5
Die Infektprävention ist in Klinik und Praxis Voraussetzung der Sorgfaltspflicht- erfüllung gegenüber dem Patienten, der zu therapeutischen Zwecken ärztlichen Maßnahmen ausgesetzt wird. Insbeson- dere Unfallverletzungen, aber auch chi- rurgische Verletzungen (Operationen) bringen aus natürlichen Gründen un- vermeidbar die Gefahr einer Infektion mit sich. Deswegen handelt es sich bei der Infektprävention um ein chirur- gisch-hygienisches Problem der ange- wandten Medizin, also insbesondere der Chirurgen,die sich operativer Verfahren bedienen. Es wäre daher nicht sachge- recht, die Infektprävention nur auf die hygienischen Bedingungen und Maß- nahmen zu beschränken und sie chirur- gischerseits nicht aus eigener Verant- wortung zu betrachten und danach zu handeln [15, 16, 18]. Hygienemaßnahmen in operativen Fächern haben 3 Ziele [7, 8]: 1. Vermeidung einer krankenhauser- worbenen Infektion, z. B. einer prä- oder postoperativen Keim- einschleppung. 2. Vermeidung einer Kreuzkontami- nation, z. B. einer Übertragung von bereits anwesenden Keimen aus kontaminierten (Gruppe B) oder infizierten (Gruppe C) Wun- den auf andere Wunden aller 3 Kontaminationsklassen. 3. Vermeidung einer berufsbeding- ten Infektion bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Der Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern vor berufsbedingten Infek- tionen hat in der Zielhierarchie denselben Stellenwert wie der Schutz der Patientinnen und Pa- tienten [7]. Besondere Problematik der Infektion in der Unfallchirurgie Die Unfallchirurgie trifft die Problema- tik in doppelter Beziehung: Der Unfall- verletzte,der gerade eben ein Trauma er- litten hat, wird kurz darauf einem 2. Trauma, nämlich der Operation, aus- gesetzt. Damit stellt sich für den Unfall- chirurgen eine andere biologische Si- tuation dar als für einen sonstigen Ope- rateur, der, modellhaft gesprochen, am isolierten erkrankten und damit mög- licherweise an einem in seiner Patho- physiologie veränderten Organ operiert. Dagegen trifft der Unfallchirurg auf ein frisch verletztes, bereits kataboles Or- gansystem, dessen Umgebung, insbe- sondere der schützende Weichteilman- tel, ebenfalls unkalkulierbar traumati- siert ist, und dessen Heilungsfähigkeiten – das bedeutet auch hier Katabolismus mit allen Folgen für die Infektabwehr – sui generis stärker beeinträchtigt sind als die des isoliert erkrankten Gewebes. Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S23 Trauma Berufskrankh 2001 · 3 [Suppl 1]: S23–S27 © Springer-Verlag 2001 Infektprävention Jürgen Probst Murnau/Staffelsee Infektprävention in Klinik und Praxis Beurteilung durch den Beratenden Arzt Prof. Dr. J. Probst Alter Mühlhabinger Weg 3, 82418 Murnau/Staffelsee (Tel.: 08841-49888, Fax: 08841-99414) Zusammenfassung Infektprävention ist in Klinik und Praxis not- wendige Sorgfaltspflicht. Der Unfallverletzte ist chirurgischen Infektionen durch 1. den traumatogenen Katabolismus, 2. das dem Trauma unmittelbar nachfolgende operative Trauma, 3.die Implantation von Fremdkör- pern (z. B. Osteosynthesematerial) vergleich- bar einem Patienten mit Organtransplanta- tion gefährdet. Die Richtlinien des RKI, iden- tisch mit den berufsgenossenschaftlichen Anforderungen, stellen unter der Vorausset- zung entsprechenden Personalverhaltens und atraumatischer chirurgischer Operations- technik ein wirksames Mittel der Vorbeu- gung chirurgischer Infektionen dar. Der Auf- wand für baulich-organisatorische Maßnah- men beträgt den Bruchteil der Kosten der Behandlung einer chirurgischen Infektion. Die Gültigkeit der bewährten Richtlinien und Anforderungen besteht unverändert. Schlüsselwörter Richtlinien zur Infektprävention · Anfor- derungen zur Infektprävention · Trauma- togener Katabolismus · ABC-Klassifikation von Operationen

Infektprävention in Klinik und Praxis

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Page 1: Infektprävention in Klinik und Praxis

Die Infektprävention ist in Klinik undPraxis Voraussetzung der Sorgfaltspflicht-erfüllung gegenüber dem Patienten, derzu therapeutischen Zwecken ärztlichenMaßnahmen ausgesetzt wird. Insbeson-dere Unfallverletzungen, aber auch chi-rurgische Verletzungen (Operationen)bringen aus natürlichen Gründen un-vermeidbar die Gefahr einer Infektionmit sich. Deswegen handelt es sich beider Infektprävention um ein chirur-gisch-hygienisches Problem der ange-wandten Medizin, also insbesondere derChirurgen, die sich operativer Verfahrenbedienen. Es wäre daher nicht sachge-recht, die Infektprävention nur auf diehygienischen Bedingungen und Maß-nahmen zu beschränken und sie chirur-gischerseits nicht aus eigener Verant-wortung zu betrachten und danach zuhandeln [15, 16, 18].

Hygienemaßnahmen in operativenFächern haben 3 Ziele [7, 8]:

1. Vermeidung einer krankenhauser-worbenen Infektion, z. B. einerprä- oder postoperativen Keim-einschleppung.

2. Vermeidung einer Kreuzkontami-nation, z. B. einer Übertragungvon bereits anwesenden Keimenaus kontaminierten (Gruppe B)oder infizierten (Gruppe C) Wun-den auf andere Wunden aller 3 Kontaminationsklassen.

3. Vermeidung einer berufsbeding-ten Infektion bei Mitarbeiterinnen

und Mitarbeitern: Der Schutz vonMitarbeiterinnen und Mitarbei-tern vor berufsbedingten Infek-tionen hat in der Zielhierarchiedenselben Stellenwert wie derSchutz der Patientinnen und Pa-tienten [7].

Besondere Problematik derInfektion in der Unfallchirurgie

Die Unfallchirurgie trifft die Problema-tik in doppelter Beziehung: Der Unfall-verletzte,der gerade eben ein Trauma er-litten hat, wird kurz darauf einem 2. Trauma, nämlich der Operation, aus-gesetzt. Damit stellt sich für den Unfall-chirurgen eine andere biologische Si-tuation dar als für einen sonstigen Ope-rateur, der, modellhaft gesprochen, amisolierten erkrankten und damit mög-licherweise an einem in seiner Patho-physiologie veränderten Organ operiert.Dagegen trifft der Unfallchirurg auf einfrisch verletztes, bereits kataboles Or-gansystem, dessen Umgebung, insbe-sondere der schützende Weichteilman-tel, ebenfalls unkalkulierbar traumati-siert ist,und dessen Heilungsfähigkeiten– das bedeutet auch hier Katabolismusmit allen Folgen für die Infektabwehr –sui generis stärker beeinträchtigt sindals die des isoliert erkrankten Gewebes.

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S23

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 1]: S23–S27 © Springer-Verlag 2001 Infektprävention

Jürgen ProbstMurnau/Staffelsee

Infektprävention in Klinik und PraxisBeurteilung durch den Beratenden Arzt

Prof. Dr. J. ProbstAlter Mühlhabinger Weg 3,82418 Murnau/Staffelsee(Tel.: 08841-49888, Fax: 08841-99414)

Zusammenfassung

Infektprävention ist in Klinik und Praxis not-wendige Sorgfaltspflicht. Der Unfallverletzteist chirurgischen Infektionen durch 1. dentraumatogenen Katabolismus, 2. das demTrauma unmittelbar nachfolgende operativeTrauma, 3. die Implantation von Fremdkör-pern (z. B. Osteosynthesematerial) vergleich-bar einem Patienten mit Organtransplanta-tion gefährdet. Die Richtlinien des RKI, iden-tisch mit den berufsgenossenschaftlichenAnforderungen, stellen unter der Vorausset-zung entsprechenden Personalverhaltensund atraumatischer chirurgischer Operations-technik ein wirksames Mittel der Vorbeu-gung chirurgischer Infektionen dar. Der Auf-wand für baulich-organisatorische Maßnah-men beträgt den Bruchteil der Kosten derBehandlung einer chirurgischen Infektion.Die Gültigkeit der bewährten Richtlinien undAnforderungen besteht unverändert.

Schlüsselwörter

Richtlinien zur Infektprävention · Anfor-derungen zur Infektprävention · Trauma-togener Katabolismus · ABC-Klassifikationvon Operationen

Page 2: Infektprävention in Klinik und Praxis

Nun wird das schon einmal traumati-sierte Gewebe durch den chirurgischenEingriff binnen kurzer Frist zum 2. Maltraumatisch geschädigt. TraumatischeGewebeschädigung bedeutet aber im-mer auch verminderte Immunität ge-genüber bakteriellen Kontaminationen,und zwar auch gegenüber primär apa-thogenen Keimen. Möglicherweise, unddas ist in der Unfallchirurgie sehr häufigder Fall, tritt noch eine 3., anhaltendeTraumatisierung hinzu, wenn durchEinbringung von Implantaten örtlicheDurchblutungsstörungen induziert wer-den. Nicht unter allen Umständen kannein Implantat seine schockprotektiveWirkung sofort ausspielen [8].

Diese Bedingungen rücken die un-fallchirurgische Operation in einen ver-gleichbaren Gefährdungsbereich, wie erin der sonstigen Implantatchirurgie einer-seits, andererseits v. a. aber in der Trans-plantationschirurgie aus anderen Grün-den erkannt und anerkannt ist. Dies be-gründet die Forderung nach voller Aus-schöpfung aller präventiven Möglich-keiten – einer Forderung übrigens, dieschon Ernst von Bergmann vor einemJahrhundert erhoben hat.

Es kommt hinzu, dass der unfall-chirurgische Patient nicht nur mit seinerVerletzung Krankheitskeime akquirie-ren kann, sondern dass seine Behand-lung in einer Institution, sei es eine Kli-nik, sei es eine Praxis, stattfindet, in wel-cher pathogene wie apathogene Keimeunvermeidbar anwesend sind, sei es beiden Keimträgern unter dem Personal,sei es bei den in Behandlung stehendenPatienten mit chirurgischen oder auchanderen Infektionen [10].

Bedeutung für den Unfallversicherungsträger

Die Unfallversicherungsträger warenschon immer von Gesetzes wegen ver-pflichtet,„mit allen geeigneten Mitteln“die Wiederherstellung der Unfallverletz-ten zu betreiben. Hierbei nicht auch aufdie chirurgisch-hygienischen Bedin-gungen zu achten, wäre gewiss eine un-zureichende Erfüllung dieser Maximegewesen. Inzwischen hat das SGB V durchdie gesetzliche Normierung der Qua-litätssicherung reglementiert, was zuvorschon in eigener Zuständigkeit geregeltwar, nämlich in den Zulassungsmoda-litäten bei der Anerkennung als H-Arzt,bei der Bestellung zum D-Arzt und bei

der Zulassung eines Krankenhauseszum Verletzungsartenverfahren bisheri-ger Art. Der Sinngehalt dieser Voraus-setzungen war praktizierte Qualitätssi-cherung in Form der Anforderung vonMaßnahmen zur Vermeidung chirurgi-scher Infektionen.

Anforderungen der gesetzlichen Un-fallversicherungsträger nach §34 SGBVII an Krankenhäuser zur Beteiligungan der besonderen stationären Be-handlung von Schwerunfallverletzten(Verletzungsartenverfahren – VAV) inder Fassung vom 1.1.1999

„3 Sächliche Ausstattung

Am Krankenhaus müssen vor-handen sein:

3.3 Reanimations- und Schock-raum mit erforderlichen Ein-richtungen

3.4 Untersuchungs- und Behand-lungsräume

3.5 besondere Eingriffsräume nurfür die Ambulanz

– für septische Eingriffe

– für aseptische Eingriffe

3.6 Arzt- und Schreibzimmer

3.7 OP-Abteilung

3.7.1 OP-Einheiten für Operationender Gruppen A, B und C einschließlich Vorzonen undSchleusensystem gemäß der„Richtlinie für Krankenhaus-hygiene und Infektionsprä-vention“ des früheren BGA inder Fassung vom Juni 1990

3.7.2 innerhalb der OP-Abteilungeneine OP-Einheit für Knochen-und Gelenkoperationen sowiefür andere Operationen mitvergleichbar hohen Anforde-rungen an die Asepsis

3.7.3 Sind in einer OP-Abteilung auchEinheiten für die Operations-gruppe C untergebracht, müs-sen hygienisch einwandfreieFunktionsabläufe gesichert sein.

S24 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001

Infektprävention

J. Probst

Prevention of infections in hospital and private practice:assessment by the consultingphysician

Abstract

It is essential to exercise due diligence in theprevention of infections, both in hospitalsand in private practices. In anyone injured inan accident the risk of surgical infection iscomparable to that in a patient receiving anorgan transplant, (1) because of the catabo-lism resulting from the trauma, (2) becauseof the surgical trauma following immediate-ly on the one already sustained, and (3) be-cause of the implantation of foreign material(e.g. for internal fixation).With their insis-tence on correct behaviour of all members ofstaff involved and on the application ofatraumatic operative techniques, the RKIGuidelines, like the requirements of the ap-propriate professional bodies, provide an ef-fective means of preventing surgical infec-tions.

Keywords

Guidelines on prevention of infections ·Requirements for prevention of infections ·Trauma-induced catabolism · ABC classifica-tion of operations

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 1]: S23–S27 © Springer-Verlag 2001

Page 3: Infektprävention in Klinik und Praxis

3.7.4 Personalschleusen

3.7.5 Patientenübergaberäume(ggf. gesonderter Übergabe-raum für Operationen derGruppe A oder C erforderlich)

3.7.6 für jede OP-Einheit ein Einlei-tungsraum, ein Ausleitungs-raum und ein Waschraum“

Die Norm wurde in den Richtlinien des ehemaligen Bundesgesundheitsamts(BGA) dargestellt; in dessen Nachfol-ge hat das Robert-Koch-Institut (RKI),Bundesinstitut für Infektionskrankhei-ten und nicht übertragbare Krankhei-ten, diese Richtlinien unverändert über-nommen [17].

Hannover-Konsens

Zuvor nur scheinbar bestehende Unter-schiede zwischen jenen Richtlinien desehemaligen BGA/des RKI und den An-forderungen der Unfallversicherungs-träger führten am 22.4.1993 auf derGrundlage eines Expertengesprächs zudem Hannover-Konsens [6], in welchemdie Identität von Richtlinien und Anfor-derungen vereinbart wurde. Dieser hatfolgenden Wortlaut:

– „Die früher vertretene Forderung nachstrikter baulicher Trennung von septi-schen und aseptischen Operations-abteilungen wird nicht länger aufrecht-erhalten.

– Aus hygienischen Gründen ist eine bau-liche Trennung septischer und asepti-scher Operationseinheiten nicht erfor-derlich. Es bestehen auch keine hygieni-schen Bedenken gegen die gemeinsa-me Nutzung von Operationseinheitendurch verschiedene Fachgebiete. Aller-dings muß sichergestellt werden, daß der gleiche Hygienezustand für jedeOperation gegeben ist! Eine Trennungseptischer und aseptischer Patientenkann auch funktionell gewährleistetwerden, z. B. durch organisatorischeRegelungen im Ablauf des Operations-programms.

– Bei entsprechendem quantitativen An-teil, d. h. bei zunehmenden Operations-frequenzen, reicht eine funktionelleTrennung nicht mehr aus und eine bau-liche Trennung ist deshalb notwendig.

– Die Trennung von Operationseinheitenfür septische und aseptische Opera-

tionen kann nicht prinzipiell für alleKrankenhäuser jedweder Größenord-nung gefordert werden. Maßgeblich fürdie Zulassung als „Unfallkrankenhaus“sind die Voraussetzungen und der Be-darf vor Ort.“

Einwände gegen die Richtlinien

Obwohl daran weder das RKI noch dieUnfallversicherungsträger inzwischenetwas verändert und sich auch die bio-logischen Bedingungen und die darüberbestehenden Kenntnisse nicht geänderthaben, werden immer wieder Einwändevorgetragen, die angeblich weitergehen-de oder auch sachlich überholte An-sprüche der Berufsgenossenschaften un-terstellen, so in jüngster Zeit von Haueret al. [9].

Diese Gegenvorstellungen lassensich darauf zurückführen, dass die all-gemeinen Mindestanforderungen derRichtlinien des RKI gleichgesetzt werdenmit den durch eben diese Richtlinien ge-deckten speziellen Anforderungen derBerufsgenossenschaften. Was Letzterebetrifft, spiegelt sich hier nämlich einspezieller Komplex mikrobiologischer,chirurgischer und verhaltensmäßigerFaktoren wider,der in Gestalt v. a. raum-technischer Vorkehrungen sichtbar wird.Sowohl die „Anforderungen“ in Formder von den Berufsgenossenschaftenverlangten Voraussetzungen zur Zulas-sung als auch die hygienischen Anforde-rungen insgesamt beinhalten neben densachlichen, d. h. baulichen und techni-schen Erfordernissen, deren bloßer Vor-aussetzungscharakter nicht übersehenwerden darf, v. a. streng zu verstehendechirurgisch-praktische Anordnungen,ohne deren Erfüllung die sachlichenMaßnahmen als solche wertlos blieben.

Im Zug der Umsetzung des am1.1.1997 in Kraft getretenen SGB VII sindauch die bisherigen Richtlinien und An-forderungen entsprechend angepasstworden. Es wurde dabei besonders dar-auf geachtet, den Hannover-Konsens [6]einzuhalten.

Die RKI-Richtlinien stellen Min-destanforderungen dar, die auch nochvon der kleinsten Behandlungseinheiteingehalten werden müssen. Sie spre-chen aber auch ganz eindeutig davon,dass in größeren Einheiten der Sinn-gehalt der Richtlinien dimensional an-gepasst werden muss. Mit anderen Wor-ten: Während in der kleinsten Einheit

mit nur einer Operationseinheit Ein-griffe aller 3 Kontaminationsklassen A,B und C durchgeführt werden können,müssen in größeren Einrichtungen ABC-Einheiten zur Verfügung stehen undauch so genutzt werden. Nichts anderesbesagen aber die berufsgenossenschaft-lichen Anforderungen sowohl in ihreralten als auch in ihrer neuen Form, dieaus der gegebenen Qualitätssicherungs-pflicht heraus nur für das zum Verlet-zungsartenverfahren zugelassene Kran-kenhaus die räumliche Vorhaltung von ABC-Operationseinheiten verlangen.Die Gründe für diese Ausschöpfung der Richtlinien und des Konsenses sind u. a. in der ständigen Verfügbarkeit der A-Einheit, der Operationsfrequenz, des„Bedarfs vor Ort“ und der Sicherstel-lung der Aseptikdisziplin insbesonderein multidisziplinär genutzten Abteilun-gen gegeben. Dass auch die C-Einheitaus klinischen Gründen zeitnah zur In-dikation zur Verfügung stehen muss,versteht sich von selbst.

Die Kritiker müssen sich fragen las-sen, ob denn der durch die biologischenUmstände begründete Grad der Präven-tion für die Unfallchirurgie einen gerin-geren Stellenwert habe, als er für diehochsensiblen Bereiche der Transplan-tationschirurgie gefordert und aner-kannt wird.

Von hygienischer Seite wird verein-zelt eingewandt, der Beweis für die Ur-sächlichkeit der in der Operationsabtei-lung anwesenden Keime für die stattge-habten Infektionen sei nicht erbrachtund deswegen sei die Forderung ge-trennter C-Einheiten abzulehnen. Die-ser Einwand – gestützt allein auf Keim-nachweise – erscheint aber eher frag-würdig, schon angesichts der Tatsache,dass in der Bundesrepublik Deutschlandetwa 6% der Krankenhauspatienten,d. h. etwa 1 Mio., jährlich eine Hospital-infektion, und darunter eben auch eineerhebliche Anzahl von Wundinfektio-nen, akquirieren. Dass daraus etwa 4%zusätzliche Todesfälle resultieren, istnicht nur ein humanitäres, sondern auchein volkswirtschaftliches, ein versiche-rungswirtschaftliches und ein kranken-hauswirtschaftliches Problem, das sichnicht dadurch verkleinert, dass nur einTeil, international in sehr großen Spann-weiten gerechnet, als vermeidbar einge-schätzt wird. Die in den USA durchge-führte Study of Efficacy of NosocomialInfection Control, SENIC, hat gezeigt,

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S25

Page 4: Infektprävention in Klinik und Praxis

dass im Querschnitt aller Infektions-arten eine Senkung von etwa 30% alleindurch kontrollierte Hygienemaßnah-men möglich war. Nichts anderes als diesstellen die Richtlinien des RKI und glei-chermaßen die berufsgenossenschaft-lichen Anforderungen dar.

Dass sich die chirurgische Infek-tionsprävention nicht im Zählen vonKeimen erschöpfen kann und dass dievermeintliche Unbeweisbarkeit aus hy-gienischer Sicht mit den chirurgischenRealitäten nicht übereinstimmt, zeigenUntersuchungsergebnisse auf einem Ge-biet, das einerseits anerkannt hohe Qua-litätsanforderungen stellt, andererseitsandere Voraussetzungen hat als die vonFall zu Fall unterschiedliche Trauma-situation: Gemeint ist die standardisier-te Gelenkendoprothetik, in der schonseit 3 Jahrzehnten nach einer 1969 vonCharnley u. Dandy [3] veröffentlichtenprospektiven Studie die so genannte„sterile infection“ bekannt ist. Die asep-tische TEP-Lockerung ist die häufigsteSpätkomplikation nach Endoprothesen-implantation. Diese ist aber nicht in allenFällen nur biomechanisch bedingt. Nacheiner 1996 veröffentlichten schwedischenMultizenterstudie [14] waren 73,3% allerRevisionsoperationen an der Hüfte durcheine aseptische, 7,3% hingegen durcheine septische TEP-Lockerung verur-sacht. Über 50% der Protheseninfektio-nen werden durch Staphylokokken her-vorgerufen [13]. Subakute, blande ver-laufende Infektionen, insbesondere mitStaphylococcus epidermidis, werden alsweitere mögliche Ursache der asepti-schen TEP-Lockerung diskutiert [12].Bekannt ist aber auch, dass die Anwe-senheit von Fremdkörpern eine Viru-lenzsteigerung bewirkt, d. h. ursprüng-lich apathogene Keime ihren Charakterändern. Diese Beobachtungen habenschon früher sehr restriktive chirur-gisch-hygienische Verhaltensweisen ver-anlasst und sie werden neuerdings wie-der nachhaltig in Erinnerung gebracht[11].

Brauchbarkeit und Notwendigkeit des ABC-Systems

Am 9.3.1999 hat neuerlich eine Anhörungbeim RKI stattgefunden, bei der die an-wesenden Hygieniker und Unfallchirur-gen und auch die Vertreter anderer ope-rativer Fachgebiete die Brauchbarkeit,aber auch die Notwendigkeit des ABC-

Systems bekräftigten; einhellig wurdedavon abgeraten, erneut eine Änderungder Einteilung vorzunehmen, vielmehrgewünscht, die eingeführte ABC-Eintei-lung zu belassen, weil sie sich bewährthabe und die größtmögliche Vereinfa-chung der Nutzungsmöglichkeiten ge-währleiste.

Es zeigten sich aber auch Unter-schiede in der Auffassung zwischen Un-fallchirurgen und Viszeralchirurgen, in-dem letzteren die Problematik der Wund-infektionen weniger bedrohlich erscheint.Das kann bei nüchterner Betrachtungnur als Hinweis darauf verstanden wer-den, dass die chirurgisch-hygienischenBedingungen an der traumatisch ent-standenen Wunde eine andere Qualitäthaben als die chirurgisch gesetzte Ver-letzung.

Die größtmögliche Prophylaxe istalso entgegen notorisch vorgetragener,gleichwohl unsinniger Behauptung nichtetwa eine Vorzugsregelung für Unfall-verletzte, sondern sie ist ein aus den Be-dingungen der traumatischen Wundeabzuleitendes unabweisbares Präven-tionserfordernis. In diesem Sinn sind beider genannten Anhörung auch die übri-gen, in den Richtlinien enthaltenen Re-gelungen als richtig und notwendig be-stätigt worden.Das gilt auch für die nachden Richtlinien bestehende Forderunggetrennter Umbettschleusen. In diesemZusammenhang ist des Weiteren betontworden, dass die ABC-Einteilung derOperationseinheiten die absolut gleich-wertige Ausstattung der C-Einheit pos-tuliert. Es ist daher auch darauf zu ach-ten, dass die immer wieder anzutreffen-den Vorgaben von Architekten undBehörden, die bei septischen Opera-tionseinheiten wichtige Funktionsele-mente einsparen wollen, ohne Abstrichekorrigiert werden. Die Unterlassung dersachgerechten Ausstattung und Hand-habung auch der septischen Opera-tionseinheit (C) kommt, haftungsrecht-lich betrachtet, nämlich der bewusstenund damit groben Fahrlässigkeit (Vor-satz) gleich [20, 21, 22].

Kein Zweifel darf darüber aufkom-men, dass Anforderungen und Richt-linien lediglich technische Hilfen dar-stellen, die ohne peinlich genaue Beach-tung aller Regeln der Aseptik im per-sönlichen Verhalten der Operationsbe-teiligten ihren Zweck nicht erfüllen kön-nen. Nachlässigkeiten und Zugeständ-nisse lassen sich durch noch so ausge-

klügelte technische Vorkehrungen näm-lich nicht aufwiegen.

Das gilt gleichermaßen für vorge-schriebene Wegeführungen, die entwe-der aus Unkenntnis ihrer protektivenBedeutung oder aus einer die hygieni-schen Anforderungen missachtendenpersönlichen Bequemlichkeit nicht be-achtet und gelegentlich auch vehementbekämpft werden. Dabei wird die Be-deutung der chirurgischen Infektionund ihrer Folgen verkannt. Dass dem-selben Fiskus, der die Kosten für die Hy-gienemaßnahmen zu tragen hat, auchdie höheren Kosten vernachlässigterHygiene in potenzierten Maßstäben zu-fallen,muss der Chirurg seinen Kollegenund dem übrigen Personal gegenübergeltend machen und die Einhaltung derGrundsätze der Aseptik einfordern. Andie Notwendigkeit der exakten Führungder Infektionsstatistik muss auch an die-ser Stelle nachdrücklich erinnert wer-den [19]!

Richtlinien für die Beteiligung am Durchgangsarztverfahren

Für die Beteiligung am Durchgangsarzt-verfahren gelten vorstehende Ausfüh-rungen sinngemäß. Die Anforderungender gesetzlichen Unfallversicherungs-träger nach §34 SGB VII zur Beurteilungam Durchgangsarztverfahren in der Fas-sung vom 1.1.1999 (früher „Richtlinienzur Bestellung als D-Arzt“) lauten inso-weit:

„4 Sächliche Ausstattung

4.1 Die Praxis soll für nicht geh-fähige Unfallverletzte zu-gänglich und entsprechendausgestattet sein.

4.2 Es müssen vorhanden sein:

4.2.1 Zwei Untersuchungs-/Behand-lungsräume,

4.2.2 Raum für aseptische Eingriffemit nur einem Zugang/Ab-gang,

4.2.3 Raum für septische Eingriffe,

4.2.4 Personalumkleidebereich mitWaschbecken und Vorrichtungzur Händedesinfektion,

S26 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001

Infektprävention

Page 5: Infektprävention in Klinik und Praxis

4.2.5 Geräte-, Vorrats- und Sterilisa-tionsraum (mit normentspre-chender Sterilisationsmöglich-keit), Aufbereitungsbereich,

4.2.6 Umkleidebereich für Patienten,

4.2.7 Röntgenraum mit einer Röntgen-anlage mindestens der Anwen-dungsklasse II der Röntgen-Apparate-Richtlinien der Kassen-ärztlichen Bundesvereinigung,

4.2.8 Wartezimmer,

4.2.9 ausreichende Einrichtung zur Ar-chivierung.

4.3 Für die Mindestanforderungenan die apparativ-technische undhygienische Ausstattung der Räu-me nach 4.2.1 bis 4.2.7 gilt dieRichtlinie der Bundesärztekam-mer zur Qualitätssicherung am-bulanter Operationen (in derjeweils gültigen Fassung).”

Resümee

Was ist zu tun? Die nach den Richtlinienfestgelegten räumlichen Anforderungenkönnen unter der Voraussetzung gere-gelter Funktionsabläufe und Verhaltens-weisen zur Minderung der Infektions-inzidenz beitragen.Die Prävention bleibtaber wirkungslos, wenn es an der Ein-haltung und Durchsetzung der chirur-gisch-hygienischen Disziplin fehlt.Sie istdas Rückgrat der Asepsis! In meiner 28-jährigen Tätigkeit als BeratenderArzt des Landesverbands Bayern undSachsen habe ich immer wieder festge-stellt, dass der Landesverband stets be-reit war, Rat suchenden Chefärzten ar-gumentative Hilfe zu leisten.Und ich ha-be eine wichtige Aufgabe des Beraten-den Arztes darin gesehen und stets be-stätigt erhalten, zu Bauplänen aus chi-rurgisch-hygienischer und chirurgisch-

organisatorischer Sicht Stellung zu neh-men und bauliche Kreuzworträtsel, diein einer anderen Zeit aufgegeben wor-den waren, lösen zu helfen. Der Landes-verband hat aber auch aus seiner öffent-lichen Verantwortung heraus Entwick-lungen, Zuständen und Verhaltenswei-sen, die den Anforderungen und Richt-linien zuwiderlaufen, entgegenzutreten.Auch das ist ein Akt der Qualitätssiche-rung, die zwar Geld kostet, aber die Le-bensqualität schont.

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Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S27