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INTERVIEW: KARL WEBER, BILDUNGSEXPERTE Magazin der EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Nr. 11 September 2006 – November 2006 THEMA: WIE KLEINFIRMEN LERNEN e EB KURS Mit 8 Seiten Journi-Journal

EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2006

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Wie Kleinfirmen lernen

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Page 1: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2006

INTERVIEW: KARL WEBER, BILDUNGSEXPERTE

Magazin der EB ZürichKantonale Berufsschule für WeiterbildungNr. 11September 2006– November 2006

THEMA: WIE KLEINFIRMEN LERNEN

e

EBKURS Mit 8 Seiten

Journi-Journal

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AGENDA «Das Web 2.0 erläutert am Beispiel von AJAX»

Fachvortrag von Sascha Corti

Mittwoch, 6. September 2006, 19.00–21.00 Uhr im BiZEWer sich mit Internet-Technologie auseinander setzt, kommtkaum um den Begriff «Web 2.0» herum. Sascha Corti von Microsoft Schweiz zeigt, was sich dahinter verbirgt, underläutert AJAX (Asynchronous Java and XML), eine dertragenden Innovationen von «Web 2.0», anhand vonpraktischen Beispielen.

Weitere Aktualität aufwww.eb-zuerich.ch/veranstaltungen

EB AUF KURS2

QUALITÄT SICHERNGutes wird besser. Seit diesem Sommer führt die EB Zürich eine einheitliche Evaluation ihrer Lernangebotedurch. Mit einem standardisierten Fragebogen werdenRückmeldungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmerneingeholt und ausgewertet.

Waren Sie im richtigen Kurs? Hat mit der Kursadministration alles ge-klappt? Haben Sie die Lernziele erreicht? Sind Sie zufrieden mit dem An-gebot? Auf diese und ein paar weitere Fragen wünscht sich die EB Zürichmöglichst aussagekräftige Antworten von ihren Teilnehmerinnen undTeilnehmern, damit sie ihre Dienstleistungen auch in Zukunft optimalabstimmen kann.

WIE WIRD EVALUIERT? Am Ende eines Kurses oder Moduls wird einstandardisierter Fragebogen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmerverteilt. Die Fragen betreffen die administrative Abwicklung, die zurVerfügung gestellte Infrastruktur, Kursgestaltung und -leitung sowiedie Inhalte. Neben diesen Standardfragen besteht für die Teilnehmerin-nen und Teilnehmer auch die Möglichkeit, eigene Anmerkungen anzu-bringen.

WARUM WIRD EVALUIERT? Die Kursleitung erfährt durch die einge-gangenen Antworten, wie weit es gelungen ist, die Inhalte in sinnvolleLerneinheiten umzusetzen. Daraus kann sie Schlüsse ziehen für einenächste Durchführung. Die EB Zürich als Ganzes erhält Informationenüber die Qualität des Angebots und kann auf positive wie negative Rück-meldungen reagieren.

WAS PASSIERT MIT DEN FRAGEBOGEN? Die Fragebogen werden vonder Administration erfasst und die Antworten zusammengefasst. Für dieTeilnehmerinnen und Teilnehmer wichtig zu wissen: Diese Zusammen-fassungen werden anonymisiert und die Daten vertraulich behandelt.

Eine klug durchgeführte Evaluation ist ein Steuerinstrument, ohne dasmoderne berufliche Weiterbildung nicht mehr auskommt. Die EB Zürichkann so die Anliegen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern noch bessererfassen.

Evaluation ist ein Teil eines Regelkreises,welcher die Qualität der angebotenen Dienst-leistungen sichert.

VORMERKEN!

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INHALTEDITORIAL 3

5 ChuchichäschtliSchwiizertüütsch isch e chli andersch.

6 Lernende KleinstunternehmenDer Waschsalon muss mit der Zeit gehen.

13 Beilage Journi-JournalAngehende Journalistinnen und Journalisten schreiben über Bücher.

22 Mission TheaterRoger Nydegger in Afrika.

24 Was Frauen alles könnenSelbstbewusst im Arbeitsmarkt.

26 Die Bildungsschere öffnet sichKarl Weber im Gespräch.

29 Kunst am BauEine Welle von Willy Wimpfheimer.

STANDARDS

02 EB auf Kurs

03 Editorial

04 Bemerkenswert

21 Tipps und Tricks

30 Kultur: Lesen, hören, sehen

31 Comic

Die Herausforderung annehmen

«Mögest du in interessanten Zeiten leben.» Das wünschen Chinesen Mitmen-

schen, die sie nicht leiden können. Wohl im Bewusstsein, dass interessante

Epochen nicht immer einfach sind. Nun, die Chinesen wie auch wir durchleben

eine interessante Zeit. Wie rasend schnell sich doch alles verändert!

Um den Herausforderungen körperlich gewachsen zu sein, passen wir unseren

Lebensstil an, achten auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Und geistig?

Sind wir auch um eine regelmässige Weiterbildung besorgt? Irgendwie geht's

immer, systematisch planen tun es die wenigsten: Angestellte von Kleinfirmen

bilden sich gerade einmal einen halben Tag weiter – pro Jahr (siehe Titelge-

schichte ab S. 6)! In einem Land, in dem 86% aller Unternehmen Kleinstunter-

nehmen sind, ist das von Brisanz.

Serge Schwarzenbach, Herausgeber

PS Beachten Sie auch die Beilage in der Mitte dieser Ausgabe. An der EB Zürich

lernende Journalistinnen und Journalisten haben sie gestaltet (ab S. 13).

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5 Deutschland

22 Burkina Faso

26 Schweiz

IMPRESSUM • EB KURS NR. 11 / SEPTEMBER 2006 BIS NOVEMBER 2006 • MAGAZIN DER EB ZÜRICH • KANTONALE BERUFSSCHULE FÜR WEITERBILDUNG ZÜRICH • RIESBACHSTRASSE 11 • 8090 ZÜRICH• TELEFON 0842 843 84 • FAX 044 385 83 29 • INTERNET WWW.EB-ZUERICH.CH • E-MAIL [email protected] • AUFLAGE 33 000 • HERAUSGEBER (FÜR DIE GESCHÄFTSLEITUNG:) SERGESCHWARZENBACH • REDAKTION CHRISTIAN KAISER, FRITZ KELLER • GESTALTUNG ATELIER VERSAL, PETER SCHUPPISSER TSCHIRREN, ZÜRICH • TEXTE ANJA EIGENMANN, CHRISTIAN KAISER,ILKA STENDER, CHARLOTTE SPINDLER, MARGRIT STUCKI • FOTOS PHILIPP BAER, LUC-FRANÇOIS GEORGI, RETO SCHLATTER • ILLUSTRATIONEN EVA KLÄUI, RUEDI WIDMER • DRUCK GENOSSEN-SCHAFT ROPRESS ZÜRICH •

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BEMERKENSWERT4

GESEHEN, GEHÖRTAUGENSCHMAUSGUTE VERPFLEGUNG. Dass es auf dem Dach des BiZEein Bistro mit Rundsicht gibt, hat sich längst herumge-sprochen. Dass neuerdings auch Sonnenuntergang underleuchtete Skyline mit im Angebot sind noch nicht: Die Öffnungszeiten wurden bis 20.30 Uhr verlängert –inklusive Salatwägeli des Frauenvereins. Denkarbeiter-innen und -arbeiter mit Abendkursen wirds freuen. In derneuen Cafeteria im Kurslokal in Altstetten (Max-Högger-Strasse 2) ist hingegen Frühschicht angesagt: Vielekommen bereits vor 8 Uhr für dampfenden Kaffee undGipfeli. Der Kaffee ist so gut, dass die Selecta erwägt, ihreAutomaten abzuziehen.

FOTOGRAFIEINSZENIERUNG TOTAL. Ein Kleinod hat sich im welt-weiten Netz verfangen: www.stagedphotography.ch.Staged Photography ist inszenierte Fotografie, der Künst-ler steht dabei vor und hinter derKamera, übernimmt die Regie undschlüpft in Rollen. Die Website, die imAusbildungslehrgang «Webpublisher»der EB Zürich entstanden ist, zeichnetnicht nur akribisch die Geschichte derinszenierten Fotografie nach, sie enthält auch zahlreicheBildergalerien und Shows mit extrem schrillen, skurrilenoder obszönen Fotos. Eine Augenweide für alleBildermenschen, ein Fundus für alle Fotografie- undKunstinteressierten. Gut, dass es Selbstauslöser gibt.

SCHREIBENRICHTIG IM FLUSS. Schreiben lernen, ist das möglich?«Prozessorientierte Schreibdidaktik» ist ein Buch, das aufdiese Frage eine positive Antwort gibt. Schreiben kanngelernt werden, wenn es «jenseits der Vermittlung ele-mentarer Regeln und Normen» passiere. Schreiben heissenicht nur Wörter und Sätze aneinanderreihen, sondernSchreiben sei «eine Art Denklabor, in dem sich das Wissender Welt mit eigenen Anschauungen verbinden lässt».In verschiedenen Beiträgen zeigen Expertinnen undExperten – unter ihnen die EB-Kursleiterinnen MarianneUlmi und Madeleine Marti – wie ein entsprechendesSchreibtraining aussieht. (Erhältlich im Buchhandel für42 Franken.)

PREISHOHE ANERKENNUNG. Hervorragende Projekte in derberuflichen Aus- und Weiterbildung auszeichnen – diesesZiel hat sich die Stiftung Enterprise gesetzt. Sie setzteeinen Preis – den Enterprize – aus, um den sich 20 Projek-te bewarben. Nun hat eine prominent besetzte Fachjurydrei Finalisten bestimmt. Nebst einem Coachingprojekt der kantonalen Berufs- und Studienberatung Solothurnund einer Juniorfirma der Maschinenfabrik Rieter AG inWinterthur kam auch das Lernfoyer der EB Zürich in dieKränze. Nachdem sich alle drei auserwählten Projektenochmals präsentieren mussten, wird am 28. September2006 in Zürich der Gewinner gekürt. Bitte Daumendrücken.

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PORTRÄT 5

Man hat mir schon gesagt, dass die Schweizer esgar nicht mögen, wenn Deutsche Schweizerdeutschsprechen, weil sie es sowieso nicht können. Bestimmttönt mein eigenes Züritüütsch noch etwas merk-würdig. Gewisse Laute höre ich nicht richtig heraus,zum Beispiel dieses ‹Ä›,das so weit hinten im Hals aus-gesprochen wird. ‹Wältmeischter› klingt in meinenOhren fast wie ‹Waldmeister›. Aber der Dialekt färbtbereits auf mich ab. Zum Beispiel fahre ich jetzt Velound nicht mehr Fahrrad, und statt mich zu verabre-den, mache ich ab. Mit Ausnahme von speziellen Aus-drücken, die vom Hochdeutschen völlig abweichen,verstehe ich das Schwiizertüütsch mittlerweile pro-blemlos. Nur Bärntüütsch finde ich schwierig.

Es herrscht eine schöne Atmosphäre in meinerKlasse.Wir stammen aus allen Ecken der Welt: Kasach-stan, Brasilien, Iran, Tessin. Viele leben schon seit Jah-ren in der Schweiz. Lustig wird es, wenn wir einanderSchwiizertüütsch-Anekdoten erzählen. Ich zum Bei-spiel hatte im Winter einen Snowboard-Unfall undrief bei der Versicherung an. Der Mann am Apparatfragte: ‹Händ Sie dä Unfallschii no?›, worauf ichmich fragte: ‹Wieso Ski? Ich bin doch Snowboardgefahren.›»

«Das Wort ‹Chuchichäschtli› hatte ich bereits beimeinem ersten Aufenthalt in der Schweiz vor dreiJahren gelernt. Damals war ich zwei Wochen fürWorkshops in Zürich,und die Stadt gefiel mir.Ich magdie Landschaft, die Berge. Ich hatte früher als Infor-matiker bei Siemens in Braunschweig/Niedersachsengearbeitet. Dann bewarb ich mich beim Standort inZürich. Seit Oktober letzten Jahres wohne ich nun inder Limmatstadt. Ab November besuchte ich meinenersten Kurs in Züritüütsch.Inzwischen bin ich bei denFortgeschrittenen, und ich werde das so lange weiter-führen, wie es mir Spass macht. Ich interessiere michallgemein für Sprachen, und ich reise auch gerne. Sowar ich schon in Madagaskar,Marokko,Spanien,Peru,Costa Rica, Nicaragua, und überall habe ich mir einStück der Sprache angeeignet.

Ich finde, es gehört dazu, sich mit der Sprache desLandes auseinander zu setzen, in dem man zu Gast ist.Die Mundart ist für die Schweizer identitätsstiftend.Sie spiegelt die Unterschiede zwischen Deutschenund Schweizern, die von beiden ganz verschiedenwahrgenommen werden.Viele Deutschen sehen keinegrossen Unterschiede. Einige Schweizer hingegenfinden, in Deutschland seien sie in einem völlig an-deren Kulturkreis.

NUR BÄRNTÜÜTSCHMACHT NOCH MÜHEEingeschweizert. Der 32-jährige Deutsche Martin Goebel hat im Kurs «Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene» festgestellt, dass «Hopp Schwiiz» nichtsmit Hopsen zu tun hat. Von Anja Eigenmann

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Martin Goebel reist viel; da, wo er sich aufhält, lässt er sich gerne auf die Sprache ein.

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Mikrobetriebe zeigen sich weit gehend resistentgegenüber klassischen Weiterbildungsangeboten. Jekleiner die Firma, desto niedriger die Weiterbildungs-investitionen, lautet das Lamento der letzten Jahre.Dass es um die Weiterbildung in hiesigen KMU nichtallzu gut bestellt ist, bestätigt auch die repräsentativeStudie «KMU und die Rolle der Weiterbildung» vonPhilipp Gonon, Hans-Peter Hotz, Markus Weil undAndré Schläfli (siehe Kasten S.7 ).Ein Beispiel: Die Mit-arbeitenden in den befragten Firmen bilden sich imSchnitt gerade mal einen halben Tag pro Jahr weiter.

Solche Resultate zeichnen ein bedenkliches Bilddes Weiterbildungsverhaltens in der Schweizer Wirt-schaft.Immerhin arbeiten in der Schweiz 83,6 Prozentaller Beschäftigten in einem der Klein- oder Mittelbe-triebe mit weniger als 250 Personen, die Gegenstand

KLEINFIRMEN6

Weiterbildung in Kleinunternehmen. Viele Kleinfirmen kümmernsich wenig um planmässige Weiterbildung; langfristig angelegteBildungsprogramme können sich die wenigsten leisten, denn erwor-benes Know-how muss sofort anwendbar sein. Doch die Kleinenbeschreiten ihre eigenen Lernwege. Von Margrit Stucki

KLEINE SCHREIBEN INFOTurbinenbräu, Badenerstrasse 571, 8048 Zürich

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KLEINFIRMEN 7

der Studie waren. 85,6 Prozent der Schweizer Unter-nehmen sind gar Kleinstunternehmen mit wenigerals 10 Personen. Zu deren Weiterbildungsverhaltenexistieren noch kaum Untersuchungen. Es ist aberanzunehmen, dass die Formel «je kleiner, desto weni-ger» auch für die Kleinstbetriebe gilt. Was also lässtsich tun, um die Weiterbildungslust in den Kleinbe-trieben zu fördern?

INDIVIDUALITÄT UND PRAXISBEZUG. «Stark diffe-renzieren» heisst die Antwort. Der seit Generationenbestehende Familienbetrieb verhält sich bei der Mit-arbeiterschulung radikal anders als die avantgardis-tische Start-up-Firma. Die allein stehende Millionen-erbin kann teurere und zeitintensivere Weiterbil-dungen belegen als der unterhaltspflichtige Famili-envater.Hoch Qualifizierte sind in der Regel lern- undrisikofreudiger als Personen mit kleinem Schulruck-sack. Gerade bei den Kleinbetrieben sind die Struktu-ren, Budgets, Bildungsniveaus und Firmenkulturenzu unterschiedlich, und die Bedürfnisse folglich zuuneinheitlich, als dass sie sich mit standardisiertenKursangeboten befriedigen liessen.

Es liegt an den Bildungsanbietern,diese Vielfalt zuerkennen und flexibel darauf zu reagieren. Kleinbe-triebe zeigen sich punkto Weiterbildung äusserst

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RMELLES LERNEN GROSSKMU UNDWEITERBILDUNG

– Fast zwei Drittel aller KMU (62%) führten in den letzten 3 Jahren Weiterbildungsmass-nahmen für mindestens einen Mitarbeiter durch.

– Jedoch: 38 Prozent aller KMU taten in denletzten 3 Jahren überhaupt nichts punktoWeiterbildung.

– 50% aller KMU planen nichts für die Weiter-bildung in ihren Budgets ein.

– Dennoch beteiligen sich 32% vollumfänglich und 40% teilweise an den Weiterbildungs-kosten ihrer Mitarbeitenden.

– Bloss 13% aller Betriebe verfügen über ein schriftlich festgelegtes Weiterbildungs-programm.

Quelle:Philipp Gonon, Hans-Peter Hotz, Markus Weil und André Schläfli: «KMU und die Rolle der Weiter-bildung»., h.e.p. Verlag, Bern 2005.

Gitarren Total, Aemtlerstrasse 15, 8003 Zürich

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wählerisch, denn Kursflops können sie sich nicht leis-ten. Sei es, weil sie nur schwer auf Mitarbeitende ver-zichten können, die einen Teil ihrer Arbeitszeit fürWeiterbildung aufwenden. Oder sei es, weil sie dasknappe Budget lieber in die Modernisierung derInfrastruktur investieren als in die Qualifikationvon Mitarbeitenden. Am wenigsten aktiv in Weiter-bildungsmassnahmen sind denn auch Branchen mithoher Fluktuation, etwa das saisonale Tourismus-gewerbe. Kurse zu finanzieren für Angestellte, welchedie Firma in wenigen Monaten wieder verlassen, istschlicht und einfach unrentabel.

Wenn sich Kleinunternehmer für eine Weiter-bildung entscheiden, tun sie das meist intuitiv undkurzfristig – quasi aus einer Notsituation heraus, weilsie bei der Arbeit anstehen. «Aus der Not eine Tugendmachen» heisst die Leitformel. Das Aneignen vonFachwissen steht dabei als Lernziel an oberster Stelle.

«Der Excel-Kurs, den ich mir vor Jahren leistete,war super», freut sich Schreinerin Christina Kundert,«der Lernstoff ging leicht rein und war direkt anwend-bar. Seither verwalte ich mein Budget sicherer undbesser.» Kundert führt seit zehn Jahren die Rund-umholz GmbH, Schreinerei und Laden für Holz-handwerk – seit 2002 mit der Angestellten ClaudiaFurrer, ebenfalls gelernte Schreinerin.

Auch Hanspeter Schnüriger, Koch und Wirt imRestaurant Exer in Zürich, weiss Kurse mit hohemPraxisbezug zu schätzen: «Vom berufsbegleitendenBetriebsführungskurs habe ich enorm profitiert. Vor

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allem weil die vermittelten Fächer realen Anforde-rungen entsprachen und die Lerninhalte sofortumsetzbar waren.»

BERUFSVERBÄNDE VORN. Kleinunternehmen be-vorzugen klar Berufsverbände als Bildungspartner.An zweiter Stelle auf der Hitliste der Wissensver-mittler stehen Arbeits- und Berufskollegen. Privateund öffentliche Institute werden mit Vorliebe zumErlernen von Sprachen und kaufmännisch-betriebs-wirtschaftlichen Kompetenzen berücksichtigt. Manch-mal kommen auch Partnerfirmen und Lieferantenzum Zuge, vor allem weil sie ihre Schulungen – bei-spielsweise zum Vorstellen neuer Produkte – gratisanbieten. Die Wahl gewinnt in der Regel die Instanzmit dem günstigsten Preis-Leistungs-Verhältnis.

«Wir müssen über Automarken,neue Modelle undFahrzeugelektronik Bescheid wissen», erklärt GuidoZuber, Gründer und Geschäftsleiter der AutohilfeZürich. Als Vorstandsmitglied des BrachenverbandesASS (Autostrassenhilfen der Schweiz) organisiert erfachspezifische Kurse für seine 42 Mitarbeitendengleich selbst. Von den Versicherungen, die eigentlichan gut qualifizierten Pannen- und Abschleppdiensteninteressiert sein müssten, ist er enttäuscht: «Diemachen nichts, obwohl sie jede Automarke rückver-sichern, von den Herstellern auf dem neusten Standgehalten werden und unsere Leistungen letztlichbezahlen müssen.» Grosse Stücke hält Zuber indes aufseine Mitarbeiterin Judith Vago, die sich neben ihren

Amok Modelabel, Ankerstrasse 61, 8004 Zürich

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Diensteinsätzen um die interne Weiterbildung küm-mert: «Frau Vago ist engagiert und immer am Ball.Deshalb kann sie Neue und Junge bestens motivieren.Als Lastwagenfahrerin und ehemalige TCS-Mitarbei-terin kann sie unseren Leuten wertvolle Erfahrungenweitergeben.» So läuft das bei vielen Kleinbetrieben:Die Jungen lernen am Arbeitsplatz von den Erfahre-nen – vorausgesetzt, dass sich jemand engagiert umdie Weitergabe von Fachwissen kümmert.

Neben dem Fachwissen stehen Sprachen hoch imKurs. Auch lokale Kleinfirmen arbeiten heute mitmultikultureller Belegschaft und agieren auf inter-nationalem Parkett. So finanziert Autohilfe-ChefZuber derzeit einen Deutschkurs für einen neuenMitarbeiter. «Das hat in unserer 37-jährigen Firmen-geschichte Tradition», verrät der umsichtige Patron.Auch die Modedesignerin Sandra Kuratle, Besitzerindes Modelabels Amok, bessert von Zeit zu Zeit ihreSprachkenntnisse auf: «Zweimal im Jahr besuche ichTextilmessen im Ausland. Zudem habe ich mit Stoff-lieferanten aus verschiedensten Ländern zu tun»,sagtsie. Das Beherrschen von Fremdsprachen ist für michunerlässlich.»

INFORMELLES LERNEN AM GRILLABEND. Vor allemaber lernen die Kleinfirmen von- und miteinander.Thomas Hof, Teilhaber des Reisebüros Trottomundomit 10 Mitarbeitenden betont, wie wichtig der Aus-tausch unter gleich Gesinnten ist: «Unsere Mitarbei-tenden müssen offen, an Geografie und gesellschaft-

KLEINFIRMEN

INFORMELLES LERNENAM ARBEITSPLATZKleinbetriebe lernen vorwiegend informell. Laut Philipp Gonon, Professor für Berufsbildung an derUniversität Zürich, finden am Arbeitsplatz von KMUfolgende Formen informellen Lernens statt:

– Lernen erfolgt nach individuellen und häufigselbst organisierten Gesichtspunkten.

– Lernziele sind nur teilweise bekannt oder erst im Nachhinein als solche identifizierbar, das Lernergebnis kann jedoch sichtbar gemacht werden.

– Keine unmittelbare pädagogische Intention: Aus Arbeitshandlungen ergeben sich als«Nebenprodukt» erwünschte Kenntnisse undHaltungen.

– Keine systematische, professionell pädagogischeInteraktion: Kenntnisse und Haltungen werdenim Arbeitsprozess, mit Medien oder im Umgangmit Arbeitskolleginnen und -kollegen erworben.

– Lernen basiert auf Arbeitserfordernissen und ist weder fachsystematisch noch institu-tionell organisiert.

Quelle:Philipp Gonon, Stefanie Stolz (Hrsg.): BetrieblicheWeiterbildung., h.e.p. Verlag, Bern 2004.

Waschsalon Anker, Ankerstrasse 9, 8004 Zürich

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Velohändlern ist mir sehr wichtig. Künftig möchte ichhierfür mehr Zeit investieren. Denn vom Lernen imTeam profitiert man am meisten.»

PIONIERE LERNEN BY DOING. Als Hauptgrund fürkontinuierliches Lernen nennt Velobauer Stolz «dieAmbition, immer an vorderster Front zu sein». ImRadbusiness scheint dies ohne Kursbesuche zu gelin-gen: «Gewisse Weiterbildungen gibt’s für uns garnicht. Denn wir lösen die Spezialprobleme unsererKunden oft als Erste. Nach erfolgreichem Tüftelnfragen uns dann andere Velomechaniker um Rat»,schmunzelt Robert Stolz.

Ähnliches wissen Regula Stutz und JacquelineHodel zu berichten, die vor sechs Jahren die Seifen-manufaktur Swisstag gründeten: «Mit der Seifensie-derei haben wir in der Schweiz etwas Neues aufgezo-gen. Da es nichts Vergleichbares gab, machten wir unsschlau in ausländischer Fachliteratur und auf ein-schlägigen Websites. Die praktischen Fertigkeiteneigneten wir uns durch Ausprobieren an.» Derzeitbefindet sich das Unternehmerinnen-Duo in der Auf-bauphase eines neuen Geschäfts: The Pie Shop. Auchdas Imbissladen-Projekt des Duos Stutz und Hodelist eine Schweizer Novität. Solches Lernen nach demTrial-and-Error-Prinzip ist bei innovativen Jung-unternehmern mehr Regel als Ausnahme. Die Betei-ligten führen in ihren Projekten immer wieder Rou-tinearbeiten mit neuen Entdeckungen und Erfahrun-gen zusammen. Betriebliches Wissen eignen sie sich

KLEINFIRMEN10

lichen Entwicklungen interessiert sein sowie gutzuhören können. Fähigkeiten, die weniger im Kurs-zimmer als am gemeinsamen Grillabend oder amBouleturnier erworben werden.» Manchmal erwirbtman eben Sozialkompetenzen, ohne sich dessenbewusst zu sein – ein Vorteil für die Firmen, ein Nach-teil für Bildungsinstitute.Die «Völker verbindenden»Anlässe der beiden Trottomundo-Chefs Thomas Hofund Attilio Ongaro sind jedenfalls legendär, das über26 Jahre gewachsene und gepflegte Beziehungsnetzgross und Welt umspannend. Laut Hof eine der Vor-aussetzungen, um im harten Reisegeschäft zu über-leben. Exer-Wirt Hanspeter Schnüriger doppelt nach:«Das Gastgewerbe lebt davon, eine familiäre Atmos-phäre zu schaffen. Meine Partnerin Corina Mazzoccoist in dieser Disziplin einsame Spitze. Unsere bestenKunden fühlen sich bei uns zu Hause und erzählenuns alles. Dafür sind wir ein derart eingespieltesGeschäftspaar, dass wir uns ohne Worte verstehen.»Auch dieser Aspekt ist bezeichnend für die Überzeu-gung vieler Firmengründer: Zentrale Erfolgsfaktorenwie die Fähigkeit, auf Leute zuzugehen, muss maneinfach schon ins Geschäftsleben mitbringen. Sienachträglich in Kurslokalen einzupauken, machtkeinen Sinn. Diese soziale Offenheit und Kommuni-kationsfähigkeit spiegelt sich auch im Lernverhaltenwieder. Robert Stolz, Inhaber des 1984 gegründetenFahrradbau Stolz, etwa zählt ganz auf den Wissens-transfer unter Verbündeten: «Der intensive Aus-tausch innerhalb des Betriebs und mit befreundeten

Apart, Badenerstrasse 571a, 8048 Zürich

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KLEINFIRMEN 11

häufig unkonventionell an und geben es entspre-chend weiter. Dazu nutzen sie mit Vorliebe das In-ternet als schnelles, günstiges Kommunikationsme-dium.

Kritisch wird es, wenn sich Kleinbetriebe vom cha-otischen Haufen (jeder macht alles) zum etabliertenUnternehmen entwickeln. Bei wachsender Mitarbei-terzahl müssen Ablauf- und Lernprozesse stärkerstrukturiert und formalisiert werden. Hier schlägtdie Stunde der Weiterbildungsanbieter: Sie verfügenüber die Infrastruktur, die Dokumentation und dasdidaktische Know-how, um die Firmenleitungenbeim Finden und Umsetzen passender Lernformen zuunterstützen.

KÜR STATT PFLICHT. Selbständige und Jungunter-nehmer legen grossen Wert auf Freiwilligkeit. Ver-ordnete Weiterbildung kommt selten gut an. AlsGründer sind sie gewohnt, auf eigene VerantwortungEntscheidungen zu treffen und durchzusetzen.Kommt hinzu, dass sie ihre Lernumgebung häufigselbst gestalten und die für sie passende Lernstrategieselbst entwickeln wollen. Viele sind sich dabei auchbewusst, dass sie sich nicht sämtliches Fachwissenselbst aneignen müssen.

«Lieber besuche ich einen Astrologie-Kurs, dermich interessiert und in meiner persönlichen Ent-wicklung weiter bringt, als dass ich mich mit techni-schen Instruktionen abquäle», gesteht Renate Stucki,die vor gut zwei Jahren den Waschsalon Anker über-

KMU IN ZAHLEN:BETRIEBSZÄHLUNGSEPTEMBER 2005

– Knapp ein Sechstel der Arbeitsstätten erbringt Dienstleistungen für Unternehmen:Von den registrierten 377 600 Arbeitsstättenwaren 301 800 (79,9%) im Dienstleistungssektorund 75 800 (20,1%) in der Industrie und imGewerbe angesiedelt. Am meisten Arbeits-stätten – insgesamt 60 600 bzw. 16 Prozent desTotals – verzeichnete der Wirtschaftszweig der Dienstleistungen für Unternehmen (einschliesslich Forschung und Entwicklung).

– Das Gesundheits- und Sozialwesen war der beschäftigungsmässig bedeutendsteTätigkeitsbereich im sekundären und tertiärenSektor. Dieser Wirtschaftszweig zählte 433 000 Beschäftigte (11,7% des Totals) und ver-zeichnete eine der stärksten Beschäftigungs-zunahmen (+9%).

– 323 300 Arbeitsstätten (85,6%) hatten weniger als 10 Beschäftigte. 1000 Arbeits-stätten (0,3%) zählten mehr als 250 BeschäftigteDie kleinen und mittleren Betriebe mit wenigerals 250 Beschäftigten machten im Jahr 2005somit 99,7 Prozent aller Arbeitsstätten aus.

Quelle:Bundesamt für Statistik, Betriebszählung von Ende September 2005. Medienmitteilung vom 27. Juni 2006

Stefi Talman, Oberdorfstrasse 13, 8001 Zürich

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KLEINFIRMEN12

nahm.Sprachs,und lagerte die Wartung ihrer Maschi-nen an technisch Versiertere aus. Bevor sie zur Ein-frau-Waschsalonbetreiberin wurde, hatte sie eineüber 25-jährige Karriere als kaufmännische Ange-stellte durchlaufen. Als schlechteste Weiterbildungs-erfahrung beschreibt Stucki einen Standortbestim-mungskurs, der ihr als Stellenlose vom RAV aufge-zwungen wurde: «Der Kursleiter, Abgesandter einerprivaten Consulting-Firma, redete permanent nurvon sich. Er konnte nicht auf die einzelnen Teilneh-menden eingehen und speiste uns mit veraltetenStandard-Fragebogen ab, die man auch zu Hausehätte ausfüllen können.»

Fast identisch tönt es, wenn Christina Kundertihren Fortbildungskurs zur Arbeitsvorbereiterin be-schreibt: «Um in meiner Schreinerei Angestellte zubeschäftigen, wurde ich von offizieller Seite ange-halten, diesen zweijährigen Lehrgang zu absolvieren.Nebst den Kosten ärgert mich bis heute, dass der ver-mittelte Stoff nichts mit meinem Geschäft zu tunhatte. Andererseits war ich auch zu unmotiviert, ummich mit dem theoretischen Hintergrund von Admi-nistration und Arbeitsplanung zu beschäftigen.»

Kleinfirmen wollen sich also in erster Linie denLernstoff, den sie brauchen, freiwillig und nach ihremeigenen Rhythmus selbst erarbeiten – und das mitPraxisbezug. Wesentlich besser als standardisierteKurse kommen bei ihnen deshalb heute Bildungs-angebote an, welche die Experimentierfreude unddasselbstverantwortliche Lernen in Gruppen fördern.

LERNEN NACH MASS. An der EB Zürich lernendeKleinunternehmer schätzen etwa die so genanntenLernateliers, wo sie mit professioneller Unterstüt-zung und zusammen mit gleich Gesinnten an ihreneigenen Projekten arbeiten. «Das Lernatelier ist fürmich auch eine Kontaktbörse», berichtet der selbst-ändige Webprogrammierer Jürg Messmer, «man hilftund lässt sich helfen. Atelier-Leitende haben nicht füralle Zeit und können nicht immer alles wissen. Insolchen Fällen springen Atelier-Teilnehmende in dieLücke.» Messmer besuchte an der EB Zürich dasLernatelier «Software-Entwicklung», um seine An-wenderkenntnisse der Webapplikation PHP zu ver-bessern. Das Lernatelier habe ihm die Möglichkeitgeboten, genau das Know-how abzuholen, das erfür seine Arbeit brauche. Messmer: «Das Lernfoyerentspricht absolut meiner autodidaktischen Art zulernen.»

Es dürfte sich für die Weiterbildungsanbieterlohnen, bei den Lernbedürfnissen der Kleinstunter-nehmen noch genauer hinzuschauen. Treffen dieAngebote den Bedarf, so ist der Weiterbildungserfolggarantiert: Schliesslich setzen die Kleinen das erwor-bene Know-how schneller, direkter und sichtbarer indie Praxis um als Grossunternehmen, da sie flexiblersind und einfachere Abläufe sowie kürzere Kommu-nikationswege aufweisen. Weil sie sich keine Fehlin-vestitionen leisten können, wird auch ihr Feedbackungeschminkt kritisch daherkommen – und für dieAnbieter entsprechend wertvoll sein.

Rundum GmbH, Müllerstrasse 47, 8004 Zürich

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Journi-Journal«Rund ums Buch»Acht Seiten Beilage des 17. Lehrgangs

«Journalismus für Quereinsteigende».

Sommer 2006

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Die Schweiz veredelte im letzten Jahr den Rohstoff Holz an

18 Standorten zu 1,7 Millionen Tonnen Papier und Karton.

Vor hundert Jahren wurden 99 Prozent des Papiers für

Bücher verwendet. Heute ist es etwa noch ein Prozent.

Das Papier im Buch

«Für heutige Buchauflagen, die sich hier zu Lande im Rahmen von 1000 bis15 000 Stück bewegen, verwenden wir vorwiegend Bogenpapiere», stellt JürgBigler von der Druckerei Stämpfli in Bern fest. «Nur bei grossen Produkti-onsmengen, wie bei ‹Harry Potter›, lohnt sich der Einsatz von grossen Papier-rollen.»

Verlage wenden sich an Druckereien. Gemeinsam wird das Papier ausge-wählt. Für Bücher werden vorwiegend ungestrichene, holzhaltige oder holz-freie grafische Papiere benutzt. Der Griff in die Seiten macht spürbar, durchwelches Verfahren das Papier entstanden ist. Rund 400 000 Tonnen grafischesPapier wurden letztes Jahr umgesetzt und auch zu Broschüren, Werbedruck-sachen und Geschäftsberichten verarbeitet. Genaue Zahlen über die reineBuchproduktion gibt es nicht.

In der Branche weht ein rauer Wind. Generell sinkt der Papierverbrauch.Bei den grafischen Papieren hat in den letzten fünf Jahren ein Einbruch vonetwa zehn Prozent stattgefunden. Viele Fabriken setzen deshalb auf Nischen-produkte. Die Firma Ziegler Papier in Grellingen führt dennoch ein breitesSortiment. Für Verkaufsleiter Benno Henz sind für kleinere Unternehmen einhoher Qualitätsstandard und gute Kundenbetreuung elementar: «Wir enga-gieren uns stark in der Buchproduktion. Von 78 neuen Büchern sind im letztenJahr neun mit Ziegler Papieren realisiert worden. Daneben ist der Ausland-markt ein wichtiges Standbein. Wir exportieren bis zu 50 Prozent.» Fast alleFirmen der Branche haben einen derart hohen Exportanteil. «Papierprodu-zenten sind heute nicht unbedingt vom inländischen Markt abhängig», erklärtMartin Häberli vom Verband der Schweizerischen Zellstoff-, Papier und Kar-tonindustrie.

Die Papierproduktion benötigt viel Energie. Für eine Tonne Papier werdenhundert Tonnen Papierbrei entwässert. Die steigenden Rohstoffpreise sorgenfür Konzentrationen; grosse Konzerne entstehen, kleinere Unternehmenschliessen. Martin Häberli: «Ausschlaggebend sind Produktionsstärken, hoheAuslastung und eine gute Vernetzung.» Doch alle sind überzeugt, dass uns dasPapier auch weiterhin im Alltag begleitet. Auch wenn die Entwicklung von elek-tronischen Büchern bereits Tatsache ist. Text und Bild: Sabine Nussbaumer

TotenuhrundZuckergast

Von Sabine NussbaumerDüster und muffig ist

die Ecke auf dem Holz-regal, wo sich Silberfisch-chen und Totenuhrkäfertreffen. Ihr Wispern dringtkaum zu den nächstenBänden. Dennoch spitzt derBücherskorpion dreiBücher weiter die Ohren.Ein unbekannter Strom vontrockener Luft lässt ihnschaudern. Was geht hiervor? Die Bewohner deralten Bibliothek sind ver-unsichert. Ein Klopfkäfer,im Regal neben demschmalen Fenster, gerät inhöchste Aufregung. SeinNachbar vom Eingang hatihm die Botschaft gezirpt:Ihr Leben sei in höchsterGefahr! Ihre Nahrungs-quelle verschwinde.Getragen von zwei langenBeinen. Hinaus ins Licht.

Entsetzt über die bevor-stehende Hungersnot eiltder Lkopfkäfer zu seinenRaupenkindern, die soebenihr neues Domizil imgrünen, ledergebundenenBuch einweihen. Der feineHolzschliffgeruch machtihn noch hungriger. DieSchimmelpilze gegenüberraunen über die unge-wohnte Hektik. Und wiederdringt ein Lichtstrahl in diehinteren Ritzen, wo sich dieStaubläuse verkriechen.Die Ratten putzen sich dieletzten Krümel des aroma-tischen Bildbandes aus denBarthaaren und klopfennun mit ihren nacktenSchwänzen rhythmisch aufdie Holzdielen. Dies ist dasZeichen zur Zusammen-kunft: Speispinnen, Holz-bohrer, Küchenschaben,Hausböcke, Milben, Mäuse,Staubläuse und Holz-würmer machen sich aufden Weg. Den beissendenGeruch von Wollwachs,Bleichmittel, Leim,Ochsengalle und Flecken-mittel in der Nase.

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E D I TO R I A L

Das Buch Neugierig schaut das Mädchen hinter ihrem grossenBuch hervor. – Bücher sind ein grosses Thema für dieBeilage, dachten wir, die elf Teilnehmerinnen undTeilnehmer des siebzehnten Journalismuslehrgangs ander EB Zürich. Die Recherchen dazu brachten Historisches,Aktuelles, Skurriles und Amüsantes zu Tage.

Den Grundstein für die Verbreitung von Büchern legteJohannes Gutenberg im fünfzehnten Jahrhundert mitseiner revolutionären Erfindung des Buchdrucks. Bis indie Gegenwart gelten Bücher aber auch immer wieder alsAnstifter zu nicht systemkonformem Denken undHandeln. Die erste Bücherverbrennung ist in der Bibelerwähnt und die deutschen Nationalsozialistenversuchten 1933, den Inhalt von rund 2000 Büchern zuvernichten. Doch Gedanken lassen sich nicht verbrennen,lediglich der Rohstoff, auf dem sie gedruckt sind.

Und selbst verschiedene Kleinstbewohner, die sichbesonders wohl fühlen in alten Büchern, räumen ihr Feldnur widerwillig.

Seine Gedanken niedergeschrieben hat Bruder Benno-Maria Kehl, der Gassenarbeiter, der eigentlich gar keinBuch schreiben wollte. Jene wiederum, die unbedingt einBuch schreiben wollen, aber keinen Verleger finden,veröffentlichen in Eigenregie. Umgekehrt gilt das Tage-buch als intimes Werk nur für den Verfasser. Persönlichist auch das Lieblingsbuch, das in schlechten Zeiten zumLebensberater werden kann.

Einen «Boom» erlebt zurzeit das Hörbuch, stellt derSchweizer Buchhändler- und Verlegerverband fest.130 000 Titel sind im deutschsprachigen Raum auf demMarkt. Ebenfalls im Trend liegt der Comic. Fette Brötchenkann man damit jedoch nicht verdienen. Und da Bücherleider teuer sind, hat sich ein Amerikaner vor fünfJahren ein System ausgedacht, bereits gelesene Bücherunentgeltlich weiterzugeben.

Bleibt noch das Bücherlesen einfach zu geniessen – an einer Oberwalliser Märchennacht oder mit BarbaraHutzl-Ronges Sachbuch «Magisches Zürich».

Text und Bild: Susanne Devaja

Totenuhr und Zuckergast 14

Das Papier im Buch 14

Editorial, Impressum 15

Finden, lesen und liegen lassen 16

«Die Konkurrenz ist gross» 16

Der Weg zum eigenen Buch 17

«Es war ein innerer Impuls» 17

Ein Tor in alte Welten öffnet sich 18

Begonnen hat alles im Wallis 18

Keine Zeitung ohne Gutenberg 19

Bücher können brennen – Gedanken nicht 19

«Von Comics leben? Vergessen Sie's!» 20

Lieblingsbücher fürs Leben 20

IMPRESSUMDie Beilage erarbeiteten dieTeilnehmerinnen und Teilnehmerdes Lehrgangs «Journalismus für Quereinsteigende» im drittenSemester».

BETEILIGTE JOURNALISTINNEN UNDJOURNALISTENMaja Bisig, Susanne Devaja, GabiHeussi, Monika Hurni, BrigitteMeier, Sabine Nussbaumer,Joachim Schmidt, AndreaSchmocker, Corine Turrini Flury,Ursi Vetter, Barbara Weber

REDAKTIONELLE LEITUNGNikolaus Stähelin,Christian Kaiser

BILDREDAKTIONClaudia Bruckner

KONZEPT UND GESTALTUNGPeter Schuppisser Tschirren,Atelier Versal, Zürich

Inhalt

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Das Hörbuch erlebt zurzeit einen Boom. Vor fünf

Jahren noch ein Nischenprodukt, gehören Bücher fürs

Ohr, mit jährlichem Umsatzwachstum im zweistelligen

Bereich, heute zum Sortiment jeder Buchhandlung.

«Die Konkurrenz ist gross»

Beim Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband, SBVV, ist man er-staunt, wie gut Hörbücher sich derzeit in der Schweiz verkaufen. «Der Buch-handel steigt auf die Hörbücher ein», sagt Manuel Batschelet dazu. Er ist beimSBVV verantwortlich für die Bestsellerlisten, die seit Januar wöchentlich auchdie bestverkauften Hörbuchtitel erfassen.

130000 Titel aus rund 500 Verlagen sind im deutschen Sprachraum momen-tan lieferbar. Die jährlichen Umsatzzuwachsraten lagen in den letzten Jahrenkonstant im zweistelligen Bereich. Im Jahr 2005 erzielte die Warengruppe vier-zehn Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr. Vorteile gegenüber dem gebunde-nen Buch sind einerseits die meist tieferen Produktionskosten und anderer-seits, dass im Gegensatz zu den gebundenen Büchern keine Preisbindungbesteht.

Einer der Ersten, der im deutschen Sprachraum Hörbücher produzierte,war der Zürcher Kein & Aber Verlag, der 1997 gegründet wurde. Sein ersterTitel «Pu der Bär», gelesen von Harry Rowohlt, ist seither über 600000-malverkauft worden. «Die Konkurrenz ist enorm gewachsen, unser Absatz ist des-halb nicht viel grösser als vor neun Jahren», so Joachim Leser, Pressespre-cher von Kein & Aber. Der kleine Verlag ist bekannt für sein literarisches Pro-gramm und seine qualitativ hoch stehenden Hörbücher. «Ich glaube nicht, dassHörbücher je einen höheren Marktanteil als zehn Prozent erreichen werden»,so Joachim Leser.

Einig ist man sich, dass Hörbücher keinesfalls das gebundene Buch ver-drängen werden. «Hörbuchliebhaber sind Leute, die grundsätzlich an Litera-tur interessiert sind», sagt dazu Margaux de Weck. Sie ist bei Diogenes ver-antwortlich für die Hörbuchproduktion. Der renommierte Zürcher Verlag gibtseit letztem Herbst eigene Hörbücher heraus, aktuell sind zwölf Titel im Sor-timent. Alles Hörbücher, die bei Diogenes bereits in Buchform erschienen sind.In nächster Zeit sollen vor allem auch ältere Titel aus dem Katalog aufgenom-men werden. «Bis nächsten Herbst werden wir insgesamt 28 Hörbücher anbie-ten», so de Weck.

Das Diogenes-Hörbuch «Blutige Steine» von Donna Leon, diesen Frühlingherausgekommen, verkauft sich sehr gut und war mehrere Wochen auf Platzeins der SBVV-Bestsellerliste. Margaux de Weck freut sich darüber, sagt aber:«Gebunden hat sich der neue Krimi von Donna Leon aber noch zehnmal bes-ser verkauft.» Text und Bild: Andrea Schmocker

Von Susanne Devaja«In die Wildnis frei-

lassen», nannte der ameri-kanische Ideenliferant, Ron Hornbaker, das Book-crossing bei dessen Lancierung 2001. Gleichdem Motto «Regalhaltungist Tierquälerei» bringenheute weltweit an die 500000 Leseratten ihreSchmöker in Umlauf. In derSchweiz gibt es über4000 Bookcrosser, dieknapp 29000 Bücher regis-triert haben. Der KantonZürich führt die SchweizerStatistik mit fast 1000 Bookcrossern an.

Das Prinzip ist soeinfach wie bestechend:Wer ein Buch in die Wildnisaussetzen möchte, bezieht unterwww.bookcrossing.comeine Registriernummer,überträgt diese ins Buchund lässt es irgendwoliegen. Der Finder kannanhand der Nummer nach-lesen, woher das Buchkommt und wer es wannund wo ausgesetzt hat.Nach dem Lesen lässt er eswieder frei.

Regional finden regel-mässig Treffen, sogenann-te Stammtische, statt, soauch in einem Zürcher Caféan der Josefstrasse, wiedas Internet preisgibt. Ineinem Schrank stünden imSchnitt 60 Bücher, mit undohne Registriernummer,heisst es vor Ort. Auch dieSchlieremer Stadtbiblio-thek griff letzten Winter dieIdee auf. 300 Bücherfanden, im Bus oder in derBahn ausgelegt, neueLeser. Laut Bibliotheks-leitung haben es dieBücher bis über dieKantonsgrenzen geschafft.Im November werden inSchlieren wieder Bücherfreigelassen.

Bookcrossing:Finden,lesen undliegen lassen

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«Eigentlich wollte ich kein Buch schreiben. Ich suchte nach einemWeihnachtsgeschenk für meine Gassenmitarbeiter. Daher schrieb ich meineGedanken zum Sonnengesang von Franz von Assisi auf», sagt der Franziska-nermönch, der als Streetworker mit Drogensüchtigen arbeitet. Aus eineminneren Impuls heraus befasste er sich mit den Elementen Feuer, Wasser, Luftund Erde. Der Mensch soll sich durch den Sonnengesang der gesamten Schöp-fung – den Menschen, den Tieren und Pflanzen genau so wie den Kräften derNatur – verbunden fühlen.

Der Provinzial des Klosters Werd machte Bruder Benno darauf aufmerk-sam, dass er für die Veröffentlichung seiner Gedanken eine kirchliche Drucker-laubnis anfordern müsse. Als diese nach einem Jahr eintraf, motivierten ihnseine Gassenmitarbeiter, aus seinen Gedanken ein Buch zu realisieren. Derdeutsche Verlag «Diederichs Gelbe Reihe» gab grünes Licht für die Veröffent-lichung und sagte ihm zugleich, dass primär der Autor und erst in zweiter Linieder Inhalt verkauft werde. «Dieses Rampenlicht nutze ich, um Hoffnung zuverbreiten und um den Kontakt zu den Mitmenschen zu pflegen.»

Durch eine deutsche Journalistin ist das Buch des Franziskanermönchs biszum Papst gelangt. Von diesem hat er den apostolischen Segen erhalten.Bruder Bennos Buch ist nun bereits in der dritten Auflage erhältlich. «Diegrosse Nachfrage erstaunt mich. Angefangen beim Kiffer über die Homöo-phatin bis hin zum Manager könnte die Leserschaft nicht unterschiedlichersein», bemerkt Bruder Benno.

Schon als kleiner Junge war er fasziniert vom heiligen Franz, der mit denTieren reden konnte. Das berühmte Gebet «Sonnengesang» erlebt er täglichneu als Initiation auf seinem Glaubensweg. Er gibt diese heilsame und befrei-ende Erfahrung begeistert an spirituell Suchende aller Glaubensrichtungenweiter. Den Erlös des Buches wird Bruder Benno, der auf der Insel Werd imBodensee wohnt, vollumfänglich der Gassenarbeit zukommen lassen. «Auchwenn die Insel eine Oase des Friedens ist, bin ich kein frommer Eigenbrötler.Ich liebe die Gesellschaft, lache gerne und reise oft», betont Bruder Benno. Indiesem Frühjahr zog es den Franziskaner, ursprünglich gelernter Schreiner, mitseinem ehemaligen Lehrmeister nach Afrika. «Die Armut und der tägliche Über-lebenskampf haben mich tief beeindruckt.» Aus dem Tagebuch über den Afrika-aufenthalt soll nun sein zweites Buch entstehen. Text und Bild: Ursi Vetter

Bruder Benno-Maria Kehl baut mit seinem Erstlingswerk

«Das Lied des Lichts» eine Brücke zwischen der christ-

lichen Tradition und dem gelebten Glauben unserer Zeit.

Am 4. Oktober 2006 findet in der Buchhandlung von Matt

in Zürich eine Autorenlesung statt.

«Es war ein innerer Impuls»

Von Monika HurniEin Buch zu schreiben,

ist schwierig. Noch schwie-riger ist es, einen Verlegerzu finden. Diese Erfahrunghat auch der NeeracherWilli Weiss gemacht. «Meinerstes Manuskript habe ichbestimmt an zehn Verlagegeschickt, ohne dengeringsten Erfolg», erzähltder ehemalige Pilot. Dankseinem Durchhaltewillenhat es dann doch nochgeklappt. Jedenfalls fast.Er hat einen Verlag gefun-den, der bereit war, seinenErstling – die Geschichteeines Pilotenschülers, dernach einem Flugzeug-absturz nach dem Sinn desLebens sucht – zu ver-öffentlichen. Allerdingsmusste er sich an denKosten beteiligen. «AufAnraten des Verlags habeich mich damals für eineviel zu hohe Auflage ent-schieden», erinnert er sich.Ausserdem habe sich derVerlag nur in groben Zügenan seine Versprechungenbezüglich der Werbunggehalten.

Heute lässt der Autorseine Manuskripte direktbei einer Druckerei alsTaschenbuch produzieren.Den Umschlag gestaltet erselber oder mit Hilfeseines Sohnes, der alsGrafiker tätig ist. Auf dieseWeise hat er bereits vierweitere Bücher heraus-gebracht. «Das Schreibenmacht mir grossen Spass»,erzählt Willi Weber. «DasGute dabei ist, dass ichvöllig frei bin und nichtdavon leben muss.» Seinletztes Buch, in dem er auf50 Jahre bei der Swissairzurückblickt, wurde mitrund 900 Exemplaren gutverkauft. Zufällig erschienes zur Zeit des Groundings.Da zeigt sich, dass Erfolgoft auch von einem Quänt-chen Glück abhängt.

Der Weg zum eigenenBuch

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Bücher über Sagen, Mystisches und Kraftorte erobern

den Markt. Mit ihrem dritten Buch, «Magisches Zürich»,

wandert die 42-jährige Astrologin Barbara Hutzl-Ronge

durch die Zeiten und zeigt neue Zugänge zu sagen-

umwobenen Orten.

Ein Tor in alte Welten öffnet sich

EB Kurs: Sie beschäftigen sich schon seit 20 Jahren mit Sagen und Kult-orten. Wie erklären Sie sich das gegenwärtig grosse Interesse daran? Barbara Hutzl-Ronge: Das Leben in unserer Gesellschaft ist anstrengend,Flexibilität und Mobilität werden hoch bewertet. Die rationale Denkweiseherrscht vor und es entsteht eine grosse Sehnsucht, sich wieder mehr mit derNatur zu verbinden, sich beispielsweise an eine alte Eiche zu lehnen. VieleMenschen suchen daher nach Orten, an denen sie sich erholen können, weilsie diese Orte als Kraft spendend erleben.

In Ihrem Buch führen Wanderungen an verschiedenste Orte der Kraft. Inwiefern sehen Sie die Verbindung zur Sagenwelt?Sagen beschreiben in poetischen Bildern, welche Kraft an einem Ort wirkt.Geschichten von alten Mütterlein, die in der Nähe einer Quelle wohnen, sinddafür ein schönes Beispiel. Sie greifen die antike Vorstellung auf, in der eben-falls Göttinnen als Hüterinnen der Quellen walteten. Jede Quelle wurde alsTor in die Anderswelt betrachtet, das von einer Quellfrau gehütet wurde.

Wie können wir die Magie dieser Orte wieder entdecken?Der Zauber zeigt sich, wenn wir «gwundrig» zu den Orten wandern. DerCharakter von Kraftorten ist erlebbar, aber auch über seine Geschichteerkennbar. Zu bemerken, dass wir nicht erst weit ins Ausland reisen müssen,um bedeutende Kultorte zu besuchen, sondern, dass es diese direkt vor un-serer Haustüre gibt, empfinden viele Leser als bereichernd.

Sie fordern die Leser oft auf, darauf zu achten, wie der Ort auf sie wirkt.Können Kraftorte unterschiedlich wirken? Die einen reagieren auf Orte emotional, andere verspüren körperlicheEmpfindungen, manche haben gedankliche Eingebungen. Die Wahrnehmungder Menschen kann also recht unterschiedlich sein. Ganz wichtig ist, heraus-zufinden, welche Orte einem in der aktuellen Situation gut tun.

Zum Beispiel? Wer den Lindenplatz in Zürich besucht, geniesst den weiten Blick über dieStadt. Wenn man gerade nach etwas Überblick im eigenen Leben sucht, kanndies ein wohltuender Ort sein.

Was kann man von den spirituellen Geschichten ins Heute mitnehmen? Dass sie eine Wahrheit darüber erzählen, was für uns Menschen über dierationale Wirklichkeit hinaus wichtig ist, was wir als kraftvoll und lebendigmachend empfinden. Sie sind Wegweiser zu sagenhaft schönen Orten.

Interview: Maja Bisig, Bild: André Bisig

Von Brigitte MeierWenn die Tage kürzer

und die Nächte länger wer-den, entführen spannende,traurige, schöne undgruslige Erzählungen insReich der Fantasie und derGeschichten. Immer amzweiten Freitag im November wird vorgelesen,geschrieben, rezitiert,inszeniert und natürlicherzählt. Und zwar überallim ganzen Land, in dergleichen Nacht und unterdem gleichen Motto.

Begonnen hat dieSchweizerische Erzähl-nacht im Wallis, wo Sagenund Geschichten einegrosse Bedeutung haben.Der Lehrer Kurt Schnidriginitiierte 1990 eine Ober-walliser Märchennacht. Siehat ihren Ursprung in der«Stubete», dem Zusam-mensitzen und Geschich-tenerzählen am Holzofen inder Stube. In der Winters-zeit war dies aus ökonomi-schen Gründen oft dereinzige beheizbare Raum.Unter der Obhut desehemaligen Bundes fürJugendliteratur weitetesich die Märchennachtrasch zu einem gesamt-schweizerischen Anlassaus. Am 10. November2006 findet die SchweizerErzählnacht bereits zum16. Mal statt. Das Themalautet: «Freunde?Freunde!». Organisiertwird sie vom Schweize-rischen Institut für Kinder-und Jugendmedien (SIKJM)Zürich in Zusammenarbeitmit Bibliomedia und UnicefSchweiz.

Erzählnächte haben sich als lustvolle Möglich-keit der Leseförderungetabliert und erfreuen sichsteigender Beliebtheit.Allein 2005 fanden über450 Erzählnächte in Schu-len, Buchhandlungen undBibliotheken statt.

Begonnenhat alles imWallis

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Einzigartig in ihrem Umfang und ohne jeden Vergleich in der Radikalität,mit der Schriftsteller öffentlich verfemt wurden, waren allerdings die natio-nalsozialistischen Bücherverbrennungen des Jahres 1933: Auf dem Opern-platz in Berlin und in anderen Universitätsstädten landeten rund 20 000 Büchervon als «undeutsch» bezeichneten Autoren wie Karl Marx, Heinrich Heine, KurtTucholksky, Erich Kästner oder Sigmund Freud auf dem Scheiterhaufen.

Die erste Bücherverbrennung ist in der Apostelgeschichte der Bibelbeschrieben. Bis in die Gegenwart gelten Bücher immer wieder als «Anstif-ter» zu nicht systemkonformem Denken und Handeln. Sie werden als Feindeder Gesellschaft oder des politischen Systems betrachtet. So verbrannte 1973die Militärjunta nach Pinochets Putsch in Chile marxistische Schriften. 1988betitelten Muslime in England «Die Satanischen Verse» von Salman Rushdieals gotteslästerlich und zündeten diese an. Die Gedichtbände von Khalil Gibranzählten ebenfalls schon zu den Opfern.

Die wahrscheinlich erste Bücherverbrennung im 21. Jahrhundert traf J. K.Rowlings «Harry Potter». Mitglieder der «Harvest Assembly of God»-Kirchein Pittsburgh verbrannten die Romane mit der Begründung, sie würden Zau-berei und Hexentum verherrlichen. Der Zauberlehrling befand sich übrigensin bester Gesellschaft: CDs und Videos von Pearl Jam und Black Sabbath lan-deten gleichzeitig auf dem Scheiterhaufen.

Der Schriftsteller Orhan Pamuk ist ein scharfer Kritiker der türkischenKurdenpolitik und der offiziellen Haltung zum Genozid an den Armeniern. Ausdiesem Grund sollten seine Bücher 2005 vernichtet werden.

Vor kurzem berichtete das US-Magazin «Newsweek» über angeblicheKoran-Schändungen im US-Gefangenenlager Guantánamo. Der Bericht löstenicht nur in Pakistan, das die USA im Anti-Terror-Kampf unterstützt, grosseEmpörung aus.

Ein Schwelbrand zerstörte im September 2004 einen grossen Teil der Her-zogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. 50 000 Bücher konnten gerettet wer-den, darunter eine echte Lutherbibel von 1534. Damit hat Martin Luther nachfast 500 Jahren nochmals über Kaiser Karl V. triumphiert – bereits im Jahr1521 erliess jener ein Mandat zur Verbrennung von Luthers Schriften.

Text: Brigitte Meier, Bild: Beni Meier

Bücherverbrennungen kommen aus weltanschaulichen

und moralischen Gründen immer wieder vor. Selbst

in demokratischen Staaten gibt es heute noch vereinzelte

Verbrennungsaktionen.

Bücher können bren-nen – Gedanken nicht

Von Gabi HeussiIm bewegten 15. Jahr-

hundert, in der die Schrift-lichkeit auch ausserhalbder Klostermauern deut-lich zunimmt, entwickeltJohannes Gutenberg dieerste Schreibtechnik. Diesehat bis ins 20. JahrhundertBestand.

Während vor Guten-bergs Zeit Texte in Holzgeschnitzt und gedrucktoder vollständig abge-schrieben wurden, bringter mit seiner Erfindung vonSetzkasten und Druckstockneue, revolutionäreMöglichkeiten. Mit seinenersten Druckerzeugnissenimitiert er Handschrift,übernimmt Kolumnenauf-teilung, Rubrizierung sowieSchriftarten. Er löst dieTexte in ihre kleinstenBestandteile, die 26 Buch-staben des lateinischenAlphabets, auf. So müssennur noch die Buchstabengeschnitten und gegossenwerden. Sie stehen danachimmer wieder für beliebigeTexte zur Verfügung.

Ein genaues Geburts-datum Gutenbergs ist nir-gends festgehalten. Sicherist, dass er um die Jahr-hundertwende in Mainz, in eine Welt von lauterAnalphabeten, geborenworden ist. Er hat nach der«Gemeinschul» die Univer-sität in Erfurt besucht.

Dank seinem handwerk-lichen Geschick und wage-mutigem kaufmännischenDenken gelingt esGutenberg, mit seinen dreiGesellschaftern einenVertrag einzugehen. Darin verpflichten sie sich,über seine Erfindung Still-schweigen zu bewahren,was bis in die heutige Zeitimmer wieder als«Geheimnis um Guten-berg» gedeutet wird. DieseVerpflichtung ist jedochnichts anderes alskaufmännisches Kalkül.

KeineZeitung ohneGutenberg

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Von Barbara WeberNicht nur Kleider

machen Leute, auch dieLieblingsbücher und Lieb-lingsautoren zeigen einStück Persönlichkeit. Siebegleiten einen oft einLeben lang: Da berichteteine viel belesene Seniorin,dass das Lesen der Platon-Dialoge ihr in jungenJahren das Leben gerettethat. Sie dachte damals anSuizid. Eine andere leiden-schaftliche Leserin, um dieDreissig und in zappendenZeiten aufgewachsen,staunt selber, dass ihrLieblingsbuch seit zehnJahren dasselbe ist – «DerFänger im Roggen» vonJ.D. Salinger. Das Buch seifür sie immer wiederlesenswert, weil es dieOptik, die Sichtweise, dieWelt «verschiebe».

Auffallend oft kehrenMenschen mit ihren Lieb-lingsbüchern zurück in dieKindheit, etwa mit Saint-Exupérys «Der kleinePrinz», mit Klaus Schäde-lins «Mein Name istEugen» oder (Geheimtipp)mit den JugendautorinnenEdith Nesbit oder ElizabethGoudge. Beide haben langevor Michael Ende dem Kindeine richtige Rolle zuge-teilt. Die Bücher bleibendeshalb auch für Erwach-sene attraktiv.

Offen ist die Frage, obman sein eigenes Lieb-lingsbuch weiterschenkensoll. Wer von Berufs wegenmit Büchern zu tun hat, isteher vorsichtig: Was den einen gefällt, kann andere kalt lassen.Lieblingsbücher sind ofteine persönliche Sache. AlsSchenkende sind wirschnell verletzt, wenn dieBeschenkten unberührtbleiben. Leichte Lektüre,ein Ferienschmöker oderein mitreissender Krimisind unverfänglicher.

Lieblings-bücher fürs Leben

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«Erwachsenen-Comic ist Schundliteratur», war vor den

Jugendunruhen der 80er Jahre noch zu hören. Heute ist der

Comic akzeptierter denn je – auch in der Deutschschweiz.

Trotzdem kann niemand seine Brötchen damit verdienen.

«Von Comics leben? Vergessen Sie's!»

Zum siebten Mal werden diesen Herbst Comics an der Frankfurter Buch-messe vertreten sein. An der Buchmesse in Basel im letzten Frühling warensie zum zweiten Mal mit dabei. Auch Hollywood hat den Braten gerochen undverfilmt, äusserst erfolgreich, einen Comic nach dem anderen.

«Die Akzeptanz gegenüber Comics in der Gesellschaft ist gestiegen», freutsich Christian Messikommer, Organisator der Zürcher Comic-Börse. Diesefindet zweimal jährlich statt und kann pro Anlass auf ein treues Publikum vonknapp 1500 Personen zählen. Vom Teenie bis zum Rentner; Comicliebhabersind in allen Generationen vertreten.

Nun ist man versucht zu glauben, dass dem Comic ein goldenes Zeitalterbevorsteht. Christian Messikommer winkt ab: «Hier in der Deutschschweizwird der Comic nie, wie in Frankreich oder Belgien, zu einem Kulturgut wer-den. Kein Comiczeichner kann bei uns von seinem Beruf leben».

Hannes Binder aus Zürich ist seit der Geburtsstunde des Deutschschwei-zer Comics in den 80er Jahren einer der erfolgreichsten Comiczeichner. Durchseine Friedrich-Glauser-Adaptionen hat er bis über die Szene hinaus Berühmt-heit erlangt. Das kürzlich erschienene Sammelwerk dieser Krimi-Serie «Nüüdappartigs» ist in der Comicszene zum Bestseller avanciert, «Glausers Fieber»gar vergriffen.

«Ob ich davon leben kann? Das können Sie vergessen», sagt er ernüch-ternd. Er halte sich mit Vorträgen, Lehrerjobs und Illustrationen über Wasser.Die Szene sei einfach zu klein, um viel Geld zu verdienen, sagt er. Auch Chris-tian Messikommer weiss: «Comic ist ein farbiges Printprodukt und darum sehrteuer; zu teuer für die Jugendlichen. Zudem drucken die Verlage jeweils nurkleine Auflagen», erklärt er.

Wie der ganzen Literaturbranche weht nun auch dem Comic ein eisiger Windentgegen. Der Markt sei am Einbrechen, sagt Messikommer und fügt resignierthinzu: «Früher hat es in Zürich fünf Comicbuchläden gegeben, heute gibt esnoch zwei.»

Hannes Binder hat sich aus der Comicszene zurückgezogen. Der bald 60-Jährige zeichnet nun Bilderbücher für Kinder und Erwachsene, eine Form, dieihm als Zeichner mehr Freiheiten lässt als der Comic, wo die Bilder «auf Brief-markengrösse begrenzt sind», wie er sagt. Auch im Bilderbuchsegment bleibtder Goldregen leider aus, doch Hannes Binder betont: «Ich will mich nichtbeklagen, denn es ist eine sehr schöne Arbeit.»

Text: Joachim Schmidt, Bild: aus «Der Chinese» von Hannes Binder

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TIPPS UND TRICKS 21

WOLFSGEHEUL ODERGIRAFFENGESANG?Konflikte vermeiden. Wer hat nicht schon Dinge gesagt, die späterLeid taten? Die gewaltfreie Kommunikation nimmt die gegen-seitigen Bedürfnisse wahr und ernst und beugt so Verletzungen vor.

Man fühlt sich angespannt oder bedrückt, besorgt, durcheinander, erschöpft, hilflos,ruhelos,schuldig,traurig,unglücklich,unter Druck,unruhig oder unzufrieden.Wiedereinmal hat ein Gespräch nicht zum gewünschten Ergebnis geführt, sondern ist in einenregelrechten Krach ausgeartet. Warum nur?Schuld daran ist die Wolfssprache, die mit verletzenden Worten heftige Reaktionenprovoziert. Wer hingegen das ABC der gewaltfreien Kommunikation beherrscht, lerntsolche unerwünschten Verbalspiralen vermeiden. Sie oder er bedient sich dann derGiraffensprache; diese ist eine einfühlsame, verbindende Sprache, denn die Giraffe hatdas grösste Herz.

DIE VIER SCHRITTE GEWALTFREIER KOMMUNIKATION:

1. Ereignis beschreiben: Am Anfang steht die nicht wertende Beobachtung ohneVerallgemeinerungen oder Interpretationen. Beispiel: «Wenn ich sehe / höre, dass ...»2. Gefühl beschreiben: «Fühle ich ...». Zentral ist, die Verantwortung für negativeGefühle nicht beim Gegenüber sondern bei sich selbst zu suchen und dasentsprechend zu formulieren. Negative Gefühle entstehen aufgrund unbefriedigterBedürfnisse. Wichtig ist deshalb, die eigenen Bedürfnisse zu ergründen, sich aberauch derjenigen der anderen bewusst zu werden.3. Bedürfnis beschreiben: Das eigene Grundbedürfnis wird beschrieben: «Weil ich ...brauche / möchte ...» Bedürfnisse können wir nur für uns persönlich haben, also sindFormulierungen wie «weil du» im Zusammenhang mit BedürfnisformulierungenTabu.4. Wunsch formulieren: «Und deshalb bitte ich dich / wünsche ich mir ...». Eine Bitteist keine Forderung, sondern lässt die Möglichkeit offen, nein zu sagen, wenn beimGegenüber andere Bedürfnisse vorliegen, die es zu berücksichtigen gilt.

Beispiel: «Wenn ich höre,dass du zu spät gekommen bist,weil du noch jemanden getrof-fen hast, dann bin ich frustiert, weil ich mich auf Abmachungen verlassen möchte. Unddeshalb bitte ich dich, mir jetzt zu sagen, ob du in Zukunft bereit bist, die abgemach-ten Zeiten einzuhalten.» Wer sich eingehender mit dem Thema befassen möchte, findeteinen ersten Überblick über die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosen-berg unter www.gewaltfrei.de.

Kurse aus dem BereichKommunikation

GewaltfreieKommunikationDie Methode der gewalt-freien Kommunikation nachMarshall B. Rosenbergmacht alle Beteiligten auchin schwierigen Situationenhandlungs- undentscheidungsfähig. Wichtig sind Respekt undGleichwertigkeit.

Konflikte erkennen – Konflikte lösenUm Konflikte zu lösen,braucht es Mut, Toleranzund Durchsetzungsvermö-gen. An eigenen Beispielenwerden neue Strategienerarbeitet und die Fähigkei-ten erweitert, um friedlichmit anderen umzugehen.

Weitere Infos und Anmeldung unter www.eb-zuerich.ch

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Page 22: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2006

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Wohin an diesem heissen Sommernachmittag imZürcher Stadtkreis 4? Ins nahe Hinterhofgärtchen derGenossenschaft Dreieck, wo Roger Nydegger schongelebt hat, als das ganze Häusergeviert vom Abbruchbedroht war und die Bewohnerinnen und Bewohnermit Phantasie und Hartnäckigkeit für den Erhalt derWohn- und Gewerbebauten kämpften? Oder lieberam Tischchen vor der Bar sitzen, wo immer wiedermal jemand vorbeikommt, stehen bleibt und einpaar Worte mit Roger Nydegger wechselt? Der Thea-terschaffende ist in seinem Quartier eine bekanntePerson: Nicht zuletzt durch die beiden temporeichenund witzigen Spielfilme, die er mit 30, 40 Kindern ausder Umgebung gedreht hat und für die er mit einemPreis ausgezeichnet worden ist.

Neben der professionellen Theaterproduktion ar-beitet Nydegger gern mit Kindern. Oder auch mitälteren Menschen: Für das Tanztheater Dritter Früh-ling hat er 65-jährige Tanzbegeisterte und jugendli-che Breakdancer in einer Produktion zusammenge-bracht. Das Spontane, nicht so Glattgekämmte findeter im Theater spannend: «Ich liebe die Arbeit mit denMenschen und all ihren Unzulänglichkeiten», meinter; neue Herausforderungen stehen ihm näher als Si-cherheiten, selbst wenn er diese manchmal vermisse.

ARBEITEN IN AFRIKA. Auch seine Theaterengage-ments in Afrika sind Herausforderungen. Jedes Jahr,meistens während zwei Monaten, arbeitet der Regis-seur und Theatermacher in Afrika, die letzten Jahre in

Rollenspiele, Denkprozesse. Körper-gefühl, Selbstsicherheit und Kommunika-tionsfähigkeit vermittelt der KursleiterRoger Nydegger den Kursteilnehmendenan der EB Zürich. Als passionierterTheatermacher pendelt er zwischenZürich und Westafrika. Von Charlotte Spindler

PERSÖNLICH

THEATER ZWISCHENUND BURKINA FASO

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PERSÖNLICH 23

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Burkina Faso. In Kontakt zu Theaterleuten aus afri-kanischen Ländern kam er als Schauspieler in einemStück des nigerianischen Autors Wole Soyinka inLeeds im Norden Englands.Das war vor etwa zehn Jah-ren. Kurz darauf konnte er in Ägypten mit arabischenTheaterprofis ein Stück für Kinder inszenieren undwirkte als Schauspieler mit. Die über 40 Aufführun-gen vor bis zu 1000 begeisterten Kindern waren für ihnein Schlüsselerlebnis. Später kamen Auftragsarbeitenin Westafrika hinzu, u.a. unterstützt von Pro Helvetiaund Schweizer Hilfswerken.

«In Afrika habe ich mich selten gefragt, warum ichüberhaupt Theater mache», sagt Nydegger, «Theaterin Afrika ist anders, weil das Leben dort viel existen-zieller ist.» Er erzählt von der Zusammenarbeit mitafrikanischen Theaterschaffenden, von den Tourneendurch Dörfer, die überhaupt noch nie von einer Thea-tertruppe besucht worden sind, und von seinen aktu-ellen Projekten in Burkina Faso, unter anderem einerInszenierung von Shakespeares «Sommernachts-traum», adaptiert auf afrikanische Verhältnisse.«Theater soll bewegen, Denkprozesse in Gang brin-gen und dabei den hohen künstlerischen Anspruchhalten», meint er.

LEBENDIGES THEATER. Roger Nydegger, 48, besuch-te in den Achtzigern, der Zeit des politisch engagier-ten und experimentellen Theaters, die «VorbühneZürich», damals eine wichtige Ausbildungsstätte fürangehende Tanz- und Theaterschaffende. Nach der

dreijährigen Ausbildung war er als Schauspieler beifreien Bühnen in Basel, Bern und Zürich zu sehen undstudierte berufsbegleitend Theaterwissenschaft. Einwichtiger Aspekt war für ihn immer auch die Thea-terpädagogik; viel praktisches Know-how konnte ersich als Ensemblemitglied des Jungen Theaters Baselholen. In den letzten Jahren führt Nydegger vermehrtselber Regie; ab und zu taucht sein Kopf auch inSchweizer Spielfilmen auf, zuletzt in «Grounding».

Roger Nydegger hat mehrere Standbeine: Im Auf-trag der Bildungsdirektion führt er interkulturelleProjektwochen an Volksschulen und Lehrerfortbil-dungskurse durch und macht Theaterarbeit miterwerbslosen Jugendlichen. Als Kommunikations-trainer kommt er aber auch in die Führungsetagenvon Grossunternehmen, unter anderem ins Assess-ment-Center einer Grossbank. «Was diese so ver-schiedenen Aktivitäten verbindet, ist das Theater-spielen», sagt er; «es könnte ein universelles Heilmit-tel sein, wenn es uns gelingt, dem Spieltrieb in unswieder Leben einzuhauchen. Rollenspiele beispiels-weise lösen oft ganz erstaunliche Veränderungenaus.»

SPONTAN UND SELBSTBEWUSST. An der EB Züricherteilt Nydegger, der hier auch seine Ausbildung zumErwachsenenbildner SVEB gemacht hat, seit dreiJahren Kurse: «Einführung in die Körpersprache»und «Schlagfertig und spontan reagieren». In diesenKursen möchte er den Teilnehmenden zeigen, wie siean den eigenen Stärken arbeiten können und lernen,dass in Auseinandersetzungen «auch mal was zurück-kommt», ohne dass das gleich den Weltuntergangbedeutet: «Schlagfertigkeitstraining hebt das Selbst-bewusstein.»

Fünf Uhr vorbei, Roger Nydegger muss aufbre-chen, seine dreijährige Tochter Sona von der Krippeabholen. Er steigt aufs Velo mit dem türkisfarbenenKindersitz – und verschwindet im Aussersihler Feier-abendverkehr.

ZÜRICH

Roger Nydegger lebt es vor: Der Spieltrieb sollte nie verloren gehen.

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ständlich, dass ich darin gar nichts Besonderes sehe»,sagt Fuchs. «Im Gegenteil: Ich ertappe mich immerwieder dabei, wie ich meine Arbeit abwerte. Ich kocheja nur ein Mittagessen,ich erledige ja nur den Einkauf,ich helfe ja nur den Kindern bei den Hausaufgaben.Und am Ende des Tages habe ich noch das Gefühl,nichts getan zu haben.»

Wahrscheinlich wird sie von nun an nicht mehrunsicher von sich sagen,sie sei «nur Hausfrau».Damithätten Silvia Silberschmidt und Ruth Anner ein wich-tiges Ziel des Lehrgangs erreicht: die eigene Arbeitwertzuschätzen und mit Selbstbewusstsein zu ver-

Organisationstalent mit Managementerfahrung,belastbar und selbständig, sozial kompetent undlösungsorientiert, mit hohem Pflichtbewusstsein,erfahren in Zeit- und Kostencontrolling,äusserst loyalund ausdauernd, hohe Frustrationstoleranz. So stehtes an der Tafel und es klingt wie die Ausschreibung füreine Kaderstelle. Brigitte Fuchs ist überrascht, denndieses Profil soll ihr entsprechen. Die Teilnehmerin-nen des Lehrgangs «Weiterbildung in der Familien-phase» haben es für sie erstellt – anhand ihres Arbeits-alltags als Hausfrau und Mutter zweier pubertieren-der Kinder. «Meine Arbeit ist für mich so selbstver-

AUF ZU NEUENHORIZONTENWeiterbildung in der Familienphase. Nur Hausfrau – diese abschätzige Formulierung macht Frauen den Wiedereinstieg ins Berufsleben schwer. Dass sie mehr sind und können, vermittelt ein Kurs der EB Zürich seit Jahren erfolgreich. Von Ilka Stender

KURSFENSTER

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KURSFENSTER 25

treten. Silberschmidt und Anner, beide diplomierteBerufs- und Laufbahnberaterinnen, leiten diese Wei-terbildung für Frauen, die neben oder nach der Fami-lienarbeit wieder in das Berufsleben einsteigen wol-len. Etwa 15 Frauen im Alter von Mitte 30 bis Mitte 50treffen sich zwei Semester lang einmal pro Woche.DerLehrgang beginnt mit einer Standortbestimmung,lässt die Teilnehmerinnen ihr Potenzial entdecken,Ziele und Wünsche formulieren und hilft ihnen, dieseschliesslich umzusetzen. Neben den Laufbahnberate-rinnen arbeiten verschiedene Referentinnen mit denFrauen; sie vermitteln Arbeits- und Lernmethodenoder schulen in Kommunikations- und Präsentati-onsfähigkeit. Weitere Lernziele sind Körperbewusst-sein, Umgang mit Stress und das Schliessen von Bil-dungslücken.

RESPEKT! Die Motivation der Frauen ist unterschied-lich, ebenso ihre Bildung, ihr sozialer, familiärer undfinanzieller Hintergrund. Zu spüren ist dies bei denTreffen aber nicht, die Stimmung ist locker, vertrautund wohlwollend. «Wir haben Regeln festgelegt fürden Umgang miteinander. Der Respekt des anderenist Bedingung und dass alles, was gesagt wird, unteruns bleibt»,erklärt Inge Mathis,Hausfrau und Mutterdreier Kinder. Sie besucht den Lehrgang, weil sie her-ausfinden möchte, wo ihre Stärken und Schwächenliegen, um «die eigene Entwicklung voranzutrei-ben», wie sie sagt. Andere Teilnehmerinnen müssen

neu allein für ihre Kinder und den Unterhalt sorgen,wieder andere arbeiten bereits Teilzeit und suchennach Alternativen zum jetzigen Job oder nach Wegen,um Beruf und Familie besser zu verbinden.

NEUE UFER. Auch Diomira Sloksnath war auf derSuche. Neben der Familienarbeit hatte sie bereits eineAusbildung absolviert und ein Behördenamt inne.«Es war nicht das, was ich wollte, aber ich wusste auchnicht, was ich wollte.» Also entschied sie sich für denLehrgang als eine Art «Laufbahnberatung in derGruppe». «Die Gruppe ist gut, weil sie motiviert»,erklärt Sloksnath, «allein wäre ich wahrscheinlichbequemer und hätte immer eine Ausrede, warumich gerade keine Zeit habe, die Dinge in Angriff zunehmen.» Inzwischen weiss sie auch, was sie will. Insozialpolitischer Arbeit sieht sie ihre Zukunft, fürdie Ausbildung «Management und Leadership» derEB Zürich ist sie bereits angemeldet. Auslöser war dasfiktive Bewerbungsgespräch bei einer Gewerkschaft.Solch ein Gespräch arrangieren die Leiterinnen fürjede Frau. Dabei bewerben sich die Teilnehmerinnenbei einem realen Arbeitgeber um ihre Wunschstelle.Das Gespräch ist fiktiv, aber nicht geschönt, Bewer-bungsmappe und Lebenslauf werden genauso kri-tisch betrachtet wie bei einem realen Vorstellungs-termin. Die Gruppe gibt Feedback, aus dem die Be-werberin für den Ernstfall lernen kann.

MUT FINDEN. Brigitta Beschart hat sich real bewor-ben, bei der Spitex. Und sie hat die Stelle bekommen!Geträumt hatte sie lange davon, aber sich dann dochnie getraut, den entscheidenden Schritt zu gehen.«Ich habe keine gute Ausbildung und das hat michimmer verunsichert», erklärt die allein erziehendeMutter eines erwachsenen Sohnes. «In der Gruppehabe ich gelernt, an mich zu glauben und selbstbe-wusst aufzutreten.» Wichtig für diese Entwicklungempfindet sie das Feedback der anderen Kursteilneh-merinnen. «Erstaunlich wie sehr die Wahrnehmungder anderen manchmal von meinem Selbstbildabwich – im positiven Sinn. Und das hat mir gutgetan», sagt Beschart. Im zweiten Halbjahr wird jedeTeilnehmerin von den anderen eingeschätzt. Sieerfährt, wo diese ihre Stärken und Schwächen, ihreBegabungen und Neigungen sehen.

KLAR SEHEN. Auch Monika Steffen hat so eine klarereVorstellung von ihrem zukünftigen Arbeitsfeld er-halten: Es kristallisierte sich heraus, dass sie ihre In-teressen für Umwelt und Natur mit ihrer Stärke imVermitteln von Inhalten kombinieren sollte. Auchkonkrete Berufsbilder standen schliesslich an derTafel. Berufe, an die Monika Steffen nie gedacht hat,die ihr jetzt aber absolut passend erscheinen. «DieserLehrgang ist etwas vom Besten, was ich je gemachthabe», schwärmt sie. «Ich habe mich sehr verändert.Auch meine Umgebung nimmt das wahr und findet,ich sei zufriedener, positiver und selbstsicherer.»Damit diese Wirkung anhält, wollen die Teilnehmer-innen sich auch nach Ende des Lehrgangsregelmässigzum Erfahrungsaustausch treffen.Wie alle Frauen dervorangegangenen Lehrgänge übrigens auch.

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Familienarbeiterinnen: In der Gruppe zu neuen Perspektiven

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Im Gespräch. Trotz hohen Bildungs-investitionen gelingt es der Schweiz zu

wenig, bildungsferne Schichten zu Weiter-bildung zu bewegen, damit sie

arbeitsmarktfähige Qualifikationen nach-holen. Professor Karl Weber konstatiert

eine sich öffnende Schere zwischenBildungsarmen und Bildungsreichen und

fordert verstärkte Anstrengungen, um siezu schliessen. Interview: Christian Kaiser

Arbeitsmarktes zu tun. Beispielsweise werden inunserem Land im Bereich der KV-Weiterbildung zwi-schen Fähigkeitsausweis und MBA-Abschluss an derUni mehr als ein Dutzend Abschlussmöglichkeiten an-geboten.

Schuld ist also unser Hang zum Spezialistentum?Enge Spezialisierungen sind weder nachhaltig noch in-novationsfördernd. Die Verbände als Weiterbildungs-anbieter verdienen zudem an Vorbereitungen und Ab-schlüssen, wodurch partikuläre Interessen gefördertwerden. Das Berufsbildungs- und Weiterbildungssys-tem entwickelt so eine ungesunde Eigendynamik; dieweiten Wege führen bei den Weiterbildungsinteres-sierten zu Frustration und Resignation. Wir müssen unsüberlegen, wie wir das Weiterbildungssystem besserstrukturieren und nachhaltiger ausgestalten können.

Weshalb sind solche Systemfehler nicht schon früher beseitigt worden?

QUALIFIKATION

EB Kurs: Punkto Investitionen in die Bildung gehört die Schweiz im europäischen Vergleich zurSpitzengruppe. Können wir uns also zufriedenzurücklehnen?Karl Weber: Im internationalen Vergleich investiertdie Schweiz tatsächlich weit überdurchschnittlicheöffentliche und private Mittel in Bildung und Weiter-bildung. Doch damit ist noch nichts darüber gesagt, wiehaushälterisch und wirksam diese Gelder tatsächlicheingesetzt werden: Die Pisa-Studien und der AdultLiteracy Survey zeigen, dass die Bildungsinvestitionennicht den Ertrag abwerfen, den man von ihnen erwar-ten darf. Einige Experten von Weiterbildung weisendarauf hin, dass das Geld nicht optimal verwendetwird.

Weshalb werfen die Investitionen in dieWeiterbildung zu wenig ab?Das hat mit der fortschreitenden Tendenz zur Über-spezialisierung sowie mit der Segmentierung des

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INTERVIEW 27

Sind wir zu bequem?Wir neigen zumindest dazu, nur hervorragend ausge-bildete Ausländerinnen und Ausländer sowie Hilfs-kräfte zu «importieren», die unsere Jobs im Mittelfeldnicht gefährden. In Bezug auf das in der Schweiz brach-liegende Humankapital, etwa das der in der Schweizaufgewachsenen Ausländerinnen und Ausländer, giltÄhnliches: Auch dieses wird schlecht genutzt.

Weshalb? Die Hinweise sind klar: Wir sind offensichtlich nichtbedingungslos daran interessiert, alle vorhandenenBildungsressourcen zu nutzen und schlechter Quali-fizierte gezielt zu fördern. Weshalb ist das so? Liegtes allenfalls daran, dass wir lieber den Abstand zu denwenig Qualifizierten erhalten, um unsere besserePosition zu sichern? Es macht den Anschein, als sähenwir Schweizer eine weit geöffnete Schere zwischenBildungsreichen und Bildungsarmen gar nicht so un-gern.

FÜR ALLE

Ein Hauptproblem besteht sicher darin, dass derMangel an Fachkräften in der Schweiz seit Langemdurch Immigrationen bewältigt wird. Das schwächtden Innovationsdruck auf das Bildungssystem. Aus-serdem stellt der bisherige Erfolg des Systems eineHypothek für seine zukunftsorientierte Veränderungdar.

Heisst das, wir beziehen qualifiziertes Personaleinfach aus dem Ausland, anstatt es selbst heran-zubilden?Ausländerinnen und Ausländer sind vor allem beiden Hochqualifizierten und den Ungelernten über-durchschnittlich vertreten. Im Bereich Forschung undEntwicklung etwa beträgt der Ausländeranteil über40 Prozent, bei den Hilfskräften ist er ähnlich hoch.Die Schweizerinnen und Schweizer hingegen gebensich offenbar gern mit einer Position «au juste milieu»zufrieden. Dorthin steigen wir auf, ohne allzu viel dafürtun zu müssen.

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Die Schweiz ist doch stolz auf die Chancengleichheitin ihrem Bildungssystem, wie können Sie da voneiner «Bildungsschere» sprechen?Diese Schere existiert: In der Schweiz klafft eine gros-se Lücke zwischen Bildungsarmut und Bildungsreich-tum. Als bildungsarm werden jene Populationen defi-niert, die bloss eine obligatorische Schule abgeschlos-sen haben oder deren Kompetenzniveau gemäss denPisa-Studien die Stufe 1 nicht erreicht. Unter den 15-jäh-rigen Jugendlichen in der Schweiz absolvieren 12 bis15 Prozent weder eine Berufslehre noch eine weiter-führende Schule, in den älteren Altersgruppen liegtdieser Anteil noch höher. Auf der anderen Seite ist auchder Anteil der Personen mit Hochschulabschluss in-zwischen relativ hoch. Dadurch sind die Bildungspro-file – gemessen an Abschlussquoten oder Kompeten-zen – in der Schweiz im internationalen Vergleich sehrheterogen. In Ländern wie Finnland weist das Human-kapital demgegenüber eine bemerkenswerte Homo-genität auf.

Weshalb ist das schlecht für unsere Gesellschaft?Die Bildungsarmen bilden den «harten Kern» derGruppe der Weiterbildungsabstinenten. Entscheidenddabei ist, dass dieser Gruppe Weiterbildung verun-möglicht ist, weil sie ohne einen Bildungsabschlussüber keine anschlussfähigen Qualifikationen verfügt.Rund einem Viertel der Erwerbstätigen bleibt so derAnschluss an die traditionelle Weiterbildung ver-wehrt. Der Ausländeranteil in dieser Gruppe ist be-trächtlich. Zur mangelnden Motivation der Bildungs-ungewohnten kommen also noch fehlende formaleVoraussetzungen hinzu.

Das «Recht auf Bildung» gilt also für einige mehr als für andere?Ja, ein gleichberechtigter Zugang zu den Bildungs-einrichtungen besteht nicht für alle; die Kategorieder «Ungebildeten», die keinen anschlussfähigen Ab-schluss besitzen, geht im System verloren, Aufstiegs-chancen sind ihnen verbaut. Für die privaten Anbieterin der Weiterbildung sind sie zudem keine interessan-te Zielgruppe: Ihre Zahlungsbereitschaft und -fähig-keit ist begrenzt, sie sind schwer zu unterrichten, dieErträge von Bildungsinvestitionen ungewiss, die Risi-ken sind also insgesamt beträchtlich.

Was können wir tun, damit sich die Schere zwischen der sehr gut und der sehr schlecht aus-gebildeten Bevölkerung nicht weiter öffnet?Die öffentliche Hand ist als Bildungsanbieterin ge-fordert. Weil die Schweiz insbesondere aus demogra-fischen Gründen künftig auf gute Qualifikationen an-

Prof. Dr. Karl Weber ist ein ausgewiesener Weiterbildungs-experte: An der Universität Bern leitet er die Koordinations-stelle für Weiterbildung und ist Mitglied der Studienleitungfür verschiedene Nachdiplomstudiengänge, unter anderem«Weiterbildungsmanagement», «Evaluation» oder «Mana-gement im Gesundheitswesen». Neben seiner Tätigkeit ander Universität amtet er auch als Präsident der Leitungs-gruppe des Nationalfonds-Forschungsprojekts NFP43 über«Bildung und Beschäftigung» und ist Mitherausgeber derFachpublikation «Grundlagen der Weiterbildung». Einer vonWebers Arbeitsschwerpunkten ist die «Weiterbildungs-, Bil-dungs- und Hochschulforschung im Kontext von Arbeit undPolitik», daneben erforscht er auch die Steuerung von Bil-dungssystemen sowie das Management von Bildungsein-richtungen. Der Kanton Bern lässt sich von Weber in Berufs-und Weiterbildungsfragen beraten.

gewiesen ist, müssen wir handeln: Das Minimalzielmuss eine für Weiterbildung anschlussfähige Qualifi-kation für alle sein. Primar- und Sekundarstufe müssenihren Förderungsauftrag besser wahrnehmen.

Und bei der Weiterbildung?Die Weiterbildungsanbieter müssen für die bildungs-fernen Schichten Nachholbildungen bereitstellen –das ist eine klassische Aufgabe für die öffentlichenTräger der Weiterbildung. Allen, die motiviert sind,sollte es möglich sein, versäumte Abschlüsse nachzu-holen. Um allen das Recht auf Bildung zu gewähren,braucht es riesige Anstrengungen und genau dieseAnstrengungen müssen wir dringend auf uns nehmen.

Sie sehen es also als eine öffentliche Aufgabe an, Wei-terbildung für alle zu gewährleisten...Ja, der öffentliche Auftrag muss «Qualifikation für al-le» lauten. Freilich: Wird die Gruppe der «Ungebilde-ten» besser qualifiziert, verstärkt sich die Konkurrenzum knappe Beschäftigungspositionen. Das sollten wirin Kauf nehmen, denn auf Dauer ist das sicher für dieGesellschaft und ihre weitere Entwicklung von Vorteil.Betrachtet man die demografische Entwicklung derSchweiz können wir es uns schlicht und einfach nichtleisten, Humankapital ungenutzt zu verschwenden!

Report «Zukunftschance Weiterbildung»

Dieses Interview ist ein Auszug aus dem «BiZE-Report 1», dersich dem Thema «Zukunftschance Weiterbildung» widmet.Der Report fasst in übersichtlicher und kompakter Form diewichtigsten Ergebnisse eines Events zusammen, welchen dieEB Zürich Anfang Jahr unter dem Titel «SpannungsfeldBildung» organisierte; verschiedene Expertinnen und Exper-ten (u.a. Heike Bruch, Martin Heller, Christian Schmid)

beziehen Position zu aktuellen Bildungsfragen, bringen neuePerspektiven ein und legen ihre Visionen einer künftigenBildungslandschaft Schweiz dar. Interessierte können die Bro-schüre auf www.eb-zuerich.ch (unter «Aktuell») als PDF her-unterladen oder in der gedruckten Version bestellen. Auch in Zukunft wird das BiZE im Zürcher Seefeld ein Ort sein,wo nicht nur still über Bildung nachgedacht, sondern auchlustvoll über Bildungsfragen diskutiert werden wird: www.bize.ch.

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KUNST 29

KRAFT UND BEWEGUNGWelle. Willy WimpfheimersSkulptur vor dem BiZE lebt.

Gewundene Stäbe ziehen sich durch das ganze Werk des 1938 geborenen Zürcher Bildhauers Willy Wimpfheimer.Sind diese in jüngeren Zeiten aus Eisen – etwa vor demTramdepot Irchel –, so arbeitete Wimpfheimer 1970 amBildhauersymposium auf dem Gelände der FreizeitanlageRiesbach wie alle anderen Teilnehmer mit Stein, mitweissem Cristallina-Marmor. Ein schneller Blick auf dieSkulptur mag Assoziationen an eine Bostitch-Klammerwecken. Der Schein trügt. Da ist keine Erstarrung, da istBewegung, die fliesst. Die vermeintliche Symmetrie erweistsich als falsch, allenfalls vorhanden als Möglichkeit, nichtaber als Endzustand. Der Riss im Sockel beweist, dass solcheBewegung ungeahnte Kräfte freimacht.

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LESEN, HÖREN, SEHEN

LESENSpurensuche. Spencer C. Spencer, Professor fürPhilosophie und Dekan an einem College in Texas, istverschwunden, so viel steht fest. Dank einer engagiertenBibliothekarin können wir seine Aufzeichnungen lesen,die er in seinem Versteck, einem abgelegenen Kaff amRande der Wüste, geschrieben und an einem merkwürdi-gen Ort versteckt hat. Mit wunderbarer Schwerelosigkeitund seinem leisen, unverwechselbaren Humor verführtuns der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson miteinem Thriller, der es mit witzigen Dialogen und skurrilenBegebenheiten mühelos schafft, uns jenseits des Banalenin Fragen von philosophischer Erhabenheit zu verwickeln.

Brigitta FumasoliKursleiterin Englisch

Lars GustafssonDer Dekan, 2004

HÖRENEnergie. Groovige Rhythmen, elektrisierende Sounds.Seit gut 30 Jahren erfreuen Judas Priest Hard-Rock-Fansmit wirklichem Heavy Metal. Kein Nu-, Rap- oderWasauchimmer-Metal. Neben der gerideten Harleydealen Priest mit der Power, feelen das Adrenalin. Werbitte schön kleidet die eigenen textlichen Unzulänglich-keiten derart liebevoll in Metal-Klischees wie die Briten?Mit dem neuen Album weilen die Metal Gods definitivwieder unter uns. Aufbauender Heavy Metal, derEnergien freisetzen kann. Dazu als Motto eine Textzeile:«If you think it's over, better think again.» Deshalbkönnen alle Fans beruhigt ihre Lederjacke wiedervernieten.

Jean-Pierre LipsMitarbeiter Administration Judas Priest

Angel of Retribution, 2005

SEHENIntelligenz. Witzig, berührend und märchenhaft erzählt uns Fredi M. Murer in seinem neuesten Film dieGeschichte eines hoch begabten Knaben. Vitus, so heisster, spielt wunderbar Klavier und liest den Brockhausschon im Kindergarten. Seine Mutter wittert eine grosseKarriere für ihn. Doch das Wunderkind ist einsam. Es bockt und sucht Zuflucht bei seinem Grossvater,wunderbar gespielt von Bruno Ganz. Bei ihm findet derJunge seine Ruhe, bastelt und träumt vom Fliegen. Mit einem Sprung nimmt er dann sein Leben in dieeigene Hand. Schüchtern, frühreif und abgeklärt startetVitus ein Doppelleben, bei dem er einem so richtig ansHerz wächst.

Hans ChristenKursleiter Persönlichkeitund Management

Fredi M. MurerVitus, 2006

Kursleitende und Mitarbeitende der EB Zürich geben

Tipps zu interessanten Büchern, CDs und Videos.

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WEITERBILDUNG 31

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www.eb-zuerich.ch [email protected]

EB ZürichKantonale Berufsschule für WeiterbildungBildungszentrum für Erwachsene BiZERiesbachstrasse 118090 ZürichTelefon 0842 843 844

Weiterbildung – wie ich sie will

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Mit 8 Seiten

Journi-Journal