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Die letzte Aktualisierung des sächsischen Vergabegeset- zes erfolgte mit Wirkung zum 01.01.2003. In der Zwischen- zeit hat sich die Welt weiter- gedreht – global, im Bund und auch in Sachsen. Mittlerweile ist jedem, der es wissen will, bekannt, dass Dumpinglöhne, geringfügige Beschäftigung oder Leiharbeit mit Stunden- löhnen unter 8,50 Euro zu Al- tersarmut führen. Ebenso klar ist auch, dass immer noch öf- fentliche Aufträge ohne sozi- ale, ökologische oder Gleich- stellungskriterien vergeben werden, dass bislang kaum Sanktionen gegen Auftragneh- mer bei Verstößen gegen Ar- beitsnormen möglich sind. All dies rechtfertigt die Neu- fassung des sächsischen Ver- gabegesetzes. Der DGB und die Fraktionen DIE LINKE und SPD begannen daher schon vor reichlich einem Jahr eine Dis- kussion zur Novellierung dieses Gesetzes. Jetzt liegt der Ent- wurf vor und wird vom DGB mit einer Aktion unter dem Motto »Billig kommt teurer« begleitet. Auszugsweise möchte ich die wichtigsten Vorschläge vor- stellen. Neben der Forderung nach Tariftreue und der Beach- tung eines Mindestentgeltes von 8,50 Euro pro Stunde in den Betrieben der Auftragneh- merinnen und Auftragnehmer bei öffentlichen Aufträgen (als ersten Schritt, 10 Euro bleiben weiterhin das Ziel) halten wir es für geboten, dass Kriterien für eine umweltverträgliche Auf- tragsausführung sowie inter- nationale Kernarbeitsnormen bei der Vergabe gelten müssen. Das wären beispielhaft die Be- rücksichtigung von vollständi- gen Lebenszykluskosten eines Produktes beziehungsweise ei- ner Dienstleistung oder die Be- achtung des Mindestalters für die Zulassung von Beschäfti- gung, aber auch der Nachweis, dass der Bieter Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern und zur Verein- barkeit von Beruf und Familie durchführt. Die Frage der Kontrolle und der Sanktionsfähigkeit im Verga- beverfahren löst immer wieder Diskussionen in den Kommu- nalvertretungen aus. Auch hier macht der Gesetzesentwurf Vorschläge. Neben der Formu- lierung anspruchsvoller Inhalte eines Vergabeberichtes ist vor allem die Nachprüfung von Ver- gabeverfahren notwendig. Un- abhängig von Schwellenwerten soll für alle Auftragsvergaben eine leistungsfähige staatliche Kontrolleinrichtung geschaf- fen werden, die beauftragt wird und in der Lage ist, die öffent- liche Vergabepraxis sowie die Einhaltung der festgelegten Regelungen effektiv zu über- wachen, um ihre Einhaltung si- cherzustellen. In vielen Positionen unterschei- den wir uns deutlich von den Vorstellungen der regierungs- tragenden Parteien. Sie wollen unter dem Deckmantel, dass vergabefremde Aspekte wie soziale, innovative und umwelt- bezogene Kriterien nichts im Vergabegesetz zu suchen hät- ten, die bisherige Vorgehens- weise bei der Auftragsvergabe beibehalten. Damit ist zumeist der billigste Anbieter auch der wirtschaftlichste. Dabei ist den Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition offensichtlich entfallen, dass sich der vermeintliche Stand- ortvorteil gerade ins Gegenteil verkehrt. Junge flexible Men- schen, in der Mehrheit leider auch Frauen, verlassen das Land Sachsen, weil sie eben in anderen Bundesländern mehr Geld verdienen können. CDU und FDP wollen sogar die Ober- grenze für die freihändige Ver- gabe auf 25.000 Euro anheben, ebenso soll die Herbeibrin- gung einer Bankbürgschaft erst ab einer Auftragssumme von 250.000 Euro verlangt werden. Beides sind Instrumente, die sowohl die Beteiligung der kommunalen Ratsvertreter schwächen als auch riskant für die Kommunen sind. Der von LINKEN und SPD vorge- legte Gesetzesentwurf ist eine moderne, zukunftsweisende Grundlage, die auch den säch- sischen Mittelstand stärkt, den Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern auskömmliche Löhne garantiert und die nachhaltig wirksame Wertungsmaßstäbe bei der Auftragsvergabe for- muliert. Ein neues Vergabe- gesetz Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2012

Links! Ausgabe 11/2012

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Ausgabe November 2012 inklusive aller Beilagen.

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Page 1: Links! Ausgabe 11/2012

Die letzte Aktualisierung des sächsischen Vergabegeset-zes erfolgte mit Wirkung zum 01.01.2003. In der Zwischen-zeit hat sich die Welt weiter-gedreht – global, im Bund und auch in Sachsen. Mittlerweile ist jedem, der es wissen will, bekannt, dass Dumpinglöhne, geringfügige Beschäftigung oder Leiharbeit mit Stunden-löhnen unter 8,50 Euro zu Al-tersarmut führen. Ebenso klar ist auch, dass immer noch öf-fentliche Aufträge ohne sozi-ale, ökologische oder Gleich-stellungskriterien vergeben werden, dass bislang kaum Sanktionen gegen Auftragneh-mer bei Verstößen gegen Ar-beitsnormen möglich sind.All dies rechtfertigt die Neu-fassung des sächsischen Ver-gabegesetzes. Der DGB und die Fraktionen DIE LINKE und SPD begannen daher schon vor reichlich einem Jahr eine Dis-kussion zur Novellierung dieses Gesetzes. Jetzt liegt der Ent-wurf vor und wird vom DGB mit einer Aktion unter dem Motto »Billig kommt teurer« begleitet.Auszugsweise möchte ich die wichtigsten Vorschläge vor-stellen. Neben der Forderung nach Tariftreue und der Beach-tung eines Mindestentgeltes von 8,50 Euro pro Stunde in den Betrieben der Auftragneh-merinnen und Auftragnehmer bei öffentlichen Aufträgen (als ersten Schritt, 10 Euro bleiben weiterhin das Ziel) halten wir es für geboten, dass Kriterien für eine umweltverträgliche Auf-tragsausführung sowie inter-nationale Kernarbeitsnormen bei der Vergabe gelten müssen. Das wären beispielhaft die Be-rücksichtigung von vollständi-gen Lebenszykluskosten eines Produktes beziehungsweise ei-ner Dienstleistung oder die Be-achtung des Mindestalters für die Zulassung von Beschäfti-gung, aber auch der Nachweis, dass der Bieter Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern und zur Verein-barkeit von Beruf und Familie durchführt.Die Frage der Kontrolle und der Sanktionsfähigkeit im Verga-

beverfahren löst immer wieder Diskussionen in den Kommu-nalvertretungen aus. Auch hier macht der Gesetzesentwurf Vorschläge. Neben der Formu-lierung anspruchsvoller Inhalte eines Vergabeberichtes ist vor allem die Nachprüfung von Ver-gabeverfahren notwendig. Un-abhängig von Schwellenwerten soll für alle Auftragsvergaben eine leistungsfähige staatliche Kontrolleinrichtung geschaf-fen werden, die beauftragt wird und in der Lage ist, die öffent-liche Vergabepraxis sowie die Einhaltung der festgelegten Regelungen effektiv zu über-wachen, um ihre Einhaltung si-cherzustellen.In vielen Positionen unterschei-den wir uns deutlich von den Vorstellungen der regierungs-tragenden Parteien. Sie wollen unter dem Deckmantel, dass vergabefremde Aspekte wie soziale, innovative und umwelt-bezogene Kriterien nichts im Vergabegesetz zu suchen hät-ten, die bisherige Vorgehens-weise bei der Auftragsvergabe beibehalten. Damit ist zumeist der billigste Anbieter auch der wirtschaftlichste. Dabei ist den Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition offensichtlich entfallen, dass sich der vermeintliche Stand-ortvorteil gerade ins Gegenteil verkehrt. Junge flexible Men-schen, in der Mehrheit leider auch Frauen, verlassen das Land Sachsen, weil sie eben in anderen Bundesländern mehr Geld verdienen können. CDU und FDP wollen sogar die Ober-grenze für die freihändige Ver-gabe auf 25.000 Euro anheben, ebenso soll die Herbeibrin-gung einer Bankbürgschaft erst ab einer Auftragssumme von 250.000 Euro verlangt werden. Beides sind Instrumente, die sowohl die Beteiligung der kommunalen Ratsvertreter schwächen als auch riskant für die Kommunen sind. Der von LINKEN und SPD vorge-legte Gesetzesentwurf ist eine moderne, zukunftsweisende Grundlage, die auch den säch-sischen Mittelstand stärkt, den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern auskömmliche Löhne garantiert und die nachhaltig wirksame Wertungsmaßstäbe bei der Auftragsvergabe for-muliert.

Ein neues Vergabe-gesetz

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2012

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„Kahlschlags- und Kürzungs-politik ist zum Scheitern verurteilt“

Links! Debatte

Kaum ein Thema ist in die-sen Tagen so präsent wie die Staatsschulden in Europa. „LINKS!“ sprach darüber mit Sahra Wagenknecht, Wirt-schaftsexpertin der Bundes-tagsfraktion der LINKEN, und mit ihrem Kollegen Axel Tro-ost, Sprecher für Finanzpoli-tik.

Frau Wagenknecht, Herr Troost: Was ist eigentlich so schlimm an Staatsschul-den? S. W.: Staatsschulden sind per se weder schlimm noch harm-los. Sie sind aber verantwor-tungslos, wenn mit ihnen Steu-ergeschenke für Reiche oder Bankenrettungen finanziert werden. In Spanien haben sich die Staatsschulden seit 2007 in Folge der Finanz- und Immo-bilienkrise verdoppelt, vorher waren sie im internationalen Vergleich sehr niedrig. 2012 werden die neuen milliarden-schweren Kapitalspritzen für spanische Banken die Schul-den weiter in die Höhe trei-ben. Es ist ein Mythos, dass die Staatsschulden gestie-gen sind, weil die Bevölkerung über ihre Verhältnisse gelebt hätte.A. T.: Staatsschulden werden inzwischen regelrecht verteu-felt. Das halte ich für grund-falsch. Tatsächlich sind die Staatsschulden mit der Fi-nanzkrise regelrecht explo-diert. Wir hatten in den 1930er Jahren eine fatale Weltwirt-schaftskrise, weil das Finanz-system kollabiert ist. Deswe-gen gehöre ich zu denjenigen, die eine Bankenrettung und teure Konjunkturprogram-me für notwendig halten, um Schlimmeres abzuwenden. Al-lerdings hat es die Bundesre-gierung dabei versäumt, Bank-eigentümer und Gläubiger in die Haftung zu nehmen. Ver-antwortungslos war es auch, die Finanzmärkte überhaupt von der Leine zu lassen. Die bisherige Finanzmarktregulie-rung ist auch viel zu zaghaft.

Wie sind Staatsschulden überhaupt entstanden?S. W.: Durch Steuergeschen-ke an die Reichen und die Bankenrettungen. Steuersen-kungen und die nicht wieder eingeführte Vermögenssteu-er haben in Deutschland seit dem Jahr 2000 zu knapp 600 Milliarden Euro weniger Ein-nahmen geführt. Durch Ban-kenrettungen stiegen die Staatsschulden seit 2008 um knapp 400 Milliarden.A. T.: Schulden sind da, um öf-

fentliche Investitionen in In-frastruktur und Bildung zu finanzieren. Sie sorgen für Wachstum und können durch zukünftig höhere Steuerein-nahmen gegenfinanziert wer-den. Durch schuldenfinan-zierte Konjunkturprogramme sollte in Krisenzeiten auch die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden. Alle weite-ren Ausgaben sollten aller-dings durch Steuern und nicht durch Schulden finanziert wer-den. Wir können nicht über Schulden sprechen und zu-gleich über die Fehler in der Steuerpolitik schweigen. Das hat meine Kollegin gerade richtig auf den Punkt gebracht.

Regierungen erwecken den Eindruck, dass alle Staats-schulden zurückzuzahlen seien. Damit wurden und werden Einschnitte bei Bil-dung, Sozialem, Kultur und anderem gerechtfertigt. Ist das überhaupt realis-tisch?A. T.: Ein überschuldeter Staat muss pleitegehen können und seine Schulden zum Teil erlas-sen bekommen. Die Ansprü-che der Gläubiger müssen dann gegenüber den Ansprü-chen der Bevölkerung zurück-stehen. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass die Staa-ten Europas in der Mehrheit überschuldet sind. Griechen-land ist ein besonderer Fall. Eine Staatspleite hat immer unschöne Nebenwirkungen. Wenn es darum geht, Reiche und Vermögende zur Kasse zu bitten, sind eine Vermögens-abgabe und eine andere Steu-erpolitik meist bessere Alter-nativen als Schuldenschnitte.S. W.: Der Versuch, ein über-schuldetes Land durch eine soziale Kahlschlags- und Lohn-kürzungspolitik zu sanieren, ist zum Scheitern verurteilt,

wie die schreckliche Entwick-lung in Griechenland deutlich zeigt. Durch die verordnete Rezession ist inzwischen ein Fünftel der griechischen Wirt-schaftsleistung vernichtet worden. Solche Einbrüche wa-ren früher nur als Folge eines Krieges bekannt. Die sinken-den Steuereinnahmen redu-zieren die Schuldentragfähig-keit des Staates weiter – ein Teufelskreis. In den letzten drei Jahren sind die Staats-schulden in Griechenland um weitere rund 60 Milliarden be-ziehungsweise 20 Prozent an-gestiegen.

Warum nicht einfach Ban-ken pleitegehen lassen, die sich vor allem mit Spekula-tion beschäftigen? S. W.: Einfach so sollte man es nicht machen. Aber bei einer kontrollierten Insolvenz müss-ten Eigentümer und Gläubi-ger für die eingegangenen Ri-siken haften. Das ist in Island erfolgreich gemacht worden. Es gibt weite Bereiche im heu-tigen Finanzsektor, deren Zo-ckergeschäfte kein vernünfti-ger Mensch braucht. Dagegen müssen die für die Realwirt-schaft elementaren Bereiche, wie Einlagen der Bürger bis zu einer festgelegten Grenze, Zahlungsverkehr und Kredit-vergabe an die Realwirtschaft selbstverständlich durch den Staat abgesichert und garan-tiert werden. Eine Wirtschafts-krise in Folge der Bankenpleite wird so vermieden. A. T.: Das Finanzsystem ist viel zu sehr mit der Realwirtschaft verbunden, als dass man gro-ße Banken einfach pleitege-hen lassen könnte. Deswegen muss der Staat im Pleitefall in der Tat bestimmte Teile absi-chern. Man kann dabei aber Bankeigentümer und Gläubi-ger nur begrenzt für Verluste

in Haftung nehmen, weil sie auch irgendwann pleite sind. Dann müsste der Steuerzah-ler also doch wieder in die Bresche springen. Deswegen wollen wir, dass sich Banken auf ihre Kernfunktionen kon-zentrieren und sich erst gar nicht verzocken können. Dafür muss erst mal ein Großteil des Finanzcasinos geschlossen werden.

Was ist zur Idee einer „Eu-ropäischen Bank für Öf-fentliche Anleihen“ zu sa-gen?S. W.: Wer die Profitmache-rei der Banken zu Lasten der Steuerzahler beenden will, muss die öffentlichen Haus-halte aus der Abhängigkeit von den Banken befreien. Das geht nur, wenn der Staat sich in einem festgelegten Rahmen direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) finanzieren kann. Und zwar zu den glei-chen günstigen Bedingungen wie die Banken – zur Zeit mit 0,75 Prozent Zinsen. Mit dem Umweg über eine „Europä-ischen Bank für Öffentliche Anleihen“ sollen dabei institu-tionelle und juristische Proble-me vermieden werden. Hinge-gen ist es keine Lösung, wenn die EZB mit dem Segen der Bundesregierung den Banken und Hedgefonds im Notfall ih-re Staatsanleihen unbegrenzt abkauft. Das entspricht einer Vollkasko-Gratisversicherung für die Finanzinstitute. Das Kreditausfall- und Inflations-risiko trägt die Bevölkerung. Es ist deshalb gut, dass der zuständige Arbeitskreis der Bundestagsfraktion DIE LIN-KE sich bereits vor über einem Jahr in seinem Papier „We-ge aus der Krise“ kritisch zur Übertragung von Kreditrisiken der Banken an die EZB geäu-ßert hat.

A. T.: Die EZB kauft die Staats-anleihen mit Abschlägen auf, deswegen handelt es sich eher um eine Teilkasko-Ver-sicherung. Wer vor der Krise entsprechende Staatsanlei-hen gekauft hat, hat dadurch trotzdem Verlust gemacht. Das Hauptproblem sind für mich Hedge-Fonds und ähnli-che Akteure, die sich erst zum Schluss mit Staatsanleihen eingedeckt haben, um damit zu zocken. Ich finde es uner-träglich, wie Spekulanten ein Euroland nach dem anderen zum Abschuss freigegeben ha-ben und sich die Staaten der Eurozone haben auseinander dividieren lassen. Das hätte sich durch die genannte „Eu-ropäische Bank für Öffentliche Anleihen“ unterbinden lassen.

Wegen Ihrer Vorschläge und Ihrer Bezugnahme auf Walter Eucken und Ludwig Erhard wurde Ihnen, Frau Wagenknecht, der Vorwurf gemacht, sie huldigten neoliberalen Konzepten. Ist das berechtigt? S. W.: Wenn die Losungen „Wohlstand für alle“ und „Kei-ne Bankenrettungen mehr zu Lasten der Bevölkerung“ neo-liberal sind, dann kann ich mit dem abenteuerlichen Vorwurf gut leben. A. T.: Die Forderung, Banken einfach pleite gehen lassen, sind auch in neoliberalen Krei-sen sehr populär – allerdings aus sozial-darwinistischen Motiven. Linke haben ganz an-dere Motive, nämlich Umver-teilung oder politische Ausein-andersetzungen. Da muss man natürlich aufpassen, dass man mit seinen Forderungen nicht versehentlich die falschen Kreise bedient. Vielleicht ge-lingt das nicht immer. Wenn Sahra Wagenknecht aber mit Erhard-Zitaten erreicht, dass man auch in bürgerlichen Krei-sen wie in der FAZ über linke Ideen diskutiert, sehe ich das als Erfolg an.

DIE LINKE fordert: „Unse-re Schuldenbremse heißt Millionärssteuer“. Reicht das aus?S. W. Die Millionärssteuer ist zentral in unserem Steuerkon-zept. Tatsächlich kann jeder-zeit ein Schuldenanstieg durch eine ausreichende Besteue-rung der Millionäre – das be-trifft weniger als ein Prozent der steuerpflichtigen Perso-nen – gestoppt werden. Um die Krise dauerhaft zu über-winden, müssen außerdem die

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Energiewende auch in Sachsen?

Wer sagt denn so was? Der Schiller war es nicht. Der hat bekanntlich seinen Marquis Po-sa im Don Karlos sagen lassen, »geben Sie Gedankenfreiheit, Sire«, und dachte, damit wä-ren die aufmüpfigen Niederlän-der beruhigt, weshalb er dies ja auch dem spanischen König Philipp II. riet. Das mag klug gedacht gewe-sen sein. Heute wäre ich nicht so optimistisch wie Posa. Kaum hat da einer Gedankenfreiheit und natürlich auch die dazu ge-hörige Gelegenheit, seine Ge-danken frei zu äußern, will er schon mehr. Er will die Beinfrei-heit. So einer ist zum Beispiel der Peer Steinbrück. Er kommt aus der Sozialdemokratie, und

der muss man schon zugute-halten, einst viel getan zu ha-ben für die Durchsetzung der Gedankenfreiheit. Und auch viel gelitten zu haben, bis es so weit war. Marx meinte, ein be-friedigtes Bedürfnis schafft ein neues höheres. Das gilt nicht nur beim Wohnen, Essen, Trin-ken und sich Kleiden, das gilt auch beim Philosophieren. Da-zu gehört alle Theoriebildung über Gott und die Welt und als Anleitung zum prakti-schen Handeln. Politik sollte vermitteln zwi-schen diesen Berei-chen menschlichen Seins; das eine jeweils möglich machen durch das andere. Das braucht Gedankenfreiheit für die Philo-sophie, und Karl Marx dachte eben, alles geht immer vom Nie-deren zum Höheren. Ein Peer Steinbrück belehrt ihn eines Besseren. Dem befriedigten Be-dürfnis kann man nämlich auch eine neues, niedrigeres entge-genstellen und philosophisch begründen. Steinbrück war des-halb nicht zimperlich, wenn es

um die Einschränkung von Be-dürfnissen beim Essen, Kleiden, Trinken und Wohnen ging. Er gilt als einer der Väter der Agenda 2010. Jetzt halfen die Gedan-ken- und Meinungsfreiheit we-nig. Philosophieren konnte man schon, aber Beinfreiheit hatte man kaum noch; auch bereits errungene war plötzlich wie-der weg. Man war wieder einge-zwängt in enge Grenzen der Da-seinssicherung. Das engt auch

das Philosophieren ein. Die gan-ze Philosophie der Betroffenen wird darauf verschwendet, he-rauszubekommen, wie man in diesen Grenzen überlebt. Anders aber Peer Steinbrück. Er lebt ganz gut von der Gedan-kenfreiheit. Seine Honorare für deren Nutzung bei Finanzhaien sind kein Pappenstiel. Wir wis-sen zwar nicht ganz genau, was er dort so erzählt, wir wissen aber immerhin, wie viel man da-für bekommen kann – sieben-

tausend Euro und mehr, wenn es gut läuft. Ob man die kriegt, weil man den Geldgebern ins Gewis-sen redet, weniger raffgierig zu sein, kann doch wohl bezweifelt werden. Einer, der die Agenda 2010 mit erfunden und durchge-setzt hat, fällt unter die unglaub-würdigen Philosophen, wenn er jetzt von der Beschränkung der Bankenmacht und der Be-kämpfung der sozialen Spaltung spricht. Das glaubt ihm selbst in

der eigenen Partei nicht jeder und je-de. Deshalb

fordert er ja als Kanzlerkandi-dat der SPD die Beinfreiheit. Er will sich nicht dauernd stoßen an irgendwelchen anderen, lin-ken Beinen, die da scharren we-gen der schrumpfenden Rente und der immer weiter aufgehen-den Schere zwischen Arm und Reich. Seine Philosophie klingt dabei einen Augenblick sogar di-alektisch: Er will ein Programm, das zum Kandidaten passt, und einen Kandidaten, der zum Pro-gramm passt. So hat er es ge-

sagt auf dem Parteitag der nordrhein-westfälischen SPD. Vorsicht, sage ich, und genau-er hingeschaut! Die Reihenfolge macht es. Wenn erst das Pro-gramm zum Kandidaten passt, dann passt natürlich auch der Kandidat zum Programm und die Beinfreiheit ist gesichert. Sie ist gesichert für Peer Steinbrück, für die Banken und für die Lohn-drücker. Die Rente bleibt jedoch weiter der Absenkung ausge-setzt, und die Zeit, bis es Rente gibt, wird verlängert. Was sind das für Sozialdemokra-ten, die heute solche Gesetze machen? Sie bauen keine mas-siven Steinbrücken in eine ge-rechte Zukunft für alle. Sie sind vielmehr steinernen Herzens. Neu ist solches allerdings nicht. »Weh auch Euch Gesetzesleh-rern! Ihr ladet den Menschen Lasten auf, die sie kaum tragen können, selbst aber rührt Ihr kei-nen Finger dafür« (Lukas, 11, 46). Über 2000 Jahre Erfahrung – und der SPD fällt nur der Stein-brück ein?Peter Porsch

Geben Sie Beinfreiheit!

Es ist wichtig, dass wir uns den mit der Energiewende verbun-denen Problemen auf breiter Front offensiv stellen. Die Zeit bis zum Abschalten des letz-ten Atommeilers 2022 wird ra-send schnell vergehen, wenn nicht die sich immer massiver aufstellende Gegnerschaft der Energiewende erneut die Ober-hand gewinnen sollte. Wie sieht es in Sachsen aus? Sachsen als Bundesland hat die Energiewendegesetze im vergangenen Jahr im Bundes-rat abgelehnt. Stattdessen hat die Staatsregierung eigene Vorstellungen von der Energie-wende entwickelt. So soll die Braunkohleverstromung die Lücken schließen, die durch die Abschaltung der Atomkraft-werke entsteht. Gerade Braun-kohle als Energieträger mit den höchsten CO2-Emissionen soll es richten? Die Politik hat da-für den Begriff »Effizienz« er-funden. Der neue Braunkohle-block im Kraftwerk Boxberg IV »Box R« ist hocheffizient und emittiert 20% weniger CO2 als bisherige Kraftwerksblöcke. Mit seiner vollen Inbetriebnah-me im nächsten Jahr steigen die CO2-Emissionen in Sach-sen aber um rund 4,5 Mio. t pro Jahr an!Im April 2012 forderte der Energiepolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion die Abschaffung des Erneuerba-re-Energien-Gesetz (EEG) und legte im Juli nach, indem er forderte: »Wir müssen den Zu-bau von Erneuerbaren Energi-en verlangsamen«. Die CDU-FDP-Koalition marschiert zwar

im Gleichschritt, aber den Ton scheint doch die FDP anzu-geben. Ende Juni startete die FDP-Landtagsfraktion ihre »Fortschrittsoffensive 2012« mit einer Alternativen Klima-konferenz. Das Ziel war von An-fang an eindeutig: Der sich im-mer mehr ausprägende globale und regionale Klimawandel mit teils jetzt schon verheerenden Folgen muss geleugnet wer-den. Die Organisatoren hatten kaum Mühe, Wissenschaftler zu finden, die die Bestätigung dafür lieferten, dass es entwe-der überhaupt keine oder nur eine unbedeutende Klimaer-wärmung gebe. Nachdem zunächst das ganze Rüstzeug der Klimaleugner ak-

tiviert wurde, fahren die Geg-ner nach der Sommerpause neues schweres Geschütz auf. Alle Stromverbraucher, egal ob privat oder gewerbsmä-ßig, haben es festgestellt: Die Strompreise steigen seit Jahr und Tag an. Als Verursacher kommt nur die EEG-Umlage für Wind-, Sonnen-, Biomasse- und Wasserkraftstrom infrage. So ließ Sachsens Wirtschafts-minister Sven Morlok (FDP) am 10.09.2012 in einer Pres-sekonferenz verlauten: »EEG lässt Stromkosten explodieren und verhindert Innovationen – Quantenmodell bessere Al-ternative«. Diese Behauptung kommt nicht von ungefähr, sie ist das Ergebnis einer vom Frei-

staat in Auftrag gegebenen Stu-die. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion ver-tieft die Ergebnisse folgender-maßen: »Mehr als zehn Jahre nach seiner Einführung steht fest: Das Erneuerbare-Energi-en-Gesetz (EEG) hat den Anteil der sogenannten erneuerbaren Energien an der Stromerzeu-gung gesteigert. Mittlerweile beträgt ihr Anteil bereits über 20 Prozent. Der ursprüngliche Zweck des EEG, Nischentech-nologien zur Stromerzeugung den Markteintritt zu ermögli-chen, ist längst erreicht. Heu-te ist das EEG nicht mehr zeit-gemäß, denn die großzügige Förderung der sogenannten erneuerbaren Energien über

das planwirtschaftliche EEG lässt die Kosten für Strom seit Jahren ungebremst explodie-ren und verteilt Geld von unten nach oben kräftig um«. Dass es Studien gibt, die das Gegenteil beweisen und die wahren Grün-de für die Preissteigerungen aufdecken, darüber verlieren FDP-Politiker kein Wort. Privile-gien der Industrie verteuern die EEG-Umlage. Es ist doch ver-ständlich, dass die Kosten stei-gen müssen, wenn eine Viel-zahl von Unternehmen durch die Bundesregierung von der EEG-Umlage befreit und diese Anteile privaten Verbrauchern, Handwerk sowie Mittelstand aufgelastet werden. Deutschland hat sich vorge-nommen, mit der Energiewen-de eine Pionieraufgabe in An-griff zu nehmen. Vorbilder in der Welt gibt es nicht. Wir kön-nen die Aufgabe nur deshalb anpacken, weil Deutschland zu den führenden Technologiena-tionen in der Welt gehört. Die Macher im sächsischen Wirt-schaftsministerium scheinen aber nicht viel von Hochtech-nologien zu verstehen und da-von, welche herausragende Position Sachsen einnehmen könnte, wenn die Verantwortli-chen statt auf die Bremse auf das Gaspedal treten würden. Reagieren wir nicht sofort mit Klimaschutzmaßnahmen, dann laufen uns die Kosten tatsäch-lich aus dem Ruder. Hans-Jürgen SchlegelDer ungekürzte Text ist unter www.links-sachsen.de down-loadbar.

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10 Jahre Afghanistankrieg – Einblicke und Ausblicke

Hintergrund

Am 26. September 2012 be-suchte Stefan Liebich, Bun-destagsabgeordneter der LINKEN und Mitglied im Aus-wärtigen Ausschuss, das »Ma-rienthaler Lichtspielhaus« in Zwickau. Er berichtete über die aktuelle Situation in Af-ghanistan, die Positionen der LINKEN und seine eigenen Einschätzungen. Das Land sei nach zehn Jahren Krieg von kleinen gewalttätigen Grup-pen und einer wieder größer werdenden Zahl verschleier-ter Frauen im Straßenbild ge-kennzeichnet. Inzwischen hat der »Krieg gegen den Terror« viel mehr zivile Opfer gefor-dert als die verbrecherischen Terroranschläge auf das World Trade Center am 11. Septem-ber 2001. Auch wenn klar sei, dass man die Zahl von To-ten nicht gegeneinander auf-rechnen kann, solle man An-lass und Wirkung betrachten, so Liebich. Die Tötung Bin Ladens sei ein Armutszeug-nis für die USA; die Nürnber-ger Kriegsverbrecherprozes-se hätten gezeigt, dass man selbst mit den schlimmsten Verbrechern rechtsstaatlich umgehen könne.Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges habe nun auch Deutschland wieder im Krieg getötete Soldaten zu be-trauern. Letztlich stehe DIE LINKE jedoch nicht gegen die Soldaten, sondern gegen die Kampfeinsätze. Für Angehöri-ge sei es immer schlimm, ei-nen Menschen zu verlieren; deshalb nehme die Frakti-on selbstverständlich an den

Trauerfeierlichkeiten für die Getöteten teil.Deutschland verfüge über ei-ne Parlamentsarmee, so Lie-bich. Das bedeute, dass der Bundestag über jeden Aus-landseinsatz gesondert ent-scheiden müsse. Diese De-batten böten immer wieder die Möglichkeit, auf Proble-me solcher Auslandseinsät-ze aufmerksam zu machen. So seien auch Deutsche da-ran beteiligt, Personen zu identifizieren, die dann in der Gefahr stünden, von NATO-Bündnispartnern erschossen zu werden. Letztlich seien die vollmundigen Ziele wie der Aufbau von Demokratie, der Schutz der Menschenrechte, die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen und eine Verbesserung der Lebensum-stände nicht erreicht worden.

Zwar sei die terroristische al-Qaida nun nicht mehr von Af-ghanistan aus tätig, treibe aber unter anderem vom be-nachbarten Pakistan aus ihr Unwesen.Kritik übte Stefan Liebich auch an der Werbeaktion der BRAVO für »Abenteuerfrei-zeiten« der Bundeswehr. Es könne nicht sein, dass Weh-rerziehung durch die Hinter-tür eingeführt werde. Auch in Schulen habe die Nach-wuchswerbung der Bundes-wehr nichts zu suchen. Es sei schlicht inakzeptabel, dass die meisten Soldatinnen und Soldaten aus den neuen Bun-desländern und sozial schwa-chen Gebieten stammen. Gerade hier werde für die Bun-deswehr als berufliche Chan-ce geworben.In der Diskussion kamen auch

zwei Frauen aus Afghanistan zu Wort, außerdem der Groß-vater eines in Afghanistan stationierten Soldaten. Zur Sprache kamen das Ungleich-gewicht zwischen den Ausga-ben für den Bundeswehrein-satz (eine Milliarde Euro pro Jahr) und für die Aufbauhil-fe sowie die Problematik der Waffenexporte. Die beiden Afghaninnen warfen die Fra-ge auf, wer in Afghanistan ei-gentlich der Feind sei. Früher wurde die eine Seite von den Warschauer Vertragsstaaten unterstützt, während die NA-TO die Taliban beförderte und mit modernen Waffen ver-sorgte. Der Westen habe die Taliban erst stark gemacht, Bin Laden aufgebaut. Seit Be-ginn des Krieges habe sich das Klima in der Bevölkerung stark verändert. In den ersten

Jahren des Krieges seien die Menschen noch voller Hoff-nung gewesen; nun seien die Hoffnungen auf ein besseres Leben dahin. Ziel muss der Wiederaufbau des Landes sein, die Förde-rung von Projekten für Aus- und Weiterbildung in Afgha-nistan sowie zum Aufbau der Wirtschaft. Hier ist Deutsch-land auch nach Abzug der Bundeswehr weiter in der Pflicht. Auf ein weiteres Prob-lem dieses Auslandseinsatzes machte der Großvater eines Soldaten aufmerksam. Viele der in Afghanistan stationier-ten Soldatinnen und Soldaten kämen traumatisiert zurück. Doch hier würden sie damit al-leine gelassen. Stefan Liebich bestätigte, dass Deutschland für die Soldatinnen und Solda-ten auch nach deren Rückkehr aus den Einsätzen eine Ver-antwortung habe. Das Schlusswort kam von ei-ner Migrantin. Sie sei im Krieg aufgewachsen und könne ver-stehen, was die Soldatinnen und Soldaten belastet. Jedes Jahr zu Silvester verkrieche sie sich unter der Bettdecke, weil die Silvesterknallerei sie zu sehr an die Kriegsereignis-se erinnere. Sie wünsche sich, dass die traumatisierten Sol-datinnen und Soldaten gut be-treut und nicht allein gelassen werden. In diesem Sinne dür-fen wir nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan die Menschen dort nicht allein lassen. Unsere Verantwor-tung zur Unterstützung bleibt!Simone Hock

Das Kulturbüro Sachsen e. V. und der Sächsische Flücht-lingsrat e. V. hatten im Sep-tember zu einer Initiativen-Konferenz eingeladen. Neben etwa 40 Aktivistinnen und Ak-tivisten nahm auch die Euro-paabgeordnete Cornelia Ernst (DIE LINKE) daran teil. Die Asyldebatte wird in Deutschland unter dem As-pekt der Nützlichkeit geführt. Die Konferenz jedoch widme-te sich dem Thema unter dem Aspekt der Menschenrech-te. 4300 bis 4500 Flüchtlin-ge leben derzeit unter uns; es gibt 31 Wohnheime, aber gu-te gibt es nicht. Denn Wohn-heim bleibt immer Wohnheim. Mehrbettzimmer bieten keine Privatsphäre. Von den 1000 jährlich ankommenden neuen Asylsuchenden können 400 bis 500 bleiben. Was sie er-

wartet, sind 8-10 Jahre Auf-enthalt im Heim. Das ist so ge-plant und eine Katastrophe für die Betroffenen, die unter die-sen Bedingungen psychisch und physisch krank werden. Die Forderung des Flücht-lingsrates lautet deshalb, neue Asylbewerber nicht län-ger als ein Jahr in Wohnheimen unterzubringen.Dreizehn Kommunen haben dreizehn verschiedene Arten des Umgangs mit Asylbewer-bern, wurde festgestellt. Wäh-rend in Chemnitz 60-70 % de-zentral untergebracht werden, sind es in Mittelsachsen weni-ger als 10 %. Die Bargeldaus-zahlung wurde durchgesetzt, nur der Landkreis Leipzig sträubt sich dagegen. SPD-regierte Länder handhaben Asylfragen immer fortschritt-licher als CDU-regierte. Wür-

de man alle Länder auf einer Bewertungsskala festhalten, käme für Sachsen Platz 13-14 von 16 heraus. Kein Ruhmes-blatt für den Freistaat.Ali Moradi vom Flüchtlings-rat appellierte an die Aktivis-ten, nicht aufzugeben. Sich für Flüchtlinge stark zu machen, sei mühsam. Aber es lohne sich. In den letzten Jahren ha-be es riesige Fortschritte ge-geben; es sei immer wieder gelungen, Verstöße gegen die Menschenwürde anzupran-gern. Es gibt jetzt den Heim-TÜV, und mit Martin Gillo als Sächsischem Ausländerbe-auftragten habe sich einiges getan. Demnächst wird es auch eine »Orientierungshilfe« für Flüchtlinge geben. »Will-kommensbroschüre« darf die-se leider nicht heißen, denn willkommen ist hier niemand.

Besondere Kritik wurde am Asylbewerberheim in Lang-burkersdorf im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz-gebirge geäußert. Hier wür-den offensichtlich alle Asylbe-werber landen, die Probleme machten. Das Wort »Strafla-ger« fiel. Was die Flüchtlinge dort erwarte, führe zu tiefer Enttäuschung, Flucht in den Drogenkonsum, unkontrollier-ten Ausbrüchen. Immer noch lebten diejenigen, die das Ab-brennen des einen Heimtrak-tes miterleben mussten, in Angst. Es gebe einen großen Unterschied zwischen Asylun-terkünften in der Stadt und auf dem Land, wurde festgestellt. Die Zustände in den ländli-chen seien »gruselig« und es ergebe sich die Frage, ob man Asylbewerber nur noch in gro-ßen Städten unterbringen soll-

te. Dass auch das schwierig sein kann, berichteten Aktivis-ten aus Pirna. Als dort ein gro-ßes Asylbewerberheim aufge-macht werden sollte, gab es Unterschriftensammlungen dagegen – u.a. auch von Ge-werbetreibenden, Ärzten. Be-denken äußerte auch die in unmittelbarer Nähe gelegene evangelische Grundschule. Die Konferenz hat insgesamt gezeigt, dass es in Sachsen viele motivierte Aktivistinnen und Aktivisten gibt, die unver-drossen Menschenwürde für Flüchtlinge einfordern. Beim Anblick der vornehmlich jun-gen Gesichter in der Runde wurde klar: Es hat ein Genera-tionswechsel stattgefunden. Auch viele junge Menschen engagieren sich für Flüchtlin-ge – das stimmt froh.Anja Oehm

Initiativen-Konferenz „Asyl in Sachsen“

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Page 5: Links! Ausgabe 11/2012

Informationen, Mei-nungen und Berichte vom 7. Parteitag der sächsischen LINKEN und dem Start des Dialog für Sachsen finden sich auf den Seiten 1 und 3.Enrico Stange be-schreibt die soziale Dimension des Woh-nens auf Seite 4.Julian Nagel berich-tet vom Flüchtlings-marsch, der auch

durch Sachsen ging, auf Seite 7.Caren Lay erläu-tert wie und warum Strom kein Luxusgut werden darf. Auf Sei-te 8.Von der Bundesfrau-enkonferenz berich-

tet Claudia Jobst auf Seite 6.Und Tilman Loos be-richtet vom Landes-jugendplenum in Chemnitz, ebenfalls auf Seite 6.

Dialog für SachsenDer Parteitag war Startschuss

des neuen Projektes.

SachsensLinke

November 2012

1000 Fragen

Dialog für Sachsen startet

Wenn ein 87 ähriger die Augen für immer schließt, dann ist es leicht, von einem erfüllten Le-ben zu schreiben, so wie bei Ed-gar Külow, und trotzdem ist da diese Trauer und das Wissen: Nun ist Koslowski nicht mehr.Wenn sich wenige Tage später ein mir gut bekannter 58 jähri-ger Journalist schlafen legt und am nächsten Tag nicht mehr aufwacht, dann steht die Fra-ge: Wieso ist dieses Leben jetzt plötzlich zu Ende? Es gab doch noch so viel zu tun. Man meint, so ungerecht darf es nicht zu-gehen. Wenn zwei Wochen später ei-ne 22 jährige plötzlich und völ-lig unerwartet von uns gerissen wird, dann ist jede Frage nach dem Warum eine Frage zu viel. Weil es kein Warum gibt. Es ist so unbegreiflich. So unfair. So verdammt unbegreiflich. LMJ - wie Du dich nanntest - Du bist nicht mehr unter uns und doch bleibst Du uns unaus-löschlich in Erinnerung. Durch deine Worte, Dein Handeln, durch Deine Musik hast Du uns was hinterlassen, was wir nicht mehr hergeben werden. Die Mutter von Lisa-Marie Jatz-ke sagte am Sonntag, nachdem sie von dem unfassbaren Tod erfahren hatte: Behaltet sie so in Erinnerung wie sie war, dass hätte sie sich gewünscht. Ich habe dem Landesvorstand der LINKEN empfohlen, den 7. Landesparteitag, der am Sonn-tag abgebrochen wurde, nicht fortzusetzen, und einen neuen Landesparteitag einzuberufen. Wer wollte einen Parteitag an der Stelle fortsetzen, an der wir von dem Unfassbaren erfuhren? Nicht nur Lisa-Marie hatte 1000 Fragen in ihrem Kopf, wie sie zu Beginn des Parteitages gesun-gen hat. Auch ich, und es bleibt eine: Warum?

In den letzten Ausgaben von Sachsens Linke war schon Grundlegendes darüber zu le-sen, was unter dem »Dialog für Sachsen« zu verstehen ist, so-wohl von den Inhalten als auch der Methodik in der Öffent-lichkeitsarbeit her. Was das in der Praxis bedeuten kann, konnten Gäste und Delegier-te des 7. Landesparteitags der LINKEN hautnah miterleben. Wer beispielsweise bezüglich der Leitanträge zu den Sozial-politischen wie Bildungspoliti-schen Leitlinien die sonst übli-chen Einbringungsstatements erwartet hatte, wurde ange-nehm enttäuscht. Denn statt dieser boten Podiumsdiskus-sionen mit zum Teil externen Sachverständigen einen Ein-stieg in die jeweilige Thematik. Anschließend fanden dann die Generaldebatten statt. Der »Dialog für Sachsen« zei-tigt eine Menge Papier, es geht ja darum, jene Inhalte zu erarbeiten, mit der DIE LINKE in den kommenden Jahren den innerparteilichen wie öffentli-chen Dialog führen und in den Wahlkampf ziehen will. Seit ei-nigen Monaten gibt es einen Katalog von Fragen zur Qua-litätssicherung und Harmoni-sierung der Leitlinien, der den Autorinnen und Autoren Ori-entierung geben und die Ar-beit an den Papieren erleich-tern soll. Voraussetzung aber, um die Inhalte zu qualifizie-ren, bleibt der Dialog mit den

verschiedenen gesellschaftli-chen Kräften, und um diesen effektiv, ansprechend und ab-wechslungsreich zu gestal-ten, hat die Steuerungsgruppe einen Methodenkoffer »ge-packt«, in Gestalt einer sch-malen Broschüre, der überall und zu jeder Zeit einsatzbe-reit ist. Diese Sammlung ver-schiedenster dialogischer und auch spielerischer Elemente, die sich oft ohne großen Auf-wand in Veranstaltungen inte-grieren lassen, zeigt Möglich-keiten auf, wie und in welchen Formen der Dialog geführt werden kann. Die Methoden werden kurz und eingängig beschrieben, so ist etwa zu er-fahren, wie das »World-Café« oder der »Infomarkt« funktio-nieren, was sich hinter solch geheimnisvollen Bezeichnun-gen wie »Fishbowl«, »Texani-sches Thesenmassaker« und »Open Space« verbirgt. Diese Veranstaltungsformate und Methoden sind alle nicht neu, doch in die politische Arbeit haben sie zum Teil noch wenig Eingang gefunden. Dabei sind sie besonders geeignet, die Zuhörenden aktiv in das Ge-schehen einzubeziehen, vor-handene Kompetenzen anzu-sprechen, statt, wie gehabt, nur frontal zu »unterrichten«. Interessenten können die Bro-schüre über die Landesge-schäftsstelle beziehen.Jayne-Ann Igel

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Seite 2Sachsens Linke! 11/2012

Meinungen So gesehen

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in SachsenHerausgeber: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wie-der. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Re-daktionssitzungen bitte erfra-gen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Aufla-

ge von 16050 Exp. gedruckt.Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Ralf Richter, Stathis SoudiasBildnachweise, wenn nicht ge-sondert vermerkt:Archiv, iStockphoto, pixelioInternet unter www.sachsens-linke.de

Kontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 22.10.2012Die nächste Ausgabe erscheint am 29.11.2012.

Von Stathis SoudiasPeter Kohlhaas aus ZittauIn der Partei gibt es eine Bun-desar b e i t sgeme inscha f t Selbstbestimmte Behinder-tenpolitik, in der auch Landes-arbeitsgemeinschaften be-inhaltet sind, in Sachsen ist sie nicht vorhanden. Leider lässt die Behindertenpolitik im Land Sachsen zu wünschen übrig. Das hat mehrere Ursa-chen: Haben Sie sich schon gefragt, wo und wie viele Be-hindertenbeauftragte auch in den Städten und Gemeinden vertreten sind ? Hier im Kreis Görlitz sind es meines Wis-sens nach höchstens 3 (!), da-zu die Behindertenbeauftrag-te des Kreises. Ein wahrlich trauriger Stand. Wo ist ein Ur-laub ohne Barrieren möglich? Natürlich ist die Kluft zwi-schen einzelnen Vertretungen von behinderten Menschen groß geworden, leider. Eine Zusammenarbeit lässt sehr zu wünschen übrig. Glauben Sie nicht? Dann überprüfen Sie die einzelnen Organisationen.Die Mobilität und Barrierefrei-heit trifft nicht nur die offen-sichtlich behinderten Bürger, was ist mit Eltern mit Kinder-wagen, Senioren, Kurzzeit-verletzte (auch jüngere, evtl. Sportverletzte) oder mit Band-scheibenproblemen oder Ope-rationen.So wird ein Schuh draus: Die-ses »Klientel« ist weitaus grös-ser, die also Mobilitätspro-bleme haben. Unser Anliegen einiger »Einzelkämpfer/innen« ist also hier in Sachsen eine Landesarbeitsgemeinschaft zu gründen.

Uwe Schnabel aus Coswig zu „Ein Angriff auf die heu-tige Idee der Universität“ (Links! 10/2012, S.4) Im Gegensatz zu den Regie-rungen handeln viele Studie-rendenvertretungen nicht im Interesse der wirtschaft-lich Mächtigen, sondern der Studierenden. Deshalb wird schon seit Jahrzehnten ver-sucht, den Einfluss der Stu-dierendenvertretungen zu ver-ringern, jetzt eben über eine Verringerung der Studieren-denbeiträge. Wie Nick Wag-ner erwähnte, ist dies Teil der Bestrebungen, Hochschulen vollständig den wirtschaft-

Michael BehringerLinke unterstellen Rechten eine menschenverachtende Weltanschauung, Rechte un-terstellen Linken genauso, dass diese menschenverach-tend und kriminell seien.Ein sinnentleertes Spiel, ei-gentlich unpolitisch und ent-politisierend, denn die wich-tigen Sach-Themen werden nicht beleuchtet. Seit Jahren wird nicht darüber diskutiert, welche Formen und Inhalte von Globalisierung noch men-schengemäß sind und welche nicht. Es wurden in der LIN-KEN Sachsen keine Begren-zungen und Regulierungen diskutiert, weder bzgl. Finanz-märkte, Geldsystem noch was Arbeitsmärkte und Migration angeht. Es wurde »randgrup-penspezifische« Interessen-politik betrieben.Auf diese Weise findet keine politische oder rationale Aus-einandersetzung mit NPD-Po-sitionen statt.

Martin Andreas-Bergmann aus AßmannshardtAuf Seite 4 der Sachsens LIN-KE ! schreiben Sie über Hartz IV. Auch ich habe bei der AR-GEn die Zusicherung bean-tragt und wurde »aus persön-lichen Gründen« abgelehnt. Das verhinderte einen ge-wünschten Auszug nach einer Trennung und hat meine Rech-te schwer verletzt. Ich wollte damit nur sagen, daß selbst die selbstverständ-lichsten Rechte uns Hartz IV - Empfänger vorenthalten wer-den. Das liegt auch an den falschen Urteilen der Gerichte. Ich ha-be den starken Verdacht, daß die von »oben« dazu angehal-

Torsten Steidten aus Ge-lenau zu „Wir waren auch Heimat...“ in „Sachsens Linke!“ 10/2012Ich gebe Rico Gebhardt und Stefan Hartmann Recht, dass die Ost-West-Unterschiede (leider) auch im Jahre 2012 noch immer ein Thema sein müssen. Ob allerdings der »Of-fene Brief« die passende Form war, dieses Problem zu thema-tisieren, weiß ich nicht - inhalt-lich schießt er mindestens mit der Einbeziehung der Partei-tagsmandate der Zusammen-schlüsse für mich deutlich über das beschriebene Ziel hinaus. Es werden viele vor den Kopf gestoßen, die sich in den Zu-sammenschlüssen z.B. auf vie-len inhaltlichen Feldern aktiv in die Arbeit unserer Partei ein-bringen...und wenn die herauf-beschworene Gefahr, dass sich wer zwei Mandate verschafft, wirklich real bestehen sollte (was ich bezweifeln möchte), so reicht hier doch eine einfa-che Klarstellung.

Torsten Steidten zu „Für eine kulturvolle Diskussi-on“ (Links! 9/2012, Seite 2)Im Interview heißt es etwas verkürzend »Die Klientel der Gewerkschaften sind nach wie vor die Beschäftigten... und die Arbeitssuchenden.« Das ist deshalb verkürzend, weil z.B. die Gewerkschaft Erzie-hung und Wissenschaft (GEW)auch eine ganze Reihe von Ak-tivitäten etwa für Studieren-de entfaltet. Auch für die Se-niorinnen und Senioren gibt es viele Angebote.Ich teile nicht die Einschätzung, dass wir künftig (nur) »das von der BAG vorgelegte Modell [ei-nes bedingungslosen Grund-einkommens] als Diskussi-onsgrundlage nehmen« sollte. Einerseits lässt auch dieses für mich noch eine Reihe von Fra-gen offen, und es es ist für mich noch überhaupt nicht klar, ob am Ende der Debatte ein Ja der LINKEN zum bedingungslosen Grundeinkommen stehen wird oder ob wir zu ganz anderen Modellen kommen.

lich Mächtigen zu unterwer-fen. Dazu gehört ebenfalls, dass die gewählten Gremi-en zugunsten von Konzern-vertretern entmachtet wer-den sollen. Das und nicht die Fachschaftsmitgliedschaft ist antidemokratisch. Und nach der Logik des FDP-Jugendver-bandes müssten diejenigen, deren Interessen nicht von den Regierungen vertreten werden und die sich deshalb nicht an Wahlen beteiligen, keine Steuern bezahlen.

ten werden. Oder was macht jemand aus dem Justizminis-terium beim Leiter des Sozial-gerichtes?Dürfen wir Bürger das auch? Leider ist das Fazit der Auto-rin nicht ganz richtig: Die Bera-tungsstellen der Sozialverbän-de und auch bei der LINKEN sind nicht unbedingt fach-kundig. Sie haften auch nicht bei Falschberatung. Richtiger muss es heißen: Wenden Sie sich an einen Rechtsanwalt - möglichst an einen Fachan-walt für Sozialrecht. Aber auch diese sind gegen manche be-trügerische Urteile der Gerich-te oft machtlos.

Manfred Kölbel aus Rade-bergDa mir von allen Parteien die Linke noch am sympathischs-ten ist, habe ich nun in dem Büro in Radeberg vorgespro-chen. Nicht um noch Mitglied zu werden, das hat wohl mit 80 keinen Zweck mehr, aber für die Ziele und das Eintreten für die Interessen des Normal-bürgers in der Partei kann man ohne Mitglied zu sein immer noch eintreten und werben. Dort habe ich auch die Zei-tung »Links« bekommen und ich möchte Ihnen mal meine Meinung zu den Ermittlungen und den laxen Umfang mit den Rechten mitteilen.

Meine Ansicht zu den Ermitt-lungen um das Neo-Nazi-Trio!Da wird ermittelt und ermittelt und erst so nach und nach tau-chen immer neue bisher sorg-sam zurückgehaltene Beweise auf. Die Sonderermittler ha-ben wenig Erfolg und hingehal-ten. Mir kommt es so vor, als wären bei Kripo, Staatsschutz, MAD und anderen Stellen die Behörden von Rechten unter-wandert. Eigenartig, da sind plötzlich Akten verschwunden oder gar vernichtet, da haben befragte Leute plötzlich ein Kurzzeitgedächtnis und kön-nen sich nicht erinnern.

Ulrich Neef aus PlauenEndlich beginnt die Debatte über die unbedingte Notwen-digkeit der Einführung eines bedingungslosen Grundein-kommens aus der Schmuddel-ecke zu holen Eine rasche Änderung des Grundsatzprogramms, wo die gegenwärtigen Ziele Sozialis-mus und Vollbeschäftigung durch die Ziele demokrati-scher Sozialstaat und bedin-gungsloses Grundeinkommen ausgetauscht werden, kann die Linke als Wahrnehmung einer echten Alternativpartei zu den neoliberalen Parteien (CSU, CDU, FDP, SPD und Grü-ne) aus dem gegenwärtigen Stimmungstief wieder heraus geholt werden.

sich schämen...

Seit der Gründung der Bun-desrepublik wird der 20. Ju-li gefeiert »als bedeutendster Umsturzversuch des militäri-schen Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus«! Da-zu kommen Hans und Sophie Scholl, Mitglieder der »Wei-ßen Rose«. Dann wird es schon knapp. Wer will schon wissen, dass die Vorgängerpartei der CDU die Zentrumspartei ist, die Herrn Hitler an die Macht ver-half? Schließlich sind wir längst entnazifiziert«Der letzte sächsische König be-hauptete gar –das wiederhole ich immer wieder gern–, dass seine Sachsen immun gegen Rechtsextremismus sind. Wer immun ist, kann nicht ange-steckt werden. Ergo, gibt es in Sachsen keine Rechtsextremis-ten. Wenn keine Rechtsextre-misten in Sachsen existieren, können sie auch nicht »unter-tauchen«. Können nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Nicht von der Staats-anwaltschaft belangt werden. Auch hat die NSU–nicht die Motorenwerke, die andere– und deren Helfershelfer nichts verbrochen, nicht in Sachsen, denn auch sie gibt es nicht. Nun stehen zwei deutsche An-tifaschisten, die sich dem brau-nen Dreck entgegen gestellt haben, vor Gericht. Weil sie da-rauf aufmerksam machen woll-ten, dass seit 1990 Obdach-lose, Sozialhilfeempfänger, Asylsuchende durch sächsi-sche Strassen und Plätze ge-jagt, erniedrigt, beschimpft, ge-schlagen, ermordet werden. Der wegen der Funkzellenab-frage stolze Träger des »Big Brother Award«*** Preises, der Herr Innenminister, ist uns ei-nige Antworten schuldig: War-um konnten die NPD und ihre Kameradschaften seit 1990 so sehr gedeihen - im Fahrwasser der CDU? Wie viele Abgeord-netenbüros der CDU wurden seit 1990 demoliert, wurden Scheiben zerschlagen, wurden Mitarbeiterinnen bedroht? Wie viele Linke hat die Staatsan-waltschaft seit 1990 dingfest gemacht, die Flüchtlinge be-leidigt, geschlagen, ermordet haben?

Liebe Leserin, kennst du den Begriff des »sich fremd schä-mens«?

*** sind Negativpreise, die jährlich in mehreren Ländern an Behörden, Unternehmen, Organisationen und Personen vergeben werden

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Seite 3 11/2012 Sachsens Linke!

Viele Fragen Sächsische LINKE diskutiert auf ihrem Parteitag in Chemnitz und will einen gesellschaftlichen Dialog führen - Tragischer Tod junger Delegierter führt zum Abbruch des ParteitagesMit Bekanntwerden des tra-gischen Todes von Lisa-Ma-rie Jatzke am Sonntagmor-gen entschied Rico Gebhardt, dass der Parteitag abgebro-chen wird. Eine richtige Ent-scheidung. »Wie sollte er auch anders, wo doch gerade diese junge Frau ihn einen Tag zuvor voller Hoffnung für sich und uns eröffnet hatte. Beendet ist die Arbeit aber nicht, und wir werden sie weiterführen als nüchtern geformtes, aber umso mehr jetzt mit Herzblut gestaltetes Denkmal auch der Arbeit von Lisa-Marie« - kom-mentiert Peter Porsch.In einer ersten Beratung ver-ständigte sich der Vorstand der sächsischen LINKEN in-zwischen darauf, die Bil-dungspolitischen Leitlinien auf einem neuen, dem 8. Lan-desparteitag, weiter zu bera-ten. Dieser soll, nach erster Absprache durch Landesvor-stand und den SprecherInnen des Landesrates, voraussicht-lich Ende April 2013 stattfin-den.In seiner Rede nach Konstitu-ierung des Parteitages hatte Partei- und Fraktionsvorsit-zender Rico Gebhardt ein rot-rot-grünes Regierungsbünd-nis für einen Politikwechsel in Sachsen gefordert. »Die CDU hat kein zukunftsfähiges Kon-zept für das Land mehr«, sag-te er, und der »marode Tanker CDU« gehöre »endlich in die Werft der Oppositionsbänke«. Erstmals versuchte die säch-sische LINKE mit Podiumsdis-kussionen neue Wege bei der Vorstellung der Leitlinien. Und das war eine Menge Papier, zu den beiden Leitlinien gab es ca. 50 Änderungsanträge, von denen zahlreiche bereits vor dem Parteitag übernom-men wurden, die verbliebenen sollten z.T. für heftige Debat-ten sorgen.Besonders natürlich beim Thema Grundeinkommen, für das eine begrenzte Debatte vorgesehen war, denn diese Frage ist, obwohl nur bundes-politisch relevant, umstritten. Die Vorsitzende der LINKEN,

Katja Kipping, bekannterma-ßen eine engagierte Befürwor-terin, argumentierte: »Hinter die Idee, dass ausschließlich Erwerbsarbeit eine Leistung für die Gesellschaft ist, setze ich ein dickes Fragezeichen.« Mit dem BGE würden hinge-gen auch Menschen ein Ein-kommen erhalten, die sich nur ehrenamtlich engagieren oder in der Familie »arbeiten«, etwa bei der Kindererziehung oder der Pflege.Dagegen fürchtet Sabine Zim-mermann, Abgeordnete im Bundestag und DGB-Chefin in Südwestsachsen, dass die Grundsicherung von Arbeitge-bern genutzt werden könnte, um niedrigere Löhne durch-zusetzen, denn »BGE ist Auf-stockung, und Aufstockung ist nichts anderes als ein Kombi-lohn, den wir ablehnen.«Katja Kipping sieht das nicht so: »Kombilohn ist, wenn nied-rige Stundenlöhne staatlich bezuschusst werden. Ein BGE verhindert aber Niedriglöh-ne.«Mit Blick auf die Wahlen be-

tonte Katja Kipping, dass DIE LINKE Hartz IV ersetzen, aber nicht zum xsten Mal mit der Forderung »Hartz IV muss weg« antreten will. Vielmehr geht es darum, ein Angebot zu machen, bestehend aus der Trias Mindestlohn, Min-destrente, sanktionsfreies Mindesteinkommen. In der Debatte zum Bedin-gungslosen Grundeinkommen sprach sich Juliane Nagel für den Kompromissantrag von Mitgliedern der beiden Lan-desarbeitsgemeinschaften BGE und BuG aus, denn »Ar-beit ist mehr als Lohnarbeit«. Klaus Tischendorf ergänzte: »Wir wollen gute Arbeit, wir wollen gute Löhne. Aber wir gehen auch gemeinsam wei-ter.« Das schlug sich dann auch im Kompromiss nieder: DIE LINKE kämpft mittelfristig für gut entlohnte Arbeit. Das Grundeinkommen soll aber als Projekt zur »Transformation der kapitalistischen Verhält-nisse« mit Beteiligung der Par-tei weiter in der Gesellschaft debattiert werden. Denn die

sächsische LINKE sieht das Bedingungslose Grundein-kommen als ein »Projekt zur emanzipatorischen Transfor-mation der kapitalistischen Verhältnisse«. Die zum Parteitag erschiene-ne Broschüre »Grundeinkom-men!? – Reader zur Konferenz Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozial-staat« kann für die weitere De-batte genutzt werden.Eine begrenzte Debatte war auch zur sanktionsfreien Min-destsicherung und zur Min-destrente zu erleben, hier ging es u.a. darum, ob es sinnvoll ist, dafür explizit eine Höhe anzugeben. Es existiert ja be-kanntermaßen ein entspre-chender Beschluss des Göt-tinger Parteitags, der sich mit einem Betrag von mindestens 1050 Euro an der in internati-onalen Studien belegten aktu-ellen Armutsrisikogrenze ori-entiert. Letztlich einigten sich die De-legierten und die Sozialpoliti-schen Leitlinien wurden ein-stimmig beschlossen. Der Sonntagmorgen begann mit der Podiumsdiskussion zu den Bildungspolitischen Leitlinien. Die Vorsitzende der Gewerkschaft GEW, Sabi-ne Gerold, beurteilte die Bil-dungspolitischen Leitlinien als ein Papier, das lediglich das bestehende Schulsystem beschreibt. Vieles komme zu kurz – viele Fragen seien of-fen. Sie fragte etwa, warum DIE LINKE für stark verschulte Lehrpläne ist? »Wir sind wei-ter, sind der Auffassung, dass Rahmenlehrpläne reichen«, entgegnete Cornelia Falken. Einigkeit herrschte darüber, dass es individueller Förde-rung eines jeden Kindes in der einen Schule für alle bedarf. In der kurzen Debatte forderte Sebastian Scheel: »Wer keine Visionen für die Zukunft hat, wird im Verwalten stecken bleiben.«Rico Schubert

Meinungen zum Landesparteitag

Sachsens Linke fragte nach:

Was sind die drei wichtigs-ten Dinge, die du von die-sem Parteitag mit nimmst?

- Diskussionen mit jungen und älteren Genossen muss stärker erfolgen ohne zu eskalieren- Wir haben noch viel zu tun um die Beschlüsse an die Basis zu bringen- Annäherung zwischen Verdi, GDP und Linken – sehr gut- Unsere jugendlichen Genos-sen sind anders- Unsere Leitliniendiskussion immer den Prozess der Nach-haltigkeit abbildet- Man sollte zwischendurch Ar-beitsgruppen zu Themen zu-lassen- Weniger ist mehr- Denken erfordert Sprache- Podium statt Einbringungsre-den – Super! Mehr!!!- Der gemeinsame (!) Tanz-abend war ein voller Erfolg!- Etwas zügiger zu arbeiten- Die Zurufe haben mich etwas gestört – Tagungsleitung hat das aber gut gemacht

Kannst du aus dem Par-teitagsgeschehen Dinge bei dir vor Ort oder in der praktischen Arbeit umset-zen?- Die Gendersprache sollte in-tensiver beachtet werden- Kommunale Energieversor-gung- Pluralismus ≠ Pluralismus- Inhalt und Party genussorien-tiert stattfinden zu lassen

Kritik und Anregungen:Wichtige Wahlgänge wie z.B. Satzungsänderungen nicht am Ende eines Sitzungstages ab-handelnBessere Strukturierung der An-träge und nur eine Änderung pro AntragsnummerWeniger Anträge, die einzig Feststellungen treffenWenn junge Studenten Initia-tivanträge einbringen, kann der Landesvorstand diese Person in dieser Diskussion nicht aus-grenzen, in dem er weiterge-henden Änderungsanträgen zu-stimmt, ohne diesen Menschen weiter mitzunehmen (Hoch-schulantrag)Vielleicht kann man auch noch weitere Methoden auf dem Par-teitag nutzen & ausprobieren?

Der nächste Parteitag soll stattfinden in- ländlichem Raum- Oberwiesentahl- Einem der ländlichen Räume, vorzugsweise Erzgebirge- Einen inhaltlich bestimmten Konferenzort (Hochschulpo-litik)- Ich komme überall hin- Markneukirchen/ Plauen

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Seite 4Sachsens Linke! 11/2012

Die soziale Dimension des Wohnens in Sachsen

Soziales

„Jung, befristet, prekär, arbeitslos?“

Eine kürzlich im Auftrag von Bau- und Baustoffindustrie so-wie Mieterbund veröffentlich-te Studie fordert einen erheb-lichen Aufwuchs im sozialen Wohnungsbau. Für Sachsen sollen so 342.000 Sozialwoh-nungen neu errichtet werden. Andererseits lässt die Pes-tel-Studie erfahren, dass die Zahl der Sozialwohnungen in Sachsen um knapp Zweidrittel auf gerade mal noch 83.000 gesunken ist. Andererseits spricht die sächsische Staats-regierung von 150.000 nicht mehr benötigten Wohnungen, die vom Wohnungsmarkt des Landes zu nehmen seien. An dieser Stelle muss zum bes-seren Verständnis einiges sor-tiert werden.In der Tat ist die Zahl der Woh-nungen mit Sozialbindung zu-rück gegangen. Dabei haben sie zumeist schlicht die ge-setzliche Bindungsfrist über-schritten und so ihren forma-len Status verloren. Oftmals werden diese ehemaligen Sozialwohnungen dennoch von finanziell Schwachen be-wohnt. Und die erhebliche Zahl der mit dem Wohnungsbaupro-gramm der DDR errichteten Wohnungen sorgen in den kommunalen Gesellschaften oder Genossenschaften heu-te dafür, einen Großteil des Bedarfs an erschwinglichem Wohnraum abzudecken. Nur werden gerade sie nicht in den betreffenden Bestand hi-nein gerechnet. Im Ergebnis existiert mit Ausnahme Dres-dens kein tatsächlich flächen-deckendes Problem im sozia-

len Wohnungsbau in Sachsen. In Dresden liegt der Fall auch aufgrund des WOBA-Total-verkaufs und des signifikan-ten Zuzugs anders. Allenfalls könnte Leipzig in Kürze in ei-ne vergleichbare Mangelsi-tuation kommen. In anderen Städten finden wir teils gro-ßen Leerstand.Die soziale Dimension des Wohnens jedoch dürfte sich aus anderen Zusammenhän-gen ergeben. Mit dem Bie-denkopfschen Modell des »Lohnkostenvorteils« in Sach-sen und seinem so gearteten Werben um Wirtschaftsan-siedlung hat sich eine fatale Einkommensabwärtsspirale eingestellt, die bis heute nicht wirklich gestoppt wurde. Die durchschnittliche Entlohnung in sozialversicherungspflich-tiger Arbeit liegt in Sachsen bei 1.955 Euro (brutto/Mo-nat) gegenüber 2.068 Euro in Ostdeutschland und 2.702 Euro im Bundesdurchschnitt. Die oftmals gebrochenen Er-werbsbiografien tun ihr Übri-ges zum wachsenden Prob-lemfeld der Altersarmut. Die Zahl der Arbeitslosen im SGB-II-Regelkreis ist nach wie vor viel zu hoch. Damit ist insge-samt die Leistungsfähigkeit der MieterInnen – um im Bild des Marktes zu bleiben – er-reicht. Die sogenannten Miet-nebenkosten und die Energie-kosten haben für die privaten Haushalte eine tatsächliche »zweite Miete« aufgebaut, die die Gesamtwohnkosten auf gut ein Drittel und mehr der durchschnittlichen Nettoein-künfte anwachsen lassen.

Die meisten kommunalen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften sind am Ende der Fahnenstange bei der Mietpreisentwicklung an-gekommen. Die nunmehr an-stehenden Aufgaben bei der energetischen Sanierung und bei der Schaffung von Barri-erefreiheit können also kaum noch oder gar nicht mehr durch Mietumlage finanziert

werden. Hier muss es zu ei-ner gesamtstaatlichen Lö-sung kommen, die vor allem die Förderung dieser Investi-tionen im Auge hat. Wir müs-sen zudem als Gesellschaft darüber nachdenken, ob wir finanziell Schwache auf der Grundlage der heutigen und sich verschärfenden KdU-An-gemessenheitsgrenzen und Standard-Maßstäbe von sa-

niertem Wohnraum und übli-chem Standard wirklich dau-erhaft ausschließen wollen und was das für Klimaschutz und soziale Durchmischung bedeutet. Darin, nicht in fehlendem Wohnraum besteht die sozi-ale Dimension und der Hand-lungsdruck heute und in der Zukunft.Enrico Stange

Bundestreffen der AG Betrieb & Gewerkschaft Unter diesem Arbeitstitel tra-fen sich rund 50 Delegierte, darunter drei aus Sachsen, am 8./9. September in Berlin. Es ging um die Situation von Aus-zubildenden und Perspektiven gewerkschaftlicher Jugendar-beit. 19 Azubis aus Deutsch-land und der Schweiz berich-teten.

Ganze Berufsschulklassen mit ALG IIAzubis stehen unter Konkur-renzdruck, Leistungsdruck und Flexibilitätsdruck. 40 Pro-zent werden nach der Ausbil-dung nicht und nur 23 Prozent

unbefristet übernommen. Ein Drittel landet umgehend in Hartz IV. Alarmierend sind die steigenden Krankheitszahlen. Denn Gesetze werden täglich gebrochen. Die Vergütung ist schlecht und lückenhaft gere-gelt. 500 Euro reichen zum Le-ben nicht aus, wenn es denn überhaupt so viel sind. Isabel Artus, Vorsitzende der DGB-Jugend Hamburg, berichtete, sie erlebe ganze Berufsschul-klassen, die gleichzeitig al-le ALG II bekommen. Es gäbe Azubis, die nebenbei bis 2 Uhr nachts bei Burger King schuf-teten.

Auto vom Chef waschen oder Tritte unter dem Zahnarztstuhl»Lehrjahre sind keine Her-

renjahre« oder »Das war hier schon immer so« sind gängi-ge Sprüche, die Azubis zu hö-ren bekommen. Etwa, wenn sie gegen Überstunden auf-begehrten, die gang und gäbe seien. Krasse Beispiele wur-den aufgezählt: der Azubi, der das Auto vom Chef waschen muss. Die 15jährige mit dem 16-Stunden-Tag. Die Zahn-arzthelferin-Azubi, die unter dem Stuhl Tritte erhielt. Der Azubi, dem nach seinem 18. Geburtstag vom Ausbilder mitgeteilt wurde, dass er nun volljährig sei, keiner Berufs-schulpflicht mehr unterliege, diese also nicht mehr besu-chen müsse. Ein Azubi, dem die Berufsschulzeit als Minus-stunden geschrieben wurden – 300 und mehr. Hier versag-

ten Kammern und Schulen als Kontrollorgane. Erfahrungen mit Gewerkschaften haben Jugendliche kaum. »Jugend-liche haben Probleme, aber kein Problembewusstsein«, sagte Isabelle Artus. Wenn es für Azubis besser werden soll, müssen eine angemes-sene Ausbildungsvergütung, geregelte Arbeitszeiten, An-rechnung der Berufsschulzei-ten und BVJ-Zeiten, gesetzli-che Übernahmeregelungen her. Warteschleifen und Über-gangssysteme gehören abge-schafft. Bundessprecher Gerald Kem-ski resümierte, in den 70er Jahren hätte es geheißen: »Brauchst du einen billigen Arbeitsmann, schaff dir ei-nen Lehrling an«. Und genau

da seien wir heute wieder. Die problematische Situation der beruflichen Bildung gehört in allen parlamentarischen Ver-tretungen durch thematisiert. Im Workshop wurde die Fra-ge behandelt, wie Solidarität unter den Azubis entwickelt werden könne. Keine leichte Frage, denn alle Bereiche sind von verstärkter Individualisie-rung, steigendem Konkurrenz-druck oder Auflösung der tra-ditionellen Milieus betroffen. Kritisch zu sein, sich gegen Bevormundung zu wehren, ha-ben in der Werteskala abge-nommen. Es gäbe Probleme, Jugendliche für eine Sache konstant bei der Stange zu halten. Deshalb gewinne Kom-munikation an Bedeutung. Anja Oehm

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Page 9: Links! Ausgabe 11/2012

ParlamentsrePort

Liebe Leserinnen und Leser,

während Thüringen 80 Prozent seines Energiebedarfs importieren muss, kann Sachsen ein Drittel der produzierten Energie exportieren. Das sieht auf den ersten Blick nach sächsischem Standortvorteil aus. Wenn man jedoch genauer hinschaut, stellt man fest, dass die Bevölke-rung dafür einen unverantwortlich hohen Preis zahlt: die Verwüstung ganzer Landschaften, unermessliche langfristige ökologische Folgen – nur ein Stichwort: Grundhochwasser – und eine Blockade der Entwicklung erneuerbarer Energieträger.

Der CDU-Mann Klaus Töpfer, ehema-liger Exekutivdirektor des Umwelt-programms der Vereinten Nationen und früherer Bundesumweltminister, hat das Gerede von der notwendigen „Grundlast“ durch Braunkohle längst zutreffend als überholt dargestellt. Es wäre im Interesse einer nachhal-tigen Entwicklung Sachsens, wenn Ministerpräsident Tillich energiepoli-tisch die Höhe der Zeit erreichte und nicht mehr verjährte Glaubenssätze des letzten Jahrhunderts gegen die Energiewende in Stellung bringen würde.

Hier geht es nicht nur um Umwelt-, sondern auch um zentrale Wirt-schaftsfragen. Der Arbeitskräfte-bedarf der Braunkohleindustrie stagniert seit Langem, die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich der regene-rativen Energieträger wächst rasant. Insofern sollte Thüringen künftig mehr und Sachsen anders Energie produzieren. Dafür sind so schnell wie möglich die Weichen zu stellen – am besten ab 2014 mit Rot-Rot-Grün!

Rico GebhardtFraktionsvorsitzender

Oktober 2012 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Altenpflege: Keine Frage des Geldes, sondern der Menschlichkeit

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PARLAMENTSREPORTSeite 2 Oktober 2012

Polizeibeschwerdestelle: Wer schützt im Falle des Falles vor den Beschützern?

Widerstand gegen Nazis bleibt EhrensacheZur Immunitätsaufhebung von Falk Neubert

1 vgl. AMNESTY INTERNATIONAL, Fach-konferenz Polizei und Menschenrechte 2010, Dokumentation, Seite 30

MdL Falk Neubert

© Thorben Wengert / pixelio.de

Page 11: Links! Ausgabe 11/2012

PARLAMENTSREPORTOktober 2012 Seite 3

PlenarspiegelSept./Okt. 2012Am 26./27. September und am 17./ 18. Oktober 2012 fanden die 62./63. und die 64./65. Sitzung des Sächsi-schen Landtags statt. Nachfolgend eine Auswahl der parlamentarischen Initiativen der Fraktion DIE LINKE:

Aktuelle Debatten: – „Sachsen wehrt sich gegen die Schulpolitik der Kultusminis-terin und die Diffamierung der Lehrerinnen und Lehrer durch die Regierungskoalition“– „Gefahren für die sächsischen Mieterinnen und Mieter abwen-den – Mieterrechte sichern!“

Gesetzentwürfe:– „Gesetz zur Gewährleistung einer effektiven Untersuchung von Beschwerden gegen poli-zeiliche Maßnahmen im Frei-staat Sachsen“ (Drs 5/10200)– 2. Lesung: „Gesetz zur Einfüh-rung öffentlicher Petitionen per Internet beim Sächsischen Land-tag“ (Drs 5/3704)

Große Anfrage:– „Zu ausgewählten Lebenslagen von Frauen in Sachsen“ (Drs 5/8746)

Anträge:– „Zusage der Kultusministe-rin einhalten – Neueinrichtung einer Eingangsklassenstufe 5 an der Mittelschule Seifhen-nersdorf zulassen“ (Drs 5/10178) – „Sachseninitiative für ein Sofortprogramm gegen drohende massenhafte Altersarmut“ (Drs 5/10179)– „Einheitliche Anrechnung von drei Jahren Kindererziehungszeit auf die gesetzliche Rente“ (Drs 5/8749)– der Fraktionen SPD, DIE LINKE und GRÜNE: „Pflege braucht Zeit – Reformstau in der Pflegepolitik Sachsen“ (Drs 5/10337)

Dringlicher Antrag:– der Fraktionen SPD und DIE LINKE: „Öffentliche Erklärung des Staatsministers des Innern zu den Umständen der bekannt geworde-nen Abhörmaßnahmen im Jahre 2000 bis 2010 gegen Mitglieder der Terrorgruppierung „NSU“ und die diesbezügliche Informati-onspolitik gegenüber dem Landtag und seinen Gremien“ (Drs 5/10375)

Entschließungsantrag:– „Verschlechterungen für Rechtsuchende im Prozesskos-tenhilfe- und Beratungshilferecht nicht zulassen“ (Drs 5/10334)

Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de

Während die Bundesfamilien-ministerin Schröder wiederholt versucht, die Gleichstellung der Geschlechter herbei zu fantasie-ren, zeichnet die Realität in Sach-sen ein gänzlich anderes Bild. Dies ergab sich aus der von der Fraktion DIE LINKE gestellten Gro-ßen Anfrage und den Antworten der Staatsregierung. Die Mehr-heit der „typischen“ Verdienst-möglichkeiten für Frauen bietet immer noch keinerlei Aussicht auf eine steile, gut dotierte Karriere. So arbeiten in klassisch unterbe-zahlten Berufsgruppierungen wie dem Pflegebereich, dem Gesund-heitswesen und der Gastronomie zu über 90 Prozent Frauen. Dass der Frauenanteil sachsenweit seit 1990 um 2,5 Prozent zurückge-gangen ist, bleibt bei diesen über-wiegend schlecht bezahlten oder fehlenden Berufsperspektiven für Frauen kaum verwunderlich.

Besonders schwer haben es die alleinerziehenden Frauen. So sind 58 Prozent von ihnen vollständig bzw. teilweise auf staatliche Hilfs-leistungen angewiesen, und eine höhere Armutsgefährdung ist die Konsequenz. Aber auch wenn die Frauen eine Erwerbstätigkeit aus-üben reicht diese oftmals nicht zum Leben. Durch den ständigen Ausbau der Niedriglohnbeschäf-tigung in Sachsen und Deutsch-land insgesamt sind die Hürden für einen existenzsichernden Lohn stets gewachsen. Die Unsicherheit im befristeten Job bleibt dagegen stabil und es ist klar, dass sich die-ser Stress der Mutter auch auf die Entwicklung des Kindes auswirkt.

Was die Unterschiede der Ein-kommen zwischen Männern und Frauen in gleichen Berufsfeldern

betrifft, so liegt Sachsen mit neun Prozent deutlich unter dem bun-desweiten Durchschnitt von 23 Prozent. Doch wer diese Zahlen als erstes positives Signal sieht, täuscht sich. Denn: „Gerade hier-bei wird deutlich, dass Sachsen seinem Ruf als Niedriglohnland immer wieder gerecht wird. Nur weil die Männerberufe deutlich unterbezahlt sind, kommen wir auf diese geringe Geschlechterein-kommenslücke von nur 9 Prozent, worauf die Staatsregierung stolz ist“, erläutert die gleichstellungs-politische Sprecherin der Frak-tion Heiderose Gläß.

Für beide Geschlechter gilt: Wer Niedriglöhne sät, der erntet Alters-armut. Jedoch trifft die Billiglohn-Strategie der schwarz-gelben Koalition die Frauen im Alter noch härter. So erhielten Frauen im Jahr 2011 mit 674,09 Euro durch-schnittlicher Rente mindestens 200 Euro weniger als Männer. Dies liegt auch daran, dass Frauen der Weg in die Chefetagen meist ver-sperrt bleibt. So führt Gläß aus: „In den obersten Leitungsfunktionen sind Frauen unterrepräsentiert.

Das betrifft alle Bereiche, die Kom-munalverwaltungen wie die Minis-terien, die Krankenhäuser wie die Hochschulen und die Polizei.“

Daher fordert die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag eine echte Frauenquote in Spit-zenpositionen und keine „Flexi-Quote“ à la Kristina Schröder. Nur so kann die geheuchelte Geschlechter-Gerechtigkeit hin zu einer wahrhaften Gleichstellung geführt werden. Will die Staats-regierung ernsthaft die Benach-teiligung von Frauen verhindern, muss sie daher den Arbeitsmarkt geschlechtergetrennt untersu-chen, anstatt die Lage weiter schön zu reden.

u Große Anfrage: „Zu ausgewählten Lebenslagen von Frauen in Sachsen – Generelle Aspekte; Erwerbs tätigkeit und Qualifikation; Einkommensverhältnisse; Gesundheit; Wohnverhältnisse –“ (Drs 5/8746)

Lage der Frauen in Sachsen: Von der geheuchelten zur wahrhaften Gleichstellung

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PARLAMENTSREPORTSeite 4 Oktober 2012

EXPLORE IT Fraktionsjugendtag 2012

„Politik ist langweilig, anstren-gend und bewirkt eh nichts.“ Dieses Gefühl beschleicht immer mehr junge Menschen in Sachsen und die aktuelle Regierung tut ihr übriges, um dieses Bild der Politik zu ver-stärken. Wie es besser laufen könnte, dafür haben wir einige Vorschläge, aber letztlich lebt die Zukunft natürlich von Dir und Deinen Ideen.Die Fraktion DIE LINKE lädt Dich zum Fraktionsjugend-tag 2012 in den Sächsischen Landtag ein. Im World Café erwarten Dich spannende Debatten mit Landtagsabge-ordneten, z.B. wie und ob Par-lamente im 21. Jahrhundert überhaupt Sinn ergeben und Du erfährst Anekdoten aus dem Landtagsalltag, um Dir einen wirklichen Eindruck von Politik machen zu können.

ANMELDEN?!Der Fraktionsjugendtag findet am 24. November 2012 ab 10 Uhr im Sächsischen Land-tag in Dresden statt. Wenn Du Dich anmelden möchtest, geht das am bes-ten via Mail: jugendtag@ linksfraktionsachsen.de

u www.linksfraktion- sachsen.de/jugendtag

Die Armutskonferenz der Fraktion DIE LINKE am 6. Oktober in Chem-nitz rückte die Probleme von Frauen in den Fokus und besaß dazu aus-reichend Anlass. So stellten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer fest, dass Frauen bei der Arbeitssu-che immer noch benachteiligt wer-den und wenn sie berufstätig sind, zunehmend in den Niedriglohnsek-tor abgedrängt werden. Außerdem

gelten knapp zwei Drittel der allein-erziehenden Frauen in Sachsen als armutsgefährdet bzw. arm, was in der Konsequenz stets Armut der Kinder bedeutet. Daher schloss sich die Mehrheit der Anwesenden den Vorschlägen der Fraktion an, Leihar-beit und Minijobs abzuschaffen und einen flächendeckenden gesetz-lichen Mindestlohn einzuführen. Alle Teilnehmerinnen und Teilneh-

mer waren überzeugt, dass für dauerhafte Armutsbekämpfung ein Politikwechsel notwendig sei!

u Thesen: „Frauenarmut in Sachsen: Situation – Perspektiven –politischer Handlungsbedarf“Download der Broschüre unterwww.linksfraktionsachsen.de/ publikationen

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon: 0351/493-5800Fax: 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

www.linksfraktion-sachsen.de

V.i.S.d.P.: Marcel BraumannRedaktion: Dave Schmidtke

Mit dem Internet ergaben sich völlig neue Möglichkeiten der demokrati-schen Teilhabe. So lassen sich über Online-Petitionen für alle Menschen politische Initiativen schnell und ein-fach mit unterzeichnen. So ist dieser Vorgang schon seit 2005 im Bundes-tag und mittlerweile auch in ande-ren Landesparlamenten, möglich. In Sachsen gibt es zwar die Möglich-keit, über das Internet eine Petition einzureichen, jedoch kann diese dann nicht online mit unterzeichnet werden.

Wie viele Unterstützer, und damit auch welche politische Bedeutsam-keit eine Online-Petition besitzt, kann somit nicht erfasst werden. Erst wenn die Zahl der Unterstützer direkt verfolgt werden kann, wird Sachsen der neuen Dynamik des Netzes gerecht. Mit dieser Methodik könnten auch schneller mehr neue Unterstützer mobilisiert werden: „Im Schneeballprinzip kann man weiter-sagen, wo es beteiligungsorientierte Handlungsmöglichkeiten gibt. Nach der Gefällt-mir- oder Das-unter-stütze-ich-auch-Methode kann so

über politische Handlungsmöglich-keiten auf Ebene der Petition auch in sozialen Netzwerken weiter infor-miert werden“, erklärt Julia Bonk, die Sprecherin der Fraktion für Datenschutz, Verbraucherschutz und neue Medien.

Durch die Offenlegung der Zahl der Unterstützer würde sich auch der Druck auf die jeweilige Regie-rung erhöhen, auf eine Initiative zu reagieren. Denn je mehr Menschen eine Petition unterzeichnen, desto schwerer kann sich die Öffentlich-

keit der Debatte entziehen. So wur-den bei Online-Petitionen im Bundes-tag gegen Netzsperren und für ein bedingungsloses Grundeinkommen bereits über 100.000 Unterstützerin-nen und Unterstützer registriert.

Um zu verhindern das Sachsen wei-terhin als Schlusslicht moderner Möglichkeiten für mehr Demokratie agiert, hat die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag ihren Ent-wurf für das „Gesetz zur Einführung öffentlicher Petitionen per Internet beim Sächsischen Landtag“ (Drs 5/3704) eingereicht. Dieser wäre ohne großen finanziellen oder tech-nischen Aufwand umzusetzen und dennoch nur ein erster Schritt. Denn für Julia Bonk sind die Möglichkei-ten, für mehr Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, keineswegs erschöpft: „Wir wollen zum Beispiel die Quoren für verbindliche direkte politische Beteiligung senken. Wir können uns auch die digitale Unter-schrift und Beteiligung vorstellen. Wir haben zum Beispiel die Online-Unter-schrift beim Volksbegehren vorge-schlagen. Wir wollen also mehr.“

Bürgerbeteiligung in Sachsen weiter offline?

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Gegen Frauenarmut, für einen Politikwechsel6. Armutskonferenz in Chemnitz

Beim diesjährigen „Tag der offenen Tür“ im Sächsischen Landtag am 3. Okto-ber konnte man am Stand der Linken rote Äpfel essen, puzzeln, Politik-Talk erleben und wer Lust hatte, konnte sich unter dem Motto „Wenn ich König von Sachsen wäre ...“ auf einem Thron fotografieren lassen und dabei notieren, was sie/er in diesem Fall tun würde. Für die kulturelle Umrahmung sorgte das Duo „Father & Son".

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Kommunal-Info 9-2012

BürgerbegehrenBürgerbegehrensbericht 2012 vom Verein Mehr Demokratie

Seite 2

VergabegesetzZur öffentlichen Anhörung über die Entwürfe für ein neues Vergabegesetz in Sachsen

Seite 3

Seminare Seminare zu „Baurecht“ und „Kommunale Unternehmen“ im November

Seite 4

StrategiepapierSächsischer Städte- und Gemeindetag legt Strategiepapier vor

Seite 4

K o m m u n a l p o l i t i s c h e s F o r u m S a c h s e n e . V .K F S

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

24. Oktober 2012

Die Einnahmen der KommunenDie Städte und Gemeinden benötigen

zur Erfüllung ihrer Aufgaben, die über-wiegend keine Kostendeckung bringen, das Recht zur Erhebung öffentlicher Abgaben. Während die Haushalte von Bund und Ländern überwiegend durch Steuern finanziert werden, machen die Steuereinnahmen mit etwa 39 % in den Westkommunen den größten Anteil an den Einnahmen aus. In den Ostkom-munen dominieren die Zuweisungen und die Steuern erbringen nur 22% der Einnahmen. Im Freistaat Sachsen be-trägt die Steuerdeckung 24,6%.

Die Erhebung von Abgaben durch die Kommunen bringt für die Bürger weitreichende Eingriffe in ihr Eigen-tum mit sich. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ist deshalb die Erhebung von Abgaben nur aufgrund eines förm-lichen Gesetzes zulässig. Deshalb gibt § 73 Abs. 1 der Sächsischen Gemeinde-ordnung (SächsGemO) den ausdrück-lichen Hinweis: „Die Gemeinde erhebt Abgaben nach den gesetzlichen Vor-schriften.“ D.h.: Bei der Erhebung von Abgaben muss sich die Gemeinde an die gesetzlichen Vorgaben halten. Ab-gabenvereinbarungen sind grundsätz-lich unzulässig.

Begriff der AbgabenKommunale Abgaben sind Geld-

leistungen, die Gemeinden und Land-kreise in Ausübung ihrer hoheitlichen Gewalt zur Deckung ihres Finanzbe-darfs von den Abgabepflichtigen er-heben. Mit diesen Einnahmen erfüllen die Kommunen ihre öffentlichen Auf-gaben. Zur Abgabenerhebung ist eine spezielle gesetzliche Ermächtigung er-forderlich. Sofern das Gesetz nicht al-le Gegebenheiten abschließend regelt, muss die Kommune die Einzelheiten in einer Abgabesatzung festlegen. Zwi-schen der Kommune und dem Abgabe-

pflichtigen besteht ein Über- und Un-terordnungsverhältnis. Die Gemeinde setzt die Abgabe einseitig durch Abga-benbescheid fest, der als Verwaltungs-akt erlassen wird.

Unter den Oberbegriff „Abgaben“ gehören unterschiedliche Arten von Abgaben:

Steuern,Beiträge,Gebühren undsonstige Abgaben.

SteuernSteuern sind einmalige oder laufende

Geldleistungen, die die Kommunen zur Erzielung von Einnahmen allen aufer-legt, bei denen der Besteuerungstat-bestand (z.B. Grundsteuer) zutrifft, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Besonderes Merkmal der Steu-er ist, dass die Kommune dem Steuer-zahler keine konkrete Gegenleistung für die Steuerzahlung bietet. Für die Kommunen stellen Steuern allgemei-ne Deckungsmittel dar, die sie generell zur Erfüllung der verschiedenen Auf-gaben einsetzen können, die also nicht zweckgebunden für bestimmte Aufga-ben sind.

GebührenDie Gebühren sind ein öffentlich-

rechtliches Entgelt für die tatsächliche Inanspruchnahme einer kommunalen Leistung. Diese Leistung kann entwe-der aus einer Amtshandlung bestehen; dann entfallen dafür Verwaltungsge-bühren. Die Gemeinde kann auch für die Bereitstellung einer öffentlichen Einrichtung Benutzungsgebühren er-heben. Die Benutzungsgebühr ist nach dem Umfang der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung zu bemessen.

Von Steuern unterscheiden sich Ge-bühren dadurch, dass Gebühren ei-

ne konkrete Gegenleistung für eine Dienstleistung der Verwaltung dar-stellen. Voraussetzung für das Entste-hen der Gebührenpflicht ist, dass der oder die Betreffende die Leistung der Gemeinde (Amtshandlung oder Be-nutzung einer öffentlichen Einrich-tung) tatsächlich beansprucht hat. Die Benutzungsgebühren finanzieren den laufenden Betrieb einer Einrich-tung, Verwaltungsgebühren den Auf-wand einer Verwaltungshandlung. Beide werden deshalb in der Doppik im Ergebnishaushalt veranschlagt. Sondernutzungsgebühren (z.B. Au-ßengastronomie, Warenauslagen, Ver-kaufsstände, Märkte) sind keine Be-nutzungsgebühren, sondern Abgaben nach Kommunalabgabengesetz.

BeiträgeBeiträge stellen ein besonderes Ent-

gelt zum Ausgleich eines Vorteils dar, den ein Grundstück durch die Möglich-keit der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen oder aus der Erschlie-ßung durch eine Erschließungsanlage erfährt. Dieser Vorteil muss dauerhaft sein. Beiträge sind grundsätzlich ein-malige Geldleistungen, während Ge-bühren normalerweise fortdauernd an-fallen, solange bestimmte Leistungen in Anspruch genommen werden.

Im Gegensatz zur Gebühr entstehen Beiträge nicht erst bei der tatsächli-chen Benutzung; es genügt vielmehr die Anschlussmöglichkeit an eine lei-tungsgebundene Einrichtung oder die Herstellung einer Erschließungsanla-ge (Straße), die dem Grundstück einen Vorteil erbringt.

Rechtsgrundlage für Beiträge sind das Baugesetzbuch für Erschlie-ßungsbeiträge oder das Kommunal-abgabengesetz (SächsKAG) z.B. für leitungsgebundene Beiträge und Stra-

ßenbaubeiträge. Beiträge sollen die Herstellungskosten der Anlagen zu-mindest teilweise decken und werden deshalb in der Doppik im Finanzhaus-halt veranschlagt.

Sonstige AbgabenNach dem SächsKAG oder besonde-

ren Gesetzen können die Gemeinden neben Steuern, Gebühren und Beiträ-gen noch sonstige öffentlich-rechtliche Abgaben erheben. Darunter fallen z. B. die Kurtaxe (§ 34 SächsKAG), und die Fremdenverkehrsabgabe (§ 35 Sächs-KAG) sowie Sondernutzungsgebühren. Die Feuerwehrabgabe als „Ersatzgeld für nicht geleisteten Feuerwehrdienst“ hat der EU-Gerichtshof als unzulässi-gen Verstoß gegen den Gleichbehand-lungsgrundsatz für verfassungswidrig erklärt.

Rangfolge der EinnahmenIm Rahmen ihrer Finanzhoheit steht

den Kommunen grundsätzlich das Recht zu, über die Art, Zusammenset-zung und Höhe ihrer Einnahmen frei zu entscheiden. Damit die Kommunen aber nicht unbegrenzt und beliebig Ab-gaben erheben, wurden mit dem Ge-setzesvorbehalt in § 73 Abs. 1 Sächs-GemO sowie mit den Grundsätzen der Einnahmenbeschaffung Einschrän-kungen zum Schutz der Abgabepflich-tigen verfügt.

Außerdem wird in § 73 Absatz 2 zwingend eine Rangfolge der Einnah-mebeschaffung vorgeschrieben. Dabei steht das leistungsbezogene Entgelt, soweit vertretbar und geboten, vor der leistungsunabhängigen Steuer. Damit soll ein ausgewogenes Verhältnis unter den einzelnen Einnahmearten und eine gerechte Lastenverteilung erreich wer-

Fortsetzung auf Seite 2

Page 14: Links! Ausgabe 11/2012

Seite 2Kommunal-Info 9/2012

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.de

V.i.S.d.P.: A. Grunke

Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.

den. Als verbindliche Reihenfolge gilt: 1. Spezielle Entgelte,2. Steuern,3. Kredite.Bevor die Gemeinde hoheitlich ih-

re Machtstellung ausübt und Abga-ben zwangsweise erhebt, muss sie die „sonstigen“ Einnahmen ausschöp-fen. Dies regelt zwar die SächsGemO nicht ausdrücklich, geht aber aus der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Kräfte der Abgabe-pflichtigen hervor (§ 73 Absatz 3).1

Sonstige EinnahmenDie „sonstigen Einnahmen“ feh-

len in der Aufzählung in § 73 Abs. 2 SächsGemO, spielen aber in der kommunalen Finanzwirtschaft kei-ne unbeachtliche Rolle. Sie fließen der Gemeinde teilweise ohne beson-dere eigene Aktivitäten zu und ent-lasten die Abgabepflichtigen. Des-halb stehen die sonstigen Einnahmen eigentlich an vorderster Stelle. Die Bezeichnung „sonstige Einnahmen“ könnte vermuten lassen, es handle sich hier um eine unbedeutende Ein-nahmenart. Im Gegenteil, diese Ein-nahmengruppe ist mit Abstand die bedeutendste.

Zu den sonstigen Einnahmen, die in der Doppik als Erträge des Ergeb-nishaushalts zu erfassen sind, zählen insbesondere die folgenden:

allgemeine Schlüsselzuweisungen nach dem FAG;

Bedarfszuweisungen nach dem FAG;

Auflösung von Sonderposten aus Investitionszuweisungen (z.B. aus Fachförderung, investive Schlüssel-zuweisungen, kommunale Investiti-onszuweisungen, Kommunale Investi-tionspauschale);

Gemeindeanteile an der Einkom-mensteuer und Umsatzsteuer;

Verkaufserlöse für geringwertige Wirtschaftsgüter;

Einnahmen aus der Vermögensnut-zung wie Holzerlöse, aus Obstverkauf u. a.;

Ersatzleistungen für Schadensfälle, Ablieferungen aus Nebentätigkeiten, private Fernsprechersätze u.a. Einnah-men;

Erstattungen;Zuweisungen und Zuschüsse für lau-

fende Zwecke;Zinseinnahmen;Konzessionsabgaben;Zinszuschüsse;Ersatz sozialer Leistungen;Bußgelder;kalkulatorische Einnahmen (Ab-

schreibung, kalk. Zinsen)sowie die folgenden Einzahlungen im Finanzhaushalt:

Entnahmen aus Rücklagen;Darlehensrückflüsse;Erlöse aus der Veräußerung von Sa-

chen des Anlagevermögens und aus Beteiligungen;

Zuweisungen und Zuschüsse für In-vestitionen.

Die sonstigen Einnahmen machen bei den Kommunen in den alten und neuen Bundesländern deutlich mehr als die Hälfte aller Einnahmen aus und stel-len damit den größten Einnahmeblock dar. Das ist nun nicht gerade Ausdruck kommunaler Finanzhoheit, ist doch dieser gewichtige Einnahmeblock zu einem erheblichen Teil von den Kom-munen nicht maßgeblich beeinflussbar. Das gilt für die Gemeindeanteile an der Einkommensteuer und an der Umsatz-steuer sowie für die Zuweisungen im Finanzausgleich. Auch bei den zweck-gebundenen Zuweisungen für einzelne Investitionen sind die Kommunen in starkem Maße vom Staat abhängig. All diese Einnahmemöglichkeiten muss die Gemeinde vorrangig ausschöpfen, denn in dem Maße werden Gemeinde-einwohner und örtliche Steuerzahler weniger herangezogen.

Spezielle EntgelteDie speziellen Entgelte nehmen nach

den sonstigen Einnahmen den zweiten Rang ein. Darunter fallen:

Verwaltungsgebühren;Benutzungsgebühren;privatrechtliche Benutzungsentgelte;Beiträge.

Der Vorrang der speziellen Entgel-te vor den Steuern folgt aus dem Ver-ursacherprinzip und dient dem Vor-teilsausgleich. Wer also aus speziellen Leistungen der Verwaltung individuell zurechenbare wirtschaftliche Vorteile erfährt, der soll auch die dafür anfal-lenden Kosten tragen und nicht anony-men Steuermasse bedient werden. Die speziellen Entgelte sollen grundsätz-lich kostendeckend sein. Aus sozialen Gründen und Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Kräfte der Abgabe-pflichtigen sind Begrenzungen hinzu-nehmen.

Mit den Begriffen „soweit vertret-bar und geboten“ bringt das Gesetz das Spannungsverhältnis zwischen finanz-wirtschaftlichen und sozialen Anfor-derungen zum Ausdruck. „Soweit ge-boten“ bedeutet die Forderung nach einer vollen Kostendeckung. „Soweit vertretbar“ meint, auf das wirtschaftli-che Leistungsvermögen der Zahlungs-pflichtigen Rücksicht zu nehmen. Eine volle Kostendeckung ist dann anzu-streben, wenn das wirtschaftliche In-teresse des Leistungsempfängers im Vordergrund steht und dem keine sozi-alen Aspekte entgegenstehen. Je höher das wirtschaftliche Interesse anzuset-zen ist, desto höher sollte der Umfang der Kostendeckung sein.

Bei den Begriffen vertretbar und ge-boten handelt es sich um unbestimm-te Rechtsbegriffe, die einen weiten Beurteilungsspielraum zulassen. Die kommunalen Entscheidungsgremien können hier beim Umfang der Kosten-deckung finanzwirtschaftliche und fi-nanzpolitische Gesichtspunkte in ihre Entscheidung einfließen lassen.

In Einzelfällen geben bundes- und länderrechtliche Vorschriften vor al-lem bei Verwaltungsgebühren die Hö-he oder den Rahmen der Gebühren vor. So ist für die Ausstellung von Reisepäs-sen, Personalausweisen, Staatsangehö-rigkeitsurkunden ein fester Gebühren-satz, für Baugenehmigungsgebühren ein an den Kosten des Bauwerkes ori-entierter Rahmen vorgeschrieben.

Für die Benutzungsgebühren legen die §§ 10 bis 14 SächsKAG den ma-teriellen Rahmen fest. Diese bestim-men, welche Kosten angesetzt werden können und dass die Gebühren die-se Kosten nicht überschreiten dürfen (Kostenüberschreitungsverbot). Diese Grundsätze gelten auch für die privat-rechtlichen Entgelte sinngemäß.

Umfang der KostendeckungDer Umfang der Kostendeckung

durch spezielle Entgelte ist gesetz-lich generell nicht vorgeschrieben; das SächsKAG enthält lediglich Ober-grenzen für die Kostendeckung. Ei-ne generelle Festlegung der Kostende-ckungsgrade würde der kommunalen Finanzhoheit widersprechen.

Beim Anbieten einer Leistung unter dem kostendeckenden Entgelt können verschiedene Aspekte eine Rolle spie-len:2

Wirtschaftliche Gründe: Das höhe-re Entgelt würde infolge drastischen

Rückgangs der Nachfrage zu einer noch geringeren Kostendeckung füh-ren: z.B. Bäder;

soziale Gründe: Kindertagesstätten-gebühren;

kulturelle Gründe: Theater, Konzer-te, Museen;

umweltpolitische u.a. Gründe: ÖPNV.

Dienen Einrichtungen einem eng begrenzten Kreis von Benutzern und vermitteln sie diesem hohe wirt-schaftliche Vorteile, sollte eine volle Kostendeckung angestrebt werden. Auch Umweltaspekte können von Bedeutung sein: eine voll kostende-ckende Wasser-, Abwasser- und Ab-fallgebühr motiviert zugleich zu ei-nem sparsamen Verbrauch.

Nachfolgend ein Überblick über den Umfang der Kostendeckung bei wichtigen kostenrechnenden Ein-richtungen:3

Einrichtungen mit voller Kostendeckung

Abwasserbeseitigung (nach Abzug des Anteils der Straßenentwässerung);

Abfallbeseitigung Wasserversor-gung;

Energieversorgung: als wirtschaft-liche Betätigung soll diese nach § 97 Abs. 3 SächsGemO einen Ertrag ab-werfen;

Krankenhäuser;Schlachthöfe;Märkte.

Überwiegende Kostendeckung Altenheime;Altenpflegeheime;Bestattungswesen.

Kostendeckung unter 50 %Schullandheime;Altenwohnheime;Hallen- und Freibäder;Kindergärten;Volkshochschulen;Musikschulen;Theater und Konzerthäuser sowie

Museen Jugendzentren;Bürgerhäuser;Büchereien.

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1 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, E. Schmidt Verlag, § 73, Rdn. 7.2 Vgl. Menke/Arens: Gemeinde-

ordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, 4. Aufl., S. 180.3 Vgl. Gemeindeordnung für den

Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar... § 73, Rdn. 25-27.

Fortsetzung von Seite 1

... Einnahmen ...

Wie entwickelt sich die direkte De-mokratie auf der kommunalen Ebe-ne? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Bürgerbegehrensbericht 2012 des Vereins Mehr Demokratie. Demnach gab es seit 1956 deutschlandweit fast 6.000 direktdemokratische Verfahren auf Kommunalebene. Allein im letz-ten Jahr wurden 300 Verfahren einge-leitet.

Direkte Demokratie boomt: dieser Schluss liegt nahe, wenn die Zahlen des aktuellen Bürgerbegehrensbericht nicht täuschen. Mehr als die Hälfte der seit 1956 durchgeführten Verfah-ren fanden nach Angaben von Mehr Demokratie in der letzten Dekade (2002-2011) statt. Direkte Demokratie braucht die Bürgerinnen und Bürger: mehr als 5.000 Bürgerbegehren wur-den von unten auf den Weg gebracht, lediglich 810 Verfahren wurden durch Gemeinderäte initiiert. Spitzenreiter der direkten kommunalen Demokratie ist Bayern. Hier bilanziert der Bericht 2.260 Verfahren, das entspricht einem Durchschnitt von 141 Verfahren pro Jahr. Grund für diese Spitzenstellung sind nach Angaben des Vereins die be-sonders anwendungsfreundlichen Re-gelungen im südlichsten Bundesland.

Welche Themen bewegen die Bürge-rinnen und Bürger? Der Bericht zeigt: Bürgerbegehren zu Wirtschaftsprojek-ten (18 Prozent), zu öffentlichen So-zial- und Bildungseinrichtungen (17 Prozent) sowie zu Verkehrsprojek-ten (16 Prozent) liegen fast gleichauf. Bürgerbegehren zu Energiethemen (Privatisierung von Stadtwerken, So-laranlagen, Windkraft) fanden im Be-richtszeitraum lediglich 175 Mal statt.

Obwohl der Bereich Bauleitplanung viele Bürgerinnen und Bürger umtreibt, sind Bürgerbegehren zu diesem Thema in sieben Bundesländern nicht zuge-lassen. Hier fordert Mehr Demokratie ein Umdenken von Politik und Verwal-tung. Er appelliert an die Verantwort-lichen, Themenausschlüsse und ande-re restriktive gesetzlichen Regelungen bürgerorientiert zu reformieren.

Der Bürgerbegehrensbericht 2012 entstand in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Bergischen Universität Wuppertal und der Forschungsstelle Bürgerbetei-ligung und Direkte Demokratie an der Universität Marburg.

(www.buergergesellschaft.de)

Bürgerbegehrensbericht 2012

Page 15: Links! Ausgabe 11/2012

Seite 3 Kommunal-Info 9/2012

Vergabegesetz wird novelliertZur öffentlichen Anhörung der

drei Gesetzentwürfe für eine Novel-lierung des Sächsischen Vergabege-setzes am 9. Oktober im Sächsischen Landtag

Die Vergabe öffentlicher Aufträge bei Bau-, Liefer- und Dienstleistungen erreicht eine beachtliche volkswirt-schaftliche Größe. So wird das Markt-volumen aller öffentlichen Aufträge in Deutschland jährlich auf rund 300 Mil-liarden Euro geschätzt. Die Kommunen sind hiervon mit knapp 60 Prozent al-ler Aufträge der mit Abstand größte öf-fentliche Auftraggeber. Etwa 95% der kommunalen Aufträge liegen unter-halb der EU-Schwellenwerte, also nur 5% der kommunalen Aufträge müssen europaweit ausgeschrieben werden.

Zweck des VergaberechtsFür die Vergabe öffentlicher Aufträ-

ge hat sich seit den 20er Jahren des vo-rigen Jahrhunderts in Deutschland das Vergaberecht entwickelt,

um einen transparenten, wirtschaft-lichen, sparsamen und auf Recht und Gesetz beruhenden Umgang mit öf-fentlichen Finanzen zu gewährleisten,

um bei Ausführung der Bau-, Liefer- und Dienstleistungen die gewünschte Qualität zu erreichen,

um zwischen den Bietern den Wett-bewerb und Gleichbehandlung zu ge-währleisten, unlauteren Wettbewerb zu unterbinden.

Drei GesetzentwürfeNachdem der Bundesgesetzgeber

das Vergaberecht 2009 erneuert hatte, sieht sich jetzt auch der Freistaat Sach-sen vor der Aufgabe, das seit nunmehr 2002 bestehende Sächsische Vergabe-gesetz zu novellieren. Dazu liegen zur Verhandlung im Sächsischen Landtag gleich drei Gesetzentwürfe vor:

der Entwurf der Regierungskoaliti-on von CDU/FDP,

ein gemeinsamer Entwurf von LIN-KEN und SPD sowie

ein Entwurf von B’90-Grüne. Am 9. Oktober 2012 fand dazu nun

eine öffentliche Anhörung des Innen-ausschusses statt, zu der 11 Sachver-ständige ihre Stellungnahme abgaben. Der Sächsische Landkreistag hatte ei-ne schriftliche Stellungnahme einge-reicht.

Als Ziel des Koalitionsentwurfes wird erklärt, die Regelungen zur Ver-gabe öffentlicher Aufträge im Freistaat Sachsen fortzuschreiben und insbeson-dere die Regelungen im Sächsischen Vergabegesetz anzupassen, die sich aus der Novellierung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) ergeben.

Der Entwurf von LINKE und SPD möchte das sächsische Vergaberecht weitergehender reformieren, indem Tariftreue- und Mindestentgeltrege-lungen eingeführt werden, der sächsi-sche Mittelstand gefördert wird, eine umweltgerechte Beschaffung befördert wird, die Gleichstellung und Behinder-te begünstigt werden sollen sowie der Rechtsschutz auch im Bereich unter-halb der gesetzlichen Schwellenwerte

gewährt wird. Im Entwurf von B’90-Grüne wird

als Ziel angegeben, die vorhandenen Regelungsspielräume durch Landes-gesetzgebung zu nutzen, um Umwelt- und Sozialstandards im öffentlichen Beschaffungswesen zu verankern und darüber hinaus der Korruption vorzu-beugen.

In den Stellungnahmen der Sachver-ständigen traten die unterschiedlichen Interessenlagen zutage: die Interessen der Auftraggeber in Gestalt der kom-munalen Spitzenverbände, die Inter-essen der Auftragnehmer in Gestalt von Handwerk und Bauindustrie und die Interessen von Arbeitnehmern, hier insbesondere repräsentiert durch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung und das Entwicklungspoliti-sche Netzwerk Sachsen Kauft Fair.

Gleich zu Beginn der Anhörung gab der Vertreter des Sächsischen Bau-gewerbeverbandes ganz unumwun-den zu verstehen, dass er sich in seiner Stellungnahme am Koalitionsentwurf abarbeiten werde, da dieser „nach menschlichem Ermessen die größten Chancen habe, Mehrheiten im Säch-sischen Landtag zu finden“, was aber nicht heiße, dass „auch in den Entwür-fen der Oppositionsparteien Regelun-gen enthalten sind, die die Bauwirt-schaft befürwortet.“

Ablehnung sozialer und ökologischer Kriterien

Ein ganz zentraler Punkt in der An-hörung waren die kontroversen Stand-punkte zu den in den Gesetzentwürfen von LINKE/SPD und B’90-Grüne vor-gesehenen sozialen und ökologischen Kriterien bei der Vergabe von öffentli-chen Aufträgen.

Von den kommunalen Spitzenver-bänden Sächsischer Städte- und Ge-meindetag (SSG) und Sächsischer Landkreistag (SLT) wurden solche As-pekte strikt als „vergabefremde“ Krite-rien abgelehnt. „Die kommunalen Auf-traggeber wären organisatorisch und

finanziell überfordert, wenn sie etwa die Einhaltung von Tariftreueregelun-gen, Mindestlöhnen, Kriterien, inwie-weit Anbieter Maßnahmen zur Gleich-stellung von Frauen und Männern, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, fördern, oder auch die ILO-Kernar-beitsnormen kontrollieren müssten“, so die Auffassung des SSG.

Auch der SLT sieht darin „vergabe-fremde“ Kriterien, die er entschieden ablehnen müsse. Vorrangige Ziele der öffentlichen Auftragsvergabe seien „die wirtschaftliche Beschaffung von Waren und Dienstleistungen und die Ermittlung des wirtschaftlich güns-tigsten Bieters in einem fairen, trans-parenten Verfahren, das den Wettbe-werb zwischen den Bietern fördert und diese gleich behandelt.“ Das Vergabe-recht eigne sich nicht „als Vehikel zur Durchsetzung aller möglichen politi-schen Ziele, auch wenn diese als wün-schenswert empfunden werden.

Die Berücksichtigung sozialer, öko-logischer und innovativer Aspekte bei der öffentlichen Auftragsvergabe soll-te „dem Ermessen der Vergabestellen überlassen bleiben und nicht gesetz-lich vorgeschrieben werden. Dies ent-spricht auch der Regelung, die nach § 97 des Gesetzes gegen Wettbewerbs-beschränkungen oberhalb der EU-Schwellenwerte gilt. Voraussetzung für die Berücksichtigung sozialer, um-weltbezogener oder innovativer Aspek-te ist auch nach dieser Regelung, dass sie im Zusammenhang mit dem Auf-tragsgegenstand stehen.“

Auch die Vertreter aus Bauhandwerk und –industrie verlangten einen kon-sequenten Verzicht auf „vergabefrem-de Aspekte wie Tariftreue, Sozialstan-dards und Umweltverträglichkeit“. Aus juristischer Sicht sei es sehr fraglich, ob das öffentliche Vergaberecht über-haupt geeignet ist, solche allgemeinpo-litischen Zielsetzungen umzusetzen. Vielmehr sei zu befürchten, „dass die Verknüpfung mit vergabefremden As-pekten den Mittelstand benachteiligt

und zu mehr Bürokratie bei den Un-ternehmen und der Verwaltung führen wird.“

Solche Kriterien würden sowohl „die öffentliche Hand als Auftragge-ber wie auch die Auftragnehmer in er-heblichem Maße zeitlich und finanzi-ell belasten. Oft ist die Einhaltung der Kriterien nicht oder nur mit unverhält-nismäßig großem Aufwand möglich.“ Statt Bürokratie abzubauen, würden zusätzliche bürokratische Hürden ein-geführt. Zudem seien „solche Kriteri-en aufgrund ihrer Unschärfe besonders anfällig für fehlerhafte Angebotswer-tungen“ und dienten damit „als Basis für Nachprüfverfahren, also für die Aufblähung der Inanspruchnahme von Rechtsmitteln.“

Jedoch sehe das Handwerk „mit Sor-ge, dass öffentliche Auftraggeber nicht den wirtschaftlichsten, sondern den billigsten Bieter beauftragen – dies mit stets wachsender Tendenz. Qualität ha-be ihren Preis – und das auch bei einer öffentlichen Ausschreibung. Hierauf kann man nur angemessen reagieren, wenn die Qualitätskriterien und das damit verbundene Preis-Leistungs-Verhältnis wieder in den Mittelpunkt der Vergabeentscheidung gerückt wer-den.“

Deshalb würden es einzelne Arbeit-geber durchaus begrüßen, wenn bei der Angebotsabgabe die Vorlage der Tari-feinhaltung und der Nachweis der Tarif-gebundenheit verlangt werden. Ebenso hätten sich die Vertreter der Arbeitneh-mer mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass bei einer Auftragsvergabe die Bie-ter die Zahlung eines Tariflohnes oder eines Mindestlohnes versichern soll-ten, in Kenntnis, dass in der Baubran-che ohnehin ein höherer Lohn als 8,50 Euro gezahlt werde.

Für soziale und ökologische Kriterien

Die Vertreterin vom Netzwerk „Sach-sen kauft fair“ hatte ihren Vortrag mit dem Thema „Menschenrechte in Ver-gabegesetzen?!“ überschrieben.

Sie erklärte, dass ihnen von Kommu-nen immer wieder entgegengehalten werde: sie würden ja gern Sozial- und Umweltkriterien und Menschenrechte in ihren Ausschreibungen einbeziehen, nur gäbe es keine Rechtssicherheit, weil diese Kriterien im Sächsischen Ver-gabegesetz nicht verankert sind. Für Rechtssicherheit bräuchten die Kom-munen die vergabegesetzliche Veran-kerung von Menschenrechten, was mit dem Gesetzentwurf der Koalition ver-hindert werde.

Um welche Menschenrechte gehe es hier: in erster Linie handelt es sich da-bei um die ILO-Kernarbeitsnormen,

Fortsetzung auf Seite 4

Page 16: Links! Ausgabe 11/2012

Seite 4Kommunal-Info 9/2012

die in den zwei anderen Gesetzentwür-fen auch benannt werden. Darüber hi-naus gibt es das in der „Allgemeinen Erklärung der universellen Menschen-rechte“ der UN von 1948 festgehalte-ne Recht auf einen existenzsichernden Lohn, den „Living Wage“, wie er in der internationalen Diskussion bezeichnet wird.

Dieses Menschenrecht taucht in Deutschland als Diskussion um den Mindestlohn auf. Auch in Deutschland ist dieses Recht für viele, zum Beispiel für die sog. „Aufstockerinnen“ und „Aufstocker“, eben nicht gewährleis-tet.

In dem Zusammenhang von „verga-befremden Kriterien“ zu reden, sei ein-fach nicht mehr zeitgemäß. Vielleicht ist Sachsen der letzte Winkel in der EU, wo dieses Wort überhaupt noch benutzt werde.

Sachsen gegen den Trend?Auch der Vertreter der gewerk-

schaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bekräftige, in Europa gäbe es „einen sehr deutlichen Trend hin zu einer stär-keren Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Kriterien bei der öf-

fentlichen Auftragsvergabe.“ Ab 2013 werde es in 13 von 16 Bundesländern solche Regelungen geben. Nur Sach-sen, Bayern und Hessen blieben die einzigen Länder ohne soziale und öko-logische Kriterien in den Vergabege-setzen.

Die Entwürfe von LINKE/SPD als auch von B’90-Grüne bewegen sich im Prinzip inhaltlich mehr oder weniger in die Richtung, in der bereits in anderen Bundesländern Vergabegesetze verab-schiedet worden sind. Sie folgen dem bundesweiten Trend, während die Koa-lition mit ihrem Entwurf ganz bewusst diesen Weg nicht gehen will und es bei rein freiwilligen Regelungen der ein-zelnen Vergabestellen belassen möch-te.

Sachsen sei scheinbar eines der letz-ten Refugien, wo soziale und ökolo-gische Aspekte als „vergabefremde Kriterien“ gescholten werden. Die Dis-kussion in Deutschland insgesamt als auch die europäische Debatte seien hier deutlich weiter. Hier habe sich die Mei-nung herausgebildet, dass zum Beispiel die Entlohnung derjenigen, die dann die öffentlichen Aufträge tatsächlich durchführen sollen, kein vergabefrem-des Kriterium seien, sondern ganz im Gegenteil ein Kriterium, das unmittel-bar Auswirkungen auf die Qualität und die Durchführung der Vergabe selbst

hat. Jeder wisse, wenn Beschäftig-te schlecht entlohnt werden, führe das eher dazu, dass sie schlechte Qualität leisten, mit all den Folgeproblemen, die allgemein bekannt sind.

Der Sinn des Vergaberechts sei es aber, bei Ausführung der Bau-, Liefer- und Dienstleistungen eine gewünschte Qualität zu erreichen.

A.G.

Veranstaltungen / Seminare

Seminar Kommunale Unternehmen und die Rechte und Pflichten von kommunalen Vertretern in Aufsichtsräten

vom 16. November, 18 Uhr bis 17. November 15 Uhrin 09669 Frankenberg

AKZENT Landhotel, Dammplatz 3Seminarleiter: Alexander Thomas, Dipl.-Verwaltungswirt, Parlament.-wissenschaftlicher BeraterTeilnahmebeitrag: 20 Euro. Teilnehmer ohne eigenes Einkommen, Studenten, AlG II– und SoHi-Empfänger: 5 Euro

Seminar Baurecht und Bauwirtschaft für Gemeinderätevom 23. November, 18 Uhr bis 24. November 15 Uhr

in Chemnitzpentahotel Chemnitz, Salzstraße 56

Seminarleiter: Tilo Wirtz, Dipl.-Bauingenieur, Stadtrat in DresdenTeilnahmebeitrag: 20 Euro. Teilnehmer ohne eigenes Einkommen, Studenten, AlG II– und SoHi-Empfänger: 5 Euro

Fankulturen im Fußball zwischen Panikmache und notwendiger Konfliktschlichtung

Eine gemeinsame Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.am 13. November, Dienstag, 18.00 Uhr

in Zwickaumit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler, Experte der Fußballfanszenen (einführender Vortrag) und Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover und VertreterInnen aus Sport und Politik (angefragt)

am 14. November, Mittwoch, 19.00 Uhrin Dresden

mit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler (einführender Vortrag), Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universi-tät Hannover und Thilo Alexe, Sächsische Zeitung, Mitautor: Das Dresdner Stadion; Adam Bednarsky Geschäftsfüh-rer Roter Stern Leipzig; Tilo Kießling, sportpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Stadtrat Dresden; Tors-ten Rudolph, Fanprojekt Dresden e.V. (angefragt)Moderation: MdL Verena Meiwald

am 15. November, Donnerstag, 18.00 Uhrin Leipzig

mit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler (einführender Vortrag) Adam Bednarsky Geschäftsführer Roter Stern Leipzig; Helmut Loris, Leiter des Ordnungsamtes (angefragt); Sarah Köhler, Fanprojekt Leipzig (angefragt), Klaus Reichenbach, Sächsischer Fußball-Verband (angefragt)Moderation: MdL Verena Meiwald

Anmeldung bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.

Großenhainer Str. 99, 01127 DresdenTelefon: (0351) 482 79 44 oder 482 79 45; Fax: (0351) 795 24 53

[email protected]; www.kommunalforum-sachsen.de

Fortsetzung von Seite 3

Vergabegesetz ...

Neu beim KFS:

Dokumentation zur Kommunalpoli-tischen Konferenz vom 30. Juni 2012; 62 S.; ISBN 978-3-89819-385-65,00 EUR.

Sächsischer Städte- und Gemeinde-tag stellt Strategiepapier vor: „Kom-mune 2020 – Die Zukunft der sächsi-schen Städte und Gemeinden“

Der Sächsische Städte- und Gemein-detag (SSG) hat mit dem Konzept „Kommune 2020 – Die Zukunft der sächsischen Städte und Gemeinden“ ein eigenes Strategiepapier vorgelegt.

„Von Arbeit und Bildung, über Ener-gie und Feuerwehren bis zur Verwal-tungsvereinfachung und kommuna-len Zusammenarbeit, wir haben jedes kommunale Aufgabengebiet bearbei-tet. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie sich die Städte und Gemeinden an-gesichts der Bevölkerungsentwicklung und der Entwicklung der Kommunalfi-

nanzen selbst helfen können. Nur dort, wo dies aus eigener Kraft nicht mög-lich ist, unterbreiten wir dem Land die entsprechenden Vorschläge.“ bemerk-te der Präsident des SSG, der Baut-zener Oberbürgermeister Christian Schramm, zur Vorstellung des Strate-giepapiers.

Das Strategiepapier geht in insgesamt zwölf Kapiteln auf alle wichtigen kom-munalen Politikfelder ein. So wollen die Städte und Gemeinden gemeinsam mit dem Freistaat einen neuen Anlauf nehmen, die Verwaltung zu vereinfa-chen. Sie wollen auch im ländlichen Raum die Grundversorgung der Bevöl-kerung aufrechterhalten und sich im Bereich der Energieversorgung stärker engagieren. Die Städte und Gemein-den wollen für ein wirtschafts- und an-siedlungsfreundliches Klima sorgen, verlangen jedoch auch vom Freistaat eine Strategie zur wirtschaftlichen Ent-wicklung des Landes. Am Bildungs-ort Kommune wollen die Schulträ-ger bei der Bestellung der Schulleiter mitwirken und in der Schulkonferenz mehr Verantwortung übernehmen. Die Ganztagsangebote an den Schulen sol-len ausgebaut werden. Im Brandschutz soll am Dualismus von Freiwilligen Feuerwehren und Berufsfeuerwehren festgehalten werden. Gleichzeitig wol-len die Städte und Gemeinden Stütz-punktfeuerwehren erproben, um auch im ländlichen Raum den Brandschutz dauerhaft zu gewährleisten.

„Wir wollen, dass unsere Städte und der ländliche Raum den Menschen wei-ter eine lebenswerte Heimat bleiben. Dafür braucht es ein neues Miteinan-der zwischen dem Land und den Kom-munen. Wir wollen der Landespolitik neue Impulse geben, auch über die lau-fende Legislaturperiode des Landtages hinaus. Wir erwarten nicht, dass jeder unserer Vorschläge umgesetzt wird. Aber wir erwarten, dass über jeden Vorschlag diskutiert und nachgedacht wird“, fasste Schramm seine Erwar-tungen zusammen.

Das Strategiepapier „Kommune 2020 – Die Zukunft der sächsischen Städte und Gemeinden“ wurde vom Landes-vorstand des SSG am 07.09.2012 be-schlossen und am 11.10.2012 der Öf-fentlichkeit vorgestellt.

SSG legt Strategiepapier vor

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Seite 5 11/2012 Sachsens Linke!

Die LINKE gehörte von Anfang an zu den Unterstützerinnen des Bündnisses »Umfairteilen - Reichtum besteuern«, das sich gegründet hat, um in der Bundesrepublik für eine stär-kere Besteuerung des Reich-tums einzutreten. Eine dauer-hafte Vermögenssteuer und eine einmalige Vermögensab-gabe sind das Ziel.Das Bündnis hatte den 29. September 2012 als bundes-weiten Aktionstag ausgeru-fen, genaueres sickerte aber nur nach und nach zu uns in den Dresdner Stadtverband der LINKEN durch. Als klar wurde, dass Dresden keine der Schwerpunktstädte sein wird, haben wir uns entschlos-sen, mit einer eigenständigen Aktion zum Gelingen des Ta-ges beizutragen.Die erste Herausforderung ist immer, eine angemessene Ak-tionsform zu finden. Sicher-lich - Tisch, Schirm, etwas Pa-pier zum Verteilen und ein paar bereitwillige Genossin-nen und Genossen gibt es im-mer. Aber das sollte uns nicht genügen. Unsere Aktion soll-te in einem kommunalen Um-feld, in dem Armut allenfalls ein Randthema ist und die Zeichen von Aufschwung und Wohlstand viel präsenter und zentraler sind, auffallen und, ja, auch provozieren.Armut ist in Dresden ein Randthema. Sie ist, schon durch die klare Aufteilung der Stadtbezirke und Wohnquar-tiere, an den Stadtrand ge-

drängt, heraus aus der Auf-merksamkeit der übrigen Bewohnerinnen und Bewoh-ner. Manchmal schleicht sie sich Pfandflaschen sammelnd oder bettelnd ins Zentrum, und manchmal auch über die Umwege der Sozial- und Bil-dungsberichterstattung in die Spalten der Zeitungen. Und viel zu oft noch begeg-nen einem die Stimmen, die das versteckte Phänomen zy-nisch vom Tisch wischen, mit Schuldzuweisungen belegen oder ganz offen sagen, dass so etwas eben dazugehört in unserem Land.Armut muss sichtbar gemacht und diskutiert werden, damit sie bekämpft werden kann.Wir haben uns dafür entschie-

den, mit einem mannsho-hen und ca. 30 Meter breiten Transparent die Touristinnen und Touristen am Neumarkt, einem der reichsten Punk-te der Stadt zu begrüßen, in Dresden, der »Stadt der Ar-mut«. Eine Provokation!Natürlich ist Dresden keine ar-me Stadt. Aber sie beherbergt eben zehntausende arme Menschen. Nur soll man die nicht sehen, nicht am blank-geputzten Vorzeigeplatz rund um die Frauenkirche. Gerade dort aber wollen wir LINKE die Dresdner Armut sichtbar ma-chen, unübersehbar.Das Transparent und die da-zugehörenden Tische, der für den Reichtum an der einen Seite und der für die Armut

an der anderen, haben wie er-wartet viele Diskussionen her-vorgerufen. Sogar eine eigene Notiz in der Sächsischen Zei-tung ist entstanden. Das gab es für eine politische Akti-on des Stadtverbandes lange nicht mehr!Vielen Dank für die aufwen-digen Arbeiten zur Vorberei-tung und für die gelungene Durchführung geht an die Ge-nossinnen und Genossen von EfA, der Mitmach-AG DIE LIN-KE. Eine für Alle!, die mit die-ser Aktion bewiesen hat, auch größere Projekte in kürzester Zeit umsetzen zu können. Eine wunderbare Werbung für die-se AG und eine Aufforderung an viele, hier in Zukunft mitzu-tun. Tilo Kießling

Die Landesarbeitsgemein-schaft Kommunalpolitik im Landesverband DIE LINKE. Sachsen hat sich am 28. Sep-tember im Haus der Begeg-nung in Dresden gegründet.Fast 1000 Kommunalpoliti-ker/innen mit dem Mandat der LINKEN gestalten und prägen die kommunalpoli-tische Arbeit im Freistaat Sachsen. Diese ehrenamtli-che Arbeit ist vielschichtig, zeitaufwendig und lebt vom Engagement und Ideenreich-tum der gewählten Abgeord-neten und Fraktionen. Deshalb wird ein landesweiter Zusammenschluss benötigt, eine Art Interessenvertre-tung der Kommunalpolitiker/innen und Kommunalpolitiker im Landesverband DIE LINKE. Die Kommunalpolitik als Ba-sis unserer Arbeit in der Be-völkerung, und als Aushän-geschild auch für Wahlen auf höherer Ebene, soll koordi-niert und Möglichkeiten für effektiveres politisches Han-deln müssen diskutiert wer-den. Eine Zusammenarbeit und Vernetzung mit dem Lan-desvorstand, dem Kommu-nalpolitischen Forum Sach-sen e.V., der Landtagsfraktion und den Kreisverbänden ist dringend erforderlich. Alle kommunalpolitisch Inte-ressierten, die politisch der Partei DIE LINKE naheste-hen und deren kommunalpo-litischen Ziele unterstützen, sind herzlich eingeladen, in der LAG Kommunalpolitik mitzuwirken. Lasst uns ge-meinsam linke Kommunalpo-litik gestalten!Die 2. Sitzung der LAG Kom-munalpolitik findet am 12. Ja-nuar 2013 von 10 bis ca. 14 Uhr in Dresden statt. Wir wol-len uns mit dem Entwurf der Kommunalpolitischen Leitli-nien beschäftigen und mögli-che Änderungsvorschläge er-arbeiten. Zur gemeinsamen Diskussion laden wir alle LAG-Mitglieder/innen und In-teressierte recht herzlich ein.

Marion Junge, Kommunalpoli-tische Sprecherin der Frakti-on DIE LINKE im Sächsischen Landtag und Vorsitzende der LAG Kommunalpolitik

»Umfairteilen«: Starke Aktion

Kommunalpolitik Arbeits-gemeinschaft gegründet

Sachsen 1832: „Bauernbefreiung“, Sachsen 2012: Sparkassen-Finanzgruppenregelung – zwei Ereignisse, ein Autor?Fast möchte man meinen, im Sächsischen Landtag säßen ausschließlich studierte His-toriker mit Schwerpunkt Lan-desgeschichte der Frühen Neuzeit, die getreu dem Mot-to handeln: Was einmal funk-tioniert hat, kann so verkehrt nicht gewesen sein. So entpuppt sich das »Ge-setz zur Änderung des Ge-setzes über die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute im Freistaat Sachsen und die Sachsen-Finanzgruppe«, wie es im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 29. Juni 2012 genannt wird, ebenso als Trojanisches Pferd wie der vermeintlich wohlwol-lende Akt der so genannten »Bauernbefreiung« von 1832.

Ebenso wie vor fast 200 Jah-ren, als sich die Bauern nur durch Zahlung von hohen Geldsummen aus ihrer grund-herrschaftlichen Bindung frei-kaufen konnten, gestaltet sich heute die Situation der An-teilseigner der Finanzgruppe: Nur durch Zahlung einer An-teilsumme können sie aus die-sem Verbund »austreten«.Beide Ereignisse haben den-selben kapitalistischen Ha-ken. Freiheit will erkauft sein, und so bleibt das eine wie das andere Mal vom Traum we-nig mehr als heiße Luft. Kaum verwunderlich ist, dass der Vorstandsvorsitzende der Ostsächsischen Sparkasse Dresden, seinerseits eben-so Vorstandsvorsitzender der

Sachsen-Finanzgruppe, we-nig geneigt ist, an seinem ei-genen Stuhl zu sägen und die völlig in Schulden erstickende Sachsen-Finanzgruppe auf-lösen zu lassen. Schließlich wäre es dann wahrscheinlich, dass die Schulden je Anteils-größe auf die Eigner umge-legt werden. Dies würde für die Ostsächsische Sparkasse Dresden, die sich in Online-auftritten ihrer hervorragen-den finanziellen Lage rühmt, die Übernahme des zweit-größten Anteils der Schulden-last bedeuten – 14,41 Prozent. Welche Beziehungen besagter Vorstandsvorsitzender daher auffrischen musste, um sei-ne Vorstellungen im Landtag mehrheitsfähig zu machen,

bleibt Spekulation. Vielleicht waren einige CDU- und FDP-Abgeordnete, selbst Mitglie-der von Finanzausschüssen und Vorständen sächsischer Sparkassen, nicht wenig ge-neigt, ihm ein offenes Ohr zu schenken. Davon ganz abgesehen zeigt das jedoch erneut, wie in Sachsen Politik betrieben wird: wenig gemeinwohlori-entiert, daran ändern auch fast 200 Jahre historische Entwicklung offenbar nichts. Auch sächsische Landespo-litiker müssen, entgegen ih-rer eigenen heroischen Dar-stellung, das Rad keineswegs ständig neu erfinden.Julia Zieger

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Seite 6Sachsens Linke! 11/2012

Termine2.- 4.November 2012 Verbandwochenende linksjugend [ solid]

Treffen von Mitgliedern, Neu-mitgliedern und den Bundes-arbeitskreisenwww.linksjugend-solid.de

3. November 2012 Kreisjugendtag in NordwestsachsenAb 10:00 Uhr im links.Punkt in Eilenburg

10.November 2012 Stadtjugendtag in LeipzigAlle Infos: www.linksjugend-leipzig.de

24.November 2012 FraktionsjugendtagIm sächsischen Landtag. Al-le Infos & Anmeldung: www.linksfraktionsachsen.de

Landesjugendplenum in Chemnitz

Arbeit, Einkommen und Zeit umFAIRteilen

Vom 28. bis 30. September fand im AJZ Chemnitz das erste und einzige Landesjugendple-num 2012 der linksjugend [ so-lid] Sachsen statt. In der Regel finden im Jahr 2 solcher Voll-versammlungen der Mitglieder und Sympathisierenden statt, jedoch wurde dieses mal eines der Treffen zu Gunsten eines stärkeren Engagements in den Kreisen, z.B. durch »Kick Off!« genannten Auftaktveranstal-tungen, zurückgestellt. Aufgrund dieser Tatsache war die Zeit in Chemnitz von Frei-tag bis Samstag auch recht knapp bemessen und das Pro-gramm gut gefüllt. Es gab kei-nen programmatischen Leitan-trag sondern stattdessen eine Vielzahl von Themen, die inhalt-lich bearbeitet worden sind. In 4 Workshops hat sich der Ju-gendverband zunächst mit den Entwürfen für die Sozialpoliti-schen, die Bildungspolitischen sowie die Europa- und Dro-genpolitischen Leitlinien be-schäftigt, von denen die beiden erstgenannten beim Landes-parteitag im Oktober 2012 zu Abstimmung standen. Im großen Plenum wurden an-schließend die Ergebnisse dis-kutiert, vor allem die von den jungen Landesparteitagsde-legierten erarbeiteten Ände-rungsanträge an die Bildungs- und Sozialpolitischen Leitlinien modifiziert und abgestimmt. Für den Landesparteitag

2013/2014 wurden weiterhin neue Delegierte gewählt. Auch sonst kamen Wahlen nicht zu knapp: Sachsen als viertgröß-ter Landesverband im bundes-weiten Jugendverband wählte 18 Delegierte für den Bundes-kongress (quasi der »Bundes-parteitag« des Jugendverban-des), einen Vertreter für den Landesrat der sächsischen LIN-KEN sowie zwei Vertreter_in-nen für das föderale Gremium des Bundesjugendverbandes: den Länderrat.Die Beschäftigung mit den Leit-linien war jedoch nur ein Aus-

schnitt aus dem inhaltlichen Programm. So wurden in zwei Workshops ebenfalls erste Ide-en für die anstehenden Wahl-kämpfe und insbesondere den Landtagswahlkampf gesam-melt. Die Liste der zum Teil aus-gefallenen Vorschläge umfasst dabei sowohl Slogans, Kam-pagnenideen, Einzelaktionen und Material. Viel Anklang be-kam so zum Beispiel die Idee, »schlafende Verfassungsschüt-zer« vor NPD Büros abzulich-ten. Die vielen verschiedenen Ideen basieren zum Teil auf be-reits gemachten Erfahrungen in

den verschiedenen Ortsgrup-pen. Um diese Erfahrungen und auch vorhandenes Wissen zu teilen, wurde ein Antrag disku-tiert und angenommen, der vor-geschlagen hat, ein Wissens- und Referent_innen-Wiki, also eine für alle zugängliche und erweiterbare Datenbank, ein-zurichten. Leidenschaftlich dis-kutiert wurden ebenfalls die in-haltlichen Positionen für eine gemeinsame politische Positi-onierung der sächsischen Lan-desverbände von linksjugend [‚solid], Jusos und der Grünen Jugend im Bereich der Bildungs-

politik. Dabei wurden mehrere Vorschläge der Grünen Jugend angenommen, aber auch vie-le mit Änderungswünschen zu-rückgegeben.Wer selbst nicht kommen konn-te, konnte das komplette Lan-desjugendplenum übrigens im Video-Livestream verfolgen. Zwar kam es in der Übertra-gung an einigen Stellen zu Ver-zögerungen, aber grundsätzlich gab es positive Rückmeldungen zum Livestream der in Zukunft ein Standard für das Landesju-gendplenum werden soll.Tilman Loos

Gern zitiere ich Adelheit Bies-ecker, Mitautorin des Papiers »Wachstum - Wohlstand - Le-bensqualität«: »Wir haben so viel zu tun, wir haben gar nicht so viel Zeit für Erwerbsar-beit.« Womöglich ist es wich-tig, derart provokant hinsicht-lich frauenpolitischer Themen zu diskutieren, um überhaupt wahrgenommen zu werden - und das nicht nur als »Rand-gruppe«, die sich mal wieder mit Themen beschäftigt, die sonst innerhalb der LINKEN kein Gehör findet. Denn ja, wir wissen es ja selber: außer poli-tisch korrekt geführten Debat-ten hat sich bisher wenig geän-dert, wenn es um Feminismus geht. Seit Jahren fordern die Frau-enstrukturen der LINKEN wie LISA, dass feministische Per-spektiven von Beginn in Wahl-programme integriert werden, in Landtags- und Bundestags-anträge, in Veranstaltungskon-zeptionen, in Leitlinien oder in Strategieberatungen. Wir wis-sen eigentlich längst: Frauen-politik nützt nicht viel als ex-tra Politik, weil sie dann extra bleibt!

Wir fordern schließlich Ver-gleichbares auch in der Ge-sellschaft. Wir wollen femi-nistische Perspektiven für städtische Investitionsent-scheidungen, in der Verkehrs-planung, bei der Vergabe von Forschungsgeldern oder für die städtische Pflege- und Kran-kenhausplanung, fürs Wohnen und vieles mehr. Doch letztendlich sitzen Femi-nistinnen meist nach den ge-fallenen Entscheidungen zu-sammen und überlegen, wie sie sich noch einbringen kön-nen. Einbringen können in eine Debatte, die hauptsächlich von Männern dominiert wird - in der Politik, im Erwerbsleben und in der Öffentlichkeit.Die Bundesfrauenkonferenz der LINKEN beschäftigte sich genau mit derartigen Fragen: Wie positioniert sich DIE LINKE gegen Altersarmut - vor allem die der Frauen - und wie soll eine gerechte Mindestrente funktionieren, wie sehen fe-ministische Perspektiven zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität aus? Welche Wege und Mittel bedarf es in unseren eigenen Reihen, Femi-

nismus nicht nur als Randthe-ma zu betrachten, sondern als Gesamtaufgabe?Ein Diskussionspunkt, der im-mer wieder eine Rolle spiel-te, ist der, was wir unter dem Arbeitsbegriff verstehen. Ist es nur die Erwerbsarbeit oder auch die Arbeit im Haushalt, mit den Kindern, mit der Fami-lie? Arbeit sollte - egal ob be-zahlt oder unbezahlt - in ein Konzept guten Lebens einge-bettet sein. Zu diesem Kon-zept gehört selbstverständlich auch ein besonderes Augen-merk auf eine demokratisch kontrollierte öffentliche Da-seinsvorsorge zu setzen. Dazu zählen bezahlbare, erneuerba-re Energie, Wasser, Mobilität, gute Lebensmittel, Gesund-heitsvorsorge, Kultur, Bildung, Information und Wissen in ho-her Qualität und diese Güter müssen allen gleichermaßen zugänglich sein. Einhergehend steht eine Debatte rund um ei-ne Arbeitszeitverkürzung an. Inhaltlich wurden viele dieser Themen angerissen und es wurde klar, dass wir mehr Zeit und Raum benötigen, uns nicht nur im kleinen »feministischen«

Kreis darüber auszutauschen. Deutlich wurde weiterhin, dass es in den Wahlkämpfen 2013 eine entscheidende Rol-le spielen muss, wie wir vor al-lem Wählerinnen ansprechen. In Kleingruppen tauschten wir uns darüber aus, mit welchen Themen wir unsere Zielgrup-pen ansprechen, welche Ver-anstaltungsformate wir nutzen und mit welchen Materialien wir wie auf uns aufmerksam machen können. Interessante Vorschläge wurden gemacht, welche gesammelt und auf ei-ner Homepage in einer Art »Veranstaltungsbörse« zur Ver-fügung gestellt werden. Das Rad muss ja nicht immer wie-der neu erfunden werden. Kon-sens herrschte übrigens darin, das es keinen externen Frau-enwahlkampf braucht, sondern der gesamte Wahlkampf Frau-enwahlkampf sein muss!Alles in allem war die Bundes-frauenkonferenz eine gelun-gene Sache. Wichtig waren die zahlreichen Gespräche, die am Rande geführt wurden. Wir können gespannt sein auf das nächste Zusammentreffen 2013. Claudia Jobst

Wahlergebnisse

Delegierte BundeskongressNadja Guld, Lisa-Marie Jatzke (†), Nele Werner, Ina Leonhardt, Anna Gorskih, Anne Raasch, Marie Wendland, Marlen Brück-ner, Francie Hoffmann, Tilman Loos, Steven Braun, Fabian Blunck, Alex Tilch, Heiko Wei-gel, Steffen Juhran, Martin Bretschneider, Silvio Lang, Ma-ximilian Schneider

Delegierte LandesparteitagMarlen Brückner, Anne Raasch, Lisa-Marie Jatzke (†), Marie Wendland, Heiko Weigel, Tilman Loos, Steffen Juhran, Nico Rei-chenbach

Vertreter_in LandesratHeiko Weigel

Page 19: Links! Ausgabe 11/2012

Seite 7 11/2012 Sachsens Linke!

Bewegung für die Menschenwürde Bundesweit wird derzeit über die deutsche Asylgesetzge-bung und den damit einherge-henden Rassismus diskutiert. Dazu beigetragen hat auch der Rückblick auf das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992. Es lieferte damals den An-lass für die faktische Abschaf-fung des Grundrechtes auf Asyl, die drastische Senkung der Flüchtlingszahlen und der Asyl-Bewilligungsquote und Sondergesetze wie das Asyl-bewerberleistungsgesetz. Aber auch gegenwärtige Anschläge und Bürgerbewegungen gegen Unterkünfte von Asylsuchen-den, etwa in Gröditz oder Leip-zig, lenken die Aufmerksam-keit auf die Lebenssituation der in Deutschland lebenden Ge-flüchteten. Gleichzeitig sind mit verschiedenen Protestcamps, dem inzwischen beendeten Hungerstreik in Würzburg, dem Boykott von Gutscheinen in drei Heimen im Landkreis Leipzig im Juli und dem Protestmarsch wichtige Selbstermächtigungs-Bewegungen von Flüchtlingen im Gang.Am 8. September 2012 star-teten fast 100 Flüchtlinge in Würzburg ihren Marsch nach Berlin, um gegen die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik zu protestieren. Zu ihren Forde-rungen gehören die Schließung aller Sammelunterkünfte, der Stopp von Abschiebungen und

die Abschaffung der Residenz-pflicht. Letztere zwingt die Asylsuchenden, sich in einem definierten Territorium – in Sachsen die Landesdirektions-bereiche – aufzuhalten. Der Protestmarsch erreichte Berlin Anfang Oktober. Weder staatli-che Instanzen noch Neonazis, die zur Störung der Aktion auf-gerufen hatten, hatten den Akt des zivilen Ungehorsams auf-halten können. Als Höhepunkt demonstrierten am 13. Okto-ber insgesamt 5000 Menschen für einen Wandel der Flücht-lingspolitik.Bereits am 18. Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht die Kritik an der akuten Benachtei-ligung von Flüchtlingen mit ei-nem längst überfälligen Urteil bestätigt. Damit wurde fest-gestellt, dass die Höhe der im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Grundleistun-gen gegen die grundgesetzli-che Maßgabe der Gewährleis-tung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt. Bis die Bundesregierung das Gesetz geändert hat, müssen den Betroffenen sofort rück-wirkend zum 1. Januar 2011 und bis zur gesetzlichen Neu-regelung Geldleistungen nach Hartz IV (SGB II) bzw. Sozial-hilfe (SGB XII) ausgezahlt wer-den. In vielen Kommunen und Landkreisen wurde das aller-dings verschleppt. Im Land-kreis Leipzig kam es Ende Juli zu Protesten. Die BewohnerIn-nen von drei Asylunterkünften boykottierten zwei Wochen

lang die Annahme von Gut-scheinen. Damit wollten sie nicht nur die zügige Erhöhung der Sätze erwirken, sondern auch die Abschaffung der Gut-scheinversorgung zugunsten der Auszahlung von Bargeld. Zahlreiche Menschen und In-itiativen solidarisierten sich – auch praktisch in Form von Lebensmittel- und anderen Sachleistungsspenden – mit den Protestierenden, während

der CDU-Landrat unter Druck geriet. Das Urteil des Bundesver-fassungsgerichtes tastet je-doch die Option der Auszah-lung der Sozialsätze in Form von Sach- statt Geldleistun-gen nicht an. Protest bleibt daher dringend notwendig. Die beiden Beispiele aktuel-ler Bewegungen zeigen, dass es wichtig ist, gegen die inhu-manen, ausgrenzenden Son-

derregelungen für Flüchtlin-ge vorzugehen. Ein zentrales Prinzip emanzipatorischer Poli-tik ist es, sich nicht an der Ver-waltung der geflüchteten Men-schen zu beteiligen, sondern die Selbstermächtigung der Betroffenen zu unterstützen und ihnen als Leidtragenden der Sondergesetze die Würde zurückzugeben, die ihnen sys-tematisch genommen wird. Juliane Nagel

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Selbstermächtigung der Flüchtlinge

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Vom 10. bis 14. Oktober fand in Israel das Europäisch-Isra-elische Dialogforum statt. Ge-sprächspartner aus der Eu-ropäischen Union trafen sich mit israelischen Vertretern der Zivilgesellschaft, um aktu-elle Probleme und politische Entwicklungen zu diskutie-ren. So wurde beispielsweise die Lage von Flüchtlingen und Migranten in der EU und in Israel diskutiert. In Israel le-ben tausende Flüchtlinge aus Schwarzafrika, viele kommen über den Landweg, die ägypti-sche Sinai-Halbinsel nach Isra-el. Eine zentrale Frage, so Asaf Weitzen von der Telefonhotline für Migranten, ist der Status der Flüchtlinge. »Vom Status hängen natürlich die sozialen Rechte ab. Die Statusfrage muss für uns ganz dringend ge-klärt werden.« Von den euro-päischen Gesprächspartnern wurde die bedenkliche Praxis

nach der Dublin-II-Verordnung erklärt, wonach Flüchtlinge in-nerhalb in der EU immer wieder in den Mitgliedstaat abgescho-ben werden können, wo sie das erste Mal EU-Boden betreten haben. Dies führt zu großem Druck auf Griechenland und Italien, die in vielen Fällen die »Eintrittsländer« für Migran-ten sind. Ein weiteres Thema waren die sozialen Proteste in 2011 in Israel, die sich vor Al-lem gegen die gestiegenen Le-benshaltungskosten und die sich verbreitenden Armut rich-teten. Für junge Menschen gibt es oft nur noch prekäre Jobs und sie müssen feststel-len, dass es ihnen schlechter als der Elterngeneration geht. Die Fragen von Sicherheit, Frieden und Krieg überlagern oft die politische Auseinan-dersetzung, so dass Themen wie soziale Sicherheit und Ar-mut oft nicht genügend Gehör

in der politischen Elite finden, obwohl ein Drittel der israeli-schen Kinder und zwei Drittel der palästinensischen Kinder unterhalb der Armutsgrenze leben.Eine weitere Gesprächsrunde behandelte den Status von na-tionalen Minderheiten in der EU und in Israel. In Israel leben ca. 1,3 Mio. Araber, die israelische Staatsbürger sind und nach den Gesetzen gleichberechtig-te Staatsbürger. Trotzdem sind sie in einigen Fällen Ungleich-behandlung und Ausgrenzung ausgesetzt. Es entwickelte sich eine spannende Diskussion un-ter den Teilnehmern zu Fragen der Identität und Gesetzen ge-gen Ausgrenzung. In der Eu-ropäischen Union gibt es seit 2000 die europäische Antidis-kriminierungsrichtlinie, die die Mitgliedstaaten dazu auffor-dert, gegen Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zuge-

hörigkeit vorzugehen. In Israel urteilt der Oberste Gerichts-hof in vielen Fällen zugunsten der arabischen Israelis, aber sowohl in Israel als auch in der EU ist natürlich entscheidend, wie Gesetze und Rechtsspre-chung in der Praxis umgesetzt werden.Fragen von Demokratie und Teilhabe wurden auch anhand von konkreten Umfrageergeb-nissen diskutiert: 83 Prozent der linken Wähler und immer-hin 52 Prozent des rechten Wählerspektrums sind aktu-ell mit der Arbeit der Regie-rung Nethanjahu unzufrieden. Trotzdem gilt seine Wieder-wahl im Januar 2013 unter is-raelischen Diskussionsteil-nehmern als sicher. Vielleicht erklärt sich das durch die Ver-trauenswerte, die die Armee in der israelischen Bevölke-rung genießt: rechte Wähler vertrauen von allen Institutio-

nen im Staat am meisten dem Militär. Und dies gilt auch für die Mitte-Wähler. Bei linken Wählern genießt das meis-te Vertrauen der Oberste Ge-richtshof, gleich danach, auf Platz zwei, liegt wieder das Militär. So ist es nicht überra-schend, dass der Konflikt zwi-schen Palästinensern und Is-raelis viele Diskussionen der Tagung überlagerte. Aller-dings äußerten auch alle isra-elischen Teilnehmer, dass die langfristige Lösung nur der Frieden sein kann.Cornelia Ernst, Manuela Kropp

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Seite 8Sachsens Linke! 11/2012

Verbraucherinnen und Ver-braucher müssen für ihren Strom immer tiefer in die Ta-sche greifen. Seit dem Jahr 2000 sind die Strompreise um 75 Prozent gestiegen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Ge-genteil: Im kommenden Jahr steht eine weitere satte Erhö-hung der Stromrechnungen ins Haus. Haushalte mit nied-rigen Einkommen sind davon überproportional betroffen. Sie müssen bereits jetzt mehr als 10 Prozent ihres Budgets für ihre Strom einplanen. Zu-sammen mit den Heizkosten werden die Energiekosten in-zwischen zur zweiten Miete. Es wird höchste Zeit, dass die Politik hier gegensteuert!Die Bundesregierung schiebt die Schuld für die hohen Strompreise auf die erneu-erbaren Energien und ver-schweigt die Milliardenge-winne der Energiekonzerne. Alleine die drei Energierie-sen e.on, RWE und EnBW ha-ben seit 2002 weit über Milli-arden Gewinne eingefahren. In sieben Jahren haben sie ih-re Gewinne vervierfacht und auf Kosten der Stromkunden. Anstatt nun zu überlegen, wie sie diese Selbstbedienung eindämmt, macht die Bundes-regierung milliardenschwere

Stromgeschenke an die Indus-trie bei den Netzentgelten, bei der EEG-Umlage und bei der Ökosteuer. Wir als LINKE wol-len eine effektive staatliche Preisaufsicht einführen. Denn seit rotschwarz die Preisauf-sicht 2007 abgeschafft hat, sind die Preise immer weiter

gestiegen. Immerhin schlägt Umweltmi-nister Altmaier mehr Energie-beratung vor. Gut und schön und in keinem Fall falsch. Je-doch nützt es armen Men-schen wenig zu erfahren, dass ihr uralter Kühlschrank Ener-giefresser ist und sie sich bes-

ser ein modernes, energiespa-rendes Gerät kaufen sollen. Das wissen sie auch so. Aber ein neues Gerät können sie sich trotzdem nicht leisten. Konkrete Hilfe ist notwendig. DIE LINKE schlägt eine Ab-wrackprämie für alte Ener-giefresser vor. Wenn sich also

jemand ein neues Gerät kau-fen will, lohnt sich das dop-pelt: Für die Umwelt und für den eigenen Geldbeutel.Stromversorgung wird immer mehr eine Frage der sozia-len Gerechtigkeit. Eine direk-te Folge der Strompreisex-plosion in Zeiten sinkender Reallöhne ist die wachsende Zahl von Stromsperren. Be-reits jetzt gehen in 600.000 bis 800.000 Haushalten jähr-lich die Lichter aus, weil vie-le Menschen ihre Stromrech-nung nicht mehr bezahlen können und ihr Versorger sie deshalb abklemmt. Das ist ei-ne stille soziale Katastrophe! Deswegen fordern wir, dass die Versorgung mit Strom ein Grundrecht wird und Strom-sperren endlich verboten wer-den.Stromversorgung muss ein Grundrecht sein. Sie gehört zum modernen und selbstbe-stimmten Leben dazu. Keine Bürgerin und kein Bürger darf davon ausgeschlossen werden.Die Energiewende ist wichtig und richtig. Und sie muss so-zial und ökologisch gestaltet werden. Caren Lay ist verbraucherpoliti-sche Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und stellver-tretende Parteivorsitzende

Im Kampf gegen moderne Pi-raterie vor dem Horn von Afri-ka hat sich die politische Aus-einandersetzung bislang auf den Einsatz von Bundeswehr-schiffen und die Frage, ob man mit Militär dem Problem bei-kommen kann, konzentriert. Vor kurzem nun hat die Bun-desregierung einen eher un-scheinbaren Gesetzentwurf zum Schutz von Handelsschif-fen vor Piraten eingebracht, der einen nicht weniger wich-tigen Aspekt berührt: Die Frage, ob zentrale staatliche Aufgaben von privaten Unter-nehmen übernommen werden dürfen.Bereits jetzt werden auf man-chen unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen private Si-cherheitsfirmen eingesetzt. Dazu nutzen die Reeder ei-ne Grauzone im deutschen Recht, das auf deutschen Schiffen gilt. Die Sicherheits-kräfte müssen lediglich eine Sachkundeprüfung nach der deutschem Gewerbeordnung abgelegt haben, um auf Basis von angeblich anwendbaren Notwehr- und Nothilferech-ten den bewaffneten Auftrag durchführen zu können. Hier setzt der Gesetzentwurf an und will ein spezielles Zulas-

sungsverfahren für die »Son-dersituation« schaffen, in der deutsche »Bewachungsunter-nehmen« auch fernab staatli-cher deutscher Autorität auf Handelsschiffen tätig werden. Schon in seiner eigenen Logik bleibt er unzureichend. Weder die Einhaltung der Menschen-rechte, noch des deutschen Waffengesetzes ist ausrei-chend gewährleistet, Kontrol-len vor Ort sind nicht vorgese-hen. Doch gravierender ist ein anderer Punkt: Das Gesetz er-möglicht eine Privatisierung staatlicher Aufgaben. Indem die Bundesregierung das Zu-lassungsverfahren deutscher Sicherheitsfirmen auf Han-delsschiffen gesetzlich re-gelt, schafft sie erstmals eine rechtliche Grundlage für die Übernahme militärischer und polizeilicher Kompetenzen im Ausland durch private Firmen. Der Schutz vor Kriminalität ist auch auf See eine staatliche Aufgabe. Das Seerechtsüber-einkommen der Vereinten Na-tionen ermächtigt alle Staa-ten, Piraterie zu bekämpfen – Staaten, niemanden sonst! Es handelt sich bei dem Ge-setzesvorhaben somit um kei-ne Bagatelle, da es in Deutsch-land einen Präzedenzfall

schaffen würde. Wohin das führen kann, haben Söldner-Unternehmen wie ‚Blackwa-ter‘ gezeigt, dessen private Soldaten im Irak im Auftrag der US-Verwaltung operier-ten und zahlreiche Morde an der Zivilbevölkerung begin-gen. Nein, zentrale staatliche Aufgaben wie der Einsatz von Militär und Polizei im Ausland dürfen nicht privatisiert wer-den. Sind sie erst mal der Poli-tik entzogen und befinden sich in privater Hand, können sie ungleich schwerer politisch kontrolliert und beeinflusst werden. Als Linksfraktion im Bundestag lehnen wir den Ge-setzentwurf ab.

Die Ablehnung privater Si-cherheits- und Militärfirmen auf deutschen Handelsschif-fen bedeutet keine Zustim-mung zum Einsatz von Bun-deswehr oder Bundespolizei an gleicher Stelle. Selbst der Befehlshaber der deutschen Flotte, Vizeadmiral Stricker, räumte schon 2009 ein, »mili-tärische Mittel lösen das Pira-ten-Problem nicht«. Sie könn-ten der Politik lediglich Zeit verschaffen. Wer die Ursa-chen moderner Piraterie am Horn von Afrika beseitigen will, muss vor allem Armut, il-legale Fischerei und Umwelt-verschmutzung bekämpfen. Die Zeichen sind günstig: Aus verschiedenen Gründen ist die Piraterie seit 2011 um über 50 Prozent zurückgegangen. Die wichtigste Voraussetzung für eine langfristige Lösung ist nun die Beendigung des Bür-gerkriegs in Somalia. Deutsch-land sollte sich im Rahmen der Europäischen Union weiterhin dafür einsetzen, statt auf mi-litärische Optionen zu setzen und mit einem untauglichen Gesetz der Privatisierung des Krieges Vorschub zu leisten. Michael Leutert, MdB, Mitglied im Haushaltsauschuss

DIE LINKE im Bundestag

Schutz vor Piraten oder Privatisierung des Krieges?

Strom darf kein Luxusgut werden

Transparente Nebeneinkünfte?

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Gerne, … solange es uns nicht betrifft! Das scheint das Mot-to der anderen Parteien zu sein, wenn es um die Neben-einkünfte von Abgeordneten geht. CDU/CSU und FDP grei-fen den Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, wegen seiner immensen Nebenver-dienste an. Die SPD wirft Union und FDP Scheinheiligkeit vor, weil diese bislang immer ge-gen strengere Regeln für Abge-ordnete gewesen seien, geht deshalb aber noch lange nicht mit gutem Beispiel voran. Die Grünen sind natürlich für Trans-parenz, nur nicht im Fall Stein-brück, das sei ja Wahlkampf der Union. Steinbrück selbst meint, totale Transparenz gebe es nur in Diktaturen. Und DIE LINKE? Die findet, dass Transparenz kein Zugeständnis der Abgeord-neten, sondern ein berechtig-ter Anspruch der Wählerinnen und Wähler ist. Und so handelt sie auch.Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe Sachsen

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Page 21: Links! Ausgabe 11/2012

Seite 5 11/2012 Links! Geschichte

Ein würdiger Ort des Gedenkens?Am 8. Mai 2015 jährt sich die Befreiung Europas von der fa-schistischen Barbarei zum 70. Mal. Bei den Gedenkveranstal-tungen werden nicht zuletzt auch die zahlreichen Denk- und Ehrenmale eine große Rolle spielen. Es ist auch eine Frage der politischen Kultur, wie eine Gesellschaft mit den Hinterlas-senschaften ihrer Vergangen-heit umgeht. Sachsen hat da-bei durchaus Nachholbedarf. Ein ärgerliches Negativbeispiel findet sich im Ortsteil Nennig-mühle der Erzgebirgsgemein-de Pockau. Das 1947 errichte-te sowjetische Ehrenmal wurde kurz nach dem 8. Mai 2009 weitgehend zerstört. Diese Ge-walttat war zugleich ein Akt der Grabschändung – denn das in Bevölkerung und Kommunal-politik zum »Russendenkmal« degradierte Monument ist zu-gleich die letzte Ruhestätte von 96 sowjetischen Kriegs-gefangenen, die im Lazarett-lager in der nahegelegenen Nennigmühle den Tod fanden. Diese Tatsache ist allerdings nur Wenigen bekannt; umso schlimmer ist es, dass sich am schlechten Zustand des Bau-werks bislang kaum etwas ge-ändert hat. Es ist auch auf das Engagement des Heimatforschers Ludwig Börner zurückzuführen, dass wir heute einiges über die Nennigmühle, das Lazarettla-ger und die dortigen faschis-tischen Verbrechen wissen. Das große Fachwerkgebäude nebst Grundstück, ursprüng-lich »Burschenheim« einer Fürsorge- und Erziehungsan-stalt, wurde 1930 vom Christ-lichen Verein Junger Menschen (CVJM) Chemnitz übernom-men. Sechs Jahre später wur-

de es an den Freistaat verkauft und anschließend durch den »Freiwilligen Arbeitsdienst« (später »Reichsarbeitsdienst«) und die ansässige Flussgenos-senschaft bei Arbeiten an der Flöha genutzt. Seit 1939 gilt es als Kriegsgefangenenlager; gleichzeitig beginnen die Lü-cken in der Geschichtsschrei-bung. Sicher ist, dass es aus Arbeitslager und Lazarettlager bestand; sowjetische Kriegs-

gefangene schufteten in einem nahegelegenen Sägewerk. Die unweit gelegene Papierfabrik Günther & Richter unterhielt indes ein eigenes Lager. Lud-wig Börner hat Totenscheine entdeckt, die belegen, dass es schon 1942 die ersten sowje-tischen Opfer gab. Der Hang, auf dem heute das Ehrenmal steht, wurde zum Begräbnis-ort; nachgewiesen sind 91 Tote aus dem Lazarettlager und fünf

Umbettungen. Warum aber sollte das faschis-tische Regime, dem auch So-wjetsoldaten als ausrottungs-würdige »Untermenschen« galten, ein Lazarett einrichten, um Kriegsgefangene gesund-zupflegen? In der Umgebung befand sich zudem keine grö-ßere Einsatzstätte für zwangs-arbeitende Gefangene. Lud-wig Börner kann Grässliches belegen. Seit 1941 erlaubte es

das Oberkommando der Wehr-macht, Kriegsgefangene für »wissenschaftliche Versuche« zu benutzen. Im etwa 50 km entfernten Niederschlema fan-den nachweislich Radon-Ver-suche am Menschen statt; die Gefangenen wurden gezwun-gen, radioaktive Flüssigkeit zu trinken. Ziel war es, Schädigun-gen der Lunge zu erforschen. Die Opfer kamen zur Beobach-tung nach Nennigmühle, wo

Röntgenuntersuchungen vor-genommen wurden. Der Sani-tätsunteroffizier beobachtete lediglich den Krankheitsverlauf und führte Strichlisten über die Toten. Der bereits erwähnte Hang ermöglichte eine einfa-che »Beseitigung« der Leichen. Das Lager wurde kurz vor Kriegsende aufgelöst; auf dem Massengrab wurden Holz-kreuze errichtet. 1947 wurden sie durch einen 4,5 Meter ho-

hen Steinobelisken mit glä-sernem roten Stern ersetzt. Eingeschlagen wurden die Na-men der Toten und außerdem: »Ewiger Ruhm den Sowjetbür-gern, die ihr Leben für die Be-freiung der Menschheit von faschistischer Sklaverei hin-gaben«. Zum Obelisken führ-te eine schlichte Steintreppe. Zwischen 1959 und 1963 wur-de das Mahnmal in stalinisti-schem Stil ausgebaut und bis

1990 durch die Motorenwer-ke Zschopau und die Brigade 8. Mai des VEB Messelektro-nik Pockau betreut. Es wurde jährlich zu Kundgebungen und Kranzniederlegungen genutzt.Die letzte Instandsetzung liegt nunmehr fast zwanzig Jahre zu-rück. Die denkmalgeschützte Anlage verfällt, die Inschriften sind kaum mehr lesbar. Trau-riger Tiefpunkt war die Schän-dung 2009. Noch ist offen, wann das Ehrenmal endlich sa-niert wird. 2008 hat das Land-ratsamt die Denkmalwürdig-keit des Ehrenmals bestätigt. Inzwischen hat die Gemeinde Pockau ein Planungsbüro mit der Umgestaltung der Anlage beauftragt; es sollen nur die zentrale Treppe und der Obe-lisk erhalten bleiben. Die Kos-ten werden mit bis zu 350.000 Euro veranschlagt. Die Zustim-mung der Russischen Födera-tion, des Volksbundes Deut-sche Kriegsgräberfürsorge e. V. und des Landesamts für Denkmalpflege liegen bereits vor. Eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Klaus Tischendorf (DIE LINKE) ergab allerdings, dass die Staatsre-gierung nicht vor 2016 mit dem Baubeginn rechnet. Durch die geplante Neugestaltung verlö-re das Mahnmal zudem seinen Denkmalwert. Es muss weiter dafür gekämpft werden, dass das sowjetische Ehrenmal in Pockau-Nennig-mühle spätestens zum 70. Jah-restag der Befreiung wieder-hergestellt ist und ein würdiger Ort des Gedenkens an die Op-fer des großen Weltenbrands sein kann. Nicht zuletzt auch an jene 96 Sowjetsoldaten, die dort begraben liegen. Gerd Glöckner/Kevin Reißig

Vor zwei Jahrzehnten, am 7. November 1992, kam Alexan-der Dubcek durch einen Auto-unfall ums Leben. Er war eine der bedeutsamsten Persön-lichkeiten in der Geschichte der Tschechoslowakei. Gebo-ren wurde er am 27. Novem-ber 1921 im slowakischen Dorf Uhrovec. Er wuchs seit dem vierten Lebensjahr in ei-ner Kolchose in Kirgisien auf, denn seine Eltern wollten als überzeugte Sozialisten beim sozialistischen Aufbau in der UdSSR helfen.Als er mit 17 Jahren in seine Heimat zurückkehrte, war Na-zideutschland gerade dabei, die Tschechoslowakei zu zer-stören. Als junger Kommunist nahm er am antifaschistischen Widerstand gegen die deut-

schen Okkupanten teil und stieg nach dem Krieg vom 1. Bezirkssekretär (1950) bis zum Parteichef der Slowakei (1963) auf. Er gehörte in dieser Zeit zu den herausragenden Reform-kommunisten, die im am wei-testen entwickelten osteuro-päischen Land den Versuch unternahmen, den Staatssozi-alismus sowjetischen Typs in einen demokratischen Sozia-lismus mit menschlichen Ant-litz umzubauen. Zunächst mit Zustimmung Moskaus wurde er am 5. Januar 1968 Erster Sekretär der KPC und stand damit an der Spit-ze der sozialistischen Erneu-erung. Doch die sowjetische Führung lehnte seit Frühjahr 1968 den Weg einer Demokra-tisierung und den Übergang

zur sozialistischen Marktwirt-schaft entschieden ab. Der überzeugte Kommunist und Internationalist hatte aller-dings nicht damit gerechnet, dass ohne Zustimmung von Staatspräsident Ludvik Svo-boda, Ministerpräsident Old-rich Cernik und Parlaments-präsident Josef Smrkovsky ab dem 21. August 1968 800.000 sowjetische, polnische, unga-rische und bulgarische Trup-pen mit 7.500 Panzern, 2.000 Geschützen und 1.000 Flug-zeugen in das Land einfal-len und es besetzen würden. Dubcek und fünf führende Reformkommunisten wurden inhaftiert und in die Sowjet-union verschleppt. Erst nach Verhandlungen einer tsche-choslowakischen Delegation

unter Leitung von Präsident Svoboda sah sich Kremlchef Breshnew am 24. August 1968 veranlasst, Cernik, Dubcek und weitere Reformkommu-nisten freizulassen. Auf der Grundlage des unterzeichne-ten Moskauer Geheimproto-kolls erfolgte schrittweise die Restauration des Staatssozia-lismus sowjetischen Typs. Der populäre Alexander Dubcek wurde 1969als Parteichef ab-gesetzt und zunächst als Dip-lomat in die Türkei abgescho-ben. Seit seinem Ausschluss aus der Partei arbeitete er als Forstarbeiter. Etwa eine halbe Millionen Kommunisten wurden aus der Partei ausgestoßen. In die-sem sogenannten Normali-sierungsprozess verloren je-

der zweite Journalist und ein Drittel aller Offiziere ihre Ar-beit. 9.000 Hochschullehrer wurden fristlos entlassen. Das Reformprojekt hatte die Zu-stimmung der Mehrheit der Bevölkerung, es scheiterte durch die militärische Inter-vention. Erst in der »samtenen Revolution« 1989 kehrte Dub-cek auf die politische Bühne zurück. Doch drei Jahrzehn-te nach dem »Prager Früh-ling« waren Tschechen und Slowaken nicht mehr bereit, für einen demokratischen So-zialismus zu kämpfen. Sie ent-schieden sich in freien Wah-len für den Kapitalismus und auch noch für die Auflösung der CSSR in zwei souveräne Staaten. Karl-Heinz-Gräfe

Erinnerungen an Dubcek^

Der Obelisk im Urzustand (Bild Glöckner)

Page 22: Links! Ausgabe 11/2012

Seite 6Links! 11/2012

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die WeltHerausgebergremium: Dr. Mo-nika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-

denNamentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 16050 Exempla-ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.)Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84 38 9773Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelioRedaktionschluß: 22.10.2012Die nächste Ausgabe er-

scheint am 29.11.2012. Die Zeitung kann abonniert wer-den. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank

Internet www.links-sachsen.de

TermineRosa-Luxemburg-Stiftung

Leipzig, 6. November, 18 Uhr Buchvorstellung, Le-sung »Schlafende Hunde II - politische Lyrik«Es lesen: Roland Erb, Andre-as Reimann und Christel Har-tingerEine Veranstaltung der Frei-tagswerkstatt im Dialog e.V. in Zusammenarbeit mit der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung Sach-sen e.V.Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

Chemnitz, 7. November, 19 Uhr Vortrag und Diskussion VERANSTALTUNGSREIHE: Seitenwechsel „Angriff von Rechtsaußen“Mit Ronny Blaschke, freier Au-torEine Veranstaltungsreihe der Volkshochschule, der Antifa-schistischen Fußball-Fan-In-itiative Chemnitz, Different People e.V., des Fanprojekts der AWO und der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen e.V.tietzCafé, 3. OG, Moritzstraße 20, 09111 ChemnitzSeit vielen Jahren bemüht sich die rechtsradikale Szene, bei den Fußballfans Einfluss zu ge-winnen - zuweilen mit Erfolg: NPD-Mitglieder rekrutieren Nachwuchs in der Anhänger-schaft des 1. FC Lok Leipzig, oder in Dortmund gibt es Über-schneidungen zwischen Auto-nomen Nationalisten und Fan-szene. Dass bei Teilen der Fans rechtsextreme Einstellungen verwurzelt sind, zeigt sich, wenn rassistische, antisemiti-sche oder schwulenfeindliche Parolen angestimmt werden. Ronny Blaschke stellt den »An-griff von Rechtsaußen« dar

Dresden, 7. November, 19 Uhr Vortrag und DiskussionVeranstaltungsreihe: Pers-pektiven des Postkapitalis-mus. Eine Spurensuche Alternativen zum Kapita-lismus. Eine Spurensuche Kommunismus oder Com-monismusMit Stefan Meretz, Dr.-Ing., Dipl.-Inform., u.a. Blogger auf keimform.de., BerlinWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 DresdenSind Commons die zeitgemä-

ße Form, die Eigentumsfra-ge zu stellen und im 21. Jahr-hundert zu beantworten? Was ist unter Commons zu verste-hen? Ist es nur eine neue Form alte Fragen zu stellen oder geht es mit den Commons tat-sächlich auch um einen neuen Inhalt? Müssen sich die Linken auf etwas Neues einlassen, oder wissen sie es wie eh und je schon besser? Ist das Com-mons-Konzept als emanzipa-torische Perspektive denkbar, ist es gesellschaftlich verall-gemeinerbar?

Zwickau, 13. November, 18 Uhr Vortrag und DiskussionFankulturen im Fußball zwi-schen Panikmache und not-wendiger Konfliktschlich-tungMit Gerd Dembowski, Sozial-wissenschaftler, Kompetenz-gruppe Fankulturen an der Universität Hannover, Rainer Kallweit, Leiter des Ordnungs-amtes der Stadt Zwickau, wei-tere VertreterInnen aus Sport wie z.B. dem FSV Zwickau und Politik wie z.B. Vertreter der CDU-Stadtratsfraktionsind angefragtModeration: René Hahn, Stadtrat in ZwickauKooperationspartner: Kom-munalpolitisches Forum Sach-sen e.V.Mali - Haus der Begegnun-gen, Marienthaler Straße 164b, 08060 Zwickau

Dresden, 13. November, 18 Uhr JUNGE ROSA speziell für Jugendliche und junge Er-wachsene „Prekäre Arbeits-verhältnisse in Deutschland“Vortrag und DiskussionMit Steffen Juhran, LeipzigWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Dresden, 14. November, 19 Uhr Vortrag und Diskus-sion „Fankulturen im Fuß-ball zwischen Panikmache und notwendiger Konflikt-schlichtung“Mit Gerd Dembowski, Sozial-wissenschaftler, Kompetenz-gruppe Fankulturen an der Universität Hannover, Thi-lo Alexe, Sächsische Zeitung, Mitautor: Das Dresdner Stadi-

on, Sven Forkert, Geschäfts-führer des Landespräventi-onsrates Sachsen (angefragt), Tilo Kießling, sportpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LIN-KE im Stadtrat Dresden und Torsten Rudolph, Fanprojekt Dresden e.V.Moderation: MdL Verena Mei-wald, sportpolitische Spre-cherin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagKooperationspartner: Kom-munalpolitisches Forum Sach-sen e.V.Haus der Kreuzkirche - Rudolf Mauersberger Saal, An der Kreuzkirche 6, Dresdenebenfalls in Leipzig, 15. No-vember, 18 UhrAula Alte Nikolaischule, Niko-laikirchhof 2, 04109 Leipzig

Leipzig, 16. November, 10.00-17.30 Uhr, Seminar, „Die europäische Rechte – aktuelle Befunde und Ana-lysen“Mit u.a. Prof. Dr. Lothar Bisky, Abgeordneter im Europapar-lament; Marika Tändler, wis-senschaftliche Mitarbeiterin im Europaparlament, Brüssel; Friedrich Burschel, Referent für Neonazismus und Struktu-ren/Ideologien der Ungleich-wertigkeit bei der RLS, Berlin, Mirko Fische, INEX, Leipzig; Prof. Dr. Matthew Goodwin, Politikwissenschaftler, Not-tingham; Thilo Janssen, wis-senschaftlicher Mitarbeiter im Europaparlament, Brüssel; Volkmar Wölk, Publizist, Grim-ma; Prof. Dr. Peter Porsch, Germanist, Klinga; Dr. Corne-lia Ernst, Abgeordnete im Eu-ropaparlament und Juliane Nagel, Mitarbeiterin einer Eu-ropaabgeordneten, LeipzigEine Veranstaltung der Bü-ros von MdEP Prof. Dr. Lo-thar Bisky und MdEP Dr. Cor-nelia Ernst in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 LeipzigIn zahlreichen europäischen Ländern sind rechtspopulis-tische und extrem rechte Ak-teure auf dem Vormarsch. Dies drückt sich z.B. in Öster-reich, Frankreich oder Ungarn auch in Wahlergebnissen aus und teilweise in Regierungs-

beteiligungen aus. Bei allen Unterschieden ist die Hetze gegen Minderheiten oder ge-gen demokratische Prinzipien eine gemeinsame Basis.Auch im Europaparlament sind VertreterInnen extrem rechter oder rechtspopulisti-scher Parteien mit einer Frak-tion und einzelnen Abgeord-neten vertreten. Wobei sich diese in der Vergangenheit eher durch Streitigkeiten als konzertierte politische Aktio-nen exponierten.Im Tagesseminar »Die euro-päische Rechte – aktuelle Be-funde und Analysen« soll sich der Frage nach Gemeinsam-keiten und Unterschieden der extremen und populistischen Rechten in Europa genähert werden. Dabei wird sowohl ihr Auftreten im Parlament als auch im außerparlamentari-schen Raum betrachtet und die Frage Strategien im Um-gang demokratischer Akteu-rInnen mit den rechten Prota-gonistInnen gestellt.

Leipzig, 26. November, Mon-tag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion „Strenge Metho-dik: Nietzsches Leipziger Philosophie-Studien“Mit Dr. Carol Diethe, Ideen-geschichte und Germanistik, LondonIn Zusammenarbeit mit der Lu-ise-Otto-Peters-GesellschaftRosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Chemnitz, 26. November, 19 Uhr „Wie man Neonazis kri-tisieren sollte und wie bes-ser nicht. Zum Elend der Kri-tik am (Neo-)Faschismus“ Vortrag und Diskussion Mit Freerk Huisken TU Chemnitz , 09126 Chem-nitz, (Raum wird noch bekannt gegeben unter: http://bil-dungskollektiv.blogsport.de)Eine Veranstaltungsreihe vom Studentenrat (StuRa) an der TU Chemnitz und dem Rosa-Luxemburg-Club mit Unter-stützung des Regionalbüro Chemnitz der Rosa-Luxem-burg-Stiftung SachsenDemokraten aus Politik und Öffentlichkeit können Rechts-extremismus und (Neo-)Fa-schismus nicht kritisieren.

Wie sollten sie auch den Na-tionalismus deutscher Bür-ger angreifen, wenn diese patriotische Gesinnung für sie doch eine zentrale Pro-duktivkraft ihrer demokrati-schen Herrschaft darstellt. Dafür grenzen sie den (Neo-)Faschismus aus, kriminali-sieren ihn und erörtern er-neut das Parteienverbot. Auch die linke Antifa tut sich schwer mit der Kritik am Neo-Faschismus und Rechtsext-remismus. Besonders dann, wenn neue Faschisten eine Kritik am Kapitalismus vortra-gen, fällt vielen Antifaschis-ten oft nur ein, dass sich hier »Wölfe« mit »Schafspelzen« verkleidet hätten.

Leipzig, 27. November, 18 UhrBuchvorstellung und Dis-kussion »Das angemessene Fragen nach dem Mensch-sein. Das Menschenbild der Philosophischen Anthropo-logie und der Existenzphilo-sophie im Vergleich.«Nachholtermin für den Ausfall am 26. JuniMit Prof. Dr. Horst Pickert, LeipzigModeration: Prof. Dr. Karl-Heinz SchwabeRosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

Leipzig, 27. November, 18 Uhr Buchvorstellung und Lesung »Er war doch nur eine neunjähriger Junge: Hans Richard Levy« und Le-sung aus den Aufzeichnun-gen von Gertrud SandmannMit den Autoren Torsten Schleip und Richard GauchModeration: MdB Daniela Kol-be, stellvertretende Vorsit-zende des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische BildungAudimax, HTWK, Geutebrück-Bau, Karl-Liebknecht-Straße 132, 04277 Leipzig

Dresden, 28. November, 19 Uhr Vortrag und DiskussionZwischen Skylla und Cha-rybdis - Griechenland in der KriseMit Efstathios Soudias, Kom-munalpolitisches Forum Sach-sen e.V.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 DresdenIn Athen brennen Gebäude. Hunderte, tausend Menschen jeden Alters sind auf der Stra-ße. Die deutsche Kanzlerin wird mit Naziuniform karikiert. Was ist los in Griechenland? Welche Auswirkungen haben Finanz und Wirtschaftskrise auf das Land? Wohin steuert die Europäische Union? Und, was geht das alles uns an?

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Seite 7 11/2012 Links! Essay

»Miss Lonelyhearts« als Spiegel des Amerikas der Depression

Erstmals 1933 erschienen, bleibt der Roman »Miss Lo-nelyhearts« von Nathanael West ein ziemlich verstö-rendes Meisterwerk moder-ner amerikanischer Literatur. Ein namenloser Kolumnist schreibt in einer Zeitungs-kolumne Hinweise und Rat-schläge zum modernen Le-ben. Doch irgendwann wird es ihm zu viel, er zerbricht förm-lich unter der Unzahl an Brie-fen, die teils unvorstellbares Leid, teils alltägliche Proble-me beschreiben. Er findet kei-ne Antworten mehr: Was soll er dem Jungen sagen, dessen Onkel die behinderte Schwes-ter missbraucht? Oder dem Mädchen, das ohne Nase ge-boren wurde? Der Roman steigt ein, als er bemerkt, dass er es nicht mehr schafft, zu heucheln und zu bluffen. Sein Versuch, mit-hilfe der Religion Antworten zu finden, misslingt; er stürzt sich in romantische Affären, in die Kunst und in die Gewalt – und schließlich in den Alko-hol. Es endet in Wahnsinn und Tod, hervorgerufen durch sei-ne eigene spirituelle Leere. Sein »Christus-Komplex« kos-

tet ihn das Leben. Er macht sich ernsthafte Gedanken, wie man das moralische Dilemma löst, tröstend auf menschli-ches Leid einzugehen – und scheitert. Scheitert auf der ganzen Linie, denn indem er beispielsweise zunächst in ei-ner Art »Nächstenliebe« mit einer Briefschreiberin schläft, obwohl sie ihn anwidert und er sie entsprechend beim nächs-ten Mal wegstößt und so-gar verprügelt, stürzt er nicht nur sich – der Mann der Brief-schreiberin will ihn dann er-schießen – sondern auch das Paar noch mehr ins Unglück.Das schwierigste war wohl die Erzählweise, verstirbt doch der namenlose Kolumnist am Ende des Buches, es ist aber aus der Ich-Perspektive ge-schrieben. Auch deswegen hat West an dem schmalen Buch über vier Jahre geschrie-ben. Als Hotelmanager soll er angeblich auch Briefe seiner Gäste gelesen haben. Aber insbesondere dass er 1929 ei-nige Briefe an die tatsächliche »Susan Chester«, das Vorbild der »Miss Lonelyheart«, lesen konnte, versorgte ihn mit aus-reichend Material für den sch-malen Roman. Verschiedene Kapitel erschie-nen zunächst als Fortset-zungsroman in verschiedenen Zeitschriften, der komplette Roman erschien 1933 bei Ho-race Liveright, New York. Lei-der ging der Verlag noch wäh-rend der Auslieferung der

ersten Exemplare pleite, so-dass nach positiven Bespre-chungen keine Bücher mehr verkauft wurden. Immerhin ge-lang es West, die Rechte aus der Konkursmasse zu retten, aber die Nachauflage bei Har-court ein Jahr später kam zu spät, das Interesse war erlo-schen. Schade, denn es han-delt sich um ein klassisches amerikanisches modernes Meisterwerk. »Miss Lonely-hearts« wurde viermal unter verschiedenen Namen ver-filmt, am bemerkenswertes-ten vielleicht in der Version mit Montgomery Clift als »Adam

White« in der Version von 1959.Nathan Wallenstein Weinstein wurde 1903 in New York als Sohn jüdischer Immigranten aus Russland geboren. 1926 änderte er seinen Namen in Nathanael West. In seinem kurzen Leben, er starb 1940 bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zur Beerdigung sei-nes Freundes F. Scott Fitzge-rald, schrieb er nur vier Ro-mane, aber eine Unzahl an Drehbüchern für die Traumfa-brik Hollywood. Die Romane zeigten, vielleicht genauso wie die seines Freundes Fitzgerald, die düstere, trübe Seite des

sogenannten Amerikanischen Traumes. »Miss Lonelyhearts« und der unvollendet gebliebe-ne »The Last Tycoon” von F. Scott Fitzgerald blieben daher vielleicht die finitiven Romane, die das Amerika der Depressi-on beschrieben. Der Manesse-Verlag bringt 50 Jahre nach der letzten deutschen Ausgabe ei-ne Neuübersetzung mit einem großartigen Nachwort von Die-ter E. Zimmer heraus – das ist nicht genug zu würdigen. Rico SchubertNathanael West: Miss Lonely-hearts. Manesse Verlag, 19,95Euro.

Keine Illusionen

»Alles, was man gemeinhin Ver-gangenheit nennt, ist im Grun-de nur eine leiser und dunkler gewordene Art von Gegen-wart.« (Gertrud von Le Fort )

Oder: Vergangenheit ist das, was gestern noch war und vorgestern die Ohren von Zu-kunftshörern erreichte. Die Wende und Nachwendezeit in Deutschland waren – so sug-gerieren es Politik und Mas-senmedien – eine fröhliche, schillernde und revolutionä-re Zeit, mit glücklichen Men-schen und frei von Diskri-minierung, Problemen und nationalistischer Vergangen-heit. Jeder kennt die Bilder kurz nach dem Mauerfall: Tra-bis, die an jubelnden Men-schenmassen vorbeifahren, überall nur Freude, Freunde und Zusammengehörigkeit. Dieses Gefühl wurde spä-ter durch Sätze wie »Wir sind Papst«, »Wir sind EIN Volk« oder »20 Jahre Mauerfall – Ei-ne Erfolgsgeschichte« ver-

stärkt. Doch inwieweit wird den Men-schen etwas vorenthalten? Und inwieweit ist wirklich al-les schön, nachdem die Mau-er weg ist? Es gibt sehr vie-le Bücher, die die Wendezeit genau beleuchten, Meinun-gen wiedergeben, die man so schon gefühlte tausendmal gehört hat. Doch das Buch »Kaltland« von den Herausge-bern Karsten Krampitz, Mar-kus Liske und Manja Präkels nimmt hier eine Monopolstel-lung ein. 42 Autoren – darun-ter Musiker, Titanic-Politiker, aber auch Unbekannte – set-zen die Schreibgeräte an und öffneten verschlossene Wun-den, die es für viele nicht gibt, weil es sie nicht geben darf. Die Geschichten, die in »Kalt-land« erzählt werden, sind teils erschreckend ergreifend, und an anderen Stellen kann man schmunzeln über Sätze »Guck mal, die haben sogar ih-ren Trabant an der Bushalte-stelle geparkt. Weißt du war-

um? Weil sie denken, dass das Freiheit ist«. Die neugewonnene Freiheit der ehemaligen DDR-Bürger wird aber nicht, wie in ande-ren Romanen, zum Haupt-thema erklärt, sondern die kleinen und großen neuen und alten Probleme stehen im Mittelpunkt der Betrach-tung. Hoyerswerda und Ros-tock-Lichtenhagen sind ei-nigen zwar noch ein Begriff, aber auch diese Erinnerungen verblassen, ganz zu schwei-gen davon, dass weder Opfer noch Täter bisher näher be-leuchtet wurden. Diese Lü-cke schließt unter anderen Jochen Schmidt mit seinen Text »Im Sonnenblumenhaus«, aber auch andere Autoren er-zählen die kleinen und großen Geschichten von rechtsradi-kalen Übergriffen. Andreas Marneros berichtet in seinen Kurzgeschichten, die unter der Überschrift »Neun Mör-der in neun Wochen« stehen, über verschiedene »Vollen-

dete und unvollendete Mor-de«. Diese Erzählungen rich-ten den Blick auf die Täter und ihre Beweggründe. In die-se Reihe lässt sich auch »Da-niel« einreihen, der »alle Ju-den vergasen [will]«. Doch wie kommt es, dass »Daniel« so et-was machen will? Genau das beleuchtet Marneros in sei-nen Geschichten, und Daniel will nicht nur alle Juden töten, sondern auch »alle anderen körchlichen Leute« vergasen. »Aber wer bleibt denn übrig in Deutschland, wenn wir die Juden, die Katholiken und die Protestanten vergasen und die Ausländer rauswerfen?« – »Was weiß ich«, ist Daniels‘ Antwort. »Es soll eben wie-der so sein, wie es zu DDR-Zeiten war«. Diese erschre-ckenden Worte zeigen eine Denkart, die man nur schwer nachvollziehen kann. Aber Marneros versucht die Täter nicht nur in all ihren Facetten zu erfassen, sondern will sie auch aufklären, wobei Daniel

nur ein Beispiel für rechtsra-dikales Denken ist. Über die-se und andere verklärt wir-kende Weltanschauungen gibt es viele Kurzgeschichten in diesen Buch. Wer einen Ein-blick in die zweite Wahrheit der Nachwendezeit – neben den Freudentaumel der Men-schen – erhalten möchte, soll-te sich dieses Buch unbedingt vormerken. Der Wechsel zwi-schen den Autoren, die mit un-terschiedlichen Geschichten und Sichtweisen auftrump-fen, ist perfekt gelungen und es ergibt sich trotz differen-zierter Betrachtungsweisen ein gelungenes Bild auf diesen Schatten Deutschlands, der noch lange nicht ausreichend mit Licht erhellt wurde. Anja Zendlowski

Karsten Krampitz, Markus Lis-ke, Manja Präkels (Hrsg.). Kalt-land. Rotbuch Verlag, 1. Aufl., broschiert, 256 Seiten. 14,95 Euro.

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Page 24: Links! Ausgabe 11/2012

Seite 8Links! 11/2012

Breaking the silence“

Kultur

Vom Traumtänzer zum Friedensengel

Israelische Soldaten be-richten über ihr Tun in den BesatzungsgebietenEs sind Bilder, wie man sie sel-ten im deutschen Fernsehen sieht und Worte, wie man sie sonst kaum hört. »Araber ins Gas« steht da an den Wän-den im besetzten Gebiet. Man sieht kleine jüdische Mäd-chen, die mit Steinen erwach-sene Palästinenser angreifen und dabei rufen: »Kein Paläs-tina! Schlagt die Araber tot!«. Junge, intelligente, aufgeklär-te israelische Soldaten aus Tel Aviv oder Haifa sind darüber wohl genauso geschockt wie wir, wenn wir das erste Mal davon hören. Es hat lange ge-dauert, bis eine Ausstellung, die 2004 in Tel Aviv für Furore sorgte, endlich den Weg nach Berlin ins Willy Brandt-Haus fand – und sie ist es wert, nach Leipzig und Dresden geholt zu werden, das sei an dieser Stel-le gleich gesagt. Woraus besteht also die Aus-

stellung? Sind es etwa er-schütternde Szenen, wie sie der aufmerksame Internet-nutzer sieht, der nicht-west-liche arabische Homepages besucht und dort ganz ande-re Bilder bekommt als die, die von Israel aus für gewöhnlich in die westliche Welt geschickt werden? Nein, man sieht kei-ne halbtot gefolterten blut-überströmten Gefangenen – aber man hört die Knochen brechen, wenn die Soldaten davon berichten: Ruhig, in-zwischen längst nicht mehr anonym, sondern offen vor der Kamera. Es gibt viele solcher Videos. Soldaten berichten von ihrem normalen Einsatz in den besetzten Gebieten. Das Grauen, das man nicht sieht, aber erzählt bekommt, das Grauen über ein Besat-zungsregime, das sich gegen alle Araber wendet, mit dem Ziel, sie durch Alltagsterror zu vertreiben. Es geht eben nicht um Israels Sicherheit. Es geht

schlicht und einfach um Ver-treibung durch Gewalt, wie sie dauerhaft seit Jahrzehnten in Nahost stattfindet und offizi-ell in westlichen Medien totge-schwiegen wird. Jetzt brechen junge Soldaten und Offiziere endgültig das Schweigen mit ihrer Initiative »Breaking the silence«.Es wird das Interesse geweckt, die Lage in Nahost wirklich zu verstehen, und man erfährt Hintergründe – am Beispiel der Geschehnisse an einem Ort: Hebron, mit 180.000 Einwoh-nern die zweitgrößte Stadt Pa-lästinas, in der sich 800 Sied-ler widerrechtlich im Zentrum niedergelassen haben und von 600 Soldaten geschützt wer-den. 1994 begann der israeli-sche Besatzungsterror im An-schluss an das so genannte, in Israel gut bekannte »Gold-stein-Massaker«. Baruth Gold-stein erschoss 29 Palästinen-ser und verletzte 150, bevor er selbst getötet wurde – da-

raufhin setzten ihm die Sied-ler von Hebron ein Denkmal mit der Inschrift: »Hier ruht der Heilige Dr. Baruch Kappel Goldstein, gesegnet sei das Andenken dieses aufrichtigen und heiligen Mannes, möge der Herr sein Blut rächen, der seine Seele den Juden, der jü-dischen Religion und dem jüdi-schen Land geweiht hat. Sei-ne Hände sind unschuldig und sein Herz ist rein. Er wurde als Märtyrer Gottes am 14. Adar, Purim, im Jahre 5754 (1994) getötet«. Das Denkmal wur-de 1999 von der israelischen Armee zerstört – doch für die Siedler, oft radikale orthodoxe Juden, die überaus rassistisch agieren, bleibt er ein großer Held. Die Ausstellung zeigt auf den Bildern und in den Aussa-gen der Soldaten, dass immer mehr junge Israelis bereit sind, nachzudenken. Junge Männer wollen sich offenbar nicht län-ger von radikalen Siedlern in kürzester Zeit zu Verbrechern

machen lassen. 54 Armeeangehörige, die in Hebron stationiert waren, ta-ten sich zusammen und be-schlossen 2004, Hebron mit einer Ausstellung nach Tel Aviv zu bringen. Seitdem gab es 350 Touren und Vorträge im In- und Ausland. Während der Berliner Ausstellung waren Gespräche mit israelischen Offizieren möglich, die die Ausstellung begleiten. Außer Videos (einsehbar unter www.videos.medico.de) und Fotos gibt es auch ein Buch, in dem man die Berichte nachlesen kann: »Breaking the silence« erschien beim ECON-Verlag und kostet 20 Euro. Die ehe-maligen und aktiven Soldaten wollen nicht über Gut und Bö-se reden, sondern sie möch-ten einfach, dass man zuhört und erfährt, was sie im Namen des Staates Israel getan ha-ben. Mehr nicht. Ralf Richter

Cat Stevens, Jussuf Islam, zwei Namen stehen für die Liebe zum LebenSteven Demetre Georgiou wurde am 21. Juli 1948 in Lon-don-Hammersmith geboren. Sein Vater stammte aus dem griechischen Teil Zyperns und seine Mutter aus Schweden. Aufgewachsen ist Cat Stevens – wie er später genannt wurde – in London Westend zwischen vergammelten Hinterhäusern und grellen Leuchtreklamen zwielichtiger Bars. Schon sehr früh versuchte er, seiner widersprüchlich er-scheinenden Umwelt zu ent-kommen, zog sich in sein Kinderzimmer zurück und widmete sich dem Zeichnen von Karikaturen. Dieser Ent-wicklung war es zu verdanken, dass er im Alter von 16 Jahren des Hammersmith College be-suchte, dieses jedoch nach ei-nem Jahr enttäuscht wieder verließ. Zuviel Theorie. Seine Aufmerksamkeit galt immer mehr der Musik. Seine ersten Konzerte als Sänger bestritt er in kleinen Folkclubs in So-ho. Er sang die Lieder von Bob Dylan, John Lee Hooker und den Beatles nach und grün-dete mit Freunden die Gruppe „Jas-Trim“, die er jedoch bald wieder auflöste. Er beschloss solistisch weiterzumachen, die Gitarre beherrschte er schon wie ein Alter.

1965 spielte er in einem Ton-studio zwei eigene Lieder ein, um sie als Demomaterial für Werbezwecke zu verbreiten. Als sein älterer Bruder die hör-te, fühlte dieser sich veran-lasst, einen Musikverlag auf-zusuchen, denn er spürte wohl genau, welches Talent in Ste-ven schlummerte. Es entstan-den mehrere Aufnahmen, und ein Liveauftritt im Radio Lu-xemburg folgte. 1966 schließ-lich erschien nach langem Hin und Her die erste Single „I love my dog“, die zum Hit werden sollte, und ein Jahr später die Langspielplatte „Matthew and Son“. Sie bestand fast nur aus Liebesliedern, doch auch sozi-alkritische Aussagen blieben nicht aus, wie etwa im Titel-song, der die fatale Situation der Fabrikarbeit in Großbritan-nien jener Zeit beschrieb. Die Platte hatte sehr großen kom-merziellen Erfolg, und Cat Ste-vens musste in kürzester Zeit eine zweite einspielen. Rasch wurde ihm jedoch be-wusst, dass die Plattenfirma DERAM ihn als schillerndes Popsternchen verhökern woll-te und er als kreativer Künstler unter diesen Umständen nicht die geringste Chance mehr bekommen würde, seine eige-nen Ideen realisieren zu kön-nen. Die Arrangements seiner Lieder waren derart mit lauten Blasinstrumenten und kitschi-gen Streicheffekten überla-den, dass er seine Songs kaum wiedererkannte. Man jagte ihn zudem förmlich von einem Kurzauftritt im TV zum nächs-

ten Promotiongig. Er begann maßlos zutrinken, rauchte viel und aß kaum noch. Der kör-perliche und psychische Zu-sammenbruch ließ nicht lange auf sich warten. Er erkrankte im Jahr 1968 schwer an Tuber-kulose. Während des folgen-den Klinikaufenthaltes wurde ihm klar, dass es so nicht wei-tergehen konnte. Im ruhigen Ambiente, umgeben von stil-ler Natur, begann er neue Tex-te zu schreiben und kompo-nierte rund dreißig Songs, die nach seiner Genesung bei Is-land Records auf drei nachei-nander folgenden Schallplat-ten erschienen. Endlich war er wieder er selbst.Die erste Platte „Mona Bone Jakon“ kam 1970 auf den Markt und wurde von den Kri-tikern und Fans bejubelt. Sie

enthielt wahre Ohrwürmer, „Lady D‘Arbanville“ sei als Bei-spiel genannt. Diese neuen Songs klangen sehr poetisch, und die Begleitband setzte auf Minimalismus. Auch auf den folgenden Alben „Tea for the Tillerman“ und „Teaser and the Firecat“ verzichtete er auf große Besetzungen. Sein An-liegen war ein tief humanisti-sches. Er war kein Rebell sei-ner Zeit wie Bob Dylan, obwohl sich einige Titel gegen die Machtpolitik des Kapitalismus richteten, wie „Peace Train“ oder „Father and Son“, aber seine Lieder erreichten all die, die sich eine gewisse Sensibi-lität bewahrten. Er wurde zum „King“ der leiseren Töne. Doch dann kam es zu einem neuen Bruch mit der Musik. Er hatte zu Gott gefunden,

konvertierte zum Islam und widmete sich von nun an nur noch karikativen Zwecken (etwa dem Einsatz für Kinder von Kriegsopfern). Er gründe-te mehrere Schulen und wur-de Vorsitzender der Hilfsor-ganisation „Small Kindness“. Wie groß war dann die Über-raschung, als Cat Stevens nach 25 Jahren Abstinenz mit den Namen Yussuf erneut die Bühne betrat. Seine neue CD „An Other Cup“ erschien 2006. 2009 folgte das groß-artige Album „Roadsinger“, das bewies, dass der Sän-ger und Musiker nichts an In-tensität und Charme verloren hat. Nicht nur ich würde mich freuen, von diesem sensibels-ten Chansonnier seiner Zunft noch mehr hören zu können. Jens-Paul Wollenberg

Cat Stevens in Böblingen, 1976 Bild Wikimedia