEMA möchte Geld von Spotify sehen, auch die Künstler selbst erwarten selbstverständlich eine Entlohnung für das Streamen ihrer Stücke. Der Online-Service erweist sich für die meisten Musiker aber als alles andere als eine Goldgrube. Recherchen des Hessischen Rundfunks ergaben, dass ein Künst-ler im besten Fall nur 0,164 Cent pro Stream erhält. Verglichen mit den durchschnittlich drei Cent für einen legalen Download und den drei Euro pro verkaufter CD ist dieser Betrag minimal. Um mit einem Stream genauso viel Geld einzunehmen, wie mit einer CD, muss ein Album mit zwölf Liedern bei Spotify über 145 Mal gestreamt werden. Zahlen, die für bekannte Musiker kein größeres Problem darstellen, für die zahlreichen unbe-kannteren Interpreten aber durchaus ein Hindernis sind. Einige

Bands, wie die Beatles oder Metallica, verweigern Spotify vermutlich aufgrund solcher geringen Beträge das Abspie-len ihrer Stücke. Gruppen in dieser Größenordnung ha-ben die Vermarktung ihrer Musik auf diesem Weg aber auch einfach nicht mehr nö-tig, obwohl sie es sich finan-ziell gesehen ohne weiteres erlauben könnten.Für die meisten Künstler führt wohl dennoch fast kein Weg an Spotify vorbei. Denn trotz aller Missstände bleibt Spotify eine gute Möglich-

keit, um neue Musik zu entde-cken und kostenfrei auszutesten, ob ein bestimmtes Album dem eigenen Geschmack entspricht oder nicht. Vor allem vor dem Hintergrund, dass in Deutschland mehr als drei Millionen Men-schen illegal Musik herunterladen (Angaben des Bundesverban-des Musikindustrie) und die Künstler dadurch um ihr kreatives Werk bestohlen werden, bleiben Streaming-Services die bessere und fairere Alternative. Wenn einem eine Band besonders am Herzen liegt, sollte man trotzdem hin und wieder den Weg in den Plattenladen oder aber zumindest den Klick auf eine legale Downloadseite wagen. Denn nur so kann man selbst dazu beitragen, dass der ein oder andere Lieblingskünstler auch noch in ein paar Jahren auf der Bühne steht – und nicht aus Geldmangel Gitarre und Mikro gegen einen Bürojob tauschen muss.

Streamen statt saugen!

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Feuilleton

Text: Kira Kettner Foto: Spotify GmbH

Der Streamingdienst Spotify schickt sich an, das Musikhören im Internet zu revolutionieren. Aber profitieren auch die Künstler oder wird die Musikindustrie von solchen Angeboten nur noch mehr belastet?

Text: Kira Kettner, Lukas NiggelFoto: Andres Marroquin

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Feuilleton

fuck Art, Let‘s Dance!:Das Hamburger Label Audiolith ist gemeinhin dafür bekannt, Bands wie Frittenbude, Egotronic oder Supershirt ein Zuhause zu bieten. Allesamt Vertreter des deutschsprachigen Electro-punk, die sich mit Liedern wie „Mindestens in 1000 Jahren“ oder „8000 Mark“ einen Stammplatz auf den großen Bühnen des Landes erspielt haben. Neuster Zugang der Audiolith-Familie ist die Hamburger Band Fuck Art, Let‘s Dance. Ge-gründet im Jahr 2009 unterscheiden sich die drei Hanseaten von ihren Labelkollegen vor allem durch ihre englischen Texte und Songs, die zwar von elektronischen Beats getrieben wer-den, gleichzeitig aber auch mit Gitarren unterlegt sind. Dieser Mix hat ihnen schon Auftritte als Vorband von Who Made Who und We Have Band eingebracht und sie auf die Bühnen des Reeperbahn Festivals und des Dockville Festivals geführt. Im vergangenen Jahr veröffentlichten Fuck Art, Let‘s Dance ihre erste EP „The Conqueror“ mit dem eingängigen Titelstück und dem nicht minder tanzbaren „We‘ll Disappear“. Als Remi-niszenz an den Electro-Hintergrund von Audiolith gibt es zu-sätzlich ganze neun Remixe der beiden Songs. Spätestens hier dürfte auch der letzte auf der Tanzfläche die Hände hochreißen und die Kunst in den Wind schießen. In diesem Sinne: Lasst uns tanzen!Weitere infos: http://faldmusic.com/

Lautsprecher

Me And My Drummer:Me And My Drummer, das sind Charlotte Brandi und – wie der Bandname schon verrät – ihr Drummer Matze Pröllochs. Das Duo aus Berlin macht laut eigenen Angaben Dream-Pop und diese Bezeichnung beschreibt den Stil ihrer Musik schon ziemlich gut. Songs wie „You‘re a Runner“ oder „Heavy Weight“ klingen sphärisch und werden zu großen Teilen von Brandis einzigartiger Stimme getragen. Dazu Synthesizer, ein wenig Klavier und ein Hauch des namensgebenden Schlag-zeugs. Musikalisch erinnert das an Künstler wie The xx oder James Blake, die diese Art des Minimalismus in den vergange-nen Jahren geprägt haben. Me And My Drummer geben dem Genre aber noch einmal einen ganz eigenen Klang, denn sie schaffen das Kunststück, ihre Lieder reduziert zu halten und den Hörer dennoch nichts vermissen zu lassen. Im Mai ha-ben die Berliner ihr Debütalbum „The Hawk, The Beak, The Prey“ veröffentlicht, womit sie momentan quer durch Europa touren.Weiter infos: http://www.meandmydrummer.com

T.raumschmiereMarco Haas steht nicht auf der Bühne. Wenn er ein Konzert gibt, ist er in einer anderen Welt. Schweißgebadet, oben ohne, Augen geschlossen, schwingt der hagere Elektropunker sein Equipment durch den Raum. Seine Ekstase kann schon mal dazu führen, dass er seine eigenen Instrumente umwirft. Kurz berappelt, alles wieder eingestöpselt, findet Marco Haas wieder in seine krächzenden, drückenden Beats zurück und rockt wei-ter. Der gebürtige Heidelberger spielte zunächst, in den frühen Neunzigern, in einer Punkband. Aus dieser Szene kommt seine Einstellung, die er bis heute nicht abgelegt hat – auch wenn er sich nun weitgehend der elektronischen Musik zugewandt hat. Als Elektropunker T.Raumschmiere ist er seit gut zehn Jahren unterwegs und verpasst seiner elektronischen Musik eine fei-ne Note Anarchie. Sein Wesen und seine Musik wird nie in den Charts landen und kommerziellen Erfolg haben, dennoch ist er aus der alternativen elektronischen Musikszene nicht wegzudenken und gibt seit vielen Jahren international Kon-zerte. Sein Erfolg bezieht sich allerdings nicht nur auf seine eigene produzierte Musik sondern auch auf sein eigenes Plat-tenlabel „Shitkatapult“, das bislang mehr als 100 Alben von Künstlern abseits des Mainstreams auf den Markt gebracht hat. T.Raumschmiere ist kein besonders tiefgründiger, intellektu-eller Musiker, allerdings lässt er seinen Gefühlen ungefiltert freien Lauf und verwandelt diese mitsamt einer gehörigen Por-tion musikalischer Genialität in eine eigene, innovative Form. Marco Haas Musik ist ein rücksichtslos durch die Großstadt preschender Monstertruck. Er selbst äußerte sich vor einem Konzert in Heidelberg dazu folgendermaßen: „Ich spiele dre-ckige elektronische Musik, die auch tanzbar ist, aber schon an der Kante zum guten Geschmack.“Weitere infos: http://t.raumschmiere.com

Marco Haas

Spotify-Gründer Martin Lorentzon und Daniel Ek

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Der amerikanische Sprachwissenschaftler Daniel Eve-rett hat mehrere Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas verbracht – er wurde mit seiner Familie als

Missionar in den Dschungel entsandt, um den Pirahã das Evan-gelium nahe zu bringen. „Don’t sleep, there are snakes“ ist ein Erfahrungsbericht vom Leben in einer größtenteils von anderen unbeeinflussten Kultur, die sich von unserer westlichen Kultur völlig unterscheidet.

Die größte Herausforderung besteht zunächst darin, die Spra-che der Pirahã zu lernen. Wie stellt man das an, eine Sprache zu lernen, für die es weder Wörterbücher noch Grammatiken noch Dolmetscher gibt? Es braucht vor allem viel Zeit, Geduld und eine gute Beobachtungsgabe. Daniel Everett redet also mit den Pirahã, lässt sich die Namen für Gegenstände sagen und bittet einzelne Pirahã, ihm als Sprachlehrer zu helfen. Im Laufe der Zeit wird ihm klar, dass, wer die Pirahã-Sprache verstehen will, diese nicht losgelöst von ihrer Kultur betrachten kann.

Ein wichtiges Prinzip in der Pi-rahã-Kultur ist das der „Unmit-telbarkeit der Erfahrung“ – sie glauben und interessieren sich nur für Dinge, die sie selbst gese-hen haben oder die zumindest die Person, die von ihnen berichtet, mit eigenen Augen gesehen hat. Daraus folgen Besonderheiten, die die Pirahã sowohl aus linguistischer als auch aus anthropolo-gischer Sicht zu einem bemerkenswerten Volk machen. Sie ken-nen keine Schöpfungsmythen, das heißt sie haben keine Theorie über die Entstehung der Welt, sondern leben eben ganz in der Gegenwart – wichtig ist das, was man hier und jetzt wahrneh-men kann. Aus linguistischer Sicht sind sie unter anderem un-gewöhnlich, weil es in ihrer Sprache keine Rekursion in Form von Relativsätzen gibt, was bislang als grundlegendes Prinzip galt. Mit diesen Feststellungen wendet sich Everett gegen Noam Chomskys Theorie der Universalgrammatik, die annimmt, dass

bestimmte grammatische Prinzipien allen Menschen angeboren sind Er tritt für eine Linguistik ein, die dem Einfluss der Kultur auf die Sprache ein wesentlich größeres Gewicht einräumt.

Nun ist es leicht vorstellbar, dass man als Missionar, der von Gott und Jesus überzeugen will, kein leichtes Spiel hat – „Hast du Jesus denn gesehen?“ ist eine Frage, bei der Daniel Everett passen muss. Ihr Fokus auf die Gegenwart, ohne Sorgen um Vergangenheit oder Zukunft, scheint die Pirahã zu einem sehr glücklichen Volk zu machen, dessen Seelen keiner Rettung durch Gott bedürfen. Langsam beginnt auch Everett

an der Plausibilität seines Glaubens zu zweifeln. So ist das Buch einerseits ein sehr eindrucksvoller persönlicher Bericht von Everetts Erlebnissen im Dschungel, die durchaus nicht nur angenehmer Natur sind (man denke an Schlangen, unzählige Insekten und Malaria), und andererseits eine präzise Kulturanalyse, die die Lebensweise und die Sprache der Pirahã ohne zu Bewerten und voller Respekt beschreibt.

Leben in der Gegenwart

Text: Nathalie WittfothFoto: Kai Ole Laun

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FeuilletonFeuilleton

Daniel Everett: „Don’t sleep, there are snakes – Life and Lan-guage in the Amazonian Jungle”. PROFILE BOOKS LTD, London 2009. Paperback bei Amazon für 11,20 Euro. Die deutsche Version: „Das glücklichste Volk – Sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas“, 2010, Pantheon Ver-lag, broschiert, für 16,99 Euro.

Text: Christina Freihorst Foto: http://www.randomhouse.biz/media/digital

Sie kennen keine Schöpfungsmythen, das heißt sie haben keine Theorie über

die Entstehung der Welt, sondern leben eben ganz

in der Gegenwart.

Courtney hat es getan. Alexander auch. Arne finanziert sich damit sein Studium und Ed und Ross sind mitt-lerweile gefragte Models. Was sie gemeinsam haben?

Sie sind alle Studenten und verdienen mit ihrem Körper Geld. Mit Rotlichtvierteln und Filmen, die erst nach 22 Uhr gezeigt werden dürfen, hat das jedoch nichts zu tun. Diese jungen Men-schen bewegen sich allesamt im Rampenlicht der medialen Le-galität. Courtney ist eine amerikanische Studentin der Wirtschaft. Für Geld lässt sie sich Werbesprüche auf Arme, Beine, Rücken und Bauch pinseln und trägt sie als lebende Wer-betafel zur Schau. Ed und Ross kommen aus Cambridge und sind fertig mit ihrer Ausbildung. Um ihre College-Schulden zurückzuzahlen, vermieten sie ihre Ge-sichter und bemalen sie mit dem Logo oder Werbespruch des jeweils tagesak-tuellen Sponsors, auch Glückwünsche oder Heiratsanträge sind erlaubt, solan-ge der Kunde bezahlt. Gebucht werden können sie über ihre Internetseite

Wie so oft wurde ein amerikanischer Trend nach Europa exportiert. Aus den „Sandwich-Männern“ in denUSA, Ende des 19. Jahrhunderts, wurden die „Butterbrot-Männer“ unter Kaiser Wilhelm. „Butterbrot-Männer“ trugen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Reklametafeln auf Bauch und Rücken und priesen eine bestimmte Ware auf der Straße an. Fir-men wie Henkel und Stollwerck bedienten sich dieser lebenden Reklametafeln. Sie ließen Männer mit weißen Regenschirmen und dem Schriftzug „Persil“ um 1907 auf den Straßen Berlins laufen oder zeigten Werbetafeln mit dem Bild von kongolesi-schen Kolonialarbeitern, die mit Schokoladenkisten im Urwald posieren. Die Zeiten haben sich seitdem geändert, das Prinzip nicht. Auch heute wird auf visuelle Effekte und eine Werbung „nah am Mann“ gesetzt. Wer etwas auf sich hält, macht mit Social-Media-Kampagnen und sogenannten „Testern“ auf sich aufmerksam.

Ganze Internetplattformen beschäftigen sich inzwischen mit der Vermittlung von geeigneten Produkttestern an Firmen. Sand-ro Günther, Geschäftsführer von werbeboten.de, beschreibt die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit: „Das jeweilige Unter-nehmen bekommt dadurch nicht nur den Touch ‚cool‘ zu sein, da es in Social-Media aktiv ist, sondern bekommt auch ein Ge-sicht und wird greifbar. Durch die persönliche Note erhalten die Werbebotschaften Empfehlungscharakter und Empfehlungen sind wesentlich glaubwürdiger.“

Warum aber darauf warten, dass man zufällig den Anforderun-gen einer Werbekampagne entspricht, wenn man den ganzen Prozess auch beschleunigen kann? Der Amerikaner Jason Sad-ler machte es Courtney, Alexander und Co. vor. Mit seiner Ge-schäftsidee, 24 Stunden ein gesponsortes Shirt zu tragen und seinen Bauch als Werbefläche zu vermieten, verdient er heute

seinen Lebensunterhalt. Auf seiner Internetseite iwearyourshirt.com können Firmen einen oder mehrere Tage lang seinen Bauch (oder den einer seiner drei Mitarbeiter) mieten. Nachahmer hat seine Idee auch in Deutschland und Österreich schon gefun-den: Arne Müseler verdiente sich in Salzburg neben dem Poli-tikstudium ebenfalls als Shirtträger etwas dazu. Im Gegensatz zu seinem bekannten Vorbild zielte sein Vorhaben jedoch nicht auf die berufliche Eigenständigkeit, sondern die Finanzierung seiner beiden Abschlusssemester ab. Immerhin machte sich sein Aufwand bezahlt, sein Studium hat er inzwischen beendet und einen Auftritt im österreichischen Fernsehen ließ er sich nicht entgehen.

Student Alexander Kroll aus Goslar geht ei-nen Schritt weiter. Um innerhalb eines Jahres 200.000 Euro zu verdienen, bietet er dauer-hafte Werbeflächen auf seinem Körper an. Mit dem Tätowierer seines Vertrauens hat er schon Kontakt aufgenommen und eine Preisliste für jedes Körperteil erstellt. Er betont ausdrück-

lich, dass es sich um jedes Körperteil handeln könne, alles eine Frage der Verhandlung. Die

Antwort auf die Frage, ob Alexander diese Entschei-dung irgendwann bereuen wird, liegt in der Zukunft,

denn noch hat kein Kunde diese Dienstleistung in Anspruch genommen. Zu bedenken ist für den geneigten Nachahmer, dass man im Gegensatz zu einem Tattoo sein Fußgängerzonen-Brok-koli-Kostüm nach der Arbeit einfach wieder ausziehen kann. In-teressant wäre auch, wie sich der Werbeträger verhält, wenn er erfährt, dass das Unternehmen auf seinem Nacken Kinderarbeit gegenüber eher liberal eingestellt ist?

Dem aufmerksamen Leser stellt sich nun die Frage, was als nächstes kommen soll. Die Erfahrung zeigt, das es immer etwas gibt, das noch absurder ist. Tatsächlich wird es auch in Zukunft nicht langweilig. „SKIN; Tattoo“ ist eine interessante Entwick-lung und steckt noch in den Kinderschuhen der Marke Phillips. Es handelt sich hierbei um eine elektronische Farbe, die wie ein Tattoo unter die Haut gebracht wird, dann jedoch nach Belie-ben das Motiv wechseln kann.

Für Alexander und Co. eröffnen sich so ganz neue Möglich-keiten, denn auch wenn diese Technologie im Moment noch Zukunftsmusik ist, können vielleicht ihre Kinder irgendwann davon profitieren – spätestens, wenn sie sich über die Frage nach der Finanzierung ihres Studiums Gedanken machen müssen.

Trau dich, verkauf dich!

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Marktplatz in Ramallah

Dreißig Kilometer entfernt schlagen Kurzstreckenrake-ten ein. Die Regierung berät über einen Luftangriff auf Gaza Stadt. Die Tagesschau spricht von der blu-

tigsten Auseinandersetzung seit 2008. Draußen vor dem Gebäu-de plätschert der Springbrunnen. Es ist warm. Der Wind aus der Wüste Negev bringt sommerliche Temperaturen mit sich. Im Konferenzraum summt die Klimaanlage und untermalt Shai Ben Amis Worte mit einer monotonen Melodie, während er vor den Teilnehmern der Studienreise spricht. Gerade berichtet er von seiner Zeit bei der Armee. Diese drei Jahre Armeedienst seien obligatorisch – für Frauen und Männer. In Israel gibt es eine andere Einstellung zum Militär als in Deutschland. Die Wenigsten verweigern den Kriegsdienst, die Armee ist Berufsver-mittler und Chancengeber. Häufig werden Geschäftsideen in der Militärzeit entwi-ckelt. Außerdem ist Israel ein Einwande-rungsland, sodass die Migranten durch den Wehrdienst in die Gesellschaft integriert werden und einen Crashkurs der hebräischen Lebensweise erhalten. Dazu gehört auch, in ständiger Angst zu leben, dass ein Nachbarland einen Militärschlag verüben wird und den Staat am Mittelmeer von der Landkarte tilgt. So ist es nicht verwunderlich, dass Shai Ben Ami die Armee als Lebensversicherung bezeichnet. Ami zählt zu den engagierten jungen Erwachsenen in Israel. Er studiert Soziologie, arbeitet im biblischen Zoo und tritt für die Rech-te von Schwulen und Lesben ein. Früher war er Jugendberater des Bürgermeisters von Jerusalem. Der 28-Jährige wurde einge-laden, damit er von seiner jüdischen Identität im israelischen

Alltag erzählt. Dazu gehört auch und vor allem das Militär. Über die aktuellen Auseinandersetzungen im Gazastreifen möchte er allerdings nicht sprechen. Er vertraue dem Raketenabwehr-system und seinen Kollegen. Auch das ist Teil der israelischen Mentalität. Während Be´er Sheva unter Beschuss steht, geht die Tel Aviver Bevölkerung feiern. Das Nachtleben gilt als eines der aufregendsten im Nahen Osten. Man lebt hier den Moment, weil niemand weiß, was morgen ist. Es wird gefeiert, solange man noch kann. Wer kann sagen, ob nicht am nächsten Tag

ein Selbstmordattentäter eine Bombe in einem Bus oder Café zünden wird?

Israel ist wie ein großes Puzzle. An je-der Ecke wartet einen neue Erfahrung, eine andere Welt. Bewaffnete Soldaten prägen das Stadtbild von Tel Aviv und Jerusalem. Eine Gruppe Jugendlicher am Strand kann wenige Minuten später als Soldatentrupp in kompletter Uni-

form zum Aufbruch drängen. Die Strandbar verkauft westliche Getränke – es gibt europäisches Bier und Cola mit hebräischem Schriftzug. Dahinter steht eine ausgebrannte Diskothek. Sie war Ziel eines Selbstmordanschlags zu der Zeit, als Joschka Fischer deutscher Außenminister war. Fischer residierte in einem Ho-tel direkt gegenüber der Disko, als die Bombe zündete. Hinter jenem Hotel ragen Minarette der muslimischen Moscheen in den Himmel. Fetzen der Gebetsrufe trägt der Wind bis an den Strand. Die Hafenmauer ist mit arabischen Kalligraphien ge-schmückt. Ein Straßenhändler steht dort und vermittelt seinen Kunden eine Vorahnung des großen Bazars im arabischen Vier-

Wer nach Israel reist, hat viele Bilder im Kopf. Die meisten stammen aus dem Nahost-Konflikt. Eine Studienreise ins heilige Land zeigt: Hier gibt es mehr zu bieten als Konflikt und engstirnige Politik. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht.

Text: Marie Bornickel Fotos: Alexandra Tost (links), Marie Bornickel

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Feuilleton

tel in Jerusalem. Was das Stadtbild möglich macht, ist der isra-elischen Gesellschaft nicht gelungen. Nicht jede Gesellschafts-gruppe ist so gut integriert wie die jüdischen Einwanderer. Das erzählt Sofy Shanir, eine Muslima, deren Eltern aus Persien stammen. Schon der Besuch des hebräischen Gymnasiums war nicht immer leicht. Einmal ließ die Lehrerin Sofy aufstehen und behauptete, Sofys Vorfahren seien Schuld daran, dass Jesus ge-storben sei. Daraufhin lief sie weinend nach Hause. Heute stu-diert sie Fotografie in Jerusalem, wohingegen ihre hebräischen Klassenkameraden momentan der Armee dienen. Als Mitglied der arabischen Minderheit musste Sofy keinen Wehrdienst leis-ten. Das bedeutet aber auch, dass ihr gewisse Privilegien, zum Beispiel bei der Wohnungsvergabe, verwehrt bleiben. Einer von vielen Punkten, die auf eine Zweiklassengesellschaft hindeuten. Und dann gibt es noch die Mauer.

Die Schnellstraße von Tel Aviv zu den Golanhöhen führt ent-lang eines Grenzzauns. Ohne die Schilder wirkt er fast harmlos, wie die Umzäunung eines Unternehmens. Er teilt das Westjord-anland und Israel. Gebaut wurde die Sperranlage 2003, als Re-aktion auf die knapp 70 Selbstmordanschläge palästinensischer Radikaler. Auf der anderen Seite des Zauns beginnt ein Gebiet, das in verschiedene Zonen geteilt ist. Sie legen fest, wer hier die zivile und polizeiliche Gewalt stellt. So unterstehen die A-Zonen komplett der palästinischen Autonomie, C-Zonen werden von Israel verwaltet. Wollen die Palästinenser die Grenze passieren, um beispielsweise zu ihrer Arbeitsstätte zu kommen, werden sie streng kontrolliert – ein oftmals stundenlanges Prozedere. Umgekehrt ist es den Israelis verwehrt, die A-Zonen zu betre-ten. Für einen Besuch im palästinensischen Ramallah bedeutet das einen Busfahrer- und Guidewechsel. Hier dürfen nur An-gehörige der muslimischen Minderheit einreisen. Ramallah ist eine der größten Städte im Westjordanland und wird als dessen Hauptstadt gehandelt. Über einen Checkpoint nahe Jerusalem gelangt man an den Ort, an dem sich neben einem Teil der Re-

gierungsinstitutionen auch das Grab von Jassir Arafat befindet. Die Sperranlage hat sich mittlerweile zu einer Waschbetonmauer gewandelt. Ähnlich wie die Berliner Mauer ist sie bunt bemalt, die Bilder repräsentieren ein Stück der palästinensischen Kul-tur: Musikbands, Sprüche und Karikaturen bekannter Politiker sind zu sehen. Die selbsternannte Hauptstadt lässt erkennen, wie groß die Unterschiede zwischen Israel und Palästina sind. Zwar gibt es auch hier Hochhäuser, Geschäfte und ein Kino, nach modernen westlichen Gebäuden mit schlichten Linien und Glasfront sucht man aber vergeblich. Seit die Regierung Isra-els die Ein- und Ausfuhr von Gütern kontrolliert und Bauge-nehmigungen erteilt, driftet die Entwicklung beider Gebiete auseinander. Manchmal wird sogar das Toilettenpapier in den palästinensischen Geschäften knapp. In der einzigen Universi-tät im Westjordanland studieren die Zöglinge der Oberschicht. Ahmad Batyeh arbeitet hier an seinem Abschluss in Architektur. In ein paar Stunden muss er sein Abschlussprojekt präsentieren. Er hat einen Flughafen entworfen, die stromlinienförmige Ge-staltung der Gebäudelinien soll den Aufbruch signalisieren. Er wird diesen Flughafen nie bauen können, zumindest nicht im Westjordanland. „Die israelische Regierung würde dem Bau ei-nes Flughafens niemals zustimmen. Aber vielleicht wird es eines Tages doch möglich sein.“ Ahmads Blick schweift in die Ferne, er wirkt plötzlich nachdenklich. Es zieht ihn nach Europa, verrät er, dorthin wo alle frei sind und alles möglich ist. Trotzdem wird er erst einmal in Ramallah bleiben und im Unternehmen seines Vaters arbeiten: „Es ist wichtig, dass die jungen Menschen hier sind und für ihr Land arbeiten.“

Von einer Reise nach Israel bleiben viele Bilder. Die unzähli-gen Eindrücke lassen sich nicht einfach so verbinden. Zu unter-schiedlich sind die Menschen und Ereignisse in diesem zerrüttel-ten Land. Dennoch bleibt ein Gefühl der Hoffnung. Hoffnung darauf, dass die Tagesschau eines Tages von der Vielfalt des Lan-des berichtet statt einschlagende Raketen zu zeigen.

UN-Soldaten sind gerade in Israel angekommen

Felsendom in Jerusalem

Israel ist wie ein großes Puzzle. An jeder Ecke wartet

einen neue Erfahrung, eine andere Welt.

Fernweh Israel – eine neue Welt hinter jeder Ecke

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Impressum

redaktion:Scheinwerfer - Bremens freies Unimagazin

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Grafik:Katrin Pleus (Ressortleitung), Hanna Düspohl, Wienke Menges, Martin Gajsek

mitwirkende redakteure: Björn Knutzen, Kira Kettner, Christina Freihorst, Jan-Hagen Rath, Anna Tappe, Carolin Kaiser, Fabian Nitschmann, Elisabeth Schmidt, Alice Echtermann, Gerd Klingeberg, Caroline Morfeld, Hanna Düspohl, Neele Meyer, Katharina Delling, Marius Fi-

scher, Nathalie Wittfoth

Druck: Druckerei Peter von Kölln, Scipiostraße 5a, 28279 Bremenauflage: 3000

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Quelle: Pressestelle Uni Bremen