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Roboter Augen

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Page 3: Roboter Augen

Roboter-Augen

Utopischer Roman von Cecil V. Freed

Immer wieder summte der Telefonwecker neben seinem Kopf-kissen. Vergeblich versuchte der Stationschef wach zu werden. Ingenieur Faustus hatte allerdings ausreichende Entschuldigun-gen für seine Schlaftrunkenheit: die letzten Tage waren zu an-strengend gewesen. Der monatelange Aufenthalt im Raum nahm einen ohnehin über Gebühr mit.

Faustus dehnte sich auf seinem Schaumgummibett und spürte dabei störend den Druck des Sicherheitsgurtes auf dem Magen.

„Wieso? Wieso? Ich fliege doch nicht mit der ‚Human World’! Wozu brauche ich denn einen Sicherheitsgürtel?“

Zunächst war niemand da, der ihm diese Frage hätte beant-worten können. Dafür aber wiederholte sich der Weckruf des Telefons mit jener Beharrlichkeit, die der Maschine nun einmal eigen ist. Stationschef Faustus wurde wenigstens so weit wach, daß er, noch halb betäubt von seiner Müdigkeit, nach dem Hö-rer greifen konnte, um sich zu melden.

„Aber, Sir! Die ‚Human World’ landet doch in – jetzt sind es nur noch acht Minuten!“

„Danke! Ja, ich komme! Selbstverständlich komme ich!“ seufzte der Stationschef und drückte auf die Gurtverriegelung.

Knackend öffnete sich das Schloß. Faustus taumelte von seinem Bett empor und stieß sich an den Kopf.

Obgleich die Oberkante der Koje mit Schwammgummi beklebt war, rieb Faustus sich die Stirn und schaute gähnend umher.

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Der schwache Andruck im Innern der Wohnzelle von Station Feed VI ließ den Aufenthalt darin zur Qual werden.

Faustus kämpfte den in seinem Munde angesammelten Spei-chel hinunter und drückte auf die Lukenverriegelung.

Die Blende glitt zur Seite. Warmer Sonnenschein durchflute-te die winzige Kabine, wanderte rasch über die glatten Platten-wände und war plötzlich verschwunden. Dafür sah man nun im Lukenausschnitt die Weite des bräunlichen Raumhimmels mit den grell leuchtenden Sternen.

Vorsichtig kleidete sich der Stationschef an. Jedenfalls war Faustus nunmehr wieder so weit wach, daß er seelisch an dem Anteil hatte, was er trieb.

Wie immer war Faustus beim Aufstehen voller besinnlicher Gedanken. Er bewunderte nicht nur den langsam an seinem Bullauge vorüberziehenden Sternhimmel, sondern er machte sich wieder einmal klar, daß zwischen ihm und dem Nichts be-stenfalls zweimal 2 Zentimeter Stahlblech und 7 Zentimeter Spezialgummi lagen. Ein einziger Pistolenschuß würde genü-gen, um diese Wandung auseinanderfliegen zu lassen – was zugleich der Selbstvernichtung gleichkäme.

Mit dem leisen Lachen des Mannes, der viel allein ist, schob Faustus die Blende wieder zu, nahm seinen Raumhelm vom Halter neben dem Türschott und schaute in den engen Schlauch der Durchgangsröhre in Richtung Steuerzentrale. Offenbar befanden sich schon alle Mitarbeiter im Observato-rium. Und Faustus kroch in das Metallrohr hinein, das in Ab-ständen von je einem Yard (91,44 cm) elastische „Steigeisen“ aufwies.

Zwischen Wohnzelle und Observatorium hatte Faustus kaum noch 20 Meter zurückzulegen. Dennoch strengte ihn dieses Wegstück derart an, daß er atemlos im Observatorium ankam.

Sein Funker Snittker grinste ihm beinahe spöttisch zu.

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„Zeit, daß Sie ’nen Erdurlaub kriegen, Chef! Man hört Sie schon von weitem herankeuchen!“

Faustus allerdings fühlte sich mit seinen 34 Lebensjahren noch nicht sonderlich verbraucht, obwohl er innerhalb der Raumstationsbesatzungen mit neun im Weltall verbrachten Dienstjahren den Rekord hielt.

„Schon gut! Dank für die Blumen und die Kränze! Aber noch bin ich nicht so weit! Vorerst möchte ich noch ’ne Mars-landung miterleben und – hm – ich möchte auch ganz gern selbst hin! Wie weit sind sie denn?“

Die Besatzungen der Terra-Raumstationen waren niemals son-derlich groß. Schließlich gab es auf diesen künstlichen Erdtra-banten nur wenig Arbeit, sieht man von der hohen Dauerleistung des astronomischen und des nachrichtentechnischen Dienstes ab.

Die sechs Männer saßen entweder vor ihren Geräten oder hatten in den Sesseln vor der Bildscheibe des Fernsehers Platz genommen. Der Radarspezialist und der Raumfunker steuerten die TV-Anlage aus. Den ungünstigsten Platz hatte Snittker, der nur die doppelhandgroße Kontrollscheibe seines Instrumenten-brettes vor sich sah.

Aber jeder der Beobachter wurde gefangengenommen von dem unbekannten Bild einer fremden Landschaft, die vorerst noch mit hoher Fahrt über die Bildscheibe zu rasen schien. Was dieser Fernsehapparat durch den Raum hindurch vermittelte, war jenes Bild, das vom Fernobjektiv der zum Mars gesandten „Human World“ aufgenommen wurde.

Nichts stimmte mit dem überein, das die Astronomen in vie-len Jahrhunderten voller Mutmaßungen über diese „erstarrte“ Welt zusammenkombiniert hatten. Vollkommen berechtigt seufzte der Stationsingenieur Montesi:

„Vita! Leben! Echtes, kraftvolles Leben!“ Die Funkfachleute bewiesen ihr hohes Können. Aus dem

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Lautsprecher klang die Stimme des Berichterstatters, der an dieser Expedition teilnehmen durfte, als spräche er aus einem Raum der Station Feed VI.

„… so, Freunde: der Steuerraum meldet: Landung auf dem Mars in 40 Sekunden! Daher unterbreche ich jetzt meinen Wortbericht! Ihr müßt euch mit dem optischen Erlebnis zufrie-dengeben! Ihr werdet das gewiß bedauern! Aber: höhere Ge-walt! Und inzwischen: gute Unterhaltung! Euer ergebener Dean Conk.“

Das Heck des Raumschiffes neigte sich so stark, daß die Zu-schauer dies einfach fühlten. Ein breiter Kanal mit violettem Wasser darin wurde sichtbar, einige genauso gradlinig verlau-fende, kleinere, winklig dazu angeordnete Nebenarme führten zu weißschimmernden Rechtecken. Und das eine davon hatte sich der Führer dieses Raumschiffes offenbar als Landefläche ausgesucht. Deutlich sichtbar züngelten die Dampfstöße aus den Düsen und traten als Feuerwolken in den Beobachtungsbe-reich der Fernseheroptik.

Da schrie der Stationschef entsetzt auf. „Wahnsinnig geworden? Wahnsinnig? Eis! Eis! Nicht lan-

den! Nicht landen! Oh!“ Dunkelheit spülte über die Empfängerscheibe. Aus dem

Lautsprecher vernahm man ein hartes Knacken. Zugleich ertön-te die Stimme des Berichterstatters voller Gelassenheit:

„Angekommen wären wir! Fragt sich nur: wo!“ Eine zweite Stimme wurde vernehmbar. Die Männer in der

Beobachtungszelle erkannten die Physikerin Dr. Gold. Die rief warnend in ein offenbar nahe bei Conk befindliches Mikro-phon:

„Starkes Ansteigen der Radioaktivität! Wir landeten an-scheinend in einem Medium, das die Strahlung unseres Ofens über das ganze Schiff verteilt.“

Faustus jammerte erregt:

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„Aber kann man ihnen denn nicht mitteilen, was los ist?, Wenn die auf dem Mars …“

Der Stationsastronom lachte leise auf. „Chef! Woran denken Sie eigentlich? Der Mars steht der-

zeit in 219 Millionen Kilometer Abstand von uns. Die Radio-wellen reisen bekanntlich mit fast 300 000 Stundenkilometer. Also ist, was wir hier auf dem Schirm sehen, 12 Minuten alte Historie!“

Faustus rieb sich die Schläfen. „Danke für die Belehrung, Ruskin! Ich weiß das schließlich

selbst – nur: ich kann mich nicht daran gewöhnen, wenn ich es am TV ‚miterlebe’!“

Der Funker fuhr dazwischen: „Ruhe!“ Noch immer blieb die Bildscheibe tiefdunkel. Doch der

Lautsprecher reproduzierte bereits wieder die Stimme des Be-richterstatters.

„Wir sind da in irgendein Medium geraten, das von oben tragfähig wirkte. Dennoch hat uns dieser Salat eingeschluckt. Meine Chauffeure fummeln derzeit an sämtlichen erreichbaren Hebeln und Knöpfen herum, können aber unseren Kahn trotz-dem immer noch nicht aus dem Dreck ziehen. Ah – doch! Der Lift bewegt sich! Zwischenstock: Wünscht jemand auszustei-gen? Damen- und Kinderkonfektion! Erster Stock: Herrenbe-kleidung, Sportartikel, Schuhe …“

„Halte endlich die Klappe!“ rief es von irgendwoher. „Wir starten wieder! Achtung! Festhalten!“

Aus dem Lautsprecher drang ein Rauschen, dem ein scharfes Knacken folgte. Über die leicht gebuckelte Empfängerscheibe glitten immer hellere Farben, und dann tauchte plötzlich wieder die schon bekannte Marslandschaft auf.

Conk setzte seine Schilderung wieder fort: „Erdfrösche da unten, hört mich an: Sofern das Dreckbad,

das unser Schiffchen soeben überstand, nicht alle lieben Dräht-

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chen heruntergerissen hat: wir landen erneut – diesmal aber auf Land! So, da wären wir und haben die ollen Köppe noch immer auf den ungebeugten Rümpfen!“

Die Männer in der Observatoriumszelle von Feed VI atmeten auf. Leise bemerkte der Astronom:

„Ich hielt übrigens jenes Medium für Süßwasser …“ Das nunmehr ruhigstehende TV-Bild zeigte die unbelebte

Marslandschaft, die ebensogut irgendwo auf der Erde sein konnte. Man sah nur noch wenig von dem breiten Kanal, da ihn ein hoher Deich verdeckte. Drei Gebäude gehörten offenbar zu einer Schleuse.

„… und die Baulichkeiten sind so gut erhalten, daß man nicht mehr am gegenwärtigen Leben auf diesem Stern zwei-feln darf …“

„Ja, Leben auf dem Mars! Damit wurde der Beweis erbracht, meine Herren!“

„Für mich steht dies schon viel länger fest! Da vier Schiffe auf dem Mars verschollen sind, ahne ich Gefahren, die gerade von diesem Leben herrühren!“

„Wenn unsere Leute nur vorsichtig sind!“ Die Beobachter im Raum-Observatorium durften nicht mehr

weiterplaudern. Der Fernseher schaltete sich auf ein anderes Milieu. Nun konnte man über die Kilometer-Millionen hinweg auf die Vorbereitungen blicken, die für den ersten Ausstieg ge-troffen wurden.

Das farbige TV-Bild vermittelte einen ausgezeichneten Ein-druck vom Schiffsinneren. Vier Gestalten in Raumanzügen drängten sich vor der Luftschleuse. Die anderen verließen den Schiffsteil. Und man erkannte nun auch rasch, wie sorgsam Ka-pitän Mario vorzugehen pflegte: nur zwei Mann waren für die-ses erste Unternehmen abgestellt. Die beiden anderen standen nur zu deren Schutz bereit.

„Mario versteht sein Geschäft!“ sagte Ingenieur Montesi be-

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wundernd. „Dem vernichtet kein Meteor das ganze Schiff! Se-hen Sie? Schotten dicht!“

Deutlich sichtbar senkten sich die Sicherheitspanzer vor den Durchgängen.

Und dann rollte ‚Präsente’ langsam nach vorn und kam da-mit ins Bild. Jeder in dieser Station kannte diese Sonderkonstruk-tion, mit der Gordon Poel erstmalig eine Expedition außerhalb der Erde sicherer gestalten wollte.

Ein mannsgroßer „Roboter“, der zufällig, aber keineswegs absichtlich an einen Menschen erinnerte, war aus schwerem Stahl zusammengefügt. Er barg in seinem Inneren Hochlei-stungsbatterien, mehrere Fernsehaufnahmegeräte, mehrere Funkübermittlungsanlagen, Gegensprecheinrichtungen, Steuer-Radars und vor allem starke Scheinwerfer, mit denen er alles das erhellen konnte, was er fernsehen sollte.

Dieses ungewöhnliche Gebilde lief auf zwei hintereinander-stehenden Rollerrädern und wurde durch einen Innenkreisel am Umstürzen gehindert.

Dieser Televisions-Roboter, System Poel, war jene Neue-rung, mit der sich diese Mars-Expedition doch wesentlich si-cherer fühlen durfte; denn einmal – und das blieb wohl das Wichtigste – sahen die im Schiff Zurückbleibenden jedes Er-eignis, dem die Außenkommandoleute entgegentreten mußten, zum anderen wurde dem Heimatplaneten jede Phase der Ermitt-lungen bekanntgemacht, wodurch grundlegend von vornherein eine Sicherstellung sämtlicher Expeditionsergebnisse gewähr-leistet war.

Und nun sah man auf der Raumstation Feed VI dem Start dieser ersten Kundschaftergruppe zu. Ingenieur Poels Gesicht wurde unter der Helmglocke sichtbar. Er grüßte in Richtung der TV-Linse und sagte über das Kehlkopfmikrophon:

„Wir hoffen, daß Sie in der Heimat einen guten Empfang ha-ben! Zusammen mit Mister Conk und ‚Präsente’ gehe ich jetzt

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los! ‚Präsente’ wird auf Dauerempfang geschaltet, sobald wir im Freien sind!“

Verblüffend wirkte die selbstverständliche Ruhe, mit der diese ganze Unternehmung gestartet wurde. Nichts war mehr von jener Erregung zu verspüren, die einen noch zehn Jahre zuvor über-fallen hatte, als die erste Weltraumrakete auf dem Erdmond ge-landet war.

Die „Terraner“ hatten ihren näheren Umkreis längst fest im Besitz.

Die beiden Männer und ‚Präsente’ verschwanden im Inneren der Luftschleuse. Während Poel und Conk in ihren keineswegs aufgeblähten Raumanzügen (dem Anzeichen normaler Druck-verhältnisse) über die Leiter zu Boden stiegen, mußte ‚Präsente’ mit einem Kran heruntergelassen werden. Kaum hatten seine Räder Marserde berührt, als er auch schon die weitere Ton- und Bildübermittlung durchführte. Fortan sahen die Zuschauer im Inneren des zurückbleibenden Raumschiffes und in der Millio-nen von Meilen entfernten Raumstation Feed VI alles mit den „Augen“ dieses menschengroßen Roboters aus absolut norma-ler Perspektive.

Die Kameraden standen zusammen mit ihrem unpersönli-chen, unparteiischen, gemütlosen Stahlbegleiter am Fuße des Raumschiffes, das auf einer mattgrün schimmernden Wiese seitlich von einem leichtüberfrorenen See lag.

Der Berichterstatter Conk beugte sich über das Ufer. „Wasser –, richtiges Wasser!“ Ingenieur Poel deutete auf die Gebäude, die keine tausend

Meter entfernt am Kanal zwischen düsteren Bäumen durch-schimmerten.

„Und Häuser!“ „Hin?“ „Selbstverständlich!“ setzte er befriedigt hinzu. Als er die ersten Schritte in jener Richtung tat, kam er dicht

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vor der Linse seines Kunstproduktes vorüber. Sein bronzebrau-nes Gesicht mit dem blau-schwarzen Haar leuchtete unter dem Plexiglashelm hervor. Selbst die seitliche und rückwärtige Schutzschicht aus weichem Plastikmaterial konnte die Ab-stammung dieses Amerikaners nicht verbergen: Dieser im gleichmäßigen Schritt des trainierten Sportsmannes dahin-schreitende Ingenieur war Indianer.

Durch die Raumstation Feed VI ging ein tiefer Seufzer. Beinahe entrüstet klagte der Astronom: „Wie ist so etwas möglich! Ein völlig unwissenschaftliches

Vorgehen!“ Und der Radar-Beobachter Chamberlain ergänzte ebenfalls

aufgebracht: „Wie die Pfadfinder im Stadtwald von Lansing!“ Nur der Stationschef forschte mit milder Friedfertigkeit: „Aber, aber, meine Herren! Was sollten diese beiden denn

tun?“ Die Gefragten sprachen durcheinander. „Gravitation messen! – Luftproben nehmen! – Den Lande-

punkt geographisch genau bestimmen! – Die …“ „Nun reden Sie doch keinen Unsinn, Gentlemen! Die haben

wirklich anderes zu – oh, da – da!“ „Umdrehen!“ schrie auch der sonst so geistesgegenwärtige

Radar-Operator. Zugleich aber verstummten sie alle. Beschämt gestanden sie sich ein, daß das, was sie sahen, vor

fast einer Viertelstunde bereits geschehen war. Resigniert beo-bachteten sie mit den Augen des Roboters ‚Präsente’, wie vier Marsbewohner lautlos aus dem See auftauchten und an Land stiegen.

Von rückwärts huschten sie auf die beiden Erdmenschen zu. Und ‚Präsentes’ Objektive zeichneten die Formen dieser

Marsmenschen mit grausamer Deutlichkeit: hochgewachsene,

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breitschultrige Gestalten mit spärlicher Bekleidung. Ihre Haut sah aus wie spröder Gummi und schien von fahlem Blau und bei einem von grünlichem Braun.

Die Köpfe dieser vier unheimlichen Gestalten saßen auf mächtigen, muskelstarken Hälsen. Sie schienen fast menschlich – schräggestellte Augen mit farblosen, glasklaren Linsen, haarlo-ser Schädel, sehr flache Nase, breiter, blutroter Mund – und bartähnliche Kiemen.

„Fischmenschen!“ flüsterte jemand im Observatorium. Diese Feststellung klang wie ein Todesurteil. Nun zeigte die Bildwand auch jede Einzelheit der Körperfor-

men: Klauenartige Hände mit Schwimmflossen, schuppenförmi-ge Oberflächengestaltung der Beine und Arme, die dadurch mehr Gelenke zu besitzen schienen, und am Halse des einen ein brei-tes goldenes Band mit einem leuchtenden Edelstein.

Aber die Kiemen, die statt der Ohren diese Köpfe so stark vom Menschlichen wegverwandelten, waren es, die Traum-spukgestalten aus diesen Verfolgern von Conk und Poel mach-ten.

Und der leise Schmerzensruf des Chefs Faustus drückte alles aus, was man empfinden konnte:

„Verloren! Sie sind verloren!“

* Der Fernseh-Roboter ‚Präsente’ konnte aber nicht nur aufneh-men, was in seiner Umgebung vorging, sondern er war ja zu-gleich eine selbstfahrende Empfangsstation. Darum konnte ‚Präsente’ auch den Warnungsruf des Raumschiffkapitäns Mario weiterleiten.

„Langsam! Ganz langsam umdrehen! Langsam!“ „Was ist denn los?“ fragte der Indianer, der die weitaus grö-

ßere Ruhe zu entwickeln verstand. „Kommen sie schon?“

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Mario wiederholte warnend: „Langsam! Auf keinen Fall schießen!“ Poel sah sie zuerst. Sein Gesicht behielt die maskenhafte

Starre bei. Conk hingegen spürte, wie seine Knie weich wurden. „Heiliger Kompaß!“ Poel hatte sich vollkommen in der Gewalt. Deutlich sah man,

wie sich sein Gesicht zu einem gezwungenen Lächeln verzog. Er hob grüßend die Hände. Er zeigte dabei betont die leeren Handflächen.

Keiner hatte an der Existenz von Marsmenschen gezweifelt. Dennoch schienen mit dieser ersten bewußten Begegnung al-

lerhand Vorstellungen zerstört. Mensch und Fischmensch stan-den einander gegenüber – im Moment sogar sehr ungleich; denn die Raumanzüge machten aus den beiden Erdbewohnern uniforme Ungetüme, deren Aquarienglockenhelme die darin eingebetteten Köpfe verzerrt wirken ließen.

Die zwei Gruppen verharrten in erwartungsvollem Schwei-gen.

Conk kannte seinen rothäutigen Freund Poel so gut, daß er sich schon einen Scherz erlauben durfte.

„Roter Häuptling, was taten deine verehrten Vorfahren, als sie Kolumbus entdeckten?“

„… als sie von Kolumbus entdeckt wurden? Abwarten!“ „Tu was Besseres!“ riet Conk. Der Ingenieur trat zwei Schritte vor und streckte dem vorder-

sten Marsianer die Hände entgegen. Poels Hände steckten in blauen Gummihandschuhen. Und diese Hände wurden nun mit festem Druck umschlossen von den grünbraunen Fäusten des Marsianers.

Auf den Zuschauern lastete die erregendste Spannung, als ‚Präsentes’ Kopflautsprecher nunmehr Poels Gruß ausstrahlte:

„Guten Morgen, ihr Marsfreunde!“

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Da Poel nichts anderes einfiel, wählte er selbstverständlich die englische Sprache.

Und der Berichterstatter Conk, ein fixer Boy, Mitte der Vier-zig, erfahren im Zeitungsbetrieb und durch nichts zu verblüffen, mußte sich an ‚Präsentes’ stählernen Schultern festhalten; denn der Fischmensch sagte in einem etwas kehlig klingenden Eng-lisch:

„Guten Morgen, Gentlemen! Auch von der Terra?“ Conk murmelte nur erschlagen: „Himmel, wie ist das möglich?“ Der Marsianer schaute etwas beunruhigt auf ‚Präsente’, der

allein sprach. Er tippte gegen Poels Helmkugel. „Sie können ruhig aufmachen, werter Freund! Die Luft ist ’n

bißchen dünn, aber ausreichend. Für Sie mit Ihrem hohen Blut-druck gerade richtig!“

Aus ‚Präsentes’ Lautsprecher schallte das Lachen Conks und der Raumschiffbesatzung. Irgend jemand ächzte erstickt:

„Armer Indianer! Nun wird dir deine Rothaut als Krank-heitszeichen angerechnet …“

Der Anführer dieser kleinen Marsianergruppe wandte sich an den Roboter.

„Wer ist dieser fremde Freund ohne Arme?“ Sofort entgegnete der Automat mit Marios Stimme: „Ich bin der Chef! Und wer sind Sie, bitte?“ „Auf der Terra würden Sie mich vermutlich als Doktor der

Naturwissenschaften bezeichnen! Ich bin Biologe! Mein Name ist Aluger. Ich leite hier eine Fischzuchtanstalt.“

„Uff!“ sagte der Indsman. Conk lächelte nervös. „Sie, Herr Doktor …“ Bisher hatten die Begleiter Dr. Alugers ruhig abgewartet.

Doch nun hob der Jüngste den Kopf. „Luftgefahr!“ sagte er in mühsamem Englisch.

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Dr. Aluger schaute nervös zum Himmel. Er griff bereits nach Poels Arm. „Schnell, schnell, meine Terrafreunde! Luftgefahr!“

„Wie? Was?“ ‚Präsente’ brüllte dazwischen: „Los! Abschwirren! Ich höre Motorengeräusche!“ Conk wandte sich bereits im hastigen Vorwärtsstreben an

den Biologen. „Und was ist mit unserem Flugschiff?“ Erschreckt blieb der Gelehrte stehen. Man hörte nichts von

seinem Atem, obgleich er rasch gelaufen war, während Conk schon keuchte.

„Stimmt ja! Freunde von der Terra müssen ja ein Raumschiff benutzt haben …“

„Zu Fuß zu weit!“ witzelte der Berichterstatter. „… und die Ulterioren dürfen das nicht kriegen!“ vollendete

der Marsianer, unverständlich für die Terramänner. ‚Präsente’ verkündete beruhigend: „Okay, okay! Haut ab, ihr Brüder! ‚Human World’ nebelt

sich ein! Aber ihr müßt euch verrollen! Tempo! Dalli! Presto!“ Dr. Aluger klopfte dem Stahlmann auf die Schulter. „Sie sind für mich ein vollkommen neuer Typ, Sir! Aber Sie

scheinen ungewöhnlich klug zu sein! Sie sind weit klüger als alle anderen, die bisher von der Terra zu uns kamen.“

Poel zuckte zusammen. Da klang also bereits nach wenigen Minuten die erste Nachricht auf von dem „Vorangegangenen“. Der Ingenieur hätte gern so vieles gefragt. Doch der jüngste Fischer schrie etwas auf marsianisch. Dr. Aluger schaute zum Himmel.

„Flieger! Da! Da!“ Nun sahen auch die beiden Terraner die Vierdecker, die ei-

nen erstaunlichen Krach veranstalteten. Der amerikanische In-genieur registrierte als erstes, daß diese Maschinen Staudruck-verdichter benutzten und reichlich altmodische Verbrennungs-motore. Doch ließ man ihm für weitere Erkenntnissammlung

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keine Zeit. Der Fischmensch Diyto, ein tiefbrauner Marsianer, der durch sein Auftreten etwas an eine Person des öffentlichen Lebens erinnerte (später erfuhr Ingenieur Gordon Poel, daß Diyto Polizei-Sergeant war), nahm den Indianer kurzerhand beim Arm und schob ihn in Richtung Schleusenhaus.

„Schnell!“ rief der Biologe. „Laufen!“ ‚Präsente’ rollte selbstsicher und mühelos hinter der kleinen

Gruppe her. Poel brauchte den Schalthebel im Kabelgriff nur ein wenig weiter hineinzudrücken.

Beunruhigt jammerte der Fischmensch an der Spitze etwas in seiner anscheinend komplizierten Sprache, und der Wissen-schaftler übersetzte schreiend: „Zu langsam, Freunde! Zu lang-sam!“

Der Expeditionsleiter im Inneren des Raumschiffes erfaßte die Möglichkeiten offensichtlich weit schneller. Durch ‚Präsen-tes’ Lautsprecher rief er:

„Setzt euch auf meine Schultern!“ Dieser Vorschlag rettete die Gruppe. Der Indianer-Ingenieur

und der Berichterstatter schwangen sich auf den Nachrichten-Roboter, der mit ihnen nun bereits vor den voranstürmenden Marsianern dahinschoß. Seine Rollerräder jagten lautlos über den sandigen Marsboden.

Ein hoher, hallender Torbogen nahm sie auf. Die Marsbewohner drängten sich sofort gegen die Mauern.

Der rasende Lauf, den kein Sportsmann der Erde durchgestan-den hätte, schien ihnen überhaupt nichts ausgemacht zu haben. Dr. Aluger half den beiden Terranern von ‚Präsentes’ Schul-tern herunter. In seinen glasklaren Linsenaugen schimmerte es.

Conk wunderte sich sogar, wie dieses Schuppengummige-sicht es überhaupt fertigbrachte, menschliches Empfinden zu zeigen.

„Freund“, wandte sich der Biologe an den Stahlroboter,

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„nennen Sie mir Ihren Namen! Sie sind berufen, uns zu führen, uns aus der Versklavung zu retten! Halt, halt! Sir, Sir! Nicht hinaus!“ brüllte er hinter dem Berichterstatter Conk her.

Dean Conk blieb vor dem Toreingang stehen und drehte sich lachend um.

„Lassen Sie nur, Doc“, sagte er lachend, „auch auf der Erde haben wir solche Flieger! Auch wir hatten mal ’ne Zeit mit Luftangriffen! Wo sind die Biester denn bloß hingeflogen?“ setzte er hinzu und schaute aufmerksam nach allen Seiten.

Doch zu spät richtete er den Blick nach oben. Daß diese Vierdecker unbeweglich in der Luft hängen konn-

ten, daß ihre Motoren geräuschlos liefen, hatte Conk nicht ge-ahnt. Er fühlte die gleiche hypnotische Lähmung, die ein Ka-ninchen auf die Stelle bannt, wenn es von dem Blick einer Schlange getroffen wird.

Langsam segelte der große und breite Vierdecker herab. Conk erspähte deutlich ein graubraunes Gesicht, schimmernde,

schwarze Augen und davor einen Maschinengewehrlauf, dessen daumengroße Mündung genau auf ihn zielte.

Und danach umhüllte ihn der feurige Tod …

* Die Reaktion auf dieses Ereignis war im Inneren des Weltraum-Observatoriums von Feed VI höchst unterschiedlich. Mit einem tiefen Seufzer stöhnte der Stationschef Faustus:

„Ein Opfer der Wissenschaft und nicht einmal ein Wissen-schaftler!“

Der Astronom Ruskin steuerte ebenfalls ein Nekrologwort bei. „Conk war ein knorker Kerl!“ Nur Ingenieur Montesi wußte etwas anderes zu sagen. Er

strich sich mit der Linken über die Augen. „… er war mein Freund!“

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Im nächsten Augenblick bemühte sich jeder, den nieder-schmetternden Eindruck zu überspielen.

„In was sind unsere Boys da hineingeraten?“ „Krieg auf dem Mars!“ „Die Rak HW zurückrufen!“ „Und die vier anderen Raumschiffe?“ „Wollen Sie noch mehr Leute verlieren?“ „Kann man die anderen steckenlassen? Woher können diese

Heringe denn Englisch? Doch nur von unseren Leuten …“ Auf diese Mutmaßung des Funkers Snittker hin, der als

Sprachexperte weitergedacht hatte, senkte sich tiefes Schwei-gen über die Zelle im Weltraum.

Vorübergehend verdunkelte sich die Bildscheibe. Auf dem Mars wurde offenbar geschaltet. Marios blasses Gesicht tauchte auf.

„Ich weiß nicht, wie man auf der Erde darüber denkt! Aber ich möchte sogleich feststellen: Ich kehre nicht zurück, ohne den Versuch gemacht zu haben, mit unseren Kameraden aus den vorgereisten Raumschiffen Kontakt aufzunehmen. Auch eine anderslautende Anweisung von daheim kann mich nicht umstimmen! Ende! Ich schalte wieder auf ‚Präsente’!“

Doch die Bildscheibe blieb dunkel. ‚Präsente’ meldete sich nicht. Lange herrschte bedrücktes Schweigen im Inneren des Ob-

servatoriums. Schließlich sagte der Astronom leise: „… und eines Tages zischen diese Vierdecker auch über un-

seren Globus und spucken aus ihren dicken MGs den Tod auf die Dörfer und Städte …“

*

Leise schlugen die Wellen gegen die Bordwand. Immer tastete der Ingenieur nach der Wandung des Kahnes und bewunderte

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die Qualität dieser Verarbeitung: Aluminium, das nicht unter dem Einfluß des Sauerstoffes oxydierte. Aluminium, wie man es auf der Erde niemals zu sehen bekam.

Seiner Auffassung nach mußten diese seltsamen Kiemen-männer glänzende Techniker sein, obgleich er sich nicht vor-stellen konnte, daß solche Naturburschen, die eher Tieren ähnel-ten, überhaupt eine Maschine bedienen konnten, vom Konstru-ieren einer solchen ganz zu schweigen.

Doch zu weiterem Sinnen kam der Indianer nicht. Sein Blick wurde eingefangen von den Wundern der Marswelt. Das Boot glitt durch den Zulauf-Kanal zum Fischzuchtsee. Dieser künst-liche geradlinige Wasserarm war so breit wie eine Autostraße auf der Erde und nur von flachen Ufern eingefaßt.

Auf diesen Ufern wuchsen Pflanzen, die an riesige Wirsing-kohlköpfe erinnerten. Allerdings mit einem Durchmesser von 15 bis 20 Meter und entsprechender Höhe.

Der Indianer besaß wohl nicht die Empfindsamkeit des wei-ßen Mannes gegenüber dem Tod: er trauerte seinem Kameraden Conk nicht länger nach. Poel empfand, daß ein Berichterstatter kein schöneres Ende hätte finden können. Ohne Krankenlager, ohne Schmerz war sein Lebensfaden jäh gekappt worden.

Ingenieur Gordon Poel spürte auch nichts von dem prüfen-den Blick, mit dem der Biologe ihn musterte.

Dr. Aluger saß neben dem Steuermann. Das schnellfließende Wasser trug den Aluminiumkahn ohne jeden Antrieb auf eine wuchtige Betonanlage zu, in der ein hochgekurbeltes Schütz eine niedrige Durchfahrt freigab.

Der Biologe betrachtete etwas verständnislos die beiden so gegensätzlichen „Typen“ von Erd„menschen“: den Indianer und den Stahlmann, den er noch immer für ein echtes Lebewe-sen hielt. Eine Erscheinung wie diesen Indianer mit seiner kup-ferfarbenen Haut mochte Aluger noch hinnehmen. Über den ganz gepanzerten zweiten „Mann“ konnte er sich nicht klarwerden.

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Wahrscheinlich ist der doch sehr empfindlich gegen atmo-sphärische Schwankungen. Aber er kann kein Gehirnathlet sein; denn seine körperlichen Leistungen sind ungewöhnlich hoch!

Dr. Alugers Überlegungen waren keineswegs so abwegig. Bisher hatte er sämtliche Besucher von der Terra stets in Schutzanzügen mit großen, durchsichtigen Helmglocken an-kommen sehen. Und trotz der häufigeren Schwanklingen des leichten Bootes stand ‚Präsente’ (dank seines Stabilisierungs-kreisels) unberührt im Kahn und „genoß“ den Anblick der vor-beiziehenden Landschaft.

„Man müßte ihn warnen!“ hörte sich Aluger selbst sagen. Der Indianer war sofort wieder in der Gegenwart angekom-

men. Fragend schaute er den Marsianer an. „Sir?“ „Man müßte Ihren Freund warnen! Dieser See ist bei Sei-

tenwind tückisch! Besser, der Gentleman setzt sich auch nieder, meine ich!“

Aus ‚Präsentes’ Lautsprecher kam sogleich die Antwort. „Dank, Sir! Aber wenn ich in einem Boot bin, so kann dies

nicht kentern!“ Der Marsianer lächelte sanft. Er übersetzte diese Behauptung

seinen Leuten. Und nun lächelten die auch. Einer von ihnen fragte ‚Präsente’ etwas. Aluger dolmetschte

wiederum: „Kann der Herr überhaupt schwimmen?“ „Das habe ich nicht nötig!“ Nachdem Aluger dies wiederum in die Marssprache übertra-

gen hatte, nahm dies der Mann am Steuer als Herausforderung. Fischmeister Bokigo (so erfuhr der Indianer später) war of-

fensichtlich schon älter und erschreckte einen fast durch den kalten Blick seiner linsenförmig aus den Höhlen quellenden Glotzaugen. Bokigo verzog den Mund zu einem Grinsen, das von einer Kieme bis zur anderen zu reichen schien, und drückte

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unerwartet auf das Steuer. Der Indianer, der diesen tückischen Scherz vorausgesehen hatte, wollte sich schon irgendwo fest-klammern.

Doch das hatte er nicht nötig. Das Boot gehorchte diesem plötzlichen Steuerausschlag

überhaupt nicht. Es lag wie ein Ozeandampfer im Wasser und zog stetig seine Bahn, ohne den Kurs zu ändern. Hilflos plät-scherte der entsetzte Fischmeister mit dem Steuerruder hin und her.

Der Indianer veränderte keine Miene. Jeder andere Mann hätte zumindest gelächelt und damit seinem Triumph Ausdruck ver-liehen.

Gordon Poel wußte genau, was den Marsianer narrte: ‚Prä-sente’ mauerte gewissermaßen mit gebremsten Rädern auf dem Schiffsboden.

Fischmeister Bokigo gab auf. Der Aluminiumkahn glitt sicher auf den Wellen. Der See

wurde überquert. Langsam rückte die Felswand näher. Während der Zuchtsee durch seine Form klar als künstliche Anlage zu erkennen war, lag die Bergkette in unberührter Natürlichkeit wie ein sprungbereiter Panther an seinem östlichen Ufer.

Dicht davor wuchs ein Betonklotz aus dem Wasser. „Luftschutzbunker!“ erklärte der Biologe kurz. „Hier verläuft

die Sperrzonengrenze!“ „Ihr führt Krieg? Als Dauerzustand?“ „Seit dreißig Jahren!“ „Furchtbar! Gegen wen?“ „Gegen die Ulterioren!“ Der Indianer schwieg. Er sah ein, daß es unmöglich war, die

Geschichte, die Lebensbedingungen, die Geographie, die Men-schen eines fremden Sternes in der ersten Stunde kennenzuler-nen. Überdies entsprach ruhiges Abwarten nun einmal seinem Naturell. Mario hätte keinen geeigneteren Kundschafter aus-

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senden können. Persönliche Gefühle bewegten den Indianer überhaupt nicht. Furcht kannte er nicht.

Die Felswand kam näher. Langsam ließ sich das von dichtem Pflanzenwerk umrankte „Tor“ erkennen. Der geologisch nicht ungebildete Ingenieur sah die Kalksteinformationen, erkannte starke Verwerfungen und begriff, daß dieser Pantherfels wahr-scheinlich ausgedehnte Höhlen bergen müsse.

Das Boot glitt um den Luftschutzbunker herum. Poel ent-deckte, daß dies nichts anderes als eine meterstarke Betonplatte mit drei Wänden war. Zum Fels zu war dieses Bauwerk offen. Anscheinend brauchte man nicht zu befürchten, daß die Vier-decker zu dicht an diese Wand herankämen.

„Dies ist doch ein Kunstsee?“ Aluger nickte zustimmend. „Und Sie sagen, dieser See liegt auf der Grenze zu Ihren

Feinden, ja, warum bauen Sie dann nicht lieber woanders einen See für Ihre Zucht?“

Der Biologe legte beide Hände über seine Knie. Er bedeckte sie damit vollkommen; denn die Schwimmhäute zwischen den Fingern bildeten einen gespreizten Fächer.

„Richtig, diese Frage, Sir! Doch nirgendwo haben wir solche tiefen Höhlen. Und unsere Kulturen brauchen diese Formation, Sir! Außerdem haben wir noch einen anderen Grund, Sir! Und den werden Sie gleich kennenlernen! Bitte, noch etwas Geduld!“ setzte der Biologe auch gegen ‚Präsente’ hinzu.

Der antwortete gleichmütig: „Ich habe Zeit!“ Der Schiffskiel knirschte gegen Unterwasserfelsen. Zwei der

dürftig gekleideten Gestalten glitten über Bord und waren damit erst in ihrem Element. Nun ging es mühsam um mehrere enge Krümmungen. Das Wasser rauschte lauter, schäumte gegen die schwarzpoliert aussehenden Steine. Die Fischmenschen hatten alle Mühe, das dünnwandige Fahrzeug vor Beschädigungen zu

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schützen. Der Ingenieur fühlte sich keineswegs mehr darin wohl. Er konnte zwar schwimmen. Doch fürchtete er nun doch für seinen stählernen „Freund“.

Vor allem aber quälte das Dunkel. Besonders unheimlich standen darin die beiden orangefarbe-

nen Kontrolllampen, mit denen ‚Präsente’ verriet, was von sei-nen Einrichtungen in Betrieb war. Diese beiden Bernsteinaugen glühten fast böse durch die Finsternis. Der Indianer duckte sich gleichsam unter dem Gefühl, dieser fremden Natur unterlegen zu sein. Er sah verschwommen die maskenhafte Fratze des Ro-boters und wurde an die Totempfähle seiner Vorfahren erinnert, an jene Geister, die im Leben der Indianer genausoviel Macht besaßen wie die Gottheiten der großen Religionen. Poel fühlte sich auf einmal schmächtig, klein und demütig. Er besaß nicht mehr die Kraft, gegen diese unbekannten Kräfte anzugehen. Plötzlich wurde die Szene jedoch vollständig verändert. Das Boot geriet in ruhigeres Fahrwasser. Die Wände traten zurück. Die Höhlendecke hob sich. Und genau in diesem Moment schaltete ‚Präsente’ seine Frontscheinwerfer ein. Diese waren für Fernsehaufnahmen bestimmt.

Eine Helligkeit von einigen Zehntausend Lumen knallte dem Boot voraus. Poel schloß zunächst geblendet die Augen.

Die Fischmenschen stießen leise Erschreckens- oder Ver-wunderungsrufe aus. Und dann sah der Ingenieur das Unfaßba-re: genau in Fahrtrichtung lag mitten in diesem Höhlensee eine Insel.

Auf dieser Insel, die mäßig groß war, stand eine einsame Ge-stalt.

Das Scheinwerferlicht schien sich auf diese Erscheinung zu konzentrieren. Gordon Poel konnte jede Einzelheit an diesem Mann ausmachen. Obwohl das Licht keinen Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Beobachtung zuließ, glaubte der Ameri-kaner eigentlich selbst nicht, was er sah.

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Auf der Insel stand ein Mann von 2 Meter Größe. Die Haut dieses Wesens war tiefschwarz. Kleider trug er nicht. Darum konnte man die riesigen Fledermausflügel auf dem Rücken die-ses Mannes genau erkennen. Poel interessierte sich zunächst am meisten für die Befestigung dieser Flügel in den Rückenwirbeln und erspähte faustdicke Muskelbündel, die sich in feinen Ver-ästelungen verloren.

Doch dann begriff er die Sinnlosigkeit dieser „Untersu-chung“. Was ihn vollkommen gefangennahm, war das Gesicht des Fledermausmannes.

Dieses Antlitz erwies sich in seiner tiefen Schwärze als menschlich – schön, verwirrend schön und von einem kalten, abweisenden Hohn beherrscht, ein Ausdruck, den der tief-schwarze Kinnbart noch unterstrich.

Gordon Poel litt unter der Vorstellung, in die Knie sinken zu müssen.

Er vernahm wohl nicht einmal die Erklärung des Biologen Aluger:

„Unser letzter Ulti-Gefangener …“ Tonlos flüsterte Gordon Poel vor sich hin: „Der Teufel!“

* Die Enge des Raumschiffes ‚Human World’ zwang die beiden darin Zurückgebliebenen, sich im Observationsraum eng ne-beneinander vor der Empfängerscheibe des TV zusammenzu-drängen. Somit spürte Dr. Evelyn Gold fast den stockenden Herzschlag ihres Nachbarn.

Ferdinand Mario besaß als Raketenkapitän einen ausge-zeichneten Ruf. Jahre hindurch war er erfolgreich im Erd–Mond-Zubringerdienst tätig gewesen und hatte mehr als einmal unmögliche Situationen zu meistern verstanden. Der Anblick

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jener Spukgestalt brachte Mario jedoch vollkommen um seine Fassung.

Schweratmend stützte er sich gegen den Rahmen des Bild-empfängers.

Aus dem Lautsprecher über der Bildscheibe quoll das ak-zentfreie Englisch, mit dem dieser Fledermausmann den India-ner begrüßte.

Mario wandte sich zu seiner Nachbarin. „Hauen Sie mir eine ’runter, Doc! Ich glaube sonst nicht, daß

ich wirklich wach bin! Nein, das glaube ich nicht! Das gibt es doch nicht …“

Sekundenlang schaute Evelyn Gold zur Seite. Sie sah im fah-len Widerschein des Bildschirms neben sich einen etwas blas-sen, vorzüglich gepflegten Mann von einigen dreißig Jahren, aus dessen grauen Augen die ehrliche Angst leuchtete.

„Doch, Kapitän!“ Diese fast heiter klingende Entgegnung brachte den Franzo-

sen wieder in die Gegenwart zurück. „O ja“, fuhr er mit einem tiefen Seufzer fort, „Doc, das ist

wirklich wundervoll! Herrgott, was wird man in Paris toben, wenn – wenn wir mit solchen Resultaten heimkehren!“

Dr. Evelyn Gold fühlte sich unendlich überlegen. Sie blieb sachliche Wissenschaftlerin. Einen Ehrgeiz wie dieser Pilot kannte sie nicht. Zudem erfaßte sie peinlich beeindruckt, daß dieser Kapitän eigentlich hatte sagen wollen:

„… wenn ich mit solchen Resultaten heimkehre …“ Deshalb klang ihre Entgegnung auch erschreckend nüchtern

und zurückweisend: „Was man in Paris sagen wird? ‚Ach, ist Kapitän Mario auch

mal wieder da? War wirklich eine interessante Sendung, die Ihr Kamerad Gordon Poel mit seinem Roboter Präsenten durchführte. Haben Sie die auch gesehen?’“

Mario steckte diesen moralischen Tiefschlag schweigend ein.

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Im gleichen Augenblick hämmerte irgend etwas hell gegen den Leib des Raumschiffes. Beide Insassen fuhren zusam-men; denn der Rhythmus diesem Signals geht dem in Fleisch und Blut über, der es auch nur ein einziges Mal ernsthaft ver-nahm.

Mario fuhr aus dem Sessel empor. „SOS! Wir müssen …“ Die Physikerin erhob sich langsamer. „Sachte! Erst mal nachsehen, Kapitän!“ „Unsinn! Was denken denn Sie? Dieses Signal kennen doch

nur Erdbewohner! Ich sause!“ Und schon war der Pilot aus der Kabine geschlüpft. Zögernd schaute Dr. Evelyn Gold ihm nach. Dann schloß sie

das Türschott mit einer energischen Bewegung und riegelte auch noch den Überdruckverschluß zu. Das war ein Kniehebel-system, das von außen nur mit einem Schweißbrenner geöffnet werden konnte.

Die junge Wissenschaftlerin fühlte sich von einer ungewöhn-lichen Mutlosigkeit überfallen. Sie befand sich genau in der Schiffsspitze. Ringsum gab es nur Bildschirme, die beim Flug durch den Raum zur Sternbeobachtung, zur Abweisung von Meteoren und zur Kontrolle der Schiffsfunktionen dienten. Vier mit den Lehnen gegeneinandergestellte Polstersessel machten diesen Raum so eng, daß man sich nur mit äußerster Vorsicht darin bewegen konnte.

Die Physikerin befürchtete jedoch, daß sie auch hier im Fall einer Gefahr nicht sicher sein werde.

Dr. Evelyn Gold schickte einen verzweifelten Blick umher. Sie entdeckte den Fernseher, mit dem man die Außenseiten des Schiffes betrachten konnte. Hastig schaltete sie das Gerät ein, das nun mit leisem Brummen warmlief.

Während die ersten Schlieren über die Empfängerscheibe zogen, lauschte die Wissenschaftlerin in das Schiff hinein. Ihrer

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Mutmaßung nach mußte Kapitän Mario inzwischen vor dem Eingang des Schiffes angekommen sein.

Da formte sich auch schon das Bild dieses Einganges. Mario taumelte gerade einem der unerwarteten Besucher be-

sinnungslos in die Arme. Der ließ ihn sanft zu Boden gleiten. Undeutlich spielte der selbsterzeugte blaue Nebel um die

weit aufgestoßene Schiffstür. Evelyn wußte, wer da zu ihr kam. Drei, vier, fünf Gestalten in blaugrauen Uniformen mit rie-

sengroßen Lederflügeln auf dem Rücken klappten diese Fle-dermausattrappen dicht zusammen und bugsierten sie etwas mühsam durch die für sie doch reichlich enge Öffnung.

Bevor Evelyn Gold zum Nachdenken kam, hämmerte auch bereits etwas hart gegen das Schott des Observationsraumes. Und eine durchaus sympathische Stimme forderte:

„Aufmachen! Sonst …“

* Bisher war diese Szenerie eigentlich ganz gemütlich gewesen und wäre wohl auch noch so geblieben, wenn ‚Präsente’ nicht plötz-lich mit einer hellen Frauenstimme gellend aufgeschrien hätte.

„Poel! Poel! Sie brechen das Schott auf! Poel! Da sind sie – oh, die Teufel!“

Und dann schwieg der Lautsprecher. Aluger war von seinem Sitz emporgetaumelt. Der Indianer spürte zum erstenmal auf dieser Mars-

Expedition ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Er nickte dem Marsbiologen bedrückt zu.

„So, Herr Dr. Aluger! Nun ist es soweit! Jetzt haben diese Ulterioren auch unser Raumschiff erobert!“

Der Marsianer schien seinen Schreck überwunden zu haben. Gleichmütig hob er die Schultern.

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„Sie werden auch mit dieser Maschine wieder nichts anfan-gen können, Sir!“

„Bitte?“ „Die Ulterioren kennen keinen solchen Antrieb, wie Sie ihn

besitzen!“ Der Indianer saß zusammen mit dem Biologen und den Fi-

schern auf der namenlosen Insel in der Wym-Höhle. Der gefan-gene Fledermausmann war von den Marsianern an das andere Inselende gescheucht worden. Der Indianer mit dem echten Empfinden für Charakterstolz hatte anerkennend die Haltung des Gefangenen registriert. Ihm waren fast Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verhältnisses gekommen.

Keine drei Meter von ihnen entfernt stand ‚Präsente’ mit ausgeschaltetem Kreiselsystem. Er stützte sich auf seine Stel-zen, die ihn noch menschenähnlicher wirken ließen. ‚Präsente’ betrieb derzeit nur drei der kleineren Scheinwerfer, die völlig ausreichten, um die Insel zu beleuchten.

Viele Stockwerke hoch über der Insel wölbte sich das beun-ruhigend flache Höhlendach.

Obgleich diese Szene ihn etwas an die Plauderei beim Lager-feuer erinnerte, wollte den Amerikaner doch nicht jene Freiluft-behaglichkeit überkommen, die man daheim bei ihm so liebte.

Überdies rissen einen die Figuren ringsum vollkommen in eine gefährliche Gegenwart zurück. Menschenähnliche Gestal-ten mit breiten Mäulern, die man eigentlich kaum noch als Mundform bezeichnen durfte, Kiemen statt der Ohrmuscheln, gummischuppenförmige Körperoberflächen – das Ganze war selbst für den stoisch empfindenden Indianer ein bißchen viel.

Gerade deshalb bemühte sich Gordon Poel, das Gespräch nach dieser niederschmetternden Offenbarung so sachlich wie möglich zu halten.

„Wie war das? Unser Raumschiff wird von einem Quecksil-berdampf-Atommotor getrieben. Aber wir sind in jeder Bezie-

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hung unabhängig. Verdampfen können wir eigentlich alles: Zink, Blei oder sonstwas! Nur Quecksilber ist am ergiebigsten. Was haben diese Ulterioren denn für Raumschiffe?“

„Aber Sie müßten die Dinger doch kennen, Sir! Magnetfeld-Antrieb, niedrige, runde Rotoren, die wie flache Scheiben aus-sehen …“

Eine ganze Minute lang herrschte tiefes Stillschweigen. Schließlich brachte Ingenieur Gordon Poel heiser hervor: „Ich werde verrückt! ,Präsente’, was sagst du dazu? Die flie-

genden Untertassen! Die Flugrotoren …“ ‚Präsente’ blinkerte dank Poels unbemerkt bleibendem

Schulterdruck mit einigen Kontrollampen. Der Mars-Biologe dagegen bestätigte anerkennend:

„Flugrotoren, jawohl, Sir! Genau das ist die Bezeichnung, die diese Usurpatoren ihren Flugapparaten geben. Die haben auch die Terra kontrolliert, seit vielen Jahrzehnten schon, nicht wahr?“

„Über 130 Erdenjahre, Doc!“ „Dann stimmt es! Das haben die Ulti auch immer gesagt.

Und seit ungefähr dreißig Jahren sind die Rotoren ausgeblieben, nicht wahr, meine Herren?“

‚Präsente’ schwieg weiterhin. Poel überlegte verzweifelt, wie er diese scheinbare Teilnahmslosigkeit seines Begleiters ent-schuldigen sollte. Doch dann fesselte ihn die Erklärung des Marsianers viel zu sehr:

„… und das nur, weil ihre Weltraumstation zerstört wurde. Da ist in den Magnetbahnen irgend etwas aus dem Gleis gera-ten. Und der ganze Haufen war gezwungen, überall da, wo sie sich gerade befanden, Unterschlupf zu suchen. Den Hauptsegen bekamen wir ab. Wir wurden von den Ulterioren schamlos be-drückt, unterjocht und versklavt – wie heftig versklavt, davon haben die Geehrten ja selbst ein Bild bekommen …“

Der Indianer hatte aufmerksam gelauscht. Ihm war von Anbe-

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ginn an aufgefallen, daß dieser Marsianer ein seltsam burschiko-ses Amerikanisch sprach. Endlich hatte Gordon Poel begriffen: das war Flieger-Englisch. Wahrscheinlich hatten Aluger und wohl auch die Ulterioren die Sprache der Erdraumschiff-Besatzungen angenommen.

„Jetzt möchten diese Marsianer-Bedrücker aber wieder fort, wie?“ fragte der Ingenieur etwas geistesabwesend.

„Nur zu gern! Deshalb ja stets ihre sofortigen Angriffe auf die hier gelandeten Erdraumschiffe, Sir!“

„Bei Ihnen fanden sie kein Raumschiff?“ Der Fischmann hob abweisend die Hände. „Unsere Heimat ist das Wasser, Sir, nicht die Luft!“ „Ach so! Aber sie besitzen doch Verkehrsmittel …“ „Nur auf dem Wasser, Sir!“ „Alle Achtung! Das ist eine unerwartete Entdeckung. Herr Dr.

Aluger! Und die Ulterioren hofften auf unsere Raumschiffe?“ Der Marsmensch schickte einen gedankenvollen Blick auf

den Gefangenen, der in einiger Entfernung auf und nieder schritt.

„Deshalb beobachteten die Ulterioren ja auch Ihr Radio so aufmerksam. Übrigens: dadurch lernten auch wir Ihre Sprache, Sir!“

Damit war der Kreis eigentlich geschlossen. Die wichtigsten Fragen schienen gelöst. Nun blieb nur noch eine einzige Frage offen.

„Und woher kommen diese Ulterioren?“ „Ich bin kein Astronom, Sir. Ich kann mich nur auf die Er-

klärungen der Ulti stützen. Die behaupten von N 21.“ Poel beugte sich ungläubig vor. „Wie? Vom Cygnus?“ „Sternbild Schwan – bedeutet Ihnen das etwas?“ Ohne jede Verzerrung gab der Nachrichten-Roboter diese

Offenbarung weiter. Die Wellen reisten durch den Raum und

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wurden von der Antenne des Weltraum-Observatoriums Feed VI eingefangen, um in akustische Wellen umgewandelt zu wer-den.

Der Astronom Milford Ruskin faltete ergriffen die Hände und schaute ungläubig von einem zum anderen. Er sah die Be-wunderung auch auf den Mienen seiner Kollegen. Er selbst aber fand die Kraft, das auszusprechen, was wohl alle empfanden:

„Boys, die Ulterioren kommen aus der Milchstraße! Boys, das ist der schlagende Beweis für die Existenz menschlichen Lebens auf anderen Planetensystemen! Leben außerhalb unseres eigenen Sonnensystems! Boys, ich könnte vor Dankbarkeit …“

„Ruhe!“ mahnte Stationschef Faustus. „Ruhe! Da! Nun kommt es, was ich befürchtet habe! Wie wird Poel sich aus die-ser Schlinge ziehen?“

Er hatte nicht unrecht. Es war eine Schlinge. Zum dritten Male hatte sich Dr. Aluger mit einer Frage direkt an ‚Präsente’ ge-wandt. Und nun drängte er.

„Was ist mit Ihrem Freund?“ „Besser, wir lassen ihn, Doc! Der Verlust unseres Raum-

schiffes hat ihn zu schwer getroffen. Er wird vorläufig wohl überhaupt nichts mehr reden. Er ist verinnerlicht …“

Der Biologe übersetzte seinen Leuten die letzten Sätze. Ehr-fürchtig schauten die Kiemenmänner auf den teilnahmslos vor sich hin glotzenden Roboter. Dr. Aluger wandte sich leise an seinen rothäutigen Gast.

„Ich darf nur hoffen, Sir, daß der Gentleman uns für dieses Unglück nicht verantwortlich macht …“

„Ich glaube es nicht, Dr. Aluger! Mister ‚Präsente’ ist sehr gerecht.“

Die Beobachter von Feed VI waren daraufhin voll ehrfürch-tiger Bewunderung.

„Gerade dieser Indianer mit seiner gelassenen Ruhe“, sagte Faustus befriedigt, „keiner von uns allen könnte das nachma-

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chen! Möglicherweise ist solch ein Verhalten für Marsianer nichts Ausgefallenes! Nun bleibt aber unser Problem Nr. 1: Wie kriegen wir unsere Leute vom Mars zurück?“

Der kleine, isolierte Metallraum, der frei in der Weite des Weltalls schwebte, schien von Sorgen und Ängsten erfüllt.

Auf dem Bildschirm des Fernsehgerätes, das ‚Präsentes’ Wahrnehmungen spiegelte, sah man die kleine Marsianergruppe um Gordon Poel. Und im Hintergrund spazierte ein schwarzer Ulti mit Bocksbart und Fledermausflügeln auf und nieder.

Astronom Milford Ruskin erhob sich aus seinem Sessel und lehnte sich gegen die Außenwand, an der er wenigstens den stärksten Andruck verspürte.

„Immerhin, meine Herren: das Zentrum der Milchstraße liegt 35 000 Lichtjahre von uns entfernt, faktisch genausoweit vom Mars, das sind etwa 11 000 Parsec. Selbst Einsteins Theorie der Zeitausdehnung darauf angewendet – wie soll man diese Ent-fernungen überwinden?“

Der Stationschef erinnerte kühl: „Sie erfuhren aber doch, daß die Ulterioren vom N 21 dieses

Problem gelöst haben …“ „Lichtgeschwindigkeit, wie? 299 791,5 Kilometer pro Se-

kunde im Vakuum! Damit sollen menschliche Wesen gereist sein? Das soll ein Wissenschaftler glauben?“

„Kein Mensch zwingt Sie, dies zu glauben“, entgegnete Fau-stus scharf. „Nur von einem Raum-Astronomen erwarte ich mehr Achtung vor den Möglichkeiten! Selbstverständlich sind unsere Raumschiffe im Vergleich zu diesen Reiseapparaten noch nicht einmal Raumschaluppen.“

Gerade der Stationsingenieur Montesi war es, der sachlich richtig folgerte:

„Demnach werden die Flügelfiguren enttäuscht sein. Leider! Leider!“

„Wieso – leider?“

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„Weil somit die Gefahr besteht, daß sie dies ihre Gefangenen entgelten lassen!“

Der Stationschef schwieg. Mit ihm schauten die Männer von Feed VI minutenlang wie-

der aufmerksam auf den Bildschirm. Die Situation in der Wym-Höhle hatte sich nicht verändert.

Noch immer schluckte die Optik in ‚Präsentes’ Kopf die Licht-strahlen, die von den Marsmenschen und ihrem Gast sowie ih-rem Gefangenen reflektiert wurden. Noch immer verwandelte ‚Präsentes’ metallenes Gehirn diese Lichtstrahlen in elektrische Energie und schickte sie als Wellen durch die Luft zu der im Raumschiff „Human World“ installierten Relais-Station. Und von dieser Zwischenstation aus wurden die vielfach verstärkten Wellen auf ihre 12-Minuten-Reise geschickt.

Und genau in diesem Augenblick sagte Stationschef Faustus verwundert:

„Eigentlich verblüffend, daß die Ulterioren die Schiffsradio-anlagen noch nicht stillgelegt haben!“

Da erlosch das Licht auf der Empfängerscheibe. „Sie haben es berufen!“ meinte Montesi düster. „Armer

Freund Poel! Ein Indianer zwischen Kiemenkerlen und Flügel-männern!“

Evelyn Gold war eine ungewöhnlich reizende Frau von 37 Lebensjahren, die in ihrem Heimatland Australien hohes Anse-hen als Wissenschaftlerin genoß und noch nicht verheiratet war. Über ihrem schmalen, schönen Gesicht türmte sich das blonde Haar und rann in schweren Locken bis auf ihre Schultern. Fast als Widerspruch dazu lockten die braunen Augen in fast über-mütiger Fröhlichkeit.

Doch war Dr. Gold in diesem Augenblick alles andere als fröh-lich. Sie saß auf dem Sessel des Co-Piloten der Raumrakete „Hu-man World“ und beobachtete das Tun der Fledermausmänner.

Die Ulterioren füllten den Steuerraum mit ihrer schweigsa-

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men Würde. Daß diese Männer etwas von der Raumfahrt und speziell von Erdraumschiffen verstanden, ging aus jeder ihrer Bewegungen hervor.

Experten mit Erfahrung! folgerte Dr. Gold ruhig und wun-derte sich darüber, daß sie seltsamerweise nunmehr gar keine Unruhe mehr verspürte.

Neben Dr. Gold stand ein baumlanger Bursche in der glei-chen blaugrauen Uniform. Sein lackglänzender, schwarzer Haarschopf stieß tatsächlich gegen die Steuerorgane der Kor-rekturdüsen. Sobald er sich bewegte, raschelten seine Lederflü-gel und erinnerten an die trockene Haut alter Männer.

Die Ulti sprachen wenig miteinander. Ihr Anführer war durch vier Ärmelstreifen ausgezeichnet. Wiederum mußte Evelyn Gold sich über die Gleichartigkeit

der Entwicklung zwischen den Sternen wundern. Dieser Kom-mandant untersuchte die Skala des Pendelbeschleunigungsmes-sers und seufzte leise auf.

Dr. Gold hätte ihm allerdings leicht mit den Daten des Gravi-tationsstatus und des Schiffseigengewichtes dienen können.

Was sie verwunderte, war die Mühelosigkeit, mit der diese Männer die Erdschrift lasen und sich in der doch reichlich komplizierten Raumschiff-Steuerung zurechtfanden.

Die Physikerin kannte die Schwächen dieser Raketen. Schnell im interplanetarischen Sinne – war bisher nichts von dem, was auf der Erde gebaut wurde.

Der Kommandant richtete sich vorsichtig auf. Er trat zu Dr. Gold und verneigte sich vor ihr.

„Verzeihung, Lady! Sie wurden erschreckt! Dies lag nie in unserer Absicht. Mein Name ist Weu. Ich bin Kommandant des Raumschiff-Kommandos. Kapitän Sidney Schwind ist mein Freund, wenn Ihnen dieser Gentleman ein Begriff ist!“

Überrascht stand Evelyn aus ihrem Sessel auf und streckte dem Kommandanten die Hand entgegen.

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„Kapitän Schwind wurde von mir als Navigator geprüft! Er ist Australier deutscher Abstammung, und ich schätze ihn aufrichtig. Würde er mir seine – Freundschaft zu Ihnen bestätigen?“

„Ich kann Ihr Mißtrauen verstehen! – Jawohl! Ich hoffe, in den nächsten Tagen Gelegenheit zu haben, Sie und meinen Freund Schwind zusammenzuführen. Sie sind hier …“

„Ich bin Evelyn Gold, Physikerin, Navigatorin, Expertin für Raum …“

Der Schwarze mit dem leicht gekrausten Kinnbart lächelte mild.

„Ohne akademischen Grad?“ „Wenn Sie dies so genau nehmen: Professor Doktor Doktor

Evelyn Gold, Staats-Universität Melbourne.“ „Da bin ich nur ein ganz kleines Lichtfünkchen neben so viel

Gelehrsamkeit in weiblicher Hülle! Und eine Lady allein zwi-schen uns so fremd aussehenden Eulen?“

Evelyn lächelte. „Wer verglich Sie mit Eulen, Kommandant?“ Der Fledermausmann nickte. Er benahm sich überhaupt völ-

lig erdmenschen-gleich. Mit wenigen Worten schickte er Eve-lyns Wächter weg. Der huschte mit kurzen Flügelschlägen durch die engen Schotte. Kommandant Weu ergriff wieder das Wort.

„Sie haben recht, Lady! Ihre Begriffe sind eindeutig, wie? Beelzebub, Satan, Luzifer – ah, Attipa, Sie kommen gerade richtig! Hier! Ihr Schützling!“

Durch das Schott zum Kartenzimmer glitt eine Gestalt in hel-lerer Kleidung. Was die plötzlich verwirrte Evelyn Gold zuerst entdeckte, war das Fehlen des Kinnbartes. Dann sah sie die gelbschimmernde Perlenkette, die sich um einen sehr hellhäuti-gen schlanken Hals schlang.

Eine Frau! Eine junge Frau, eine – ja, eine reizende junge Frau! hämmerte es in Evelyn.

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Und sie trat dieser – kleinen Teufelin glücklich entgegen und griff nach den ihr entgegengestreckten Händen.

*

Der nordamerikanische Ingenieur Gordon Poel staunte selbst darüber, wie rasch man sich an solch einen Anblick gewöhnte: er erkannte deutlich, daß Dr. Aluger arg niedergeschlagen da-saß.

Noch immer befanden sich die Männer in der Wym-Höhle. Noch immer erhellte ‚Präsente’ die Szene mit seinen Schein-werfern.

Doch hatte sich die Lage verändert. Selbstverständlich verstand der Indianer keine Silbe von

dem, was die Fischmänner miteinander verhandelten. Aber er spürte aus den Bewegungen der primitiven Burschen, daß sie dem Biologen Vorwürfe machten.

Unwillkürlich wandte Poel den Kopf. Dreißig Schritte hinter ihm lehnte der Ulterior auf seinen zu-

sammengeklappten Flügeln. Er lächelte den Indianer an. Gordon Poel wußte nicht, wie er darauf reagieren sollte. Verflucht! Was geht mich eigentlich dieser Krieg hier an?

Allerdings: offensichtlich haben die Ulti uns die Rak wegge-nommen. In dem Falle …

Der Biologe wies die Fischer mit einer resignierenden Hand-bewegung zurück. Die traten murrend zur Seite. Zwei von ih-nen ließen sich ins Wasser gleiten.

Sofort schaltete der Ingenieur durch die Fernsteuerung die rechtsseitige Scheinwerfergruppe seines Roboters dazu und sah nun den violettleuchtenden See, in dem die Fischmenschen sich mit der überlegenen Sicherheit von Wasserbewohnern bewegten.

Was er außerdem noch sah, waren dicke, ungetüme Riesenfi-sche, denen er bei Schwimmversuchen nicht gern begegnet wäre.

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Aber die Marsianer schienen diese Riesentiere sogar noch herauszufordern.

„Was stimmt nicht?“ fragte der Indianer den Biologen. „Nichts stimmt! Die Fischer brauchen Futter für ihre Tiere!“ Ein gräßlicher Verdacht stieg in Poel auf. „Futter? Und?“ Der Biologe hob müde die Schultern. „Was kann ich tun? Warum habe ich mir nur dieses gräßliche

Amt anhängen lassen?“ „Was würden Sie denn lieber tun, Dr. Aluger?“ fragte der

Indianer, dem das Gespräch eine gefährliche Wendung zu neh-men schien.

Der Marsianer schien verwandelt. „Welch eine Frage! Dichten, Sinnen in Ruhe und Frieden, im

Bewußtsein, daß es Nahrung genug für alle gäbe, damit man seine Seele freibekommt für das Schaffen.“

Ingenieur Poel glaubte nicht an seine eigene Wahrnehmung. Fischmenschen, die dichten! Der Biologe schien nichts von der Verwunderung seines Zu-

hörers zu merken. „Sie müßten unsere Sprache verstehen, meine Herren! Dann

würde Ihnen das Herz aufgehen über diesen Klang der Reime.“ Poel hatte sich wenigstens so weit wieder gefaßt, daß er flü-

stern konnte: „Dichtung?“ „Wir Datbuus sind seit vielen, vielen Generationen begabte

Sänger und Dichter! Das ist ja mein Unglück!“ setzte Aluger bekümmert hinzu.

„Moment! Würden Sie mir das gütigst erklären?“ Der Biologe nickte. In seinen linsenförmigen Augen schien

ein feuchter Schimmer an Tränen zu erinnern. Nein, das bitte nicht auch noch! hätte Poel am liebsten ge-

schrien.

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Aber so mußte er nur anhören, was der andere auf seine Frage zu erwidern hatte:

„Schauen Sie, meine Herren: unser Staatswesen ist uralt. Wir leben seit vielen Jahrhunderten als globaler Einheitsstaat. Die Auslese erfolgt in den Dichter- und Sänger-Wettbewerben. Da entscheidet die Leistung über – Sie würden vielleicht sagen: die soziale Lage. Ich hatte bei den Konkur-renzen eigentlich immer sehr viel Glück, war wohl stets gut disponiert …“

Poel spürte wieder in sich das Verlangen, in sein rechtes Bein zu kneifen. Aber er träumte nicht. Er war wach. Seine Lage durfte er unbekümmert als völlig verzweifelt bezeichnen. Einen Kame-raden hatte er bereits verloren. Sein Raumschiff befand sich in den Händen der „Teufel“. Es gab keine noch so kleine Aussicht auf ein Entkommen, keine auf eine friedliche Lösung.

Und als „Helfer“ steht mir ein schutzbedürftiger Poet zur Verfügung, eine Schattengestalt, die man bestenfalls sehr gut-mütig als menschenähnliche Ornamentfigur bezeichnen kann! Ich wundere mich, daß diese Sprotten wirklich richtige Gedan-ken aussprechen! Heringe, die englisch sprechen! Es ist doch zum Verrücktwerden!

Poels Blick fiel wieder auf den Ulterior, der noch immer be-wegungslos gegen seine Flügel gelehnt stand.

„Mein lieber Dr. Aluger, ich würde gern mal mit Ihrem Ge-fangenen ein Wort sprechen.“

Alugers Ausdruck wandelte sich. Seine Augenlinsen verloren, den träumerischen Schimmer. Gleichmütig versicherte er:

„Sie sind der Gast, Sir! Sie haben zu bestimmen. Wenn Mister ‚Präsente’ schon nicht mehr mittut …“

Der Indianer mußte eine unliebenswürdige Antwort bremsen. Da machte er eine wichtige Entdeckung: ‚Präsentes’ dritte Kon-trollampe leuchtete flackernd auf und brannte dann stetig wei-ter. Also empfing er wieder. Erst damit erkannte der Schöpfer

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dieser Fernsehkombination einen Mangel, an den er zuvor nie-mals gedacht hätte.

Ich hätte noch eine weitere Kontrolle einbauen müssen: eine Anzeigevorrichtung, die signalisiert, welche Stelle ‚Präsentes’ Sendung empfängt. Wenn die jetzt in Feed VI an diesen Ge-schehnissen hier Anteil haben: du lieber Himmel! Beim großen Manitou! Jetzt werde ich ihnen einen lebendigen Teufel demon-strieren!

Aluger erhob sich. Er betonte damit, daß er seinem neuen Freund Gelegenheit geben wollte, mit dem Gefangenen allein zu sprechen. Aluger gesellte sich zu seinen Begleitern. Die hatten das leichte Aluminiumboot auf die Insel gezogen, umgekehrt und sich darauf gesetzt.

Gordon Poel winkte dem Ulterior, der diese Geste offen-sichtlich verstand. Der Fledermausmann schwang sich mit ei-nem einzigen Flügelschlag empor und stand auch schon vor dem Terra-Abgesandten.

„Sir?“ Der Schwarze überragte den rothäutigen Menschen um fast

anderthalb Kopfgrößen. Sein Gesichtsausdruck war im Glanz von ‚Präsentes’ Scheinwerfern einwandfrei zu erkennen.

„Wie heißen Sie?“ „Skjelli, Sir!“ Skjelli war wahrscheinlich schon seit längerem Gefangener

der Fischmenschen. Man hatte ihm die Kleider abgenommen. Vielleicht fror er in der niedrigen Höhlentemperatur. Vielleicht hatten die Marsianer ihn hungern lassen. Aus seiner Haltung konnte der Terraner nichts anderes entnehmen, als selbstsiche-ren Stolz, der aber von einer Bescheidenheit betonenden Höf-lichkeit überragt wurde.

„Mister Skjelli“, begann der Ingenieur langsam. Verblüfft sah Poel das dankbare Leuchten in den tiefschwar-

zen Augen des vor ihm stehenden Fledermausmannes. Er be-

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merkte auch ein leises Beben der Flügelränder, die wieder fest zusammengelegt waren, die Skjelli aber nicht als Stütze dienten.

„Ich muß Ihnen gegenüber vollkommen ehrlich sein. Ich be-finde mich zu Ihren Leuten in einer leider sehr unangenehmen Lage …“

„Oh …“ „Bitte?“ unterbrach sich der Indianer verwirrt. „Ich nahm bisher aus Ihrem Auftreten an, daß Sie hier als

Gast weilen, Sir.“ „Allerdings: Wir landeten als Besucher dieses Planeten und

trafen auf die Piscishomulli, wurden dabei aber entgegen den interplanetaren Voraussetzungen von Ihren Leuten überfallen. Weiter: Während ich hierherfuhr, hat man unser Raumschiff angegriffen und inzwischen meine Kameraden gefangenge-nommen oder getötet.“

Aus ‚Präsentes’ Lautsprecher tönte unerwartet eine dem In-dianer fremde Stimme in glattem Englisch:

„Keine Gefangenen, Sir! Miß Doktor Gold ist wohlauf und frei. Kapitän Mario liegt mit einem Armbruch im Lazarett!“

Aluger fuhr mit einem Freudenschrei empor. „Mister ‚Präsente’, Sie grollen uns nicht mehr?“ Der Ingenieur Poel machte eine Bewegung, als wollte er den

Roboter ausschalten. Er hatte sofort begriffen, daß dies nur der Führer dieser Fledermausleute sein konnte. Doch da sagte ‚Prä-sentes’ Lautsprecher auch bereits:

„Bitte, tun Sie das nicht! Wir wollen verhandeln! Sie stehen im Augenblick auf der falschen Seite, Herr Ingenieur! Diese dichtenden Karpfen sind für Sie doch keine ebenbürtigen Part-ner, Sir! – Ach, nun ist Ihr Gastgeber böse!“ setzte er hinzu.

Poel wurde erschreckend klar, in welch einer komplizierten Lage er sich befand.

Die Fischer erhoben sich von ihrem Boot. Sie schienen unsi-cher und empört zugleich. Ihre Blicke konzentrierten sich auf

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‚Präsente’, von dem sie anscheinend annahmen, daß er ins feindliche Lager gewechselt sei.

Dr. Aluger wurde augenscheinlich von grausamen Zweifeln gequält. Er blickte irr von ‚Präsente’ auf den Indianer und schien langsam zu begreifen, daß dies wohl doch kein aus orga-nischen Zellen gewachsener Körper sein konnte.

Höflich lächelnd, aber durchaus seiner Lage als Gefangener bewußt, wartete Skjelli die Entwicklung ab.

Die Höhle besaß eine Besonderheit gegenüber gleichen Ka-vernen auf der Erde (was der Ingenieur erst in diesem Zeitpunkt bemerkte): Jeder Laut verklang ohne Echo. Das erzeugte aku-stisch eine Szenerie von ungewöhnlicher Intimität. Trotz des Riesenraumes agierte man gewissermaßen in einem abgeschlos-senen Kabinett.

Dazu kam, daß ‚Präsentes’ Scheinwerfer eine Jahrmillionen alte Finsternis auflockerte, ein Licht, das erstmals nie geschaute Schönheiten hervorlockte, die sich ihres Glanzes gar nicht be-wußt sein konnten. Das von Metalloxyden gefärbte Höhlenge-stein glitzerte unter den reflektierenden Lichtstrahlen und ver-wandelte die Kulisse in ein Märchenschloß, in das diese unter-schiedlichen Figuren – Fledermausriese, Fischmensch und Rot-haut – ganz hervorragend paßten.

Nur Dr. Aluger hatte den Sinn der sarkastischen Bemerkung des Kommandanten Weu verstanden. Wie viele Dichter besaß er kein Organ für Humor. Er ballte seine Flossenhände zu Fäu-sten und schüttelte sie in ohnmächtigem Grimm gegen einen unsichtbaren Feind.

Der aber reizte ihn noch, indem er durch ‚Präsentes’ Mund herausfordernd lachte.

„Ingenieur Poel, passen Sie auf! Jetzt springt Ihr Ober-Hering in die nächstbeste Badewanne und paddelt darin so lange umher, bis er mein Seelengift resorbiert hat!“

Diese Voraussage traf nun nicht ein.

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Dr. Aluger preßte seine Fäuste gegen die wildflatternden Kiemen und wollte sich dann auf ‚Präsente’ stürzen.

Eine ruhige Handbewegung des Indianers ließ ihn erschreckt in der Ausgangsstellung verharren. Der Ingenieur versicherte ihm warnend:

„Das ist nicht Mister ‚Präsente’, der da redet! Da spricht ei-ner von euren Gegnern, der sich nur ‚Präsentes’ Mund bedient. Verstehen Sie, Doktor?“

Bevor der Mars-Biologe antworten konnte, hatte Kommandant Weu wieder in das Mikrophon gesprochen. Seine Stimme ließ deutlich erkennen, daß er voller Anerkennung feststellen mußte:

„Klug, Herr Ingenieur! Sehr klug! Sie sagten doch ausdrück-lich: eure Gegner! Sie haben recht, Sir! Dies ist nicht Ihr Krieg!“

Der Indianer bedeutete dem Gefangenen mit einer kleinen Geste, daß er noch warten müsse. Er wandte sich so zu ‚Präsente’, daß die Optik ihn genau frontal erfaßte.

„Irrtum, Mister Unknown! Dies dürfte auch mein Krieg sein!“ „Wieso?“ „Ihre Leute erschossen meinen Kameraden Conk!“ „Dafür gibt es keine Entschuldigung! Sie haben vollkommen

recht! Doch – sobald wir einander persönlich begegnen, werde ich versuchen, Ihnen ein Erklärung zu – oh, diese Schurken! Da, nun sehen Sie es selbst!“

Der Indianer begriff diesmal nur langsam. Ihn blendete aller-dings auch ein wenig das grelle Scheinwerferlicht. Er drehte sich um und sah den Überfall.

Zwei der Fischer waren ins Wasser geglitten. Aus den Fluten schlugen sie dem Fledermausmenschen Skjelli mit einem Bootshaken die Füße unter dem Leib weg.

Obwohl Skjelli den Sturz mit einem Ausbreiten seiner Flügel abzuschwächen versuchte, kam er mit dieser Reaktion zu spät.

In der nächsten Sekunde lag er im Wasser, einem Element, in dem er offensichtlich hilflos war. Bisher hatte Skjelli keinen

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Laut von sich gegeben. Doch nun schrie er etwas in der Oyr-nisprache. Sogleich aber drückten die Fischmenschen seinen Kopf unter Wasser.

Da hielt Ingenieur Poel bereits seine Pistole in der Hand. „Aluger, rufen Sie Ihre Leute ’raus! Sonst schieße ich!

Schnell!“ Der Biologe wich zurück. „Was?“ ‚Präsente’ reproduzierte die Stimme des Kommandanten Weu,

der voller Achtung sagte: „Das war fair, Sir! Doch schießen Sie nicht! Diese Höhlen

sind tückisch! Es nützt nichts, wenn Sie auch noch Ihr Leben einbüßen! Zudem: Wir sind ja auf Sie angewiesen!“

*

Der Navigationsraum des Raumschiffes „Human World“ mußte es den Oyrni (wie sie sich selbst nannten – die Marsianer sagten „Ulterioren“) wohl angetan haben. Jedenfalls hatten sie ihn in diesem Schiff zu ihrem Daueraufenthalt bestimmt.

Auch Dr. Evelyn Gold weilte zusammen mit ihnen darin. Neben ihr auf einem niedrigen Hocker saß ihre jüngste Freun-din Attipa. Allein deren Anblick war so ungewöhnlich, daß die Physikerin immer wieder gezwungen war, auf diese elegante Gestalt zu schauen.

Da den Fledermausmenschen Sessel mit Arm- und Rücken-lehnen ihrer für die Terraner ungewöhnlichen Anatomie we-gen unbequem waren, vermieden die Offiziere es, sich über-haupt niederzusetzen. Dafür aber kamen sie wieder ihrer Kör-pergröße wegen in Schwierigkeiten mit den vielen Leitungen, die wenig über Erdmenschen-Stehhöhe an der Decke entlang-geführt waren.

Doch die Physikerin hatte sich auf den Sitz des Schiffsfüh-

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rers gesetzt. Und Attipa hockte nun neben ihr, die Unterkanten der Flügel gegen den Boden gestemmt. Die dienten ihr gewis-sermaßen als Rückenlehne. Und Evelyn Gold sah, daß die Fle-dermausfrau durchaus entspannt dasaß.

Dr. Gold fühlte sich durch diese Frau grundlegend umge-stimmt. Sie hätte keine Erklärung für diesen Frontwechsel ge-ben können. Sie fand Attipa eben reizend und lieb. Sogar ihr Englisch wies einige typisch weibliche Redewendungen auf, ein Wortschatz, den sie niemals von den bereits zurückgehalte-nen Raumschiffbesatzungen des „Percival Lowell“, des „Stry-mon“ oder der „Terra Nova“ gelernt haben konnte.

Dazu kam, daß Attipa schön war. Ihr Körperbau hätte auch auf der Erde entzückt. Und einen Schmuck trug dieses Wesen, daß Evelyn fast neidisch; geworden wäre. Jedenfalls konnte sich Evelyn Gold nicht entsinnen, jemals ein derartiges Goldge-spinst gesehen zu haben.

Dieses spinnwebdünne Armband schmiegte sich mattglän-zend um das zarte, braunhäutige Handgelenk, viele winzige Goldkettchen, in denen die Juwelen wie losgelöst zu schweben schienen.

Vielleicht hatte Evelyn doch etwas zu Interessiert auf dieses Schmuckstück geschaut. Jedenfalls löste Attipa ihr Armband mit einer hastigen Bewegung und reichte es der Freundin von der Erde.

„Du würdest mich erfreuen, wenn du es tragen wolltest!“ sagte sie schlicht.

Evelyn Gold kam sich fast armselig vor, als sie der Ulteriorin dafür ihren Brillantring schenkte, hatte aber wohl nicht damit gerechnet, daß dies ein ungewöhnliches Schmuckstück für Attipa war. Jedenfalls war deren Freude echt. Sie legte ihre Arme um Evelyns Nacken.

„Du bist ja so gut zu mir! Dabei bereiten wir dir nur Kummer und Sorgen!“

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Diese Umarmung gab der Physikerin endlich die ersehnte Gelegenheit: Sie konnte in kindhafter Neugier über Attipas Flü-gel streicheln.

„Die fehlen uns!“ gestand sie zögernd. Wie gut jeder Muskel in diesem System von einer „Sonder-

abteilung“ in Attipas Gehirn gesteuert werden konnte, bewies sie damit, daß sie ihren rechten Flügel herumklappte und Eve-lyn hinhielt.

„Du darfst ruhig anfassen, Kleines!“ Nochmals strichen Evelyns Fingerspitzen behutsam über das

glatte Hautleder. „Müßt ihr das Fliegen eigentlich lernen? So, wie wir als

Kleinkinder laufen lernen?“ „Oh, fliegen können wir längst nicht mehr! Wir unterstützen

unsere Beine bei weiten Sprüngen. Ihr würdet das Flattern und Absegeln nennen, denke ich mir. Daheim wurde das früher als Sport geübt: Hunderte von Metern Segelflug. Doch hier auf dem Mars ist die Luft dafür zu dünn. Deshalb fühlen wir uns ja in diesem Schiff so wohl!“

Daran hatte die Wissenschaftlerin noch nicht gedacht. Dr. Evelyn Gold erkannte, wie stark die Beobachtung unter solchen fremdartigen Eindrücken litt.

„Wir hatten daheim die gleiche Luftdichte wie ihr auf der Erde!“

Dr. Evelyn Gold zögerte, diese Frage auszusprechen. Den-noch mußte sie gestellt werden.

„Gut! Weshalb seid ihr dann nicht auf der Erde gelandet, als eure Katastrophe …“

Attipa lachte fröhlich auf. „O Girlie! Wir kennen doch die Religionsvorstellungen auf

deiner Erde ganz genau! Und im Fernsehen tauchen unsere Ge-stalten ja auch mitunter auf – als Teufel, als Gottseibeiuns, als Mephisto …“

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Evelyn fühlte sich für die ganze Erde beschämt. Sie hätte Attipa gern etwas Gutes, Versöhnendes gesagt.

„Das – das ist doch bestenfalls symbolisch gemeint! Ich weiß, daß solch eine Vorstellung billig ist. Aber ich habe darauf wirklich keinen Einfluß“, setzte sie kläglich hinzu.

Sie fühlte erneut die weichen Arme Attipas. „Ich fühle es: Du bist gut! Und daher weiß ich: Die Erdmen-

schen können nicht böse sein. Dennoch: Stelle dir einmal vor, da wäre einer unserer großen Flugrotoren so unerwartet auf der Erde gelandet. Die Tür geht auf, und heraus kommen vier, fünf, sechs flügelschlagende, schwarzhäutige Spitzbärte! Was wäre da wohl geschehen?“

Diese Frage war bitter. Aber Evelyn Gold zog sich überlegen aus der Schlinge.

„Wo wäre der Rotor gelandet – darauf kommt es an! In Tibet oder in der australischen Wüste wäre gar nichts geschehen! In Washington? In New York? Vielleicht hätte man gelacht und an einen Reklametrick gedacht. Auf Sizilien – ja, da hast du recht, Liebes! Übrigens: Kann ich dich nicht mit heimnehmen – als meine Adoptivschwester? Dann gewöhnen sich die Leute bei uns an die Flügel …“

„…. und denken: Ah, gefallener Engel! Nun, das ist ja wohl heute und morgen nicht spruchreif, wie?“

Der Kommandant Weu trat zu den beiden. „Frau Professor, würden Sie mir bitte helfen, Herrn Ingeni-

eur Poel wieder anzurufen?“ Die Physikerin nickte bereitwillig. „Und wie geht es Kapitän Mario?“ „Der Grund meines Anrufes: Der Kapitän hat einen zu

schweren Schock bekommen!“ „Bitte? Ich verstehe nicht …“ Der Kommandant spreizte die Flügel. „Sie vergessen, an wen wir gläubige Christen erinnern! Oder?“

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„Aber …“ „Doch! Doch! Monsieur Mario stammt aus Frankreich! Und

dort kennt man den Teufel offenbar noch zu genau.“ Attipa lächelte zustimmend. „Girlie: Das ist doch die Antwort auf unsere Diskussion,

nicht wahr?“

* Fischmeister Bokigo tobte am ärgsten. Er tötete den noch zuc-kenden Körper des Fledermausmannes Skjelli mit den Händen und warf seine Beute wieder ins Wasser.

Die Fische verschlangen das ihnen solchermaßen besorgte Futter und schauten aus ihren großen Augenlinsen tückisch auf die am Ufer Stehenden. Um die beiden noch im Wasser schwimmenden Marsianer kümmerten sie sich nicht.

Poel hatte wiederum das bedrückende Gefühl, nur in einen fürchterlichen Schreckenstraum verstrickt zu sein.

Doch ‚Präsentes’ blauweiß strahlende Scheinwerfer ließen nicht den leisesten Zweifel an der Echtheit dieser „Darbie-tung“.

Dr. Aluger war das Ganze offensichtlich mehr als peinlich. Der Mars-Biologe machte drei, vier Bewegungen, als wollte er seinen Gast wegziehen. Resigniert tippte er ‚Präsente’ auf die Schulter.

„Sir, bitte …“ Der Roboter aber reagierte nicht. Der Indianer nahm das Erlebte nun entschlossen als Tatsa-

che. Unter dieser Voraussetzung war das alles ungeheuerlich. Gewiß: Der Ingenieur hatte bei seiner Berufung zu diesem Ex-peditionscrew nicht daran gezweifelt, daß der Mars einige Überraschungen bieten würde. Doch mit solchen Grausamkei-ten wurde sogar ein Indsman nicht fertig.

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Zwischen Poel und den sich befriedigt im Wasser tummeln-den Fischmenschen lag plötzlich mehr als ein Weltenzwischen-raum. Poel verachtete diese Bestien.

Plötzlich zuckte ‚Präsentes’ Kontrollampe 3 auf. Er wurde damit angerufen.

Aus dem Lautsprecher klang die weiche Stimme der Physike-rin: „Gordon, ich sehe Sie!“

„Oh, bei Ihnen alles in Ordnung?“ Die Anrufende lachte leise. „Sie werden mich für verrückt halten – ja! Zwar hat Mario

einen gehörigen Schock bekommen …“ Eine nicht minder liebenswürdige Frauenstimme ergänzte

heiter: „… als ihn die Teufel überfielen!“ Der Indianer war so leicht nicht aus der Ruhe zu bringen.

Doch nun erkundigte er sich überrascht: „Zwo Ladys? Wie das?“ „Die zweite Lady hat Flügel …“ „Natürlich! Klar! Muß es doch auch geben!“ „Die zweite Lady sieht auch Sie, Ingenieur Poel! Sie sind

uns allen sympathisch! Ihre Haut erinnert so nett an die Hölle, aus der wir angeblich kommen …“

Der Indianer hatte zusammen mit weißen Boys und Girls ein nordamerikanisches College besucht. Er war an die unbe-schwerte Heiterkeit der Unterhaltung gewöhnt. Damals hatte er sogar das Lächeln erlernt.

Mit diesem Lächeln eroberte er sich nunmehr die Herzen der Oyrni.

„Ich fürchte eher“, sagte er bedächtig, „ich befinde mich ge-rade in dieser Hölle!“

„Wir sind an solche Verluste gewöhnt, Ingenieur Poel!“ sag-te Attipa bekümmert. „Wenn Sie später hier von unseren Verlu-sten hören – nun: der Kommandant möchte Sie sprechen.“

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Zuvor benutzte die Physikerin noch einmal das Mikrophon, um dem Kameraden zu versichern:

„Ich habe bereits freiwillig entschieden, Gordon! Mit den Piscishomulli ständen wir auf der falschen Seite. Man hat auch keinerlei Zwang auf mich ausgeübt. Nein, nun brauchen Sie nicht mißtrauisch zu gucken. Sie sollen zu nichts gezwungen werden. Die Oyrni wissen ganz genau, daß man einen Kon-strukteur sowieso nicht zu etwas zwingen kann.“

„Ich verstehe überhaupt nicht …“ „Hören Sie den Kommandanten!“ „Kommandant? Das klingt scheußlich militärisch.“ Die Stimme Weus klang, aus ‚Präsentes’ Lautsprecher. „Sie haben recht, Sir! Wir besaßen bei unserer Ankunft auf

diesem Planeten überhaupt keine Luftwaffe! Auch wir finden Militär scheußlich! Aber wir befinden uns nun einmal nicht freiwillig in dieser Lage!“

„Und was kann ich für Sie tun, Kommandant?“ „Bisher landeten nur Raumpiloten, Geologen, Astrophysiker

und andere Spezialisten von der Terra bei uns. Sie sind der erste Atom-Ingenieur, der die Hoffnung in uns erweckt, daß er uns helfen kann.“

„Helfen? Wie?“ „Wir brauchen einen Techniker, der entweder einen Atoman-

trieb in einen unserer Flugrotoren einbaut oder der eine der Erd-raketen auf Lichtgeschwindigkeit bringt.“

„Oh …“ „Damit wenigstens eine kleine Gruppe von uns heimfliegen

und Hilfe holen kann!“ Dieser Vorschlag überraschte den Indianer. „Das hieße …“ „… zwei, drei Jahre unser Angestellter zu sein. Wir würden dem

Besitzer auf der Terra selbstverständlich die Rakete abkaufen.“ Poel machte im stillen eine ganz einfache Rechnung auf.

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Die Ulterioren hatten in Wahrheit sämtliche Trümpfe in Hän-den. Sie konnten ihm ohne weiteres ihren Willen aufzwingen; zu verhandeln gab es im Grunde genommen gar nichts. Es sprach zweifellos für ihre Haltung, daß man ihm den Entscheid selbst überließ.

Der Kommandant bekannte offen: „Wir besitzen keine Kenntnis vom Atomantrieb! Wir haben

wahrscheinlich auf unserem Heimatstern auch kein Uran.“ Poel schaute gedankenversunken in die tintigblaue Finsternis

der Höhle. Dr. Aluger stand neben ‚Präsente’ und sog begierig jedes

Wort auf, das gewechselt wurde. Der Ingenieur zögerte noch. „Mister Weu: Möglicherweise wirke ich albern. Aber ich

muß ehrlich sein. Ich erfuhr unterdes, daß Ihr Heimatstern in der Milchstraße liegt. Sind Sie sich überhaupt klar über die For-derung, die Sie damit an ein Raumschiff stellen?“

„Als Scherz klingt das sehr nett, Sir“, versicherte der Kom-mandant gelangweilt. „Aber Sie vergessen, daß wir diesen Rei-seweg bereits einmal zurücklegten. Mit Ihren langsamen Raum-schiffen allerdings brauchte man dazu Jahrzehnte.“

„Offen gestanden: Ich sehe doch keine Möglichkeit! Sonst hätten wir auf der Erde …“

„Irrig! Die Möglichkeit besteht! Sie kennen unsere Flugroto-ren nicht.“

„Nein! Ich habe niemals welche gesehen! Ich sah nur auf der Hochschule mal einen uralten Farbfilmstreifen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts …“

„… und unsere Techniker meinen, daß eine Kombination mit Ihrem Atomtriebwerk vielleicht sogar Überlichtgeschwindig-keiten erlaubt.“

Poel verschränkte die Arme vor der Brust. Plötzlich war er wieder ganz der zögernde, bedächtige rote

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Häuptling, der die endlosen Verhandlungen am Beratungsfeuer als Ausgleich für seine sonstige Schweigsamkeit liebte. Er er-kannte als Techniker die ungeheure Möglichkeit, die der Terra damit geboten wurde.

Wahrscheinlich konnte man endlich den entscheidenden Schritt in der Raumfahrt tun; denn das, was bisher erreicht war, bedeutete im Vergleich zur Ausdehnung des Weltalls noch nicht einmal Küstenschiffahrt.

Dr. Golds Stimme klang wieder aus ‚Präsente’: „Gordon: Ich habe für meine Person als Kernphysikerin zu-

gesagt. Da ich Mitglied des Atom-Energie-Komitees bin, habe ich auch das Recht, spaltbares Material anzufordern, falls wir hier auf dem Mars nichts finden.“

„Hm …“ Die Anrufer waren dem Indianer gegenüber im Vorteil: Sie

sahen ihn, während der Ingenieur vollkommen unter dem ab-stoßenden Eindruck stand, den ihm dieser Planet bot. Selbst die angenehme Stimme Evelyns konnte diesen Gegensatz nicht überspielen.

Die Physikerin schien das auch zu empfinden. Sie flüsterte fast bezwingend aus dem Lautsprecher:

„… habe ich die grundlegende Bedingung gestellt: Keine Hand wird gerührt, bevor die zurückgehaltenen Kameraden aus den vorausgereisten Raumschiffen nicht auf die Erde zurückge-kehrt sind. Ist das so richtig?“

„Selbstverständlich! Wenn Sie diese Bedingung als wichtig-sten Faktor einsetzen, dann ist es eigentlich meine Pflicht, den Kameraden das Opfer zu bringen!“

Kommandant Weu lockte durch das Mikrophon wie der Ver-führer, der dem Opfer alle Schätze der Welt zu Füßen legen will.

„Ist das wirklich ein so großes Opfer, Sir? Reizt es Sie nicht, das schnellste Fahrzeug im Weltall zu konstruieren? Lockt es Sie nicht, die Milchstraße zu besuchen?“

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Der Ingenieur stand unschlüssig im Brennpunkt der Objekti-ve seines eigenen Roboters. Was der Oyrni da bot, war mehr, als ein normaler Mann erwarten konnte. Dafür ließ man Familie und Besitz im Stich.

Der Indianer war so vollständig in diese Betrachtungen versun-ken, daß er nichts mehr von seiner Umgebung sah. Obendrein ließ das helle Scheinwerferlicht alle Konturen verschwinden.

Nachdenklich äußerte der Ingenieur: „Damit würde man ja vor allem den Marsianern den größten

Dienst erweisen. Schließlich …“ Da schrie der Lautsprecher auf: „Vorsicht! Hinter Ihnen!“ Halb bekam der blitzschnell herumfahrende Indianer noch

das haßverzerrte Gesicht des Fischers Bokigo zu sehen. Dann fühlte er schon, wie die Wellen über ihm zusammenschlugen.

Die Beobachter vor dem Fernsehschirm im Raumschiff „Human World“ sahen, wie ‚Präsente’ ihm sein stärkstes Scheinwerferlicht nachsandte.

In dessen Strahlenglanz konnte man auf dem Bildglas genau erkennen, wie drei Fischmenschen den gelähmten Körper des Roten unter Wasser zogen.

Und noch mehr bekamen die schreckerstarrten Zuschauer zu sehen: die Riesenfische glitten lautlos und geschmeidig näher.

Eine von Schwimmhäuten vergrößerte Hand deckte sich über ‚Präsentes’ Objektiv.

Die Bildscheibe blieb fortan dunkel. Doch der Ton lief weiter …

* Die Physikerin stand am Fenster im Steuerraum des Raumschiffes „Human World“ und schaute auf die erwachende Landschaft. Dies war ihr erster Sonnenaufgang auf dem Mars.

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Der kleinere Marsmond, Phobos, löste sich aus dem Plane-tenschatten und jagte, vom Westen her kommend, wie eine Rakete über das Firmament, als habe er die Aufgabe, die lang-sam aufsteigende Sonne zu begrüßen. Blaßblau hing der immer lichter werdende Himmel hinter den dünnen, weißlichgelben Wolken.

Das bläuliche Grün der hohen Bäume, die rings um das Schleusenmaschinenhaus standen, schien gleichfalls leuchten-der zu werden.

Evelyn war, als ob die Landschaft unter den Sonnenstrahlen zu klingen beginne. Sie glaubte, eine dunkle, unklare Melodie zu vernehmen. Und zugleich zitterte ihr Herz unter der Einsam-keit, die dieses Bild so traurig machte.

Evelyn Gold hatte den Mars hundertmal in ausgezeichneten Fernrohren, vor allem von mehreren künstlichen Raumstationen aus betrachtet. Sie besaß auch eine ziemlich genaue Vorstellung von der geographischen Lage ihres Landepunktes. Bei allen Beobachtungen hatte Evelyn Gold unter der Vorstellung gelit-ten, der Mars sei leer und öde und abgestorben und von seinen Bewohnern verlassen, wenn nicht sogar aufgegeben.

Daß dies keineswegs zutraf, hatte der vorangegangene Tag gezeigt. Doch dieser Sonnenaufgang rief in Evelyn wieder all die Erinnerungen wach, die ihre Phantasie in den Nächten der Erwartung vor dem weiten Flug gewoben hatte.

Dr. Gold war mit allen Fasern ihres Herzens Wissenschaftle-rin. Die Vorstellung, zusammen mit Menschen vom N 21, mit Wesen aus dem Zentrum der Milchstraße, ein neues Raumfahr-zeug bauen zu dürfen, vielleicht sogar mit ihnen zu ihrer Hei-mat reisen zu können, diese Vorstellung hätte auch jeden ande-ren Gelehrten zutiefst verwirrt.

Auf der Erde ließ sie viele Verwandte zurück. Doch stand ihr niemand so nahe, daß dies ein Hindernis zur Übernahme dieses gigantischen Auftrages gewesen wäre. Vielleicht war es sogar

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gut, daß die neue Umgebung ihr sofort mehr als freundschaft-lich begegnet war.

Evelyn brauchte nur den Kopf zu wenden, um schon die auch an diesem Morgen wieder hellfarben gekleidete Oyrni-Frau Attipa zu betrachten.

Die nickte ihr beruhigend zu. „Quälend, nicht?“ „Die Öde – meinst du?“ „Ja! Auf dem Chocer gibt es große, ausgedehnte Städte, Be-

triebsamkeit, Leben! Du ahnst nicht, wie wir dies hier alles ent-behren. Dazu diese trübseligen Piscishomulli! Fischmänner, Kiemenkerle! Ich will nichts gegen die Dichter und Sänger unter ihnen sagen! Aber du wirst begreifen: wir lächeln! Wer läßt sich von einem Dichter regieren? Was dabei herauskommt, siehst du ja hier!“

Evelyn mochte gar nicht mehr hinausschauen. Die durch das aufgeblendete Fenster fallenden Sonnenstrahlen

wärmten ihre Schultern und vergoldeten ihre darüber rieselnden Locken.

Wenn sich Evelyn Gold an der Schönheit und Natürlichkeit der Fledermausfrau Attipa erfreute, so ahnte sie nicht, daß ihr Scharm und ihre echte weibliche Freundlichkeit, aber auch ihre unbewußte Fraulichkeit die Oyrni begeisterte.

Evelyn trug einen hellblauen Raumschiffer-Anzug, der nach Art eines Overalls geschnitten und keineswegs kleidsam war. Doch sah Attipas helles Glasgespinstkleid kaum wirkungsvoller aus als dieser blaue Nylonanzug, der Evelyns ausgeglichene Körperformen fast beunruhigend betonte.

Der Gegensatz zwischen diesen beiden weiblichen Wesen mußte jeden Beobachter entzücken. Die weich durch die Bull-augen dringenden Sonnenstrahlen füllten den Steuerraum mit jenem sympathischen Glanz, den kaum eine künstliche Be-leuchtung ersetzen kann.

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Zwischen den beiden Pilotensesseln war ein TV-Bildschirm montiert. Über seine leicht gewölbte Fläche zuckte von Zeit zu Zeit eine verlorene Lichtzeile, die bewies, daß dieses Gerät ein-geschaltet war, jedoch nichts empfing. Aus dem Lautsprecher-system unterhalb der Bildwand hörte man gleichfalls nichts an-deres als den leisen Netzbrummton und eine gelegentliche Hochfrequenzstörung.

Attipa nahm den Faden der Unterhaltung wieder auf. „Wir wissen eben zu wenig über die Marsianer! Ich habe ei-

nige kennengelernt, die geistig enorm hochstehend waren, sym-pathische Männer, doch unzuverlässig und – fürchterlich grau-sam.“

Bisher hatte Dr. Evelyn Gold keinen einzigen Marsianer von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie war an wissenschaftliche Sachlichkeit und Untersuchungsmethoden gewöhnt. Dennoch spürte sie ihre grundlegende Abneigung gegen eine derartige Begegnung. Die Vorstellung einer körperlichen Berührung ekelte sie bereits an.

Die Fledermausfrau reichte ihr einen Stapel Fotos. „Die Mars-Regenten!“ Die auf diesen plastisch wirkenden Fotografien abgebildeten

Gestalten sahen wesentlich anders aus als Dr. Aluger und seine Männer.

„Wie kommt das?“ „Höherentwicklung!“ Die Fotografien waren farbig. Sie zeigten erschreckend aus-

sehende Gnomen mit Riesenköpfen, in denen wiederum die wasserklaren, linsenförmig vorgewölbten Augen erschreckten. Diese Augen waren von einem sicherlich, höchst empfindli-chen, roten Aderringgebilde umgeben.

Die Oyrni-Frau deutete darauf. „Wir haben vergeblich gesucht! Sie sind hier noch nicht so-

weit! Aber die nächste Mutation wäre zweifellos ein Nur-

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Hirnwesen! Doch bis dahin können Jahrtausende vergehen. Einem solchen wird ein Volk stets verknechtet sein.“

Evelyn war gefangengenommen von den Raumfotos der Mars-Regenten. Diese Bilder ließen einen erschauern.

Die Mammutschädel wurden beherrscht von den Linsenau-gen, die eigenartigerweise mißtrauisch in die Kamera zu starren schienen.

Der Hals war völlig verschwunden. Die Kiemen mußten al-lem Anschein nach tiefer gerückt sein und lagen unter Schutz-panzern.

Doch die Arme waren am auffälligsten weiterentwickelt. Zu-nächst waren sie wesentlich länger geworden und reichten samt drei Greifklauen bis zu den Knien. Was aber besonders be-zeichnend war: diese Arme besaßen vier Gelenke und waren damit zu höchst vollkommenen Werkzeugen geworden.

Doch da fragte Attipa: „Was scheint dir da am wichtigsten, Evelyn?“ „Das sind ja keine Fischmenschen mehr!“ „Richtig! Diese kleine Gruppe von Herrschern lebt in Glas-

palästen, gewaltigen Kunstbauten, das Leben von Drohnen. Die Fischmenschen sind ihnen offenbar vollkommen ausgeliefert. Wir konnten bisher nicht ergründen, worauf sich die Macht die-ser Gehirnrasse stützt!“

„Habt ihr viel mit ihnen zu tun?“ „Wir wollten sie eigentlich ausrotten!“ Der Sonnenschein schien sich zu verdunkeln. Dieses Wort

hing wie eine fürchterliche Drohung sekundenlang in der Luft. Schließlich fragte Dr. Gold leise: „Warum?“

Bisher hatte Kommandant Weu dem Gespräch der beiden Frauen schweigend gelauscht. Nun schaltete er sich ein.

„Bisher haben wir nur Gentlemen von der Terra kennenge-lernt, Younglady. Aber ich sehe, daß auch die Damen dieses Planeten sachlich zu denken verstehen. Darum werden Sie mir

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zustimmen, wenn ich Ihnen erkläre: es macht uns wirklich keinen Spaß, mit diesen Heringen im Kriegszustand leben zu müssen!“

„Nein! Das würde auch gar nicht zu Ihnen passen!“ „Danke! Ja, wir sind Schiffbrüchige aus dem Weltall! Wir

mußten den Mars ansteuern. Uns blieb keine andere Mög-lichkeit. Doch Sie ahnen nicht, wie wir hier behandelt wur-den.“

Dr. Evelyn Gold spürte die Spannung. Endlich sollte sie et-was über die Vorgeschichte dieser Völkerwanderung zwischen den Sonnensystemen erfahren.

„Man ließ uns landen. Man opponierte nicht, als wir weite, unbesiedelte Distrikte nach vorheriger Ankündigung besetz-ten. Wir waren zu dem Zeitpunkt überhaupt noch nicht wehr-haft! Lediglich eine kleine Gruppe von Raumpiloten bildete so etwas wie eine Keimzelle für eine Luftwaffe. Doch deren Rückflug auf die Raumstationen wartete man stets erst ab, fütterte dann aber die Riesenfische mit den Leichen unserer Leute …“

Nach dieser Eröffnung herrschte langes Stillschweigen. Nur zögernd erkundigte sich die Wissenschaftlerin: „Und nun? Nehmen Sie Rache?“ „Kann man an einem Tiger dafür Rache nehmen, daß sein

Artgenosse einen Neger riß? Nein, wir nehmen keine Rache! Das würde sich nicht mit unserer Religion vereinbaren lassen. Aber wir haben genau festgelegte Grenzen vereinbart. Und auf deren Beachtung müssen wir aus Gründen der Selbstverteidi-gung schärfstens Wert legen!“

Die Pilotin Attipa ergänzte. „Und ihr seid nun unglücklicherweise genau im Grenzgebiet

gelandet.“ Dr. Evelyn Gold ließ sich wieder aus dem Sessel gleiten. Sie

trat zu Attipa und legte der die Hände auf die Schultern.

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„Reden wir nicht mehr davon! Das ist nicht rückgängig zu machen. Was wichtig bleibt: Wir dürfen Gordon Poel nicht steckenlassen – sofern er überhaupt noch lebt!“

Der Kommandant nickte. „Sie haben recht, Frau Professor! Ich kenne diese rothäutigen

Terraner nicht. Aber mir kommt dieser Mann so vor, als gehörte er nicht zu denen, die sich kaltblütig von diesen Halbmenschen umbringen lassen.“

„Ich wollte, Sie hätten recht, Mister Weu!“ Wiederum schlich sich ein quälendes Schweigen in den Steu-

erraum. Hin und wieder raschelte leise ein Flügelpaar und erin-nerte Evelyn Gold daran, mit wem sie zusammen war.

Da lenkte der Kommandant Weu sie ab. Er fragte mit einem leichten Schlag gegen den Bildschirm:

„Was ist mit Mister ‚Präsente’?“ Dr. Evelyn Gold war eigentlich froh, daß sie etwas zu tun

bekam. Sie sprang auf und huschte in den Radar-Kontrollraum, in dem auch die Meßgeräte standen, mit denen ‚Präsente’ kon-trolliert werden konnte.

„Oh!“ sagte sie verstört. Die beiden Oyrni waren ihr vorsichtig gefolgt. Besonders

Weu mußte sich in dieser Enge sehr vorsehen. „Was ist passiert, Frau Professor?“ „Vielleicht waren wir unvorsichtig! Jedenfalls: Wenn wir

auch nichts von ‚Präsente’ erfahren – er hört dauernd mit!“ Der Kommandant streichelte seinen gutgepflegten Kinnbart. „Hm“, meinte er ohne jede Erregung, „da scheinen diese

Hechte demnach begriffen zu haben, wie der Roboter funktio-niert, nicht?“

„Ich fürchte es.“ „Aber seine Objektive haben sie mit ihrem Rogen zugekleistert.“ „Soll ich nicht abschalten?“ „Fürchten Sie sich vor diesem schleimigen Gesindel? Ich bin

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nun einmal ein Optimist, Frau Professor. Ich hoffe noch immer auf den roten Mann! Und ich möchte ihm nicht die Möglichkeit nehmen, unsere Hilfe anzufordern.“

Attipa schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, daß die Fischer rücksichtslos waren …“ Zum erstenmal in ihrem Zusammensein mit den Oyrni wurde

Evelyn Gold ungeduldig. „Sie wissen doch, wo diese Wym-Höhle liegt, nicht?“ „Genau! Auf der Diagonalen zwischen dem Nil-See und den

Mond-See-Flutbecken, auf der rechten Seite des Nilokeras-Kanals, Frau Professor!“

Daß der Kommandant die Nomenklatur der Terra-Astronomie benutzte, bewies nicht nur sein ungewöhnliches Wissen, sondern vor allem auch seine Liebenswürdigkeit. Doch die konnte Evelyn nicht davon abhalten, reichlich aggressiv zu fragen:

„Und weshalb unternehmen Sie dann nichts?“ Auf die Antwort, die Weu ihr dann kläglich gab, war die

Physikerin allerdings nicht gefaßt: „Weil wir nicht schwimmen können!“ Schwimmen war auf diesem Planeten die einzig mögliche

Art der Fortbewegung. Straßen hatte man nicht gebaut, weil man gar nicht auf die Idee kam, daß man sich angenehmer als auf oder im Wasser fortbewegen könnte.

Zwar konnte niemand Gedanken lesen. Doch Kommandant Weu fand zweifellos die richtige Antwort:

„Vielleicht begreifen Sie nun, Younglady, wieso uns diese Gummisardinen so einfach ausradieren konnten.“

Die Fledermausfrau ergänzte diese Feststellung noch da-durch, daß sie der Freundin versicherte:

„Wir sind vor allem erklärte Gegner der Gewalt!“ Da konnte sich Dr. Evelyn Gold nicht länger zurückhalten.

Vielleicht sogar schärfer als beabsichtigt, vollendete sie: „Was Ihnen unser Berichterstatter Conk bestätigen kann!“

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Wortlos verließ Attipa den Radarstand. Evelyn sah, daß sie, weinte. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie ihr nacheilen. Doch der Kommandant hielt sie mit einer geschmeidigen Geste zurück. Sein linker Flügel versperrte ihr plötzlich die Tür.

„Verzeihung, Frau Professor! Das muß jetzt ausgekämpft werden! Sie dürfen in nichts unsere Gegnerin sein: Wir achten die Terraner viel zu aufrichtig, wenngleich ihr auch ein furcht-bar kriegerisches Volk seid!“

„Was liegt Ihnen denn an meiner Meinung?“ „Viel! Sie sollen uns hier forthelfen!“ „Kann ich nicht ohne Ingenieur Poel.“ „Bitte! Später! Hören Sie erst, warum Ihr Kamerad getötet

wurde: Wir haben mit den Marsianern einen Friedensvertrag, der klar vorsieht: ihnen das Wasser – uns das Land!“

Ungeduldig griff Evelyn nach dem Flügel des Kommandan-ten. Sie umspannte den offenbar verhornten Außenrand. Doch gelang es ihr nicht, dieses Glied auch nur einen Millimeter zu bewegen.

„Wie? Die sind so kräftig?“ „Später werde ich Ihnen ein Anatomiebuch von uns schenken.

Zuvor müssen Sie unsere Sprache und unsere Schrift erlernen! – Bitte, bleiben Sie noch! Sie müssen wenigstens die Vorgeschich-te dieses Dauerkrieges erfahren! Unser Friedensvertrag …“

Die Physikerin ließ die Arme sinken. „Wozu überhaupt Friedensverträge, wenn man pazifistisch

ist?“ „Beim Kosmos! Was haben Sie für eine Meinung von uns!

Seien Sie selbst Richter: Wir erlitten mit unserer Raumstation T 3 Schiffbruch und gerieten in ein magnetisches Gefälle, das uns mit Überlichtgeschwindigkeit aus dem Milchstraßenbereich entführte. Wir wurden regulär abgetrieben, ohne etwas dagegen machen zu können.“

Die Wissenschaftlerin horchte auf.

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„Eine Raumstation? Offenbar ziemlich groß …“ „Eine Weltstadt, Younglady! Aufgebaut auf einem kleinen

Planetchen. Ungefähr 180 000 Einwohner einschließlich der Durchreisenden …“

Ungläubig lauschte Evelyn diesem Bericht. „Das ist ja riesenhaft!“ „Ich liebte diese T-Stationen nicht! Sie litten darunter, daß

sie sich nicht selbst versorgen konnten. Sie blieben immer von N 21 abhängig!“

„Und das alles schafften Sie – ohne Auswertung der Atom-kräfte?“

„Ja!“ Kopfschüttelnd wollte die Gelehrte nun noch wissen: „Und wozu diese Riesenraumstation? Wurde Ihr Heimatplanet

vielleicht unbewohnbar?“ „Aber nein! Wie kommen Sie darauf? Sie werden bei weite-

rer Entwicklung der Beziehungen Oyrni–Erde auch noch er-kennen: dies ist einfach eine folgerichtige Entwicklung!“

Die Physikerin vergaß, wo sie sich befand, unter welchen Umständen sie hier festgehalten wurde. Sie spürte in sich nur den Wissensdurst des Forschers, der das unvorstellbare Glück erfuhr, einen Menschen aus seiner Jahrtausende vorausliegen-den Zukunft zu treffen.

„Und mit dieser Raumstation rammten Sie den Mars?“ „Wiederum – nein! Die Folgen einer solchen Katastrophe

hätten Ihnen auf der Erde gar nicht verborgen bleiben können! Nein, unsere T 3 wurde aus dem Kraftfeld, in dem sie verankert war, abgetrieben und jagte zweieinhalb Jahre lang steuerlos durch den Raum.“

Unbemerkt war Attipa zurückgekehrt. Bei dieser Erinnerung seufzte sie leise. Evelyn fuhr herum und legte ihren Arm um die Schultern der Oyrnifrau.

„Du Armes!“

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„Nichts gegen die Landung auf dem Mars!“ versicherte Attipa mit gequältem Lächeln.

„Wieso?“ Der Kommandant erzählte weiter: „Wir gerieten in das Sol-Kraftfeld! Ihre Sonne ist sehr stark.

Wir schlingerten genau in die Marsbahn hinein und durften dankbar sein, daß wir von Ihrer Sonne nicht eingefangen wur-den! Dann wäre es uns wie einem engeren Kometen ergangen!“

Die Wissenschaftlerin besaß genügend Phantasie, um sich Wochen grausamster Spannung ausmalen zu können. Für die Bewohner solch einer Kunststadt auf einem Kunststern mußte das Geschehnis schlimmer als ein Weltuntergang gewesen sein.

Plötzlich hörte sie, daß der Kommandant weitererzählte. „… Nach und nach landeten wir über 100 000 Einwohner im

Äquatorgürtel. Die Marsianer nahmen uns betont freundlich auf.“

„Und Sie waren nicht erstaunt über – ja, den Körperbau die-ser Fischmenschen?“

Der Kommandant klappte lächelnd mit den Flügeln. „Sie ah-nen wahrscheinlich nicht, Frau Professor, was man so alles auf den Sternen antrifft! Eine Verhandlung mit menschengroßen, intelligenten Eichkätzchen, die begeisterte Leseratten sind, eine hochentwickelte vokalreiche Sprache besitzen und mehr über die chemischen Elemente wissen als Sie und ich, meine liebe Frau Professor: wenn Sie das Raumfahrererlebnis hinter sich haben, dann werden Sie diese ‚Dorsche mit Beinen’ effektiv als Ihr eigenes Ebenbild ansehen! Wir begingen jedenfalls den Fehler!“

Die Physikerin wurde unruhig. Attipa lachte schmerzlich. „Du kennst ja immer noch nicht den Kriegsgrund, Liebes!

Nun, als die Umsiedlung von der dann in Einzelteilen abgetra-genen Raumstation T 3 beendet war, siedelte auch unsere Re-

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gierung auf den Mars über. Die erste Volkszählung ergab, daß die Marsianer Tausende von Oyrni getötet hatten!“

Und der Kommandant ergänzte sehr ruhig: „Attipas Eltern und meine Eltern befanden sich auch darunter!“ „Ja“, sagte sie leidenschaftslos, „du solltest ja selbst Richter

sein: War das ein Kriegsgrund?“

* Genau fünf Töne wiederholten sich regelmäßig in einförmigem Rhythmus: „F–C–G–D–A.“ Diese Klänge drangen schmerzhaft ins Gehirn. „F, C, G, D, A“, pfiff ein ausdauernder Mund. Und erregtes Plätschern war die Antwort.

Drei Männer redeten in einer aus scharfen Lispellauten zu-sammengesetzten Sprache miteinander.

Endlich erkannte er die tragende Stimme: Dr. Aluger schien sich vergeblich gegen seine Leute zu wenden.

Doch immer wieder klang es weinerlich hinter dem erregten Gerede: „F–C–G–D–A.“

Die Akustik war ihm bekannt. Dennoch vermochte er nicht darauf zu kommen, wo er sich eigentlich befand. Was ihn stör-te, war die Feuchtigkeit, die sich in seinem Rücken ansammelte.

Und da wußte der rothäutige Nordamerikaner plötzlich, wo und wie und was. Noch hielt Gordon Poel die Augen bis auf einen schmalen Lidspalt geschlossen. Durch diesen gelang es ihm, die Szene einigermaßen zu übersehen.

Er selbst lag auf dem Geröllufer unterhalb der niedrigen In-selfelsküste. Keine 3 Meter vor ihm sprangen die Riesenfische mit hungrig aufgesperrten Mäulern zum Takt von FCGDA aus dem Wasser.

Der Erzeuger dieser einförmigen Melodienfolge war der grünblaugeschuppte Fischmeister Bokigo, dessen Kiemen selt-sam vergoldet aussahen. Bokigos wasserklare Augenlinsen wa-

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ren in liebevoller Zuneigung auf seine Schützlinge gerichtet, auf jene Riesenfische, die seinem Lockpfiff willig folgten.

Die Szene wurde noch immer von ‚Präsentes’ Scheinwerfern erhellt. Die Kontrollampen verrieten dem Konstrukteur dieser Nachrichtenübermittlungsbatterie, daß Bild und Ton einge-schaltet waren. Allerdings konnte das Bild nicht aufgenommen werden, weil Dr. Aluger zwei der Objektive zugehängt hatte.

Der Anblick dieser Tangfetzen auf den durch Stahltuben ge-schützten Linsen ärgerte den Ingenieur.

Wenn ich an den Fernschalter herankäme! Der Weitwinkel würde das Bild auffangen!

Doch dieser Schalter lag fast 2 Meter von Poels linker Hand entfernt.

„F–C–G–D–A“ trillerte der Fischmeister und schien seinen raubgierigen Freunden zuzunicken.

Der Ingenieur erfaßte die Schwierigkeit seiner Lage. Für ihn stand sogleich außer Zweifel, daß dieser musikalische Fisch-meister ihm das gleiche Schicksal bestimmt hatte wie dem Fle-dermausmann Skjelli.

Poel war damit nicht einverstanden. Er betrachtete die Gruppe der Verhandelnden. Der Polizei-Sergeant hielt sich abseits. Die beiden jüngeren

Fischer aber bestürmten Dr. Aluger. Der gab sich allem Anschein nach redlichste Mühe, die Fi-

scher umzustimmen. Aber seine Anstrengungen verklangen ohne Widerhall.

Poel kontrollierte seine Muskeln. Am heftigsten schmerzte ihn der Hals. Nun lag er hier an-

scheinend als Toter. Mit den Verschlüssen seines Raumschutz-anzuges war man noch nicht zurechtgekommen. Nur der Gleit-verschluß am Hals klaffte. Durch diese verhältnismäßig kleine Öffnung war wohl auch das Wasser eingedrungen, das sich in-zwischen unter seinem Rücken gesammelt hatte.

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Arme und Beine taten auf jedes geheime Kommando mit. ‚Präsente’ war seine Hoffnung. Verlockend schimmerte der

Handgriff des Fernschalters auf dem rauhen Steinboden der Insel. Langsam schob sich Poel weiter aufs Ufer. Er verharrte

sogleich in der Erstarrung, sobald sich der Blick eines der Män-ner in seiner Richtung verirrte.

Der Fischmeister verstummte. Seine Lieblinge schnellten fast aus dem Wasser. Bokigo griff sich einen Stein vom Ufer. Seine Schwimmflos-

senfinger hoben den wenigsten 8 Kilogramm schweren Brocken mit spielerischer Leichtigkeit.

Poel rechnete bereits mit einem Angriff auf seine Person. Um so größer war seine Überraschung.

Der Fischmeister Bokigo trat von hinten an den Biologen heran und schlug ihm diesen Stein mit aller Kraft über den haarlosen Schädel.

Der Wissenschaftler ging nur langsam in die Knie. Die beiden jüngeren Fischer fingen ihn auf und ließen ihn zu

Boden gleiten. Mit bösem Stirnrunzeln kniete sich der Polizei-Sergeant neben

den Betäubten, von dem Poel eher dachte, er sei tot. Doch der Fischmeister ließ dem Indianer keine Zeit mehr zu

weiteren Mutmaßungen. Mit widerlichem Gebrüll stürzten die drei Fischer auf den

rothäutigen Erdmann zu …

* Der Chef von Weltraumstation Feed VI kam sich gerade in die-ser Periode fast armselig vor. Er konnte nichts anderes tun, als auf einen Bildschirm starren und auf das lauschen, was die Lautsprecher reproduzierten. Er kannte die Bedingungen auf der Heimatstation in White Sands zu genau, um auch nur einen

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Moment daran zu zweifeln, daß von dort keine Hilfe für die Besatzung der „Human World“ zu erwarten war..

Diese Belastung seiner Nerven konnte Stationschef Faustus kaum noch ertragen.

„Wir verfügen doch noch über drei Raumschiffe vom Typ ‚Human World’, nicht wahr?“

Der Funker grinste den Chef ironisch an. „Wenn Sie aber annehmen, daß Sie Washington noch eines

davon abschwätzen, können Sie eher auf Oyrni-Flügelchen hoffen, Boß!“

„Ich weiß das! Aber glauben Sie nicht, meine Herren, daß unser Film auch die schläfrigsten Gemüter überzeugt?“

Stationsingenieur Juan Montesi war der einzige Ausländer auf dieser amerikanischen Raumzelle. Breit und scheinbar schwerfällig lehnte er in den Tiefen des Schaumgummipolsters.

„Haben wir alles auf Film fixiert?“ Der Radar-Ingenieur nickte. „Ich lasse sämtliche Anlagen ständig laufen! Bisher“, meldete

er und kontrollierte flüchtig die Zählwerke auf seinem Mischpult, „sind etwa 4 ½ Kilometer Material gesichert. Sämtliche Auf-nahmen doppelt auf verschieden empfindlichem Material. War-um, Monti?“

„Haben Sie schon mal daran gedacht, daß auch die Vereinig-ten Staaten von Europa zwei Raumschiffe besitzen? Ja, ja, sie sind etwas kleiner! Aber zwei! Und mein König verfügt über einigen Einfluß beim Europarat!“

„Sofern Sie nun wiederum Einfluß bei Ihrem verehrten Mon-archen haben …“

Der Italiener lächelte geduldig. „Wir besuchten dasselbe Seminar!“ „Oh, das ist interessant! Mit anderen Worten: Sie sagen du

zueinander?“ „Auf dem Seminar wollte der Prinz doch auch manchmal mit

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einem netten Fräulein ausgehen – nicht? Nun, dazu pumpte er sich dann meinen Namen und meine Papiere! Ich zahlte für ihn drei Polizeistrafen und ging für ihn auch eine Woche lang ins Gefängnis.“

Diese Erzählung brachte endlich die ersehnte Entspannung. Noch standen die Männer dieses auf engstem Raum zusammen-gepferchten Crews unter dem belastenden Eindruck von Conks Tod. Montesis Erzählung gab ihnen die Möglichkeit, wenigstens einmal wieder aufzulachen. Astronom Ruskin bemerkte:

„Und? Hat Ihnen diese Vorstrafe keine Schwierigkeiten beim Examen bereitet?“

Der dicke Italiener nickte ernst. „Und ob! Ich bin ein ganzes Jahr später fertig geworden! Der

Prinz war verzweifelt. Er wurde so kurz gehalten, daß er sich dauernd in Geldnöten befand. Nun wollte er durchaus wenig-stens meine Studiengelder ersetzen.“

„Und? Hat er?“ „Gott, wozu? Mein Vater ist einer der größten Werftbesitzer

Europas. Dem habe ich die Geschichte erzählt. Und dann hat er gelacht und dem Prinzen noch einen anständigen Scheck ge-schickt!“

„Und? Hat er das Geld wenigstens zurückgegeben, als er ans Ruder kam?“

„Nein. Wir lehnten das ab! Ich habe zu ihm gesagt: ‚Manuel, mir ist es lieber, du bleibst mein Schuldner! Wenn ich einmal was Wichtiges habe, komme ich kassieren!’ Und nun scheint mir dieser Zeitpunkt erreicht!“

Die Yankees sahen den scheinbar so unwichtigen Stationsin-genieur mit einem Male in einem ganz anderen Licht. Daß ein so begüterter Mann diesen eintönigen, gefahrvollen und an-strengenden Dienst übernommen hatte, schien ihnen unver-ständlich.

Der Astronom sprach das auch aus.

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„Sie begreifen das nicht?“ fragte Montesi verwundert. „Verra-ten Sie mir, wo ein Mann heute Raumerfahrung sammeln könnte. Doch nur in einer dieser künstlichen Trabantenstationen.“

„Gut! Wozu aber?“ „Mein alter Herr hat eine Werft. Ich ließ zwei Raumschiffe

auf Kiel legen, jawohl, eigene Konstruktionen. Und hier lerne ich so ziemlich sämtliche Fehler kennen, die man für Raum-fahrzeuge erdenken könnte! Ich habe mir erlaubt, Ihr Verhalten zu beobachten. Und ich muß schon sagen: Die Technik hat jämmerlich versagt! Wie wir hier leben, das ist eine Schmach! Ich würde Sie alle gern in meinen Raketenbesatzungen wissen – und wäre es nur, daß Sie mal sehen könnten, wie wohl man sich im Weltall fühlen kann!“

Nie zuvor hatte man eine so lange Rede von Montesi erlebt. Funker Snittker, der sozial vielleicht am unbefangensten

empfand, drehte sich auf seinem Sessel herum. „Mein Vertrag mit der Regierung läuft am 31. März ab, Sir!“ Dem Stationschef kam schreckhaft zum Bewußtsein, daß die-

se nebensächliche, unwichtige Erzählung die Verhältnisse in-nerhalb seines Crews mit einem Schlage umgeschichtet hatte. Gerade dadurch, daß der Funker den bisher absolut kamerad-schaftlich behandelten Stationsingenieur mit Sir anredete, ver-riet Snittker, wie ihn die amerikanische Hochachtung vor ge-krönten Häuptern und deren Schatten packte.

Nur der Italiener bewies die selbstbewußte Haltung des Ro-manen.

Er polterte den Funker an: „Bert, wenn du die Absicht hast, mich als Skipper oder als

Kapitalisten zu behandeln, wirst du nicht in meinem Crew sein! Daß ich einem König Geld pumpte, darf euch nicht berühren. Das war Zufall! Manuel hätte auch auf eine andere Universität gehen können.“

Der Stationschef streckte dem Italiener die Hand entgegen.

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„Danke, Juan! Das war großartig! Und ich für meine Person nehme das Angebot gern an!“

Niemand schloß sich aus. Der in allem Herzensbildung zei-gende Italiener bemerkte nur abschließend:

„Den Küchenchef müssen wir nachher noch fragen!“ Dieser, ein Ernährungsspezialist namens Huntly Stanton, ar-

beitete in der Wohnzelle und konnte der strengen Tageseintei-lung wegen nur selten an dem Empfang dieser neuartigen Raumsendungen teilnehmen. Faustus bestätigte:

„Ich glaube, Juan, du könntest keinen besseren Koch mit-nehmen! Trotz der von dir so bemängelten Konstruktion dieser Feed-Stationen ist bei uns noch niemand magenkrank gewor-den!“

„Stimmt! Und das auch nur, weil Stanton sich halb verrückt macht mit seinen dauernden Untersuchungen.“

Der Radar-Spezialist hörte nur noch mit halbem Ohr auf diese Unterhaltung. Ihn freute die Aussicht auf eine regierungsunab-hängige Raumexpedition nicht weniger als die anderen, die erregt durcheinanderredeten und dabei waren, nun doch endlich die Ve-nus zu erobern. Youmans Chamberlain kämpfte mit den von ‚Prä-sente’ ausgestrahlten Wellen. Und schließlich konnte er fordern:

„Ruhe, meine Herren!“ Die darauf eingetretene Stille war erfüllt vom monotonen

Lockpfiff des Fischmeisters, unter dem die Auseinandersetzung zwischen dem Biologen Aluger und seinen Leuten lag. In den zwar schnell und doch zugleich „langsam“ durch den Weltraum reisenden Wellen hatte der Stein Alugers Hirntätigkeit noch nicht gelähmt.

„Ich habe zuerst geglaubt“, bekannte der Radarmann, „daß dieses Pfeifen eine Störung sei.“

Ingenieur Montesi schüttelte den Kopf. „Unsere Thunfischer haben eine ähnliche Melodie, wenn sie

die Sperrnetze vor einer Bucht herunterlassen.“

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Nach einer Weile wandte der Radarspezialist ein: „Man müßte endlich den Kontakt mit der ‚Human World’ wiederherstellen. Snittker, versuch es doch mal mit Telegrafie! Da hat man ja doch mehr Energie!“

Als diese Telegrafiezeichen auf dem Mars ankamen und in die Heckantenne des Raumschiffes „Human World“ drangen, fragte Kommandant Weu:

„Bitte, Frau Professor: Was bedeuten diese Flackersignale dort?“

„Feed VI ruft uns!“ „Was sind das eigentlich für Stationen?“ „Die amerikanische Regierung unterhält acht Raumstationen

für astronomische und ähnliche Forschungen, Mister Weu. Diese Stationen umkreisen die Erdkugel auf Großbahnen, die senkrecht zum Erdäquator ausgerichtet sind.“

Die Wissenschaftlerin erhob sich aus ihrem Sessel. Sie rief nach Attipa und wandte sich an sie und den Kommandanten.

„Wir können noch zwei von euren Leuten mitnehmen. Ich will versuchen, eine Bildverständigung mit Feed VI zustande zu brin-gen. An sich ist Ingenieur Poel für diese Einrichtung zuständig.“

Evelyn Gold führte die Oyrni in einen verhältnismäßig gro-ßen Schiffsraum, der sogar gerade Wände aufzuweisen hatte, während die anderen Räume praktisch und ohne Rücksicht-nahme auf optische Eindrücke gestaltet waren. Dieser Raum stellte insofern auch noch einen Luxus dar, als er fast leer wirk-te; denn einer Bildschirmwand gegenüber standen vier bequeme Sessel auf Drehgelenken. Dann gab es da noch zwei Ständermi-krophone und schließlich ein Schaltpult mit einem Mikrophon, das hinter den Sesseln untergebracht war.

Die Wände waren schalldämpfend belegt. „Dies ist …“ „Unser Sprechfernseher!“ „Und das ist alles?“ fragte der Kommandant und hockte sich

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auf eine Sessellehne, um seine Flügel einigermaßen bequem unterbringen zu können. „Bin ich hier noch im Bild?“

„Keine Sorge!“ versicherte Evelyn Gold, die sich hinter das Schaltpult gesetzt hatte. „Sie kommen ganz ausgezeichnet!“

Der Oyrni fuhr verblüfft herum. „Wieso? Sie haben doch noch keine Scheinwerfer einge-

schaltet …“ Die Physikerin winkte Attipa zu sich. „Schau selbst!“ Auch das Schaltpult besaß einen kleinen Bildschirm. Auf

dem sah sich Attipa selbst und daneben das Bild ihrer blond-haarigen Freundin. Besonders gut aber kam die Erscheinung des Kommandanten zur Geltung. Der hockte in strahlendem Licht auf der Sessellehne, wurde aber offenbar durch keinen Lichtstrahl geblendet.

„Infrarot, wie?“ Die Physikerin erhob sich und zeigte ihren Gästen die sechs

Scheinwerfer, die rings um die große Bildwand eingelassen wa-ren.

„Mister Poels Konstruktion! – Ah, auf Feed VI haben sie ge-nau dasselbe unternommen!“

Über die Fläche des Bildschirms zuckten die ersten Lichtzei-len, aus denen sich in Sekundenschnelle das farbige Bild des Observatoriums von Feed VI formte.

Die Wissenschaftlerin dämpfte den Ton und stellte ihre Ka-meraden kurz vor.

Doch schon hörte Evelyn Gold, daß Chamberlains Mittei-lungen wichtig wurden.

„… ‚Präsente’ hat uns in den letzten 30 Minuten nur seinen Ton übertragen! Ich weiß nicht, ob da nicht ein Defekt stört. Sonst ist der Empfang gut. Jemand pfeift auf einer Panflöte, scheint mir! Und eine fremde Sprache ist auch zu hören! Aber nun bitten wir um Bericht aus ‚Human World’! Ende!“

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Dr. Gold drückte den Schalter ihres Mikrophons nieder. Sie gab den Besatzungsmitgliedern von Feed VI eine kurze Zu-sammenfassung aller Geschehnisse seit der Landung auf dem Mars, die trotz des kurzen Zeitraums mehr als turbulent waren. Zusätzlich klärte sie auch noch die Machtverhältnisse.

„… sehen Sie hier zwei Vertreter der Oyrni-Rasse, Schiff-brüchige aus der Milchstraße …“

Ohne zu zögern erhob sich Attipa und schritt aufrecht an der Linse des Fernsehers vorüber. Neben Evelyn Gold blieb sie ste-hen, um der mit einem Flügel zärtlich über das Haar zu strei-chen.

„… daß diese Kontaktaufnahme mit Menschen aus dem Zen-tralgebiet der Milchstraße eine Revolution bedeutet, darüber sind wir uns vollkommen klar.“

Bisher hatte der Kommandant Weu in schweigender Zurück-haltung zugehört. Nun unterbrach er die Berichterstatterin.

„Doch muß ich betonen, Gentlemen: Diese Begegnung ist keineswegs einseitig befruchtend. Wir sind hier die Nehmen-den! Was die Erdbevölkerung auf dem Gebiet der Atomkraft entwickelt hat, ist neiderweckend!“

Wie geschickt er ist! Wie erstaunlich höflich! dachte Evelyn. Dabei müßte auch unseren Zuhörern auf Feed VI klar sein, welch ein Hohn darin liegt …

„… und für uns bedeutet ein Zusammentreffen unserer Kul-turen möglicherweise die Rettung! Wir dürfen nur hoffen, daß sich Mister Poel noch meldet! Andernfalls müssen wir darüber verhandeln, ob Sie noch ein Raumschiff zum Mars senden, und wie wir Sie für die Überlassung von zwei oder drei Konstruk-teuren entschädigen können.“

Dr. Gold beobachtete immer wieder ihre Anzeigeinstrumente. Die Signale waren beruhigend. Die Energieanlagen des Raum-schiffes garantierten genügend Strom zur Überbrückung dieser großen Entfernungen. Doch auch noch andere Signale endeten

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auf diesem Pult. Eines davon flackerte zögernd auf und wurde dann orangerot.

Dr. Gold schrie auf. „Ich unterbreche! Ich unterbreche! ‚Präsente’ meldet sich hier! ‚Präsente’! Ich schalte auf Mitempfang um.“

* So ähnlich mußte ein Boxer empfinden, der groggy emportau-melt und der dann erlebt, daß sein Gegner nicht ihn nieder-schlägt, sondern daß der sinnes-verwirrt einen Ringpfosten mit den Fäusten bearbeitet.

Völlig verblüfft saß Ingenieur Gordon Poel auf dem Uferge-röll und beobachtete das unverständliche Treiben seiner Angrei-fer. Der Biologe lag noch immer regungslos da vor dem Poli-zei-Sergeanten auf dem Boden. Er selbst hielt endlich den Fern-schalter seines Roboters ‚Präsente’ zwischen den Fingern der rechten Hand. Und im Besitz dieses Schalters fühlte er sich endlich wieder als Mann.

Fischmeister Bokigo und sein Helfer Teyrad waren zusammen mit dem grau wirkenden Netzmacher johlend auf ihn zugestürzt. Doch bevor sie ihre Kräfte an dem vermeintlich toten Indianer ausprobieren konnten, schien dem Fischmeister eine neue Idee gekommen zu sein: er hatte seinen Genossen etwas zugerufen.

Die waren offensichtlich nur zu gern auf seinen Vorschlag eingegangen.

Dem Erdmenschen aber fiel es wie Schuppen von den Au-gen, als ihm klar wurde, warum diese Fischmenschen seinen unschuldigen Roboter mit ihren Fäusten bearbeiteten.

Der Mars dürfte selbstverständlich auch Schalentiere aufzu-weisen haben:

Hummern und Krebse. Und diese Barsche bilden sich nun ein, ‚Präsentes’ Eingeweide seien ebenso wohlschmeckend …

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Eigenartigerweise war es der offenbar älteste dieser Marsia-ner, der das meiste Temperament entwickelte. Netzmacher Co-ster tanzte mit fistelndem Geschrei vor ‚Präsente’ herum und scheuchte seine Kameraden beiseite. Wahrscheinlich erklärte er dem teilnahmslos lauschenden ‚Präsente’:

„Du Schuft, dir werde ich die Augen öffnen! Dann wirst du auch schlottern!“

Wobei er ihm die Tangblätter von den beiden Objektivöff-nungen riß.

Der Ingenieur war Indianer. Von seinen Vorfahren her ver-fügte er über eine gehörige Portion des vornehmen Stoizismus, mit dem man auch die übelsten Situationen meistert. Aber die-ser Ingenieur war schließlich auch Nordamerikaner, ein echter Yankee, der auf dem Colleg mit anderen jungen Leuten eben-falls jung gewesen war und das unbekümmerte Lachen über einen guten Witz gelernt hatte.

Und dieser Witz war tatsächlich nicht zu überbieten. Die Fischmänner hatten ihrem „Gegner“ die Sehkraft zurück-

gegeben. Die Zuschauer im Raumschiff „Human World“ hatten im

gleichen Augenblick eine einwandfrei ausgeleuchtete Bild-empfangsscheibe vor sich. Die Zuschauer in Feed VI, der Welt-raumstation zwischen dem Erdball und der Marskugel, erlebten dieses Wunder etwa 12 Minuten später.

Die Benutzer des Raumschiff-TV-Raumes sahen nunmehr wieder mit ‚Präsentes’ Augen, was in der Wym-Höhle vor sich ging.

Der Polizei-Sergeant erhob sich nach einem gleichgültigen Blick auf den noch immer regungslosen Biologen Dr. Aluger und interessierte sich nur noch für den Kampf zwischen seinen Artgenossen und den „beiden“ Gästen von der Terra.

Sergeant Diyto unterschied sich von den Fischern einmal durch seine tiefbraune Haut, die auch weniger schuppig war. Er

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trug ebenfalls ein Minimum an Kleidung, was sich bei allen Marsianern zwangsläufig aus der bevorzugten Fortbewegung im Wasser ergab. Doch zeigte dieses Kleiderminimum tatsäch-lich so etwas wie einen Uniformanstrich. Diyto war seinem Körperbau nach sehr stark, wenn auch nur etwas über 1,80 m groß.

Seine Augen schienen speziell für die Fernsicht eingerichtet zu sein. Sein Gesicht, das fast nasenlos war, verriet in seinem Ausdruck jene unbeugsame Härte, die in der Primitivität veran-kert lag.

Aber in diesen Augen erschien nunmehr ein ungläubiges Staunen.

Der rote Erdmann war nicht tot. Der rote Erdmann saß auf dem Steingeröll und lachte. Nun war das Lachen seit Hunderten von Generationen auf

dem Mars bei den unteren Bevölkerungsschichten unbekannt geworden. Lachen bedeutete nur noch eine Herausforderung zum Kampf.

Sergeant Diyto selbst hatte die Haut dieses roten Mannes mehrmals angefühlt. Sie war genauso armselig und empfindlich gegen Wasser und Wetter wie die Haut der Ulterioren. Jeden noch so harmlosen Schlag verspürten diese von der Natur so unzulänglich ausgestatteten Geschöpfe gleich bis auf die Kno-chen.

Und solch ein Narr forderte drei gesunde, gereizte Fischmen-schen heraus!

Fischmeister Bokigo, der Mann mit den golden schimmern-den Kiemen, stieß einen krächzenden Ruf aus. Auf den hin stürzten alle drei gegen den am Boden sitzenden Indianer.

Dr. Evelyn Gold preßte entsetzt die Hände gegen ihren Mund, als sie dieses Bild auf dem Fernsehempfangsschirm sah.

„Er – ist – verloren!“ Da sahen die Zuschauer, daß der Indianer sich zurücksinken

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ließ. Im ersten Schreck glaubte Evelyn Gold vor dem Bild-schirm, der Ingenieur sei von einem Stein getroffen.

Doch dann schoß ein blaßblauer Strahl quer über die ganze Bildfläche, traf dabei auf die drei Marsmenschenkörper und ließ sie zu Asche zerfallen.

Eine feine, braune Staubwolke senkte sich langsam auf den Geröllboden und wurde von einem sanften Wind über die Was-serfläche geweht.

Der Indianer richtete sich auf und grüßte lächelnd zur Optik seines Fernseh-Roboters hin.

Unwillkürlich drückte die Physikerin auf den Schaltknopf ihres Pultmikrophons und sagte atemlos:

„Mein Gott, Poel! Davon habe ich ja nichts gewußt!“ „Das war meine Notbremse! Ja, ‚Präsente’ ist schon ein guter

Kamerad!“ Der Kommandant Weu erhob sich von seinem Sessellehnen-

sitz. „Erklären Sie mir dieses Phänomen, Frau Professor! Ich

komme mir vor wie ein Wilder zwischen weißen Zauberern, die nur herablassend bemerken: ‚Tabu, kleiner Nigger! Geheimnis des weißen Mannes’!“

Dr. Gold kam sich nach dieser Phrase eher wie eine Urwald-negerin vor; denn der Oyrni hatte bewiesen, wie ausgezeichnet seine Rasse über die Verhältnisse auf der Erde unterrichtet war.

„Atomwaffe!“ entgegnete sie kurz. „Das habe ich mir gedacht! Und woher hatte Herr Poel diese

so rasch?“ „Die ist offenbar in der Front seines Roboters eingebaut. Es

scheint sich da um eine Gamma-Strahlen-Pistole zu handeln. Allerdings besitzt diese Strahlenwaffe unwahrscheinliche Kraft! Nun: Poel versteht eben eine ganze Menge mehr vom Atom, als man ahnt!“

Der Kommandant nickte dankbar.

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„Für uns eine Hoffnung, Younglady!“ Zu weiterer Erörterung war keine Zeit mehr. Das Bild zeigte,

daß der Polizei-Sergeant aktiv wurde. Sergeant Diyto tastete mit im Leeren suchenden Händen

nach den Atomisierten. Seine Linsenaugen verrieten offenen Unglauben an dem, was er soeben erlebt hatte.

Er stammelte etwas für Gordon Poel Unverständliches. Der Kommandant und Attipa lachten gleichzeitig. Und die

schöne Oyrnifrau übersetzte: „Zaubere sie wieder her, du waghalsiger Landmensch! Sonst

zerreiße ich dich!“ Hastig wiederholte Evelyn Gold diese Worte vor dem Mikro-

phon, und ‚Präsente’ übermittelte sie dem Ingenieur. Der dankte und lachte erneut. Sergeant Diyto nahm dieses Lachen für eine Aufforderung

zum Zweikampf. Auch Gordon Poel hätte nie erwartet, daß ein Fischmensch

derart springen konnte. Der Polizist segelte förmlich durch die Luft und traf den Ingenieur mit seinen Riesenfüßen vor die Brust.

Poel flog rückwärts und überschlug sich, bevor er ins Wasser rollte.

Der Fischmensch glitt geschmeidig ins Wasser. Er war wie ein Tier, erfahren und selbstsicher, streng darauf bedacht, nur keine unnötige Bewegung zu machen, um das Wasser nicht auf-zuwühlen.

Der Indianer wurde durch den Schutzanzug einigermaßen behindert. Sein Ausweichen bei Diylos erstem Angriff wirkte plump im Vergleich zu der unwahrscheinlichen Sicherheit, mit welcher der Fischmensch dahinjagte.

Der Ingenieur konnte von seiner Strahlenpistole, die er im Halfter trug, keinen Gebrauch machen. Ihn hätten die vom Wasser weitergeleiteten Ströme ebenso gelähmt.

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Der Fischmann umschwamm ihn in der klaren Absicht, Poel vom Ufer abzudrängen. Der Marsianer war ihm in einem Punkt klar überlegen: er konnte unbegrenzt unter Wasser blei-ben.

Poel erkannte diese Gefahr. Die Zuschauer durften bewundern, wie geschickt der Ingenieur den Marsianer täuschte.

Da sank der Indianer plötzlich ab. Er schlug anscheinend verzweifelt mit den Armen um sich.

Evelyn Gold aber sah deutlich etwas in seiner Rechten auf-blitzen.

Triumphierend reckte der Fischmensch seine Arme aus dem See und trat dabei Wasser.

Der Gesichtsausdruck des Marsianers veränderte sich plötz-lich. Die Augenlinsen schienen plötzlich von einem milchigen Schleier wie einer Eihaut überzogen.

Gequält schnappte der unförmig breite Mund nach Luft. Ein Verzweiflungslaut, der absolut tierisch klang, entrang

sich der Kehle des Fischmannes. Noch immer traten die Flossenfüße automatenhaft Wasser

und hoben den Körper vielleicht sogar noch etwas weiter aus den Wellen.

Und gerade deshalb erblickten die Zuschauer vor dem TV-Bildschirm die rechte Hand des Indianers, in der das kurze, breite Messer aufblitzte.

Nochmals und nochmals durchstach diese Waffe den nur mangelhaft gepanzerten Unterleib seines Gegners.

Und Poel warf sich mit einem gewaltigen Schwung herum, um wegzuschwimmen, keine Sekunde zu früh; denn sein töd-lich getroffener Gegner besaß noch Kraft genug, um nach ihm zu greifen.

Doch Diytos Flossenhände tasteten bereits ins Leere. Der Marsianer sackte nach vorn. Da kamen die Riesenfische herangeschossen.

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Die Zuschauer starrten gespannt auf den Bildschirm. Dr. Gold erwartete selbstverständlich, daß diese Ungeheuer

den tot auf den Wellen treibenden Sergeanten angehen würden. Doch Kommandant Weu forderte: „Achtung! Warnen Sie

ihn!“ „Wie?“ „Die Bestien greifen keinen Fischmenschen an!“ Dieser Satz erst führte Evelyn die Größe der neuen Gefahr

vor Augen. Sie riß das Mikrophon an sich und keuchte hinein: „Zurück, Poel! Zurück! Zurück!“ Das Fernsehschirmbild vermittelte ihr die Vorstellung, daß

ihr Ruf ungehört verhallte. Langsam hatten die Riesenfische den Ingenieur eingekreist.

Zwei der Ungeheuer schwammen einige Meter unter ihm. Zwei andere hinderten ihn am seitlichen Ausbrechen. Und der größte Raubfisch stieß jetzt aus dem Wasser, um den Roten von oben her zu überwältigen.

Hinter Evelyn Gold ertönte erregtes Flügelrascheln. „Nein! Nein! Nein!“ flüsterte die Fledermausfrau unglücklich. Der Kommandant preßte seine Hände gegeneinander. Un-

willkürlich wurde Dr. Golds Blick auf diese Hände gelenkt. Und die Frau von der Erde mußte anerkennen, daß ihre Formen ungewöhnlich edel waren. Doch zu mehr hatte sie keine Zeit.

Der TV-Bildschirm erforderte konzentrierte Aufmerksamkeit. Evelyn Gold hatte das Ende eines Besatzungsmitgliedes auf dem metallverspiegelten Glas miterlebt. Sie hätte am liebsten die Augen vor den Schrecknissen dieser neuerlichen Katastrophe verschlossen. Dennoch nahm der Anblick dieser wilden Szenerie sie gefangen.

Der Fisch war keine 2 Meter mehr von Poel entfernt, als der unter ihm durchtauchte, um sich mit beiden Händen an seinen Schwanz zu klammern.

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Diese unerwartete Berührung schien das Ungeheuer vollends zur Raserei zu bringen. Der Raubfisch schnellte völlig aus dem Wasser und verfehlte die Richtung, er jagte sich selbst auf die Insel und schlug auf der Felskante dröhnend auf.

Sekundenlang blieb er benommen liegen. Der Indianer hatte nicht losgelassen. Der Schwung des Fisches beförderte ihn gleichfalls aus dem

Wasser. Poel strauchelte, knickte ein, brach in die Knie und riß bereits in dieser Bewegung seine Strahlenpistole aus dem Half-ter.

Hellblau flimmerte es über den Bildschirm. Das gestrandete Ungeheuer bäumte sich auf, schrumpfte zu-

sammen, stieß einen seltsam unwirklich klingenden Laut aus und zerfiel zu Asche.

Auch die vier anderen Seeungetüme gerieten in den Bereich der Strahlenpistole. Das ihnen heimatliche Element verhinder-te ihre völlige Vernichtung. Sie wurden zwar getötet, aber nicht verascht. Dafür wallte dichter Dampf auf an jenen Stel-len, an denen die hämmernden Gammastrahlen auf die Wellen trafen.

Befriedigt drückte der Ingenieur die Sicherung der Waffe zu-rück und schob sie in das Futteral.

„Hallo, Kommandant!“ rief er befriedigt gegen ‚Präsentes’ Mikrophon. „Wie wäre es, wenn Ihre Boys diesen Kanal hier zum Luftsperrgebiet erklärten?“

Der Oyrni-Offizier nickte den beiden neben ihm stehenden Frauen zu.

„Mich wundert, daß er uns nicht noch ’n Aspirin anbietet! Frau Professor: Haben alle roten Erdmänner so gute Nerven? – Hallo, Sir! Selbstverständlich wird Sie niemand belästigen! Können wir denn nicht mehr für Sie tun? Soll Frau Professor Gold Sie hereinpeilen?“

Der Indianer hob die Arme.

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„Für mich ist es nicht ganz einfach. ‚Präsente’ allein ins Boot zu bringen und durch den engen Weg zurückzuschippern. Aber ich werde es schon schaffen.“

Etwas verwundert forschte Weu: „Der Marsianer Aluger kann doch mit anfassen …“ Die rasche Folge der Kämpfe schien den Ingenieur wohl

doch einigermaßen mitgenommen zu haben. Er entdeckte erst jetzt den Biologen, der schwankend auf ihn zuschlurfte.

Dr. Aluger sah mitgenommen aus. „Mein Gast! Was muß er von uns denken!“ „Verrat scheint hier auf der Marskugel heimisch zu sein!“

entgegnete Poel nicht ohne Berechtigung. Der Fischmann nickte demütig. . „Und Leute wie ich wissen nicht, wohin sie gehören! Sie dür-

fen selbstverständlich auf meine Loyalität rechnen! Ich habe vieles gutzumachen.“

„Sie treffen den Nagel auf den Kopf!“ versicherte ihm der Ingenieur trocken.

„Was darf ich tun, Sir? Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Ich habe eine Bitte: Falls Sie mich entbehren können, möchte ich eines Tages mit zur Terr fliegen. Die Terra-Wissenschaftler wer-den sicherlich ein Exemplar Piscis homullus gebrauchen kön-nen. Und ich bin hier sowieso ein toter Mann.“

Der Ingenieur lachte hell auf. „Männeken, das könnte Ihnen so passen! Stellen Sie lieber

keine Bitten! Die Heinis, die ich da pulverisieren mußte, hatten Schwimmflossen und Kiemen. Und wenn ich genau hinsehe: Sie besitzen die gleiche Erstausstattung! Los, anfassen! Der verehrte Mister ‚Präsente’ möchte heim!“

Ein Teil von ‚Präsentes’ Scheinwerfern erlosch. Das Kreisel-system lief lautlos an und machte ‚Präsentes’ Stelzbeine über-flüssig. Für zwei Männer bedeutete es harte Arbeit, den schwe-ren Roboter in das Aluminiumboot zu befördern.

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„Damned! Nun haben wir auch noch die Strömung gegen uns!“ ächzte der Ingenieur.

Der Marsianer überlegte kurz. Dann wandte er sich an ‚Prä-sente’:

„Würden Sie, geehrter Mister, den Herren erklären, daß unsere Durchfahrt bedeutend erleichtert wird, wenn das Kanaltor ge-schlossen werden könnte?“

„Ich weiß Bescheid! Ist in Ordnung! Wird gleich zugesperrt! Und nun beeilen Sie sich! Die Mittagssonne sticht bereits! Wir bekommen Sturm!“

Der Marsianer machte eine Bewegung des Schreckens. Der Indianer erkundigte sich spöttisch: „Ist das so ’ne dolle Sache?“ „Die Fische werden dann so angriffslustig!“ Suchend schaute der Ingenieur umher. „Noch mehr Fische?“ „Im Zuchtsee draußen an die achttausend … .“ „Und warum die hier?“ „Zur Bewachung des Ulteriors. Die Regierung hatte es ange-

ordnet.“ „Los, Doktor!“ drängte der Ingenieur. „Für mich bleibt nichts anderes!“ ächzte der Marsianer und

kletterte in das Boot. Dr. Aluger handhabte das kurze Stechruder aus Leichtmetall

mit der Geschicklichkeit eines Hawaii-Insulaners. Nun um-drängten die Riesenfische das Boot und schoben ihre gierig bli-ckenden Fratzen über den Rand.

Gleichmütig hob der Ingenieur seine Strahlenwaffe und ver-nichtete vier der zudringlichsten Fische durch kurze Energiestöße. Diese Tat schien den gegenteiligen Eindruck auf den Marsianer zu machen. Der starrte mit verbissenem Gesicht auf das lang-sam näher kommende Ufer. Wahrscheinlich liebte Aluger die Fische.

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Langsam verwandelte sich sein Gesichtsausdruck in offenen Haß. Auf den Ingenieur hatte dies allerdings nur eine recht ne-bensächliche Wirkung. Der bewunderte die Möglichkeit, daß solch ein Schuppenkopf überhaupt Gefühle ausdrücken konnte.

Dennoch schien sich Aluger loyal zu verhalten. Der Kiel des Aluminiumbootes schurrte über den Felsen.

„Wir wären angekommen, Sir!“ sagte der Fischmann und sprang auf das Ufer.

Er rührte keinen Finger, Poel beim Aussteigen zu helfen. Stumm stand er da, ein Bildwerk aus metallisch grünem Gummi, wie es schien. Als Poel ebenfalls ausgestiegen war, warf der Mar-sianer noch einen gleichgültigen Blick auf ‚Präsente’. Fast wollte es Poel so vorkommen, als ob Dr. Aluger ein Lächeln der Verach-tung unterdrückte. Doch dann zuckte er gleichmütig die Schul-tern.

„Moment, Herr Direktor“, sagte der Ingenieur kurz, „wollen Sie Ihren Ozeandampfer nicht verankern? Ich möchte meinen Freund ‚Präsente’ wiedersehen, wenn wir zurückkommen!“

Der Marsianer beugte sich vor. Zum erstenmal verlor er of-fenbar die Nerven. Er schrie: „Reden Sie doch bei diesem Me-tallhaufen nicht von Ihrem Freund!“

„Wie war das?“ forschte Poel überrascht. „Ich bin kein Wilder, der solchen Zauber noch länger gläubig

hinnimmt!“ Poel überlegte. Das war offener Widerstand. Für diesen

Dichter bedeutete das sicherlich sehr viel. Poel wog seine Mög-lichkeiten ab. Soll ich seinen Widerstand mit Prügeln, Schmer-zen, Angst brechen? Nein! Wir wissen eben noch zu wenig von diesen Barbaren!

Also warf er selbst die Leichtmetallkette aus dem Boot und legte das Fahrzeug am Ufer fest.

Der Biologe kümmerte sich nicht weiter um seinen Beglei-ter, sondern eilte auf eine Felswand zu. Sie befanden sich in

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jenem Teil der Wym-Höhle, der dem Ausgang am nächsten lag. Ein tiefer Felsenschlauch führte in niedrigere Partien. Ei-ne Metalltür ohne Schloß war nur mit einem leichten Riegel versperrt.

Sie standen vor dem ersten Wohnraum, den ein Mitglied der „Human-World“-Expedition auf dem Mars betreten durfte.

Helles Licht aus unsichtbarer Quelle flutete ihnen entgegen. Die Marsianer mußten über ausgezeichnete Baumaschinen ver-fügen. Dieser Raum von etwa 6 zu 6 zu 4 Metern war völlig glatt aus dem reinen Felsen geschnitten.

Linker Hand stand ein hohes Stehpult. Darauf lagen Bücher, die wie Inkunabeln gebunden waren. Eine Sitzgelegenheit gab es nirgends. Rechter Hand befand sich in der Ecke ein großes, flaches Becken, das mit Wasser gefüllt war.

Auf mehreren Metallständern lagen Kleidungsstücke. Waf-fen oder andere Gebrauchsgegenstände konnte der Ingenieur nicht entdecken. Und interessiert fragte er: „Wozu das Bec-ken?“

„Mann, wo soll ich denn schlafen?“ Das war nun eine nette Entdeckung. Im nächsten Augenblick

sah Poel wohl ein, daß ein Kiemenatmer unter Wasser sicher-lich sehr viel ungestörter ruhte.

Aluger trat an den Tisch und suchte unter den Aktenbänden herum. Poel besaß noch genügend natürlichen Instinkt. Er spürte eine innerliche Warnung, die ihn davon abhielt, diesem frem-den Geschöpf allzu sehr zu vertrauen.

Der Biologe legte dem Gast einen blockgehefteten Band vor. Darin war blaues Papier, das mit kadmiumfarbenen Zeichen bedeckt war.

„Mensch, wie finde ich mich da zurecht!“ lächelte der India-ner. Er hielt den Band in beiden Händen und sah zu spät das Aufblitzen der Wut in den dicken, wasserhellen Augenlinsen Alugers.

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Mit einer einzigen raschen Bewegung des linken Fußes zog der Fischmann seinem Gegner beide Beine unter dem Körper weg.

Dadurch stürzte der Überrumpelte rücklings in das „Schlaf-becken“ und verlor augenblicklich die Besinnung.

Und Dr. Aluger grinste hämisch.

* Die Physikerin wandte sich besorgt zu Attipa: „Jetzt ist genau eine Stunde vergangen, seitdem Mister Poel aus dem Bild ver-schwand.“

„Du hast recht! Aber was sollen wir tun? Boote haben wir hier keine. Fliegen kann man in der Höhle nicht …“

Die Fläche des Bildschirms lag unbewegt. Der Kommandant trat ein. „Sturmwarnungen, meine Damen! Wollen Sie wirklich in

diesem Raumschiff bleiben? Die Marsstürme haben es in sich, Younglady!“

„Na, hören Sie mal! Einem Raumschiff soll solch ein Sturm etwas anhaben?“

Schrilles Alarmklingeln aus unzähligen Läutewerken er-schütterte die Luft.

„Was ist das?“ „Die Geigerzähler!“ sagte die Wissenschaftlerin atemlos.

„Radioaktivität von gefährlicher Konzentration!“ Dr. Gold eilte in die Steuerzentrale und schaltete die Alarm-

anlage aus. Die Physikerin kontrollierte die Umgebung des Raumschiffes über die Außen-Fernseher.

„Rufen Sie alle an Bord, Sir! Unser Schiff ist ja vollkommen strahlensicher!“

Auf dem Bildschirm sah man die Weite des Himmels. Lang-sam näherte sich ein tiefsegelndes Wolkengebilde, das in nichts verriet, welche Gefahren darin verborgen lagen.

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„Eine Kobaltwolke! Wie ist die nur zustande gekommen?“ fragte Dr. Gold.

Der Kommandant kraulte verlegen seinen Bart. „Younglady, wir haben versucht, aus den Antriebsmaschinen

Ihrer Raumschiffe eine neue Anlage für unsere Rotoren zu bau-en …“

Obgleich dies sicherlich kein Grund zum Lachen war, konnte die Wissenschaftlerin sich nicht mehr beherrschen. Sie um-klammerte das Handrad der Schottenverschlußeinrichtung und lachte, lachte, daß die Oyrnis angesteckt wurden.

Der Kommandant kämpfte mit seiner Selbstbeherrschung. „Ist – ist das wirklich so komisch?“ „Noch komischer! Wenn ein Raumschiffsantrieb 50 Ge-

schwindigkeitseinheiten entwickelt, müssen Ihrer Rechnung nach vier Triebwerke 200 Einheiten erzeugen, wie?“

Der Kommandant nickte bekümmert. „Ich bin tief beschämt!“ „Wahrscheinlich aber stammt diese – komische Idee doch

wohl nicht von Ihnen …“ Attipa schaltete sich ein. „Im Gegenteil: Kommandant Weu hat immer wieder abgera-

ten und empfohlen, wir sollten auf die Terraner hören! Na, und seitdem kreist die Wolke!“

„Viele Verluste?“ „Gar keine! Die Herren von der Erde verziehen sich bei un-

günstiger Windrichtung in die Raks. Uns macht diese Radioak-tivität nur wenig aus. Die Marsianer sind in ihren Schuppen-panzern – glaube ich – vollkommen immun dagegen! – Aber wo bleibt nur Herr Poel so lange? Man muß ihn doch vor der Wolke warnen!“

„Vielleicht ist sie schon wieder weiter, wenn er ’raus-kommt!“

„Nein! Über diesem Seengebiet bleibt sie immer einige Stun-den hängen!“

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Die beiden ungleichen Frauen standen nebeneinander vor den Bildschirmen im Steuerraum. Die Schiffshaut, die Umge-bung, der Himmel, jeder einzelne Schiffsraum – alles zeichnete sich auf einzelnen Bildschirmen farbig ab.

Aber ‚Präsentes’ Bildschirm blieb unbewegt …

* Aluger lehnte sich mit beiden Händen gegen sein Stehpult. Nachdenklich starrte er auf den Wust blauer und grüner Blätter. Er hatte einen gefährlichen Kampf ausgefochten. Für ihn be-deutete dies viel mehr als für seine Leute, die außer einem Kampf auch ihr Leben verloren hatten. Dr. Aluger war kein Kämpfer. Niemals fühlte er sich wohl, wenn er sich körperlich betätigen mußte, am wenigsten, wenn er sich solchermaßen selbst einsetzen sollte. Aber nun hatte er gesiegt, gesiegt über einen überlegenen Gegner, dem geheimnisvolle Waffen von einem fremden Stern zur Verfügung standen, den nicht einmal die Furcht vor dem Wasser, seinem Naturelement, bedrängte.

Befriedigt drehte er sich um, seinen überwältigten Gegner noch einmal anzusehen.

Und Dr. Aluger erstarrte. Er blickte genau in die kleine Mündung der Strahlenpistole. Der Ingenieur saß auf dem Rande seines feuchten Bettes und

betrachtete ihn mit dem Ausdruck einer so unwahrscheinlichen Heiterkeit, daß Dr. Aluger keines klaren Gedankens mehr fähig war.

Er stürzte sich in besinnungslosem Haß auf diesen Mann von der Erde, daß er Poel wahrscheinlich sämtliche Knochen im Leibe zerbrochen hätte, wenn er ihn noch erwischt hätte.

So aber fiel Dr. Aluger mit seinem Schädel genau gegen die Steinummauerung seines Wasserbettes.

Der Ingenieur war rücksichtslos genug, seine Pistole umzu-

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drehen und den Fischmann mit dem Kolben endgültig zu narko-tisieren.

„So!“ sagte der Indianer und fesselte Aluger. Er benutzte dazu das Klebband, das sich bei dem Reparatur-

material befand, das in den Taschen seines Raumanzuges steckte. Dieses Spezialband war bestimmt den Muskeln dieses Fisch-mannes gewachsen. Dr. Alugers regungslosen Körper hinaus-zuschleifen, war sogar für den zähen Indianer eine ziemliche Anstrengung. Vor dem Eingang ließ er ihn liegen, um zunächst noch an Büchern mitzunehmen, was er tragen konnte.

So beladen wankte er zum Boot zurück. Schon aus einiger Entfernung hörte er Evelyn Golds Ruf. Er

nickte lachend zu ‚Präsente’ hin. „Melde mich zurück! Mußte Aluger narkotisieren …“ „Was? Der Boy hat die Energie aufgebracht …“ „Richtig! Er hat mich tatsächlich noch einmal überfallen.

Nun wird er nachher doch wohl ’n Pyramidon brauchen! – Ist Kommandant Weu da?“

„Selbst am Mikrophon, Sir! – Bitte, bleiben Sie noch eine Stunde in der Höhle!“ bat der Kommandant und informierte den Indianer kurz über die Gefahren aus der Kobaltwolke.

„Hm“, sagte der Ingenieur, „ich brauchte nicht zu bleiben! Mein Anzug schützt gegen solche Strahlen! Aber ich muß we-gen meines Freundes bleiben.“

Der Kommandant lachte verachtungsvoll. „Unsinn! Dem Biologen schaden die Strahlen doch nicht …“ „Der ist mir völlig gleichgültig, Sir! Nein, ich dachte an mei-

nen guten Freund ‚Präsente’! Denn der würde nichts lieber in sich aufsaugen als diese vagabundierenden Neutronen! Und da sehe ich, wie unvollkommen alles ist, was Menschen konstruie-ren! Ich habe vollkommen vergessen, ‚Präsente’ gegen solche Gefahren zu schützen! Und hier hat man so einen Schutz offen-bar verdammt nötig …“

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„Hier? – Soll das heißen, daß Sie bleiben?“ „Na, sagen Sie selbst: Wäre das fair, Sie hier sitzenzulas-

sen?“ „Allerdings nicht …“

– Ende –

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Sie lesen im nächsten (46.) UTOPIA -Kleinband:

Atlanta von AXEL NORD

ATLANTA!!

Als Noel, der junge Tiefseeforscher der „Afrikanischen Union“, im Sommer des Jahres 2503 in 6000 Meter Tiefe die schöne Isa aus einem von Tiefseeungeheuern zerstörten Taucher rettet, ahnt er nicht, daß sie ihm den Weg in ein Land weisen wird, so phantastisch und unwirklich, daß es Wunder über Wunder birgt.

ATLANTA!!

Nicht nur wunderbar ist dieses Land, das nicht auf dem Fest-land, sondern im Schoße der Erde liegt, es offenbart auch die Tragödie eines untergegangenen Kontinents.

Europa ist nicht mehr. Furchtbare Atomkriege haben seine Staaten, und seine Völ-

ker fast völlig ausradiert. In diesem Jahr 2503 soll es endgültig der Verwaltung der „Afrikanischen Union“ unterstellt werden.

In den Monaten, da Nol Atlanta entdeckt, da in der afrikani-schen Hafenstadt Ana eine geheimnisvolle Flotte ausgerüstet wird, da Nol den Atlantiner Diethelm zum Freund gewinnt, in den Monaten soll in Arra die Entscheidung über einen unterge-gangenen Kontinent fallen.

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UTOPIA-Kleinbände erscheinen vierzehntäglich SCIENCE FICTION-Zukunftsromane UTOPIA-Großbände erscheinen monatlich SCIENCE-FICTION in deutscher Sprache, 96 Seiten, 1.– DM Wissenschaftliche Zukunftsromane des XX. Jahrhunderts Sämtliche bisher erschienenen UTOPIA-Kleinbände (Jim Par-kers Abenteuer im Weltraum) von Nr. 1–43 und UTOPIA-Großbände SCIENCE-FICTION in deutscher Sprache Nr. 1–21 sind beim Verlag noch vorrätig. Sollten Sie die gewünschten Nummern durch Ihren Zeitschriftenhändler nicht beziehen kön-nen, dann wenden Sie sich bitte direkt (verwenden Sie hierfür bitte den umseitigen Bestellzettel) an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden).

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