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AUSLESE Familienbande

SOS-Kinderdörfer Auslese 2010

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In unserer jährlich erscheinenden „Auslese“ finden Sie Geschichten aus den SOS-Einrichtungen in aller Welt. Kinder und Erwachsene berichten über ihr Leben und erzählen, wie SOS-Kinderdorf ihrem Schicksal beeinflußt hat.

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AusleseFamilienbande

„Wenn Sie sich fragen, was Sie persönlich

tun können, um verzweifelten Kindern zu

helfen, dann bitte ich Sie:

Informieren Sie sich über SOS-Kinderdorf

und unterstützen Sie seine Arbeit.“

Angelina Jolie

MexikoIsrael rennt Seite 2

sri lankaFamilienbande Seite 4

lettlandHinsehen und helfen Seite 8

NepalBlumen Seite 13

PeruJuans Traum Seite 14

RuandaWir wollen leben! Seite 16

IndienTashi baut Brücken Seite 20

Warum kommen Kinder ins

SOS-Kinderdorf? Wie wachsen sie

dort auf, was wird aus ihnen? Und was

für Menschen sind es, die für die

SOS-Kinderdörfer arbeiten und als

SOS-Mütter, Pädagogen und

Psycho logen täglich verzweifelten

Kindern neue Hoffnung schenken?

Die vorliegende Auslese zeigt Kinder,

Jugendliche und Erwachsene, denen Sie

durch Ihre Unterstützung geholfen haben.

Danke, dass sie Kindern in Not ein liebevolles Zuhause schenken!

AusleseFamilienbande

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Mexiko

Israel rennt

Israel rennt. Das tut er meistens. Entweder es ist ein Fußball,

dem der Achtjährige hinterherläuft, oder es sind seine jüngeren

Geschwister David (6) und Valeria (5). Die Geschwister sind

unzertrennlich, und das nicht erst, seit sie Ende Dezember

2008 ins SOS-Kinderdorf Mexiko-Stadt kamen. Schon zuvor

hatten die drei eine verschworene Einheit gebildet. Anders

hätten sie ihr Leben vor dem Kinderdorf auch nicht meistern

können. Aufgewachsen in einem der Armenviertel von Mexiko-

Stadt, kannten Israel, David und Valeria kein liebevolles Fami-

li en leben. Ihre alleinstehende Mutter war Alkoholikerin und

nicht imstande, den Kindern die notwendige Nestwärme zu

geben. Dafür gab es die Großmutter, an der Israel, David und

Valeria sehr hingen. Aber auch sie konnte ihnen kein sicheres

Zuhause bieten, denn der Großvater der Kinder war gewalttätig.

Seine Wut richtete sich abwechselnd gegen eines der Kinder.

Schnell war klar: Die Kinder müssen hier raus!

„Sind die ruhig. Viel zu ruhig!“, war der erste Gedanke von

SOS-Mutter Ana, als sie die Geschwister zum ersten Mal sah.

Für die Kinder aber war das „Unsichtbarsein“ überlebensnot-

wendig gewesen. Jahrelang. Nur nicht auffallen, keinen Mucks

von sich geben, niemals widersprechen – das hatten sie von

klein auf gelernt. Und selbst diese Taktik hatte ihnen die Prügel

des Großvaters nicht erspart. Es dauerte Wochen, bis Israel,

David und Valeria anfingen, aus sich herauszu gehen. Israel

brauchte am längsten, um zu glauben, dass ihm jetzt keine

Schläge mehr drohen. Valeria dagegen, die Kleinste, hat sich

am schnellsten in der Familie von SOS-Mutter Ana eingelebt.

Sie liebt die Vorschule, wo sie jedes Wort der Lehrerin wie ein

Schwamm aufsaugt. Daheim spielt sie am liebsten mit ihren

Puppen. David, das mittlere der Kinder, ist ein Bücherwurm

und sehr gut in der Schule. Außerdem malt er für sein Leben

gerne. Israel fühlt sich auch in der Familie von Ana stets für

seine Geschwister verantwortlich. Aber die größte Last hat

ihm Ana bereits am Tag seiner Ankunft von den Schultern ge-

nommen: Israel muss sich nicht länger schützend vor David

und Valeria stellen. Er darf jetzt selbst Kind sein.

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sri lanka

Familienbande

Thilaka Ranasinghe war eine von 20 Frauen, die sich ent schie-

den hatten, SOS-Mutter zu werden. Das war vor 30 Jahren, als

die SOS-Kinderdörfer in Sri Lanka ihre Arbeit aufnahmen.

Im Alter von zwei Jahren zog Sandun Samantha zu Thilaka ins

Familienhaus „Lotus“. Thilaka hieß den kleinen Sandun als ihr

erstes Kind herzlich willkommen. In den folgenden Monaten

wuchs die Familie: Thilaka nahm neun weitere Kinder bei sich

auf – nicht nur in ihr Haus, sondern auch in ihr Herz.

Thilaka war eine engagierte Mutter, die großen Wert auf gute

Erziehung und das Wohlergehen ihrer Kinder legte und immer

darauf bedacht war, dass ihre Kinder ihre Ziele erreich ten.

Dennoch war sie nur elf Jahre in der Lage, sich um ihre Kinder

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zu kümmern: Sie litt an Arthritis, die ihr starke Schmerzen be-

reitete, und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich zu-

sehends. Schweren Herzens musste Thilaka vorzeitig in den

Ruhestand gehen.

Gerne wollte man Thilaka im SOS-Kinderdorf behalten, aber sie

kehrte lieber in ihr Heimatdorf zurück. Eine neue SOS-Mutter

übernahm Thilakas Familie, und obwohl sich die Kinder nach

anfänglichen Schwierigkeiten bei ihrer neuen Mutter wohl

fühlten, blieb der enge Kontakt zu Thilaka. Alle zehn Kinder,

auch Sandun, wuchsen heran, beendeten ihre Ausbildung und

begannen zu arbeiten.

Sandun und seine Geschwister besuchten Thilaka regelmäßig

an den Wochenenden. Sie halfen ihr beim Baden, wuschen

ihre Kleider, kauften für sie ein und leisteten ihr Gesellschaft.

Ein paar Jahre ging das so, bis sich Thilakas Zustand weiter

verschlechterte und sie in ein Heim ziehen sollte, weil sie in-

zwi schen rund um die Uhr Pflege brauchte. Als Sandun und

seine Geschwister davon hörten, waren sie sich einig: Das

woll ten sie nicht zulassen, sie selbst würden sich um ihre

Mama kümmern! Thilakas Kinder besprachen, wie es weiter-

gehen könnte. Es würde nicht leicht werden, das war allen

klar, denn die Geschwister lebten ziemlich verstreut, sie muss-

ten ihrem Beruf nachgehen und hatten selbst Familien, die sie

brauchten. Doch als sie in größerer Runde von ihrem Plan er-

zählten, fanden sich spontan andere ehemalige SOS-Kinder

dazu, und gemeinsam mietete man ein Haus, in das Thilaka

einziehen konnte.

Ein genauer Plan wurde ausgetüftelt, wer wann Zeit hat, und

alles so organisiert, dass ihre Mutter keine Minute allein sein

muss. Es fanden sich Wege und Mittel, dass Thilaka stets

eines ihrer Kinder bei sich hat. Rund um die Uhr.

Inzwischen hat sich Thilakas Zustand weiter verschlechtert.

Wenn Thilaka sich aus diesem Leben verabschieden wird,

werden ihre Kinder bei ihr sein. Das Band der Liebe und Für-

sorge, das die SOS-Mutter einst zu ihren Kindern geknüpft

hat, als sie ihre Hilfe brauchten, ist so stark, dass es die Familie

auch jetzt zusammenhält.

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Geschwistergruppe aus dem SOS-Kinderdorf Nuwara Eliya, Sri Lanka

lettland

Hinsehen und helfen

Hinsehen, das ist ein wichtiger Bestandteil von Alitas täglicher

Arbeit. Alita arbeitet im Team der SOS-Familienstärkung in

Olaine, einem kleinen Ort nahe der lettischen Hauptstadt Riga.

Sie schaut genau hin, wenn sie Familien besucht, die in Platten-

bauten oder erbärmlichen Hütten am Rande der Siedlung

leben: „Hier leben Eltern mit mehreren Kindern in einem nur

20 m2 großen Raum, weil sie sich keine richtige Wohnung

leis ten können“, berichtet Alita. Die wirtschaftliche Lage Lett-

lands hat sich in den vergangenen Jahren extrem verschlech-

tert. Viele Familien fallen durch das soziale Netz, da Teile der

öffent lichen Hilfen aufgrund der Wirtschaftskrise weggebro-

chen sind.

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Hinsehen hat für die 40-Jährige viele Bedeutungen. Vor eini gen

Jahren war sie gezwungen, ihr eigenes Leben genau unter die

Lupe zu nehmen. Die Mutter von drei Söhnen fühlte sich damals

ihrer Familiensituation nicht mehr gewachsen. Ihr Jüngster ist

sehbehindert, der Älteste war Mitglied in einer Jugendgang und

der Mittlere kam oft zu kurz. „Mein Mann hatte nur wenig Zeit,

sich um die Kinder zu kümmern“, erzählt Alita. Die schwierige

Situation auf dem Arbeitsmarkt zwang ihn, mehrere Jobs an-

zunehmen. Nur so konnte er die Familie versorgen. Alita litt

unter der Sorge um ihr blindes Kind und fühlte sich isoliert. „Ich

war nur noch zu Hause. Ich merkte, dass ich die Bedürfnisse

meiner Söhne immer weniger verstehen konnte.“ Unterstüt-

zung fand Alita in der SOS-Familienstärkung. In Gesprächen

und Therapiestunden lernte sie, mit ihrer Familiensituation

um zugehen. Und ihre Jungs profitierten von Kursen und Frei-

zeitaktivitäten. Die Mutter und ihre Söhne fanden einen Weg,

wieder gut mitein an der klarzukommen. Und Alita sah ein, wie

wichtig eine richtige Förderung für ihren Jüngsten ist. „Julijs

besucht nun während der Woche ein Internat für Sehbehin-

derte. Er macht dort große Fortschritte und spielt begeistert

Trompete“, be richtet sie stolz. „Im vergangenen Jahr war er

sogar zu sammen mit seinem großen Bruder in einem Ferienla-

ger.“ Das Erlebnis hat die Brüder zusammengeschweißt – und

den Mitreisenden viel über den Umgang mit Blinden gelehrt.

Mit der Lösung ihrer eigenen familiären Probleme entdeckte

Alita eine neue Seite an sich. Sie hatte die Kraft, etwas zu

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verändern und wollte dieses Talent auch für andere einsetzen.

So begann sie eine Ausbildung zur Sozialhelferin und arbeitet

heute als Teilzeitkraft im Team der SOS-Familienstärkung.

„Mein Traum ist es, mich weiterzubilden und Sozialarbeiterin

zu werden“, erzählt Alita, „dann kann ich noch besser sehen,

was Familien in Not brauchen.“ Erkennen, wo Gefahr droht,

dass ein Kind misshandelt wird. Hinsehen, wo angesichts ma-

teriellen Elends die Menschen seelischen Beistand brauchen.

Wissen, welche Maßnahmen notwendig sind, um das Potential

der Betroffenen auszuschöpfen.

Bei der Frage, ob ihre eigene Lebensgeschichte ihr dabei hilft,

die betreuten Familien zu einer Verbesserung anzuspornen,

lacht Alita und schüttelt heftig den Kopf. „Wenn ich mit einer

Familie arbeite, zählt nur deren Geschichte“, sagt sie. „Es ist

wichtig, dass jede Familie ihre eigene Lösung für ihre Situation

findet.“ Und dabei hilft Alita.

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SOS-Kinderdorf Valmiera, Lettland

Nepal

BlumenSaneetha, 13 Jahre, SOS-Hermann-Gmeiner-Schule Itahari, Nepal

Die Knospen wachsen

Verwandeln sich in Blumen

In den verschiedensten Farben

Wenn ich Blumen sehe

Gehe ich zu ihnen

Um ihren beruhigenden Duft zu atmen

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Lilie und Lotus

Lächeln mich an

Rosen und Stiefmütterchen

Sprechen zu mir

Blumen machen mich glücklich

Blumen erfrischen mich

Ich pflanze Blumen

Ich liebe Blumen

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Peru

Juans Traum

„Für mich, wirklich für mich?!“ Noch heute, 14 Jahre nachdem

Juan den ersten Brief seines Lebens bekommen hat, kann der

junge Mann sich ganz lebendig erinnern. Er war fünf Jahre alt,

als er das erste Mal Post von seinem Paten erhielt: einen Brief

und einen kleinen Bildband über die Heimat des Paten. Die

Fotos hatten es Juan besonders angetan, denn sie zeigten

eine ihm unbekannte Welt, mit Schneelandschaften und zuge-

frorenen Seen. „Ich weiß noch genau, wie sehr mich die Bilder

fasziniert haben. Auch den Brief habe ich lange angeschaut,

obwohl ich noch gar nicht lesen konnte.“ Juan hatte sich die

Post geschnappt und war damit auf sein Bett geklettert, um

sie ungestört betrachten zu können.

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Juan ist heute 19 Jahre alt. Er kann als junger Erwachsener bild-

haft schildern, was es ihm bedeutet hat, einen Paten zu haben

und zu wissen, dass am anderen Ende der Welt jemand an ihn

denkt. Juan lebt seit einiger Zeit nicht mehr im SOS-Kinder-

dorf, weil er in Lima eine Ausbildung macht. „Ich komme oft

am Wochenende nach Hause“, erzählt er. Juan hängt sehr an

seiner zwei Jahre jüngeren leiblichen Schwester und seiner

jüngsten SOS-Schwester und gesteht, dass er sie und seine

SOS-Mutter Maria oft vermisst. Doch Juan ist auch sehr froh

über seine Ausbildung in der Hauptstadt. Er besucht eine

Fachschule für Modedesign und möchte sich eines Tages mit

dem Verkauf selbst entworfener Herren bekleidung selbständig

machen: „Vorher möchte ich noch ein Studium zum Textil-

ingenieur machen. Und einen Namen für meine Firma habe

ich auch schon: ‚Honu‘, das heißt Schildkröte.“

Nach seinen Plänen für die Zukunft befragt, sind es nicht nur

berufliche Pläne, von denen Juan erzählt. Er hält einen Mo-

ment inne und dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht:

„Ich stelle mir vor, wie ich eines Tages einmal nach Europa

fahre und dort Schlittschuh laufe.“ Ein Kind, das auf einem

zugefrorenen See Schlittschuh läuft, das ist ein Bild aus dem

Büchlein von seinem Paten. Juan hat es all die Jahre wie einen

Schatz bewahrt.

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Ruanda

Wir wollen leben!

Catherine Flore Ngo Biyack ist als Sozialarbeiterin für die

SOS-Kinderdörfer in Zentralafrika im Einsatz. Sie erlebt täglich

mit, wie wichtig die SOS-Familienstärkung in Ruanda ist. Und

sie erfährt Familiengeschichten. Es sind Geschichten, in denen

die furchtbaren Ereignisse von 1994 stets präsent sind, als ein

Völkermord binnen drei Monaten rund eine Million Menschen

das Leben kostete. Und es sind Geschichten, in denen AIDS

eine Hauptrolle spielt, auch wenn die Immunschwächekrank-

heit kaum je beim Namen genannt wird. Trotz dieser Tragödien

überwiegt letztlich die Hoffnung.

sandy ist ein winziges Mädchen. Auf den ersten Blick würde

man sie für eine Vierjährige halten. Aber Sandy ist schon zehn

Jahre alt. Und sie ist HIV-positiv. Vor vier Jahren starb ihre

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Mutter an AIDS, und auch ihr Vater leidet an der Immun-

schwächekrankheit. Aber HIV hin oder her: Sandy ist ein leb-

haftes Kind, das gerne mit den Nachbarskindern spielt und

voller Neugierde auf Fremde zugeht. Sie hat vieles aufzu holen.

Aufgrund jahrelanger Mangelernährung und fehlender medizi-

nischer Behandlung konnte Sandy in ihrer Entwicklung nie mit

Gleichaltrigen mithalten. Zum Laufen war sie zu schwach. Des-

halb konnte sie nicht zur Schule gehen. Die SOS-Familien-

stärkung hilft Sandy nun, das Versäumte nach zuholen: Die

Kleine wird mit Medikamenten versorgt, und ihr Vater erhält

Lebensmittelpakete. Das Schönste für Sandy und ihren Vater

ist jedoch, dass das Mädchen im vergangenen Jahr endlich

eingeschult werden konnte. Sandys Beispiel zeigt: Es gibt ein

Leben mit HIV / AIDS. Und eine Zukunft.

Ganz anders als bei Sandy daheim, herrscht im Haus von

Gregorys Großmutter gespenstische Stille. Gregory leidet

wieder einmal an einer Entzündung, die seinen schwachen

kleinen Körper fest im Griff hat. Die HIV-Infektion des Neun-

jährigen wurde jahrelang nicht behandelt, weil seine Familie

das notwendige Geld nicht aufbringen konnte. Gregorys Mutter

war während des Genozids 1994 vergewaltigt und mit AIDS

infiziert worden. Aufgrund ihrer Krankheit und der furchtbaren

Erinnerungen, die sie quälten, hatte sie bis zu ihrem Tod vor

drei Jahren nicht die Kraft, dem Jungen viel Zuneigung zu

schenken. Umso mehr hängt Gregory an seiner Großmutter.

Noch ist er zu schwach, um zur Schule zu gehen, aber die

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Antiretroviraltherapie, die er im Rahmen der SOS-Familien-

stärkung erhält, schlägt bereits an. Er leidet weniger häufig

an Infektionen, kann heute zumindest stunden weise das Bett

verlassen und wird, wenn alles gut geht, nächstes Jahr ein-

geschult werden.

AIDS hat in Afrika eine ganze Generation ausgelöscht, die Ge-

neration der Eltern. Zurückgeblieben sind Kinder und Groß-

eltern. Während es in Gregorys Fall die Großmutter ist, die

die Elternfunktion übernommen hat, ist es für Clementine (16)

und Esther (10) die 17-jährige Claudine. Sie kümmert sich um

ihre jüngeren Schwestern. Wie früher ihre Mutter, sorgt jetzt sie

dafür, dass beide Mädchen morgens pünktlich das Haus ver-

lassen, um zur Schule zu gehen. Claudines besondere Sorge

gilt der kleinsten Schwester, denn Esther hat sich noch im

Mutterleib mit HIV angesteckt. Claudines Herzenswunsch ist

es, dass Esther trotz ihrer Erkrankung so normal wie möglich

aufwachsen kann. Das ist dank der SOS-Familienstärkung

auch möglich: Esther kann zur Schule gehen, sie erhält die

überlebensnotwendigen Medikamente und wird mit gesunden

Lebensmitteln versorgt. Am liebsten mag Esther übrigens die

frische Milch in den Lebensmittelpaketen der Familienhilfe.

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Catherine Flore Ngo Biyack an ihrem Schreibtisch in Yaoundé, Kamerun

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Indien

Tashi baut Brücken

„Wer weiß, wohin mich meine nächste Aufgabe verschlägt?“,

sagt Tashi Rubling. Und dabei lächelt er. Tashi ist Tibeter. Als

er vier war, hat er seine Heimat verloren – gemeinsam mit vie-

len anderen Tibetern floh Tashis Familie vor der chinesischen

Invasion zu Fuß nach Indien. Das war 1959. Tashi verlor auch

seine Familie und kam ins SOS-Kinderdorf der Exil-Tibeter im

nordindischen Dharamsala. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte

Tashi Dinge von der Welt gesehen, die für zwei Biographien

reichen würden. Und seine Reise über die Grenzen von Spra-

chen und Kulturen ging weiter: In England wurde er Ingenieur.

1978 kam er zurück mit dem Wunsch, sein Wissen und seine

Kraft den Tibetern zu widmen – wiederum im SOS-Kinderdorf.

Er war zuständig für den Bau von neuen SOS-Kinderdörfern

und Ausbildungszentren in Indien und Nepal. Und manche

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dieser Einrichtungen leitete er selbst. Tashi lebte für die Men-

schen und nicht für die Häuser, die er als Ingenieur für diese

Menschen baute. Und doch war er am Bau eines Gebäudes

beteiligt, auf das er ganz besonders stolz ist: Der Dalai Lama

beauftragte ihn mit dem Bau seines Sitzes in Dharamsala. Für

Tashi eine ganz besondere Anerkennung. Dabei vergaß er aber

nicht, wo er herkam: Er brachte gleich viele seiner ehemaligen

Schüler aus den SOS-Einrichtungen mit zur Baustelle nach

Dharamsala. Für eine Reihe von ihnen markierte dieses Projekt

den Durchbruch auf dem eigenen Lebensweg! Zwischenzeit-

lich bekam Tashi den kanadischen Pass, auf den er und seine

Familie schon lange gewartet hatten. Tashi brachte alle seine

Projekte in Asien erfolgreich zu Ende und trat die Reise in die

neue Heimat nach Calgary an. Zum wievielten Mal fing er hier

von vorne an? Er weiß es selber nicht mehr. Dann, irgendwann

in den 1990er Jahren, erreichte ihn eines Nachts ein Anruf von

Tashi Rubling im Kreis seiner Mitarbeiter

SOS, er würde dringend in Äthiopien gebraucht, wo es mit

dem Bau eines SOS-Ausbildungszentrums nicht voranging.

Tashi sagte schlaftrunken zu, legte auf und fragte sich am

nächsten Morgen, ob er das nur geträumt habe?

Hatte er nicht. Das von ihm erbaute Ausbildungszentrum für

Krankenpfleger in Makalle ist seit 2002 in Betrieb und gehört zu

den erfolgreichsten seiner Art. Der Traum, in Kanada sesshaft

zu werden, geriet bei Tashi etwas in Vergessenheit: Der rast lose

tibetische Baumeister übernahm den Job des SOS-Bau koor-

dinators in Südost-Asien und hat nun seine Zelte in Phnom Penh

aufgeschlagen. SOS-Schulen, -Dörfer, -Ausbildungszentren –

Tashi hat großen Anteil an einem Netzwerk, das Kinder und

Jugendliche auffängt.

Seit er vier Jahre alt ist, ist Tashi unterwegs. Verschleißt der

Mensch da nicht vorzeitig? „Nein, ich habe zwar seit 1959

keine geographische Heimat mehr. Aber das, was man hier

und dort für andere Menschen tun kann, lässt eine Heimat

im Herzen reifen“, sagt Tashi. Er fühlt sich vom Leben reich

beschenkt: Seine Kraft und sein Wissen setzt er dafür ein,

dass Kinder ein Zuhause finden, bevor sie selbst die Lebens-

reise antreten. Und natürlich ist er stolz auf den Beitrag, den

er geleistet hat, damit sein Volk sich wenigstens ein bisschen

daheim fühlen darf – weit weg von Tibet. Seine eigenen drei

Kinder sind längst aus dem Haus. Oft haben sie das unstete

Familienleben verwünscht. Heute sagen sie: „Wir sind reich

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beschenkt worden durch das, was wir auch an den armen und

traurigen Plätzen dieser Erde erlebt haben. So was lernt man

nicht in der Schule. Wir sind unserem Vater sehr dankbar.“

Viele junge Menschen denken gerne an Tashi, ihren Lehrer,

Meister und Ratgeber aus den SOS-Einrichtungen. Viele haben

Tashis Handynummer gespeichert. Wenn er wieder mal ge-

braucht wird, klingelt das Telefon. Und Tashi hat immer eine

Idee, wie man das Problem in den Griff kriegen kann. Und

dabei lächelt er.

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sOs-Kinderdörfer weltweit

Jedem Kind ein liebevolles Zuhause,

das ist unser Credo. Dank Ihrer

Unterstützung können die

SOS-Kinderdörfer diesen Wunsch

Wirklichkeit werden lassen.

Helfen Sie mit, vielen weiteren Kindern

eine Familie, Bildung und medizinische

Versorgung zu sichern.

unterstützen sie die sOs-Kinderdörfer weltweit auch in Zukunft!

Fotos: Robert Fleischanderl, Katerina Ilievska,

Reinis Hofmanis, Wolfgang Kehl, Marko Mägi,

Alan Meier, Benno Neeleman, Catherine Flore

Ngo Biyack, Patrick Wittmann

„Es gibt viele gute Wege, Kindern zu

helfen. Wir sind nicht die einzigen, aber wir

haben unseren Weg und der ist so einfach

und so selbstverständlich, dass die Welt es

verstehen muss.“

Hermann Gmeiner

sOs-Kinderdörfer weltweit Hermann-Gmeiner-Fonds

Deutschland e.V.

Ridlerstraße 55

80339 München

Telefon: 089 / 179 14 - 140

oder gebührenfrei: 0800 / 50 30 300

Fax: 089 / 179 14 - 100

[email protected]

www.sos-kinderdoerfer.de