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VIERTELVOR das heft zum fest #1 08/03 kostenlos Nauwieserfest-Programm im Innenteil

Viertelvor Ausgabe 1

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Viertelvor – das Magazin für's Nauwieser Viertel – Ausgabe 1 vom August 2003

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Page 1: Viertelvor Ausgabe 1

VIERTEL VORdas heft zum fest

#108/03kostenlos

Nauwieserfest -Programmim Innentei l

♠ ♣ ♦ ♥

Page 2: Viertelvor Ausgabe 1
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was das sein soll?

Na, ein Viertel voll mit schüchternen Barbaren, streitbaren Fischhänd-lern, zweifelhaften Barden, Häuptlingen, Häuptlingsfrauen, argwöh-nischen alten Kriegern, Druiden... Helden und Heldinnen, die gerne

streiten, sich (zu Recht) gerne und oft selbst feiern, nicht aufhören, demEindringling Widerstand zu leisten und nur Angst haben, dass ihnen derHimmel auf den Kopf fallen könnte.

Grund genug, diesem fidelen Völkchen des sogenannten Chinesenviertels(warum das so heißt, wird am Schluss geklärt) genauer auf die Finger zuschauen, insbesondere ihrer fidelen Art, die jährliche Straßenorgie „Nauwie-serviertelfest“ zu zelebrieren.

Also, hier kommt sie, die erste und längst fällige Ausgabe von „VIERTEL VOR“.Gedacht als Sammelsurium an skurrilen, lustigen, ernsten, oberflächlichen,genauen, ästhetischen oder äußerst unästhetischen Betrachtungen über einangenehmes Stadtviertel, dass sich durch Eigendynamik auszeichnet unddeshalb ein solches Magazin verdient hat.

viel Spassss!schillingundfreunde

Wir schreiben dasJahr 2003 n.Chr.Kurz vor Essenszeit...

Erklärst du uns,o Cäsar,

was das sein soll?

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seite 6 seite 10

seite 14

seite 20 seite 24

seite 26 seite 32

seite 34

seite 56

seite 58 seite 60 seite 62

seite 50

seite 42

seite 18

Page 5: Viertelvor Ausgabe 1

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inhalt

nauwiesershowfenster von > Ralf Leis seite 6

meine hobbies sind malen,lesen&schreiben von > Ralf Leis seite 10

geld ist wichtig v.s.e.– gründung der vereinigtensaarländischen emirate steht bevor. eine übersicht

von > Mazze Gaspers und Mart in Huppert seite 14

inzucht?überblick der saarbrücker rockstars von > Peter Theobald seite 18

des saarländers liebstefreizeitbeschäftigung von > Peter Theobald seite 20

unser viertelmussgefährlicherwerden von > Miriam Rech seite 24

nauwieserfest –versuch einer typologie von > fl ix seite 26

programm nauwieserfest seite 32

6 aus 1/4 von > André Mailänder seite 34

rotz von > Véronique Verdet seite 42

gesammeltes heimweh seite 50

oh leck!aberecht;da schreisse... von > Daniela Pass seite 56

impressum seite 58

nauwieser viertel oder auchchinesenviertel der exotischen

kosung auf den grund gegangen von > Frank Schi l l ing seite 60

nachschlag seite 62

Page 6: Viertelvor Ausgabe 1

6

nauwieservon > Ralf Leis

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showfenster

Was würde Lothar Matthäus dazu sagen?Als gelernter Raumausstatter, also quasi Fachmann? Lebemann? Weltmann?Zu den Fenstern im Viertel?Den Hut würde er ziehen. Jawoll.Hier paart sich nämlich Originalität mit unaufgeregter Lässigkeit. Mutige Gestaltung mithingebungsvoller Liebe zum Detail. Was schon lange ansteht, soll an dieser Stelle nun endlichmal gewürdigt werden. Fanfare für eine kleine, leider unvollständige Auswahl!

Links:♠ Love und Cola. (Wobei die richtigen Schaufenster um die Ecke noch besser sind, da wurdeaber vehement untersagt, zu knipsen. Schade.)Oben:♠ Setzt bei mir eine riesige Assoziationskette in Gang...Gebückte Greise, die vor sichhinmurmelnd mit Hammer und Meisel an irgendwas sehr Großem arbeiten...♠ Stimmige Kombination von Schmerz und Erlösung.♠ Hansed Haarstudio. Der Klassiker. Wir alle kennen und lieben es.

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Oben:♠ Gemeimnisvoll aber adrett.Rechts:♠ Die Parkpilsbauernstubenschenke. Ein Hauch von Las Vegas und die Kacheln sindwirklich klasse.♠ Ein heimlicher Favorit von mir. Die Bäckerei Schauss, die eigentlich Bäckerei Brach heißt.Das nenn ich unprätentiöse Kommunikation.♠ Bar Mignon. Nicht mehr so gut in Schuss, aber der Informationsfluss stimmt.

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Die Menschen gestalten offensichtlich gern. Mitteilungsdrang in der Öffentlichkeit ist nicht jeder-manns Plaisier. Manchmal aber schon. Teilweise lustig, oft bescheuert, manchmal künstlerischwertvoll oder einfach nur kryptisch („zuviel fick“?? wer? insgesamt? der Künstler? allgemeineÜberbewertung der Sexualität? Interpretationen bleiben subjektiv...).

meine hobbies sind malen,lesen&schreiben

von > Ralf Leis

Page 12: Viertelvor Ausgabe 1

Reklame

12Reklame

CDS / PRESSFRISCHE SCHALLPLATTEN / GROSSE AUSWAHL AN SECOND HAND-ARTIKELN / VIDEOS / DVDS /ZAHLREICHES MERCHANDISING (T-SHIRTS, PULLIS, AUFNAHER, POSTERS, AUFKLEBER, TONTRAGER-ZUBEHORETC.) / MAGAZINE / ZEITSCHRIFTEN / FANZINES / KONZERTKARTEN

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24 Stunden – die Säulen des Viertels

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geldvon > Mazze Gaspers und Mart in Huppert

I l lustrat ion > Ralf Leis

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Unser Saarland im Jahr 2010: Reich und ar-

beitsarm lebt der Saarländer ineiner se-

gensreichenUmwelt. Umgeben von atem-

beraubendenAttraktionen, frei von finanziellen

Nöten verwirklicht er sich seine seit der indu-

striellen Revolution unterdrückten Träume.

Die vier großen K’s: Kunst, Kultur, Kontem-

plation, Kohle. Wie wurde das erreicht?

Blicken wir zu-

rück in das Jahr 2003:

Große Unzufriedenheit liegt

über dem Land. Hoffnungs-

losigkeit, Stillstand, Armut und

versicherungspflichtigeArbeit be-

stimmen den Alltag. Ministerpräsi-

denten a.D. reichen Kaffee von Bal-

konen an durstige Journalisten

herab. Kinder schreien bis in wei-

terführende Schulen. Der Fuß-

ball ist drittklassig und ohne ei-

gene Nationalmannschaft. Es

gibt keine saarländischen Karossen. Der Import be-

stimmt das Wirtschaftsleben. Die Elite wandert in

die Metropolen der benachbarten „Bundesrepub-

lik“ ab. Junge Leute liegen sich in den Armen und

weinen aus Angst vor Ihrer Zukunft und einer soge

-

nannten „Arbeitslosigkeit“. Wasser bevölkert das

Bett unseres großen Heimatflusses. Doch als die

Nacht am tiefsten war, besann sich eine Gruppe

autonomer, selbstbewusster, südsaarländischer

Intellektueller, (formerly known as „A.S.S.I.“)

darauf, dass dies unser Haus ist. Sie gebaren

eine Vision: Die Vereinigten Saarländischen

Emirate – ein menschenwürdiges Dasein in

der Demokratur der Zukunft.

Schnell erkannten sie

die Grundprobleme:

– Fehlendes Geld

– Fehlender Spaß (noch zuviel

Arbeit, ca. 80 %Werktätige)

– Fehlende Anreize

– Fehlender Wagemut

– Falsch verlaufende Flussläufe

– Verkehrtes Verkehrskonzept

– Und vor allem: fehlendes Geld!

Die Lösung:

Wie sagte Franz-Josef Degen-

hardt? „Spiel nicht mit den Schmuddelkin-

dern“. Falsch!Wir luden sie zum Spielen ein: in

Spielcasinos, in Lusthöllen und in Bingo-Bars,

die in den ehemaligen Hallen der saarländi-

schen Großindustrie einzogen. Sympathische

Wirtschaftskriminelle waren ein noch unter-

schätzter Wirtschaftsfaktor, den man schnell

lieb gewann. Das Saarland hatte einen

ist wichtigv.s.e.–gründung der verei

nigten saarländischen emirate

steht bevor. eine übersicht.

V.S.E.

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entscheidenden Standortvorteil: Was hier

passierte, interessierte niemanden (außer

Liechtenstein, Luxemburg und den Seychel-

len). Die Banken begannen, spezielle Hoch-

sicherheitsfarbkontenanzubieten, die dem

gemeinen Nummernkonto weit überlegen

waren. Für den ängstlichen Wirtschaftskrimi-

nellen boten Duftkonten zusätzliche Sicher-

heit. Die daraus resultierenden Umsätze wur-

den einzig und allein zur Verbesserung der

Lebensumstände und der finanziellen Absiche-

rung der Bewohner eingesetzt. Um weiteres

Kapital zu schöpfen, war eine Wiederver-

einung mit Luxemburg, ver-

bundenmit einer Loslösung von der

„Bundesrepublik Deutschland“ und der

ehemaligen „DDR“ unabdingbar. Weitere

Gelder wurden durch die Legalisierung

psychoaktiver Substanzen (sogenannter

„Drogen“), die mit 100% besteuert

wurden, erwirtschaftet. Ehrgeiziges

Ziel war die rentable Nullbeschäftigung, auch

„echte Arbeitslosigkeit“ (Henkel, O., 2003)

genannt.

Sozialpolitik bekam ein neues Gesicht: Das ge-

samte ehemalige Saarland erhielt den Charakter

eines Freizeitparks. Hauptattraktivität wurde der

Aqua-Industrie-Park „Fantesch“, der durcheine

Teilflutung der Mittelstadt Völklingen entstand.

Hier kannmit demGlastretboot eine Besichtigung

des „Weltkulturerbes“ vorgenommenwerden. Der

„High-Oven-Squirler“ war der Publikumsmagnet

in den Anfangstagen, der diefaszinierte Gäste-

schar durch die Sinteranlage schleuderte. Als sehr

beliebt erwies sich auch eine FahrtimMini-U-Boot

„BOB“ durch die Erlebniswelt „20 Meter unter

dem Gasgebläse“. Der immense Erfolg dieses

Konzeptes hatte maßgeblichen Einfluss auf das

neue Verkehrskon-

zept: Der individuelle öffentliche Nahverkehr der

VSE. Trotz anfänglicher Skepsis einiger weniger

Umweltschützer wurde der Auto- und Straßenbahn-

verkehr weitgehend abgeschafft. Als vernünftige

Alternative bot sich die vorhandene „Autoscooter-

technik“, die sich ihren Erfolgsweg durch das ge-

samte Emirat fraß. Durch die Aufwertung der Saar

infolge einer Umleitung in das Grenzgebiet zum

Nichtemirat „Rheinland-Pfalz“ konnte das bishe-

rige Flussbett in eine überdachte Autoscooter-

Nahverkehrs-Trasse umfunktioniert werden.

Die einfache Handhabung überzeugte: Man

löst einen biologisch abbauba-

ren „Rettichchip“ (beispielsweise

von Dillingen nach Merzig), setzt sich

in einen rumstehenden Autoscooter und

fährt los – frei und selbstbestimmt! Am Ziel

lässt man seinen Scooter einfach rumste-

hen. So simpel kann Nahverkehr sein!

Um ein vollkommenes Fahrgefühl zu

gewährleisten, wurde das Emirat durch die Mon-

tage von Lautsprechern flächendeckend in

Klang-Gaus unterteilt (beispielsweise Punkrock-

gau St. Johann, Zwölftongau Ommersheim,

Death-Metalgau Gersweiler). Durch den hier-

durch immens angestiegenen Bedarf an Musik

wurde jedemMusikschaffenden einemonatliche

Arbeitsentschädigungspauschale von 1000 Euro

gewährt. Die Auszahlung fand in dem dafür ei-

gens umfunktionierten Ordnungsamt statt. So

erhielt diese an sich völlig sinnlose Institution

zum ersten Mal in der Geschichte ihres Be-

stehens eine sinnvolle Aufgabe.

Die für Emiratsdiener (ehemals „Be-

amte“) und für den Exportvorgesehenen Kraft-

fahrzeuge wurden durch einen emiratseigenen

Kraftfahrzeughersteller„CONAN“ erschaffen.

Das hierfür erforderliche Werk und die dazu-

gehörenden

V.S.E.16

♠ VSE - Gib mir alles! ♠ VSE - ein menschenwürdiges Dasein in der Demokratur der Zukunft ♠ VSE - Geld ist wichtig! ♠

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Arbeiter wurden durch geschickte Verhand-

lungen dem Bauernstaat „Bayern“abgeluchst

(vormals „BMW“). Dieses Werk wurde in der

Montanmetropole Neunkirchen angesiedelt.

Sehr beliebt waren die 24 Zylinder Luxuslimou-

sine „Bostalsee“ und das Wankel Sportcoupé

„Xäner Dü“ sowie das Einsteigermodell „Gollen-

stein“.

Und so kam es wie es kommen musste, das

ehemals kleine und unscheinbare Saarlandwurde

zu einem Paradies auf Erden. Wenn auch Sie ins

Paradies zurückwollen, wählen sie immer VSE

(Liste 69). Interessierte Bürger können uns unter-

stützen:

KtoNr: 0815 4711 / BLZ 666 69 666

Von nix kommt nix, gelle!

Wir danken für ihre Aufmerksamkeit.

VSE – Support your local Emirat

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VSE - Respektiert dich so wie du bist! ♠ VSE - Alles andere ist Arbeit! ♠ VSE - Das ist unser Haus! ♠ VSE - Geh doch rüber

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inzucht? überblick der

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saarbrücker rockstars...unvollständig

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von > Peter Theobald

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Des Saarländers allerallerallerliebste Frei-zeitbeschäftigung ist seit Urzeiten dasfriedliche Zusammenrotten mehrerer Per-

sonen um ein ziemlich merkwürdig aussehen-des, 3-beiniges Metallgestell, an dessen obererSpitze an einer Umlenkrolle ein Draht verläuft,an dessen Unterseite ein freischwingender Rostbefestigt ist. Dieses, der Globalisierung weitge-hend noch nicht unterworfene (Export maximal3 km in die Pfalz oder Lothringen hinein)Meisterstück saarländischer Hütten- und Gru-ben-Beschaffungskunst nennt man gemeinhinSchwenker. Wenn die saarländische Schwerin-dustrie einmal erkannt hat, welches Markt-potential in dieser Konstruktion steckt, wird somanche Walzstraße im Saarland auf Schwenk-ständer umgerüstet werden, damit diese Er-findung auch in den entlegensten Paradiesendieser Welt Einzug findet. Von Bali bis Seattle,von Hammerfest bis Kapstadt. SaarländischesGrillfleisch mit Marktanteil wie Coca Cola.Lukullus, Schröder und Schwamm im TecDax.Das wär was, oder?

Schwenken kannman im Saarland getrostals die Sommersportart schlechthin bezeichnenund viele Saarländer fordern seit Jahren dieZulassung bei der Olympiade. Es gibt vieleSaarländer, die kein Auto besitzen, einenSchwenkständer zum professionellen Durch-garen marinierten Grillfleischs gibt es in nahezujeder Familie.

Diese allgemeine Schwenkeuphorie hatdazu geführt, daß in jeder saarländischen Ge-meinde vonMai bis September spätestens jedenSamstag kleine bis megagroße Feste und Feier-lichkeiten stattfinden, in deren Verlauf exzes-sives „Schwenking“ betrieben wird. Auf diesenFesten trifft man dann auch wieder auf die gan-zen Bands, die das ganze Jahr über in miefigenProberäumen „Bamboleo“ und „Living next

20

des saarländersliebste

freizeitbeschäftigung

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door to Alice“ eingeübt haben, um dem durchschweres Grillfleisch bereits ziemlich unkritischgewordenen Publikum rhythmische Klatschbe-wegungenzu entlocken.

Dorthin geht der „Babba“ auch gern„emoll enna drenga“, bis 2 Schwenker und 3„Roschdwirscht“ sowie, nicht zu vergessen 14Humpen Pils (in der Regel Urpils, Becker oderauch Bit aus der Pfalz, aber psst, nicht weitersa-gen) vertilgt sind. Hier kommen im Sommerganze Familien her und flanieren dichtgedrängtdurch die Feststraße und da fällt auch malGabi’s Eis dem Onkel Lothar auf die Schuhe, datauschen sich auch mal alte Arbeitskollegen vonder Zentralkokerei über 8 m und 45 Köpfe hin-weg in Zentralkokereilautstärke aus: „Unn

Walter, wie iss es?“, „Ei gutt, unn selwa“, „Eijoooh, muss“. Da tragen auch mal verfeindeteDorf-Mopedfahrergangs ihre Streitigkeiten undHahnenkämpfe aus und so manche Bierzeltgar-nitur incl. Bänke, Papiertischdecken und Pfand-humpen gehen zu Bruch. Da findet sich geradeauf dem Nachhauseweg auch mal ein ziemlichunansehnlicher Fleck auf dem Bürgersteig, dererahnen läßt, was Magensäure so in 2 Stundenaus Grillfleisch, Bier, Pizza, Kebab und Eismacht. Pfui deibel sag ich nur. Aber so ist dasLeben.

Und auf dem Nauwieser Fest ist sowiesoalles ganz anders.

mit einem AugenzwinkernTheo

von > Peter TheobaldIl lustrat ion > Ralf Leis

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das nauwieserviertel ist schön. schön von oben... ...und von unten auch.

Vielleicht ist das so, weilsie immer alles im blick hat.(Wenn auch etwas unscharf)

oder weil jemand sowaswie „ali mohamed dali“an die wände schreibt.

oder etwa, weildort cowboys in densaloons aufräumen?

könnte auch sein, dass eswas mit den ladies vomcoca-cola-schild zu tun hat.

oder mit den halunkenin den spelunken.

ein bisschenschmuddelig,aber schön.

Page 25: Viertelvor Ausgabe 1

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Aber – dem Viertel droht der böse Greenwich-Village-Effekt. Greenwich-Village-Effekt?Ungefähr so: Ein Stadtviertel ist ein bisschen assi. Weil es dort billiger ist, ziehen Studentendort hin, Plattenläden, die erst um 12.00 Uhr aufmachen und indische Gemüsehändler. Die

Lokale sind meistens dunkel, es sitzen seltsame Gestalten drin und Studenten, die viel Zeit zumRumtreiben haben.

Dann schreibt jemand irgendwo, z. B. in einem Reiseführer „Künstler und Studentenszene“;und dann geht es los: Alle wollen dort wohnen und ausgehen. Die Häuser werden renoviert undin Tortenfarben angestrichen, es werden Schnickschnackgeschäfte eröffnet und die Gaststättenwerden zu „Szenekneipen“...

Da hilft nur eins: Guerilla-Marketing! Um das Viertel wieder gefährlicher zu machen.Stinkbomben? Säure? Heuschrecken? Nö, lass mal. Zu teuer.

Für T5 oder Live-Stadtmagazin schreiben und behaupten, in Malstatt tanzt der Bär?Schilder aufhängen „Die Stadt Saarbrücken warnt“? Horrorgeschichten im Bus erzählen?Schon eher.

Ich würde gerne behaupten, ich tue das, um das Viertel zu retten, weil ich dort wohneund es mag und weil ich was für die Stadt Saarbrücken tun will. Das wären schöne Gründe.Die schäbige Wahrheit: ich will auch dort hinziehen und nicht so viel Miete zahlen...

von > Miriam Rech

unserviertelmussgefährlicherwerden

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ob melanie wohlhier ist?

wenn ich mein telefondabei hätte, könnte ich sie

ja mal anrufen...

aber bestimmt ist sie malwieder mit x anderen

leuten verabredet... *seufz*

an der tanke ist dasbier viel billiger !

früher waren die bandsecht viel cooler !

glotz nich so blöd,ökoschlampe.

ne hässliche tasche haste.

ach sieh mal einer an,da ist ja die sabine!!!

hihihi, wenn sie sieht, dassda hinten martin steht,stirbt sie bestimmt.

aha, und da drübenist ja tamara... hallo !

nauwieserfest –versuch einer typologievon > fl ix

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na, wie geht’s denn so ?!

bock auf’n bier?

ich will dich wiedersehen.nackt auf meinem futon.

...dann ist er die trepperunter und hat sich,

zackbumm!, beide beinegebrochen.

ich solls eigentlichniemand weitersagen,aber bei dir ist dasja gut aufgehoben.

apropos kotzen. kennstdu den ?! ein mann kommt

in die bäckerei...

uäääärgk!

damn! da fliessen fürmindestens 40 euro zwickelin die verkehrte richtung...

hoffentlich siehtmich keiner.

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wo seid ihr denn?ich?! ich bin hier !

superviele grüssevon der tamara soll ich dirsagen! ja die ist auch da!

ja, dann komm docheinfach danach!kein problem.

an der tanke ist dasbier viel billiger!

früher war das festecht viel cooler!

ja, die tasche ist neu!geile farbe, was?! und esgeht echt sauviel rein...!

oh shit, da drübensteht wolfgang!!!

oh shit, da hinten kommtmartin!!! hoffentlich sieht

der mich nicht...

oh shit,da ist frank!!!wenn der mich sieht,

sterbe ich...

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och, gut!

wenn du einsspendierst...

0176-272735

hihihi! das ist jamega-witzig...!!!

hab ich schon erzählt wiemir neulich ein glas milchumgefallen ist und ich

dann...

kuck mal, da kotzt einer!!!

ich hatte echt nesuperanstengende woche.

wirklich.

wir sind doch schonecht lange hier... - wollenwir nicht nach hause?!

och nee, michaelist mal wieder schlecht.

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programmfreitag 01/08/03 samstag 02/08/03

Karamelo Santo One Man And His Droid

SaarBahn+Bus

Wir bedanken uns bei unseren Sponsoren:

hauptbühne max-ophüls-platz:tanzkapelle nauwies 02> 19.00 UhrDie erste offizielle Stadtteilband des Nauwieser-viertels spielt Discoklassiker der 70er und 80er.

spy vs spy> 20.15 UhrSample soaked secret agent surf-punk aus SB.

karamelo santo> 21.30 UhrLatin-Ska-Reggae-Cumbia-Punkrock-Crossover ausArgentinien.

hellmut:666pistols> 21.00 Uhr anschl.Weird Kong (Wave Punk 80er)

bleistift:miller's crossing> 21.00 UhrPower Blues

karateklub meier:die fahrt von holzminden nacholdenburg spielt trio> 21.30 Uhrwie jedes Jahr bei Meiers zu Gast, legendär, kultig...

mono:dj feldmann> 22.00 UhrFeldmann lässt mit seinem relaxten Set die Sonneaufgehen.

hauptbühne max-ophüls-platz:monster bubbler & hifi international> 15.00 UhrReggae Soundsystem nach original JamaicanischemVorbild

reminder> 19.00 UhrEmo-Core aus Neunkirchen.

lame brain pete> 20.30 UhrIndie-Mini-Rock aus Neunkirchen.

one man and his droid> 22.00 UhrEmo/Alternative aus Deutschland.

bleistift:earl> 20.00 UhrKerniger, Rock und Rhythm & Blues im Stil der 70er.

hellmut:möfahead> 21.00 Uhr anschl. Puschelpunk mit Frau Rotationund Frau Deluxe

karateklub meier:tanzalarm> 22.00 UhrDJs, Cocktails, Discofieber...

mono:dj apex> 22.00 Uhrthe new groove theory

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nauwieserfest

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sonntag 03/08/03

hauptbühne max-ophüls-platzmonster bubbler & hifi international> 15.00 UhrReggae Soundsystem nach originalJamaicanischem Vorbild

sons of cthulhu> 19.00 UhrSurf/Rock’n’Roll/Psychobilly aus Saarbrücken

seyni> 20.30 UhrRoots Reggae aus F/Guinea

bleistift:boogie bastards> 15.00 Uhr

dizzy thang> 20.00 UhrBlues Orgasmus

sonstigescd- und schallplattenbörseSamstag und Sonntag jeweils ab 11.00 UhrMax-Ophüls-Platz

bücherflohmarktSamstag ab 14.00 Uhr im Buchladenhinterhof inder Försterstrasse. Die Teilnahme ist kostenlos,Interessierte melden sich bitte bis zum 30. Juliunter 0681-31171 beim Buchladen an.

kinderprogrammSamstag und Sonntag abwechslungsreichesKinderprogramm auf dem Spielplatz NauwieserPlatz mit Luftkissen, Schminken, usw...

spielfestim Innenhof des SOS-Ausbildungs- und Beschäfti-gungszentrums. Workshops zu den Themen:HipHop, Schmuck herstellen, Schminken, Töpfern,Malen, Graffiti, Filzen.Spiele: Bay-Blade-Turnier, Bobby-Car-Rally, Sack-hüpfen, Schnecken-Rally, Angel-Spiel, Skater-Rampe.Sonstiges: Second-Hand Markt, Speis und Trank.

Seyni

Schirmherrschaft: Kajo Breuer, Bürgermeister der Stadt Saarbrücken.

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6 aus 1/4Fotograf ien von > André Mailänder

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...mehr als nur CD.

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rotzvon > Véronique Verdet

I l lustrat ionen > Undine Löhfelm

Das Pfeifen in seiner Brust verwandelt sich inein lautes Rauschen, wandert nach oben.Nichts zu machen. Es muss raus. Er hustet,

spürt wie der Schleim auf seiner Zunge landet,überlegt kurz, ob er ihn runterschlucken soll. Nein.Dafür ist der Brocken zu dick.Wäre schade drum.Er schiebt ihnmit seiner Zunge in die linke Backe.Die Masse gleitet geschmeidig in seinemMund.

Früher einmal hat er gerne Austern geges-sen. Das Aufbrechen der harten Schale, das fastunmerklicheZuckendes Tieres,wenn es die Zitro-ne spürt. Den salzigen Geschmack der Gischt aufder Zunge zergehen lassen. Früher einmal war erein ausgezeichneter Schwimmer gewesen. Früher.

Ans Meer kommt er nicht mehr. Es ist zuweit. Er würde lieber am Meer sterben. Manch-mal stellt er sich vor, das Pfeifen in seiner Brustwäre das Rauschen des Ozeans vor seiner Tür. Esberuhigt ihn.

Er ist aber jetzt nicht am Meer bei seinerGroßmutter, sondern hier in diesem armseligenZimmer, und das, was auf seiner Zunge liegt, istkeine Auster. Es ist Schleim und dermuss raus. Erspuckt den kleinen Zeh großen Brocken auf seineHandfläche, verschließt die Hand. Dicht. Nur ei-nen Augenblick, nur um die Konsistenz und dieWärme zu spüren.

Er kann derVersuchung nicht längerwider-stehen, die Spuren aus seinem Inneren näher zubetrachten. Heute sind die dunklen Punkte wie-der deutlich zu sehen. Er reibt denSchleim in seineHand, bis er einen dieser braunen Punkte zwi-schen Zeigefinger und Daumen hält. Neugierigriecht er daran. Wenn es Nikotin sein sollte, dann

müssteman es doch riechenkönnen.Nein.Mit dersauberen Hand nimmt er einen Zettel aus seinemNotizblock und drückt den grünlichen Schleimdrauf. Die schmierige Hand putzt er an seinerHose ab. In Großbuchstaben schreibt er Datumund Uhrzeit auf den Zettel. Sobald das Blatt tro-cken ist, wird es in seiner Kartei Platz finden.

Der nächste Hustenanfall überrascht ihnbeim Schreiben. Es bleibt ihm keine Zeit, denSchleim imMund zu behalten. DieMasse springtaus seiner Lunge direkt auf den Schreibtisch. DerHusten ist stark, seine Rippen schmerzen, seineAugen füllen sich mit Tränen, seine Lungenbläs-chen reißen – ja, er hört sie förmlich in seinemBrustkorb zerbrechen. Er kämpft, versucht, denAnfall unter Kontrolle zu kriegen. Dieses Malgeht es nicht. Seine Lungen drohen zu explodie-ren, seine Augen quellen hervor. Er ertrinkt. Erverbrennt. Er stirbt. Gebückt bleibt er auf demSchreibtisch liegen. Sehr vorsichtig schnappt ereine kleine Menge Luft, traut sich nicht, seinenKörper zu bewegen, aus Furcht, es könnte gleichwieder anfangen. Sein Kopf ist leer. Nur nochSchmerz. Das Grollen nimmt ab, der Husten ziehtsich zurück tief in sein Inneres, lässt ihn erschöpftund doch erleichtert liegen.

Er will noch nicht sterben. Nicht so. Undnicht hier in dieser billigen, staatlichen Absteige.Seit fünf Jahren lebt er hier. Seit drei Jahren weißer, dass er Krebs hat. Er hätte nicht gedacht, dassdie Krankheit ihm noch so viel Zeit lassen würde.In seinem Alter sollte sie eigentlich schnellervoran schreiten. Irgendwie lebt er immer noch.Seine Hustenkartei füllt inzwischen unzählige

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Zigarettenschachteln, die er ordentlich mit bun-ten Reißbrettstiften über seinem Bett befestigt,sobald sie voll sind. Das Pflegepersonal findet dieCollage sogar ganz hübsch. Es ist nicht hübsch,es ist das genaue Abbild einer unaufhaltsamenKrankheit, die ihn fertig macht. Letztes Jahrwaren die Schleimbrocken noch nicht so dick, diebraunen Punkte nicht so dunkel.

Jetzt ist aber nicht der richtige Zeitpunkt,um darüber nachzudenken. Ermuss den grau ge-streiften Pyjamaausziehenund sich fertigmachen.Die Zeit ist morgens knapp bemessen. Gleichwird die Putzkolonne das Zimmer stürmen, inWindeseile die Kissen klopfen, die Bettpfannenleeren, das Fenster kippen, mit einem dreckigenLappen, husch, husch, über den Boden wischenund wieder verschwinden, nicht ohne laut er-wähnt zu haben, dass das Rauchen im Zimmernicht gestattet sei, und dass selbst er das wohl in-zwischen kapiert haben sollte.

Er wischt mit dem Ärmel den Schleimbro-cken vom Tisch ab.

Schon als kleines Kind übten die Spuren ausseinem Innenleben eine große Faszination auf ihnaus. Sein erstesNasenblutenwar eine große Freu-de gewesen, wenn auch die Schreie seiner hyste-rischen Mutter dem näheren Betrachten seinesBlutes ein jähes Ende bereiteten. Sie rannte zuihm, drehte grob seinenKopf nach hinten, drückteihm einen kalten, nassen Waschlappen auf dieNase und später, als die Blutung nachließ, legtesie ihm einen großen Schlüssel, der sonst überdem Kamin hing, auf den Nacken, mit dem Be-fehl, ihn mindestens zehn Minuten fest auf dieHaut zu drücken. DasMetall war kalt, das spürt erheute noch. Er hatte nicht verstanden, warum erdas tun sollte, aber seineMutter war eine strengeFrau und er hätte sich nie getraut, ihr zu wider-sprechen. Der Abdruck des Schlüssels war denganzen Tag deutlich im Spiegel zu sehen. Er fühl-te sich wie eine Aufziehpuppe. Nur dass die Auf-ziehpuppen seiner kleinen Schwester kein Blut inihrem Inneren hatten. Davon hatte er sich bei ei-nigen, mit peinlicher Sorgfalt durchgeführtenObduktionen vergewissert.

Sein Blut war rot und nicht blau, wie seineMutter immer wieder betonte. Es war dunkelrotund warm und lecker. Bevor sie zu ihm gekom-men war, hatte er Zeit gehabt, einen winzigenTropfen auf die Zunge gleiten zu lassen und zuprobieren. Nicht schlecht. Von da an fügte er sichregelmäßig kleine Verletzungen mit dem Rasie-rer seines Vaters zu und studierte die dunkle Flüs-sigkeit, bevor er sie ableckte.

Schon bald waren seine Unterarme vollerKratzer. Auf die Fragen seiner Eltern antworteteer, diewildenBrombeeren imGarten oder der ver-wirrte Kater Romeo seien schuld daran. Er hättegerne ein Mikroskop bekommen, doch das warseinerMutter zu teuer. Ermusste sichmit der Lupeseines Vaters begnügen.

Auch heute würde er gerne den Husten-schleim unter ein Mikroskop legen, doch wie da-mals muss er sich mit einer gewöhnlichen Lupeabfinden. Sein Zimmergenosse muss ein begeis-terter Philatelist gewesen sein. Auf der gemeinsa-men Kommode liegen drei schwere Alben. Jetztzittert der alte Mann von Kopf bis Fuß, unfähig,auch nur für einen Augenblick seinen Körper stillzu halten, geschweige, eine Briefmarke unter dieLupe zu nehmen. Selbst wenn er bemerken sollte,dass sein Vergrößerungsglas fehlt, könnte er dasniemandem sagen. Der alte Mann ist ein ruhigerZimmergenosse, schaut den ganzen Tag aus demFenster und sagt schon lange kein Wort mehr. Erkann nicht mehr. Die Wörter sprudeln unkontrol-liert aus seinem Mund heraus, vermischen sichmit seinem Speichel, rinnen seinenmagerenHalshinunter, bilden Sätze, die keiner versteht. EinesTages muss er das eingesehen haben. Seitdemredet er nicht mehr. Der ehemalige Briefmarken-sammler schaut wie immer aus dem Fenster undnickt unablässig unsichtbaren Menschen zu.

Sein Vater war auch ein begeisterter Brief-markensammler gewesen. Doch bei Kriegsendehatte die Mutter die wertvollen Alben im Gartenvergraben, aus Angst, die Soldaten könnten siefinden und mitnehmen. Als sie die Stelle untenbeim Kompost endlich wieder gefunden hatte,war es zu spät. Die Marken waren verschimmelt

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und angeknabbert. Ihrem jähzornigen Ehemannhatte sie nicht dieWahrheit erzählt, als er aus derKriegsgefangenschaft zurückkam. Sie sagte ihm,sie hätte die Alben gegen Lebensmittel für dieKinder getauscht. Tatsächlich hatte seineMutter im Laufe der Kriegsjahre oft Sachen beiden Bauern aus der Umgebung getauscht. Siewurde jedes Mal über den Tisch gezogen. DasTafelsilber der Familie brachte ein Pfund ranzigeButter, die Teppiche ihrer Eltern Kartoffeln undÄpfel, die Kunstbücher Möhren und Linsen, diewie von Zauberhand über den Tisch wanderten.

Der Zettel auf dem metallischen,mit Brandspuren übersäten Tisch ist noch zu glit-schig, um in die Schachtel zu kommen. Er legt ihnauf die Heizung. Der Rotz ist heute etwas grün-licher als gestern. Die Ärzte prüfen regelmäßigFarbe und Konsistenz seines Hustenschleims.Doch es kommt nie etwasNeues heraus. DerKrebsschreitet voran, frisst sich durch.

Er solle das doch einsehen und endlich auf-hören zu rauchen, sagen sie zu ihm.

Wozu sollte er jetzt noch aufhörenzu rauchen?Das ist alles, was ihmgeblie-ben ist. Das Rauchen ist seine Leidenschaft undeine Möglichkeit, mit anderen Menschen Kon-takt aufzunehmen. Sein Tagesablauf ist einfach.Er versucht so früh wie möglich im Speisesaal zusein, damit er den Anblick der anderen InsassenbeimSchlürfen des für jedenmundgerecht pürier-ten Futters nicht ertragen muss. Er zwingt sich,ein paar Löffel davon zu essen und macht sichdann so schnell wie möglich auf den Weg nachdraußen. Bis 20 Uhr darf er sich außer Haus auf-halten. Das tut er auch. Tagtäglich seit fünf Jahren.

Doch heute kommt er nicht in die Gänge.Die Schwester hat seine Hose mitgenommen unddafür eine Turnhose auf seinen Stuhlhingelegt. So will er sich nicht zeigen. Ein alter,kranker Knacker in einer hellblauen Jogging-hose, dazu die alten Straßenschuhe. Das gehtnicht. Die Kleider, die er dabei hatte, als er hierankam, sind längst weg. Sie wurden peu à peudurch neue beziehungsweise abgetragene Klei-dungsstücke von Fremden ersetzt. Es widerstrebt

ihm, getragene Sachen anzuziehen. Er muss aberunbedingt bald nach draußen. Fünf Zigarettenhat er noch. Er muss raus.Die Sonne scheint. Immerhin. Die Leute sind spen-

dabler, wenn der Himmel blau ist.Wenn alles bloß so einfach wäre. Wenn das

ganze Leben nur eine Frage der Witterung wäre.Dann wäre er in ein sonnigeres Land gezogen. Erhätte eine Familie und wäre jetzt vermutlich einzufriedenerGroßvater auf einer schattigenVeran-da. Vor ihmwürde dasMeer rauschen, seine Frauwäre noch bei ihm. Falls es regnen sollte, würden

sich die Leute freuen und, nicht wie hier,das Gesicht verschließen und die anderen Men-schen als Hindernisse auf ihrem nassen Weg an-sehen.

Anfangs, als er sich noch nicht traute, Frem-de auf der Straße anzusprechen, hat er versucht,auf Tabak umzusteigen. Doch das mühsame Dre-hen im Freien, die gelben Finger, die Krümel, dieseine Kleidung und sein ganzes Bett bald bedeck-ten, das alles war ihm zuwider.

Schnorren ist gar nicht so schwer. Er erzähltdenLeutenLebensgeschichten.Siekommen

gut an.Besser als seineHustenkartei. Eine Schach-

tel hat er einmal einem jungen Burschen, der hierfür kurze Zeit gearbeitet hatte, gezeigt. Der Jungewar angewidert, gar schockiert, wollte ihn über-zeugen, dass so was nicht ginge, dass es ekelhaftsei, seinen Hustenschleim aufzubewahren. Eshätte keinen Sinn gehabt, ihm zu erklären, wa-rum es wichtig war, die eigenen Spuren zu sam-meln und zu katalogisieren.

Seitdem hat er nie wieder jemandemdavonerzählt. Sein Zimmergenosse kriegt das zwarmit,kann es aber niemandem sagen.

Seine kleine Schwester hätte ihnmit Sicher-heit verpetzt. Wie damals, als sie ihn dabei er-wischte, wie er den Eiter aus einem der gelbenPickel, die sein Gesicht seit seinem zwölftenLebensjahr übersäten, auf ein Blatt Papier strich,um ihn mit Hilfe von Tesafilm zu konservieren.Sie hatte geschrieen undwar zurMutter gerannt,die blöde Petze.

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Die kleine Schwester würde auch über dieblaue Jogginghose lachen, wie sie immer darübergelacht hatte, wenn er die Hosen des Vaters, dieihm auch zu lang und zu groß waren, anziehenmusste.

Lange her. Tot. Der Vater auch. Zu denGrä-bern ist er nie gegangen. Pietät. Keine Pietät. Vaterliegt in seiner Heimatstadt zusammenmitMutter. Die Schwester mit ihremMann und ihrenverbrannten Kindern in Italien in der Nähe derAutobahn, wo der Unfall passiert ist.

Er wird vermutlich hier auf demkleinen Friedhof begrabenwerden. Aber darübermacht er sich selten Gedanken.

Jetztmuss er nachdraußen, das Pensumein-halten. Er zieht den Pulli über den laschenHosen-bund, verspürt einen kurzen Schmerz, als er imKleiderschrankspiegel die magere Gestalt in derlächerlichen Montur sieht.

Er braucht 40 Zigaretten. Die einzige wirk-lichGute ist immer die Erste.Wenn derGeist nochschlaftrunken ist und die Umgebung noch nichtin ihrer ganzen Trostlosigkeit wahrnimmt,wenn er sich für einen kurzen Augenblick nochvorstellen kann, er sei bei seiner Großmutter, siewürde gleich ins Zimmer kommen und nicht einesvon diesen unfreundlichen jungen Mädchen, dieihm jedenMorgen unsanft Fiebermessenwollen.Doch bevor die Schwester kommt, muss er dieerste Zigarette des Tages rauchen. Seine rechteHand greift automatisch zur Schachtel. Der ersteZug brennt durch die Luftröhre, füllt seinen Kopfmit bunten Sternen. Er sinkt zurück auf dasdünne Kissen.

Großmutter kommt gleich herein, öffnet dieFensterläden und sagt, wie jeden Tag:

– Ein wunderbarer Morgen, um an denStrand zu gehen. Aufstehen! Los, los!

Den ganzen Tag amMeer.Wenn ihm kalt wurde, weil er zu lange im

Wasser gebliebenwar, schrubbte ihm seineGroß-mutter den Rücken, sagte, er würde bald Flossenund Schuppen bekommen, lachte so schön. Ihmwurde direkt wieder warm. ZumMittagessen gabes meist Salatgurken mit hartgekochten Eiern,

dazu Wassermelone oder Grapefruits, die einwenig aussahen wie die Seeigel, die er von denFelsen pflückte, um sie vorsichtig aufzuschneidenund das orangene Fleisch mit einem kleinenLöffel zu essen. Seine kleine Schwester ekeltesich immer, dochOma freute sich sehr,wenn er siemit seinemFangüberraschte. Einen Seeigel ließ er

immer frei. Zuvor legte er ihn auf seineHandfläche und genoss das aufregende Prickelnder tausend Stacheln auf der Haut. Dabei schlosser die Augen und stellte sich vor, was sich hinter

dem angenehmen Gefühl noch verbergenkönnte. Er spürte das Kribbeln bis in den Rückenund versuchte konzentriert, das Gefühl zu verstär-ken. Leise verabschiedete er sich dann von demTier und brachte es zu den Felsen zurück.

Die kleine Schwester hatte großeAngst, voneinemSeeigel schwanger zuwerden. ImBiologie-unterricht hatte sie gelernt, dass die männlichenStachelhäuter ihre Spermien einfach durchsWas-ser schleudern und sie fürchtete, mit einemweib-lichen Seeigel verwechselt zu werden.

– Sie sollen nicht im Zimmer rauchen. Siesollen überhaupt nicht rauchen!

Da ist sie schon, die mollige, rothaarigeSchwester! Ihre Stimme krächzt, ihre kleinen undzu eng liegenden Augen schauen ihn vorwurfs-voll an. Sie trägt einen zu kurzenKittel, ihre Beinesind dicklich, blaß und schlecht rasiert. Er antwor-tet nicht, dreht sich um, nimmt den nun trocke-nen Zettel vom Heizkörper und steckt ihn inseine Tasche. Sein Zimmergenosse beobachtetihn, macht den Mund auf, erinnert sich, dass eszwecklos wäre und schließt ihn wieder.

Ohne die Schwester auch nur mit einemBlick zu würdigen, verlässt er das Zimmer.Treppe runter, schnell an den bunt bemal-ten Seidentüchern, an den Kunstwerken

ausWäscheklammern, an den unzähligenWasser-lilien vorbei, schnell raus hier.

Sonne. Kalte Wintersonne. Seine Augenblinzeln, für einen Augenblick ist er blind. DreiFeuerwehrautos rasen an ihm vorbei. Das grelleLicht durchdringt seine geschlossenen Lider. Dieallzu bekannte, laute Geräuschkulisse füllt sei-

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nen Kopf. Unschlüssig bleibt er stehen. Eigent-lich würde er am liebsten zurück in sein Bettgehen, die Decke über den Kopf ziehen und ver-suchen, sein Leben neu zu träumen. Weit wegvon diesem Haus, von diesen großen Fenstern,die er nicht einmal aufmachen darf.

Bei seiner Großmutter gab es keine Dop-pelverglasung, zeitweilig gab es überhaupt keineScheiben mehr in den Fenstern. Das war kurznach dem Krieg, bevor sein Vater aus der Gefan-genschaft zurückkam. Eine schöne Zeit.

Eines Tages kam ein großer, abgemagerterMannnachHauseunddie Familie zogum.DerVa-ter wollte nicht bei derMutter seiner Frau bleiben.Es hatte lange gedauert, bis er zu demwortkargen,cholerischen Fremden „Vater“ sagen konnte. Dasneue Haus war klein, marode, kalt und sehr dun-kel. Es hatte kein Klo und so stand, zumindest imWinter, ein Nachttopf vor jedem Schlafzimmer,der früh morgens von seiner Mutter geleertwurde. Manchmal begegnete er nachts seinerkleinen Schwester, die ihren vollen Topf vor dieTür stellte. Der Flur stank nach Urin. Es war eklig,aber noch ekliger war es, mitten in der Nacht inden dunklen Garten zu gehen, um im Stehen, ausAngst vor dem Ungeziefer, in dem kleinen Holz-verschlag sein Geschäft zu erledigen.

Ausgerechnet jetzt müsste er pinkeln. InsCafé braucht er nicht zu gehen. Am liebsten pin-kelt er unter der Dusche. Das Entleeren seiner vol-len Blase unter demWasserstrahl gibt ihm einGe-fühl der Freiheit. Er spürt gerne die warme, gelbeFlüssigkeit auf seinen Füßen, die Erleichterung,gleichzeitig das wohltuende heiße Wasser aufdemmüden Körper.

Schöner nochwar es, imMeer zu urinieren.Um ihn herum bildete sich ein warmer Kreis. Füreinen Augenblick war es, als ob er Herrscher überden ganzen Ozean wäre. Sein Körper nicht mehrvorhanden, die Augen geschlossen. Es war, als ober nur Geist wäre – und frei.

Wunderschön war es am Meer. Schnell dieKleider in den Sand werfen, ans Ufer rennen undins kalte Wasser springen. Seine Mutter undseine kleine Schwester dagegen gingen sehr vor-

sichtig mit dem nassen Element um. Sie tastetensich langsamundmeist kreischendvoran, befeuch-teten ihreNacken, ihre Bäuche und ihreGesichter.Erst dann gingen sie ein paar Schritte vorwärts.Die Prozedur dauerte ewig. Waren sie endlich imWasser, blieben sie in der Regel nur kurz drin undschrieen, er sei wahnsinnig, es sei viel zu kalt under würde sich den Tod holen. Anschließend ver-steckten sie sich, weiterhin kreischend, unterselbstgenähten, riesigen Säcken mit einem einzi-gen Gummizug um den Hals und tanzten denTanz der Prüden. Sie sahen aus wie große, bunteMaden in ihren mobilen Umkleidekabinen. Alserstes fiel meistens der nasse B.H. in den Sand.Die kleineSchwester, obwohl sie nochkeineBrüstehatte, bestand auf einem eigenen, von der MuttergestricktenOberteil. Dann legten sie sich imSchat-tenunter den Sonnenschirm, aßenKekse, versuch-ten Preisrätsel zu lösen, kämmten sich gegenseitigdas langeHaar und riefen ab und zu nach ihm. Erhörte nicht auf sie, tauchte unter. Das Wasser imFrühling war an manchen Tagen so kalt, dass seinSchädel drohte zu zerbrechen, irgendwie. DieseSchrecksekunde, einmal überwunden, ließ ihn sichwie neugeboren fühlen. Tag für Tag. Im Wasserwar er frei. Sich im Meer den Tod zu holen wäreschön. Seiner Großmutter war es gelungen. EinesMorgens war sie zum Strand gegangen und nichtmehr wiedergekommen.

Er muss jetzt dringend pinkeln. Aber wo?An der mit Graffiti beschmierten Wand in derGasse neben dem Supermarkt? Dort tun es viele.Er nicht. Nie.

Das hat ihm seine Frau hoch angerechnet.Wenn sie gemeinsam zu seiner Großmutter fuh-ren und die ganze Nacht und den ganzen darauffolgendenMorgen unterwegswaren, hielt er sichimmer solange zurück, bis eine Raststätte in Sichtwar. Erwusste, wie sehr sie das Bild eines amStra-ßenrand urinierenden Mannes verabscheute. Eswaren wunderbare Autofahrten. Sie sorgte fürProviant, Zigaretten,Musik undUnterhaltung. Erfuhr. Sie erzählte vom Vietnamkrieg, Folien-schweißgeräten im Angebot, seltsamen Fischen,die anderOstküsteAustraliens aufgetauchtwaren,

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von einem Buch, das sie gerade las und das sieso sehr faszinierte, dass sie es ihm von Anfangbis zum Schluss nacherzählte, von ihrer Kind-heit, vonder neuen, zweifarbigenMayonnaise,die sie auf die Sandwichs geschmiert hatte.Es war herrlich, mit ihr die ganze Nacht amSteuer zu verbringen, zu viel zu rauchen, zuviel Kaffee zu trinken.

EinesNachts, siewaren fast bei seinerGroßmutter angekommen, war sie gegangen.Sie lag ruhig auf dem Beifahrersitz, schien zuschlafen. Doch sie schlief niewährend einer Fahrt.Er musste anhalten, sich übergeben, in die Hosepinkeln, noch mal brechen, wie als Kind im Auto,als sein Vater, trotz der Bitten seiner Mutter, diebilligen Zigaretten rauchte und seine kleineSchwester und er ganz grün im Gesicht wurdenund sich gegenseitig voll kotzten.

Aber in dieser Nacht war er alleine. Er hattegeschrieen, seineNase lief, blutete bald. Er bekamkeine Luft mehr, dachte, auch er würde sterbenneben der offenen Beifahrertür und seiner totenFrau. Einfach so. Er lag lange ohnmächtig amStraßenrand. Eswurde bereits hell, als er sich dazuentschließen konnte weiterzufahren, ohne zu be-fürchten, den Verstand für immer zu verlieren.

Den ganzenWinter hat er versucht, neu ge-boren zuwerden. JedenMorgen ist er zumStrandgegangen, um ins eiskalteWasser zu springen, zutauchen und die Luft so lange anzuhalten, bis siesich wie Eis in seinen Lungen anfühlte.

Heute ist die Luft eisig. Die Kälte durch-dringt seinenSchädel, schärft seineSinne. Er spürt,wie der nächste Hustenanfall nach oben kriecht,befürchtet, seine Blase nicht kontrollieren zukönnen und auf die Straße zu pinkeln.

Sein Vater sagte immer, ein Mann müsselernen, sich zu beherrschen. Darin war sein Vaterganz gut, er zeigte niemals seine Liebe, seineFreude, seine Ängste. Er zeigte nur seine Wut.

Die Kontrolle verlieren. Den Speichel seinesZimmernachbars, während er schläft, klauen. Derdicken, rothaarigen Schwester unter den viel zukurzen Kittel schauen und laut lachen. DemVaterin die Eier treten, während er neben dem Auto

pinkelt, obwohl er genauweiß, wie sehr sich seineSchwiegertochter davor ekelt. Seiner Schwesterdie Wahrheit über den Mann sagen, der jetzt ne-ben ihr und den verbrannten Kindern liegt.

Die Kontrolle verlieren und das spärlicheMobiliar in seinem Zimmer kaputt schlagen. DieWasserlilien entwurzeln und an die hellblauenWände schmeißen. Die bunt bemalten Seiden-tücher mit seinem Benzinfeuerzeug anzünden.Das pürierte Futter auf den Tisch kotzen. SeinenSchleim nicht mehr fein säuberlich auf Kartei-karten konservieren, sondern direkt über sein Bettan dieWand schmieren. Keine Geschichtenmehrerzählen. Einfach denen, die ihm keine Kippengeben, in die Fresse spucken. Die dämlichen Stu-denten, die bei einem einzigen Kräutertee stun-denlang die besten Tische am Fenster besetzen,solange durch die Scheibe anstarren, bis sie sichschämenunddenBlick abwenden.Auf die Scheibesabbern oder gar wichsen wie der Alte, der eineZeit lang das Zimmer nebenan bewohnte undeines Morgens über seinem Apfelmus verstarb.Den jungen Frauen anzügliche Witze nachrufenund die alten Schabracken mit Übergewicht undkleinen Schoßtieren auf ihren aufdringlichenFischgestank aufmerksam machen. Seiner Rollegerecht werden:

Ein alter, kranker Mann aus dem Heim zusein, mit hellblauer Jogginghose und abgetrage-nen Straßenschuhen.

Ein Schnorrer.

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Reklame

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Doch das wird er nicht tun. Nein, er wirdnicht auffallen. Er will nicht einer von denenwer-den, die das Gespött der Leute auf sich ziehen,wie die Alte aus dem dritten Stock, die mit ihrenWutanfällen ein beliebtes Opfer bei den Kinderndes Viertels ist. Sie verfolgen sie, miauen dabeiwie tollwütige Katzen, bis sie fassungslos stehenbleibt und anfängt zu schreien. Ihr Gesicht wirddunkelrot, ihre Adern schwellen an, ihr Anblickgleicht der einer Besessenen. Sie brüllt los ineiner für niemand verständlichen Sprache, gesti-kuliert mit geballten Fäusten, stampft mit den Fü-ßen. Es ist alles, was sie tun kann. Die Kinderhaben keine Angst und machen so lange weiter,bis sie schreiend die Flucht ergreift und ins Heimzurückrennt.

Die Kindermachen ihmAngst, aber er wirddie Kontrolle nicht verlieren. Er wird jetzt in die

Einkaufspassage laufen, dort endlich pinkeln, ge-nügend Zigaretten zusammenschnorren, umüberden Tag zu kommen. Irgendwann heute Abendnach Hause – nach Hause! – gehen. Mit all denanderen im Speisesaal das Abendbrot herunter-schlingen. Sich in sein Zimmer zurückziehen. Diebesten Hustenspuren des Tages nach Uhrzeit indie Sammlung einsortieren. Seine Medikamenteschlucken. SeinemZimmernachbar auf die Schul-ter klopfen. Sich in das zu weiche Bett legen.Hoffentlich schnell einschlafen. Und – vielleicht –von seiner Frau träumen.

Bald, und bis dahin muss er das alles aus-halten, wird sich Blut unter die braunen Punkte inseinem Schleim mischen, dann wird seine Karteivollständig sein, dannwird auch er endlich gehenkönnen.

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S C H R E I S S E !

von > Daniela Pass

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♦ Litho, Druck:Repa-Druck, Ensheim

♠ Mitwirkende (danke, sie warn bezaubernd!):

♠ flixwurde geboren. Er lebt und zeichnet in Saarbrücken. > www.der-flix.de

♠ Mazze Gasperslebt in Mazzes Bingo-Hölle und ist designierter Autominister der Vereinigten SaarländischenEmirate.

♠ Martin Huppertist Dr. Pop und designierter Minister für Desinformation und Gewährleistung der VereinigtenSaarländischen Emirate. > [email protected]

♠ Ralf Leisist Dipl.-Kommunikations-Designer, deeskalierend und ein Häuptling von schillingundfreunde.> r.leis@schillingundfreunde

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♣ Ebenso bedanken wir uns bei unseren Anzeigenkunden, die diesesProjekt ermöglicht haben.

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♣ Alle Rechte vorbehalten. Abdruck nur mit ausdrücklicherGenehmigung der Autoren oder Herausgebern.

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nauwieser viertel oderauch chinesenviertelja, warum eigentlich?der exotischen kosung

auf den grund gegangen

von > Frank Schi l l ing

Foto Mister Lee von > Ralf Leis

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts – Wil-helms Zeiten, die Kinder rannten in Matro-senanzügen durch die Strassen, war das

Viertel noch ein beschaulicher Zweig wenigerStraßen, die sich den Weg von St. JohannRichtung Nordosten bahnten. Die Bautätigkeithatte vor gerademal vierzig Jahren begonnen.Nur ein Platz war von Größe, der Landwehrplatz.So, wie es klingt, Truppenaufzugsgebiet der re-

publikanischen Garden gegen alle und alles,was nicht so ist wie wir. Aber, und wie sollte esanders sein, ein Fünkchen Licht und Diversifika-tion durchdrang die Tristesse. Die Einfach-nutzung einer öffentlichen Fläche war denhohen Herren der Stadt zu wenig und so gastier-te der Völkerverständigung zuliebe, ein- biszweimal im Jahr ein Zirkus auf dem Paradeplatz.

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Zirkus auf dem Landwehrplatz, heute un-weit den Gelegenheiten des Amüsements unse-rer Zeit. Zirkus – archaische Bühne der Super-lative von Kraft, Geschick, Pracht und Eros.

Zirkus war eine andere Welt, virtuell unddoch zumGreifen nah. Und ganz so, als läge hiernoch heute der Grund für das gute Miteinanderder verschiedenenMenschen im Viertel, war derZirkus auf eine besondere Weise nah. Näher, alswir das heute kennen.

Der Zirkus gastierte und die Artisten lo-gierten. Der Zirkusdirektor und seine Größenbewohnten komfortable Wagen oder bezogensogar Suiten in einem Hotel. Doch gewöhnlicheArtisten, Musiker und all die vielen helfendenHände fanden ein Heim entweder unter derPlane oder in einem Fremdenzimmer. Jongleure,Akrobaten, Kontorsionisten aus aller Welt, vorallem auch aus dem Orient. Fremde prägte dasBild des Zirkus.

Die Gäste fanden Unterkunft in Etagen-stuben, Dienstmädchenzimmern und Gesinde-häusern. Sie waren beliebter Nebenerwerb,Stars ihrer Zeit und, nicht zu unterschätzen –Exoten, von denen immer ein besonderer Reizausging. Man muss sich das so vorstellen: eineBand von heute, sagen wir mal The Strokes

geben ihr Repertoire zum Besten. Oder noch bes-ser das Ophüls-Festival feiert neue Filme und dieganze Stadt ist begeistert. Das Beste aber – dieStars und Sternchen sind nicht im Tourbus oderLeidinger Hotel untergebracht, sondern nachder Show geht´s in ein privates Quartier.

Bei einer Spielzeit von zwei bis dreiWochen war der Nähe oder nächsten Nähe unterdiesen Umständen größter Raum zur Entfaltunggegeben. Ebenso erlag manche Ur- oder Urur-großmutter dem Charme Asiens in Form des Zir-kusmitbewohners. Und Im Abstand von neunMonaten, erzählt man, blieb es nicht aus, dasshier und da die Früchte solcher Gastspiele man-deläugig imViertel das Licht derWelt erblickten.

Naja und wie der Mensch sein kann, wirwissen es selbst, wenn sich so etwas nur zwei bisdreimal zugetragen hat, dann sagt irgendeinerüber die Kinder mit den Matrosenanzügen, denschwarzen Haaren und den schmalen Augen: Dalaufen doch Chinesen durchs Viertel und unver-sehens...

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Na, was braucht ein gutes Journal noch? Richtig, ein Rezept zum Nachkochen. Ausgeplaudertvon Jenny & Tina. Für Patchwork-Familienfeiern, gutbürgerliche Skatrunden, professionellesBandcatering oder ein solides Candlelight-Dinner.

Heute:

Zutaten:1 kg mehlig kochende Kartoffeln1 – 2 Karotten1/4 Kürbis1 Stange Lauch2 Gemüsezwiebeln1/2 Bund Petersilie1 TomateWasserÖlSalz, Pfeffer, Muskat, 1 Esslöffel Kürbiskernöl,1 Becher Creme Frâiche oder Sahne

Zubereitung:Lauch, Karotten und Kartoffeln putzen, waschen und in Stücke schneiden. Die Tomatenschälen und entkernen. Diese Zutaten in kochendes Wasser geben. Die Wassermenge sollte denInhalt des Topfes gut einen Zentimeter bedecken. Eher nachträglich noch Wasser hinzugeben.Circa 20 Minuten kochen lassen und nach 10 Minuten Kürbisstückchen hinzugeben. Dann nachGeschmack würzen.Die Suppe von der Kochfläche nehmen. Mit einem Quirl oder Pürierstab cremig rühren undCreme Frâiche unterheben. Jetzt noch einmal kurz auf die Herdplatte stellen. In der Zwischenzeitdie Gemüsezwiebeln in feine Würfel schneiden und in wenig Öl goldbraun braten. Die Zwiebelnin die Suppe geben. Die fertige Suppe auf die Teller portionieren und mitgehackter Petersilie bestreuen. Geröstetes Brot dazu reichen.Bon appétit!

Anmerkung der Redaktion: JunggesellInnen sei empfohlen, die Zutaten einfach zu vierteln!!!

nachschlag

kartoffelkürbissuppe

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