Gefangenen Info #350

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  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    gefangenen infounsere solidaritt gegen ihre repression

    |oktober 2009|preis: 2 |nr. 350 |www.gefangenen.info

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    Inhaltsverzeichnis

    2 | Gefangenen Info | Oktober 2009

    Liebe Leserinnen und Leser,

    ihr haltet mittlerweile die Nummer 350 des Gefangenen Infos in euren Hnden. Wirmchten uns deshalb bei allen UntersttzerInnen dieser wichtigen Zeitung bedan-ken, dass das Erscheinen bis zum heutigen Tag ermglicht wurde. In unserer all-tglichen Arbeit stellen wir immer wieder aufs Neue fest, dass die Bewegung einMedium bentigt, welches eine Brcke zwischen drinnen und drauen aufbaut undund diese Brcke bewahrt. Auch weiterhin werden wir unser Bestes geben, demAnspruch zu gengen und uns auch perspektivisch gesund weiterzuentwickeln.

    Dass das GI den Behrden ein Dorn im Auge ist, wurde in der Vergangenheit bereitsetliche Male unter Beweis gestellt. Nun haben wir einen erneuten Beleg dafr: DiePrsidentin des Oberlandesgerichts Dsseldorf hat gegen den presserechtlichenVerantwortlichen unserer Zeitung, Wolfgang Lettow, eine Strafanzeige wegen an-geblicher Verleumdung erstattet. Demnach sei der Artikel Nuri Eryksel: Blind inBeugehaft (im GI Nr. 348 vom Juli 2009) Gegenstand dieser Anzeige.Wir werden euch ber die Entwicklungen in dieser Sache auf dem Laufenden haltenund erklren im voraus, dass das gesamte Redaktionskollektiv geschlossen undkonsequent hinter ihrem presserechtlichen Verantwortlichen steht und repressiveManahmen uns in unserer Arbeit nicht einschchtern knnen. Unser Aufruf lautetvon daher: Besucht die 129b Prozesse in Dsseldorf und Stuttgart-Stammheim,untersttzt die Angeklagten und macht die Justizfarce ffentlich (nheres hierzu und

    zu den aktuellen Besuchsverboten auf Seite 8)!

    Zum Schwerpunkt dieser Ausgabe, den wir mit einem einleitenden Text auf Seite 4versehen haben, ist zu sagen, dass die aktuellen Mobilisierungen ausschlaggebendwaren und wir diese im Rahmen unserer Mglichkeiten untersttzen und strkenwerden. Wir verweisen ein weiteres Mal auf die dringende Situation in Mumia Abu-Jamals Fall: Achtet auf Ankndigungen und bereitet euch fr Mumia 3+12 vor (n-heres hierzu auf Seite 7).Eine weitere Mobilisierung stellt der TagX zum Berliner mg-Prozess dar. DieserStaatsschutzprozess (den wir mit seinen aktuellen Entwicklungen auf Seite 3 do-kumentieren) bedeutet einen Angriff gegen die gesamte linke Bewegung und mussdeshalb mit einer geschlossenen Haltung unsererseits erwidert werden. Achtet aufAnkndigungen auf www.einstellung.so36.net und mobilisiert zum TagX.

    Da wir interessiert sind, unsere eigenen Diskussionen fr die Leserinnen und Lesertransparent zu machen, drucken wir seit der letzten Ausgabe (Nr. 349) die TextserieIRH/RHI. Zur Geschichte und Aktualitt einer Solidaritts- und Antirepressionsorgani-sation ab. In dieser Ausgabe ist der zweite Teil dieser Serie enthalten und befasst sichmit den Kampagnen und Bettigungsfeldern der historischen IRH. Diese Serie werdenwir in der kommenden Nummer fortfhren.

    Abschlieend mchten wir das Vorwort noch dazu nutzen, um unsere neue Bankver-bindung bekanntzugeben. Diese ist unterhalb des Vorworts im Impressum abgedruckt.Wir mchten uns bei den solidarischen GenossInnen und FreundInnen bedanken, diesich fr die Errichtung des Kontos eingesetzt haben.

    In diesem Sinne:

    Repression kann uns nicht einschchtern!Drinnen und Drauen - EIN KAMPF!

    Die Redaktion

    E-Mail: [email protected] Homepage: www.gefangenen.info

    Vorwort

    Extraschleife im mg-ProzessMobilisierung fr den TagX

    Politische Gefangene in den USA

    Warum der Fall Peltier keinJustizirrtum istoder: Warum mandas FBI festnehmen msste

    Free the Cuban 5 - Schuldigwegen der Verteidigung Kubas

    Es geht um Mumias Leben

    Die Verantwortlichen sind beim

    Namen zu nennen!Interview zum 129b-Prozessin Dsseldorf

    Zur Verhaftungvon Verena Becker (Teil 1)

    Interview mitWerner Braeuner (Teil 2)

    Gler Zere muss freigelassenwerden - Der Trkische Staatspielt auf Zeit

    Wir brauchen jetzt nochmaleinen neuen Anlauf, um dieGefangenen aus Action Directe,die noch im Knast sind,rauszukriegen.

    Die Kampagnen und Betti-gungsfelder der InternationalenRoten Hilfe (IRH)

    Rebellische Mosaike

    Paolo Neri-Ausstellung undVeranstaltungsreihe in Berlin

    Brief von Nurhan Erdem

    Folterkammer AmerikaBroschre derRoten Hilfe Deutschland

    Schreibt den Gefangenen aus

    unserer Bewegung

    Folterkammer Amerika

    Schwerpunkt

    Inland

    International

    Gefangene/ Briefe aus den Knsten

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    Feuilleton

    Seite 3

    IRH/RHI Dossier (Teil 2)

    Das Gefangenen Info ist aus dem Angehrigen Info her-vorgegangen, welches im Hungerstreik der politischenGefangenen als Hungerstreik Info 1989 entstand.HerausgeberInnen: Netzwerk Freiheit fr alle poli-tischen Gefangenen und FreundInnen.V.i.S.d.P.: Wolfgang Lettow c/o Gefangenen Info, Stadt-teilladen Lunte e.V., Weisestrae 53, 12049 BerlinNichtredaktionelle Texte spiegeln nicht unbedingt dieMeinung der Redaktion wider. Beitrge der Redaktionsind entsprechend gekennzeichnet.

    Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbe-halt ist die Zeitung solange Eigentum der/des Absen-derIn, bis es den Gefangenen ausgehndigt worden ist.Zur-Habe-Nahme ist keine Aushndigung im Sinnedes Vorbehalts. Wird das Info den Gefangenen nichtpersnlich ausgehndigt, ist es der/dem AbsenderIn mitdem Grund der Nichtaushndigung zurckzuschicken.

    Anschrift: Gefangenen Info, c/o StadtteilladenLunte e.V., Weisestrae 53, 12049 BerlinRedaktion: [email protected]: [email protected]:

    Johannes Santen, RaTreuhandkontoGefangenen InfoKonto-Nr.10382200Bankleitzahl: 20010020

    Postbank HamburgBestellungen: Einzelpreis: 2 . Ein Jahresabonne-ment kostet 29,90 (Frderabo 33,20), Buchlden,Infolden und sonstige Weiterverkufer erhalten beiBestellungen ab 3 Stck 30% Rabatt. Bei Bestellungenerhalten Sie eine Rechnung, die anschlieend auf dasKonto des Gefangenen Info zu berweisen ist.

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    Oktober 2009 | Gefangenen Info | 3

    Im Staatsschutzprozess gegen Axel, Floriund Olli, denen die Mitgliedschaft in derklandestinen Gruppierung militante grup-pe (mg) und ein versuchter Brandanschlagauf drei Bundeswehr-LKWs vorgeworfenwird, hat das Kammergericht Mitte Sep-tember alle Antrge der Verteidigung bisauf einen abgelehnt. Insgesamt brachte dieVerteidigung 12 politische Beweisantrge,darunter einen Einstellungsantrag, in dieHauptverhandlung ein (nachzulesen un-ter: www.einstellung.so36.net/de/prozess/beweisantraege). Die AnwltInnen wolltenu.a. Ex-Bundeskanzler G. Schrder, sei-nen damaligen Verteidigungsminister R.Scharping, den frheren Auenminister J.Fischer sowie den ehemaligen NATO-Ge-neral Wesley Clark als Zeugen vorladen.Diese sollten besttigen, dass die BRDdurch ihre militrische Prsenz im Kosovo,im Irak und in Afghanistan an Kriegsverbre-chen beteiligt ist und vlkerrechtswidrigeAngriffskriege fhrt. Damit sind, so die Ver-

    teidigung, anti-militaristische Abrstungsi-nitiativen vom im Grundgesetz verankertenWiderstandsrecht gedeckt. So heit es ineinem der Antrge: Die Schdigung vonZivilistInnen ist vlkerrechtswidrig. WennDeutschland sich an vlkerrechtswidrigenHandlungen beteiligt und solchen Hand-lungen zuarbeitet, ist Widerstand dagegenlegitim. Wenn der Krieg, der hier gefhrtwird, angegriffen wird, kann das nur als Wi-derstand gegen eine Beteiligung an einemillegitimen Krieg gewertet werden. Dieversuchte Sachbeschdigung, um die esin dem Zusammenhang geht, ist als sym-

    bolischer Angriff auf einen vlkerrechts-widrigen Krieg zu begreifen, durch den dieDramatik der tatschlichen Lage der Ge-sellschaft vor Augen gefhrt werden soll,frei nach der Devise: Was in Deutschlandbrennt, kann in Afghanistan keinen Scha-den mehr anrichten.Der Strafsenat des Kammergerichts wiesdie Antrge zurck, da sie fr die Ent-scheidung ber die Schuldfrage und dieRechtsfolgen aus tatschlichen Grndenohne Bedeutung (sind). Lediglich ein BKA-Gutachter wurde als Sachverstndiger frDruck- und Kopiertechnik geladen. Der

    sagte inzwischen aus, dass das angeblichbei einem der Angeklagten gefundene undvom BKA der mg zugerechnete Minihand-buch fr Militante kein Originalausdruckist, sondern mindestens eine erste, wennnicht gar zehnte, Generationen-Kopie ist.

    Fr die Bundesanwaltschaft (BAW) undden Strafsenat stellt sich somit das Pro-blem, dass ein weiterer Baustein des Kon-struktes der mg-Mitgliedschaft der drei ra-dikalen Linken aus der sog. Anklageschriftbrchig geworden ist. Zumal in dem schrift-lichen Interview mit der mg, das in der ak-tuellen Ausgabe der Untergrundzeitschriftradikal (www.einstellung.so36.net/de/radi161) abgedruckt ist, ausgefhrt wird,dass das ominse Minihandbuch nicht inihrer Schreibstube entstanden ist.Dennoch wird von den Prozessbeobachte-rInnen weiterhin davon ausgegangen, dassBAW und Strafsenat insbesondere dasVereinigungsdelikt ( 129 Mitgliedschaftin einer kriminellen Vereinigung) durch-drcken werden, damit das Exempel dermg-Mitgliedschaft statuiert ist. Wenn dieserPrzedenzfall formaljuristisch abgesegnetsein sollte, ist die Grundlage geschaffen,in knftigen Verfahren mit vermeintlichemmg-Bezug eine Verurteilung nach 129

    schnell ber die Bhne zu bringen.

    Mobilisierung fr den TagX

    Die Urteilsverkndung in diesem Pilotver-fahren wegen angeblicher mg-Mitglied-schaft wird fr Anfang November erwartet.Bereits seit einigen Wochen laufen die Mo-bilisierungen fr den TagX. In Berlin undHamburg wird es Kundgebungen bzw. eineDemonstration geben. In dem Bndnisauf-ruf zur TagX-Mobilisierung aus Berlin heites u. a., dass der mg-Prozess ein Prozessgegen uns alle ist: Repressionsschlge

    gegen einzelne linke AktivistInnen stellenletztlich immer einen Angriff auf die ge-samte Bewegung dar. Dementsprechendmssen wir auch auf Repression reagie-ren. Das Thema geht uns alle an nichtnur diejenigen, die gerade akut davon be-troffen sind.Klargestellt wird auch, dass die Auseinan-dersetzung nicht nur um das Repressi-onsfeld kreisen darf: Unser Kampf richtetsich aber nicht allein gegen die Angriffe derRepression, sondern ist vor allem auf diePerspektive einer solidarischen und klas-senlosen Gesellschaftsordnung ausgerich-

    tet. Diese Perspektive sollten wir auch inder Anti-Repressionsarbeit immer deutlichmachen. Im politischen Kampf spielt dieSolidaritt mit den politischen Gefangeneneine wichtige Rolle, da sie Teil der Bewe-gung sind und wir uns jeder Vereinzelung

    und Isolierung der Betroffenen entgegen-setzen mssen. Und auerdem bleibt diealte Lehre: Wer den Kapitalismus abschaf-fen will, (...) gert frher oder spter in denFokus der staatlichen Repressionsorgane.Die Angeklagten im mg-Verfahren habenseit Mrz letzten Jahres mit einer Viel-zahl von Veranstaltungen oder Beitr-gen das Prozessgeschehen und seinepolitische Dimension referiert. Trotz desparallel laufenden Verfahrens bzw. derlangen Prozessdauer bringen sie sich alspolitische Subjekte in die Debatte um dieOrganisierung einer politischen Antirepres-sionsarbeit ein. In ihrer Grubotschaft zurFreiheit statt Angst-Demo haben sie sichu. a. dazu geuert: Wenn der Strafsenatversucht, uns fr eine anti-militaristischePolitik und sozial-revolutionre Haltungzu bestrafen, richtet sich diese Anklage imGrunde genommen gegen alle linken Krf-te, die sich gegen einen Staat wenden, derin Bezug auf Krieg gegen Terror einerseits

    Krieg fhrt, ttet und foltert, andererseitsmglicherweise befreiende Gewalt, vomFarbbeutelanschlag bis zum Strassenriotals Mittel gesellschaftlicher Auseinander-setzung mit Sanktionen belegt. Auch hin-sichtlich ihres knftigen politischen Enga-gements halten die drei Genossen an einerlibertren Perspektive fest: Widerstandist und bleibt notwendig, denn der globa-lisierte Kapitalismus wird selbst zum Krieg(...) Wir organisieren uns weiter gegen denKriegskapitalismus. Deshalb arbeiten wirweiter an der Idee einer klassenlosen Ge-sellschaft.

    Ein solidarisches Gegengewicht zur staat-lichen Repression kann aufgebaut und or-ganisiert werden; das ist ein wichtiges Er-gebnis, das bereits vor dem Ende diesesStaatsschutzprozesses festgehalten wer-den kann. Holen wir noch einmal tief Luft,um unsere Genossen aus dem mg-Verfah-ren zu untersttzen, indem wir uns in Be-wegung setzen! (Red.)

    Mobilisierungen fr den TagX

    Berlin: Kundgebung um 8h, Kriminalge-

    richt Moabit, Wilsnackerstr. 4; Demons-tration um 19h, Kottbusser Tor.

    Hamburg: Kundgebung, 19h,

    S-Bhf. Sternschanze.

    Mobilisierung fr den TagX

    Extraschleifeim mg-Prozess

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    Schwe

    rpunkt

    politische gefangene in den usaWir haben fr unsere aktuelle Ausgabe desGefangenen Infos das Thema politischeGefangene in den USA als Schwerpunktgewhlt. Den Anlass stellten fr uns Aktu-alitt und Dringlichkeit von drei Fllen dar,die wir mit jeweils einem Beitrag dokumen-tieren und, soweit es uns der Platz erlaubt,vertiefen mchten. Denn whrend sich dieSituation fr Mumia Abu-Jamal zugespitzthat und seine mgliche Hinrichtung bevor-steht, wurde vor kurzem die BewhrungLeonard Peltiers, der seit 1976 inhaftiertist, abgelehnt. Gleichzeitig fand am 12.September ein internationaler Aktionstagfr die Cuban 5 - Gerardo Hernndez,Ren Gonzles, Antonio Guerrero, RamonLabaino und Fernando Gonzlez - statt,die nun seit 1998 wegen der VerteidigungKubas vor terroristischen Anschlgen inUS-Knsten eingesperrt sind.

    Befreiungskmpfe mit langer Tradition

    Auch wenn wir uns hierbei nur auf drei spe-zische Flle konzentrieren, so ist uns doch

    bewusst, dass unzhlige weitere politische

    Gefangene, auch jene, die sich erst hinterGittern politisierten, in US-Knsten einge-sperrt sind. Jedoch stehen diese drei Flleexemplarisch fr viele andere und bergen,

    jede fr sich, eine eigene Geschichte vonrevolutionrem Widerstand und staatlicherReaktion. Wenn wir uns einen tieferen Ein-blick in die Kmpfe und ihre Ursachen ver-schaffen wollen, so ist es notwendig, in derGeschichte weit zurckzugehen. Wir wer-den dadurch eine jahrhundertelange Konti-nuitt und Tradition des Auehnens gegen

    die Vernichtungs- und Assimilierungspolitikder indianischen Bevlkerung Amerikas,

    die Versklavung der afrikanisch-amerika-nischen Bevlkerung, die kolonialistischeUnterwerfung Zentral- und Lateinamerikasdurch die imperialistischen Regime, allenvoran den USA, und die generelle Ausbeu-tung und Unterdrckung der in den USAlebenden Arbeiterklasse erkennen, welcheeindeutig an den sozialen Verhltnissen inden USA abzulesen ist.Die Bewegungen, aus denen die heute ein-gesperrten AktivistInnen stammen, stellenmehrheitlich, trotz ihrer analytischen undideologischen Weiterentwicklung, eineFortsetzung dieser jahrhundertealten Wi-

    derstnde dar. Diese Weiterentwicklung,die sich mageblich im Laufe des 20. Jahr-hunderts vollzog, fhrte mageblich dazu,die Ursachen der Unterdrckung besserzu verstehen und diese in einen breiterenKontext zu stellen. So erhielten viele, zu-

    vor stark antikolonialistisch geprgte undauf nationale Befreiung ausgerichteteBewegungen, einen sozialrevolutionrenCharakter, deren Ausgangspunkt der Klas-senwiderspruch als elementare Erkenntnisbeinhaltete.

    Nicht Ausnahme, sondern die Regel:

    Komplotts und Langzeit-Haftstrafen

    Wenn wir heute von politischen Gefange-nen in den USA hren, sind es in erster Li-nie ehemalige Black Panther-AktivistInnenwie Mumia Abu-Jamal oder American Indi-an Movement (AIM)-Mitglieder wie LeonardPeltier, die aus Befreiungskmpen in denUSA stammen. Sie stehen stellvertretendfr viele andere Gefangene, deren Namenin der BRD leider nur selten auftauchen,wie z.B. die San Francisco 8, von denenzwei, Jalil Muntaqim und Herman Bell, seit1971 bzw. 1973 eingesperrt sind, oder Ro-bert Seth Hayes, der seit 1974 eingesperrtist. Sie, wie viele weitere auch, sind ehe-malige Black Panther-Aktivisten, die durchFBI-Komplotts im Rahmen des COINTEL-

    PRO-Programms verfolgt, diskreditiert undkriminalisiert wurden. Das COINTELPRO-Programm lieferte dem FBI extralegaleBefugnisse, Desinformation zu betreibenund, im wahrsten Sinne des Wortes, Terrorzu praktizieren. Dieser Verfolgung warenneben den Black Panthers und AIM-Akti-vistInnen viele weitere revolutionre Orga-nisationen und ihre Mitglieder ausgesetzt.So standen auch antiimperialistische Orga-nisationen wie die Weather Underground,die sich in den 60ern aus der studentischenBewegung SDS (Students Democratic So-ciety) heraus gebildet hatte oder die Sym-

    bionesische Befreiungsarmee SLA, welcheverschiedene ethnische Gruppierungen insich vereinte, auf der Zielscheibe des FBI.Auch diese Organisationen, die mittlerweilenicht mehr existieren, hatten bis vor einigenJahren noch politische Gefangene.Whrend das FBI das COINTELPRO zurAufstandsbekmpfung im Inneren nutzte,lieferte die Doktrin fr Auseinanderset-zungen niedriger Intensitt dem US-Impe-rialismus Methodik und Richtlinien, um dieAufstandsbekmpfung im ueren anzu-wenden, ohne eine militrische Okkupati-on durchfhren zu mssen. Exemplarisch

    dafr stehen die US-Interventionen im ge-samten zentral- und lateinamerikanischenGebiet, wo Putsche untersttzt und Pa-ramilitrs ausgebildet werden. Deshalbstellen die Cuban 5 oder die puerto-rica-nischen politischen Gefangenen eine wei-

    tere Kategorie politischer Gefangener dar,da sie sich in den USA politisch bettigten,um ihre Herkunftslnder bzw. die Kmpfedort zu untersttzen. Carlos Alberto Torresund Oscar Lopez Rivera, denen ihre Ver-folger eine Nhe zu den puerto-ricanischenBewaffneten Nationalen Befreiungskrften(FALN) zuschreiben, benden sich seit

    ber 25 Jahren in US-Knsten und ihreStrafen enden 2024 bzw. 2027.Viele der Haftstrafen gleichen Todesurteilenund US-Knste verwandeln sich in Srge.Einer der bereits erwhnten San Francis-co 8, Albert Nuh Washington, verstarb imKnast. Saya Asya Bukhari, Richard Wil-

    liams, Merle Africa, Kuwasi Balagoon, Ted-dy Jah Heath, Eddie Hatcher und BashirHameed sind weitere politische Gefange-ne, die den Knast nicht lebend verlieen.

    Ein vorbildlicher Ansatz:

    Die Jericho Movement

    Den verschiedenen Kampagnen fr diepolitischen Gefangenen in den USA wurdeanlsslich eines Aufrufs von 1996 ein ge-

    meinsamer Rahmen fr Vernetzung undZusammenarbeit gegeben. Der Aufruf, dereiner Mobilisierung fr eine nationale De-monstration 1998 zum Weien Haus zu-grunde lag, mndete in der Grndung derJericho Movement, welche alle politischenGefangenen in den USA und ihre Kampa-gnen umfassen sollte. Die Demonstration1998 stellte den praktischen Auftakt dieserVernetzung dar, dem sich ber 50 teilneh-mende Gruppen und Komitees anschlos-sen. Die in diesem Prozess formiertenJericho Organisierungskomitees haben dieAufgabe, ber die Existenz der politischen

    Gefangenen und fr die Anerkennungihres Status als politische Gefangene zukmpfen und existieren heute in den Bun-desstaaten Kalifornien, New York, Mas-sachusetts, Wisconsin, Pennsylvania undweiteren regionalen Komitees der USA.

    Wir hoffen, mit diesem kurzen Einlei-tungstext, der wegen seiner Themenviel-falt um ein vielfaches ergnzt und vertieftwerden knnte, auch Interesse fr die wei-teren politischen Gefangenen in den USAgeweckt zu haben und hoffen, dass dieanstehenden Mobilisierungen erfolgreich

    verlaufen werden. (Red.)

    Weitere Infos:

    www.thejerichomovement.com

    e re ungs mp e m t anger ra t on

    c t usna me, son ern e ege :

    omp otts un angze t- a tstra en

    n vor c er nsatz:

    e er c o ovement

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    Oktober 2009 | Gefangenen Info | 5

    Die Geschichte mag absurd erscheinen:Da wird ein Mensch 1976 in Kanada fest-genommen, wegen Verdachts auf Mord anzwei FBI-Agenten. Dieser Mensch heitLeonard Peltier, doch er htte auch an-ders heien knnen. Der sogenannte Mordhatte bei einer mehrstndigen Schieereistattgefunden, als vier spter verdchtigte,zusammen mit ca. 30 anderen Mnnern,Frauen und Kindern, von ca. 150 Beamtender US-Polizei und -Armee umstellt waren.Zwei der Verdchtigten werden im Sommer1976 vor Gericht gestellt. Sie pldieren aufSelbstverteidigung und werden freigespro-chen. Dann wird Peltier von den kana-dischen Behrden ausgeliefert. Sein Pro-zess beginnt im Mrz 1977. Ihm wird nunals Mord in die Schuhe geschoben, wofrzwei seiner Genossen freigesprochen wor-den sind, und dafr wird er zu zweimal le-benslnglich verurteilt.Knnt ihr noch folgen? Denn damit ist dieGeschichte nicht etwa zuende. Es stelltsich heraus, dass Beweise vom FBI ge-flscht worden sind, dass selbiges FBI ent-

    lastendes Beweismaterial zurckgehaltenhat, dass es Zeugen erpresst hat, damit siePeltier vor Gericht flschlich belasten. Dasist nicht banal. Sptere Gerichte sehensich gezwungen, all diese Anomalien ein-zurumen, und ziehen den Schluss, dassPeltier wohl nicht des Mordes schuldig ist -wohl aber zweimal lebenslnglich verdient.Ich hoffe, ihr knnt immer noch folgen,denn auch hier ist die Geschichte nochnicht zuende. Es folgen Jahrzehnte der

    juristischen Auseinandersetzung. Antrgeber Antrge werden von Peltiers Anwltengestellt. Immer mehr Manipulationen des

    FBI und des Gerichts von 1977 werden be-kannt. Es wird beantragt, den Prozess we-gen der vernderten Beweislage wieder-aufzunehmen; es wird beanstandet, dassdie vorgeworfene Tat auf dem Boden einesReservats geschah und damit gar nicht derUS-Justiz unterliegt; es wird betont, dasssich ein Genosse Peltiers inzwischen zuden tdlichen Schssen bekannt hat; eswird auf Leonards immer kritischeren Ge-sundheitszustand verwiesen; es wird Be-whrung beantragt. Doch im Jahre 2009,33 Jahre spter, sitzt Leonard immer noch.Und zwar nicht in irgendeinem Knast, son-

    dern im Hochsicherheitsgefngnis von Le-wisburgh, Pennsylvania, einem Knast, derfr seine rassistischen Ausflle und Schi-kanen US-weit berchtigt ist (s. a. Kurzmel-dung zu Oso Blanco).Am 21. August dieses Jahres ist Leonards

    Antrag auf Bewhrung, trotz der weltwei-ten Mobilisierung fr ihn, erneut abgelehntworden. Denn es geht hier nicht um Recht

    und noch viel weniger um Gerechtigkeit.Es geht darum, ein wirksames Exempeldafr zu statuieren, dass der US-Staat undseine Diener unfehlbar und somit unantast-bar seien. Das vermeintlich Absurde dieserGeschichte folgt einer perden Logik, die

    aus Peltier keinen Einzelfall macht, son-dern ein anschauliches Beispiel fr dasWirken der US-amerikanischen Ordnungs-mchte. Dieses Wirken ist hinreichend ineinem FBI-Programm namens COINTEL-PRO dargelegt, das 1971 unbeabsichtigtan die ffentlichkeit geriet. Unbekanntewaren damals in ein Bro der US-Polizeieingebrochen und hatten dort die Doku-mente gefunden, die die Ziele und Vorge-hensweisen des FBI ans Tageslicht fr-derten:Um staatskritische Brger unschdlichzu machen, entwickelte das FBI Metho-den, die dazu dienen, einzelne Aktivistenoder politische Strukturen zu diskreditie-

    ren bzw. ihnen die Existenzgrundlage zuentziehen. Dies betrifft sowohl den ffent-lichen wie auch den privaten Bereich derZielpersonen. Es werden Lgen gestreut,falsche Tatbestnde konstruiert, das Le-ben der Menschen bis in die Intimsphrehinein ausspioniert, um Punkte zu nden,

    an denen sie verwundbar sind. Ob ein Vor-gesetzter unter Druck zu setzen ist, um je-manden in die Arbeitslosigkeit zu treiben...ob ein Ehepartner von der angeblichenUntreue des Betroffenen berzeugt wer-den kann, um die Familie zu zerstren...oder ob jemandem eben ein nicht verbter

    Mord angehngt werden kann, der ihnfr den Rest seines Lebens hinter Gitterbringt... alle Mittel sind dem FBI recht, umkritischem Denken und Widerstand einenRiegel vorzuschieben.Leonard Peltier war dem FBI wegen seinerAktivitten in der American Indian Move-ment (AIM) aufgefallen. Die indianischeBrgerrechtsbewegung war dem Staatschnell ein Dorn im Auge, denn sie war undist eine Gefahr fr die US-Kontrolle bergewisse ressourcenreiche Reservatsge-biete. Besonders die Uranvorkommen inden Black Hills, die den Lakota-Indianern

    vertraglich zustehen, jedoch von den USAbesetzt gehalten und ausgebeutet werden,sind von grtem Interesse fr die Verei-nigten Staaten. Dass emanzipatorischeBewegungen und deren Aktivisten krimina-lisiert werden, um hinter der vorgehaltenen

    Hand wirtschaftliche Interessen durchzu-setzen, ist tatschlich nicht neu. Indem dieAktivisten der ffentlichkeit als Kriminelleprsentiert werden, gelingt es dem Staat,

    die Frage der Schuld umzukehren und sei-ne wahren Machenschaften und Ziele zuverschleiern.Leonard Peltier, der als einer der zen-tralen Verantwortlichen der AIM galt, istnicht Opfer eines kuriosen Justizirrtums,sondern Spielball einer wohldurchdachtenStrategie. COINTELPRO ndet heute Fort-

    bestand im Patriot Act, den Obama krz-lich verlngert hat. In der Notwendigkeit,Solidaritt mit Leonard zu demonstrieren,geht es somit um mehr als darum, Gerech-tigkeit fr ihn einzufordern oder sich mitdem Kampf der AIM zu solidarisieren. Es

    geht darum kundzutun, dass wir die Lgenegal welchen Staates und seiner Repres-sionsorgane nicht schlucken, dass wir ihrVerbot, Dinge kritisch zu beleuchten, nichtakzeptieren, dass wir unser Recht geltendmachen, die Welt so zu sehen, wie wir siewahrnehmen, und nicht so, wie man sieuns glauben machen will. Daher mssenwir auch weiterhin und immer wieder for-dern:

    Freiheit fr Leonard Peltier undfr alle anderen politischen Gefangenen!

    von Lara Melin

    Leonard Peltier# 89637-132, USP-LewisburgUS Penitentiary, PO Box 1000Lewisburg, PA 17837, USA

    Schreibt Leonard Peltier

    Protestkundgebung in Berlinvor der US-Botschaft

    Warum der Fall Peltier kein Justizirrtum istoder: Warum man das FBI festnehmen msste

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    Schwe

    rpunkt Free the cuban 5

    schuldig wegen der verteidigung kubas

    Die fnf Kubaner Ramn Labaino, Anto-nio Guerrero, Fernando Gonzlez, GerardoHernndez und Ren Gonzlez sind seitdem 12. September 1998 in US-Gefngnis-sen. Anfang der 90er hatten sie in Floridaansssige exilkubanische Terrororganisati-onen unterwandert, die seit vielen Jahrenhauptschlich von Miami aus operierten.Sie informierten die kubanischen Behrdenber deren geplanten Anschlge auf Kubaund konnten so ber 170 Anschlge ver-hindern (1999 beklagte Kuba vor der UNO3478 Tote und 2099 Invaliden aufgrund vonTerroranschlgen). Ziel der terroristischenAktivitten waren wirtschaftlich wichtigeSektoren wie die Tourismusbranche, diedurch Sprengstoffanschlge auf Hotelsgeschdigt werden sollte. Es gab mehrals hundert Versuche, den kubanischenPrsidenten Fidel Castro zu ermorden.Mit Flugzeugen wurde Propagandamate-rial ber kubanischen Stdte abgeworfen,um Stimmung gegen die kubanische Re-gierung zu erzeugen. Viele der Anschlgekonnten in Kuba durch Festnahmen undKonszierung der Waffen und Sprengstoffeverhindert werden. Die kubanische Regie-rung hatte im Juni 1998 ihre Erkenntnisseber exilkubanische Terrororganisationenin Florida der Bundespolizei FBI bermit-telt. Daraufhin verhaftete das FBI 10 Mit-glieder des Wasp Network, einem kuba-nischen Agentennetzwerk, darunter auchdie fnf Kubaner Ramn Labaino, AntonioGuerrero, Fernando Gonzlez, GerardoHernndez und Ren Gonzlez. Im Fokusder Ermittlungen standen aber nicht dieterroristischen Organisationen, welche dieAnschlge gegen Kuba planten, sondern

    die fnf Kubaner, die die Organisationenunterwanderten, um die Anschlge zuverhindern. Sie wurden fr 17 Monate inIsolationshaft gesteckt mit dem VorwurfUS-Geheimnisse ausspionieren zu wollenund in 26 Anklagepunkten der Verschw-rung zur Spionage und im Fall von GerardoHernndez auch zur Verschwrung zumMord angeklagt und verurteilt.

    Einige der Widersprche im Prozess

    Beweisdokumente, welche zentrale An-klagepunkte untermauern sollten, wurden

    vom Gericht der Verteidigung gegenberunter Verschluss gehalten, da sie Staats-geheimnisse der USA berhren sollten.Aussagen hochrangiger Militrs, welchedie Angeklagten entlasteten und die Ba-sis ihrer angeblichen Spionagettigkeiten

    gegen die USA entkrfteten, wurden vomGericht systematisch nicht weiter verfolgt.Gerardo Hernndez wurde wegen demAbschuss zweier Flugzeuge der Brothersto the Rescue (Brder zur Rettung) durchkubanisches Militr wegen Mord verurteilt(Der Grnder der Brother to the RescueJos Basulto war an der Schweinebuchtin-vasion beteiligt). Gerardo Hernndez hat-te nicht den Abschuss der Flugzeuge ver-anlasst. Selbst wenn angenommen wird,dass er durch die Weiterleitung von Infor-mationen den Abschuss verursacht habensoll, wurde der kubanische Luftraum trotzeindeutiger Warnungen durch Kuba vonden Brothers to the Rescue verletzt unddiese Verteidigungsrechte werden durchdas Gericht indirekt aberkannt.In dieses Schema reiht sich ein, dass derProzess vor dem Bezirksgericht in Miamigefhrt wurde. In Miami sind antikuba-nische Ressentiments in der Bevlkerungsehr verbreitet, was im Hinblick auf dieJury beachtet werden muss. Zudem fandzeitgleich mit dem Prozess eine massive

    Medienkampange gegen die fnf Kubanerstatt, die einer Vorverurteilung gleich kam.Vor diesem Hintergrund war ein faires Ver-fahren nicht zu erwarten, zudem muss derProzess auch vor dem Hintergrund despolitischen Verhltnisses zwischen denUSA und Kuba betrachtet werden. Die Ur-teile: Gerardo Hernndez: zweimal lebens-lnglich plus 15 Jahre, Antonio Guerre-ro: lebenslnglich plus 10 Jahre, RamnLabaino: lebenslnglich plus 18 Jahre,Fernando Gonzlez: Gefngnisstrafe von19 Jahren, Ren Gonzlez: Gefngnis-strafe von 15 Jahren. Den Ehefrauen von

    Ren Gonzles und Gerardo Hernndezwurden lange Zeit die Visa zur Einreise indie USA verweigert, um den Besuch ihrerinhaftierten Ehemnner zu verhindern.

    Der aktuelle Stand ihrer Verfahren

    Ramn Labaino, Antonio Guerrero undFernando Gonzlez wurden in das Bun-desgefngnis in Miami verlegt und wartenauf die Anhrung zur Neuverhandlung ihrerStrafmae. Am 13. Oktober wird die gleicheBezirksrichterin, welche die ursprnglichenStrafen 2001 verhngt hat, die Gerichtsver-

    handlung fhren. Momentan sitzen sie wie-der in Isolationshaft, in der gleichen Son-dereinrichtung, in der sie 1998 17 Monateinhaftiert waren.Gerardo Hernndez und Ren Gonzlezhingegen werden nicht zu einer Neuver-

    handlung ihrer Strafmae zugelassen.Gerardo Gonzlez war wegen der Ver-urteilung wegen Mord mit Bezug zu denBrothers to the Rescue nicht zu einerNeuverhandlung berechtigt, weil er wegendieser Anklage schon eine lebenslnglicheStrafe erhalten hatte und die Berufungsver-handlung zur Rcknahme dieser Verurtei-lung keinen Erfolg hatte. Ren GonzalesStrafurteil basiert auf Beschuldigungen,nach denen er nicht das Recht auf eineBerufung hatte. Seine Strafe von fnfzehnJahren ist nach den Richtlinien des Bundesnicht Gegenstand der berprfung, weil eskeine Richtlinie fr die Verschwrung oderdas Handeln als nichtregistrierter ausln-discher Agent gibt.

    Internationale Aktionstage

    am 12. September 2009

    zur Freilassung der Cuban 5

    Anlsslich des elften Jahrestages der Ver-haftung der Cuban 5 fanden weltweit So-lidarittsaktionen und -veranstaltungen

    in den USA, Kanada, Mexiko, Guayana,Argentinien, Kolumbien, Honduras, Vene-zuela, Nicaragua, Paraguay, Chile, Kuba,Grobritannien, Belgien, Deutschland,Schweiz, sterreich, Italien, Spanien,Schweden, Ukraine, Russland, Libanon,Philippinen, Nigeria, Seychellen und Japanstatt. (Red.)

    Einige der Widersprche im Prozess

    Der aktuelle Stand ihrer Verfahren

    nternat ona e t onstage

    am 12. September 2009

    zur Freilassung der Cuban 5

    Fernando Gonzlez an:Rubn Campa#58733-004FDC Miami, P.O. Box 019120Miami,FL 33101, USA

    Gerardo HernndezReg. # 58739-004U.S.P., Victorville, P.O. Box 5300Adelanto, CA 92301, USA

    Ren Gonzlez#58738-004FCI Marianna, P.O. Box 7007Marianna, FL 32447-7007, USA

    Antonio Guerrero#58741-004FDC Miami, P.O. Box 019120Miami, FL 33101, USA

    Ramn Labaino an:Luis Medina#58734-004FDC Miami, P.O. Box 019120Miami, FL 33101, USA

    Schreibt den Cuban 5

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    Oktober 2009 | Gefangenen Info | 7

    Kurzmeldungen:

    USA: Die Anti-G20-Pro-teste in Pittsburgh, Penn-sylvania, sind mit gewalt-samen Polizeieinstzenbeendet worden. Auf einemAmateurvideo ist zu sehen,wie sogar Militrs einenDemonstranten festneh-

    men, was verfassungswidrig ist. Laut of-

    ziellen Angaben sind etwa 20 Menschenbei der Demo festgenommen worden, vielewurden jedoch schon im Vorfeld inhaftiert.Die Behrden hatten vorsorglich schon malber tausend Zellen fr G20-Gegner bereit-gehalten bzw. extra freigemacht. (Red.)

    USA: Der indianische Ro-bin Hood Byron Chubbuckalias Oso Blanco ist seitseinem Transfer nach Le-wisburgh diversen Schika-

    nen und Foltermethodenausgesetzt. Nun ist er auchvollstndig von der Auen-

    welt abgeschnitten: Besuche, Anrufe undBriefverkehr wurden unterbunden, nach-dem er ber die Missstnde kommunizierthatte. Genossen starteten einen Notruf, abdem 5. Oktober massenhaft im Gefngnisanzurufen und die Wiederherstellung desKontakts zu fordern. (Red.)Infos: www.osoblanco.org

    Kolumbien: Gustavo G-mez, Mitglied der Fhrung

    der kolumbianischen Ge-werkschaft SINALTRAI-NAL in Dosquebradas, istmit zehn Schssen durchmaskierte Mnner in seinerWohnung am 21. August

    2009 ermordet worden. Er ist fr 2009 derzwlfte Arbeiter bei der Lebensmittelrma

    Nestl La Rosa SA in Kolumbien, der seineGewerkschaftsttigkeit mit dem Leben be-zahlte. In den letzten 23 Jahren sind of-

    ziellen Berichten zufolge ber 2694 Mordean Gewerkschaftern verbt worden, wovonallein ber 40 in diesem Jahr verzeichnet

    wurden. (Red.) Infos: www.labournet.de

    Honduras: Tausende vonMenschen haben sich am23. September 2009 vorder Brasilianischen Bot-schaft versammelt, wo derrechtmige PrsidentZelaya Zuucht gefunden

    hat. Das Militr griff dieMenge brutal an. Die Zahl der Toten undVerletzten ist unklar. 300 Menschen wurdenfestgenommen. Das Nationalstadion Cho-chi Sosa wurde von den Putschisten in ein

    Massenlager fr Gefangene umgewandelt.Zeugen berichten, dass gefoltert und Ver-letzten medizinische Hilfe verweigert wird.(Red.) Infos:www.amerika21.de,www.rebelion.org, www.aporrea.org

    Mumia Abu-Jamal bendet

    sich in der ge-fhrlichsten Lageseit seiner Fest-nahme 1981. DerU.S. SupremeCourt wird inseiner im Okto-ber beginnendenSitzungsphaseber den Antragder Staatsanwalt-

    schaft auf Wiedereinsetzung der Todes-strafe entscheiden. Sollte das Gericht demstattgeben, gibt es keine juristische Mg-lichkeit mehr, dagegen vorzugehen.Daher geht es jetzt vor allem darum,starken politischen Druck zu erzeugen!Die US-Solidarittsbewegung versucht seitMonaten, die Obama-Regierung zu einerStellungnahme fr Mumia zu bewegen. ImJuli wurde an US-Justizminister Eric Holdereine Petition bergeben, die eine Untersu-chung ber den Rassismus in der Justizam Beispiel von Mumias Fall fordert. Die-

    ser Antrag fand whrend der letzten Wo-chen immer breitere Untersttzung. In dennchsten Tagen wird auch eine Petition vonMumias Verteidigung an Prsident Obamaerwartet.Unterdessen luft die vom Berliner Mumia-Bndnis und der Roten Hilfe konzipierteInfotour bis in den Oktober hinein weiter.Je nach Ort erreichten die Veranstaltungenbislang bis zu 80 Teilnehmer. In den an-schlieenden Diskussionen wurden Ideenentwickelt, fr deren Umsetzung sich spon-tan Leute fanden.Als Resultat sind neue Mumia-Solidaritts-

    bndnisse entstanden, die bereits mit derpraktischen Arbeit begonnen haben. Invielen Stdten nden mittlerweile selbstor-

    ganisierte Infoveranstaltungen statt. Auchdie Zahl derer, die sich in die e-mail-Listeneintragen, ist seit Mai um ca. 1200 gestie-gen. In Berlin laufen die Vorbereitungen frMumia 3+12. In Bremen wird es vermut-lich am 5. Oktober um 17 Uhr eine Kundge-bung geben.

    Mumia 3+12

    In allen Orten, in denen die Infotour halt

    machte, sah man die Notwendigkeit, imFalle der Wiedereinsetzung der Todesstra-fe einen dezentralen Aktionstag (Mumia3+12) durchzufhren. Wenn die Behrdender US-Justiz Mumia Abu-Jamal erneutmit dem Tode bedrohen, ohne sich dabei

    an nachvollziehbare Regeln oder Terminezu halten, sollen sie wenigstens zur Kennt-nis nehmen, dass dies nicht unbeobachtetpassiert. Die Solibewegung kndigt daherfr diesen Fall am 3. Tag nach der Wieder-einsetzung der Todesstrafe Aktionen undBlockaden vor US-amerikanischen Einrich-tungen an. Die Aktionen sind bis auf Aus-nahmen fr 12 Uhr angesetzt.Hiermit wollen wir der Petition an den neu-en Justizminister Eric Holder auf interna-tionaler Ebene Nachdruck verleihen. DerObama-Regierung muss klargemacht wer-den, dass sie nicht teilnahmslos abseitsstehen kann. Selbst wenn niemand so naivist, Wahlkampfrhetorik beim Wort zu neh-men, erwartet die US-ffentlichkeit mehrals Worte im Kampf um vernderte gesell-schaftliche Beziehungen. Zudem soll Mu-mia 3+12 zur bundesweiten Mobilisierung

    im Falle eines Hinrichtungsbefehls gegenMumia nach Berlin dienen. Dort wird es,sollte der Hinrichtungstermin festgesetztwerden, am letzten Samstag davor eineDemonstration zur US-Botschaft geben.(Beginn: 14 Uhr, Oranienplatz).

    Vorsicht Presse:

    SPIEGEL-Artikel zu Mumia

    Auch die, die Mumia ermorden lassen wol-len, schlafen nicht. Am 24.08.2009 verf-fentlichte Der SPIEGEL einen hetzerischenArtikel des rechten Journalisten MichaelSmerconish. Wie Mumias Anwalt Robert R.Bryan aufzeigt, enthlt dieser Artikel zahl-reiche Unwahrheiten ber Mumia selbstsowie ber das US-amerikanische Rechts-system. Ein legal update dazu ist zu lesenbei http://mumia-hoerbuch.de.

    Generell ist dazu zu sagen, dass der Artikeldes SPIEGEL einerseits schlecht recher-chiert ist und andererseits dem Spiel derrechtsradikalen Polizeibruderschaft Fra-ternal Order Of Police (FOP) dient.Es scheint den Ordnungshtern diesesLandes und ihrem Staatsschutzverlaut-barungsorgan nicht entgangen zu sein,dass sich momentan sehr viele Menschenmit Mumias Kampf um Leben und Freiheitsolidarisieren. Der SPIEGEL versucht hierganz klar, die Bewegung zu diffamierenund zu verunsichern. Das wird nicht ge-lingen! (Red. / Berliner Bndnis fr Mumia

    Abu-Jamal)

    Es geht um Mumias Leben

    Mumia 3+12

    Vorsicht Presse:

    SPIEGEL-Artikel zu Mumia

    Mumia Abu-JamalAM 8335, SCI Greene Prison, 175 ProgressDrive, Waynesburg, PA 15370, USA

    Schreibt Mumia Abu-Jamal

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    8 | Gefangenen Info | Oktober 2009

    Die Solidarittsbewegung mit den poli-tischen Gefangenen ist immer wieder derRepression ausgesetzt. Dies betrifft imMoment wieder Menschen, die sich zu derKriminalisierung trkischer Genoss_innendurch den 129b verhalten und sie im Knastbesuchen wollen.Wir wissen von mindestens 2 Aktivist_innen,deren Besuchsantrge bei 129b-Gefange-

    nen abgelehnt wurden. Offensichtlich solljeder praktische Ausdruck der Solidaritt be-hindert werden. So bestehen Besuchsver-bote bei Faruk Ereren, Mustafa Atalay undNurhan Erdem. Dass es nicht bei der Ableh-nung von Besuchsantrgen bleibt, zeigt dasfolgende Interview.

    Gefangenen Info: Am 31.08. hast du mitanderen Freunden zusammen vor demtrkischen Generalkonsulat in Dsseldorfspontan eine Mahnwache fr die Freilas-sung von Gler Zere veranstaltet. Dort bistdu gezielt vom Staatsschutz angesprochen

    worden. Kannst du uns sagen, wie das ab-gelaufen ist?

    Ellen: Aufgrund der sich weiter verschlech-ternden Situation der krebskranken tr-kischen politischen Gefangenen Gler Zereentschlossen wir uns zu einer Mahnwache.Nur drei Minuten nachdem wir uns aufge-stellt hatten, tauchte der Staatsschutz auf.Nach einem verbalen Geplnkel wurde mirvon einem Staatsschtzer mitgeteilt, dasssie nicht mehr [meine] Freunde seien. Aufmeine Erwiderung hin, dass ich sie nichtkenne, sagte einer von ihnen wortwrtlich:

    Aber wir kennen Sie und verschiedene Ak-tionen, bei denen Sie waren. Wenn Sie unsnicht vor Ihren Aktionen informieren, knnenwir Sie auch nicht schtzen!.

    GI: Das klingt ziemlich bedrohlich. Wie hatdas Vorgehen der Staatsschtzer auf dichgewirkt?

    Ellen: Bedrohlich fr mich war die Erkennt-nis, dass es beim Staatsschutz Leute gibt,die mir sagen knnen, wann ich wo bei wel-cher Aktion war und sich im selben Atemzugals meine Freunde bezeichnen. Wenn ichdann daran denke, dass die deutsche Poli-zei und Justiz rechten Totschlgern ihre na-hezu wchentlichen Aufmrsche ermglicht,ergreift mich die nackte Wut! Der Staats-schutz hat durch seine Leute bei den Rech-ten das NPD-Verbot verhindert. DieselbeBehrde stellte sich also uns in den Weg, alswir auf eine sterbende in der Trkei inhaf-tierte Marxistin aufmerksam machten! Unddann geben diese Staatsschtzer vor, michschtzen zu wollen!

    GI: Dazu kommt ja noch die Ablehnung dei-nes Besuchsantrags bei Faruk Ereren, derzur Zeit mit einer 129b-Anklage in Dssel-

    dorf vor Gericht steht. Wie wurde diese Ab-lehnung begrndet?

    Ellen: Der Vorsitzende Richter Klein be-grndete die Ablehnung meines Besuchs-antrages folgendermaen: Die beantrag-

    te Besuchserlaubnis ist zu versagen, weilein Besuch (...) bei dem Angeklagten, denZweck der Untersuchungshaft gefhrdenknnte. Es wird eine unkontrollierte Kom-munikation zwischen Faruk und mir ge-frchtet, was lcherlich ist, denn zwischenmir und Faruk ist eine Trennscheibe, mankommuniziert ber Telefonhrer, und dabeisitzen zwei Beamte!

    GI: Welche gesundheitlichen Folgen hattedie U-Haft bisher fr Faruk Ereren?

    Ellen: Faruk Ereren ist seit dem 7. April 2007in Untersuchungshaft, also unter Isolation.Die Isolationshaftbedingungen von FarukEreren stellen fr ihn eine ganz heimt-ckische Folter dar, denn Faruk Ereren wur-de in der Trkei, zur Zeit des Militrputschesdort, so sehr gefoltert, dass er nunmehr pa-ranoid ist. Ein weiterer Verbleib von Ererenin U-Haft ist schon allein aus menschen-rechtlicher Sicht nicht zu verantworten.

    Isolationshaft hat weitere Folgen wie zumBeispiel, erhebliche Beeintrchtigung derWahrnehmung und der kognitiven Lei-stungsfhigkeit, was insbesondere imHinblick auf Gerichtsverfahren/Strafver-teidigung Probleme schafft. DAFR SINDLEUTE WIE RICHTER KLEIN AM OBER-LANDESGERICHT DSSELDORF VER-ANTWORTLICH. Den Richtern dort wrees am liebsten, wenn sie die Prozesseunter Ausschluss der ffentlichkeit fhrenknnten, denn es ist ein politischer Prozess,und als Beweismittel greift der 2. Strafsenatam OLG auf Quellen zurck, die fragwr-

    diger Herkunft sind.Bei der Zusammenarbeit mit auslndischenStrafverfolgungsbehrden drfen nach gel-tender Rechtslage keine unter Folter herbei-gefhrten Aussagen in deutsche Strafver-fahren einieen. Im Faruk-Prozess nden

    sich aber in den rund 100 Aktenordnernzahlreiche Foltergestndnisse!

    GI: Welche Mglichkeiten siehst du, gegendie Behinderung und Kriminalisierung derSoliarbeit vorzugehen?

    Ellen: Vor allem sollte das Vorgehen ffent-lich gemacht werden. Das strikte Verbot,Foltergestndnisse zu verwenden, musseingehalten werden. Menschenrechtsfragenund die Auswirkungen staatlicher Repres-sion gehren ins Rampenlicht. Die dafrverantwortlichen Richter, Staatsanwlte etc.sind beim Namen zu nennen. Es ist die ein-zig vernnftige Antwort auf die Versuche,uns zu kriminalisieren!Gemeinsam mit der Plattform fr die Frei-lassung von Mustafa Atalay ist es uns ge-lungen, die Mauer des Schweigens zumProzess in Dsseldorf zu durchbrechen.Deshalb wird auch versucht, einzelne Ge-noss_innen einzuschchtern. Wir mssen

    weiterhin verstrkt Netzwerke ausbauen, dieauch solidarisch handelnde Politiker_innen,Intellektuelle und Menschenrechtsaktivist_innen miteinbeziehen, und immer wiederauf uns und die Gefangenen aufmerksammachen.

    Inland

    DieVerantwortlichen

    sind beim Namenzu nennen!

    Interview mit Ellen* von derProzessbeobachtungsgruppeDsseldorf ber Repression

    und Widerstand.

    * Name von der Redaktion gendert

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    Oktober 2009 | Gefangenen Info | 9

    Kurzmeldungen:

    Kehl: Matthias und Felipewurden im April, anlsslichdes NATO-Gipfels 2009,verhaftet. Felipe wird be-schuldigt, Steine auf Poli-zisten geworfen zu haben.Er wurde am 4. August2009 nach 4 Monaten Haft

    freigelassen. Sein Berufungsprozess inColmar wurde auf den 19. Oktober 2009vertagt. Matthias wurde am 25. August2009 nach Kehl/Deutschland abgeschobenund freigelassen. In der Woche davor hatteMatthias noch einen Berufungsprozess, indem seine Haftstrafe besttigt und weitereStrafen noch erhht worden sind (5 JahreEinreiseverbot, Erhhung des Schmer-zensgeldes). Derzeit sind noch 3 Genossenweiterhin inhaftiert. (Red.)Infos: www.breakout.blogsport.de

    Thringen: Am 25. August2009 wurde der VOICE-Aktivist Felix Otto mit einerAir-France-Maschine berParis nach Douala/Kame-run abgeschoben. Die Ab-schiebung wurde ungeach-tet massiven ffentlichen

    Protests durchgefhrt. Felix war am 30.Mrz 2009 verhaftet und wegen Verletzungder Residenzpicht, die den Aufenthalt

    von Asylbewerbern auf den Landkreis desWohnortes beschrnkt, zu einer achtmo-natigen Gefngnisstrafe verurteilt worden.

    (Red.) Infos: www.thevoiceforum.org

    Berlin: Christian S. ist am21. August 2009 von derJustiz freigelassen wor-den, nachdem er 43 von46 Monaten Haft wegenseiner antifaschistischenAktivitten abgesessenhat. Die restlichen drei

    Monate wurden auf drei Jahre zur Bewh-rung ausgesetzt. Durch den Einsatz vielersolidarischer Menschen wurde auch dieAnrechnung von 11 Monaten unrechtmig

    verbter Untersuchungshaft auf die Strafeerreicht, so dass Christian insgesamt vier-zehn Monate Knast erspart blieben. (Red.)

    Berlin: Zwei Schler, dieeinen Molotowcocktail aufPolizisten geworfen habensollen, stehen seit dem 1.September 2009 vor demLandgericht. Die Ange-klagten bestreiten die Tat.Als einziger Augenzeuge

    belastete die beiden ein Polizist, der jedocheinrumen musste, dass weder Benzin-

    ecken auf der Kleidung noch andere Indi-zien bei den beiden gefunden worden sind.Bis zum 30. Oktober 2009 sind acht weitereProzesstage festgesetzt. (Red.)Infos: www.yunus-rigo-prozess.de

    Verena Becker wurde am 3. Mai 1977(kurz nach der Erschieung des General-bundesanwalts Siegfried Buback am 7.April) zusammen mit Gnter Sonnenbergals Mitglied der RAF in Siegen verhaftet.Da sie sich bei der Festnahme mit Waf-fen wehrten, wurden beide spter wegenmehrfachen Mordversuchs an Polizeibe-amten zu lebenslnglich verurteilt.

    Die Aktionen der RAF im Jahre 1977 zielten

    vor allem auf die Befreiung der Gefange-nen ab. Um diesen, in den Medien oft ver-zerrt dargestellten Sachverhalt, in den ent-sprechenden Kontext zu stellen, mchtenwir im Folgenden zumindest einige Zusam-menhnge klarstellen:

    Die Haftbedingungen, denen die Gefange-nen aus der RAF ausgesetzt waren, wer-den gerne ausgeblendet. Zum einen, weilsie nicht in das demokratische Image derkriegfhrenden BRD passen, zum anderen,weil sie weiter angewendet werden, wie z.B. gegen trkische Gefangene, die wegen

    129b inhaftiert sind.

    Von Anfang an wurden die Gefangenenaus der RAF drakonischen Manahmenausgesetzt, die auch als weie Folter be-zeichnet werden, weil sie keine sichtbarenphysischen Spuren hinterlassen. Selbst dieUNO hat die Isolationshaft als Folter gech-tet. Sie dient der sensorischen Deprivationund sozialen Isolation, die auf das Aushun-gern der Seh-, Hr-, Riech-, Geschmacks-und Tastorgane zielt und dadurch zu le-bensgefhrlichen Zustnden fhren kann.Diese Sonderhaftbedingungen gehen an

    keinem der Gefangenen spurlos vorbei, sodass die Betroffenen noch nach Haftendemit den Langzeitfolgen zu kmpfen haben.Die Isolation zielte also auf die Vernichtungder Inhaftierten ab. Die Gefangenen ausder RAF versuchten, sich mit kollektivenHungerstreiks zu wehren und eine Zusam-menlegung in Gruppen zu erreichen. Die-se sollte auch einen besseren Schutz vorbergriffen bieten. Insgesamt hat es 10kollektive Hungerstreiks von Gefangenenaus der RAF gegeben. 9 politische Gefan-gene haben in den Jahren 1974 bis 1981den Knast nicht berlebt. Allein bis 1977

    waren bereits vier Gefangene an den di-rekten oder indirekten Folgen der Isolati-onshaft umgekommen:

    Im September 1974 starb Holger Meinsin der achten Woche seines dritten Hunger-

    streiks infolge der Zwangsernhrung.

    Bei der Besetzung der deutschen Bot-schaft in Stockholm, die der Befreiung dernoch berlebenden isolierten Gefange-nen dienen sollte, erlitt Siegfried Hausnerschwere Verletzungen. Trotz Warnung derschwedischen rzte verfgte die Bun-desregierung ber einen Transport nachStammheim, wo die Verletzungen nicht be-handelt werden konnten, so dass Siegfried

    Hausner ihnen einige Tage spter, im Mai1975, zwangslug erlag.

    1975 starb auch Katharina Hammer-schmidt an einem Tumor, der unnormaleAusmae erreicht hatte, weil ihr in der Un-tersuchungshaft ber zwei Monate langmedizinische Hilfe versagt worden war.

    Im Frhjahr 1975 begann der Prozessgegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin,Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe in Stutt-gart-Stammheim. Noch vor Prozessendewurde Ulrike Meinhof am 9. Mai 1976 er-

    hngt in ihrer Zelle aufgefunden. Ihr Todwurde ofziell als Selbstmord dargestellt,

    obwohl eine unabhngige InternationaleUntersuchungskommision zu einem ge-genteiligen Ergebnis kam.

    Soweit der Vorlauf bis 1977. Der gesamteJustizapparat, der dem Nationalsozialis-mus gedient hatte, war nahtlos von derBRD bernommen worden. Auch SiegfriedBuback war Mitglied der NSDAP gewesen.In seiner Amtszeit als hchster Anklgerder Republik wurden die Gesetze und dieHaftbedingungen verschrft, so dass er fr

    den Tod der ersten vier Gefangenen ausder RAF eine groe Verantwortung trug.Vor demselben Hintergrund versuchten dieIllegalen aus der RAF auch, das Gebudeder Bundesanwaltschaft anzugreifen sowieden Vorsitzenden der Dresdner Bank Jr-gen Ponto zu entfhren und kidnapptenschlielich den Boss der Bosse HannsMartin Schleyer.

    Auf alle Desinformationen einzugehen,wrde den Platz im Gefangenen Infosprengen, daher seien hier nur einige As-pekte beleuchtet. In der nchsten Ausgabe

    werden wir noch auf die Rolle der Medienin der erneuten Verhaftung von Verena Be-cker eingehen. (Red.)

    Zur Verhaftungvon Verena BeckerWir verffentlichen diesen Beitrag in zwei Teilen.Der Nchste folgt in der Nr. 351.

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    10 | Gefangenen Info | Oktober 2009

    Das ist richtig und die Gewerkschaft partizi-piert ebenso, hattest Du auch mal in einemlngeren Papier geschrieben.Ich will jetzt auf deine Haftsituation einge-hen: Du bist im Februar 2001 verhaftet wor-den, inzwischen warst Du in vier Gefngnis-sen Niedersachsens, soweit ich das wei.Nmlich in Verden, Oldenburg, Meppen undjetzt bist Du in der JVA Sehnde. Was ist dasfr ein Knast? Ist das jetzt ein Hochsicher-heitstrakt und wie sind Deine Bedingungen?

    W. B.: Jetzt bin ich in einer normalen Straf-haftstation eines Hochsicherheitsgefng-nisses. Um das vom Ablauf kurz darzustel-len: ich war zuerst 18 Monate in der U-Haftin Verden und dort war ich unter Bedin-gungen, die direkt als Folter zu bezeichnensind. Es gibt verschiedene Mglichkeiten,Menschen zu foltern. Ich meine jetzt nichtdie so genannte weie Folter, das was mirgeschehen ist, ging weit ber weie Folterhinaus. Ich war in einem Haftraum von 7 Quadratmetern, offene Toilette, 23 StundenEinschluss, und mit einem zweiten Gefan-genen mute ich mir die Zelle die ganzeZeit teilen. Das alleine ist schon schlimmgenug, wenn es aber dann noch Gefange-ne sind, die schwerst persnlichkeitsgestrtsind und regelrecht permanent Terror aus-ben, indem sie unsinniges Zeug reden,sehr laute Musik hren und permanent vl-lig chaotisch agieren, dann begreife ich dasals Folter. Ich denke, da wurden auch ganzbewusst Gefangene ausgewhlt. Ich habees auch von meinen Mitgefangenen gehrt,die haben mich gefragt: Wie hltst Du esberhaupt mit diesem Arschloch da auf der

    Zelle so lange aus? Es sollte verhindertwerden, dass ich meine widerstndige Hal-tung durchsetze, mit dem Ziel, mich weichzu klopfen. Das waren die ersten 9 Monatemeiner Haft. Nach 6 Monaten begann dieVerhandlung und ich war vllig apathischgewesen. Kurzum vllig am Ende. Der Staatzeigt, welche groe Angst er vor Wider-stand hat, wenn er zu solchen Manahmengreift. Das dauerte bis 2002, danach bin ichvon der U-Haft aus in die JVA Meppen ver-legt worden. Das ist eine Strafhaftanstalt mitniedriger Sicherheitsstufe und insgesamtwar ich da 2 Jahre. Von dort bin ich in

    die Hochsicherheitsanstalt Oldenburg ver-schubt worden, mit der Begrndung im Ver-fassungsschutzbericht fr das Jahr 2001 seiich als Linksextremist aufgefhrt. Ich warin Oldenburg im Jahre 2005, in dem Jahr,in dem auch die 1 Jobs eingefhrt wordensind. In Oldenburg gab es einen eklatantenBruch des Strafvollzugsgesetzes, weil siedort durchgngig die Post kontrolliert, alsodie Post mitgelesen und Telefonate mitge-hrt haben, was laut Strafvollzugsgesetzin dieser Form gar nicht zulssig ist. Eswar praktisch eine Sonderstrafanstalt, einkleines Guantnamo fr Gefangene, die

    besonders unbeliebt sind. Ich habe es ge-schafft nach 1 Jahren aus Oldenburgwegzukommen, durch eine Kampfma-nahme meinerseits. Seit September 2006bin ich in der JVA hier in Sehnde. Ich hatteauch hier teilweise enorme Schwierigkeiten,

    war lange Zeit in der Isolation, habe michselbst eingeschlossen und hab aber jetztseit einem Jahr eine relativ gute Situation.

    Du hast das eben als Kampfmanahmebezeichnet, wie Du von Oldenburg nachSehnde gekommen bist. Kannst Du schil-dern, wie du das durchgesetzt hast?

    W.B.: Ich hab mich geweigert, meinenHaftraum zu verlassen und es auch derAnstalt anheim gestellt, ob sie mir Essenbringen will oder nicht, weil normalerwei-se muss man sein Essen selbst abholengehen. Dazu habe ich gesagt, das knntIhr mir bringen oder nicht, wenn Ihr es mirnicht bringt, dann ist es eben zustzlichHungerstreik. Dann haben die eine Rege-lung gefunden, dass mir das Essen an denHaftraum gebracht werden konnte. Dashabe ich so mehrere Wochen, ich glaubesieben, acht Wochen durchgehalten unddanach waren die endlich bereit, weil ichdas ja mit der Forderung verbunden hatte,in eine andere Haftanstalt verlegt zu wer-den, nmlich nach Sehnde. Daraufhin ist esdann also zu dieser Verlegung gekommen.

    Wie sind deine Bedingungen in der JVASehnde? Wie gro ist der Knast?

    W.B.: Es sind dort ungefhr 400 Gefangenein den einzelnen Hafthusern. Es ist einesehr moderne Anstalt, die erst vor kurzemin Betrieb gegangen ist und hier wird einKleingruppenvollzug praktiziert. Das heit,es gibt immer einzelne, vllig abgeschot-tete Stationen mit 20 Gefangenen. Und

    die anderen Inhaftierten auf den anderenStationen sieht man nur gelegenlich undbegrenzt beim Sport. Auf einzelnen Haftsta-tionen werden einige zusammengefasst,die machen gemeinsam Sport und Hof-gang. Es gibt hier drei verschiedene Hfe,so dass die Gefangenen zustzlich voneinander getrennt werden knnen. Und soherrscht hier doch eine groe Isolation, dieEingesperrten wissen nicht, was in anderenHusern los ist, die knnen sich nicht koor-dinieren, die knnen sich nicht gemeinsamirgendwie widerstndig verabreden.

    Arbeitest Du?

    W.B.: Ja, das ist sehr wichtig in der Haft ar-beiten zu knnen, weil sonst die Haftbedin-gungen extrem schlecht werden. Und zwarin der Form, dass dann nachmittags Ein-schluss ist, dann hat man, wenn man nichtarbeitet, nur vormittags zwei Stunden dieTr auf und kann z.B. duschen gehen odersich in der Kche was machen. Anschlie-end ist den ganzen Tag bis zum nchstenMorgen die Tr wieder zu. Und vor allemhat mensch kein Geld, um die Kabelge-bhren frs Fernsehgert und so weiter zu

    bezahlen, auch zustzlich was einkaufen,ist nicht mglich. Die Haftverpegung ist

    hier nicht so ausreichend, dass man sichdavon alleine gesund ernhren knnte unddann treten Mangelerscheinungen auf. Umdas zu vermeiden, ist es nur durch das erar-

    Inland

    Interview mit

    Werner

    BraeunerTeil 2

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    Oktober 2009 | Gefangenen Info | 11

    beitete Geld mglich, durch Zusatzeinkufebeim Kaufmann in der Anstalt, sich irgend-wie einigermaen noch gesund zu ernh-ren. Also gesund heit wirklich auf einemganz niedrigen Niveau.Geweckt wird um 6 Uhr, danach wird Kaffegetrunken und um 7 Uhr geht es in die Ar-beitssttten. Feierabend ist etwa um 15 Uhrund dann geht es zurck auf die Haftstation.Da gibt es von 16 Uhr bis 17 Uhr Hofgang.Wenn einer nicht am Hofgang teilnehmenmchte, dann wird er in seinem Haftraumeingeschlossen. Um 17 Uhr wird die Trzum Verteilen des Abendessens wiederaufgeschlossen und bleibt bis 19.45 auf.Danach wird die Tr des Haftraums fr dieNacht verschlossen. Der bliche Ablauf.

    Wie sind die Besuchsbedingungen inSehnde?

    W.B.: Umstndlich. Es muss mindestens 14Tage vorher schon der Antrag fr den Be-such eingereicht werden und es gibt dreiStunden Besuch im Monat. Der Besuchs-raum ist sehr unwirtlich, da hngen berallKameras, die Tische sind mit Glasbelgen,so dass die Kameras auch durchschauenknnen, ob da irgendwelche Dinge ber-geben werden. Berhrungen sind da nichtmglich, das wird auch nicht erlaubt. Derwachhabende Beamte sitzt praktisch sozu-sagen mittendrin. Der Besuchsraum ist soein bisschen wie ein Halbrund aufgebautder und in dem Zentrum dieses Halbrundesist dann der Ort, wo dieser wachhabendeBeamte sitzt. Die Tische stehen recht engbeieinander, so hat man nicht das Gefhl

    etwas ungestrter miteinander reden zuknnen.

    Du kennst jetzt vier Gefngnisse in Nie-dersachsen. Wozu dient das deiner Ein-schtzung nach? Was hat Knast fr eineFunktion? Du hattest im Jahr 2007 einenBrief geschrieben, ich zitiere: Schon immerwar Knast Vorreiter sozialer, politischer undkonomischer Repression und Reaktion.Letztes und schrfstes Drohpotential derHerrschenden zur Disziplinierung der Be-herrschten. Kannst Du zum Ende des Ge-sprches ein Resmee ziehen?

    W.B.: Um das schlagwortartig auf den Be-griff zu bringen: Knast ist die Keimzelledieser Gesellschaft. Denn jeder und jedein dieser Gesellschaft interessiert sich frKnast, es ist bekannt, dass es das gibt, dasist ein Aufreger-Thema. Die Medien bringenviele Berichte, die direkt aus den Knstenheraus zeigen, wie das Leben dort ist.Zum Beispiel gibt es ber die JVA Olden-burg einen ganz berchtigten Beitrag ausdem Jahr 2005 von der ARD. Der heit:Das Alcatraz des Nordens. Es gibt stn-dig viele vergleichbare Berichte: ber die

    Ereignisse in Sachsen, mit dem Beinahe-Mord im Jugendgefngnis. Ein hnlicherFall ereignete sich in Siegburg, Nordrhein-Westfalen. Bekannt ist, dass Knast einesehr unangenehme Situation bedeutet. Dasist der Knppel, den der Staat in der Hand

    hlt und der durch die Fernsehgerte in jedes Wohnzimmer an die Wand projiziertwird drohend hngt er dann dort. Allen istbewut, dass sie sich sehr genau berle-gen mssen, wie weit ihr Widerstandsgeistgehen sollte, um nicht mit dieser Sanktionbelegt zu werden und in einen Knast zukommen. Knast ist nur Theater: Ich glaubedie meisten Gefangenen hier sind einfachnur Statisten fr dieses Theaterstck. Daseigentliche Publikum sitzt drauen, an die-se ist das Stck gerichtet.

    Du meinst, dass das Theater die Menschendrauen abschrecken soll, und das sie sichso immer brav an die Gesetze halten sol-len. Nur wenn sie rger machen, dannbesteht fr sie die Gefahr, dass sie auch inden Knast kommen knnen. Du meinst essoll die Menschen abschrecken?

    W.B.: Das ist Einschchterung der allge-meinen ffentlichkeit. Mensch wei, dassdie Mtter ihren Kindern vom Knast erzh-len, wenn sie noch ganz klein sind. Das istallgemein blich und da fngt es schon an.Diese Angst ist ganz tief in der Gesellschaftverankert. Daraus folgen weitere ngste:Ich will nichts mit der Polizei zu tun haben.Ich will nichts mit den Gerichten zu tun ha-ben. Das hat natrlich den Hintergrund,dass Polizei und Gerichte dafr sorgen,dass Menschen in den Knast gesperrt wer-den. Davor herrscht Angst.

    Eine Frage htte ich noch. Wie ist denn sodie Solidaritt unter Euch Gefangenen?Kannst Du da was zu sagen?

    W.B.: Die meisten, die hier einsitzen, ge-hren nicht gerade zu den privilegiertenMenschen in dieser Gesellschaft. Die sindgewohnt, dass sie sich alleine durchs Le-ben schlagen und dass sie sich mit Ellbo-gen durchkmpfen mssen. In solchen Le-benssituationen ist kein Platz fr Solidaritt,weil Solidaritt eine gewisse Organisationvoraussetzt und auch eine gewisse Strke.Ich glaube, die fehlt den meisten. Ich glau-be, fr die ist der Knast Ausdruck oder deut-liches Zeichen ihres Scheiterns im Hinblickauf ihre Versuche sich in dieser Gesell-

    schaft zu integrieren oder sich anzupassen.Die meisten erleben den Knast als wirklichunangenehmes Ergebnis individuellen Ver-sagens. Von daher sind sie auch nicht derMeinung, dass die anderen um sie herumdas anders betrachten wrden. Von daherfehlt eine positive Bezugnahme fr allge-meine Solidaritt. Es ist sehr schwierig, imKnast Solidaritt zu entwickeln. Der einzel-ne kann jederzeit massiv unter Druck ge-setzt werden, das geht sehr leicht. Es gibtzum Beispiel Stationen, auf denen vermehrtschwer verhaltens- und persnlichkeitsge-strte Gefangene untergebracht sind. Die

    sind gewaltttig, die sind verrckt und diemachen irrsinnige Sachen. Die bedrohen,die belstigen, die wenden Gewalt an. Je-der ist froh, wenn er auf einer Haftstationist, wo es einigermaen noch normal zu-geht. Jeder wei, die Haftanstalt kann aber

    jeden, der irgendwie widerstndig ist, ohneweiteres auf eine Haftstation verlegen, woes drunter und drber geht. Das sind z. B.ganz klare Mglichkeiten, die Gefangeneneinzuschchtern, so dass die keinen Wi-derstand leisten. Hinzu kommt natrlichnoch die ganze Thematik mit der vorzei-tigen Entlassung. Nur Gefangene, die sichnicht widerstndig verhalten, haben eineChance auf eine vorzeitige Entlassung. DerStaat verlangt eigentlich Unterwerfung, dasist genau der Punkt, das ist die entschei-dende Frage, wer sich nicht unterwirft, dermuss immer damit rechnen, nach Ende derHaftzeit noch in Sicherungsverwahrung ge-nommen zu werden. Das ist eine sehr harteSanktion - das heit eine potentiell unend-lich lange Strafe.

    Meine letzte Frage. Werner, wie sieht es beiDir aus? Du bist damals zu 12 Jahren verur-teilt worden. Das heit, Du msstest, wennalles gut geht, im Februar 2013 entlassenwerden?

    W.B.: Die Strafe, zu der ich verurteilt wor-den bin, lautete auf Totschlag und nicht aufMord. Wenn es Mord gewesen wre, dannwre es eine Mindeststrafe von 15 Jahren.Das ist aber Theorie, denn die Mindeststra-fe ist reell 17 Jahre und im Durchschnitt sindes 22 Jahre, die ein zu Mord Verurteilter imGefngnis zu verbleiben hat. Ich bin abernicht wegen Mordes, sondern wegen Tot-schlags verurteilt worden. Somit begrenztesich das Strafma auf eine Zeit zwischen 5und 15 Jahren maximal. Ich habe 12 Jahreerhalten und wenn es mit normalen Dingen

    zugehen wrde, heit das, dass ich im Fe-bruar 2013 entlassen werden wrde. Fallsaber irgend etwas dazu kommt, dann werdeich auf unbestimmte Zeit in Sicherungsver-wahrung genommen. Da gibt es ein paar ju-ristische Bedingungen, die da zu beachtensind, aber die in meinem Fall dadurch er-fllt sind, weil der Verfassungsschutz michnachtrglich als Linksextremist angefhrthat, d.h. nachdem mein Urteil rechtskrftigwar. Das ist dabei der entscheidende Punkt,der Zeitpunkt. So wre es fr die Justizalso ohne weiteres mglich, mich bis zumEnde meines Lebens, quasi bis zum letzten

    Atemzug, in Haft zu halten, so weit ich michwiderstndig verhalte, wird das dann auchvoraussichtlich geschehen. Ich lasse michaber nicht einschchtern.

    OK, Werner, wir lassen das mal so stehenund wir werden das Gesprch bestimmtnoch einmal weiter fhren, Tschau!

    W.B.: Tschau, bis dann!

    (Das Interview wurde im Rahmen der SendungWieviele sind hintern Gittern, die wir drauenbrauchen! Politische Gefangene - Sendung zuRepression und Widerstand gefhrt.)

    JVA SehndeSchnedebruch 831319 Sehnde

    Schreibt Werner Braeuner

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    Die politische Aktivistin Gler Zere ben-

    det sich seit 14 Jahren in Haft. Seit sie anMundhhlenkrebs erkrankte, ist ihr Leben inakuter Gefahr, weil unter Haftbedingungenkeine efziente Behandlung mglich ist. Am

    Donnerstag, den 27.08.2009 sollte ein Ge-richt ber den Einspruch von Glers Anwlt/innen gegen einen gerichtsmedizinischenBericht entschieden und ein endgltigerBeschluss ber die Freiheit, und somit berGesundheit und Leben von Gler, gefasstwerden. Doch mit der Begrndung, dassnoch einige Mngel im Bericht der medizi-nischen Fakultt der Cukurova Universitt(Adana) behoben werden mssten, um einendgltiges Urteil zu fllen, wurde die Ent-scheidung vertagt. Das Gremium versicher-te, dass auf schnellstem Wege ein Urteil

    gesprochen wrde, sobald der Bericht derCukurova Universitt vollstndig sei.

    Mittlerweile gibt es aber immer mehr Zwei-fel an dieser Aussage. Nach weiteren Ge-sprchen, die der Rechtsanwalt Behic Asciund Mitglieder der AngehrigenorganisationTAYAD mit dem Vorsitzenden des gerichts-medizinischen Instituts am 3. Septemberfhrten, wurde klar, dass die Verantwort-lichen immer neue Grnde (er)nden, die

    Entscheidung ber Gler Zere hinauszu-schieben. Der Bericht der Cukurova Univer-sitt, der sich fr eine Freilassung Glers

    aussprach, sollte noch einmal geprft unddie mndlichen Aussagen der verantwort-lichen Onkologen schriftlich nachgereichtwerden. Den Angehrigen wurde mitgeteilt,dass dies noch 3 Monate dauern knne. Au-erdem mssten weitere Untersuchungenerfolgen. Offensichtlich spielen die staatli-chen Stellen auf Zeit. Momentaner Standder Dinge im juristischen Tauziehen umGler Zeres Freilassung ist, dass das ge-richtsmedizinische Institut erneut bremst,indem es nach Ende der Radiotherapie dieeingereichten Berichte der Onkologen frunvollstndig erklrt und auf einen weiteren

    Versammlungstermin vertrstet. Daraufhinfand am Freitag, den 11. September eineerneute Demonstration mit 1500 Menschenin Taksim/Istanbul statt. Am gleichen Taggab es ebenfalls Demonstrationen in Bursaund Adana.

    Mahnwachen, Kundgebungen und ande-re Aktionen fr Gler nden in der Trkei

    mittlerweile fast jeden Tag statt. Bei einemFreundschaftsspiel zwischen dem tr-kischen Zweitligisten Adana Demirspor unddem AS Livorno, beides Vereine mit einertraditionell linken Fangemeinde, gab es

    ebenfalls eine Solidarittsaktion fr GlerZere. Eine politische Jugendgruppe breiteteein Transparent aus, auf dem ihre Freilas-sung gefordert wurde. Daraufhin kam eszu einem Polizeibergriff und zu mehrerenFestnahmen. Diese Aktion scheint aber die

    Fans des italienischen Erstligisten so starkbeeindruckt zu haben, dass sie beim Liga-spiel gegen die Startruppe vom AC Mailandebenfalls ein groes Transparent im Stadi-on anbrachten. Dabei forderten die Anhn-ger von AS Livorno nicht nur Freiheit fr G-ler Zere, sondern auch fr den am 1. April2004 in Italien verhafteten, wegen Mitglied-schaft in der DHKP-C angeklagten Avni Er,dem die Auslieferung in die Trkei droht.

    In Europa nden insgesamt immer mehr

    Aktionen statt, die die Forderung nachFreilassung der krebskranken Gefangenenunterstreichen. Plakat- und Transparentak-tionen werden aus Paris, London, Brsselund Duisburg gemeldet. In Wien ndet nun

    schon seit einigen Wochen regelmig

    Mittwochs nachmittags eine Kundgebungfr Gler Zere mit stndig wachsenderTeilnehmerzahl statt. Ulla Jelpke schriebin ihrer Funktion als Bundestagsabgeord-nete der Partei Die Linke einen Brief anden trkischen Justizminister Ergin. In ihmforderte sie eindrcklich die Freilassungder Gefangenen, da das trkische Gesetzim Falle einer schweren Krebserkrankungeine Haftverschonung vorsieht. Falls Glernicht freigelassen wrde, kme dies einerWiedereinfhrung der Todesstrafe durch dieHintertr gleich.

    Eine Art der Todesstrafe, die wir auch ausdem Umgang des franzsischen und deut-schen Staates mit an Krebs erkrankten Ge-fangenen aus der Stadtguerilla kennen:Katharina Hammerschmidt aus der RAFstarb am 29.6.1975 in einem WestberlinerKrankenhaus an einem Tumor, nachdemdieser in der Haft bis Januar 1974 nichtrechtzeitig behandelt worden war.Auch Joelle Aubron verstarb am 1. Mrz2006 an Lungenkrebs. Nach der Operati-on eines Hirntumors 2004 wurde sie nachdem sogenannten Kouchner-Gesetz vorzei-tig aus der Haft entlassen. Auch wenn Jo-

    elle zum Zeitpunkt ihres Todes nicht mehrinhaftiert war, so waren doch die verhee-renden Haftbedingungen des franzsischenStaates fr ihren Tod direkt verantwortlich.

    Auch in der Trkei ist Gler Zere kein Ein-zelfall. Dasselbe Problem betrifft Hundertevon Gefangenen, die irgendwann in diegleiche Situation geraten sind. Es ist dielangjhrige Politik der Isolationshaft, diefr Glers heutigen Gesundheitszustandverantwortlich ist. Die Isolationshaft, die mitden F-Typ Gefngnissen auch in der TrkeiEinzug gefunden hat, hat innerhalb von 7

    Jahren 122 Menschenleben gekostet undfordert weiterhin Tote. Gler Zere und alleanderen politischen Gefangenen in denIsolationsgefngnissen und Hochsicher-heitstrakten brauchen unsere Solidaritt,berall. (Red.)

    GLERZEREMUSSFREIGELASSENWERDEN

    DERTRKISCHESTAATSPIELTAUFZEIT

    International

    Ob ihr euch neben mirbendet, einen Schritt von mirentfernt, auf meinerTrschwelle, auf einer Strae,in irgendeiner Stadt oder vorder Gerichtsmedizin ich spreeuch. Eure Wrme, eure Kraftund eure Stimmen umfangenmich. Dadurch gelingt es mir,

    den Kopf oben zu behalten,jedes Mal, wenn der Schmerzmich einholt.(aus einem Brief von GlerZere vom 1. September 2009)

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    Kurzmeldungen:

    Griechenland: In Athenwurden bei Razzien dergriechischen Anti-Terror-Einheiten am 23. Septem-ber 2009 fnf Personenfestgenommen. Die fnfPersonen werden der

    Gruppe Conspiracy of theCells of Fire zugerechnet. Die Gruppe wirdu.a. fr Bombenanschlge auf den ehe-maligen Justizminister P. Hinofutis am 12.Juli 2009 und den Vorsitzenden der ParteiPASOK Arsenis und Katseli am 2. und 23.September 2009 verantwortlich gemacht.(Red.) Infos: www.abc-berlin.net

    Brasilien/Italien: CesareBattisti gehrt zu den ehe-maligen militanten Kom-munisten in Italien, denenFrankreich bei Gewaltver-

    zicht Zuucht gewhrte.2004 brach die Raffarin-Regierung mit der Mitte-

    rand-Doktrin und begann, jene an den Ber-lusconi-Staat auszuliefern. Battisti tauchteunter. 2007 wurde er in Brasilien gefasst.Im Januar 2009 gestand ihm der brasilia-nische Justizminister politisches Asyl zu,doch Italien machte Druck. Nun wird dasoberste Gericht ber Battistis Status alspolitischer Flchtling und damit ber seineAuslieferung nach Italien entscheiden. Bat-tisti ist dort 1988 in Abwesenheit zu lebens-lnglich verurteilt worden. Die vier Morde,

    die ihm vorgeworfen werden, hat er stetsabgestritten. (Red.)

    Irak: Im Gefngnis vonAbu Ghraib gab es am 11.September 2009 Gefng-nismeutereien. Laut Infor-mationen eines irakischenParlamentariers hatten dieGefangenen den Aufstandbegonnen, da sie misshan-

    delt worden waren. Sie legten Feuer in ih-ren Zellen und versuchten, die Wachen zuberwltigen. Die Gefngnisleitung forderte

    Untersttzung von der irakischen Armeeund US-Hubschraubern, um dem Aufstandbeizukommen. Mindestens ein Gefangenerkam dabei ums Leben, etwa 40 wurden ver-letzt. (Red.)

    Indien: Die indische Re-gierung droht, den Kampfgegen die KPI(Maoistisch),die sich fr die Befreiungder unterdrckten Land-bevlkerung einsetzt, zuverstrken. Laut Angabeneines lokalen TV-Senders

    sind in diesem Zuge Mitte September 30Angehrige der Volksbefreiungsarmee ge-ttet worden und zehn weitere verschwun-den. (Red.)

    Am 20. August hat das Gericht im Wider-spruchsverfahren Georges Ciprianis Antragauf offenen Vollzug (der in Frankreich Vo-raussetzung dafr ist, dass Gefangene diezu lebenslnglich verurteilt sind, rauskom-men) abgelehnt!Georges hatte vor zwei Jahren diesen An-trag gestellt. Whrend der Antrag lief undseine Voraussetzungen erarbeitet waren,

    wurden die Bedingungen fr bedingte Frei-lassung noch mal verschrft. Gem einemneuen Gesetz zur Sicherheitsverwahrungmusste Georges sich in Fresnes (einemKnast bei Paris) 6 Wochen lang begutach-ten lassen.Schlielich hat das Gericht in erster Instanzverfgt, dass er den offenen Vollzug antre-ten kann.

    Die Staatsanwaltschaft legte sofort Wider-spruch ein und lie Georges noch mal 2Monate im Ungewissen.

    Die Begrndung fr die Ablehnung jetzt warim Wesentlichen folgende: Straburg als Standort des offenen Voll-zugs und seiner Arbeitsstelle sei wegenGrenznhe inakzeptabel, die Arbeit selber auch, da er zu wenig ver-dienen wrde um die Nebenklger zu ent-schdigen, seine politischen uerungen in einemBeitrag zur Kundgebung vor dem Knast En-sisheim, worin er sich als politischen Ge-fangenen aus Action Directe bezeichnete(ja als was denn sonst?!) ein psychiatrisches Gutachten von 2005,

    das fr Georges eine negative Prognoseerstellte.

    Wir haben die Hauptgrnde der Ablehnungeinzeln aufgefhrt, um die Absurditt diesesVerfahrens darzustellen.

    2 Jahre lang wurde daran gearbeitet, dieBedingungen fr den offenen Vollzug zuerfllen, etliche Leute kmmerten sich da-rum, der Sozialdienst des Knastes war in-volviert, die Arbeitsstelle, eine stdtischehumanitre Einrichtung, die sich bereit er-klrte, Georges einzustellen, obwohl unklarwar, ob und vor allem wann er die Arbeitbeginnen knnte (und das bei der heutigenArbeitslosigkeit: Normalerweise ist es eherein Glcksfall, wenn ein Gefangener drau-en eine noch so kleine Arbeit ndet. Dieser

    Glcksfall ist aber gesetzliche Vorausset-zung fr den offenen Vollzug und eine sp-tere Entlassung. Viele Lebenslnglichesitzen in Frankreich allein deshalb nach z.T. ber 30 Jahren noch, weil sie niemandeinstellen will!).Das Gericht im ersten Verfahren hat dasalles akzeptiert, im Widerspruchsverfahrenwurde, um die Ablehnung zu unterfttern,Georges zuknftiges Gehalt um ca. 200Euro niedriger angegeben.

    Die Bestimmung, dass der offene Vollzugnicht in Grenznhe stattnden kann, wur-de jetzt kurzerhand wieder aktiviert. JeanMarc Rouillan und Nathalie Menigon hattenihren offenen Vollzug in grenznahen Or-ten. Im Widerspruchsverfahren zu Georgesentdeckte nun pltzlich die zweite Instanz,dass Straburg doch tatschlich an derdeutschen Grenze liegt.

    Das negative psychiatrische Gutachten von2005 wurde in neueren von 2007 und 2008lngst revidiert. Die Richtlinien sehen vor,dass ein relevantes Gutachten hchstenszwei Jahre zurckliegen darf, aber da esinhaltlich nicht passte, spielten die neuenGutachten fr das Gericht keine Rolle.Was bleibt ist, dass Georges nicht denMund gehalten hat, sich mit einem Gru-wort auf der Kundgebung vor dem Knast inEnsisheim im letzten Februar uerte unddass er kein Deal gemacht hat und sichnicht von seiner Geschichte distanziert.Das wird, wie wir wissen, berall versucht

    zum Dreh- und Angelpunkt fr die Freilas-sung politischer Gefangener zu machen.

    Jean Marc (siehe ausfhrlich letztes Ge-fangenen Info vom Aug./Sept.) ist nach 10Monaten offenen Vollzug wieder in den ge-schlossenen Knast gekommen, wegen sei-ner uerungen in einem Interview.

    Das Ganze bedeutet einfach, dass die Ge-fangenen aus Action Directe, Georges undJean Marc, weiter dringend unsere Unter-sttzung brauchen, um rauszukommen,ohne sich diesem Regime von Unterwer-

    fung und Verleugnung beugen zu mssenund ohne dass sie erst todkrank sind, wasoft genug schon der Fall war.

    Solidarittsgruppe zu den

    Gefangenen aus AD, Frankfurt

    Wir brauchen jetzt nochmal einen neuenAnlauf, um die Gefangenen aus Action Directe,die noch im Knast sind, rauszukriegen.

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    Mit diesem Beitrag zu den Solidarittskam-pagnen der IRH setzen wir unsere SerieIRH/RHI. Zur Geschichte und Aktualitteiner Solidaritts- und Antirepressions-organisation (siehe GI, Nr. 349) fort. ImAuftaktbeitrag haben wir uns die Entste-hungshintergrnde, Entwicklungsgeschich-te und programmatischen Grundlagen derIRH (1922 bis 1943) angeschaut. In die-sem zweiten Beitrag der Serie geht es umdie in die Praxis umgesetzte Programmatikder IRH. Dabei stehen vor allem einzelneKampagnen und die Zusammenarbeit mitanderen internationalen proletarischen Or-ganisationen, wie z.B. die InternationaleArbeiter-Hilfe (IAH), im Vordergrund.Diesen Beitrag werden wir aufgrund desbegrenzten Raums des GI in zwei Teilesplitten. Zunchst wollen wir den Einheits-frontansatz, der sich praktisch in den IRH-Kampagnen widerspiegeln sollte, nochmalsaufgreifen. Anhand von beispielhaften inter-

    national getragenen Antirepressionskampa-gnen lsst sich dann die IRH-Politik konkretdarstellen. In diesem ersten Kapitel deszweiten Serienbeitrags konzentrieren wiruns auf die Klassenjustiz in den USA undden weien Terror im revolutionren China.

    IRH-Kampagnen im Zeichen desEinheitsfrontansatz

    Um der Politik der IRH eine gesellschaft-liche Breite und ffentliche Resonanz ge-ben zu knnen, organisierte sie in ihrer

    hauptschlichen Aktionsphase bis Mitte der30er Jahre insgesamt ca. 1450 nationaleund internationale Kampagnen.In der Anfangszeit der IRH stand neben derVerteidigung der politischen und sozialenErrungenschaften der Oktoberrevolutionder Kampf gegen den italienischen Fa-schismus im Vordergrund. Unter anderemwurde eine Freilassungskampagane frden Mitbegrnder der KommunistischenPartei Italiens, Antonio Gramsci, eingeleitet.Solidarittskampagnen wurden auch frdie kommunistischen Bewegungen in denBalkanlndern, vornehmlich in Bulgarien,

    Jugoslawien, Rumnien und Griechen-land, durchgefhrt. In diesen Lndern kames Anfang der 20er Jahre zu vielen revo-lutionren Erhebungen der Volksmassengegen die reaktionren Regime jener Zeit.Diese Kampagnen, die wir im nchsten GI

    beleuchten werden, waren Ausdruck desinternationalistischen Solidarittsverstnd-nisses und Folge des proletarischen Inter-nationalismus der IRH.Der Ansatz der Einheitsfrontpolitik, mitder eine proletarische Einigung kommu-nistischer, sozialdemokratischer, anarchi-stischer, parteiloser und gar christlicherArbeiterInnen erzielt werden sollte, war, wiewir im ersten Serienteil skizziert haben, einezentrale Grundlage der Programmatik derIRH. Die IRH-Kampagnen standen dem-nach im Zeichen dieser Politik der Bildungeiner Einheitsfront, um ber den massen-organisatorischen Charakter der IRH eineproletarische Massenmobilisierung gegenden weien Terror und die brgerliche Klas-senjustiz entstehen zu lassen.Der Komintern-Vorsitzende Georgi Sino-wjew hat zur Notwendigkeit der Bildungeiner proletarischen Einheitsfront auf derKonferenz der Erweiterten Exekutive der

    Kommunistischen Internationale (KI) im Fe-bruar 1922 ua. referiert: Die Arbeiter wollendie Einheit, sie wollen gemeinsam gegendie Bourgeoisie kmpfen. Mit dieser Stim-mung nicht rechnen, heit vom Kommu-nisten zum Sektierer werden (...) Der Unwil-le der Arbeiterklasse gegen Spaltungen istnur zu begreiich. Das Streben nach Einheit

    ist sehr oft, ja fast immer ein revolutionrerFaktor. Die Macht der Arbeiterklasse be-steht darin, dass sie Millionen zusammen-hlt, es ist die Macht der Zahl.Insbesondere eignet sich die Antirepres-sionsarbeit als Terrain der praktisch wer-

    denden Einheitsfront. Denn neben der un-mittelbaren materiellen und moralischenUntersttzung politischer Gefangenerund des jeweiligen familiren und freund-schaftlichen Umfeldes fhrt die IRH, soein Beitrag in der 1929 erschienenen IRH-Broschre Des Volkes Blut... Zehn Jahreweier Terror, einen systematischen, un-ermdlichen und breit angelegten Kampfgegen den weien Terror, gegen die br-gerliche Klassenjustiz und den Faschismus.Das grundlegende Kampfmittel ist die Mo-bilmachung der breitesten werkttigen Mas-sen und der ffentlichen Meinung in den

    von der IRH durchgefhrten Kampagnen.Als sich der Nazismus nach 1933 inDeutschland mehr und mehr durch seinestaatsterroristischen Methoden etablierenkonnte, rief der IRH-Vertreter Andre Martyin einer Rede auf der II. Plenartagung des

    Exekutiv-Komitees der IRH im September1935 dazu auf, fr eine geschlossene Ein-heitsaktion zur Rettung aller Opfer der Re-aktion und des Faschismus einzutreten.

    Rassismus und Klassenjustizin den USA

    Die IRH rief in verschiedenen Fllen zuKampagnen gegen die (rassistische) Klas-senjustiz in den USA auf. Die bedeutendsteSolidarittsaktion galt der Verteidigungder beiden 1920 unter falschen Anschul-digungen inhaftierten gewerkschaftlichund anarchistisch engagierten ArbeiterFerdinando Nicola Sacco und BartolomeoVanzetti. Dieser siebenjhrige Kampf umdas Leben und die Freiheit von Sacco undVanzetti konnte sie zwar nicht vor dem elek-trischen Stuhl bewahren, aber die weltweitgetragene Kampagne bewies, dass die IRH

    in der Lage war, eine zeitlich gestreckteKonfrontation mit dem US-Justizapparat zufhren, die weltweit Aufsehen erregte.Was war der Hintergrund? Sacco und Van-zetti waren zwei 1908 aus Italien in dieUSA eingewanderte Arbeiter, die sich dortzunchst unabhngig von einander der an-archistischen Bewegung anschlossen. Umsich dem drohenden Kriegsdienst zu ent-ziehen, chteten sie wie andere Aktive aus

    dem libertren Spektrum 1917 fr einigeMonate nach Mexiko.Gegen Sacco und Vanzetti wurden 1921wegen angeblicher Beteiligung an einem

    doppelten Raubmord prozessiert. Voraus-gegangen waren dem zwei bewaffneteRaubberflle im Dezember 1919 und April1920. Am 24. Dezember 1919 schlgt eineEnteignungsaktion auf einen Geldtrans-porter fehl. Einige Monate spter, am 15.April 1920, wurden zwei Angestellte einerFirma bei der Erbeutung von Lohngeldernerschossen. Polizei und Staatsanwalt kon-struierten einerseits, dass diese beidenberflle in einem direkten personellenZusammenhang stnden und dass ande-rerseits die Verantwortlichen in anarchi-stischen Kreisen zu suchen seien. ber die

    Ermittlung in eben jenen Kreisen kamendie Repressionsbehrden auf Sacco undVanzetti als verdchtige Personen. Po-lizei und Staatsanwaltschaft hielten trotzfehlender Indizien und Beweise an ihremKonstrukt fest. Hinsichtlich des ersten, nicht

    14 | Gefangenen Info | Oktober 2009

    IRH/RHIDossie

    rTeil2

    Die Kampagnen und Bettigungsfelderder Internationalen Roten Hilfe (IRH)2. Teil

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    tdlich verlaufenden berfalls wurde ledig-lich gegen Vanzetti Anklage erhoben. DasGeschworenengericht formulierte einenSchuldspruch wegen Raub- und Mordab-sicht.Der Prozess wegen des doppelten Raub-mordes wurde sowohl gegen den bereitszum Tode verurteilten Vanzetti als auch ge-

    gen Sacco Ende Mai 1921 erffnet. MitteJuli 1921 sprachen die Geschworenen diebeiden in allen Anklagepunkten fr schul-dig. Fast sechs Jahre spter im April 1927verkndete der Richter das Urteil: Todes-strafe durch den elektrischen Stuhl. AlleRevisionsantrge, die detailliert eine Wie-deraufnahme des Verfahrens rechtfertigten,schlugen fehl, mussten fehl schlagen, damitdieser Justizkomplott Akt fr Akt durchge-spielt werden konnte. Die Vollstreckung desstaatlichen Mordurteils erfolgte am 22. Au-gust d. J. in Massachusetts.Das Exempel gegen eingewanderte Ange-

    hrige aus der anarchistischen und Anti-kriegs-Bewegung war damit statuiert. DemEndpunkt dieses Schauprozesses gingenallerdings massive internationale Protestevoraus, die die IRH mit ihren Sektionenmageblich untersttzte und ffentlich trug.ber ideologische und organisatorischeGrenzen hinweg wurde weltweit fr Saccosund Vanzettis Leben gekmpft. Noch kurzvor der Urteilsvollstreckung hie es bspw.in einem ammenden Appell der RHD unter

    der berschrift Entreit Sacco und Van-zetti den Henkern!: Sacco und Vanzettimssen befreit werden! Sacco und Van-

    zetti retten, heit, der Klassenjustiz einenempndlichen Schlag versetzen. Alle Krfte

    dafr herzugeben, die Krfte noch zu ver-zehnfachen, das ist das dringende Gebot(...) Diesen Kampf mt Ihr unter dem Ban-ner der Roten Hilfe fhren, der Organisati-on, die seit Anbeginn im Vordertreffen desKampfes zur Rettung von Sacco und Van-zetti steht!Eine andere wichtige Kampagne der IRHgegen die US-Justiz, die wir an dieser Stel-le nur als Stichpunkt nennen knnen, wardie Rettung der schwarzen Jungen vonScottsboro in Alabama. Die neun Jungen

    wurden flschlicherweise beschuldigt, zweiweie Mdchen vergewaltigt zu haben.Dieser Justizskandal zog sich fast zweiJahrzehnte hin und endete letztlich 1950erfolgreich; alle Angeklagten konnten vorder Hinrichtung durch eine weie Jury be-

    wahrt werden. Interessant an diesem Fallist, dass diese juristische und politischeAuseinandersetzung die Existenz der IRHberdauerte.

    Untersttzung fr das revolutionre

    China seit Ende der 20er Jahre

    Um die IRH-Kampagnenpolitik im Falle derchinesischen KommunistInnen und Gewerk-schafterInnen sowie der Rte-Bewegung zuverstehen, ist auch hier ein kleiner Ausug

    in die Hintergrundgeschichte angebracht.Die von Sun Yat-sen 1912 gegrndete Chi-nesische Nationalpartei, die Kuomintang(KMT), trat mit dem Ziel an, die Kaiserdy-nastie von den Machthebeln zu verdrngenund China aus den feudalen Fesseln sowiedem Einuss von auslndischen Interven-tionisten zu befreien. Die KMT setzte sichaus verschiedenen politisch-ideologischen

    Strmungen zusammen und reprsentiertebis zur Grndung der KommunistischenPartei Chinas (KPCh) im Jahre 1921 dieprogressive national-demokratische Oppo-sition.Auf Vermittlung der KI kam es zu zwei Ein-heitsfront-Bndnissen zwischen der KMTund der KPCh. Zwischenzeitlich betrach-tete die KI die KMT als sympathisierendePartei. U.a. weilte Tschiang Kai-schek, dernach Sun Yat-sens Tod 1925 die KMT-Fhrung bernahm, in der UdSSR, um einStudium des Marxismus-Leninismus auf-zunehmen und sich mit der Partei-Theorie

    Lenins vertraut zu machen. Von 1923 bis1927 agierten beide Krfte gegen die dy-nastischen Feudalverhltnisse in China,um die nationale Einheit des chinesischenTerritoriums u.a. gegen die imperialistischeEinussnahme Japans herzustellen. In dem

    Zweckbndnis von 1936 bis 1946 solltendie kommunistische und nationalistischePartei gemeinsam die japanische Militr-Aggression auf dem chinesischen Festlandabwehren.Beide Versuche, eine stabile Einheitsfrontzwischen den disparaten politischen Grup-pierungen zu schaffen, waren rein tak-

    tischer Natur. Whrend der ersten Einheits-front gelang es zumindest der KPCh unterdem Schirm der KMT personell und struk-turell stark zu wachsen. Um diesen Wachs-tumsprozess der KPCh zu torpedieren,massierten sich die bergriffe auf Gewerk-

    schafterInnen, KommunistInnen und derenSympathisantInnen. Als die Truppenver-bnde Kai-scheks im Frhjahr 1927 Shang-hai, das als kommunistisches Zentrum galt,eroberten, kam es zu umfangreichen Verfol-gungen von KPCh-AnhngerInnen und ak-tiven GewerkschafterInnen mit unzhligenToten, Verletzten und Eingesperrten.

    Mit der blutigen Niederschlagung der kom-munistischen Kommune-Bewegung in Kan-ton am 12. Dezember 1927 durch die KMTgelangte die Repression zu ihrem Hhe-punkt. In einem IRH-Aufruf zum Internati-onalen Tag gegen koloniale Unterdrckungzum 12. Dezember 1931 heit es u.a. zurDimension der Repressionswelle der KMT:Am rgsten aber wtet der weie Terror inChina. 2 Millionen Ermordete sind die bis-herige grauenhafte Bilanz des weien Ter-rors, dessen Haupttrger die blutige faschi-stische Kuomintang-Diktatur ist. Folge war,dass die KPCh und ihre AnhngerInnen

    in eine jahrelange Defensive gerieten und1934/35 einen strategischen Rckzug, densog. Langen Marsch, antreten mussten.Im Zuge der Eskalation des anti-japa-nischen, anti-kolonialen Befreiungskriegesdrngte die KI 1936 ein weiteres Mal aufdie Bildung einer Einheitsfront zwischender KPCh und der KMT. Dieses Stillhalte-abkommen erwies sich als uerst fragil,bewaffnete Konikte wurden insbesondere

    1941 ausgetragen. Nach der KapitulationJapans im Frhling 1946 zerbrach diesesBndnis endgltig und die KMT-Reaktionsamt Anhang verlie nach der Niederlage

    im Brgerkrieg und der Grndung der VRChina im Oktober 1949 das Festland Rich-tung Formosa (Taiwan).Kaum eine Frage wurde kontroverser in-nerhalb der kommunistischen Weltbewe-gung diskutiert, wie die Frage nach derEinheitsfrontpolitik zwischen der KPCh undder KMT und den teils dramatischen Re-pressions- und Terrorfolgen. Clara Zetkinbringt in der Funktion als IRH-Vorsitzendeim Vorwort der oben erwhnten Schrift DesVolkes Blut... Zehn Jahre weier Terror dieSituation fr die AnhngerInnen des revolu-tionren China Ende der 20er Jahre auf den

    Punkt: Kommunisten sind Freiwild fr diedemokratische Kuomintang.

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    Oktober 2009 | Gefangenen Info | 15

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #350

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    Als mich der Schpfer dieser Mosaikedarum bat, mein Urteil abzugeben, mich,der ich im Knast bin, und zwar als revo-lutionrer Gefangener, muss man sagen,als der ich uerst sensibel und Teil einesrevolutionren historischen Bewusstseinsbin, das gegen den Status Quo in Stellunggebracht werden muss, war meine Antwortnach ku