FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

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  • 7/25/2019 FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

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    Straenzeitung fr Berlin & Brandenburg

    1,50 EURdavon 90 CT r

    den_die Verkuer_in

    No. 25, Dezember 2015

    BERHRENDWeihnachswnscheObdachloser (Seie )

    GLCKSPENDENDFrank ZandersObdachlosen-Weihnachen(Seie )

    MENSCHENWRDIGHygienezenrum am Bahn-ho Zoo (Seie )

    FROHES

    FEST

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    srasseneger | Nr. | Dezember | INHALT

    strassen|fegerDie soziale Sraenzeiung srassenegerwird vom Verein mob obdach-lose machen mobil e.V.herausgegeben. Das Grundprinzip des srassenegeris: Wir bieen Hile zur Selbshile!

    Der srassenegerwird produzier von einem Team ehrenamlicherAuoren, die aus allen sozialen Schichen kommen. Der Verkau des sras-senegerbiee obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen dieMglichkei zur selbsbesimmen Arbei. Sie knnen selbs enschei-den, wo und wann sie den srassenegeranbieen. Die Verkuer erhaleneinen Verkuerausweis, der au Verlangen vorzuzeigen is.

    Der Verein mob e.V. finanzier durch den Verkau d es srassenegersoziale Projeke wie die Nobernachung und den sozialen TreffpunkKaffee Bankrot in der Sorkower Sr. 139d.Der Verein erhl keine saaliche Unerszung.

    Liebe Leser_innen,es ist eine lange Tradition: Der Bundesprsident bermittelt densozialen Straenzeitungen in Deutschland seine herzlichen Greund seinen Dank fr ihr groes soziales Engagement fr die rms-ten der Armen in unserem Land. Joachim Gauck schrieb diesmal:Jeder Kauf einer Straenzeitung ist ein Stck gelebter Solidaritt.

    Selbst wenn wir uns einmal nicht zum Kauf entscheiden knnen ein freundlicher Blick oder ein aufmunterndes Wort fr jenen,der die Zeitung an der Straenecke oder in der U-Bahn verkauft,machen dessen Alltag ein wenig heller. Damit hat der Bundespr-sident so Recht. Unser Dank geht an ihn und alle Menschen, die dieArbeit der sozialen Straenzeitungen auch die des strassenfegerso tatkrftig untersttzen, sei es durch den regelmigen Kauf einesExemplars oder durch eine Spende.

    In dieser Ausgabe weihnachtet es sehr, wie ja schon der Titelspruchverspricht. Wir berichten ber die Weihnachtswnsche obdach-loser Menschen (S. 4), ber Bernhard Pauls wunderbaren Weih-nachtscircus Roncalli (S. 6.), das traditionelle Weihnachtsfest frObdachlose von Frank Zander (S. 7), das Treffen der Weihnachts-mnner und engel (S. 8) und viele andere weihnachtliche Themen.Sehr wichtig fr uns: Am 3. Dezember wurde das neue Hygienezen-trum am Bahnhof Zoo erffnet. Vielen Obdachlosen vom BahnhofZoo ist nun wieder ein menschenwrdigeres Leben mglich: Sieknnen sich dort waschen und duschen, Toiletten benutzen, sichdie Haare schneiden lassen, bekommen Hygieneartikel und knnenSchlafscke und Kleidung waschen. Mglich wurde das durch dasfinanzielle Engagement der Deutschen Bahn, aber auch das LandBerlin ist nun mit im Boot (S. 18). Wir berichten auch ber denaktuellen Stand des Programms der Berliner Kltehilfe S. 20) unddie Rettung des Lbeckers, eines schwer alkoholabhngigenObdachlosen (S. 26). Gefreut haben wir uns sehr, dass uns Alexan-der Hacke fr ein launiges Interview zur Verfgung stand (S. 24).

    Das gesamte Team des strassenfegerwnscht allen Leser_Innenwunderbare Weihnachtstage und natrlich viel Spa beim Lesen!

    Andreas Dllick

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    WEIHNACHTENGruwor des Bundesprsidenen r die

    Weihnachsausgaben der Sraenzeiungen

    Weihnachswnsche obdachloser Menschen

    . RONCALLI WeihnachscircusFrank Zanders . Weihnachseier

    Treffen der Weihnachsmnner & -engel

    Weihnachen am LAGeSo?

    Heiligabend im YAAM

    Ich mag Weihnachen nich

    Rezension: Weihnachen in der Sad

    Schne Geschenke

    Sressiges Weihnachses

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    TAUFRISCH & ANGESAGTa r t s t r a s s e n f e g e rGemldegalerie am Kulurorum Berlin wrdig

    Albrech Drer und William Kenridge

    S o z i a lNeues Hygienezenrumm am Bahnho Zoo

    Der Lbecker Die Retung

    B r e n n p u n k tBerliner Klehile akuell

    Gasarikel: Noprogramm wird raurige Regel

    K u l t u r t i p p sskurril, amos und preiswer!

    P U N K t r i f f t P R O FMi dem Hundeschdel ber die Grenze

    Alexander Hacke

    S p o r tHare Wochen r die Fchse Berlin

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    AUS DER REDAKTIONH a r t z I V - R a t g e b e rErhhung des Regelsazes

    K o l u m n eAus meiner Schnupabakdose

    V o r l e t z te S e i t eLeserbriee, Vorschau, Impressum

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    stras senfeger | N r. | Dezember FROHES FEST |

    Berlin, im November 2015

    Der Bundesprsident

    Gruwortfr die Weihnachtsausgabender Straenzeitungen

    Liebe Leserinnen und Leser,

    in diesen Tagen hren wir oft: Die Welt scheintaus den Fugen geraten. Die Krisen in der Welt er-schrecken uns alle, und auch wir spren ihre Aus-wirkungen. Deutschland ist ein Ort der Zuflucht

    geworden. Ein Land, in dem viele Menschen Schutz vor Un-terdrckung und Krieg in ihrer Heimat suchen. Und in diesenTagen erinnert uns die biblische Weihnachtsgeschichte beson-ders daran, wie Mitmenschlichkeit mglich wird: indem wirunser Herz ffnen. Wir wollen dies auch weiterhin fr alle tun,die in Not sind. Und so drfen wir in diesen bewegten Zeitennicht vergessen, dass auch in unseren Stdten und DrfernLeben aus den Fugen geraten manchmal gar von einem Tagauf den anderen.

    Wer eine Straenzeitung aufschlgt, der liest darin viele Ge-

    schichten, die das Leben schreibt. Und diese Geschichten hel-fen uns zu verstehen, wie unterschiedlich und verschlungendie Wege in die Obdachlosigkeit und auch in die Armut sind.

    Wer ohne Obdach ist, der hat oftmals Schicksalsschlge erlit-ten, die ihn aus der Bahn geworfen haben. Doch meistens hatdieser Mensch noch viel mehr als nur seine Wohnung verloren manche finden sich in der Welt einfach nicht mehr zurecht.Sie begegnen staatlichen Institutionen mit Distanz und Skep-sis. Tglich eine Straenzeitung zu verkaufen, kann der ersteSchritt auf dem Weg aus der Obdachlosigkeit sein. Denn sokehren wieder Regelmigkeit und auch manches Erfolgser-lebnis in den Alltag zurck. Der Einzelne beginnt, sein Lebenwieder in die Hand zu nehmen.

    Ohne diesen Willen und dieses Wollen des Betroffenengeht es nicht. Und doch ist es zugleich eine gesellschaftlicheVerpflichtung, die Schwchsten zu untersttzen. Ich dankeden vielen Ehrenamtlichen in unserem Land, die sich fr

    Menschen einsetzen, die in Armut und ohne Wohnung leben.Ohne die sozial Engagierten wre ein so breites Hilfeangebotnicht denkbar die Suppenkchen, die Nachtcafs und Not-unterknfte. Oder die Kltebusse, die in frostigen NchtenMenschen von der Strae holen.

    Auch mit dem Kauf einer Straenzeitung untersttzen Sie,liebe Leserinnen und Leser, die zahlreichen Projekte, die sichum in Not geratene Menschen kmmern. Doch es geht nichtnur um den materiellen Beitrag. Der Wille und nicht dieGabe macht den Geber, wusste schon der Aufklrer Gott-hold Ephraim Lessing. Jeder Kauf einer Straenzeitung istein Stck gelebter Solidaritt. Selbst wenn wir uns einmalnicht zum Kauf entscheiden knnen ein freundlicher Blickoder ein aufmunterndes Wort fr jenen, der die Zeitung an

    der Straenecke oder in der U-Bahn verkauft, machen dessenAlltag ein wenig heller.

    Nun also bricht der Winter an. Die kalte Jahreszeit ist beson-ders schwierig fr Menschen, die auf der Strae leben. Geradedeshalb ist es gut und wichtig, dass Sie diese Zeitung in dervorweihnachtlichen Zeit erworben haben. Ich bitte Sie: Tun Siedies auch in den brigen Jahreszeiten, wann immer Sie knnen.

    Ich wnsche allen, die an dieser Zeitung mitgearbeitet haben,die sie verkaufen und lesen, ein gesegnetes Weihnachtsfestund alles Gute fr das neue Jahr.

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    stras senfeger | Nr. | Dezember | FROHES FEST

    Zu gro die Sorgen fr

    schne WeihnachtenWir haben sechs Straenzeitungsverkufer gefragt, wie sie Weihnachtenverbringen. Deutlich wird: Niemand hat zurzeit eine eigene Wohnung,alle haben Geldsorgen, viele sind allein.P R O T O K O L L E & F O TO S : J u t t a H e r m s

    Manchmal schwer auszuhaltenIch sitze jeden Tag hier auf dieser Treppe am Potsdamer Platz,

    meistens von acht bis 16 Uhr. Nur dienstags komme ich erst sp-ter, da fahre ich morgens immer in eine Obdachloseneinrichtung zum Duschen. Wenn ich nachmittags Feierabend mache, habenmir die Leute so viel Geld in meinen Becher getan, dass ich mirim Supermarkt etwas zu essen kaufen kann. Geld vom Jobcenterkriege ich nicht. Die haben mich frher immer von A nach B ge-schickt, und keiner hat sich zustndig gefhlt. Ich will mit diesenmtern nichts zu tun haben.

    Obdachlos bin ich seit dem dritten Mrz 1993, also seit ber22 Jahren. Zurzeit schlafe ich in einer Fugngerunterfhrung.Es macht mir nichts, wenn die Temperaturen mal unter null Gradsinken, ich habe eine Isomatte und zwei dicke Schlafscke.

    Ich werde auch am 24. Dezember hier auf meinem Platzsitzen. Aber ich denke, ich werde frher Feierabend machen alssonst und zeitig zu meinem Schlafplatz in der Unterfhrung ge-

    hen. Manche Leute gren mich dort, wenn sie an mir vorbeige-hen. Darber freue ich mich immer.Als Kind war Weihnachten fr mich nicht nur schn. Meine

    Stiefmutter hat uns drei Geschwister nicht besonders gut be-handelt, zeitweise war ich auch im Heim. Seit mein Vater 1983gestorben ist, bin ich Weihnachten allein. Fr einen, der jahre-lang auf der Strae und ohne Anhang ist, ist es manchmal schonschwer auszuhalten, dass zu Weihnachten alle mit ihren Familienzusammen sind. So was geht an keinem spurlos vorbei, da stehenmir manchmal schon die Trnen in den Augen.

    (Bernhard, 55)

    Zusammen kochenPiotr und ich kommen aus Polen. Wir sind schon lange in

    Berlin, haben hier auch mal gearbeitet, aber die Jobs warenohne Vertrag und schlecht bezahlt. Es ist sehr schwer, ausder Obdachlosigkeit eine richtige Arbeit zu finden fr eineArbeit braucht man eine Meldeadresse, die hat man aber nur,wenn man eine Wohnung hat und die wiederum nur, wennGeld da ist.

    Nun verkaufen wir den Leuten hier am Eingang vomHauptbahnhof die Straenzeitung motz. Das machen wir

    jeden Tag mehrere Stunden lang. Nur den Montag nehmenwir uns immer frei. Auf diese Weise kommen wir irgendwieber die Runden.

    Auch an Heiligabend werden wir hier stehen und die Zei-tung verkaufen. Die beiden Weihnachtstage machen wir dannaber frei. Zurzeit knnen wir bei einem Freund von uns in ei-ner kleinen Wohnung bernachten. Mit ihm werden wir auch

    Heiligabend verbringen. Wir wollen zusammen kochen: Bi-gos, das ist eine polnische Spezialitt. Mit Schweinefleisch,Zwiebeln, Sauerkohl, Champignons und Knoblauch.

    Bei uns in Polen gibt es eine schne Tradition: An Weih-nachten wird auf den gedeckten Tisch auch ein leerer Tellergestellt. Der ist gedacht fr einen Bedrftigen. Sollte dann

    jemand tatschlich an die Tr klopfen, bekommt er diesenTeller mit reichlich Essen. Das ist eine Tradition, die wir ausunseren Familien kennen, sie wurde von Generation zu Gene-ration weitergegeben.

    (Katarzyna, 42, Piotr, 47)

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    stras senfeger | N r. | Dezember FROHES FEST |

    Ein bisschen trumenBei mir sieht es dieses Jahr Weihnachten ganzschn scheie aus. Fr Dezember habe ich keinGeld vom Jobcenter gekriegt. Die wollen, dassich einen Antrag auf Rente stelle und haben des-halb nicht mehr gezahlt. Ich war ja auch schonbei rzten, aber warum mssen die mich dannnoch zu weiteren rzten schicken? Fr mich istdas ganz schwierig mit diesen Terminen, ich bindoch tagsber mit der Zeitung unterwegs.

    Ich verkaufe die Zeitung in der S-Bahn. Dashat sich bewhrt fr mich. Aber es hat mir auch

    ganz viele Anzeigen wegen Hausfriedensbrucheingebracht. Eine Zeitlang waren solche zivilenSicherheitsleute in der S-Bahn unterwegs, dienur auf uns Straenzeitungsverkufer gelauerthaben. Andauernd habe ich eine Anzeige ge-kriegt und muss deshalb jetzt die ganzen Geld-strafen abbezahlen. Vom Hartz IV bleibt da nichtmehr viel brig.

    Weihnachten wird sich bei mir nicht gro-artig von anderen Tagen unterscheiden. Vermut-lich mache ich frher Feierabend als sonst mitdem Zeitungsverkauf. Worauf ich mich ein biss-chen freue, sind die Filme, die zu Weihnachtenabends im Fernsehen laufen. Die werde ich inmeinem Zimmer im Obdachlosenwohnheim an-sehen. Da kann ich ein bisschen trumen dann.

    Natrlich fnde ich es schn, Weihnachtenanders zu verbringen. Meine Groeltern warendie letzten, zu denen ich vor einigen Jahren nochzu Weihnachten gegangen bin. Doch die sind in-zwischen gestorben. Mein Vater lebt noch, aberder will mich nicht sehen. Auch zu meinem Bru-der habe ich keinen Kontakt.

    (Timmo, 45)

    Wenigstenszurechtkommen

    Weihnachten wird bei mir nicht schnwerden in diesem Jahr. Ich bin seit Augustobdachlos und schlafe drauen im Park,

    unter freiem Himmel. Wie soll man daWeihnachten verbringen?1990 bin ich als Vierjhriger mit

    meiner Mutter und meinem Bruder ausSerbien nach Kln gekommen, in Jugosla-wien war ja damals Krieg. In Deutschlandbin ich aufgewachsen, zur Schule gegan-gen, aber irgendwann hat man uns dannabgeschoben. Wir waren danach noch inder Schweiz, in Schweden, berall hatman es abgelehnt, uns Asyl zu geben.

    Ich habe zwei Kinder, sie leben inSerbien bei ihrer Mutter. Ich mchte nichtzu ihnen zurckkehren. Meine Familieund ich sind in Serbien oft diskriminiertund angefeindet worden. Wir sind Romaund haben dort keinerlei Rechte. Zudemfhle ich mich als Deutscher; ich sprechebesser Deutsch als Serbisch. Ich wei,dass es schwierig ist, aber ich mchte hierbleiben und arbeiten. Vielleicht kann ich

    ja als bersetzer etwas finden.Weihnachten war immer sehr wich-

    tig fr mich. In Kln haben wir damalsimmer Weihnachten gefeiert, so wie eshier blich ist. Und dann auch noch am7. Januar, das ist der Tag, an dem dieRoma traditionell Weihnachten feiern.Nun sehe ich schon das dritte Jahr meineKinder nicht zu Weihnachten. Aber ichkann einfach nicht zu ihnen fahren, ich

    komme ja nicht mal alleine zurecht.(Stanislav, 29)

    Fr sich selbst feiernIch bin seit einem Monat obdachlos. Am Anfangbin ich nachts S-Bahn gefahren, seit ein paarNchten habe ich hier beim Verein mob e.V. ei-nen Platz in der Notbernachtung, dafr bin ichsehr dankbar. Ich hoffe, ich kann hier noch eine

    Weile bleiben, auch ber Weihnachten. Am 24.Dezember wrde ich abends vielleicht mit denanderen Bewohnern Skat spielen, vielleicht auchfrh ins Bett gehen, ich wei nicht.

    Wie Weihnachten als Kind bei mir war, daskann ich gar nicht sagen, da habe ich gar keinen

    Zugang zu. Die letzten Jahre ich hatte ein Zim-mer im betreuten Wohnen habe ich mir immereine Bio-Flugente gekauft. Die habe ich dann al-leine verputzt mit Sekt dazu. So habe ich frmich gefeiert.

    Zurzeit mache ich eine Ausbildung in tie-fenpsychologisch orientierter Krperpsychothe-rapie. Fr das kommende Jahr wnsche ich mir,dass ich mit der Ausbildung weiterkomme. Unddass ich als gesund rehabilitiert werde. Man hatbei mir ein geschlossen psychotisches Welt-bild diagnostiziert und will mich deshalb ineiner geschlossenen Einrichtung unterbringen.Ich habe eine gesetzliche Betreuerin und bin da-durch vllig entmndigt. Es ist die Hlle.

    Normalerweise kriege ich Hartz IV. Dochan die Auszahlung des Dezember-Geldes wareine psychiatrische Begutachtung meiner Persongeknpft. Das habe ich abgelehnt. So kriege ichzurzeit kein Geld und verkaufe den strassenfeger.

    Vor vielen Jahren habe ich meinen Magis-terabschluss an der FU Berlin gemacht. Danachwar ich zehn Jahre im Bereich empirische So-zialforschung ttig: Ich habe u.a. Kitas bei derSprachfrderung von Kindern mit Migrations-hintergrund beraten. Heute dagegen habe icheinen Sack voller Probleme aber ich bin dabei,sie zu lsen!

    (Heike, 52)

  • 7/25/2019 FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

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    INFO

    RONCALLI Weihnachtscircus

    18. Dezember bis 3. Januar 2016 imTempodrom Berlin

    Premiere: 19. Dezember um 19 Uhr

    www.semmel.de

    stras senfeger | Nr. | Dezember | FROHES FEST

    Keine Angst vor wilden

    Tieren! Wir haben keine!12. RONCALLI WeihnachtscircusT E X T : R e d a k t i o n ( Q u e l l e R o n c a l l i / S e m me l . d e )

    Feierliche Stimmung, gespannte Erwar-tung, schnste Momente: Zum 12. Mallsst Roncalli das Tempodrom in feier-lichem Glanz erstrahlen Alle Jahre wie-

    der groes Entzcken nach einem Besuchdes Roncalli Weihnachtscircus: Was frein liebevolles, beeindruckendes Freudenfest alle hatten ein Leuchten in den Augen und einstaunendes Lcheln auf den Lippen. Das warein bezaubernder Abend. Weihnachten ist nuneingelutet. Circusdirektor Bernhard Paul willalles dafr tun, um sein Publikum mit Charmeund viel Herz in die Welt der Illusion zu ent-fhren und es mit einem unvergesslichen Erleb-nis zu beschenken. Ein Dutzend Mal Roncalli

    Weihnachtscircus in Berlin, das sind zwlfJahre Darbietungen von Artisten von Weltrang,Clowns, die sich mit ihrem Witz in die Herzender Zuschauer spielen. Das sind 12 Jahre Inspi-ration eines Mannes, der den Circus liebt undsich ihm mit Haut und Haar verschrieben hat.Und so zieht Bernhard Paul auch in diesem Jahrmit einer erlesenen Schar internationaler Knst-ler ins Tempodrom und ffnet fr alle Gsteseine ganz besondere winterliche Wundertte:

    DUNDU - Die sanften Riesen: Riesige schim-mernde Figuren bewegen sich durch den Zu-

    schauerraum des Tempodroms und strecken sichdem Circushimmel entgegen. Vom majestti-

    schen Opening mit Kora-Klngen bis zu clownes-ken Interaktionen mit Artisten: Die aus leuchten-den Strngen filigran gebauten Stabmarionettenziehen mit ihrem einzigartigen Bewegungsmodusden Betrachter unweigerlich in ihren Bann undbilden den charmanten Roten Faden in BernhardPauls zirzensischem Weihnachtsmrchen.

    Mikhail Usov Clown: Behutsam, beinaheschchtern betritt Mikhail Usov die Manege.Sein Blick wandert vertrumt durch die Zu-schauer. Aus alltglichen Utensilien entstehenverzauberte Schwne, Wolken, die durch dieLuft schweben, und musikalisch-poetische Bil-der, die der Mime scheinbar selbst mit staunen-den Augen entdeckt.

    Aime Morales - CYR Wheel: Aime Moralesbeherrscht viele Circus-Knste. Er ist Clown,Jongleur und Magier mit beachtlichem akroba-tischem Talent. Diese Facetten zeigt er in einerauergewhnlichen Performance, die uns seinGeschpf Aimoko vorstellt. Aimokos Ge-schichte ist anrhrend und komisch, eine zart-poetische, manchmal skurrile Mischung ausClownerie, Tanz und Akrobatik am Cyr Reifen.

    Vik & Fabrini Comedy:Bei den brasilianischen

    Pantomimen Vik & Fabrini muss man schon ge-nau hinsehen, um hinter eventuelle Masken bli-

    cken zu knnen. Ihre wohl kalkulierte Mischungaus Magie, Krperbeherrschung und Komikmndet in einem irrwitzig hoffnungslosen In-termezzo zwischen Mensch und Maschine. Dietempogeladene Show erzhlt die rasend komi-sche Geschichte eines virtuosen Zauberers, des-sen mechanischer Assistent ein erstaunlichesEigenleben entwickelt.

    Trio Anamirasia Luftringe:Drei Damen frOlympia! Mit Miroslava, Anastasia und Nastiyagehen diesen Winter drei Elfen in die Luft, dieweit mehr beherrschen als die schmalen Reifen,um die herum sie sich grazil verbiegen.

    LIFT - Porteur Parallele:Entschlossen schrei-ten die vier Akrobaten auf ihr Publikum zu.Mit einem koketten Augenzwinkern bewegensie sich kraftvoll in die Hhe. Gleich einemFoucaultschen Pendel schwingen Blancaluzund Laura in alle Richtungen im Rund ber derManege. Immer wieder gefhrt von den starkenArmen ihrer mnnlichen Partner und mit einer

    Geschmeidigkeit, als wrden sie getragen vonder Luft unter der Kuppel.Nicol Nicols Seiltanz:Mit Nicol Nicols hlt dieLeidenschaft Einzug in den Weihnachtscircus imTempodrom. Der junge Spanier ist Mitglied dervierten Generation einer alten Circusfamilie undkombiniert geschickt klassischen Seiltanz undAkrobatik mit den Tanzstilen seiner Heimat. Alseiner der wenigen Vertreter seiner Disziplin wagter den Salto vorwrts auf dem Seil.

    Human Flag Chinese Pole:Mit einer unglaub-lichen Eleganz bewegen sich Karen und Dominicgeschmeidig durchs Scheinwerferlicht. Selbst derroutinierteste Zuschauer verliert bei ihren schwe-relosen Bewegungen die Orientierung, wo obenund unten, vorne und hinten ist. Mit ihrer Dar-bietung definieren die beiden Kanadier das Genredes Chinese Pole auf ganz neue Art und Weise.

    Wunderbare Darbieungen waren au die Zuschauer (Foo: Kai Heimberg/Roncalli)

  • 7/25/2019 FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

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    stras senfeger | N r. | Dezember FROHES FEST |

    Helfen & Feiern das

    ist wunderbar!Frank Zanders 21. Weihnachtsfeier fr Obdachlose & BedrftigeB E R I C H T : A s t r i d

    Am 21. Dezember findet sie wieder statt FrankZanders Weihnachtfeier fr Obdachlose und Be-drftige. Rund 3 000 Obdachlose und Bedrftigewerden seinem Aufruf folgen und sich im Con-vention Center des Estrel-Hotels mit Gnse-

    keule und Rotkohl und bei bester musikalischer Unterhaltungeinen schnen Abend machen. Zum 21. Mal (!) organisierenFrank Zander und seine Familie dieses wunderbare Fest nunschon. Immer wieder gelingt es ihm und seinem Team, gen-gend Spenden und Helfer zu organisieren, damit diese Feierstattfinden kann, auch wenn es von Jahr zu Jahr schwerer wird.Ich finde das ist wirklich sehr bewundernswert!

    Letztes Jahr bekam ich, nachdem ich Markus Zander, denSohn von Frank und Cheforganisator der Feier, fr den stras-senfegerinterviewt und auch darum gebeten hatte, ein soge-nanntes Helferbndchen. Nur zur Weihnachtsfeier zu erschei-nen und mich dort verwhnen zu lassen, das erschien mir zuwenig! Nein, ich wollte wenigstens einmal sehen, wie es hinterden Kulissen dieser Feier aussieht, was es bedeutet, diesesMegaevent zu organisieren und durchzufhren. So stand ichdann morgens um 7 Uhr am Tor, wo wir ehrenamtlichen Hel-fer eingelassen werden sollten. Erst kamen einige Lastwagen,

    dann erschien Markus Zander und wir wurden ins Estrelgelassen. Nachdem unsere Bndchen geprft worden waren,erhielten wir auch noch T-Shirts mit der Aufschrift Weih-nachten mit Frank Zander und wurden dann auf die Bereicheverteilt.

    Die Hlfte von uns war fr den Saal zustndig: Da hie es,die Tische zu decken, Servietten zu falten und auszulegen,Tischschmuck aufzustellen und auch schon die Bestecke zuverteilen. Auch der groe Weihnachtsbaum auf der Bhnewurde von drei Leuten geschmckt. Ich hatte mich mit derzweiten Hlfte der Helfer in den anderen Teil des Conven-tion Centers begeben. Dort erfuhr ich, dass wir zustndig frdas Befllen der Taschen waren, die die Gste nach der Feierwrden mitnehmen knnen. So um 8 Uhr 30, als endlich die

    letzten Waren eingetroffen waren, begannen wir, die Taschenzu fllen. Wir waren um diese Zeit geschtzte 35 Helfer. TolleDinge kamen in die Taschen: Krperpflegeprodukte, Rasierer,Kmme oder Brsten, Schokolade, Sfte und auch haltbare

    Wurst, die ein Lieferant gespendet hatte. Eine Firma aus derSchweiz hatte Unterwsche gespendet, auch diese wurde indie Taschen getan.

    Diejenigen von uns, die nicht mehr helfen konnten, wander-ten in den Saal, wo bereits die Knstler probten. Dann sah ich

    jemand, den ich kannte. Es war meine Sachbearbeiterin vomGrundsicherungsamt. Sie und ihre Kolleginnen kamen nachder Arbeit, um zu helfen. Da fiel mir auf, ja wir waren nun einpaar mehr Leute als am Morgen. Inzwischen verabschiedetensich auch Helfer, manche mussten zur Arbeit oder die Kinderabholen. Ich wollte weitermachen. Pltzlich tauchte ein Mannauf und unterbrach mal kurz die Proben. Die Kchenkrfteund die Helfer, die servieren sollten, wurden gebraucht. Ich

    kannte mich aus mit der Essensausgabe, also meldete ich mich

    fr die Kche. Ich wurde auch prompt genommen und mar-schierte hinter meinem Koch her, als der unsere kleine Truppemitnahm. Unsere Einweisung begann, dann tauchten die Ser-vierer auf, wurden auch eingewiesen. Dann hie es warten.Schnell suchte ich noch ein bestimmtes rtchen auf und sah,als ich zur Tr rauskam, die ersten Gste. Die Feier hatte be-gonnen, und ich flitzte wieder in die Kche.

    Ich muss sagen, wie wir es geschafft haben, innerhalb voneiner halben Stunde ber 3 000 Essen an fnf Essensausgabenfertig zu bekommen, wei ich nicht, aber wir schafften es.Dann schnauften wir durch und schlugen uns gegenseitig aufdie Schultern. Professionelle waren wir ja alle nicht, aber eshatte ohne Scherben und Katastrophen geklappt. Die Servie-rer und einige Helfer rumten wieder ab, und es war uns mg-

    lich, das Programm noch zu genieen. Als ich dann gegangenbin, muss ich gestehen, mir taten die Fe, mein Kreuz undach, eigentlich fast alles bis auf die Ohrlppchen weh. Trotz-dem war ich sehr stolz, als ich nach Hause ging.

    Und auch dieses Jahr wird es wieder so sein: Die ehrenamt-lichen Helfer, die diese Feier erst mit mglich machen, dieSpender, die Sachen geben und auf Werbung im Saal whrendder Feier verzichten, und viele Obdachlose, Wohnungsloseund arme Menschen, die sich auf eine Feier freuen drfen, inder sie im Mittelpunkt stehen, werden wieder ein paar wun-derbare Stunden erleben.

    Bndchen fr die Feier und die Busse knnen am 18. Dezem-ber in der Beratungsstelle fr Wohnungslose in der Levet-zowstrae 12a zwischen 13 und 19 Uhr abgeholt werden. Siewerden wie jedes Jahr am Handgelenk befestigt, und es gibtnur Eins pro Person.

    Hier servier der Che noch persnlich und mi sehr viel Herz! (Foo: Archiv srasseneger)

  • 7/25/2019 FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

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    INFO

    Heiligabendholine:030/93939-7711, erreich-bar Mo-Fr von 9-19 Uhr

    Holine r Vor- undNachweihnachsau-rge: 030/93939-7712,erreichbar Mo-Fr von11-16 Uhr

    www.sudenen-werk-berlin.de

    Weihnachtsmann &

    Engel & ChristkindZu Besuch auf der WeihnachtsmannvollversammlungB E R I C H T : C a r s t e n D a h l e k e ( v e r k a u f t d e n s t r a s s e n f e g e r ) | F O T O S : T h o m a s G r a b k a

    Als Kind habe ich es nur geahnt, jetzt, nach Jahr-zehnten, habe ich endlich die Gewissheit: Der

    Weihnachtsmann hat seine Helfer in jeder Stadtund gerade in Berlin ganz besonders viele. Alslangjhriger Autor der sozialen Straenzeitung

    strassenfegerbekam ich von meinem Chefredakteur den Auf-

    trag, zur Vollversammlung der Weihnachtsmannhelfer zu ge-hen: Schau Dir das mal alles an und berichte darber! EtwasBesseres konnte mir nicht passieren, das wusste er aber nicht.

    Ich fuhr vor lauter Aufregung zu frh zum Termin. Das warmein Glck, da ich mir erst einen offenen Eingang in das Ge-bude suchen musste. Am Eingang standen zwei junge Da-men, die mich fragten, ob ich ein Weihnachtsmann wre. Ichsagte Nein, ich wre von der Presse. Daraufhin wurde mirder Weg zum Saal gewiesen, in dem alles stattfinden sollte. Ichging also die Treppe zum Saal in der alten TU-Mensa hinauf.Vor dem Saal machten sich zwei Weihnachtsmanngehilfenfertig, ein lterer Weihnachtsmann nahm dann ihre Dienst-kleidung in Augenschein. Ich schlich mich an ihm vorbei inden Saal und suchte mir einen Platz.

    Die Frage, wer die Weihnachtsmanngehilfen eigentlich sind,ist einfach zu beantworten: Es sind Studenten, die hier an

    den Berliner Universitten studieren, zu weitvon zu Hause entfernt sind, um ber Weihnach-ten zu Hause zu sein. Am Wichtigsten ist wohlfr alle: Sie wollen sich noch etwas Geld hinzuverdienen. Dafr knnen sie sich beim Berli-ner Studentenwerk melden und sich als Weih-

    nachtsmannhelfer registrieren lassen. Am 24.Dezember mssen sie dann als Weihnachtsmn-ner bzw. Gehilfen ausschwrmen, um Familienzu besuchen und zu beschenken.

    Meist arbeiten sie zu zweit, ein Weihnachtsengelund ein Weihnachtsmann. Jedes dieser Paare be-sucht zwischen zehn und fnfzehn Familien, jenachdem wie viele Anmeldungen von Familienfr die Weihnachtsbesuche vorliegen. Man kannsie per Internet ber das Studentenwerk ab An-fang November buchen. Ein Besuch erleichtertden finanziellen Familienhaushalt um 46 Euro.Je weiter es aus dem Stadtzentrum hinausgeht,desto teurer wird es, es kostet dann fnf Euroextra oder mehr. Genaueres kann man beimBerliner Studentenwerk ([email protected]) erfragen.

    stras senfeger | Nr. | Dezember | FROHES FEST

    Jede Menge Weihnachsmnner und -engel sehen berei r den Heiligabend

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    Das Organisationsbro befindet sich in der Har-denbergstr. 34 in Berlin-Charlottenburg. Dortwerden die studentischen Weihnachts-Helfer_In-

    nen auf ihre ganz spezielle Ttigkeit eingestimmt.Sie bekommen viele Infos zu Sitten und Bruchenund generell der Kultur des Heiligabends vermit-telt. Es werden aber auch die Kostme der Weih-nachtsmnner, der Engel und Christkinder ber-prft. Studenten, die diese Ttigkeit das ersteMal mitmachen, knnen dort natrlich auch diebesten Tricks von erfahrenen Weihnachtsmann-helfern und Helferinnen erfahren.

    Bei meinem Pressetermin sorgte der KammerchorWedding zu Beginn mit dem Lied Oh Tannen-baum fr die passende Stimmung. Es folgte einekurze Danksagung eines leitenden Mitarbeitersvom Studentenwerk an die Weihnachtsmann-helfer. Dann sang der Chor eine mir unbekannteVersion von Ave Maria. Das komplette, ein-stndige Programm hier aufzuzhlen, wrde den

    Rahmen sprengen. Fasziniert war ich von derBallettschlerin Maja Helfiker von der staatlichenBallettschule Berlin. Sie hat mit ihrer Ballettlehre-

    rin einen Tanz entwickelt und einstudiert, der sichDer Schwan nennt und diesen in der Veranstal-tung vor Publikum und Presse vorgefhrt. Nachdem Programm mussten alle Weihnachtsmann-helfer samt Weihnachtsengel und Christkinderzur Gesangsprobe auf die Bhne.

    Eine kleine, aber wichtige Information fr un-sere Leser von mir persnlich: Die Weihnachts-engel und Christkinder knnen sich unsichtbarmachen, wenn sie durch die Gegend fliegen,sie haben ja Flgel. Dass sie sich beim Fliegenunsichtbar machen, dient dazu, dass sich diePiloten in den Flugzeugen nicht erschrecken,wenn sie vorbei fliegen. Wie sie das machenund wann, haben sie leider auch mir nicht ver-raten! Dies scheint fr immer ihr Geheimniszu bleiben.

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    Welcome to Germany auch

    in der WeihnachtszeitWie viele Urlaubstage hat die deutsche Willkommenskultur?B E T R A C H T U N G : T a n n a z F a l a k n a z

    Der Winter ist eingebrochen und dieFeiertage stehen vor der Tr. Wh-rend das ein oder andere Ehrenamtsich zu Weihnachten eine Auszeit

    nehmen wird, werden in Berlin endlich neuekonstruktive Lsungen fr wartende Geflchtetegesucht. Was aber passiert mit den Flchtlingenam LAGeSo in der Weihnachtszeit?

    Auf den bunten Pappen steht Welcome to Ger-many. Die Flower-Power-Blumen schmckendie Schrift, die teils liebevoll, teils in aller Eileaufgemalt worden ist. Deutschland ein Willkom-mensland. Die Medien zeigen die Bilder zu denbesten Sendezeiten. Bilder von Menschen, die zu

    jeder Tages und Nachtzeit die Geflchteten anden Bahnhfen Deutschlands jubelnd empfan-gen. Deutschland begleicht die Schulden seinerVergangenheit. Der Applaus bringt in aller Laut-strke zum Ausdruck, dass Deutschland sichverndert hat, dass Deutschland bunt ist. Buntwie all die Blumen, auf den Pappen, die schonlange nicht mehr hochgehalten werden. Denn

    jede Euphorie hat mal ein Ende. Whrend dieZahl Geflchteter zunimmt.

    Und wie geht es zur Weihnachtszeit weiter?Die meisten der Geflchteten hat die Realittlngst berholt. Wenn sie durch den Knig-steiner Schlssel, dem Verteilungsschlssel desBundes auf die einzelnen Bundeslnder, auf Ber-lin verteilt worden sind, fhrt kein Weg an derzweitberhmtesten Schlange Berlins vorbei. Seitdem Sommer haben sich vor dem LAGeSo, demLandesamt fr Gesundheit und Soziales an derTurmstrae, lange Schlangen gebildet. Wo in derHitze Wasserflaschen verteilt wurden, werden

    jetzt warme Decken ausgeteilt. Der gefrchtete

    Winter Berlins verschont niemanden. Keinerwei, wie es weitergehen soll und zeitgleich weijeder, dass es ohne die Hilfe der vielen Ehrenamt-lichen lngst schon eine weitere Dimension desChaos angenommen htte. Wie werden sich dieFeiertage auf das Ehrenamt aller auswirken, dieTag fr Tag an ihre Grenzen gehen? Wie viele Ur-laubstage hat die deutsche Willkommenskultur?

    Was passiert hinter den Tren all der Geflchte-tenunterknfte, wenn Heiligabend ist, wenn alldie Freiwilligen sich eine Auszeit nehmen, zu ih-ren Familien fahren? Wenn mter eigentlich zuhaben, und es ber Tage nichts gibt, wofr mansich anstellen kann. Hat auch nur irgendjemandmal darber nachgedacht?

    Das LAGeSo als Symbol politischen VersagensOb das LAGeSo ber die Weihnachtstage ge-

    ffnet habe, habe ich das Amt per Mail gefragt.Schlielich ist das Amt aufgrund der Notsitua-tion derzeit nicht anderen mtern gleichzustel-len. Jeder, der mal am LAGeSo war, wei, esgeht um existentielle Bedrfnisse vieler Men-schen, die auf Hilfsleistungen warten oder nochgar keine Registrierung haben, weil die Politikversagt hat und man trotz Vorwarnung zu langenichts unternommen hat. Das Landesamt koope-riert nicht in ausreichendem Mae mit der Se-

    natsverwaltung. Sozialsenator Mario Czaja undInnensenator Frank Henkel stehen schon langein der Kritik. Nun scheinen bei den ebenbenann-ten die Alarmglocken zu luten. Denn in einemEntwurf fr ein neues Gesetz skizziert man nunbehrdliche Alternativen.

    Ein neues Amt im FlchtlingsbereichIn einem Entwurf zu einem Gesetz, das nun demAbgeordnetenhaus zugeleitet wurde, erwgtman, der Berliner Morgenpost zufolge, dieAusgliederung des Flchtlingsbereichs aus demLandesamt fr Soziales und Gesundheit. DieZahl Geflchteter berforderte das Amt, dassich unter anderem mit Veterinrwesen, Apo-theken, Renten und Krankenhausaufsicht be-schftige. Die Zahl Zustndiger ist dementspre-chend von 30 auf 700 erhht worden. In dem

    neuen Amt, das ebenfalls an der Turmstrae seinwird, sollen Arbeitsprozesse neu organisiert undVerantwortlichkeiten unter den Abteilungslei-tern klarer verteilt werden. Vernderungen undEntwicklungen sind gut. Doch jeder wei, der

    Weg von einem Gesetz zu der eigentlichen Um-setzung braucht auch Zeit. Zeit, die die Men-schen nicht haben. Und der Winter zeigt sichunsolidarisch. Eine Projektgruppe werde dasneue Amt unter der Leitung von Claudia Lan-

    geheine, der Direktorin des Landesamtes frBrger- und Ordnungsangelegen aufbauen. Ichbin gespannt, wie viele Ehrenamtliche das mit-tragen mssen und werden.

    Es bleibt spannendAuf meine E-Mail-Anfrage an das LAGeSo, obdas Amt denn ber die Weihnachtsfeiern geff-net habe, habe ich bislang keine Antwort erhal-ten. Man will oder kann mir diese simple Fragenicht beantworten. Vielleicht sind die Zustn-digen derzeit nicht da oder sie sind anderweitigbeschftigt. Schlielich ist bald Weihnachts- undFamilienzeit, auch fr die vielen Freiwilligen unddie Arbeitenden am Landesamt fr Gesundheitund Soziales. Es tut allen gut, diesem Ort zu ent-fliehen. Ein Ort, wo es schon so lange ungemt-lich und kalt geworden ist.

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    Mitlerweile sind die Zusnde vor dem LAGeSo noch viel schlimmer! (Foos: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)

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    INFO

    www.acebook.com/evens/1621062948143186/

    Weihnachten im YAAMEin Fest fr alle an HeiligabendB E R I C H T : L e o n i e

    Jedes Jahr sprieen mehr Weihnachtsfeiern aus dem Nichts,oft mehr, als man besuchen kann. Familie, Freunde, Ar-beitskollegen. Auch wohlttige Veranstaltungen gibt esgerade zu Weihnachten unzhlige. Doch recht wenigefinden tatschlich an Weihnachtsabend statt. Insbeson-

    dere fr obdachlose Menschen gibt es am Heiligabend kaumeinen Ort, an dem sie das Weihnachtsfest feiern knnen. Einelbliche Ausnahme ist das YAAM, dort schliet man nichtzu Weihnachten einfach die Pforten, sondern ldt stattdessenalle ein. Auch in diesem Jahr ist das so: Wrme mit Herz- Die Klte Nothilfe und das YAAM (Young and African

    Arts Market) veranstalten am 24. Dezember nun schon zumvierten Mal ihre Weihnachtsfeier fr Obdachlose (und alleanderen Menschen!) an der Schillingbrcke 3.

    Und warum nicht Weihnachten mal mit lauter Fremden fei-ern? Klingt nicht so toll? Ist es aber! Ich kann sogar sagen,dass ich nie ein schneres Weihnachtsfest hatte, als im letztenJahr. Denn da machte ich mir nmlich ber eine Frage Gedan-ken, die auch in dieser strassenfeger-Ausgabe behandelt wird:

    Was passiert eigentlich an Heiligabend selbst? Helfer undgroartige Menschen gibt es ja eigentlich immer, mal mehr,mal weniger. Aber am Weihnachtsabend? Wo doch eigentlich

    jeder im Kreis der Familie ist? Was passiert da mit all denen,die keine Familie, keinen Ort zum Feiern, keine Mittel haben?

    Organisiert wird das Weihnachtsfest im YAAM von Zoltan Do-minic Grasshoff und seiner Klte Nothilfe. Das Projekt gibtes seit 2010 und organisiert sich komplett ber die soziale

    Plattform Facebook. Jeder kann und soll mitmachen, Ideen,Freunde und Transparenz sind willkommen. Die Idee fandich schn, also habe ich im vergangenen Jahr meine Muttergeschnappt und bin hin. Und siehe da: Es gibt manchmal auchberfluss an den richtigen Stellen. Von allem war genug da,

    Weihnachtsbume gab es tatschlich so viele, dass einige da-von in Reih und Glied vorm Eingang aufgestellt wurden.

    Kleiderspenden, Hygieneartikel und Kinderspielzeug wurdenverpackt oder zumindest so arrangiert, dass es fr die Gstekein gewhnliches Spenden-Abholen, sondern ein Entdeckenund Aussuchen war. Das Essen, von vielen freiwilligen Helferngeschnippelt und vorbeigebracht, wurde zu einem richtigenBuffet hergerichtet, und um die Bhne herum wurden Tannenmit Lametta und Christbaumkugeln dekoriert. Das Schnstewar jedoch das Miteinander. Ein richtiges Weihnachten. Eins,wo nicht zhlt, was man verschenkt oder bekommt. Sonderneins, wo alle dazugehren: Helfer, Grofamilien, Obdachlose,Kinder, Hunde, Omis, Flchtlinge, Studenten. Alle gemein-sam ca. 600 Leute. Es wurde gegessen, getanzt, musiziert.Orchester und Obdachlose hatten die Bhne gleichermaenfr sich, Helfer durften (und sollten) eben so viel essen wiedie Gste und so war es eben weniger eine Hilfsaktion als

    vielmehr ein gemeinsames Fest, bei dem wirklich jeder aufseine Kosten kam und somit auch viel mehr zu geben hatte.

    Das Weihnachtsfest im YAAM findet ab 13 Uhr statt. Werschon frher (ab 11 Uhr) zum Helfen kommen mchte, derschreibt einfach eine Nachricht an die Klte Nothilfe oderkommt vorbei. (Zitat Klte Nothilfe: Einfach die Ideensprieen lassen!). Um 17:30 Uhr gibts die Bescherung undum 20 Uhr eine Jam Session, fr die Musikinstrumente (gerneauch als Spenden!) sehr willkommen sind. Ansonsten darfnatrlich auch gern ein bisschen Geld oder Kleidung gespen-det werden, da die ganze Aktion nur von der Klte Nothilfeund ihren freiwilligen Helfern gestemmt wird. Auerdemgilt: Je mehr, desto besser (hnlich wie bei Grofamilien),also auf Facebook gehen, Veranstaltung anklicken, Freunde

    einladen. Und natrlich: Vorbeischauen. Wer partout keinePltzchen backen kann, der bringt eben einen Auflauf mit.Wer das nicht kann, der singt eben ein Weihnachtslied. Werdas nicht mag, der darf auch einfach ein bisschen am Tischsitzen und Weihnachten feiern. Zusammen ist nmlich dochschner. Frohe Weihnachten.

    Weihnachen r alle das YAAM ld ein! (Foos: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)

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    Halleluja, Hosianna

    in der HhWarum ich Weihnachten nicht ausstehen kannB E R I C H T : D e t l e f F l i s t e r

    Angeekelt kaufe ich Weihnachtsgeschenke, weilman das eben so macht. Spitze, wenn man dieRolltreppe rauf fhrt und es kommt der dritteund vierte Mensch, der einen so anrempelt, dassman fast dieses Ding runter fllt. Immer wieder

    drngeln sich irgendwelche Idioten vorbei, die Angst haben,dass der Weihnachtseinkauf fnf Minuten lnger dauert undsie etwas verpassen knnten. Womglich knnen sie ein paarMinuten verlieren und verpassen noch ihre tolle Soap, diesie unbedingt sehen mssen. In Hintergrund suselt StilleNacht, heilige Nacht!, schn kitschig in amerikanischer

    Weise arrangiert.

    Ich gehe in den Spielladen und schaue desinteressiert undziellos nach einem guten Spiel, das man auch noch zu zweitspielen kann. Bei meiner Schwester muss ich dann immer alsSpielpartner herhalten und das macht ja so viel Spa! Ri-siko neue Mittelalterversion 36 Euro! Geht nicht! Ichhabe nur 80 Euro fr drei Geschenke zur Verfgung. Die mo-derne Luxusausgabe von Monopoly (ein absolutes Schei-Kapitalistenspiel), auch zu teuer. Verrgert wende ich michvon den Spielen ab. Ich brauche auch noch Weihnachtspapier,Schleifen und Geschenkanhnger, Kleinzeug kostet fr drei

    Geschenke auch um die 10 Euro. Bleiben fr die Geschenke,die ich oh Graus, noch einpacken muss nur noch 70 Euro.Ich kann noch nicht mal das schenken, was ich gerne mchte.Ich komme mit einem relativ kleinen Bild Malen nach Zah-len (Hundebabys) fr Beate, zwei Fantasie-Taschenbchernfr Jutta, meiner zweiten Schwester, und Spielzeugauto undStofftier fr ihren kleinen Sohn heraus und es bleiben nochzwlf Euro brig fr Geschenkpapier nebst -anhnger, Weih-nachtspapier und drei Weihnachtskarten. Das schleppe ichalles zur Kasse und bezahle und es bleiben freundlicherweisenoch rund vier Euro brig, von denen ich mir einmal Chinanu-deln mit Hhnerfleisch und Gemse leiste. Mit leerem Porte-monnaie verlasse ich das Einkaufszentrum Ja Hallelujaund Hosianna in der Hh es ist Weihnachten.

    Auf der Rckfahrt denke ich daran, dass ich schon irgend-wann im Juli die ersten Weihnachtssigkeiten gesehen habe:groe, protzige Weihnachtsmnner aus schwerer Schokoladefr Fantasiepreise, die unsereins sowieso schon nicht mehrbezahlen kann und von denen einem schon schlecht wird,wenn man sie nur ansieht. Es gibt auch noch Kleingelumpewie Lebkuchen, zuckerse Sterne und anderer Krimskrams,bei denen man zwei -, vielleicht dreimal in die Tte greift unddann sind sie die Dinger schon alle, gerade wenn`s zu schme-cken anfngt. Die ersten Weihnachtssigkeiten habe ich vonunserem Betreuungsverein und meiner Schwester schon zumNikolaus bekommen und habe sie in Faustsituationen schonalle aufgefuttert vor lauter Alltagsfrust, bis mir schlecht davonwurde... Halleluja, Hosianna in der Hh bald ist wieder

    Weihnachten, ach wie schn!

    Als ich zu Hause ankomme, mache ich mir einen Kaffee undsetze mich in die Kche. Zum Kaffee gibt es die x-te Packung

    Mandelspekulatius zu 1,39 Euro die Packung bei Netto zuerwerben. Gut gelaunt knappere ich an meinen Keksen rumund trinke meinen Kaffee. Was mir noch einfllt und mirbesondere Freude macht: Morgen gibt es wieder Kerzengieen bei der Brgerhilfe. Bestimmt stellen wir an einemanderen Tag auch noch Seifen her. Oh, wie das Spa macht!

    Wenn ich Glck habe, darf ich kurz vor dem Weihnachts-markt auch noch kleine Holzkistchen anmalen, die ich vor-her mit einer Feile zurechtfeilen muss. Welch eine Gaudi!Aber das muss schlielich sein. Irgendein Schei muss ja aufdem Weihnachtsmarkt in Karlshorst verkauft werden. DieLeute mssen nette und nicht so teure Geschenke auf dem

    Weihnachtsmarkt kaufen knnen, sonst geht die Welt nochunter!Schlielich Halleluja und Hosianna in der Hh ist

    bald Weihnachten.Mir fllt bevor ich hier endlich aufhre unser Familien-weihnachten ein. Der Streit um die Besorgung und die Gestal-tung des Weihnachtsbaumes, die viel zu zhe Gans sind eineherrliche Sache und retten die Weihnachtstage. Schlielichgibt`s ja auch noch die tollen Weihnachtsgeschenke und eineherrliche Schelte von Oma, weil ich wieder so wenig gesparthabe und wieder nur billiges Zeug gekauft habe, nur an michselber gedacht habe. Ich kriege immer so schne (teure) Sa-chen und wrde mich mit meinen Geschenken immer so billighalten. Schmen solle ich mich! Ja, die Weihnachtstage sindspitzenmig. Auch das Weihnachtssingen: Wenn Mutterwieder Stille Nacht, heilig Nacht versaut. Sie knnte auchBlau blht der Enzian von Heino singen: Ob Weihnachts-lied oder Schlager, klingt bei ihr sowieso alles gleich! Aber dasmuss wohl so sein! Schlielich Halleluja, Hosianna in derHh ist es Heiligabend!

    stras senfeger | Nr. | Dezember | FROHES FEST

    Risiko2(Quelle: Peer Niemayer/CC BY-SA 3.0 Wikipedia)

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    Karikaur: OL

    Weihnachten in der StadtEin Hrbuch von Helmut HakerR E Z E N S I O N : A n d r e a s P e t e r s

    H

    elmut Haker schrieb neun Jahrelange jedes Jahr eine Erzhlung, dieuns nun als Hrbuch mit dem TitelWeihnachten in der Stadt vorliegt.

    Es sind Geschichten vom Schicksal einzelnerMenschen in der Weihnachtszeit, die Kai Schulzmit ebenso sanfter wie eindringlicher Stimmevortrgt, begleitet von sanften musikalischenEinlagen zwischen den einzelnen Geschichten.Haker lie sich in seinen Erzhlungen von derbiblischen Weihnachtsgeschichte (Lukas 1-21)leiten und inspirieren.

    So schrft er unsere Wahrnehmung in Bezugauf unseren Umgang mit Weihnachten und ff-net uns fr die biblische Geschichte zur ChristiGeburt. Da geht es um die Katze Charlie, dieuns Menschen in ihrem weihnachtlichen Stresserlebt. Das Erstaunen einer Katze ber all das,was uns als Menschen so selbstverstndlich er-

    scheint, wirkt erhellend: Ob es nun die Schnee-flocken drauen am Fenster sind oder diesespicksige Gebilde mit den glnzenden Kugeln,welches im Wohnzimmer steht.

    Haker schreibt in seinen vorliegenden Erzhl-band aber vor allem vom Glck und Unglck

    einzelner. Es geht um den todkranken Jungen,der einem heilbringenden Engel begegnet; einanderes Mal geht es um den Trinker Albert, derber Umwege zum Heiligabend schlielich inden Armen seiner Mutter landet, um sie um Ver-zeihung zu bitten.

    Die Erzhlungen von Haker sind an diesen Stel-len rhrend und voller Mitmenschlichkeit. Pas-send zum Fest der Liebe. Doch Haker scheint esum mehr zu gehen. Wenn er an anderer StelleDietrich Bonhoeffer mit seinen Worten vonguten Mchten geborgen... zitiert, gelingt esihm in den Erzhlungen, das Weihnachtsfest alsspirituelle Erfahrung zu beschreiben, und zwarohne reale Situationen und Menschen auszu-klammern. Das ist fr Kinder nicht immer ver-stndlich, fr Erwachsene aber durchaus einebesinnliche, wie bereichernde Kurzweil in demoft sinnentleerten weihnachtlichen Treiben.

    INFO

    Helmu Haker Weihnachen in derSad, Erschienen als Hrbuch imWiedenverlag Criviz

    Cover (Quelle: Verlag)

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    Oh, Du schne

    Weihnachtszeit!Oder was schenkt Man(n) seiner FrauB E R I C H T : A s t r i d

    Ich muss gestehen, auf die Idee zu diesem Ar-tikel kam ich, als ich in der Zeitung von Wer-bung diverser Elektrolden beinahe erschla-gen wurde und dann eine Fernsehwerbung

    bewundern durfte. Die Fernsehwerbung zeigteeinen Mann, der seiner Frau ein Bgeleisenschenkt. Ich dachte: Junge, das ist aber sowasvon 50-er Jahre Retro, das glaubt Euch niemandmehr. Einer Frau heutzutage ein Bgeleisen zuschenken? Puh, das kann in den grten Weih-nacht-Streit enden. Die Ladenwerbung? VonPCs ber Fernsehern bis zu Kameras oder BlueRay Playern war alles im Angebot. Da grbelteich. Ich bin eine Frau; wrde ich mich freuen,wenn mir mein Mann einen 55-Zoll-LED-Fern-seher zu Weihnachten schenkt? Und wenn ichmir dazu vorstelle, dass jedes Wochenende seineFreunde bei uns zum Fuballgucken kommenwollten, wohl eher nicht.

    Ich verspreche, es kommen nun keine Witze berdie Mnner, die in Panik am 24. Dezember einGeschenk suchen, davon gibt es zu viele. Aber

    vielleicht eine kleine Hilfe fr die Mnner, diewie jedes Jahr am Grbeln sind. Schnappen Siesich mal die Handtasche Ihrer Frau/Freundinund kramen Sie mal drin. Ich wei, eigentlich tutman das nicht. Mglich, dass Sie auf ein winzi-ges Flschchen Parfm stoen. Einstecken undab in den nchsten Laden, einer Verkuferinin der Parfmerieabteilung das Ding unter dieNase halten. Natrlich mit der Frage Was istdas? Falls sie gut ist, haben Sie in krzester Zeitein Parfm, lassen es einpacken und gehen be-schwingt nach Hause. Ist es nicht das Lieblings-parfm Ihrer Frau, mal kurz lgen. Aber Lieb-ling, Du hast danach geduftet. Ich mochte es undarbeitete mich dafr durch die Parfmabteilung,

    um es zu finden! Nun ja, dann bekommen Sievielleicht ein paar Punkte fr Ihre Mhe.

    Schmuck? Wenn Sie viel Geld haben. Dabeiist es nicht immer die Idee, die zhlt. Hat IhreFrau eine Metallallergie? Ist der Schmuck nurvergoldet, knnen Hautirritationen auftreten.Dessous? Puh, sehr schwierig! Wenn sie wirklichschick sind, kann es gut gehen. Aber nur dann,wenn Sie die Mae Ihrer Partnerin auch ganz ge-nau kennen. Wenn sie A hat und Sie mit DoppelD ankommen, knnte sie Ihnen das auch ein biss-chen belnehmen. Dann lieber einen Gutscheinfr ein Wschegeschft; Sie sucht sich schon aus,was Sie und auch sie selbst mag.

    Dann fiel mein Auge in der Werbung eines Elek-troladens auf einen Artikel, und ich dachte nach.

    Dann lachte ich laut los und wurde komischangeguckt. Vor meinem geistigen Auge spieltesich nmlich folgende schne Geschichte ab:Eine Frau sagt ca. eine Woche vor Weihnachtenzu ihrem Mann: Wrdest Du mal nachsehen,ob die Lichterkette fr den Baum funktioniert?Gesagt, getan, nach zehn Minuten steht der

    Mann mit einem Knuel in der Hand in der Tr.Den Knoten bekomme ich nie wieder raus. Wirbrauchen eine neue. Im Elektroladen/Baumarktsteht dann der Mann und sieht sich um. Wo sinddie Lichterketten? Er ist doch der Mann, alsowir finden die schon. Auf gehts in die Tiefen desMarktes. Und dann geschieht es: Ein goldenesLicht leuchtet auf und lenkt den Blick des Man-nes auf den Akkuschrauber XYZ 800; 1 200

    Watt Leistung; Rechts und Linkslauf! Mit einemLeuchten in den Augen bleibt er stehen, so etwashat er sich gewnscht. Aber eine sehr bekannteStimme sagt zu ihm: Du hast genug Werkzeuge!Ich muss immer meinen Vater bitten, wenn etwasbei uns gemacht werden muss! Zart streichenseine Finger ber dieses edle Gert, dann siehter die genaue Beschreibung. Akku-Laufzeitsechs Stunden, Ladezeit vier Stunden und nur

    sagenhafte 1 000 Gramm Gewicht! Also auch frltere oder Frauen geeignet! Beinahe htte derMann die Lichterkette vergessen, aber dann hater sie doch noch erworben und kommt nach dreiStunden wieder zu Hause an.

    Der 24. Dezember ist da, und sie packt ihre Ge-

    schenke aus. Dann erstarrt sie. Da die Kinderund auch die Schwiegereltern da sind, wird siewahrscheinlich nur lcheln. Aber mglicher-weise schlft dieser Mann die nchsten drei Wo-chen auf der Couch. Vielleicht darf aber den Ak-kuschrauber behalten. Es kann aber auch ganzanders laufen. Sie sucht die Quittung, tauscht das

    Weihnachtsgeschenk ihres Mannes gegen Baresoder etwas Anderes um. Oder sie nimmt Rachefr den Akkuschrauber. Der Mann darf Babysit-ten, whrend sie im nchsten Baumarkt einenHandwerker-Kurs macht, den ja viele Baumrktemittlerweile fr Frauen anbieten. Manchmal so-gar kostenlos. Dumm gelaufen. Oder? Nun ja, eswar ja nur so eine kleine, lustige Geschichte vormeinem geistigen Auge

    Frhliche Weihnacht!

    stras senfeger | Nr. | Dezember | FROHES FEST

    Akkuschrauber mi mechanischer Drehmomenbegrenzung, Zweiganggeriebe, Schnellspannuter und Schnellla-

    deger (Foo: smial/Rainer Knpper/Wikimedia Free Ar License)

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    Wie schn, dass es dich gibt!Ein freundlicher Appell an alle Betroffenen des stressigen WeihnachtsfestsB E T R A C H T U N G : P a u l i n a

    Es ist soweit. Ein Groteil der Ladenflche in Ge-schften wird von Nikolusen und Lebkuchenher-zen eingenommen. Mir erscheint es jedes Jahr re-gelrecht wie eine Invasion. Anfang Oktober sindsie pltzlich da, die Berge von Weihnachtsmnnern

    und bunten Christbaumkugeln. Trotz allem finde ich die Feier-lichkeiten schn. Meine Vorfreude richtet sich auf das tsche-chische Abendessen am 24. bei meiner Oma, zusammen mitder ganzen Familie.

    Leider lsen die Feiertage nicht bei jedem solche positiven Ge-fhle aus. Der Grund? Weihnachten wird oft auch als anstren-gend empfunden. Wer sich nicht in den weiten Sphren desInternets auf die Suche nach einem passenden Prsent macht,der tut es in berfllten und vllig berhitzten Kaufhusern.Potenzielle Empfnger gibt es viele. Verwandtschaft, Arbeits-kollegen oder gar der Chef vom scheinbar obligatorischen

    Wichteln mal ganz abgesehen. Das Fest der Liebe wird zueinem Fest des Konsums. Weihnachten kostet nicht nur vielGeld sondern auch Zeit. Und letzteres ist ein Phnomen, beidem man fragen kann, ob es sich nur in unseren Kpfen ab-spielt. Sie verrinnt so schnell nicht nur subjektiv. Wo sollalso bei alltglichen Anforderungen durch Beruf, Familie und

    unseren persnlichen Hobbys noch Zeit fr Feiertagsvorbe-reitungen bleiben?

    Kennen Sie den Film National Lampoons Christmas Vaca-tion von 1989? Der Deutsche Titel lautet Schne Besche-rung, und wahrscheinlich ist Ihnen am besten der ikonischeCharakter Clark Griswold bekannt, der alles daran setzt, dasperfekte Weihnachtsfest mit seiner Familie zu feiern. In derKomdie geht alles schief, was nur schief gehen kann. Aberder Familienvater lsst sich in seinem Ziel nicht beirren. Clarkist der Held des Fests und das beste Vorbild, wie man fr eineunvergessliche Zeit sorgt. Dies soll keine Animation sein, ei-nen fnf Meter hohen Tannenbaum zu fllen, auf dem DachIhres Autos nach Hause zu transportieren und schlussendlichin Ihr Wohnzimmer zu befrdern. Auf diese ausgefallene Kos-

    tenersparnis spiele ich nicht an. Ich mchte zu denken geben,dass Weihnachten keine konsumorientierte Feierlichkeit seinmuss, und dass die Festtage zu wesentlich schneren Gefh-len als Angespanntheit fhren knnen.

    Griswold ldt die gesamte Familie ber mehrere Tage zu sichein, und diese verhalten sich nicht wie die perfekten Gste.Es wird viel gestritten und wegen jeder Kleinigkeit genrgelt.Dabei muss man zugeben, dass die ganze Sippschaft auf ei-nem Haufen ziemlich anstrengend sein kann, besonders daverschiedene Generationen aufeinander treffen. Die Komdieveranschaulicht, wie sich jede Planung ins unverhoffte Gegen-teil kehrt aber genau das macht den Humor des Films aus.Niemand htte Interesse daran, eine harmonische Familie zubeobachten, bei denen rund um alles glatt luft. Also warumwollen wir das so sehr? Es bedarf weder aufwndigen Essensnoch berteuerter Geschenke (ein Rckenkratzer fr 9,99Euro wird angenehmere Zeiten bescheren als es die luxurise

    Bodylotion jemals knnte). Mithilfe von gefhlttausend Liefer-Apps muss man fr das Festes-sen nicht einmal einen Finger rhren. Auch dieTanne kann schnell und einfach durch die alteTopfpflanze ersetzt werden, der sowieso schonviel zu lange nicht mehr die richtige Aufmerk-samkeit zugekommen ist. Weihnachten dient derEntspannung. Es sollte ein Fest der Dankbarkeitsein und daran erinnern, dass es uns mglichist, selbstbestimmt Zeit mit unserer Familie zuverbringen in Freiheit und in Sicherheit. Manmuss im Hinterkopf behalten, dass dies momen-tan nicht berall auf der Welt der Fall ist.

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    stras senfeger | Nr. | Dezember | TAUFRISCH & ANGESAGT a r t s t r a s s e n f e g e r

    Ein Blick gengt nichtDie Gemldegalerie am Kulturforum Berlin zeigt eine berraschendeAusstellung, in der Albrecht Drer, Wegbereiter der deutschen Renais-sance, und William Kentridge aus Sdafrika als Knstler, die derDruckgrafik zum Durchbruch oder zum neuen Aufbruch verholfenhaben, gewrdigt werden.R E Z E N S I O N : U r s z u l a U s a k o w s k a - W o l f f

    Albrecht Drer und William Kentridge: zweiKnstler, die zeitlich und inhaltlich weit von-einander entfernt sind. Und doch hngen jetztihre 110 Druckgrafiken nebeneinander in sie-ben Rumen der Gemldegalerie, denn Kunst

    kennt keine geografischen oder zeitlichen Grenzen. DieSchau Double Vision ist das Ergebnis des Transferprojektsder Forschergruppe BildEvidenz. Geschichte und sthetikder Freien Universitt Berlin, welche in Kooperation mit demKupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin dierelationalen Bedeutungsgefge von Exponaten und ihrer Pr-sentation in Museen und Ausstellungen erforscht, mit dem

    Ziel, aus kunsthistorischer Perspektive einen grundlegendenBeitrag zur Ausstellungstheorie zu leisten. Die Wahl fiel aufdiese beiden Knstler wegen der von ihnen in besonderemMae reflektierten grafischen sthetik des Schwarz-Wei.

    S e h e n i m S t e h e n o d e r i m L i e g e nOb diese Schau einen grundlegenden Beitrag zur Ausstel-lungstheorie leistet, sei dahingestellt. Sie ist auf jeden Fallrecht bersichtlich, nicht berladen und zeichnet sich durcheine offene Architektur aus. Manche Exponate kann manim Sitzen oder sogar im Liegen betrachten. Dazu ldt einereichlich mit Kissen bestckte Matratze ein. Einige Bcherund Bltter und ein Monitor sind in Vitrinen untergebracht.Es gibt einen Tisch mit vielen Sthlen, sodass man ganz ent-spannt im schwergewichtigen Katalog schmkern kann. Die

    Ausstellung bietet also gengend Mglichkeiten, die Kunstaus allen Blickwinkeln und Positionen anzuschauen. Undweil Grafik eine Kunst ist, deren inhaltlicher und handwerk-licher Reichtum sich selten auf den ersten Blick offenbaren,ist Double Vision nichts fr Eilige. Wenn Werke zweierMeister, die ein halbes Jahrtausend trennt, zur Schau gestelltwerden, sollte man sich beim Begehen, Sehen, Wahrnehmen,Verstehen und Reflektieren dessen, was sie geschaffen haben,viel Zeit lassen. Da es in der Ausstellung keine erklrenden

    Wandtexte gibt, kann man sich ganz auf die Papierarbeitenkonzentrieren und sie in aller Ruhe genieen.

    S c h w a r z - W e i i m a l t e n u n d n e u e n G l a n zWas verbindet den Nrnberger Albrecht Drer (1471 1528), Wegbereiter der deutschen Renaissance, mit dem1955 in Johannesburg geborenen William Kentridge? Das istvor allem ihre Beschftigung mit der Druckgrafik in Schwarz-

    Wei und den vielen Tnen dazwischen. Albrecht Drer eta-

    blierte den Holzschnitt und den Kupferstich alseigenstndige Kunstgattung, er erkannte auchals einer der Ersten, welche Mglichkeiten dieReproduzierbarkeit der neuen Drucktechnikenbietet. Er grndete seinen eigenen Verlag, indem er seine Werke druckte, an die Buchhand-lungen verkaufte oder sie mithilfe von Agentenvermarktete, was ihm eine materielle Unabhn-gigkeit bescherte und ihn europaweit bekanntmachte. William Kentridge verhilft diesem al-ten Genre, das heute hufig als antiquiert undberholt gilt, zum neuen Glanz und bringt es auf

    Trab. Neben statischen fertigt er auch bewegteBilder, also Animationsfilme, die wie ein Dau-menkino wirken. Rassentrennung, Apartheidund ihr Ende sowie die zunehmende Brutalittder heutigen sdafrikanischen Gesellschaft sindThemen, die sich durch William Kentrigdesschwarz-weies multimediales Werk wie ein ro-ter Faden ziehen. Dabei lsst er sich hufig voneuropischer Literatur, von Alfred Jarry, FranzKafka oder Italo Calvino inspirieren und stelltdie literarischen Helden und Antihelden der Mo-derne in einen sdafrikanischen Kontext. SeineFilme und Druckgrafikserien bestehen aus einerFlut von Szenen, aus denen sich stndig etwasNeues entwickelt.

    D i e M a c h t d e s P a p i e r sDouble Vision ist ein gelungenes Beispiel derKomparatistik. Sie zeigt, dass durch die Kunst-geschichte Motive und Themen wandern, dasssie von neuen Knstlergenerationen aufgegrif-fen, angeeignet, verfremdet, variiert oder neuinterpretiert werden. Der Fundus, aus dem dieKunst sich bedient, ist Mythologie, Religion,Literatur, Fantasie, Geschichte und Gegenwart.Auch wenn die Knstler, wie Albrecht Drer, oftihrer Zeit voraus sind, geben sie ihre Zeit wieder.Er war ein illustrer Vertreter seiner Epoche, nm-lich des Humanismus, und seine Druckgrafikspiegelt das wieder: das Interesse an der Antike,die Lust am nackten Krper, die Begeisterungfr Naturwissenschaft, fr Denker und Forschersowie die Verweltlichung der Heiligendarstellun-

    INFO

    Double Vision: Albrecht Drer &

    William Kentridge

    Noch bis zum 6. Mrz 2016

    Kupersichkabinet Kulurorum amMathikirchplaz, 10785 Berlin

    ffnungszeien: Di - Fr 10 -18 Uhr,Do 10 - 20 Uhr, Sa - So 11 - 18 Uhr

    Einrit: 8/4 Euro

    Kaalog, Sieveking Verlag, Preis34,90 Euro

    hp://doublevision-berlin.de

    hp://bildevidenz.de

    William Kenridge (Foo: Urszula Usakowska-

    Wolff/VG Bild-Kuns)

  • 7/25/2019 FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

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    stras senfeger | N r. | Dezember TAUFRISCH & ANGESAGT | a r t s t r a s s e n f e g e r

    gen, die auf Drers Bildern wie gewhnlicheMenschen aussehen. Nur Melencolia I (1514)scheint nicht von dieser Welt zu sein und for-dert immer wieder zum Grbeln und Rtselnauf. Ein ganz besonderes Werk, das der Insze-nierung der weltlichen Macht dienen sollte, istDie Ehrenpforte Kaiser Maximilian I., von D-rer zwischen 1515 1518 geschaffen, sozusagenein Denkmal aus Papier. Sie wurde aber erstmals

    1526 gedruckt, also sieben Jahre nach dem Toddes Kaisers. Diese monumentale Arbeit, 195Druckstcke auf 36 Grofolienbgen, misstcirca 357 x 309 cm und ist somit der grte Holz-schnitt in der europischen Kunstgeschichte. Frdie Schau Double Vision wurde Die Ehren-pforte neu gerahmt. Das Pendant dazu ist diehalb so groe Lithographie (196 x 180 cm) miteinem Baum inmitten einer Landschaft. DieseGrafik von William Kentridge heit Remem-bering the Treason Trial (2013) und beziehtsich auf den Gerichtsprozess, der 1956 begannund 1961 mit dem Freispruch der mehr als 150Sdafrikaner, die des Landesverrats beschuldigtwurden, endete. Der Knstler, dessen Eltern Ver-teidiger der Angeklagten waren, rechnet auf die-sem Bild mit der Apartheid ab, die jedoch keines-wegs vergessen und immer wieder in Erinnerung

    gebracht werden muss, denn der Boden, auf demMenschenverachtung und Rassenhass gedeihen,ist noch immer fruchtbar.

    D a s R h i n o z e r o s u n d d i e R h i n o sManchmal sind Knstler Magier, denn sie bil-den etwas ab, was sie vorher nie gesehen haben.Das Rhinozeros kannte Albrecht Drer nur vomHrensagen und trotzdem zeichnete er es 1515.

    Bis ins 18. Jahrhundert war das auf seinem Holz-schnitt fast naturgetreu dargestellte Nashorn derInbegriff des Panzernashorns, von Zeitgenossenund nachfolgenden Knstlergenerationen oft ko-piert, nie erreicht. Das Motiv des Nashorns greiftauch William Kentridge oft auf. Er zeigt es aufseine Art, nicht so detailliert ausgearbeitet, eherbeilufig skizziert, auf das Wesentliche reduziert.Seine Rhinos sind einerseits eine Referenz anDrer, anderseits wohl auch an das absurde Thea-terstck Rhinocros (Die Nashrner, 1959) vonEugne Ionesco. Doch whrend sich beim franz-sischen Dramatiker die Menschen in Nashrnerverwandeln, verwandeln sich beim sdafrikani-schen Knstler die Nashrner in Haustiere undwerden wie Hunde oder Katzen in Wohnungengehalten. Die Kunst ist wandelbar und unterliegteiner stndigen Transformation. Die Knstler grei-

    fen Themen auf, die in ihrer Zeit oder in allen Zei-ten von Bedeutung sind. Eins ist jedoch unvern-derbar: Ohne Handwerk gibt es kein Kunstwerk,denn Kunst kommt von Knnen. Was ganz leichtist, kann auch nicht sehr kunstreich sein. Was aberkunstreich ist, das will Flei, Mhe und Arbeithaben, meinte Albrecht Drer. Kunst gelingt ambesten und trotzt Moden und Zeiten, wenn Tech-nik und Inhalt eine Einheit bilden. Dann ist dasKnnen perfekt. Dass sich Drer und Kentridge,zwei unbestrittene Kunstgren und Knner, inBerlin eine Ausstellung teilen, ist ein Glcksfall.

    William Kenridge: Walking Man,

    2000. Linolschni (Quelle: William Ken-

    ridge)

    William Kenridge: Remembering he

    Treason Trial, 2013. Lihographie

    (Quelle: William Kenridge)

    Albrech Drer: Das Rhinozeros, 1515.Holzschnit (Quelle: bpk / Saaliche Museen

    zu Berlin, Kupersichkabinet / Jrg P. Anders)

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    stras senfeger | Nr. | Dezember | TAUFRISCH & ANGESAGT S o z i a l

    Manchmal muss man das Chaosein wenig schtteln, und es wer-den Wunder darausNeues Hygienezentrum fr Obdachlose am Bahnhof ZooB E R I C H T : A n d r e a s D l l i c k

    Sie schlafen nur ein paar Meter um die Ecke: DieObdachlosen vom Bahnhof Zoo. Einige haben ihrgroes Wohnzimmer direkt in der Unterfh-rung zur Hertzallee. Wohnzimmer heit Isomatte,Schlafsack und vielleicht auch noch eine warme

    Decke. Ein warmes Bett oder Schrnke fr die KleidungFehlanzeige. Auch eine Kche gibt es nicht. Und schon garnicht erst eine Toilette oder Dusche bzw. flieendes warmes

    und kaltes Wasser. Essen gehen knnen sie in der Bahnhofs-mission am Zoo. Mit der Verrichtung der Notdurft, dem Du-schen oder dem Wschewaschen sah es gelinde gesagt langeZeit sehr, sehr mau aus. Geschtzt fast 6 000 Menschen lebenbrigens mittlerweile in Berlin ohne ein Dach ber dem Kopf.Menschenwrde geht anders!

    Es stank zum Himmel am Bahnhof Zoo, die Jebensstrae undUmgebung mutierte zur Freilufttoilette, nachdem der alte Hy-gienecontainer am 17. November 2011 in einer Nacht-und-

    Nebel-Aktion vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf entfernt wurde. Sehr zum rgerder Nachbarn der Bahnhofsmission wie demFotomuseum der Helmut-Newton-Stiftung oderder Galerie C/O Berlin im Amerika-Haus. Auchdie Deutsche Bahn war nicht wirklich amsiert.Doch nun gibt es ein kleines Licht am Ende desTunnels: Seit dem 3. Dezember, vier Jahre nachdem Verschwinden des Containers, gibt es in derBahnhofsmission am Zoo ein neues Hygiene-zentrum. Die Deutsche Bahn hat 300 000 Euroin den Aufbau des deutschlandweit ersten Hygi-enecenters fr Obdachlose investiert. Die dafrgenutzten Rumlichkeiten werden kostenfrei zurVerfgung gestellt, um Obdachlosen und Bedrf-tigen einen Ort zu bieten, wo sie ihre hygienischenBedrfnisse erledigen knnen. Auch Fu- und Na-gelpflege werden angeboten, ehrenamtliche Hel-fer dafr werden gesucht. Einen eigenen Salon hatnun auch die Friseurmeisterin Franziska Dinter.

    Sie schneidet schon seit Jahren ehrenamtlich dieHaare. Auerdem stehen dort eine Industrie-waschmaschine und ein trockner zum Waschenvon Schlafscken und Kleidung zur Verfgung.Hinzu kommt noch eine Ausgabestelle fr Hygie-neartikel wie Rasierzeug und Damenbinden.

    Fr den Leiter der Bahnhofsmission am Zoo,Dieter Puhl, hat sich damit ein groer Traumerfllt. Dass es so kurz vor Weihnachten nochgeklappt hat, erfllt den Christen mit groerFreude: Die Jebensstrae hier in Berlin, ich binda recht sicher, ist die Strae in Deutschland, diedas meiste Leid, die meisten Trnen, das grteElend, pure Verzweiflung und Hoffnungslosig-

    keit gesehen hat. Mein Freund Detlef Schildevon der Bundespolizei erzhlt, der jngste Jun-kie, der hier starb, war zehn. Jeden Tag suchenbis zu 1 000 hilfebedrftige Menschen die Je-bensstrae auf, um verschiedene Hilfsangebotein Anspruch zu nehmen. Ein Ghetto the DarkSide of the Moon, sollte man meinen. Ich kennekeinen anderen Ort in Berlin, an dem aber so vielgelacht wird, die Kommunikation so ehrlich ist,das Leben so radikal verworren schn ist wiehier, Gott den Menschen gleichermaen so nahund fern ist. Ich finde, die Jebensstrae ist ge-weihte Erde. Jesus allein bekommt in der Jebens-strae aber auch nicht alles gestemmt, da mssenschon nette Menschen, Ehrenamtliche, Muslime,Juden, Atheisten, Geschftsleute und Privatper-sonen, Polizisten, Schler, Knstler, Obdachloseselbst, Facebook Freunde, Politiker und der Se-

    Schn, jetzt jeden Morgen duschen zu knnen, ich wohne

    doch nur zwei Minuten entfernt, strahlte Pam nach ihrem

    ersten Besuch. Pam ist 26, obdachlos und ihre Wohnung

    ist unter der Brcke um die Ecke. Duschen kann sie nun je-den Morgen im neuen Hygieneprojekt der Bahnhofsmission

    Berlin Zoologischer Garten. Deshalb haben wir das gemacht.

    (Facebook-Eintrag von Dieter Puhl)

    Dieer Puhl beim Qualischeck

    (Foo: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)

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    nat und der Bund, Journalisten, Freimauer, Stif-tungen, Rotarier, Hygienefachleute, Verkehrsun-ternehmen, die Deutsche Bahn und die StiftungDeutsche Bahn da mssen MENSCHEN mitanpacken. Denn es geht um Menschenwrde.

    Dieter Puhl bedankte sich ganz besonders bei

    der Deutschen Bahn fr das groe Engagement:Obdachlosigkeit ist nicht Euer Kerngeschftund dennoch zeigt Ihr seit Jahren und bei vie-len Gelegenheiten sehr viel Herzblut. Das istRdiger Grube, der hier mit Lehrlingen in derBahnhofsmission am Zoo arbeitet und sich oftvor Ort informiert und nahe ist. Das ist aberauch die Mannschaft um seinen FinanzvorstandRichard Lutz, der nach seinem ersten Besuchvor Jahren kaum schlafen konnte. Ob DeutscheBahn Konzern oder Deutsche Bahn Stiftung oderdie Lehrlinge von Station & Service Ihr seidberzeugungstter. Alle Handwerker haben echtgeschwitzt, letzte Woche sah einiges noch gruse-lig aus, man hat gemerkt, diese Arbeit war etwasBesonderes fr Euch.

    Bahn-Chef Dr. Rdiger Grube antwortete demstrassenfegerauf die Frage, warum die Bahn dasmache, wie folgt: Obdachlose Menschen sindTeil unserer Gesellschaft, auch an den Bahnh-fen. Mit dem neuen Hygienecenter wollen wir ei-nen Beitrag dafr leisten, dass Obdachlose ihre

    Wrde behalten. Wir haben eine lange, langePartnerschaft mit der Bahnhofsmission. DiesePatenschaft ist 100 Jahre alt. Es gibt ein altesSprichwort: Tradition ist nur gut, wenn sie nichtunterbrochen wird. Die Mitarbeiter der Bahn-hofsmission leisten ganz hervorragende Arbeit.

    Wir mchten etwas von dem zurckgeben, waswir tglich in einer Selbstverstndlichkeit im-

    mer wieder in Anspruch nehmen. Berhrungs-ngste kennt der Bahnchef brigens nicht, er hatschon mehrfach den direkten Kontakt zu denObdachlosen am Zoo gesucht: Wenn man nichtauf Menschen zugeht, kann man nicht erwarten,dass man die Themen der Menschen kennt. Frmich ist es wichtig, Hindernisse abzubauen,Mauern einzureien. Ich sehe in meiner Funk-tion als Bahnchef sogar eine zustzliche Ver-pflichtung, mich besonders zu engagieren undals Vorbild voranzugehen.

    Der Direktor der Stadtmission, Joachim Lenz,konstatierte: Es ist das stete Bemhen der Ber-liner Stadtmission, Versorgungslcken fr ob-

    dachlose Menschen zu schlieen. Es geht hiernicht um ein Luxus-Angebot, sondern um dasAbdecken elementarer Grundbedrfnisse. DasBezirksamt kmmert sich nicht nur um angemel-dete Brger. Die Deutsche Bahn kmmert sichnicht nur um Fahrgste. Die Stadtmission kannhelfen, auch weil sie Partner hat, die ber denTellerrand blicken und helfen wollen.

    Bemerkenswert ist, dass die Senatsverwaltungfr Gesundheit und Soziales die Kosten in Hhevon 150 000 Euro fr den Unterhalt des neuenHygienezentrums bernimmt. Deshalb warenauch der Regierende Brgermeister MichaelMller und Sozialsenator Mario Czaja bei derErffnung anwesend. Beide freuten sich ber dienachhaltige Verbesserung der Situation an die-sem wohl hrtesten, sozialen Brennpunkt Ber-

    lins. Michael Mller: Es geht hier um Wrde,und es geht vor allem um die Gesundheit. Dass

    hier organisiert wird, dass Menschen in einerschwierigen Lebenssituation doch auch unterdiesen Umstnden gut leben knnen. DiesesEngagement der Bahn, fr das ich mich sehrbedanke, ist nicht selbstverstndlich. Der Un-ternehmensauftrag ist ein ganz anderer, das ge-hrt da nicht ganz zwingend dazu. Aber auch dieStadt ist hier in der Verantwortung. Mller be-dankte sich herzlich dafr, dass die Mitarbeiterder Stadtmission an 365 Tagen unermdlich imEinsatz fr bedrftige Menschen sind.

    Mario Czaja (Er war brigens schon zwei Tagevor der Erffnung zu Besuch in der Bahnhofs-mission): Die Senatsverwaltung untersttztdas neue Hygienecenter mit 150 000 Euro. Ichschtze die Arbeit der Mitarbeiter und der Ehren-amtler fr die Gste der Bahnhofsmission sehr

    und bin ein groer Freund dieses Projekts. Dennes trgt unmittelbar zu einer Verbesserung der

    schwierigen Situation vieler Menschen bei undhilft, ein menschenwrdiges Dasein zu ermgli-chen. Und es ist mir auch wichtig zu sagen, wirhelfen nicht nur den Flchtlingen, es gibt auchandere Bedrftige in unserer Stadt. Es sollte auchda gerecht zugehen. Dieter Puhl hat mir ein paarsehr gute Beispiele gezeigt, wo man helfen kann,wo jemand mit zwei- dreitausend Euro aus einerUnternehmenskasse die Arbeit der Bahnhofsmis-sion untersttzen kann, z.B. fr die bergroenSchuhe, die gebraucht werden oder fr den Um-bau des Raums, wo das Essen gelagert wird. Daswar mir wichtig zu erfahren, wo drckt hier derSchuh. Dieter Puhl ist ein sehr liebenswrdigerMensch und immer noch extrem bescheiden. Erknnte ja eigentlich ganz andere Forderungen andie Politik und die Verwaltung stellen, bei dem,was er hier jeden Tag erlebt.

    Oben: Groer Poliiker-Bahnho zur Erffnung

    Unen: Bahnche Dr. Rdiger Grube im Gesprch mi Obdachlosen (Foos: Thomas Grabka)

  • 7/25/2019 FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

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    stras senfeger | Nr. | Dezember | TAUFRISCH & ANGESAGT B r e n n p u n k t

    INFO

    Den Wegweiser der Berliner Klehile finde man uner olgender Webadresse:

    hp://www.kaelehile-berlin.de/PDFs/KH_Wegweiser%202015_2016.pd

    Mehr als 750 Schlafpltze

    fr ObdachloseAktuelles zum Programm der Berliner KltehilfeB E R I C H T & F O T O : A n d r e a s D l l i c k

    Man mag es kaum glauben: Die Zahl der vomSozialsenator fr die laufende Saison derBerliner Kltehilfe avisierten 700 Bettenwird schon jetzt bertroffen. Aktuell verfgtlaut der Koordinierungsstelle Kltehilfetele-

    fon/Datenbank der GEBEWO das Schlafangebot der Klt-ehilfe aktuell im Durchschnitt nun bereits ber 757 Schlaf-

    pltze, d. h. im Minimum (mittwochs) 726 und im Maximum(donnerstags) 791 Schlafpltze. Damit ist die von der Sozi-alverwaltung angestrebte Zielmarke im Dezember bereitssichtbar bererfllt. Der Sprung der Angebotszahlen vomNovember zum Dezember ergibt sich daraus, dass seit MitteNovember vom Projekt Neue Chance in der Seestrae 59Schlafpltze zur Verfgung gestellt wurden und seit 1. De-zember vom Internationalen Bund im Mariendorfer Weg 60Pltze. Das ist sehr erfreulich. Ob das Angebot bei scht-zungsweise fnf- bis sechstausend obdachlosen Menschen inBerlin reicht, das wird sich erst beweisen, wenn der Winterseine frostigen Krallen ausfhrt.

    AG Leben mit Obdachlosen fordert menschenwrdige Un-terbringung aller SchutzbedrftigenDie AG Leben mit Obdachlosen fordert den Erhalt und denAusbau von bedarfsgerechten kleinen Kltehilfe-Einrich-tungen in Berlin mit bis zu 20 Pltzen sowie die Rckkehrzu qualitativen Mindeststandards und die Bercksichtigungder spezifischen Bedarfe aller Schutzbedrftigen. Es sei eineZunahme von Massenunterknften zu beobachten. Tragluft-hallen wrden trotz fachlicher Kritik als anerkannte Mo-dellprojekte gehandelt. Und: Gerade kleine Einrichtungenin Kirchengemeinden bentigten Planungssicherheit, dazugehre auch die Stabilitt der hier ntigen finanziellen Hin-terlegung durch die Bezirke und den Senat. Aktuelle Tages-stze sind auf Massenunterknfte und minimalste Standardshin ausgerichtet, so Marie-Therese Reichenbach, Mitgliedim Sprecherrat der AG Leben mit Obdachlosen. Wir for-dern deshalb vom Senat die sofortige Bereitstellung von 25Euro Tagessatz an die Bezirke zur Finanzierung der kleinen

    Notbernachtungen in der Kltehilfe.

    Reichenbach weiter: Neben dieser akuten Soforthilfe bedarfes endlich einer langfristigen und nachhaltigen Strategie desLandes Berlin zur berwindung der Obdachlosigkeit hun-derter Menschen; etwa durch die Ausweitung des sozialen

    Wohnungsbaus, fordert Reichenbach. Ein besonderes Au-genmerk msse zudem auf die Situation von wohnungslosenFamilien gelegt werden. In den letzten Jahren sei wohnungs-losen Familien in Berlin durch die Jugendmter der Bezirkemehrfach die Inobhutnahme ihrer Kinder angedroht worden.Die Gefhrdung des Kindeswohls erfolgt jedoch nicht durchdie Eltern, sondern durch die Obdachlosigkeit. Anstatt den

    Eltern individuelles Versagen vorzuwerfen, mssen die struk-turellen Ursachen in den Blick genommen werden. Besondersfr Familien mssen schnellstmglich Wohnungen bereitge-stellt werden; Massenunterknfte sind weder erwachsenen-noch kindgerecht. Es ist nicht akzeptabel, auf die Not der

    Familien mit Drohungen zu reagieren, betont Reichenbach.

    Sozialsenator zufrieden mit Stand der Berliner KltehilfeAnlsslich der Erffnung des Hygienezentrums fr Obdach-lose in der Bahnhofsmission am Zoo hat der strassenfegerSozialsenator Czaja zur aktuellen Situation der Berliner Klt-ehilfe befragt: Stand heute haben wir wohl knapp unter 700Betten. Die Auslastung liegt noch unter 100 Prozent. Es ist janoch nicht so kalt zurzeit, dass man es Kltehilfe nennen muss.

    Wenn es unter null Grad in Berlin wird, dann werden die Zah-len sicher steigen. Aber wir haben dann auch noch Ausbau-mglichkeiten nach oben, die wir schnell nutzen knnten. Wirhaben dazu eine schnelle Krisenkommunikation verabredet.

    Wenn in einer Einrichtung die Auslastung zu gro ist, knnenwir schnell reagieren. Der Sozialsenator antwortete auch auf

    die wichtige Frage, warum es in Berlin immer noch keine Ob-dachlosenstatistik gibt, obwohl ohne harte Zahlen eigent-lich keine nachhaltige Obdachlosenarbeit mglich ist: In derVergangenheit ist mir immer wieder von der Finanzverwaltungsignalisiert worden: Wenn Du das machen willst, musst Du dasaus regulren Mitteln der Wohnungslosenhilfe machen. Unddas wollte ich nie. Ich wollte nicht, dass wir an einem Ange-bot sparen, um eine Statistik zu machen. Aber auch bei uns inder Senatsverwaltung gibt es dazu ganz unterschiedliche Po-sitionen. Einige sagen, wir brauchen so was dringend, anderesagen, dass wre nur eine Stichtagsbetrachtung, die hilft unsnicht wirklich, die Lage einzuschtzen, Wohnungslose bewe-gen sich auch von A nach B nach C, sind viel unterwegs. Freine Planungssicherheit knnte eine Statistik ein sinnvolles In-strument sein, wir sind dazu auch mit der Finanzverwaltungim Gesprch. Aber es darf nicht sein, dass dann in der BerlinerKltehilfe fnf Pltze fehlen, weil wir eine Statistik machen,sondern es muss anderes gelst werden.

    Ein Zimmer der Nobernachung von mob e.V. in der Sorkower Sr. 139c

  • 7/25/2019 FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

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    Mehr Hilfe fr die

    Kltehilfe!Notprogramm wird traurige RegelG A S T A R T I K E L : K a t r i n S c h m i d b e r g e r , M i t g l i e d d e s B e r l i n e r A b g e o r d n e t e n h a u s e s

    u n d M i e t e n p o l i t i s c h e S p r e c h e r i n d e r F r a k t io n B n d n i s 9 0 / D i e G r n e n

    Das 1989 ins Leben gerufene Winter-notprogramm Kltehilfe wird immermehr zur Regelleistung, weil Geld, Im-mobilien, eine Strategie und politischer

    Wille fehlen. Alle Jahre wieder gibt es zu wenigePltze fr die Kltehilfe der Bedarf wchst undwchst und differenziert sich weiter aus.

    Untersttzt durch die Senatsverwaltung fr Ge-

    sundheit und Soziales stellen zahlreiche Trger,Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbndeein breites Spektrum an unbrokratischen undleicht zugnglichen Angeboten bereit. In Bera-tungsstellen, Notbernachtungen, Nachtcafs,Suppenkchen und durch den Einsatz von Wr-mebussen versucht das Kltehilfe-Programmmit einer Vielzahl zumeist ehrenamtlicher Mitar-beiter_Innen zu verhindern, dass Menschen ohneUnterkunft in Berlin erfrieren mssen. Die Zahlder Menschen, die seitdem jedes Jahr von AnfangNovember bis Ende Mrz durch das Programmvor dem Kltetod bewahrt wurden, lsst sich nurschtzen. Sicher ist jedoch, dass die Kltehilfedringender denn je in Berlin bentigt wird. Auchaufgrund des Zuzugs von EU-Migrant_Innenund Flchtlingen haben sich der Charakter unddie Anforderungen aber stark erweitert.

    In einer Anhrung im Ausschuss fr Gesundheitund Soziales des Berliner Abgeordnetenhausesam 16. November 2015 wurde dies besondersdeutlich. Auf Antrag der Grnen Fraktion wur-den fnf Vertreter_Innen der Kltehilfe einge-laden, um eine Bilanz der Saison 2014/ 2015 zuziehen (ein Jahr danach!). Die Berliner Stadtmis-sion, die die Hlfte der Kltehilfe-Pltze stellt,hat insgesamt 3 400 Menschen gezhlt, die zwei

    bis 90 Nchte dort verbrachten. Zudem gab esetwa elf Prozent Gste mehr als im Jahr zuvor. Indiesem Zusammenhang wurde erneut die Einfh-rung einer integrierten Wohnungslosenstatistikeingefordert. Der Senat weigert sich seit Jahreneine Statistik ber die Anzahl der Berliner Woh-nungslosen zu erheben. So kann man sich besserdavor drcken, das Problem der zunehmenden

    Wohnungslosigkeit anzupacken. Das Fehlen ver-lsslicher statistische Daten ber die Menschen,ihre Herkunft und ihre speziellen Bedrfnisse er-schwert die bedarfsgerechte Planung der Klt-ehilfe auerordentlich. Dass der Hilfebedarfgrundstzlich gestiegen ist, verdeutlicht auch diehohe Anzahl der Abweisungen Hilfesuchender.

    Zwar hat der Senat bereits eine Erhhung von500 auf 700 Notfallschlafpltze zugesagt. Jedoch

    wird das nicht ausreichen: Hamburg hat sogar850 Pltze. Zudem gibt es kaum angemesseneUnterbringungsmglichkeiten fr den ebenfallssteigenden Anteil an Frauen, Familien und Kin-dern unter den Hilfesuchenden. Besonders dra-matisch ist auch: der Grad ihrer Verelendung hat

    deutlich zugenommen. Immer mehr Menschenmssen medizinisch versorgt werden. Auch diepsychischen Erkrankungen nehmen zu. Auchbei den finanziellen Zuschssen des Senats istKritik angebracht. Bisher bekommen die Trgerder Kltehilfe lediglich 15 Euro pro Nacht proGast viel zu wenig, um hohe Betriebskosten,Personalschulungen oder Anschaffungen zudecken. Zwar wurde eine Erhhung der Tages-stze fr die Notunterknfte in Aussicht gestellt.

    Wann diese aber kommt ist fraglich, weil dieHaushaltsberatungen fr 2016 und 2017 fastschon abgeschlossen sind.

    Die Vertreter_Innen der Berliner Kltehilfemachten deutlich, dass das System trotz seinerbisher sehr erfolgreichen Arbeit an seine Gren-zen gert. Die Kltehilfe, die als Notfallpro-gramm gedacht war, muss in den letzten Jahrenimmer hufiger Aufgaben bernehmen, die ei-gentlich im Rahmen der Regelversorgung von

    Wohnungs- und Obdachlosen liegen. Ehren-amtliche Helfer_Innen sind durch die Vielzahlan neuen Herausforderungen an den Grenzenihrer Leistungsfhigkeit angekommen. DieseSituation spiegelt den Kollaps des bisherigenSystems der Regelversorgung in der Berliner

    Wohnungslosenhilfe wieder. Weil es dem Senatseit Jahren nicht gelungen ist, die Prvention von

    Wohnraumverlust, die Wohnraumbeschaffungfr Wohnungsnotflle, die Integration von Zu-

    wanderern sowie einen Mehrbedarf an Wohn-raum zu organisieren, bleibt die Kltehilfe frviele Menschen der letzte Anker.

    Trotz dieser alarmierenden Erkenntnisse be-rief sich der Senat in Person des zustndigenStaatsekretr Dirk Gerstle (CDU) im Anschlussder Anhrung auf den Charakter der Klte-hilfe als Notfallprogramm. Man wolle es denBetroffenen in der Kltehilfe nicht zu ange-nehm machen, um ihnen nicht den Anreiz zunehmen, sich um hherschwellige Angeboteder Wohnungslosenhilfe zu bemhen. UnsereForderungen nach einem massiven Ausbauder Kltehilfe oder einer Verlngerung der

    Kltehilfe-Periode wurden leider abgelehnt.Solange die Regelversorgung fr wohnungsloseMenschen in Berlin nicht grundstzlich neu ge-regelt und eine menschenwrdige Versorgungaller obdachlosen Menschen nicht gesichertist, muss die Berliner Kltehilfe mit all denfinanziellen und personellen Mitteln ausgestat-tet werden, um diese Aufgaben zu bernehmen.In der Krise des Berliner Wohnungsmarktes istdie Kltehilfe lngst zu einem Bestandteilder Regelversorgung geworden. Doch weil derSenat weiter mauert, verringern sich die Inte-grationschancen der betroffenen Menschen,die Menschen verharren in Wohnungslosen-unterknften, ohne dass ihnen Wege aus der

    Wohnungslosigkeit geboten werden. Das ist einunhaltbarer Zustand. Wohnungslose brauchenendlich eine Lobby in Berlin.

    stras senfeger | N r. | Dezember TAUFRISCH & ANGESAGT | B r e n n p u n k t

    Der Klebus hr auch die Traglufhalle am Conainerbahnho im Friedrichshain an

    (Foo: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)

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    THEATER

    Blick hinter die KulissenMarkanter Blickfang des Hans Otto Theaters in Potsdam istdie sich zum Tiefen See ffnende muschelartige berdachungdes Zuschauerbereichs. Lernen Sie in einer Fhrung nicht nurdie herausragende Architektur des Theaters, sondern auch die

    Welt hinter den Kulissen kennen. Bhnentechnik, Tischlerei,Malsaal und Kostmfundus verraten Ihnen, wieviel Kreativi-tt und Arbeit in einer Bhnenproduktion stecken.

    19. Dezember, 14 bis 15 UhrTeilnahme: 3 Euro

    Um Reservierung wird gebeen uner:[email protected] oder 0331/ 98 11-8

    Hans Oto TheaerSchifauergasse 1114467 Posdam

    Ino: www.hansotoheaer.deFoo: wikipedia, Jens Marder

    VORTRAG

    Slowtime ganz einfach entschleunigen

    Wir gehen schnell, arbeiten schnell, essen schnell, schlafenschnell. Fr all diejenigen, die sich dabei oft selbst berholen:

    Es ist hchste Zeit fr einen Tempowechsel! Krper undGeist knnen nur dann Hchstleistungen bringen, wenn wiruns regelmig Pausen gnnen gerade und auch whrendder Arbeitszeit. Johannes Lauterbach, Gesundheits- undMentalcoach, zudem Radiomoderator, wird in seinemVortrag Techniken vorstellen, mit Hilfe derer der vorweih-nachtlich gestresste Berliner zu einer gesunden Balancezwischen Anspannung und Entspannung finden kann.

    17. Dezember, 19:30 UhrTickes: 8 Euro, ermig 6,50 Euro

    Vorbesellungen [email protected] oder 030 - 2189091

    Urania BerlinAn der Urania 17

    10787 BerlinIno: www.urania.de

    MUSICAL

    Die wirklich wahre Geschichtevon Rotkppchen und ihrem Wolf

    Alle Dorfbewohner sind sich einig: Im Wald istes gefhrlich. Denn da haust der groe bse

    Wolf. Jeder im Dorf hat seine schlechtenErfahrungen mit dem Wald gemacht. AberRotkppchen will trotzdem in den Wald.Vielleicht ist der Wolf ja gar nicht so bse? InGRIMM - die wahre Geschichte von Rotkpp-chen und ihrem Wolf wird die ewige Ge-schichte von guten und bsen Vlkern fr heuteneu interpretiert. Denn mal ehrlich: Wer istheute eigentlich der Bse? Oder umgekehrt:

    Wer ist es nicht?

    17. bis 22. Dezember, 18 oder 20 UhrTickes zwischen 16 und 25 Euro (ermig 9 Euro)Reservierung uner 030 - 68 89 0777

    Neukllner OperKarl-Marx-Sr. 131-133

    12043 BerlinIno: www.neukllneroper.de

    KUNST

    SkulpturenparkDas Haus am Waldsee nutzt seine10.000 qm groe Parkanlage freinen Skulpturenpark. Die hierausstellenden Knstler lebenberwiegend in Berlin und haben

    bereits international ressiert. DieAuswahl reicht von einem derrenommiertesten deutschenBildhauer der Nachkriegszeit, KarlHartung, bis zu jngsten Werkenvon Tony Cragg, Thomas Rentmeis-ter und Michael Beutler. Seit Juli2010 ist der Skulpturenpark fr dieffentlichkeit zugnglich undbefindet sich in stetigem Wandel.

    ffnungszeiten: tglich von 11 bis18 UhrHaus am WaldseeArgeninische Allee 3014163 Berlin

    Ino: www.hausamwaldsee.deFoo: Bernd Borchard

    stras senfeger | Nr. | Dezember | TAUFRISCH & ANGESAGT K u l t u r t i p p s

    skurril, famosund preiswert!Kulturtipps aus unserer RedaktionZ U S A M M E N S T E L L U N G : R e d a k t i o n

  • 7/25/2019 FrohesFest - Ausgabe 25-2015 strassenfeger

    23/32

    VORSCHLAGENSie haben da einen Tipp? Dann

    senden Sie ihn uns an:

    [email protected]

    Je skurriler, amoser und

    preiswerer, deso besser!

    FILM

    Der kleine PrinzMan sieht nur mit dem Herzengut: Das weltweit wohl berhm-teste Mrchen fr Erwachsenehandelt von einem Piloten, der inder Wste notlanden muss und dorteinen kleinen Prinzen trifft, derdem Flieger von seinen Reisen aufder Suche nach Freunden berichtet.Bis auf die Rahmenhandlung, dieeinen Bezug zum Zweiten Welt-krieg herstellt, folgt der Film vonKonrad Wolf streng der literari-schen Vorlage von Antoine deSaint-Exupry. Als reprsentativeProduktion fr den Start desDDR-Farbfernsehens vorgesehen,scheiterte die Ausstrahlung desFilms an der versumten Einholungder Rechte an der literarischenVorlage und der deutschenbersetzung, so dass ein regulrerKinoeinsatz erst 2015 mit ihremErlschen mglich wurde.

    18. Dezember, 21 UhrTickes: 5 Euro

    Zeughauskinoim Deuschen Hisorischen MuseumUner den Linden 2

    10117 BerlinIno: www.dhm.de/zeughauskino

    FOTOAUSSTELLUNGEN

    Geliebtes AfghanistanDas Willy-Brandt-Haus zeigt eine Doppelaus-stellung zum Thema Afghanistan: Unter demTitel Geliebtes Afghanistan werden Arbeitender 2014 in Afghanistan getteten Fotojournalis-tin Anja Niedringhaus gezeigt. In ihren Fotosdokumentiert d