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Sachsens Polizei kriecht buch- stäblich auf dem Zahnfleisch. Das musste unlängst auch In- nenminister Markus Ulbig zuge- ben. Während der gewaltsamen rassistischen Ausschreitungen vor Asylunterkünſten gelingt es der Polizei zuallererst wegen Personalmangels und fehlender Ausrüstung kaum, den Schutz der Geflüchteten zu gewährleis- ten. Dieser Zustand der säch- sischen Polizei ist nicht über Nacht oder zufällig oder gar we- gen momentaner Extremsituati- onen, sondern im Ergebnis des jahrelangen, rein monetär moti- vierten Stellen- und Personalab- baus entstanden. Am Beginn stand in der CDU- SPD-Koalition von 2004-2009 das Ziel, Personal einzusparen, ohne sich zuvor die Aufgaben der Polizei zu vergegenwärtigen. Da- für entstand im Jahr 2011 unter CDU und FDP das „Projekt Poli- zei.Sachsen.2020“. Die Haupt- achsen sind Umbau und Redu- zierung der Polizeidirektionen und -reviere (Reduzierung von 7 auf 5 Direktionen und von 72 auf 41 Reviere) sowie noch stärke- rer Personalabbau. 2010 waren bei der Polizei noch 13.911 Per- sonen beschäſtigt. Bis 2025 soll- te diese Zahl auf 11.280 redu- ziert werden. Mittlerweile wurde dieser Abbau durch die neue CDU-SPD-Landesregierung um 800 verringert, ohne dass ein Plan existiert, welche Stellen man konkret erhalten möchte. Der Stellenabbau geht vorerst weiter. Erst ab 2021 ist laut In- nenministerium mit einer „Re- duzierung der Stellenabbauver- pflichtung“ zu rechnen, bis dahin werden jährlich gut 120 Stellen gestrichen. Das Resultat des Personalab- baus lässt sich sehr gut illus- trieren: Die Überstunden bei der Polizei sind vom Jahreswech- sel 2014/15 mit 71.435 in den nächsten Monat übernomme- nen Überstunden von Beamten bis Juni 2015 auf 133.756 ange- wachsen. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der unbe- arbeiteten Fälle (offene Vorgän- ge) von 57.663 auf 63.227. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit und Einsatzbereit- schaſt der Beamten. Der durch- schnittliche Krankenstand bei der Polizei ist mit 8,3 % extrem hoch. Damit können also täglich rund 900 Polizeibeamte ihren Dienst wegen Krankheit nicht antreten. Die Polizei braucht mehr Perso- nal und bessere Sachausstat- tung. Zunächst soll die seit Juni arbeitende Fachkommission, die Aufgaben und Personalbedarf evaluieren soll, die Polizei einer „umfassenden Aufgabenkritik“ unterziehen. Allen Fachleuten ist klar, dass eine Aufgaben- verschiebung nicht möglich ist. Selbst wenn ein paar Zuständig- keiten an die notorisch klammen Kommunen übertragen würden, kämen die eigentlich abgegebe- nen Fälle spätestens nach Feier- abend der kommunalen Ämter an die einzige rund um die Uhr erreichbare Behörde, die Polizei, im Zuge der Amtshilfe zurück. Bliebe noch die Reduzierung von Tarifbeschäſtigten durch „Out- sourcing“ (Privatisierung) von z. B. technischen Bereichen wie den polizeieigenen Kfz-Werk- stätten. Neben zusätzlichen Transferfahrten wären vor allem Marktpreise für Handwerksleis- tungen das Ergebnis. Das wird gemeinhin teurer, und den Trans- ferfahrt-Beamten fehlt die Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben. Sofern die Evaluierungs-Kom- mission einen deutlich höheren Bedarf an Polizisten in Sachsen attestiert, hängt alles von den richtigen politischen Entschei- dungen ab. Für eine ausreichend große Bewerberzahl braucht es vor allem bessere Arbeits- und Einkommensverhältnisse. So konkurriert die Polizei z. B. mit der freien Wirtschaſt um IT-Spe- zialisten, und das mit nicht kon- kurrenzfähigen Einstellungsver- gütungen. Bei Einsteigern im Polizeivollzugsdienst zeigt sich das gleiche Bild. Und ob die Kam- pagne „Verdächtig gute Jobs“ mit herabgesetzten Einstellungsvo- raussetzungen die Anwärter bis zum Ende ihrer Ausbildung bei der Stange halten kann, wird sich erst zeigen müssen. Eines steht schon jetzt fest: Auch wenn ab 2017 die jährliche Anwärterzahl von 400 auf die er- forderlichen 550 erhöht würde, kämen die ersten zusätzlichen Polizisten frühestens 2020 in den Polizeivollzugsdienst. Zwi- schenzeitlich geht es darum, ein zusätzliches „Ausbluten“ der Po- lizei durch bessere Bezahlung, Stellenhebungen, Beförderun- gen, ein besseres Gesundheits- management sowie die Wieder- einführung der Sonderzahlungen und durch bessere Sachausstat- tung zu verhindern. Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt September 2015 Wer hilſt eigentlich der Polizei? Neu: Links! im Digitalabo. Jede Ausgabe schon drei Tage früher im Mailpostfach! Jetzt kostenlos bestellen: www.links-sachsen.de/abonnieren, [email protected] oder 0351-84 38 9773.

LINKS! Ausgabe 9/2015

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Ausgabe September 2015 inklusive aller Beilagen.

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Sachsens Polizei kriecht buch-stäblich auf dem Zahnfleisch. Das musste unlängst auch In-nenminister Markus Ulbig zuge-ben. Während der gewaltsamen rassistischen Ausschreitungen vor Asylunterkünften gelingt es der Polizei zuallererst wegen Personalmangels und fehlender Ausrüstung kaum, den Schutz der Geflüchteten zu gewährleis-ten. Dieser Zustand der säch-sischen Polizei ist nicht über Nacht oder zufällig oder gar we-gen momentaner Extremsituati-onen, sondern im Ergebnis des jahrelangen, rein monetär moti-vierten Stellen- und Personalab-baus entstanden.Am Beginn stand in der CDU-SPD-Koalition von 2004-2009 das Ziel, Personal einzusparen, ohne sich zuvor die Aufgaben der Polizei zu vergegenwärtigen. Da-für entstand im Jahr 2011 unter CDU und FDP das „Projekt Poli-zei.Sachsen.2020“. Die Haupt-achsen sind Umbau und Redu-zierung der Polizeidirektionen und -reviere (Reduzierung von 7 auf 5 Direktionen und von 72 auf 41 Reviere) sowie noch stärke-rer Personalabbau. 2010 waren bei der Polizei noch 13.911 Per-sonen beschäftigt. Bis 2025 soll-te diese Zahl auf 11.280 redu-ziert werden. Mittlerweile wurde dieser Abbau durch die neue CDU-SPD-Landesregierung um 800 verringert, ohne dass ein Plan existiert, welche Stellen man konkret erhalten möchte. Der Stellenabbau geht vorerst weiter. Erst ab 2021 ist laut In-nenministerium mit einer „Re-duzierung der Stellenabbauver-pflichtung“ zu rechnen, bis dahin werden jährlich gut 120 Stellen gestrichen.Das Resultat des Personalab-baus lässt sich sehr gut illus- trieren: Die Überstunden bei der Polizei sind vom Jahreswech-sel 2014/15 mit 71.435 in den nächsten Monat übernomme-nen Überstunden von Beamten bis Juni 2015 auf 133.756 ange-wachsen. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der unbe-arbeiteten Fälle (offene Vorgän-ge) von 57.663 auf 63.227. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit und Einsatzbereit-schaft der Beamten. Der durch-schnittliche Krankenstand bei

der Polizei ist mit 8,3 % extrem hoch. Damit können also täglich rund 900 Polizeibeamte ihren Dienst wegen Krankheit nicht antreten.Die Polizei braucht mehr Perso-nal und bessere Sachausstat-tung. Zunächst soll die seit Juni arbeitende Fachkommission, die Aufgaben und Personalbedarf evaluieren soll, die Polizei einer „umfassenden Aufgabenkritik“ unterziehen. Allen Fachleuten ist klar, dass eine Aufgaben-verschiebung nicht möglich ist. Selbst wenn ein paar Zuständig-keiten an die notorisch klammen Kommunen übertragen würden, kämen die eigentlich abgegebe-nen Fälle spätestens nach Feier-abend der kommunalen Ämter an die einzige rund um die Uhr erreichbare Behörde, die Polizei, im Zuge der Amtshilfe zurück.Bliebe noch die Reduzierung von Tarifbeschäftigten durch „Out-sourcing“ (Privatisierung) von z. B. technischen Bereichen wie den polizeieigenen Kfz-Werk-stätten. Neben zusätzlichen Transferfahrten wären vor allem Marktpreise für Handwerksleis-tungen das Ergebnis. Das wird gemeinhin teurer, und den Trans-ferfahrt-Beamten fehlt die Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben.Sofern die Evaluierungs-Kom-mission einen deutlich höheren Bedarf an Polizisten in Sachsen attestiert, hängt alles von den richtigen politischen Entschei-dungen ab. Für eine ausreichend große Bewerberzahl braucht es vor allem bessere Arbeits- und Einkommensverhältnisse. So konkurriert die Polizei z. B. mit der freien Wirtschaft um IT-Spe-zialisten, und das mit nicht kon-kurrenzfähigen Einstellungsver-gütungen. Bei Einsteigern im Polizeivollzugsdienst zeigt sich das gleiche Bild. Und ob die Kam-pagne „Verdächtig gute Jobs“ mit herabgesetzten Einstellungsvo-raussetzungen die Anwärter bis zum Ende ihrer Ausbildung bei der Stange halten kann, wird sich erst zeigen müssen.Eines steht schon jetzt fest: Auch wenn ab 2017 die jährliche Anwärterzahl von 400 auf die er-forderlichen 550 erhöht würde, kämen die ersten zusätzlichen Polizisten frühestens 2020 in den Polizeivollzugsdienst. Zwi-schenzeitlich geht es darum, ein zusätzliches „Ausbluten“ der Po-lizei durch bessere Bezahlung, Stellenhebungen, Beförderun-gen, ein besseres Gesundheits-management sowie die Wieder-einführung der Sonderzahlungen und durch bessere Sachausstat-tung zu verhindern.

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt September 2015

Wer hilft eigentlich der Polizei?

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Seite 2Links! 09/2015 Links! im Gespräch

Freies Theater? Gern unterstützen!

Herr Wunderlich, Sie waren kürzlich in Israel. Was war das Ziel dieser Reise? Die Delegation des Ausschus-ses für Tourismus wollte Mög-lichkeiten prüfen, wie der Tou-rismus zwischen Israel und Deutschland verbessert wer-den kann und wie die aktuelle Situation in Israel sich im Hin-blick auf Tourismus gestaltet. Wir wollten schauen, was getan werden kann, um die Zahlen in der Tourismusbranche steigen zu lassen. Zu diesem Zweck ha-ben wir Ziele mit unterschiedli-chen touristischen Wünschen angesteuert – Tel Aviv, Tabgha am See Genezareth (Pilgertou-rismus), Jerusalem, Totes Meer und die Negev-Wüste. Beglei-tet wurden die Anlaufpunkte mit Gesprächen: in Tel Aviv mit dem deutschen Botschafter Clemens von Goetze, dem Präsidenten der Hotel Association Israel und der deutschen Zentrale für Tou-rismus sowie der deutschen Au-ßen- und Handelskammer und dem Mitarbeiter der dortigen RSL-Stiftung. In Tabga mit den

Brüdern des dortigen Ordens und in Jerusalem mit dem Mi-nister für Tourismus und dem Vorsitzenden des Wirtschafts-ausschusses in der Knesset. In Ostjerusalem gab es ein Treffen mit dem Präsidenten des paläs-tinensischen Tourismusverban-des Sami Abu-Dayyeh.

Was haben Sie vom Konflikt mit Palästina mitbekommen? Unmittelbar nichts, bis auf ei-ne Demonstration in der Alt-stadt von Jerusalem, bei der extrem orthodoxe Juden nach Auskunft der uns begleitenden Botschaftsmitarbeiterin die ara-bische Bevölkerung des angren-zenden Viertels provozieren wollte. Polizei und Militär hatten schon abgesperrt und wir muss-ten aus Sicherheitsgründen den Bezirk verlassen.Bei einem inoffiziellen Abste-cher auf die Golanhöhen konn-ten wir mit UN-Beobachtungs-posten Gespräche führen, bei denen wir erfuhren, dass tags zuvor Granaten eingeschla-gen waren. Dies schien jedoch

nichts Besonderes. Alle Vor-fälle im syrischen Grenzgebiet werden von den unbewaffneten Beobachtern an die UN-Haupt-quartiere weitergemeldet. Was uns in allen Gegenden ent-gegen gebracht wurde, war die Wut darüber, dass Minister Ga-briel eine lange angekündigte Israelreise abgesagt hatte, um gemeinsam mit Wirtschaftsver-tretern in den Iran zu reisen.Bei den Gesprächen in Ostjeru-salem gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen CDU und Linken zur Überlebensfähig-keit eines eigenen palästinen-sischen Staates. Dort wurden auch die Probleme der palästi-nensischen Bevölkerung und de-ren Diskriminierung durch Israel erörtert. Nach Auskunft von Sa-mi Abu-Dayyeh kommt es inzwi-schen etlichen Palästinensern nicht auf die künftige Staats-form an, sondern auf ihre eige-nen Möglichkeiten, sich diskri-minierungsfrei zu entwickeln. Und dafür bieten Israel und die palästinensischen Gebiete mei-nes Erachtens echtes Potential.

Was hat Sie am meisten beein-druckt?Das ganze Land hat mich beein-druckt, aber am meisten bewegt hat mich Yad Vashem in Jerusa-lem. Die Gedenkstätte hat einen derart mitgenommen, dass man sich wieder sagt, diese Gräuel-taten der Deutschen und ihrer Verbündeten dürfen nie in Ver-gessenheit geraten. Auch wenn unsere Generation keine Schuld trifft, haben wir und unsere Nachfahren die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich ein solches Abschlachten von Men-schen nie wiederholt.

Welchen Stellenwert haben diese Reisen für Ihre parla-mentarische Arbeit?Denke global, handle lokal. Nach dieser Prämisse sollte man die Probleme der Welt auch aus der Perspektive vor Ort kennenler-nen, Gutes nach Möglichkeit im eigenen Land umzusetzen versu-chen und die Probleme der Men-schen in anderen Ländern hier publik machen – ob es um die Betreuungsmöglichkeiten von

Kindern in Skandinavien geht oder die Situation der Sinti und Roma in Tschechien ...

Gibt es konkrete Beispiele, wo eine solche Reise ein positives Ergebnis nach sich zog?Ja, die sogenannte „Rettungsak-tion“ des parlamentarischen Pa-tenschaftsprogramms (PPP) mit den USA. Nachdem die USA die Mittel dafür um 50 % gekürzt hat-ten, haben wir uns Anfang April 2015 mit einer Delegation der In-neren Kommission zur Rettung des PPP in die USA begeben. Dort haben wir sowohl bei den beteiligten Verbänden, die auf unserer Seite standen, als auch beim State Department und bei Senatoren und Kongressabge-ordneten intensiv für den Erhalt des Programms in voller Höhe geworben. Nach einer aktuellen Mitteilung des amerikanischen Botschafters scheint die Reise von Erfolg gekrönt, das State De-partment beabsichtigt, die Mit-tel wieder in voller (alter) Höhe im Haushalt einzustellen. •Die Fragen stellte Simone Hock.

„Denke global, handle lokal“ – Jörn Wunderlich, MdB, in Israel

Lieber Norman Schaefer, Du hast eine freie Theatergruppe namens die lizenz gegründet. Kannst du uns mehr darüber erzählen?2005 erarbeitete ich während meines Studiums der Theater-wissenschaft in Berlin „Mensch-liche Anker – Eine Performance zwischen Abschiedsbriefen und Poesiealben“ für das Theater-festival 100° Berlin und hatte gleichzeitig eine Inszenierung von Sartres „Geschlossene Ge-sellschaft“ in Planung. Ich wollte meine Aktivitäten bündeln und gründete deshalb die lizenz. Im Zentrum unserer Projekte steht immer wieder das Thema Indivi-duum und Gesellschaft: Wie ab-hängig oder beeinflusst wir von der Sicht anderer Menschen sind, Strategien der Selbstbe-hauptung, die Diskrepanz zwi-schen Selbst- und Fremdwahr-nehmung – das sind Komplexe, die mich sehr interessieren.

Wie ist die freie Theaterszene in Dresden? Soweit ich die Dresdner Szene inzwischen kennengelernt habe, ist sie natürlich überschauba-rer als die in Berlin. In den letz-ten Jahren gab es hier viel Unter-stützung für die Tanzszene, wozu sicherlich vor allem die Präsenz des TanzNetzDresden beigetra-gen hat. Bei den darstellenden Künsten fehlt es, trotz einiger öffentlicher Gelder, immer noch an finanzieller Unterstützung, al-so gemessen am immensen Po-tenzial der Kreativschaffenden. Da wäre noch einiges mehr mög-lich. Aber auch Proben- und Auf-

führungsmöglichkeiten sind rar. Es gibt ja fast nur das Projekt-theater und das Theaterhaus Ru-di, die eine tolle Arbeit für freie Gruppen leisten, aber natürlich auch an ihre Grenzen geraten.

Du arbeitest als freischaffen-der Theaterpädagoge auch am Staatsschauspiel Dres-den und leitest seit 2011 jähr-lich mehrere Clubs der Bür-gerbühne, ein Angebot für alle Dresdner_innen. Seit wann gibt es die Initiative und wie sieht sie aus?Die Bürgerbühne ist 2009 unter dem damals neuen Intendanten Wilfried Schulz ins Leben geru-fen worden und war damit das erste Theater, das dieses Kon-zept der Bürgerbeteiligung als gesonderte Sparte eröffnet hat. Es gibt zum einen Inszenier- ungen, die erarbeitet werden und dann im regulären Spielbe-trieb laufen, und zum anderen Spielclubs, die eine Spielzeit lang einmal wöchentlich proben und dann mit zwei bis drei Werk-stattaufführungen enden. Das Konzept ist so erfolgreich, dass es inzwischen ähnliche Formate in anderen deutschen und euro-päischen Städten gibt.

Was ist für dich das besonde-re an der Arbeit mit Laien?Ich glaube, die absolute Stär-ke von Laien ist, dass sie sich nicht durch erlernte schauspie-lerische Methoden komplett hin-ter einer Rolle verstecken kön-nen, sondern immer auch als sie selbst erkennbar bleiben. Da-durch können sich die Zuschau-

er_innen leichter mit ihnen und ihren Figuren identifizieren. In meiner Arbeit suche ich gemein-sam mit den Spieler_innen in den Textvorlagen immer nach einem Zugang aus ihrer Erfah-

rungswelt. Einen großen Teil des Probenprozesses nehmen des-halb Gespräche ein. Wir möch-ten beantworten können, war-um wir dieses Stück nicht den „richtigen“ Schauspielern über-lassen, weshalb gerade wir uns dieses Themas annehmen. Im

Idealfall kann man diese Art der Auseinandersetzung am Ende spüren.

An welchen Projekten arbei-test du gerade?

Neben einer Arbeit für das Fes-tival Schultheater der Länder und einer Folgeperformance von drop or fly – Der Kampf um die Wahrhaftigkeitsmillion, probe ich mit die lizenz aktuell an einem Zwei-Frauen-Stück der französi-schen Autorin Emmanuelle Ma-

rie. „Weiß“ heißt es und handelt von entfremdeten Schwestern, die gemeinsam ihre Mutter pfle-gen. Es geht um das Verhältnis der beiden, aber auch um Le-benslügen, denen sie sich in An-betracht des baldigen Todes der Mutter stellen. Hier steht wieder im Raum, was andere Menschen von meinem Leben halten, ob ich ihre Erwartungen erfüllen kann und möchte. Sehr aktuell ist si-cher auch die Pflegethematik, also wie stark das Leben pfle-gender Angehöriger durch die Pflegetätigkeit beeinflusst wird. Insgesamt ein schweres The-ma, dem wir aber eine gewisse Leichtigkeit zu geben versuchen. Wir hoffen, dass wir im Novem-ber Premiere feiern können. Das ist allerdings wegen der Finan-zen nicht ganz sicher, wir stem-men bisher alles ohne Förderung oder Spenden aus privatem Bud-get. Wer eine kleine, aufstreben-de Theatergruppe unterstützen mag, kann sich also sehr gern melden. (lacht) •Die Fragen stellte Anja Eichhorn.

Norman Schaefer, 1980 in Ber-lin geboren, arbeitet seit 2011 als freischaffender Theaterpä-dagoge und Regisseur in Dres-den. Am Staatsschauspiel ist er im Rahmen der Bürgerbühne als Regieassistent und Leiter von Spielclubs tätig. Daneben arbei-tete er mit der Gruppe Theater La Lune am Projekttheater und gibt theaterpädagogische und schau-spielmethodische Workshops.

www.norman-schaefer.de www.lizenz-theater.de

Seite 3 09/2015 Links!

Auch das ist Sachsen: An zahl-reichen Orten engagieren sich zivilgesellschaftliche Initiativen in Bündnissen gegen flücht-lingsfeindliche Umtriebe und für ein gutes Miteinander von Einheimischen und Geflüchte-ten. In den nächsten Ausgaben wollen wir einige von ihnen nä-her vorstellen.Am 25.07.2013 sollte auf den Elbwiesen in Meißen eine nicht angemeldete Veranstaltung der Reichsbürgerbewegung stattfinden. Daraufhin trafen sich zum ersten Mal Bürger und Mitglieder der verschiede-nen demokratischen Parteien aus Meißen im grünen Büro von Johannes Lichdi. Schnell reifte die Idee, am Tag der angekün-digten Veranstaltung ein „Fest der Vielfalt“ stattfinden zu las-sen. Seitdem Tag existiert das Bündnis Buntes Meißen. Der Aufmarsch der Reichsbürger konnte erfolgreich verhindert werden. Das Bunte Meißen versteht sich als eine Gemein-schaft von Bürgerinnen und Bürgern, die das Grundgesetz mit seinen freiheitlich demo-kratischen und rechtsstaatli-chen Werten anerkennen, es aktiv verteidigen und die Viel-falt der hier lebenden Men-schen achten, respektieren und sich für diese einsetzen.Die Ereignisse der letzten Mo-nate rund um das Thema Asyl haben es nötig gemacht, dass sich das zuvor lose Bündnis in einen Verein gewandelt hat. Das Bündnis organisiert Ge-gendemonstrationen zu rech-ten Kundgebungen, koordi-

niert Patenschaften zwischen Deutschen und Asylsuchen-den, sammelt Spenden und betreut Flüchtlinge in Meißen. Des Weiteren finden regelmä-ßig Bündnistreffen statt, bei denen Mitglieder und weitere Bürgerinnen und Bürger über Möglichkeiten des Engage-ments diskutieren und Projek-te umsetzen. So wurden bisher ehrenamtliche Sprachkurse koordiniert, Handarbeitszirkel ins Leben gerufen und die Teil-nahme von Bürgerinnen und Bürgern sowie Asylsuchen-den bei verschiedenen Veran-staltungen und Aktionen si-

chergestellt. Derzeit laufen die Planungen für zwei Gartenpro-jekte. So sollen kurzfristig freie Gärten in Gartensparten ange-mietet werden, damit diese von Asylsuchenden bewirtschaf-tet werden können. Mittelfris-tig besteht der Plan, in Meißen einen Internationalen Garten analog zum Vorbild in Dresden einzurichten. Das Bunte Mei-ßen versteht sich als Vermitt-ler zwischen der Bürgerschaft Meißens und den asylsuchen-den Menschen für eine gelin-gende Integration.Ein wesentliches Merkmal der Arbeit ist der Versuch, die Es-

kalationsspirale selbst nicht zu verstärken. Dies erscheint umso schwieriger vor dem Hin-tergrund, dass mit der Initiati-ve Heimatschutz in Meißen der dunkelbraune Sumpf der Pegi-da-Bewegung so gut wie wö-chentlich mobilisiert. So wie es bereits beim Initialfunken der Gründung des Bunten Mei-ßens das Ziel war, ein positi-ves Bild Meißen in die Welt zu senden, versucht das Bündnis, eben nicht ausschließlich mit Gegendemos auf Nazis zu re-agieren. Es wird versucht, mit Kultur in unterschiedlichster Form die Einwohnerinnen und

Einwohner der Stadt zu einem bunten Protest gegen Unkultur zu mobilisieren – ob mit Fami-lien- und Kunstfesten oder mit öffentlichen Chorproben und Musikveranstaltungen. Es ist gelungen, auch das andere Ge-sicht der Stadt zu zeigen.Die Unterstützungsbereit-schaft in der Bevölkerung ist überwältigend. Gerade die Es-kalation in vielen Städten hat, wie auch der Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Meißen, zum Aufwachen vieler Men-schen geführt. Das Bunte Meißen hat vom Besitzer des Brandhauses in Meißen das An-gebot bekommen, die Brand-wohnung kostenfrei zu nutzen. Dort soll neben der Geschäfts-stelle des Vereins ein Doku-mentations- und Begegnungs-zentrum einziehen. Wir wollen es gemeinsam schaffen, dass dieses Haus als Mahnmal ge-gen Fremdenhass und als Zei-chen des Zusammenhalts und der Solidarität etabliert wer-den kann.All diese Unterstützung täuscht aber nicht darüber hinweg, dass das Bunte Meißen als eine Initiative von vielen in Sachsen nicht auf Dauer der Lückenbü-ßer für staatliche Versäumnis-se sein kann. Es ist wichtig, dass es zu einem Umdenken in der Politik kommt und man sich nicht in allen Bereichen auf eh-renamtliche Arbeit verlässt. Nur so wird es möglich sein, die Hilfsbereitschaft der Men-schen auf Dauer aufrechtzuer-halten. Tilo Hellmann

Die dritte Seite

Es ist fast 25 Jahre her: Der „kollektive Wirtschaftsflücht-ling DDR“ – „Armutsflüchtling“ wäre wohl etwas unangemes-sen – war durch die Währungs-reform bereits seit einigen Wo-chen am Ziel seiner Wünsche angelangt. Jetzt sollte auch der „politische Flüchtling“ integriert werden. Der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik war be-schlossen. Die Neugründung der Länder auf ihrem Territori-um war vorbereitet. Am 3. Okto-ber 1990 wurde alles unter Dach und Fach gebracht. Sachsen sollte zunächst eine Zukunft als Königreich bekommen. Am 3. Oktober wussten wir das noch nicht. Aber als dann am 14. Ok-tober gewählt und gewiss war, dass mit der absoluten Mehr-

heit der CDU im Sächsischen Landtag Kurt Biedenkopf für das Amt des Ministerpräsidenten bestimmt ist, nahmen die Din-ge ihren Lauf: „Wer mich König Kurt nennt, greift der Entwick-lung etwas voraus“. Das war die Quintessenz seiner Regie-rungserklärung. König Kurt woll-te ein Bürgerkönig sein. Mit den habgierigen Wettinern hatte er nichts im Sinn. Milde wollte er sein, auf das Wohl des Volkes bedacht, Hand in Hand mit der Gattin. So war sein Plan: Es soll-ten erst Inseln des Wohlstandes entstehen, die dann ihren Wohl-stand weitergeben, um ihn so für alle zu mehren. Er sprach von Seerosen, die auf dem glatten See zu pflanzen wären. Erst hier und da. Sie würden sich aber, wie Seerosen eben so sind, dann ausbreiten, den See im-mer mehr bedecken, ihn schö-ner machen, wiederum für alle. Rund um den See aber sollten Leuchttürme stehen, die uns in die Zukunft leuchten und zeigen, wo es lang geht zum allgemei-nen Wohlstand. Das brauchte sich vor Helmut Kohls „blühen-den Landschaften“ wahrlich

nicht zu verstecken. Doch das „Sollen“ der Poesie ist das eine, das „Sein“ der Wirklichkeit im-mer noch das andere.Die Sache ließ sich zunächst gar nicht so schlecht an. Mit dem Solidaritätszuschlag auf die Ein-kommenssteuer wollte man je-de und jeden nach ihren und

seinen Kräften am Pflanzen der Seerosen auf dem gesamtdeut-schen See beteiligen. Die Mittel für den „Aufbau-Ost“, die dar-aus resultierten, kamen freilich nur mehr Ausgewählten zugute. Den Kapitalismus im Osten oh-ne Kapital aus dem Osten auf-zubauen, war eine schwierige Sache. Fördermittel konnte nur

bekommen, wer zuvor investiert hatte. Und solche kamen nun mal meist aus dem Westen. Am Weitergeben ihres Wohlstandes waren sie wenig interessiert, an der Rendite des investierten Ka-pitals umso mehr. Arbeitsplätze mit gutem Einkommen waren so kaum entstanden. Der Billiglohn brachte mehr ein. Rentenpunkte mit geringerem Wert im Osten schonen immer noch bundes-deutsche Kassen. Das Prinzip bleibt interessant. Nur, es gilt nicht mehr, und auch König Kurt hat es bei IKEA ver-raten. Wer teilt denn heute noch oder gibt seinen Wohlstand wei-ter? Die Nettovermögen der pri-vaten Haushalte erhöhten sich in Deutschland von 2003 bis 2013 gerade mal um 500 Euro. Das ergab eine Studie des Deut-schen Instituts für Wirtschafts-forschung. Berücksichtigt man allerdings die Inflation in dieser Zeit, so hat jeder Haushalt de facto 15 % seines Nettovermö-gens verloren, was im Durch-schnitt 20.000 Euro entspricht. Im Durchschnitt! Nicht alle ha-ben so viel verloren. Zum Bei-spiel die nicht, die nicht so viel

hatten. Beneidenswert, möchte man fast sagen. Über die Vermö-gen der Superreichen ist angeb-lich nichts Genaues bekannt. Was der Volksmund aber längst weiß, der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Die Reichen werden immer reicher. Das ist nicht nur in Deutschland so, es gilt für die ganze Welt. Die Reichen der Länder des Nor-dens holen sich auf Teufel komm raus von den Armen noch das Letzte, was aus diesen heraus-zupressen geht. Jedes Mittel, jeder Verbündete kommt dafür gelegen. Den Leuten zu Hause reden sie aber ein, dass sie mit ihnen teilen und deshalb ihren bescheidenen Wohlstand si-chern. Die so „Beglückten“ spu-cken dann auf die betrogenen Armen, weil sie denken, diese wollten unberechtigte Teilha-be an ihrem kleinen Glück. Nein und nochmals nein! Alle Hilfe den Flüchtlingen vor Krieg und Armut! Mit ihnen könnten wir des Königs Seerosen weltweit zum Gedeihen bringen. Des Teu-fels Haufen aber holen wir uns als Dünger für blühende Land-schaften!

Des Königs Seerosen oder wohin der Teufel scheißt

Buntes Meißen – Bündnis für Demokratie und Zivilcourage

Seite 4Links! 09/2015 Hintergrund

Können Sie? Podemos vor den WahlenEs ähnelt eher einer begehbaren Abstellkammer mit Schaufens-ter denn einem Büro, was sich in der Calle (Straße) Zurita 21 im Madrider Stadtteil Lavapies be-findet. Es ist ein kleines Laden-lokal der spanischen Partei Po-demos („Wir können“). Zwar ist die rasant gewachsene Organi-sation mittlerweile umgezogen, aber es ist dennoch diejenige Adresse, die man nach wie vor auf den meisten Printproduk-ten und der Website der Partei findet. Doch in dem Raum fin-det auch noch lebendige Politik statt: Die lokale „Basisgruppe“ trifft sich nach wie vor hier. Der-zeit sind bei Podemos, die sich 2014 formal gegründet haben, über 370.000 Menschen einge-schrieben. Von der Euphorie der Anfangstage ist derzeit jedoch nicht mehr viel zu spüren.Denn nach einer kurzen Aufbau-phase musste Podemos recht schnell die erste Wahl bestehen – bekanntermaßen keine Stern-stunden für Basisdemokratie und Selbstverständnisdebat-ten. Beim großen Zwischentest, den Wahlen für die Parlamen-te in 13 der 17 autonomen Ge-meinschaften Spaniens am 25. Mai dieses Jahres, schnitt Po-demos zwar ziemlich gut, aber eben nicht besser als erwartet und für viele wohl auch schlech-ter als erhofft ab. Immerhin zog Podemos mit Ergebnissen zwi-schen 8 % (Kantabrien) und 18 % (Region Madrid) in alle 13 Regio-nalparlamente ein.Im Nachgang der Wahlen wur-

den in fünf autonomen Ge-meinschaften Kandidat*innen der postsozialdemokratischen PSOE mit Podemos-Stimmen als Regierungschefs gewählt (Aragón, Balearen, Kastilien – La Mancha, Valencia, Extrema-

dura), in drei Gemeinschaften hat Podemos durch Enthaltung die Wahl linker und/oder regi-onalistischer Regierungschefs ermöglicht (Asturien, Kantab-rien, Navarra). Das hat zwar ei-nerseits die politische Landkar-te Spaniens deutlich von Blau (Partido Popular, rechtskonser-

vative Volkspartei) auf Hellrot (PSOE) umgefärbt, aber könn-te gleichzeitig auch der Beginn der Entzauberung von Podemos sein.Bei den ebenfalls am 25. Mai stattfindenden Kommunalwah-

len ist Podemos nicht als eigene Formation angetreten, sondern nur im Bündnis mit zivilgesell-schaftlichen Bewegungen wie der Organisation der von Hypo-theken und Zwangsräumungen Betroffenen. In vielen größeren Städten ist es hier gelungen, die Rathäuser zu erobern, unter an-

derem in den beiden Metropo-len Madrid und Barcelona. Ende des Jahres stehen die Wahlen zum gesamtspanischen Kongress an. Der demoskopi-sche Höhenflug hat sich mittler-weile jedoch nach unten korri-

giert und die junge Partei liegt in allen Umfragen mit 15 bis 20 % hinter PP und PSOE deutlich auf Platz 3. Erschwerend kommt hinzu, dass mit den Ende Sep-tember stattfindenden Wahlen in Katalonien ein Thema auf der Tagesordnung steht, das Pode-mos zu zerreiben droht: die De-

batte um die Unabhängigkeits-bestrebungen von Katalonien. Wohl auch deshalb ist Podemos dort vom Grundprinzip abgewi-chen, keine Bündniskandida-turen einzugehen, und kandi-diert nun gemeinsam mit dem regionalen Ableger der Izquier-da Unida (Vereinigte Linke) und weiteren Parteien für das Bünd-nis „Catalunya si es pot“ (et-wa: „Katalonien, ja es ist mög-lich“). Jeden weiteren Wunsch der Izquierda Unida auf eine Bündniskandidatur für die Kon-gresswahlen hat Podemos bis-her kategorisch ausgeschlos-sen. Das liegt auch daran, dass die Parteistrateg*innen um Pa-blo Iglesias eher die klare Ver-ortung von Podemos im linken Lager als Problem sehen und sich in Vorbereitung der Wah-len von dieser Etikettierung lö-sen möchten. Im Vordergrund soll wieder stärker der Ansatz der „Transversalidad“ stehen, der darauf hinaus will, dass Po-demos sich auf der klassischen links-rechts-Achse nicht ver-orten lässt, sondern vertikal zu dieser Einteilung steht. Ob das Podemos noch mal den nöti-gen Schub für die Wahlen ge-ben kann, ist jedoch zweifel-haft. Schließlich hat sich mit Ciudadanos eine weitere neue Partei eher im Zentrum der po-litischen Achse gebildet. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht am En-de das eintritt, was derzeit bei den Spanier*innen die deutlich ungeliebteste Option ist: eine große Koalition.

Auf ein Wort, Herr SchäubleVor Jahren waren es 100.000 DM von einem Waffenhändler Schreiber, von deren Herkunft und Verbleib Sie nichts wissen wollten. Ihr Amtsvorgänger im Adenauer-Haus, Helmut Kohl, wird dieses Geheimnis wohl mit ins Grab nehmen. Das vorab – nicht ohne Grund.Was Sie angeht, so wurde im-mer offensichtlicher, dass Ihnen eine europäische Regierung, die am 25. Januar 2015 in Athen ge-wählt wurde, nicht passt. Die griechische SYRIZA darf einfach keinen Erfolg haben! Ist doch egal, ob in den vergangenen Jahrzehnten Regierungen eine so immense Schuldenlast auf-gebaut, eine so verfehlte Steu-erpolitik zugelassen oder sich mit frisierten Bilanzen den Zu-gang zum Euro erschlichen ha-ben. Ferner wurden Steuervor-teile z. B. für die Reeder noch in den Verfassungsrang erhoben. Jeglichen dieser Missstände sollte nun SYRIZA innerhalb ei-nes halben Jahres angehen, wenn nicht sogar ganz aus der Welt schaffen. Nennen Sie das fair und angemessen, Herr Schäuble? Zeigte man sich in

den vergangenen fünf Jahren auch so unnachgiebig und for-dernd, als sich Sozialdemokra-ten und Konservative am Regie-rungsruder abwechselten? In dieser Zeit wurde den Griechen eine illegitime bankengesteu-erte wie lebensfremde TROIKA aufgedrückt, die diverse Spar-pakete zusammenschnürte, ob sie der breiten Masse der Be-völkerung nun gut taten, oder nicht.In der Regel taten sie dem grie-chischen Volk nicht gut: Die Arbeitslosenrate lag 2009 bei 9,5 %, 2014 waren es 26 %. Der Anteil der Jugendarbeits-losigkeit erreichte 2008 21 % und 2013 schon 59 %. Die Kin-derarmut nahm auch erschre-ckend zu. Waren 2008 noch 23 % davon betroffen, so waren es 2012 40,5 %. Ohne jede Sozial-versicherung müssen in Grie-chenland 3.068.000 Menschen (Stand 2013) auskommen. Al-lein im 5. Sparpaket (2012) wur-den die Renten ab 1.000 Euro um weitere 5-15% gesenkt, das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahren erhöht und die Gehäl-ter im öffentlichen Dienst wur-

den um 6 bis 20 % gekürzt. Auch die Staatsverschuldung konnte mittels neoliberaler, marktradi-kaler Methoden der vorherigen griechischen Regierungen und der ominösen TROIKA nicht ab-gebaut werden. Im Gegenteil, 2008 betrug sie 263 Milliarden Euro, 2013 waren es 313 Milli-arden. Irgendwann macht das kein Volk mehr mit, abgesehen von den Deutschen vielleicht. Die Griechen wählten jedenfalls die SYRIZA, damit sie den Kurs hin zu einem wirklichen Politik-wechsel ändert. Das wäre mit echten Alternativen verbun-den, oder hat Ihnen ihre Chefin dieses Wort schon ausgeredet, Herr Schäuble? Schauen wir auf Aussagen des 250-Tage-Finanzministers Ya-nis Varoufakis, die er in einer „Debatte zur Zukunft Griechen-lands in der EU“ am 8. Juni 2015 vor der Hans-Böckler-Stiftung (DGB) vortrug. Er sprach aus, dass 91 % allen Geldes, das Europa und der IWF seinem Land liehen, an die Banken gin-gen. „Vom schuldenfinanzier-ten Wachstum kommend hat sich der Kreis zu einer schul-

denfinanzierten Sparpolitik ge-schlossen“. Um diesen Teufels-kreis zu durchbrechen, wurde SYRIZA gewählt.Und was machen Sie, Herr Schäuble? Sie errichten eine Mauer, so dass niemand aus diesem Teufelskreis ausbre-chen kann. Doch lassen wir er-neut Varoufakis zu Wort kom-men (8. Juni): Seit zwei Jahren fehle seinem Land jedes Ar-beitsrecht und Tarifsystem, al-les wurde abgeschafft. 500.000 Griechen hätten in den letzten sechs Monaten keinen Lohn er-halten. Man wollte ein moder-nes Arbeitsrecht und Tarifsys-tem erarbeiten. Dazu kommt es wohl nun nicht. Zum derzeit nicht tragfähigen Rentensys-tem fiel der TROIKA-Nachfolge-einrichtung, den Institutionen nur die Forderung ein, die Ren-ten um 40 % zu senken. Wie weit denn noch? Vielmehr schlug Va-roufakis ein „chirurgisches Vor-gehen“ vor; Vermeidung von Vorruhestand, Zusammenle-gung von Rentenkassen und damit die Vermeidung ihrer Be-triebskosten. Schließlich bat der damalige

Minister: Lassen Sie uns unse-re Hausaufgaben machen, bit-te ermöglichen Sie es uns, Re-formen durchzuführen. Wenn Sie unsere Bevölkerung weiter ins Elend treiben, wird das Land niemals reformierbar sein. Aber nein, da kamen Sie und mach-ten einen auf Oberlehrer.Anderen wollen Sie Lektionen beibringen, die Sie selbst nicht gelernt hatten; eine Politik so-zialer Gerechtigkeit und Steu-ergerechtigkeit wie auch eine nachhaltige Wirtschaftspolitik. Durch Ihr Juli-Diktat wird SYRI-ZA nun gezwungen, zu tun, was ihrem Wahlprogramm total wi-derspricht. Statt eine humani-täre Katastrophe zu verhindern, beginnt nun der Ausverkauf Griechenlands a lá Treuhand-Anstalt. Nicht zuletzt sind Sie spätestens seit dem Erpresser-Gipfel am 12. Juli, den Varouf-akis ein „fiskalisches Water-boarding“ nannte, europa- und demokratiepolitisch auf der fal-schen Spur. Auf der falschen Spur, da waren Sie auch schon, als Sie die 100.000 DM von Waf-fenhändler Schreiber annah-men. René Lindenau

ilman Loos

Seite 5 09/2015 Links!

Dietmar Bartsch erinnert an den kürzlich verstorbenen Egon Bahr

Das erste Mal traf ich Egon Bahr in der „Wendezeit“ 1989/90. Am Rande eines Moskau-Aufenthaltes be-suchte er Aspiranten aus der DDR an der Akademie für Ge-sellschaftswissenschaften. Wir begegneten dem SPD-Politiker freundlich und zurückhaltend. Einerseits imponierte uns sei-ne Aufgeschlossenheit gegen-über Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika, in die auch wir große Hoffnungen setzten. Andererseits steckte immer noch ein Stück jener Propaganda in uns, die den Kurs des „Wandels durch An-näherung“ als „Aggression auf Filzlatschen“ brandmarkte. Unsere Zukunft war wie die der meisten DDR-Bürger völlig of-fen, und in Berlin hatte keiner den Nerv, sich um ein paar Ver-sprengte in der Sowjetunion zu kümmern. Egon Bahr jedoch kam und versprach sich dafür einzusetzen, dass wir unsere Aspiranturen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung erfolgreich ab-schließen könnten. Für mich war das damals ein ziemlich absurdes Angebot.

Egon Bahr war ein Mann des klaren Wortes. Dafür war sei-ne journalistische Arbeit beim RIAS eine gute Schule. Mar-kante Formulierungen blieben zeitlebens sein Markenzei-chen, vom Kalten Krieger, als den er sich selbst charakteri-sierte, hat er sich später verab-schiedet. Die eigene Fähigkeit zur Veränderung mag ihn darin bestärkt haben, verändertes Denken und neue Einsichten bei anderen befördern zu können. Jederzeit verband er gesellschaftspolitische Stra-tegien mit dem Alltag. So war er Architekt der auf Jahrzehnte angelegten neuen Ostpolitik

und zugleich Brückenbauer, der Verbesserungen für die Menschen hier und heute auf den Weg brachte. Die „Pas-sierscheinabkommen“, die es Westberlinern nach dem Mau-erbau ermöglichten, Verwand-te im Ostteil der Stadt zu besu-chen, waren Bahrs Idee.Egon Bahr war der Mann im Hintergrund, der sich nicht zu-rückgehalten hat. Gelegentlich übte er hohe Ämter aus. Vor allem aber war er Vordenker und Verhandler, Berater und Bevollmächtigter, Dulder und Drängler – natürlich an der Sei-te Willy Brandts, aber auch in den Jahren danach, bis hinein in unsere Tage. Bahr suchte nicht das Scheinwerferlicht, er strahlte durch seinen wachen Geist. Mit seinen scharfen Ana-lysen und weitsichtigen Kon-zeptionen forderte der Freund und Feind heraus und scheute die Polarisierung nicht. Der Po-litiker und Diplomat Egon Bahr konnte, wenn es erforderlich erschien, durchaus den Mund halten. Anderen zum Munde reden konnte er nicht. Auch deshalb war er manchen der Mächtigen im Osten suspekt, im Westen „tricky Egon“ für die eher Gutwilligen und „Va-terlandsverräter“ für die Hardli-

ner. Seine eigene Meinung ließ er sich nicht nehmen. Das KPD-Verbot etwa hielt Bahr für einen kapitalen Fehler und er scheu-te sich nie, sich mit Leuten von der PDS oder der LINKEN an einen Tisch zu setzen. Auf un-sere Einladung hin haben wir in den neunziger Jahren über „Linke und Nation“ debattiert, und wiederholt saßen wir bei öffentlichen Diskussionen zu-sammen – oder gegenüber. Egon Bahr war Friedensfor-scher und Sicherheitspolitiker. Er war es mit Leidenschaft und mit kühlem Verstand. Zehn Jahre lang stand er in Ham-burg einem Institut vor, das

sich diesen Themen widmete. Abrüstung und Entspannung waren für Egon Bahr das Non-plusultra verantwortungsvoller und zukunftsfähiger Politik. In vernünftigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik

Deutschland, der Sowjetunion und Polen sowie zwischen bei-den deutschen Staaten sah er ebenso Schlüssel dafür wie in einem stabilen europäischen Sicherheitssystem. Für Gewalt-freiheit hat er buchstäblich bis zur letzten Minute gekämpft. Im Juli dieses Jahres beriet er mit Michail Gorbatschow in Moskau darüber, wie der Konflikt um die Ukraine ohne rhetorische und militärische Drohungen beigelegt, vor allem der Krieg beendet und eine Wiederannäherung zwischen Deutschland und Russland er-reicht werden können.Das letzte Mal bin ich Egon

Bahr im Oktober vergangenen Jahres begegnet. Wir waren zusammen mit Daniela Dahn, Ingo Schulze und Wolfgang Bittner Teilnehmer einer Podi-umsdiskussion, deren Thema und Ort typisch wie symbol-trächtig für den großen Poli-tiker Egon Bahr waren: Unter dem Motto „Der Ukraine-Kon-flikt – ein Krieg der öffentli-chen Meinung?“ diskutierten wir in der Peter-Sodann-Biblio-thek in Staucha. Sodann steht für ein Herangehen, das aus dem Gestern und Heute den Bogen in die Zukunft schlägt.

„Ich lasse mir meine Vergan-genheit nicht nehmen“, sagt er, der die zwischen 1945 und 1989 in der DDR erschienenen Bücher sammelt. Und der sich heute um der Zukunft willen einmischt.Egon Bahr, der 93 Jahre alt wurde, hat sich zeitlebens eingemischt. Gehört wurde er wohl auch deshalb, weil ihn nie Humor und Genussfähigkeit verließen und er stets ein un-verbesserlicher Optimist blieb. Ein Linker eben. Respekt, Ge-nosse Egon Bahr! Ruhe in Frie-den.

Geschichte

Vom Kalten Krieger zum pragmatischen Visionär

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1972: Nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Verkehrsverhandlungen über einen Vertrag zwischen der DDR und der BRD gaben die Leiter der Delegationen, die Staatssekretärs Dr. Michael Kohl und Egon Bahr (links) vor 200 in- und ausländischen Journalisten im Hause des Ministerrates der DDR Erklärungen ab.

Seite 6Links! 09/2015 Rosa-Luxemburg-Stiftung

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt

Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke

Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V.,

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor.

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Drucke-rei GmbH in Cottbus gedruckt.

Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter.

Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84389773

Redaktionschluss: 27.08.2015

Die nächste Ausgabe er-scheint am 01.10.2015.

Die Zeitung „Links!“ kann kos-tenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Er-scheinen unserer Zeitung un-terstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro.

Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:

Verein Linke Bildung und Kul-tur für Sachsen e.V.IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07BIC: GENODEF1DRSBank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank

Aboservice: www.links-sach-sen.de/abonnieren, [email protected] oder 0351-84 38 9773

TermineLeipzig, 8.9., 17 UhrStändiges Seminar zur politi-schen Kommunikation: Poli-tische Kommunikation rech-ter und rechtspopulistischer Parteien. Mit Prof. Dr. Peter Porsch und Dr. Ruth Geier.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 9.9., 20 UhrVortrag und Diskussion: Der Genozid an den Armeni-ern. Geschichte – Überliefe-rung – Forschung***. Mit El-ke Hartmann, Historikerin und Islamwisssenschaftlerin. In Kooperation mit der Buch-handlung drift.Cineding, Karl-Heine-Straße 83, 04229 Leipzig

Leipzig, 10.9., 20 UhrFilm: globaLE „Mumia Abu Ja-mal: Long Distance Revolutio-nary“***. Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unter-stützung u.a. der RLS SachsenSchaubühne Lindenfels, Karl-Heine-Straße 50, 04229 Leip-zig

Dresden, 15.9., 18 UhrJunge Rosa: Bullenwagen klau-en und Adorno zitieren – Die Linke zwischen Theorie und Praxis. Mit Boris Krumnow, politischer Bildner (Leipzig)WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 15.9., 19 UhrVortrag und Diskussion: Ge-gen das Vergessen? Über den Unfrieden in Europa und die deutsche Vergangenheit***. Mit Hans-Rüdiger Minow, Au-tor (Berlin). Eine Veranstal-tung der RLS Sachsen in Ko-operation mit dem Rothaus e. V.Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Dresden, 16.9., 19 UhrVortrag und Diskussion: TTIP stoppen! Mit MdB Caren Lay, Verbraucherpolitische Spre-cherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Eine Veranstal-tung der sächsischen Landes-gruppe der Fraktion DIE LIN-KE. im Bundestag und der RLS Sachsen.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 17.9., 18 UhrJour fixe: Andrej Platonov - La-zarus und genialer Außensei-ter der modernen russischen Literatur***. Mit Willi Beitz, Li-teraturwissenschaftler. Mode-ration: Manfred Neuhaus und Klaus Kinner. GedankenWorte von Christel Hartinger zur an-schließenden Ausstellungser-öffnung mit Bildern von Willi Beitz.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 17.9., 20 UhrFilm: globaLE „Verdrängung hat viele Gesichter“*** Eine Veranstaltung von globaLE e. V. mit Unterstützung u. a. der RLS Sachsen.UT Connewitz, Wolfgang-Hein-ze-Straße 12A, 04277 Leipzig

Chemnitz, 18.9.,18.30 UhrVortrag und Diskussion: Ar-beitsschutz und Chlorhühn-chen - Risiken und Gefahren durch TTIP. Mit Helmut Scholz, MdEP. Eine Veranstaltung des Europabüros Dr. Cornelia Ernst (MdEP) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen.Veranstaltungssaal, das Tietz, Moritzstraße 20, 09111 Chem-nitz

Leipzig, 19.9., 20 UhrFilm: globaLE „10 Milliar-den“***. Eine Veranstaltung von globaLE e. V. mit Unter-stützung u.a. der RLS Sach-sen.Probsteikirche, Nonnenmühl-gasse 2, 04107 Leipzig

Leipzig, 21.9., 18 UhrVortrag: Slowenien für Links-abbieger. Mit Ernst Kalteneg-ger.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Chemnitz, 21.9., 19 UhrInterkulturelle Woche: Deut-sche Antifaschist_innen in Barcelona (1933–1939). Die Gruppe „Deutsche Anarcho-syndikalisten im Ausland“ (DAS). m54, Alternatives Jugendzent-rum AJZ Chemnitz, Chemnitz-talstraße 54, 09114 Chemnitz

Leipzig, 22.9., 18 UhrVortrag und Diskussion, REI-

HE: Deutsche und Russen - Russen und Deutsche. Wahr-nehmungen vom 18. bis 20. Jahrhundert. Das deutsche Russlandbild im 18. Jahrhun-dert. Mit Prof. Dr. Wolfgang Geier, Leipzig.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Chemnitz, 22.9., 19 UhrInterkulturelle Woche Israel 2015 - Innergesellschaftliche Spannungslinien und Zukunfts-debatten. Mit Dr. Angelika Timm, ehem. Leiterin des Bü-ros der RLS in Tel Aviv.Soziokulturelles Zentrum quer-beet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Dresden, 23.9., 19 UhrInterkulturelle Woche Israel 2015 - Innergesellschaftliche Spannungslinien und Zukunfts-debatten. Mit Dr. Angelika Timm, ehem. Leiterin des Bü-ros der RLS in Tel Aviv. Eine ge-meinsame Veranstaltung des WIR e. V. und der RLS Sachsen.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 24.9., 18 UhrROSA- LUXEMBURG -SEMI -NAR: Luxemburg oder Stalin. Mit Prof. Dr. Klaus Kinner, His-toriker (Leipzig)RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 24.9., 18.30 UhrROSA L. IN GRÜNAU: Georg Lukacs und die Demokratisie-rung heute und morgen***. Mit PD Dr. Volker Caysa (Leip-zig)Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig

Leipzig, 24.9., 20 UhrFilm: globaLE „Verboten, Ver-folgt, Vergessen – Kalter Krieg in Deutschland“. Eine Veran-staltung von globaLE e.V. mit Unterstützung u.a. der RLS SachsennaTo, Karl-Liebknecht-Straße 46, 04275 Leipzig

Leipzig, 29.9., 18 UhrPHILOSOPHISCHE DIENS-TAGSGESELLSCHAFT: Juden-feindschaft - heute und hier. Mit Prof. Dr. Wolfgang Geier, Leipzig

RLS, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 29.-30.9., Dienstag ab 13 Uhr, Mittwoch ab 9 UhrKonferenz: 150 Jahre Organi-sation der Arbeit. Historisch-politische Konferenz***. Mit Michaela Rosenberger (Vorsit-zende der Gewerkschaft NGG); Susanne Schötz (TU Dresden); Sven Werner/Werner Wittig (Dresden); Robert Pfützner (Je-na); Philipp Kufferath (Berlin); Manfred Bobke (Bonn); Stefan Müller (Bonn); Renate Hürtgen (Berlin); Ad Knotter (Limburg); Reiner Tosstorff (Mainz); Rai-ner Fattmann (Bonn); Stefan Berger (Bochum); Iris Kloppich (Vorsitzende des DGB-Be-zirks Sachsen); Willy Buschak (Dresden) und dem Theater Eumeniden (Leipzig).Veranstaltetet vom DGB Sach-sen, der Friedrich-Ebert-Stif-tung, der Hans-Böckler-Stif-tung, der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt Leipzig (KOWA), der NGG und der RLS Sachsen. Anmeldung unter [email protected]örsaal, Paulinum (5. Etage), Universität Leipzig, Augustusplatz 10-11, 04109 Leipzig

Dresden, 30.9., 19 UhrInterkulturelle Woche: Die isla-mische Welt und Europa – so nah und doch so fremd? Mit Dr. Mazin Mosa, wissenschaft-licher Mitarbeiter am Orienta-lischen Institut der Uni Leipzig. Eine gemeinsame Veranstal-tung des WIR e. V. und der RLS Sachsen.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 30.9., 19 UhrBuchvorstellung und Diskus-sion: Nikolai Bucharin. Sta-lins tragischer Begleiter. Mit Wladislaw Hedeler, Historiker (Berlin). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperati-on mit dem Rothaus e. V.Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

*** in Kooperation mit der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung: Ge-sellschaftsanalyse und politi-sche Bildung e. V.

Ausschreibung für den Wissen-schaftspreis 20161996 konnte erstmals der Wis-senschaftspreis der Rosa-Lu-xemburg-Stiftung Sachsen vergeben werden. Er grün-det sich auf eine Stiftung des deutsch - amer ikan ischen Wirtschaftswissenschaftlers und Publizisten Günter Rei-mann aus New York.

Den Wissenschaftspreis kön-nen vornehmlich junge Wis-senschaftlerinnen und Wis-senschaftler erhalten, die in ihrer Forschungsarbeit origi-nelle Überlegungen zu gravie-renden gesellschaftlichen Pro-blemen entwickeln. Er wird an Personen verliehen, die sich selbst bewerben, von Dritten oder vom wissenschaftlichen Beirat vorgeschlagen werden.

Bewerbungsende für den Wis-senschaftspreis 2016 ist der 15. Oktober 2015.

Für eine Bewerbung senden Sie bitte ein gedrucktes und digitalisiertes Exemplar der Bewerbungsarbeit und ei-ne Kurzbiografie der vorge-schlagenen Person an die Geschäftsstelle der Rosa-Lu-xemburg-Stiftung Sachsen. Es können Studierende, Wissen-schaftlerinnen oder Wissen-schaftler aller Fachrichtungen vorgeschlagen werden oder sich selbst bewerben.

Bewerbungen an [email protected] und RLS Sach-sen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Seite 7 09/2015 Links!

Manche mögen ihn vorletztes Jahr in Leipzig oder dieses Jahr in Dresden gehört haben, Pan-kaj Mishra, den Inder, der uns die asiatische Sicht auf den Westen erklärt. Wobei man vorsichtig sein muss, schon weil man als Europäer beim Wort „Asien“ nicht zwingend an Indien denkt, sondern eher an China, Japan, die beiden Koreas. Ist es also eine eher indische Sicht – und selbst die ist bei einem Milliardenvolk wohl kaum zu entdecken –, oder doch eher eine persön-liche Sicht des Autors?Wie dem auch sei: Wir sind hier daran gewöhnt uns die Welt von Menschen wie Scholl-Latour, Jürgen Todenhöfer oder unseren Auslandskorrespon-denten erklären zu lassen – die oft sehr wenig von der Welt wissen, über die sie berich-ten. Wenn man weiß, dass in Nairobi lange Zeit eine dpa-Korrespondentin saß und über 25 Länder Afrikas berichtete, von denen sie wenigstens zehn noch nie gesehen hatte und allenfalls sieben wirklich gut kannte, dann ahnt man, dass unsere mediale Abfütterung mit „Informationen“ in den sel-tensten Fällen zu echtem Wis-sen führen.Das ist bei Pankaj Mishra an-ders. Er nimmt sich die Ge-schichte von drei zwischen Indonesien und Tunesien be-kannten Männern vor (der Asi-enbegriff ist bei ihm durchaus großzügig ausgelegt), von de-nen wir „Euros“ bestenfalls ei-nen einigermaßen kennen: den

großen Rabindranath Tagore, doch die anderen zwei, al-Din al-Afghani und Liang Quichao sagen den Nicht-Orientalisten bzw. -Sinologen eher gar nichts. Wir lernen also Unbe-kannte kennen, die ihrerseits großen Einfluss auf die Gedan-kenwelt von Mao oder Ho-Chi-Minh hatten, die uns als junge engagierte Männer begegnen. Schließlich kommt auch noch Lenin ins Spiel.Was wir heute in Notlagern oder Flüchtlingsheimen erle-ben, hat viel mit den fatalen Folgen des Kolonialismus zu tun – und Mishra erzählt uns, wie geschickt schon die Briten waren, wenn es darum ging, in ihrem Empire die Völker auszubeuten, indem man sie gegeneinander ausspielte. Das treibt auch Mishra um, wenn er davon berichtet, wie indische Sikhs in China gegen Aufstän-dische eingesetzt wurden. Auch, wie Familien in Indien am Opiumhandel verdienten, den die Briten aufzogen, um die Chinesen gefügig zu machen – diese Geschichten ziehen sich hinein bis in die Familie des Ra-bindranath Tagore. Panasianismus, Panislamis-mus, Panarabismus bis hin zum Panturkismus und Japans Traum vom Großasien mit To-kyo als Zentrum – beim Lesen wird der Europäer, der in die-sem Buch nur einen kleinen Einblick in die ihm fremden Gedankenwelten erhält, immer stärker entsetzt sein über sei-ne eigene Unwissenheit. Die Sicht des Anderen einzuneh-

men, des Japaners, des Afgha-nen, des Chinesen, des Inders – das alles muss zwangsläufig scheitern, wenn wir überhaupt nichts über das wissen, was die Menschen dort umtreibt. Wenn wir nicht wissen, was für ein Hoffnungsträger der US-Präsident Woodrow Wilson

war, den einmal in China selbst einfache Leute zitieren konn-ten, als er bei der Friedens-konferenz von Paris nach dem Ersten Weltkrieg den Völkern das Selbstbestimmungsrecht zusprach. Die westlichen Verspre-chungen und die vollkommen andere Außenpolitik haben „uns Westler“ in den Augen der Afghanen, Japaner, Chinesen,

Ägypter und Inder tief diskredi-tiert. Die Kolonialpolitik hat die Gesellschaften gespalten, und wenn heute Afghanen oder Ira-ker zum Beispiel nach Europa flüchten – sind das dann nicht zu einem guten Teil Personen, die „als Kollaborateure des We-stens“ um ihr Leben fürchten

müssen, weil sie möglicherwei-se ihre eigenen Leute bei un-seren amerikanischen Freun-den via Bundeswehr vielleicht ans Messer geliefert haben? Pankaj Mishra ist kein Linker, eher ein liberaler Intellektuel-ler, der das Scheitern des We-stens im Raum von Indonesien bis Tunesien beobachtet und uns historische Hintergründe liefert, die die Menschen heu-

te noch beeinflussen. Mishras Lektüre trägt sehr zur Ernüch-terung bei, die uns westliche Propaganda klarer erkennen lässt, als das, was sie ist. Die USA werfen immer noch welt-weit Bomben und starten To-desdrohnen, während wir in der EU anscheinend nichts Besseres zu tun haben als ih-nen bei ihren Verbrechen zu helfen. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen aus dem Westen in anderen Kulturkreisen Pro-bleme bekommen – und es spielt keine Rolle, ob sie als Urlauber, Soldat oder Mitarbei-ter eines Konzerns oder einer NGO unterwegs sind. Das Ge-sicht von Ausbeutung und Un-terdrückung hat sich lediglich gewandelt, das Problem aber ist bis heute geblieben – wir leben auf Kosten der Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner. Afrikaner und Asiaten wissen wesentlich mehr über uns als wir über sie, und politische Bil-dung muss das endlich ändern. Einen optimistischen Ausblick hat man am Ende der Lektüre auf jeden Fall – scheitert der Euro, mag der Westen schei-tern – für die Welt in toto muss das noch lange nicht schlecht sein. Ralf Richter

„Aus den Ruinen des Empires – Die Revolte gegen den We-sten und der Wiederaufstieg Asiens“ ist für 4,50 Euro bei der Bundeszentrale für Politische Bildung zu beziehen – zuzüglich Versandkosten.

Rezensionen

Gemäß eines alten Bonmots gibt es den Zustand, dass eine Person zwar berühmt, aber keineswegs bekannt ist. Ge-legentlich erstrahlt ein Name, doch nur für einen ausgewähl-ten Kreis, eine Minderheit, das Fachpublikum. Der breiten Masse sagt der Name nichts, er ist ihr unbekannt. Der 1995 verstorbene Gesellschaftsthe-oretiker und Sozialphilosoph Leo Kofler gehört zweifellos zu dieser Kategorie. Keine seiner Schriften findet sich gegenwär-tig im „Verzeichnis lieferbarer Bücher“. Und mit der Sekun-därliteratur ist es kaum besser gestellt. Gelegentlich erscheint ein durchaus lesenswerter Band, aber selbst Christoph Jünkes ebenso grundlegende wie monumentale Biografie über das „sozialistische Strand-gut“ Leo Kofler ist gegenwärtig nicht greifbar.Christoph Jünke, Motor der Leo-Kofler-Gesellschaft, ist es, der unermüdlich versucht, diesen Klassiker linkssozialistischer Theoriebildung vor dem Verges-

sen zu bewahren. Zwar hat er dafür den Wissenschaftspreis der sächsischen Rosa Luxem-burg-Stiftung erhalten, doch bewahrt es ihn selbstverständ-lich nicht vor Anfeindungen. Die bisher dreistete und – auch juristisch – langwierigste ent-stammte einem Kreis linker Re-negaten um Stefan Dornuf, der mit dem Sammelband „Nation – Klasse – Kultur“ versuchte, Kofler von rechts zu verein-nahmen. Das im Wiener Karo-linger-Verlag, einem Publikati-onsort der „Neuen“ Rechten, veröffentlichte Buch war nicht autorisiert und strotzte nur so von haltlosen Vorwürfen ge-gen die Leo-Kofler-Gesellschaft und Jünke persönlich. An ent-legenem Ort, den von ihm he-rausgegebenen „Dialektischen Untersuchungen“, schildert Dornuf die Phalanx all jener, die angeblich Kofler missbrauchen und fälschen. Die Reihe reicht von der „Jungen Welt“ über die Georg-Lukács-Gesellschaft bis zur Volkshochschule Köln. Dass Dornuf es dabei mit der Wahr-

heit nicht sonderlich genau nimmt, wird am Beispiel meiner eigenen Person deutlich. In der Reihe seiner Gegner tauche ich auf als „Dr. Volkmar Wölk (Partei ‚Die Linke‘) vom Duis-burger Institut für Sprach- und Sozialforschung“. Bis auf die Schreibweise des Namens und die Parteimitgliedschaft stimmt nichts davon. Weder besitze ich einen Doktortitel, noch kann ich für das renommierte DISS sprechen.So ist es nachvollziehbar, wenn diese hochpolitische und kei-neswegs nur akademische Auseinandersetzung in Jünkes jüngsten Band über Kofler einenicht unbeträchtliche Rolle spielt. Das in der „Theorie“-Reihe des Laika-Verlages er-schienene Buch „Leo Koflers Philosophie der Praxis“ trägt den Untertitel „Eine Einfüh-rung“, geht aber eben nicht nur auf den „Marxismus als Theorie in praktischer Absicht“ des un-tersuchten Autors ein, sondern eben auch auf die Rezeption seines Werkes. Ein weiteres Ka-

pitel ist deshalb der Rezeption Koflers durch das eher ortho-doxe Marxismus-Verständnis von Hans Heinz Holz und Werner Seppmann gewidmet.Jünke bezeichnet Kofler als „Grenzgänger des 20. Jahr-hunderts“ und macht dabei mehrere Grenzgänge aus: Zu-nächst den vom Judentum zur Arbeiterbewegung, dann den vom Sozialdemokraten zum Linkssozialisten, drittens den von der Theorie zur Praxis, den doppelten von West nach Ost und danach in umgekehrter Richtung, nicht zuletzt den von der ersten zur zweiten Genera-tion der Neuen Linken. Manch-mal muss man sich eben stän-dig verändern, wenn man sich selbst treu bleiben will. Massen-kompatibel machte ihn all dies nicht. Das war auch nicht die Absicht. Wenn er ausgerechnet zur Zeit der Studierendenrevol-te 1968 und danach als Kritiker der Frankfurter Schule auftrat, sich den aufkommenden lin-ken theoretischen Modeströ-mungen verweigerte, musste

dies notgedrungen zu dem von Jünke vorgetragenen Fazit füh-ren: „Kofler blieb also ein Ein-zelgänger, ein Sonderling und wirkte nicht schulenbildend“.Es ist das Verdienst der vorlie-genden Einführung, dass Jünke mit ihr trotzdem Lust auf die Lektüre Koflers im Original und die Auseinandersetzung mit sei-nen Schriften weckt. An dieser Stelle sei nur auf die fundierte Stalinismus-Kritik hingewiesen. Bekanntermaßen werden die großen theoretischen Leistun-gen in der Regel nicht von und durch die Großorganisationen erarbeitet; sie kommen eher von deren Rändern, in Ausei-nandersetzung mit der gerade gültigen „Massenlinie“. Kein Zweifel: diese ist auch heute unverzichtbar. Helfen kann da-bei ein gründlicher Blick in Kof-lers Werk. Volkmar Wölk

Christoph Jünke: Leo Koflers Philosophie der Praxis. Eine Ein-führung. Hamburg: Laika, 2015, 225 S., 18.90€

Über einen „unverstümmelten, lebendigen Marxismus“

„Aus den Ruinen des Empires“ von Pankaj Mishra

Dankesrede zur Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2014.Bild: Amrei-Marie / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Seite 8Links! 09/2015

Geprägt vom Folk-Revival der frühen Sechziger begann Wal-ter Mossmann schon sehr früh, eigene Songs zu schreiben. Und weil der damals zweiundzwan-zigjährige Barde sich oft im be-nachbarten Frankreich herum-trieb, lag es nahe, sich mit den Liedern dieser Region zu befas-sen. Besonders die Chansons von Boris Vian, Yves Montand und ganz besonders George Brassens hatten ihn buchstäb-lich infiziert. Seine ersten Auf-tritte absolvierte er spontan in Kneipen und kleineren Clubs, bis es ihn 1965 auf die „Lieder-macherhochburg“ Waldeck im Hunsrück verschlug. Dort stieß er auf eine hoch motivierte, dis-kussionsfreudige Interessenge-meinschaft, die ihn ermutigte, sich alsbald gänzlich der Lieder-macherei zu widmen. Bereits ein Jahr später, beim 3. Festival „Chanson, Folklore Internatio-nal“, wurde er als „Geheimtipp“ angekündigt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreib ein Journalist: „Die Entdeckung die-ses Festivals ist Walter Moss-mann“.Auch folgten Lobeshymnen in anderen Medien, die ihn neben Dieter Süverkrüp, Wolf Bier-mann und Franz-Josef Degen-hardt als einen der wichtigsten

Vertreter der deutschen Lieder-macherszene bezeichneten. Ein erster Plattenvertrag kam eben-so zustande wie das Angebot für einen Auftritt zum 2. Folkfesti-val im italienischen Turin, wo er das linksorientierte Ensemble „Nuovo Canzioniere Italiano“ so-wie den schottischen Folksän-ger Ewan MacColl kennenlernte. Letzterer bewies anhand seiner bearbeiteten Volkslieder, dass man den Staub von „Es war ein-mal“ wegblasen kann, indem man sie in schlichter Vortragsart interpretiert und, falls nötig, mit aktuellen politischen Themen verbindet. 1967 erschien Moss-manns erstes Album, „Achter-bahnfahrt“, das sich noch in klassischer Liedermachertra-dition präsentierte. Es beinhal-tet kleine Alltagsepisoden der Nachkriegs-BRD, vielschich-tig, transparent, gesellschafts-kritisch und überzeugend vor-getragen. Das „Schlaflied für Susanna“ sollte sich später als „Lagerfeuerhymne“ etablieren. Seit Anfang der siebziger Jahre befasste er sich stärker mit po-litisch brisanten Themen, nicht nur als Sänger, sondern auch als provozierender Akteur bei wich-tigen Aktivitäten, z. B. 1973 in der französischen Provence, wo sich Bauern, Tierzüchter, Pazi-

fisten und Umweltaktivisten zu-sammentaten, um den Bau ei-nes militärischen Testgeländes zu verhindern. 1974 war er Mit-begründer der Freiburger Initia-tivgruppe „KKW Nein!“ und bei der Protestaktion gegen das Atomkraftwerk Whyl am Kaiser-stuhl dabei. In dieser Zeit ver-fasste er eines der ersten seiner später so legendären „Flugblatt-lieder“, den „KKW-Nein-Rag“. Im selben Jahr, nach einer Platz-besetzung in Marckolsheim, entstand der vierzehnstrophige Protestsong „Die andre Wacht am Rhein“ („Auf welcher Seite stehst Du, he, hier wird ein Platz besetzt, hier schützen wir uns vor dem Dreck, nicht morgen, sondern jetzt!“). 1975 erschie-nen die LP „Flugblattlieder“ und 1977 „Neue Flugblattlieder“ bei „Trikont“. Bis weit in die Achtzi-ger hinein engagierte er bereits bundesweit unter dem Mot-to „Widerstand auf allen Ebe-nen“. Im Oktober 1979 hielt er in Bonn vor 150.000 Demons-tranten eine Rede: „Entweder wir bringend das ganze Atom-programm zu Fall, oder wir lau-fen dem Atomtod in die Falle“. Es war aber nicht nur die Atom-mafia, gegen die er sang und agierte. Auch Themen wie die Frauenbewegung, die Auseinan-

dersetzung um Abtreibungsge-setze, Gedankenfreiheit, Berufs-verbote in den Achtzigern und andere politische Ungereimthei-ten hat er in seinen Texten meis-terhaft verarbeitet.Am 18. Februar 1982 verlieh man ihm im Mainzer Unterhaus den Deutschen Kleinkunst-preis. Zur Begründung hieß es von der Jury: Er erhalte die Aus-zeichnung, „weil er sich kompro-misslos und überzeugend mit politischen Liedern in gesell-schaftliche Auseinandersetzun-gen einmischt“. Die Veranstal-tung wurde aufgezeichnet, doch das „Lied für meine radikalen Freunde“, das von mutigen Men-schen erzählt, die aufgrund ihrer humanitären Handlungsweisen von der Justiz radikalisiert wur-den, kam nicht durch die Zensur. So wurden auch folgende Ver-se nicht ausgestrahlt: „Ich hab euch dieses Lied erzählt / weil sowas leicht auf’n Abfall fällt / was da so klein scheint und nor-mal / das ist radikal“. Der Ti-tel erschien auf Mossmanns LP „Frühlingsanfang“, die 1979 ebenfalls bei Trikont herauskam und als sein Meisterwerk be-zeichnet wird. Nach einem Solidaritätskonzert 1980 für Rudi Dutschkes Fami-lie, an dem auch Hanns-Die-

ter Hüsch, Wolf Biermann und Dieter Hildebrandt mitwirkten, schrieb Joe Bauer in den Stutt-garter Nachrichten: „Mossmann – für mich der beste Handwer-ker seines Genres. Man hört ihn selten, Rundfunk und Fern-sehen lassen ihn einfach weg. […] Und Mossmann wurde als Schlusssänger von Tausenden gefeiert. […] Er macht in seinen Liedern das, was man im Journa-lismus Reportagen nennt“. In den Achtzigern begann ei-ne fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Avantgardekomponis-ten Heiner Goebbels. Sie kreier-ten die Toncollage „Unruhiges Requiem“, das die Ermordnung eines Freundes durch US-ame-rikanische Söldner 1983 in Ni-caragua thematisiert. Seit Mitte der 1990er blieb ihm das Sin-gen allerdings versagt, weil der Kehlkopfkrebs ihn seiner Stim-me beraubte. 2004 erhielt Wal-ter Mossmann den Weltmusik-preis „Ehren-RUTH“, der ihm im Rahmen des TFF in Rudolstadt überreicht wurde. Bis zu seinem Tod am 29. Mai 2015 blieb er ein musikalischer sowie politischer Rebell, der nicht nur als Lieder-macher von sich reden machte, sondern auch Filme produzierte und Bücher schrieb.Jens-Paul Wollenberg

Litomerice ist eine kleine Stadt mit vielen Türmen an der El-be zwischen Prag und Dres-den. Ca. 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren in die-sem Jahr aus 14 Ländern zur diesjährigen Europäischen Lin-ken Sommeruni in der böhmi-schen Kleinstadt angereist. Als Hauptorganisatoren der fünftä-gigen Veranstaltung vom 8. bis 12. Juli fungierte neben der EL (Europäische Linke) das euro-päische Netzwerk für alterna-tives Denken und politischen Dialog transform! in Wien. Letz-teres hatte ein Papier ausgelegt „Transformation of the Czech Repbulic“.Während die tschechische Transformationsgeschichte in Europa als Erfolg gesehen wird – das Land hat eine hohe Produktivität, eine niedrige Ar-beitslosenquote, kaum Inflati-on und Auslandsschulden – gibt es doch starke regionale Unter-schiede, wie Ilona Svihlikova, Autorin des Transformations-papiers und Ökonomieprofes-sorin, in einem Vortrag gemein-sam mit Politikern der Region Usti darlegte. Die Region Usti, zu der Litomerice gehört, war bis zum Beginn der 90er Jahre geprägt von starker Kohleför-derung. Inzwischen sind viele Betriebe geschlossen, und die Arbeitslosigkeit ist mit zehn Prozent für tschechische Ver-hältnisse hoch. Das führte da-

zu, dass im Kreis Usti mit sei-nen 800.000 Einwohnern seit 2012 die Kommunistische Par-tei Böhmens und Mährens stärkste politische Kraft wurde. Damit ist der Kreis Usti die ein-zige der 15 Regionen Tschechi-ens, die eine Rot-Rote-Regie-rung hat – doch die Probleme sind groß. Fast alle Unterneh-mensneugründungen (Star-tups) in der Region befinden sich in ausländischer Hand und schaffen zu wenige Jobs.Internationale Themen, die auf der Sommeruni besprochen wurden, waren die Erfolge der Rechten (insbesondere in Un-garn), die Situation in Griechen-land und Venezuela bis hin zu Militarisierung, Klimawandel und Migration, wobei das Ni-veau der Veranstaltungen als durchwachsen bezeichnet wer-den kann. „Ich habe wenig Neu-es gehört“, war eines der oft ge-hörten Fazits. So spiegelt auch der zum Abschluss verabschie-dete wachsweiche „Appell aus Litomerice“ die Uneinigkeit der zersplitterten europäischen Linken wieder – weder zum Grexit, dem Euro noch zur Mi-gration gibt es einheitliche Po-sitionen. So blieb letztlich nur die Pauschalkritik am Neolibe-ralismus, der verantwortlich sei für die aktuellen Krisen von der Ukraine bis Griechenland. Wichtiger als die Sommeruni-veranstaltungen mit dem recht

geringen Niveau (nur zwei Pro-fessoren hielten Vorträge – beim Thema Migration gab es überhaupt keinen sachlich-wis-senschaftlichen Input) waren für die meisten dann am Ende die persönlichen Kontakte. Wie weit der Weg ist zu echten inter-nationalen Kooperationen bei so viel linker nationaler Zersplit-

terung, machte gegen Ende der Sommeruni ausgerechnet ein Brandenburger deutlich: Peter Schömmel berichtete von den Bemühungen seit 20 Jahren, ein regionales linkes Netzwerk von unten aufzubauen, dass sich von Brandenburg über Sach-sen nach Böhmen und Polen er-streckt. Doch selbst die partei-

nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung hat bislang das aus den Kreis-verbänden der PDS in Branden-burg hervorgegangene Netz-werk nicht anerkannt: „Wir werden als Einzelvertreter, aber niemals als Netzwerk zu Veran-staltungen eingeladen“. Warum das so ist, ahnt man, wenn man die Aussage es tschechischen Partners und Sprechers des regionalen Netz-werkes Jaromir Kohlicek hörte: Er erklärte, dass er zur Veran-staltung fast zu spät gekommen sei, weil er zuvor noch ein Ehe-maligentreffen der tschechi-schen Grenzsoldaten besucht habe … Auch wenn die rls das inter-nationale Netzwerk weiter-hin nicht anerkennen wird: Bei der Vorstellung erhob sich ein Vertreter der Ungarischen Ar-beiterpartei, erzählte von den Verbindungen zwischen ungari-schen und slowakischen Linken und bekundete sein Interesse, künftig mit dem deutsch-tsche-chisch-polnischen Netzwerk zu kooperieren. Im Herbst soll es ein Treffen linker Bürgermeis-ter in Prag geben. Leider, so Pe-ter Schömmel vom Ständigen Forum der Europäischen Lin-ken, ist die Mehrzahl der linken Bürgermeister in Deutschland an einem internationalen Aus-tausch bis jetzt nicht interes-siert. Ralf Richter

Die letzte Seite

Sommeruni der europäischen Linken in Böhmen

Musikalischer Rebell und Anarchist

09/2015 Sachsens Linke! Seite 1

Wir begleiten weiter die Strategiedebatte – doch längst nicht nur das: Der soziale Woh-nungsbau und Miss-stände beim Versand-großhändler Amazon sind nur zwei der weite-ren wichtigen Themen.

Cornelia Ernst zeichnet ein zu Recht düsteres

Bild vom Zustand der europäischen Integrati-on, während Katja Kip-ping Beeindruckendes zum Bildungs- und Teil-habepaket der Bundes-

regierung präsentiert.

Auch das Linksjugend-leben spielt eine Rol-le, und leider auch das Thema Parteifinanzen.

Aktuelle Infos stets auch unter

www.dielinke-sachsen.de

Sachsens Linke

September 2015

Gemeinsame Antwort finden

Ein Jahr ist seit der letzten Land-tagswahl vergangen. Ein Jahr? Nur ein Jahr? Ja, tatsächlich. Es mutet anders an: Die Zeiten ha-ben sich geändert. Die Wirklich-keit, die wir im August 2014 vor-fanden, erscheint als entfernte Vergangenheit. Seit einem Jahr beschäftigen uns ganz andere Fragen: Flucht, Asyl, Rassismus, erstarkender Rechtspopulismus, Menschenhass. Bald wird der 12. Landespartei-tag zusammentreten und über unsere Strategie für die kom-menden Jahre beraten. Das ist gut. Der Freistaat, wie wir ihn bis vor kurzem noch kannten, exis-tiert nicht mehr. Die schöne hei-le Welt der CDU ist kollabiert. Nicht nur rassistische Übergrif-fe und Fremdenhass sind Grund dafür. Auch die offenkundige Ka-pitulation des Rechtsstaates vor der Gewalt und dem Hass auf der Straße zeugen davon. Drei Versammlungsverbote hat der Freistaat in den letzten Mo-naten erlebt. Drei Mal hat man die Ultima Ratio genutzt, weil man strukturell nicht mehr fähig war, der Lage Herr zu werden. Es beruhigt wenig, dass das Bundesverfassungsgericht das letzte Versammlungsverbot für Heidenau kassiert hat. Kann es wieder passieren? Ja. Natürlich. Die drängenden Probleme des Freistaates werden in dieser Zeit offenkundig. Staatliches Versagen ist unbestreitbar. Un-sere schlimmsten Befürchtun-gen sind wahr geworden. Der Freistaat in seiner Infrastruktur erodiert. Sachsens Demokratie ist schwer krank. Darauf müs-sen wir nun eine schlagkräftige, gemeinsame Antwort finden. Packen wir es an!

Gerd Eiltzer ist ein umtriebiger Chronist des Zeitgeschehens. Wo auch immer etwas in Leip-zig geschieht, er ist dabei. Mit seiner Kamera dokumentiert der 59-Jährige Demonstratio-nen, Veranstaltungen, Feste, aber auch Kurioses, Absurdes, Schönes. Leipzig kennt Gerd inzwischen vor allem durch den Sucher seiner Kamera. Und in Leipzig kennt man ihn. Im August – die Negativschlag-zeilen über Anschläge auf und Demonstrationen gegen Asy-lunterkünfte näherten sich ih-rem traurigen Höhepunkt – packte es Gerd wieder einmal. Es treibt ihn um. Auf Facebook schrieb er: „Es gibt gegenwär-tig 194 Länder auf der Erde. In 193 Ländern bin ich Auslän-der“. Und weiter: „Bin ich nun auch Ausländer? Ich bin ein-fach ein Mensch, wie viele an-dere Menschen, egal woher sie kommen“. Auf Facebook hatte er auch von einer Aktion im Bistum Es-sen gelesen: Menschen sollten Bilder von sich schicken, die Finger vor sich zum W geformt. Ein symbolisches Willkommen für die Geflüchteten, die zu uns kommen. Ein kleines Zeichen des anderen Teils dieser Ge-

sellschaft, der fassungslos und wütend auf die Übergriffe auf Asylsuchende schaut. Gerd fackelte nicht lange. Die Kamera ist sein Instrument, mit ihr wollte er seinen klei-nen Beitrag leisten für ande-res Bild von Leipzig, von Sach-sen. Er ging los und fragte die Menschen, ob sie sich vorstel-len könnten, für ihn zu posie-ren. Einhundert wollte er im August fotografieren, das war sein Ziel. Und die Menschen? Sie wollten posieren. Er foto-grafierte auf der Straße, vor der Spendensammelstelle der Johanniter, auch in den Stadt-ratsfraktionen in Leipzig. Ganz normale BürgerInnen, bekann-te Persönlichkeiten, Politike-rInnen: Fast jeder, den er traf, machte spontan mit. Ein sym-bolisches W, ein Zeichen des Willkommens. Auch in den sozialen Netz-werken warb er für seine Idee, und so erhielt er bald aus allen Ecken der Republik Fotos zuge-schickt, auf denen Menschen den immer gleichen Buchsta-ben mit ihren Fingern formten. Auf der Straße grüßt man ihn inzwischen mit dem W, das Zei-chen verbreitet sich. „Das W spricht sich rum!“, meint Gerd.

„Selbst in einer Sitzblockade bei No-Legida-Protesten wur-de mir das W gezeigt“. Über 400 Bilder hat er inzwischen beisammen. Und es werden immer mehr. Gerd Eiltzers Aktion ist eine symbolische, eine, die doku-mentiert, dass es auch ein an-deres Sachsen gibt. Über viele Monate ist nun in der Medien-landschaft – auch in dieser Zei-tung – von der hässlichen Seite der sächsischen Gesellschaft zu lesen gewesen. Doch gera-de auch unsere GenossInnen sind es – mit vielen anderen Menschen im Freistaat –, die das andere Gesicht Sachsens zeigen: Das Freundliche. Das, das willkommen heißt. Das selbstlos hilft, wenn die Not groß ist. Unsere GenossInnen enga-gieren sich vielfach vor Ort. In Willkommensinitiativen sind sie fester Bestandteil. Sie orga-nisieren Feste für Geflüchtete, sammeln Spenden. Sie stehen mit Rat und Tat beiseite. Und sie sind es auch, die Gesicht und Widerstand zeigen, wenn die hässliche Fratze wieder auf den Straßen aufblitzt. Ganz ohne Anleitung, von selbst, aus der sozialistischen Tradi-

tion und aus tiefster Überzeu-gung heraus gehen sie dahin, wo es brennt. Manchmal leider im wahrsten Sinne des Wor-tes. Und sie gehen dabei an die Grenzen des Menschenmögli-chen. Es ist – nach der Berichter-stattung über die negativen Seiten des Freistaates – auch an der Zeit, genau diesen Ge-nossInnen „Danke“ zu sagen. Ihr macht den Unterschied. Und das ist es, wofür DIE LIN-KE stehen sollte. Wir dürfen nicht nachlassen: Wir müssen weiter präsent sein. Auch oh-ne Anweisungen „von oben“. Die letzten Monate haben ein-drucksvoll gezeigt, dass das in der LINKEN in Sachsen mög-lich ist. Aufrichtigsten Dank dafür. Gerd Eiltzers W-Aktion geht übrigens weiter. Als nächstes hat er sich zum Ziel gesetzt, ein Plakat aus den Fotos zu gestal-ten. Dafür sammelt er weitere Bilder aus allen Teilen Sach-sens. Wenn ihr mitmachen wollt, schickt ihm doch einfach ein Foto von euch – am Bes-ten im Querformat an unsere Mailadresse [email protected]. Wir geben es an Gerd weiter. Thomas Dudzak

Ein W für „Willkommen“

Sachsens Linke! 09/2015 Seite 2

Meinungen

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wie-der. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kür-zungen vor. Termine der Redakti-onssitzungen bitte erfragen.

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Drucke-rei GmbH in Cottbus gedruckt.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias.

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Kontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720Redaktionsschluss 27.08.2015

Die nächste Ausgabe er-scheint voraussichtlich am 01.10.2015.

Zu „Revolutionen im Zeugen-stand“ (Links! 07-08/2015)Revolutionen können entste-hen, wenn politische Systeme instabil werden, nach der klassi-schen Revolutionstheorie: „Die Beherrschten wollen nicht mehr so weitermachen wie bisher, die Herrschenden können nicht mehr.“ So können schnell Ver-änderungen erreicht werden, die jahrzehntelang unmöglich schienen. Insofern sind Revo-lutionen tatsächlich Lokomo-tiven der Geschichte. Das ge-genwärtige System ist relativ stabil, aber zerstörerisch für die menschliche Gesellschaft und die Natur. Es ist also mit einem auf einen Abgrund zurasenden Zug vergleichbar. Insofern kön-nen Revolutionen gleichzeitig eine Notbremse sein. Aber die Veränderungen in einem insta-bilen System sind nicht vorher-bestimmt. Sie können auch kon-terrevolutionär sein oder die Gesellschaft insgesamt zerstö-ren (z. B. Bürgerkriege). Deshalb ist Vorbereitung notwendig, da-mit im Falle von Instabilitäten die Entwicklungen in eine für die Bevölkerung günstige Richtung gehen und nicht nur neue Herr-schende ihre Ziele durchsetzen. Dazu ist es wichtig, einerseits schon gegenwärtig Keimzellen einer nachkapitalistischen Ge-sellschaft aufzubauen, anderer-seits uns klar zu werden, in wel-che Richtung wir gehen wollen, und genügend Personen dafür zu begeistern. Die vom Wes-ten unterstützen Umstürze in den Ländern, die sich dem Wes-ten nicht unterwerfen wollen, zeigen: 1. Die im Westen Herr-schenden wissen dies und han-deln entsprechend. 2. Wir müs-sen entsprechend vorbereitet sein, um dem etwas entgegen-setzen zu können. 3. Sie können sehr gut oppositionelle Syste-me zerstören, ohne demokra-tische oder wenigstens stabi-le Systeme aufzubauen. 4. Das Wort Revolution hat in der dor-tigen Bevölkerung einen so gu-ten Klang, dass sie ihre Umstür-ze Revolutionen nennt.Uwe Schnabel, Coswig

Zu „Links wirkt: Steinmeier in Kuba“ (Links! 07-08/2015)Ich kann verstehen, dass Mi-chael Leutert sehr zufrieden ist, wenn seine Aktivitäten die von ihm gewünschten Folgen haben.

Aber selbst in den Mainstre-ammedien wurde betont, dass Herr Steinmeier nur der erste bundesdeutsche Außenminis-ter in Kuba ist, während die DDR sehr gute Beziehungen zu Kuba pflegte. Bei den Menschenrech-ten könnten auch die massiven Menschenrechtsverletzungen in der und durch die BRD ange-sprochen werden, nicht nur im sozialen Bereich, sondern auch im juristischen Bereich (z. B. Gleichbehandlungsgrundsatz, Rückwirkungsverbot), bei der realen Gleichstellung von Frau und Mann, beim Recht auf Le-ben (z. B. Wirtschaftspolitik, Bundeswehreinsätze, Flücht-lingsbekämpfung) oder bei der Meinungs- und Demonstrati-onsfreiheit (z. B. Proteste ge-gen Nazis und die EZB). Das Bei-spiel DDR zeigt auch, dass die Öffnung zum Kapitalismus tat-sächlich selbst bei besten Ab-sichten mit Gefahren verbun-den ist. Deshalb ist sicher ein Erfahrungsaustausch darüber sinnvoll, wie diese Bedrohun-gen bekämpft werden können und stattdessen ein nichtkapi-talistisches Wirtschafts- und politisches System gemein-sam errichtet werden kann (z. B. Kombination aus ALBA und entsprechenden Initiativen bei uns). Rita Kring, Dresden

Wie weiter? (Dietmar Bartsch: „Wir sind regierungsfähig ...“)Schon wieder eine substanz-lose Spitzenmeldung im Som-merloch. Hat die LINKE nichts weiter zu tun, als sich der SPD und den Grünen an den Hals zu werfen? Auf die wiederholte Anbiederung kam bisher, wenn überhaupt, nur ein schwach ver-ständliches Echo. Nur wenn es sein muss und dann mit dem Diktat, die DDR war ein Un-rechtsstaat. Dass es für Rot-Rosa-Grün bundesweit keine Mehrheit gibt, wird selbst von Dietmar Bartsch im Beitrag ein-geräumt. Aber ganz ernsthaft, was will eine LINKE als Juniorpartner im einem Regierungsbündnis? Ein bisschen die Verhältnisse verbessern, ohne substanziell die soziale Lage für die Mehr-heit der Bürgerinnen und Bür-ger ändern zu können. Dies will der politische Gegner auch und der, das glaubt die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler, kann

das ganz gut. Denn er besitzt die dafür notwendigen politi-schen, ökonomischen und auch personellen Ressourcen. Wir erleben doch gerade Lehr-stunden in Sachen einer linken Regierung, in Griechenland. Das internationale Finanzkapital diktiert SYRITZA die Bedingun-gen, was nach und nach zur Auf-gabe linker Wahlversprechen führt. Am Ende stehen eine un-glaubwürdige linke Regierung und Partei. Dies ist leider bered-ter Ausdruck dafür, dass die Lin-ke weder einen theoretischen noch praktischen Vorlauf für ei-ne ehrliche und glaubhafte Poli-tik in Regierungsverantwortung hat. Die bisherigen Beteiligun-gen auf Landesebene beweisen dies, von Thüringen abgesehen, doch überdeutlich. Die Stim-men- und Mitgliederverluste sind unübersehbar. Es reduziert sich bisher auf: Man will. Und dann? Die LINKE-Fraktion im Bundestag war sich hinsichtlich der Sparpakete für Griechen-land uneins und hat sich damit öffentlich vorgeführt. So ent-steht kein Vertrauen, auch nicht in den eigenen Reihen.Die Ablehnung der Sparmaß-nahmen durch die Griechen mit über 60 Prozent haben einen Freudentaumel ausgelöst, an-sonsten die Gläubiger nur dar-in bestärkt, die Daumenschrau-ben richtig fest anzuziehen. Die Euphorie ist verflogen, ei-gene Leute hat man geschasst und den erpressten Spar- so-wie Privatisierungsmaßnahmen mit Hilfe der Opposition zuge-stimmt. Ist das linke Politik? Es ist Ausdruck der Plan- und Hilf-losigkeit, auch wenn Tsipras und seine Mitstreiter das Bes-te gewollt haben. Was nun, und welche Lehren zieht DIE LINKE in der Bundesrepublik daraus? Wir sind regierungsfähig ...Raimon Brete, Chemnitz

„Alles Bedeutende ist unbe-quem“ (Goethe)An den Randgruppen der Ge-sellschaft merke ich erst, wie eine Gesellschaft tickt. Sie sind die „Symptomträger“ eines Sys-tems. Ich weiß nicht, welches pädagogische Konzept eine Ki-ta oder Schule wirklich reali-siert. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, Bittsteller bei ARGE oder jobcenter zu sein. Ich weiß nicht, wie es ist, als Ausländer in Pegidazeiten in Sachsen, ins-besondere Dresden, zu leben. Ich weiß nicht, wie es ist, stän-dig überlegen zu müssen, ob ich als Rollstuhlfahrer den Zug neh-

men kann oder ob er nicht bar-rierefrei ist. Wirkliche Auskunft darüber, was wie funktioniert, erhalte ich erst, wenn ich „be-troffen“ bin – was nicht heißen soll, dass man beispielsweise blind sein muss oder Ausländer, um sagen zu können, was not-wendig ist. Mensch kann die Be-troffenen ins Boot holen, ernst-nehmen und fragen, was wie geht. Dazu muss ich sie sehen und wahrnehmen, ihnen zuhö-ren und darauf eingehen, indem es beispielsweise barrierefreie Wahlkreisbüros und Veranstal-tungsräume, Papiere in leichter Sprache etc. gibt, die auch aus-ländische Mitmenschen eher verstehen. Oder auch Gebär-densprachdolmetscher bei Ver-anstaltungen und Infos in Brail-leschrift und Audiomitschnitte von Ideen, Konzepten und Ver-anstaltungen. Auf diese Weise könnten sich alle mit unseren linken Ideen auseinanderset-zen. Die „Symptomträger“ zei-gen uns, welche Richtung in der Gesellschaft gerade eingeschla-gen wird. Sie halten uns den Spiegel vor. Hier kann ich Antje Feiks und Thomas Dudzak in ih-ren Ausführungen zur Strategie-debatte zustimmen, nämlich im-mer öfter dorthin zu gehen, wo es wehtut. Ja, dies ist nicht sel-ten unbequem. Häufig hört man dann das berühmte „Ja, aber ...“. Doch vielleicht hilft die Frage: Was bringt uns weiter – der lieb gewordene Pfad, der schon im-mer begangen wurde und schon deshalb gut ist, oder ...? Wir als LAG sagen: Nein, es braucht neue Pfade, und wir wünschen uns eine Partei, die den Mut hat, diese mit uns gemeinsam zu be-schreiten. Susann Schöniger, LAG selbst-bestimmte Behindertenpolitik

Schwarze Nacht für EuropaEs ist gerade ein halbes Jahr her, dass die neue griechische Re-gierung zwei ehrgeizigen Ver-sprechen gestartet ist. Das in schwere Fahrwasser gerate-ne Land sollte in der Eurozo-ne gehalten werden und, in der Durchsetzung noch ungleich schwerer, das Diktat der „Troi-ka“, ihre Austeritätspolitik und die daraus resultierende Ver-elendung der Bevölkerung so-wie der Niedergang der Wirt-schaft, sollten endlich ein Ende finden. Für diese Herkulesauf-gabe brauchte sie Unterstüt-zung aus anderen europäischen Regierungen und durch eine breite europäische Solidaritäts-bewegung. Beides ist nicht aus-

reichend zustande gekommen.Die griechische Regierung ist gegenwärtig der einzige macht-politische Aktivposten der Eu-ropäischen Linken. Ich begrüße sehr, dass es ihr zumindest ge-lungen ist, die deutschen Pläne für ein Grexit zu durchkreuzen und sich begrenzte Chancen für politische Korrekturen zu er-halten. Dazu zähle ich den vom IWF geforderten Schuldener-lass, die zwischen IWF, der deut-schen und der griechischen Re-gierung strittige Ausgestaltung eines Treuhandfonds zur Priva-tisierung griechischen Staats-vermögens sowie die von der EU-Kommission unterstützte Möglichkeit, reale Mittel für In-vestitionen in die Wirtschaft zu erhalten.Gemeinsam mit sechs weiteren Mitgliedern meiner Fraktion ha-be ich bei der Sondersitzung im Bundestag am 19. Juli zum soge-nannten dritten „Hilfspaket“ für Griechenland nicht gemeinsam mit meiner Fraktion mit Nein gestimmt, sondern mit Enthal-tung. Dem Antrag der Bundes-regierung konnte ich nicht zu-stimmen, weil er das Ergebnis einer Erpressung der griechi-schen Regierung ist, der man mit einem Grexit gedroht hat, der für das griechische Volk ein Desaster gewesen wäre. Diese Nacht im Juli in Brüssel war ei-ne schwarze Nacht für Europa, an die wir noch lange denken werden. Die Argumente mei-ner Fraktion und anderer für ein Nein verstehe ich sehr gut, konnte ihnen aber an diesem Tag nicht folgen, weil die Re-gierung Tsipras und eine klare Mehrheit im griechischen Parla-ment den entsprechenden An-trag dafür gestellt haben, eben weil dem Land sonst eine hu-manitäre Katastrophe droht. Dass sie dazu faktisch gezwun-gen waren, gibt Zeugnis von der Schwäche der Linken in Europa und auch in Deutschland.Zudem möchte ich nicht mit je-nen aus der CDU/CSU zusam-men abstimmen, die einen Aus-schluss Griechenlands aus der Euro-Zone in Kauf nehmen oder ihn sogar anstreben. Ich wün-sche mir, anders als so manche Nein-Sager in der Union und in der Bundesregierung, dass die Regierung Tsipras nicht schei-tert, sondern eine Chance er-hält, mit der Politik ihrer Vorgän-ger radikal zu brechen. Dieser Weg wird schwer und steinig. Aber ich möchte, dass sie ihn gehen kann. Stefan Liebich, MdB

09/2015 Sachsens Linke! Seite 3

Sachsen schafft den sozialen Wohnungsbau abEs sind alarmierende Zahlen: Binnen nur eines Jahres ist der Bestand der Sozialwohnungen in Sachsen fast auf ein Sechstel geschrumpft. Von über 42.000 Wohnungen im Jahr 2012 sind ein Jahr später gerade ein-mal 7.000 übrig geblieben. Ein Kahlschlag auf dem sozialen Wohnungsmarkt! Damit liegt Sachsen im Bundestrend. Fast überall gehen die Zahlen zurück oder stagnieren. Zwischen 2002 und 2013 sind eine Million So-zialwohnungen verschwunden, zuletzt binnen eines Jahres über 60.000 Wohnungen im Bundes-gebiet. Aber in Sachsen trägt man die Rote Laterne im Sozia-len Wohnungsbau. Nur in einem Bundesland gibt es einen kräfti-gen Anstieg: In rot-rot regierten Brandenburg nahm im gleichen Zeitraum die Zahl der Sozial-wohnungen von gut 39.000 auf 65.000 Sozialwohnungen zu. Lange Zeit war Wohnen in Sach-sen kein Thema. Viele Städte hatten eher mit Leerstand und Wegzug zu kämpfen, in einigen Landstrichen findet sich immer noch mehr Angebot als Nach-frage. Aber die Situation än-dert sich, vor allem in den Groß-städten und im Speckgürtel um Dresden und Leipzig. Gerade in den großen Städten, die im-mer attraktiver werden, wird es schwieriger, eine bezahlba-re Wohnung zu finden. In Dres-den stiegen die Mieten zwischen 2009 und 2014 um 34 Prozent, in Leipzig um 15 Prozent.

Doch auch jenseits der Städte findet man immer schwerer ei-ne bezahlbare Wohnung. In mei-nem Wahlkreis Bautzen gab es

in einigen Lagen Mietsteige- rungen um die 20 Prozent.Dafür, könnte man meinen, gibt es jetzt ja die Mietpreisbremse der Bundesregierung. Seit dem ersten Juni können die Bundes-länder sie einführen. Nach der

Vorstellung der Bundesregie-rung sollen damit Neuvermie-tungen auf 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete

deckelt werden. Aber nur wenn eine ganze Reihe von Bedingun-gen erfüllt sind. Eine davon ist, dass die Länder die Gebiete ausweisen müssen.So richtig glaubt niemand an die Effektivität des Gesetzes. DIE

LINKE hat die zahlreichen Aus-nahmen stets kritisiert. Und nicht nur wir. Der Deutsche Mie-terbund rechnet damit, dass

maximal zwei bis drei Prozent der Mieterinnen von dem Ge-setz betroffen sind.Viele Bundesländer werden das Gesetz wahrscheinlich gar nicht einführen. Im Gegenteil: Bund und Land schieben sich gegen-

seitig die Schuld für die Situati-on in die Schuhe. So auch Sach-sen, das keine Anstalten zur Umsetzung macht. Obwohl, wie auf Bundesebene, hier die CDU mit der SPD regiert, wird die Mietpreisbremse nicht umge-setzt. Trotz der Mietenentwick-lung wird wohl kein Bedarf ge-sehen. Da ist es ein Lichtblick, dass es inzwischen ein Umden-ken gibt: In Dresden sammelt eine Initiative Unterschriften für eine städtische Wohnungsge-sellschaft, für neue Sozialwoh-nungen, nachdem die Woba-Wohnungen vor vielen Jahren komplett verkauft worden wa-ren. Doch am Drücker sind an-dere: Weder von der CDU-ge-führten Landes- noch von der Bunderegierung ist etwas im so-zialen Wohnungsbau zu erwar-ten. Dabei weiß man schon lan-ge, dass Bedarf besteht. Das Institut Pestel errechne-te vor einiger Zeit, dass im Jahr 2010 allein in Sachsen 342.000 Sozialwohnungen fehlten. Ob die Zahl korrekt ist oder nicht, sei dahingestellt. Der Bedarf je-doch wird enorm sein. Für uns LINKE ist klar, dass Wohnen wieder bezahlbar werden muss. Wir brauchen einen Neustart im sozialen Wohnungsbau. Bun-desweit müssen mindestens 150.000 Wohnungen jährlich entstehen. Und es bedarf einer echten und flächendeckenden Mietpreisbremse, damit Woh-nen bezahlbar bleibt.Caren Lay

Kurz vor Weihnachten 2014 be-kam Ralf Kleber, Geschäftsfüh-rer von Amazon Deutschland, viel Post von unzufriedenen Kundinnen und Kunden. Per Solidaritätspostkarte wurde er aufgefordert, mit ver.di einen Tarifvertrag des Einzelhandels abzuschließen und für ordent-liche Arbeitsverhältnisse sei-ner Beschäftigten zu sorgen. Bernd Riexinger, Vorsitzender der LINKEN, organisierte die Ak-tion parteiübergreifend, sodass über 80 prominente Politikerin-nen und Politiker der LINKEN, der SPD und der GRÜNEN, Wis-senschaftlerinnen und Wissen-schaftler sowie Künstlerinnen und Künstler den Aufruf unter-stützten. 20.000 Protestpost-karten und unzählige E-Mails gingen daraufhin bei Kleber ein. Der Zeitpunkt war gut gewählt. Das Weihnachtsgeschäft war in vollem Gange und die Kampag-ne erreichte viele Kunden. Die Beschäftigten der deut-schen Amazon-Standorte kämpfen bereits seit 2013 für eine Anbindung an den Tarifver-trag des Einzelhandels. Amazon aber verweigert die Verhandlun-gen mit ver.di über einen regulä-

ren Tarifvertrag. Die Beschäftig-ten kämpfen für geregelte Löhne und gegen befristete Arbeitsver-träge, ständige Kontrollen und Überwachung am Arbeitsplatz. Es geht um ihre Würde! Ralf Kleber antwortete auf die eingegangenen Solidaritäts-postkarten mit einem Brief, in dem er das Unternehmen als sehr arbeitnehmerfreundlich darstellte: „Bei Amazon küm-mern wir uns fortlaufend dar-um, gute Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter in den Lo-gistikzentren sicherzustellen. […] Die überwältigende Mehr-heit unserer Mitarbeiter sieht in Amazon einen fairen und verant-wortungsvollen Arbeitgeber. Wir sind stolz auf unsere Kultur des gegenseitigen Respekts und der offenen Diskussion auf Augen-höhe. […] Seit 2014 haben wir in Deutschland insgesamt 1.200 unbefristete Stellen geschaffen. […] Allein im Dezember 2014 wurden dort 200 neue unbefris-tete Stellen geschaffen“. Das klingt nach einem „Vorzeigebe-trieb“. Spricht man mit den Beschäftig-ten, Vertrauensleuten und Be-triebsräten, zeigt sich ein ganz

anderes Bild des Unterneh-mens. Systematisch werden die neuen Beschäftigten mit befris-teten Arbeitsverträgen abge-speist. Bis eine Woche vor Ab-lauf des Vertrages werden sie für ihre Arbeit und ihren Einsatz gelobt, dann werden sie von ei-nem Augenblick auf den ande-ren ausgesondert. In der Nie-derlassung Brieselang sind 70 % der Beschäftigten befristet ein-gestellt! Via Handscanner, die während der Arbeit eingesetzt werden, übt Amazon die totale Kontrolle und Überwachung aus. In Feed-backgesprächen mit Vorgesetz-ten werden Beschäftigte z. B. gefragt, warum sie von 7:28 bis 7:29 Uhr inaktiv waren, dies sei von bestimmten Kollegen beob-achtet wurde. Soziale Kontakte sind nicht erlaubt. In der Niederlassung in Leipzig sind 148 Überwachungskame-ras für die Personalkontrolle in-stalliert. Wer die Handlaufgerä-te nicht benutzt, bekommt eine „gelbe Karte“ und muss sie für alle sichtbar tragen. Alle se-hen: Der Kollege hat „nicht rich-tig“ gearbeitet. Beim Betreten und Verlassen des Arbeitsortes

muss jeder Beschäftigte viermal am Tag einen Scanner passie-ren. Dabei werden entwürdigen-de Vollkontrollen durchgeführt. Auf dem Weg in die Pausenräu-me muss entlang am Boden gezeichneter Linien gelaufen werden. Für den Weg allein wer-den 10 Minuten der 20minüti-gen Pause gebraucht. Während der ganzen Arbeitszeit gibt es kein Tageslicht. Die Klimaanla-ge funktioniert nur bis zu einer Temperatur von 28 Grad, dann wird die Hitze in den Hallen un-erträglich. In Bad Hersfeld er-halten Beschäftigte zum Fir-menparkplatz nur Zufahrt, wenn mindestens drei Beschäftigte, durch Fahrgemeinschaften or-ganisiert, im Fahrzeug sitzen. Ansonsten sind sie gezwungen, einen langen Fußmarsch vor und nach der Arbeit zurückzulegen. Seit 2009 gibt es bei Amazon Leipzig einen Betriebsrat. Ge-gen deren Arbeitsaufnahme ging Amazon gerichtlich vor und hat die Klage verloren. Das Un-ternehmen wollte stattdessen Arbeitsgruppen, in denen sich die Beschäftigten einzeln ak-tiv einbringen sollten, und ar-gumentierte, dass sie nicht nur

mit ver.di-Funktionären spre-chen wollen. Neuerdings be-wertet Amazon nach außen die Betriebsräte positiv. Das Unter-nehmen ist jetzt der Meinung, dass eine dritte Kraft nicht ge-braucht wird. Die erste Kraft ist Amazon, zweite Kraft die Be-triebsräte und dritte sind die Gewerkschaften, die ermäch-tigt sind, Tarifverhandlungen zu führen. Amazon will gezielt die Beleg-schaft spalten. Mit Aussagen wie „Wenn ihr weiter streikt, schließen wir den Standort“ wird Angst geschürt. Beschäf-tigte berichten, dass sie auf grässliche Weise gemobbt wer-den. In Bad Hersfeld wurde ein Betriebsrat mit dem Auto ange-fahren. Eine Verrohung der Ar-beitswelt und Endsolidarisie-rung unter den Beschäftigten greift immer mehr um sich und nimmt beängstigende Züge an. Dabei geht es um Grundsätz-liches: Sollen prekäre Arbeit oder gute Arbeit, hemmungs-lose Ausbeutung oder Tarifver-träge die Normalität in unserem Land bestimmen? Diese Ausein-andersetzung geht uns alle an! Marianne Küng-Vildebrand

Amazon – Wahrheit oder Dichtung?

Sachsens Linke! 09/2015 Seite 4

Seit Monaten führen wir die Debatte um die strategische Ausrichtung unseres Landesver-bandes. Dazu gab es viele Wort-meldungen. Der Landespartei-tag soll nun aus dieser Vielfalt Schlussfolgerungen ziehen. Mitte Juli meldete sich auch der Liebknecht-Kreis Sachsen unter der Überschrift „ZEIT FÜR VER-ÄNDERUNG – DEN AUFBRUCH ERMÖGLICHEN“ zu Wort, um mit strategischen Eckpunkten ein alternatives Diskussions- und Beschlussangebot für den Parteitag zu unterbreiten. Das Papier wurde noch vor dem Leit-antrag des Landesvorstandes fertiggestellt und entsprechend der Landessatzung als „Antrag von grundsätzlicher Bedeutung“ Mitte Juli fristgerecht eingerei-cht. Das Papier versteht sich we-niger als Ersetzungsantrag zum Papier des Landesvorstandes, sondern vielmehr als gleichbe-rechtigt zu diskutierendes, al-ternatives Angebot. Gemeinsam sollte der Landesverband nun Folgerungen aus der Strategie-debatte zusammenfassen und dann, davon ausgehend, nach vorn schauen.

Das Papier ist deutlich kürzer als der später entstandene Leit-antrag des Landesvorstandes, enthält aber wesentliche Grund-gedanken, die sich auch im Vor-standsentwurf finden. Er ist klar strukturiert und in Thesenform gehalten. Dem Text wurden das Credo von Ferdinand Lassalle aus dem Jahr 1863 „Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit“ und der Bezug die strategische Kernauf-gabe der LINKEN, formuliert im Erfurter Programm von 2011, vorangestellt. Folgerichtig wird zunächst unter der Überschrift „Der erstarrte Freistaat“ die Si-tuation in Sachsen analysiert. Die Ereignisse der letzten Wo-chen im Zusammenhang mit dem Versagen der Staatsregie-rung bei der Flüchtlingspolitik haben unsere Beschreibung be-stätigt, dass im Falle einer Zu-spitzung der gesellschaftlichen Krise die Gefahr einer weiteren Rechtsverschiebung im politi-schen Koordinatensystem und der Herausbildung eines hand-lungsfähigen Rechtsblocks von konservativen Eliten, Rechtspo-

pulisten und Rechtsextremisten besteht. Dieser könnte den Boden für ein Regierungsbünd-nis aus CDU und AfD bereiten. Insbesondere das Strategie-konzept der AfD, das allseits geschätzte plebiszitäre Ele-mente für eigene Interessen missbrauchen will, darf nicht unterschätzt werden, zumal der bundespolitische Einfluss der sächsischen AfD gewachsen ist.Sollte diese Entwicklung nicht eintreten und das schwarz-rote Regierungsbündnis seine Arbeit planmäßig beenden, tritt bei Abwägung aller be-kannten Umstände schon jetzt in Grundzügen die wahrschein-liche Ausgangssituation der Landtagswahlen 2019 hervor. Sofern die CDU nicht die ab-solute Mehrheit erringt, was im Falle des Gewinns (nahe-zu) aller Direktmandate keine abwegige Option ist, wird die SPD aus der Position des Juni-orpartners heraus antreten. Um gegebenenfalls wieder in die schwarz-rote Koalition zurück-kehren zu können, dürfte sich SPD erneut einem offensiven

Lagerwahlkampf verweigern. Auch die Grünen buhlen wei-ter um die Rolle des etwaigen Juniorpartners der CDU. Mithin würden einem rot-rot-grünen Bündnis im Jahr 2019 schon medial erneut keine Chance eingeräumt, da dafür neben der rechnerischen Mehrheit auch die erklärte Bereitschaft aller notwendigen Partner feh-len würde. In jedem Fall, auch in diesem, wäre es an uns, der Bevölkerung eine glaubwürdige, positive und konkrete Verände-rungsperspektive aufzuzeigen. Angesichts dieser strategischen „Sandwich“-Situation und un-seren erheblichen Einbußen bei den Wahlen in den vergan-genen zehn Jahren drängt sich aus unserer Sicht eine zentrale Schlussfolgerung auf: Die Funk-tion der sächsischen LINKEN besteht in den nächsten Jahren in der weiteren Ausprägung ih-rer Rolle als stärkste Oppositi-onspartei, nicht als Regierungs-partei im Wartestand. Das heißt nicht, dass wir eine Regierungs-beteiligung generell ablehnen. Sie bedarf allerdings objektiver Voraussetzungen, für deren

Schaffung wir aktiv eintreten. Die sächsische LINKE prägt ihre inhaltlichen und personellen Alleinstellungsmerkmale als Partei des demokratischen So-zialismus, insbesondere gegen-über der SPD und den Grünen, glaubwürdiger aus. Nur so kann es gelingen, den regierungskri-tischen Teilen der Bevölkerung Alternativen jenseits der CDU-Herrschaft aufzuzeigen. Ein klares Profil, das Wähle-rinnen und Wählern Hoffnung geben kann, lässt sich nur durch praktische Politik, die von pro-grammatischen Grundsätzen geleitet ist, gewinnen. Unsere Alleinstellungsmerkmale sind die Voraussetzung für unsere Glaubwürdigkeit als Kraft der Veränderung. In diesem Sinne unterbreitet der Liebknecht-Kreis in seinem Papier (www.liebknecht-kreis-sachsen.de/download) auch Vorschläge für diese Alleinstellungsmerkmale. Wir wünschen uns eine sachbe-zogene und nach vorn gerichte-te Debatte um den besten Weg für unsere Partei, den wir ge-meinsam gehen wollen.Franziska Riekewald

Die Brüsseler Verhandlungen der Staats- und Regierungs-chefs im Falle Griechenlands

brachten ernüchternde Ergeb-nisse. Statt eines Schulden-schnitts und eines Wachstums-programms wurden Athen weitere erhebliche Einschnitte bei Renten und Mehrwertsteuer verordnet. Besonders beschä-mend ist die Treuhandlösung, nach der der griechische Staat

„wertvolle griechische Vermö-genswerte“ (Unternehmen und Häfen?) in einen Fonds über-

tragen soll, die dann per Mas-senverkauf zu Ramschpreisen zu jenen Erlösen führen soll, mit denen Athen seine Raten aus dem geplanten Rettungs-programm bedienen kann. Tsipras konnte noch bewirken, dass ein Viertel der Erlöse in Investitionen statt in die Schul-

denrückzahlung fließt und die Ausplünderung des Landes un-ter nationaler Regie (nicht unter jener der EU) stattfinden soll.Athen hat sich damit – vor die Alternative gestellt zwischen ungeordnetem Grexit mit Mas-senverelendung, den wohl Bun-desfinanzminister Schäuble zur Schaffung eines Kerneuropas der „Hartwährungen“ favori-siert, und weiterer Hilfe bei Fortsetzung der Austeritätspo-litik und fortgesetzter Ausplün-derung – für den zweitschlech-testen Weg entschieden, ja entscheiden müssen. Eine andere Alternative, ein Schul-denschnitt bei einer gerechten Lastenteilung, ließ die Front der 18 anderen Euro-Staaten nicht zu. Dazu waren die alterna-tiven Bewegungen in Europa zu schwach, um Druck zu machen. Auch eine Art geordneter Grexit im Sinne der Griechen – Aus-gabe von Schuldscheinen, Ver-staatlichung der griechischen Notenbank und Anwerfen der Notenpresse – war nicht mög-lich, da er nicht vorbereitet war und zudem Überbrückungs-zahlungen der EU-Länder be-nötigt hätte. Spätestens beim eigenmächtigen griechischen Anwerfen der Notenpresse hät-te die EZB den Hahn endgültig zugedreht, die Folge wäre eine Massenverelendung der Bevöl-kerung gewesen. Von einer Aus-gleichs- und Haftungsunion, die die Ungleichgewichte in der Eu-rozone ausgleichen könnte, ist die EU weiter denn je entfernt.

Zudem waren Russland und China nicht zu Geldzahlungen an Athen bereit.Das Diktat von Brüssel sollte zugleich ein Exempel statuie-ren gegenüber jeglichen Hoff-nungen in den südeuropäischen Staaten (z. B. gegenüber Po-demos in Spanien), dass eben keine andere Politik möglich sein soll. Zudem interessiert die neoliberalen Erpresser der EU keineswegs die Schuldenrück-zahlung, sondern eher die lukra-tiven Bodenschätze in Athen. Insofern mag man zu Recht Athen Vorwürfe machen, Immo-bilienbesitz der griechisch-or-thodoxen Kirche und der großen Steuerhinterzieher nicht schnell genug konfisziert zu haben – zu dem bestehenden Kompromiss hatte Tsipras wohl eingedenk der bestehenden Kräfteverhält-nisse wohl kaum Alternativen.DIE LINKE muss sich wohl von einigen Illusionen verabschie-den. Viele, auch ich, sind davon ausgegangen, ein Umbau im Hinblick auf soziale Gerechtig-keit sei innerhalb Europas und der EU-Institutionen möglich. Wenn dies Einstimmigkeit er-fordert, ist davon auszugehen, dass es immer ein Gegenvo-tum eines großen neoliberalen „Players“ geben wird. Hinzu kommen die eifrigen Schüler des Lehrmeisters Deutschland in Osteuropa, zu denen auch die Mitte-Links-Regierungen der Slowakei und Sloweniens gehö-ren. Bratislavas Regierungschef Fico, als Sozialdemokrat und

Ex-Kommunist einst eine linke Hoffnung, sprach stolz davon, dass Tsipras gekniffen habe und Athen nun zum „Protektorat“ werde.Wenn innerhalb der EU und des Eurosystems keine Mög-lichkeiten auf Änderung mehr bestehen, muss die linke Be-wegung umdenken. Schließlich bestehen immer noch Optionen im Hinblick auf Destruktion, Bruch von Verträgen und Nicht-einhaltung (Verschleppung) der Vertragsumsetzung, die man Tsipras im Hinblick auf die „Umsetzung“ der Treuhandlö-sung anraten möchte. Auch ein Ausscheren fortschrittlicher Staaten aus dem Eurosystem und der EU – etwa in Richtung einer BRICS-Gruppe, Indien, China oder Russland – sollte kein Tabu mehr sein. Nach in-nen wäre zu prüfen, ob eine Art „selektive Desintegration“, eine Flexibilisierung nach innen möglich wäre. Bestimmte Krite-rien (die einseitige Ausrichtung auf Haushaltskriterien) müssen weg wie das Einstimmigkeits-prinzip auf europäischer Ebene.Ein Umbau im Rahmen der EU und seiner Institutionen weg von der Austeritätspolitik wäre wünschenswert. Nur, wenn kein Umbau mehr möglich ist, muss man auch andere Optionen prü-fen, die bis hin zum Verlassen der Eurozone und ihrer Auflö-sung reichen können, sollten sich jemals für einen anderen Weg keine andere Partner fin-den lassen. A. Willnow

Auf der Suche nach dem besten Weg für unsere Partei

Wege zu einer flexiblen Strategie

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09/2015 Sachsens Linke! Seite 5

Altkanzler Schmidt hat Opera-tion gut überstanden. Die You Tube-Generation streitet zwi-schen Jungfräulichkeits-Akti-visten und Stellungs-Empfeh-lern um ihre Sexualität. Johnny Depps Alkoholproblem. Erst hilft G. Jauch einer Kandidatin nicht, dann sagt er einer an-dern vor. Royale Bäuche oder Babys füllen Titelseiten. „Was passiert bei GZSZ ...?“Auch German-Wings-Flug 4U 9525 kam mit „neuen Fragen und Fakten“, dann mit den Zinksär-gen, schließlich mit dem Geld-wert von Leben wieder vor. Da wird gewühlt und scheinobjek-tiv „informiert“ zur Erfüllung ei-nes mehr und mehr imaginier-ten „Informationsauftrages“. Alles wirklich „wichtige“ Fra-gen und Informationen, immer schön skandalträchtig aufbe-reitet. Am Ende geht es nur um Quote und Verkaufszahlen.Griechenland ist zur Zeit vor-züglich geeignet, und den „Schwarzen Peter“ hat natür-lich die griechische Regierung – auch nach dem Rücktritt von Tsipras. Erst wurde immer nur über deren Unwilligkeit, die Knute des Finanzkapitals zu ertragen, berichtet. Nun war-tet man auf Neuwahlen und spekuliert. Doch die Verträge müssen auch von einer neuen Regierung erfüllt werden. Aber welches Spiel spielt Tsipras? Kaum bekommt man aktuel-le Informationen zur sich stän-dig verschlechternden Lebens-situation der Menschen und zum durch die Finanzpolitik der „Troika“ verursachten Absturz der Wirtschaft. In Griechenland erhängen sich die Leute ob ih-rer Existenznot. Darüber er-fährt man nichts in den großen Medien.Im Mittelmeer ertranken den ganzen Sommer weiter Flücht-linge. Das Hilfsprogramm „Ma-re Nostrum“ der Italiener, als sie allein waren mit dem Prob-lem, war wirksamer als das EU-„Hilfsprogramm“. Und wenn

die deutschen Marine-Schiffe „Hessen“ und „Berlin“ Flücht-linge retten, wird das einseitig herausgestellt. Wiedereinfüh-rung von „Mare Nostrum“ durch die Hintertür. Aber kaum wird das Problem umfassend vorge-stellt. Hier wird nicht skandali-siert, obwohl die EU von Beginn an in der Lage gewesen wäre, diese humanitäre Katastrophe zu verhindern. Nun kommen Geflüchtete doch in Deutsch-land in Größenordnungen an, die nie politisch kalkuliert wa-ren, es gibt Zeltlager mit zum Himmel stinkenden Bedingun-gen. Mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes um drei bis vier Prozent wäre das Geld beschafft, um da Betreuungs-, Bearbeitungspersonal und die existenziell wesentlichen Be-dingungen schnell sicher zu stellen. Aber man feilscht lie-ber um den Einsatz der erwar-teten Steuerüberschüsse von 5 Milliarden. Schuldentilgung sei wichtiger ... – als Menschenle-ben und -würde?Der NSA-Skandal zieht sich schon Monate hin. Da wird kaum „Handlungsbedarf“ ge-

sehen. Nur das Abhören der Kanzlerin sollte nicht mehr ge-schehen. Es stellte sich heraus, dass der Verfassungsschutz in trauter Eintracht sekundierte und auch Unternehmen aus-forschte – Wirtschaftsspiona-ge-Verdacht. Aber die Kanzlerin sieht immer noch nicht unein-geschränkten Aufklärungsbe-darf. Und Edward Snowden be-kommt aus Deutschland keine Unterstützung.Finnland übte Mobilmachung, bis zu 900.000 Leute wurden angeschrieben. Und nicht ver-säumt wird, darauf aufmerk-sam zu machen, dass Finnland eine 1.300 km lange Grenze zu Russland hat und kein Mit-glied der NATO ist. Es entsteht der Eindruck, als stünden die schon an den Waffen. Der neue Panzer T-14 als neue konventi-onelle „Wunderwaffe“ wurde auf dem Roten Platz zur Siege-sparade erstmals gezeigt. Zwi-schen Russland und NATO ist das „Rote Telefon“ wieder ak-tiviert worden. Nicht mehr so plump wie bei G. W. Bush jun. mit seinem „Reich des Bösen“, aber wer richtig lesen kann,

sieht die Tendenz! Wer aber führte den verbrecherischen Vietnamkrieg – mit Chemikali-en? Wer setzte und setzt seinen Geheimdienst immer wieder zum Umsturz demokratisch ge-wählter Regierungen ein? Wer gaukelte der UNO etwas von Massenvernichtungswaffen im Irak vor? Wer führte den Irak-krieg?Die Verhandlungen zur Auf-rechterhaltung des Vertrages von 1968 über die Nichtwei-terverbreitung von Atomwaf-fen sind wegen der Haltung des Iran schwieriger geworden. Zu-letzt aber zeigte sich Licht am Horizont. Niemand fragt je-doch (in den Medien), weshalb 47 Jahre lang die einen ihre A-Waffen behalten und andere keine haben sollen. Und dabei sieht dieser Vertrag von Anfang an vor, dass die Enthaltsamkeit der vielen Staaten der Welt Be-stand haben soll durch das im Vertrag abgegebene Verspre-chen zur Abrüstung der A-Waf-fen bei den besitzenden Län-dern. Das aber ist bis heute nicht eingelöst worden. Dazu gab und gibt es keine Schlag-

zeilen! Wundert man sich noch, wenn die Front bröckelt und in dieser wieder unsicherer wer-denden Welt andere Staaten auch auf dumme Gedanken kommen? Dumm, ja, saudumm, denn die sog. Overkill-Kapa-zität ist immer noch da. Da braucht es wirklich keine neu-en Atomwaffen-Länder. Aber in den Wiener Verhandlungen um die Kernkraftnutzung des Iran ging es gar nicht wirklich darum, sondern um einen Vor-wand, ggf. doch noch, wie im Beispiel Irak, einen Vorwand zu finden, die wirtschaftliche Ver-fügungsgewalt über Ressour-cen militärisch zu verändern. Doch Obama hat nun wirkli-ches Interesse an einer vertrag-lichen Lösung. Mitte Juli gab es in Wien Möglichkeiten der Eini-gung, da verschwindet das The-ma aus den Schlagzeilen. Und das Problem der außerhalb des Vertrags stehenden bzw. ille-galen A-Länder (Israel, Pakis-tan, Indien, Nordkorea) ist nach wie vor ungelöst. Immer schön zweckorientierter (Welt-)Herr-schafts-Mainstream!Ralf Becker

Neoliberale Verblendung

Einnahmen erhöhen – mehr als eine Anpassung der BeiträgeSicherlich haben viele von Euch in den letzten Wochen einen Brief eurer Schatzmeis-ter erhalten – mit der Bitte, die Beiträge an die Beitrags-tabelle anzupassen bzw. das zu zahlen, was Euch möglich ist. Grund dafür ist, dass wir so langsam und allmählich von unseren Reserven zehren, was auf Dauer die finanzielle Stabilität des Landesverban-des gefährden wird. Seit Januar tobt eine Debatte um die Einnahmen und Aus-gaben in unserem Landesver-band. Das ist richtig, denn es ist unser aller Geld und die Zu-

kunft unserer Partei, über die wir reden. Allerdings haben wir nicht nur Mitglieder ange-schrieben, sondern auch im Landesverband alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt. So haben wir schweren Her-zens auf den Weg gebracht, dass wir unsere Archivunterla-gen an das Archiv Demokrati-scher Sozialismus nach Berlin überführen werden. Das spart der Landespartei Mietkosten und die Zugänglichkeit der Unterlagen bleibt gesichert. Wir haben die Landtagsab-geordneten der LINKEN dar-um gebeten, ihren Mandats-

trägerInnenbeitrag mit der regelmäßigen Erhöhung am 1. August solidarisch anzu-heben, um den Wahlkampf-topf mit den Mehreinnahmen zu füllen. Weiterhin haben wir bereits im Januar stärkere Fi-nanzkontrolle und stärkere Anmeldepflichten für Ausga-ben beschlossen. Die Rück-spendebereitschaft von Fahrt-kosten wird in allen Gremien thematisiert. Und auch eine Strukturdebatte wird geführt, wie wir die Gremienarbeit ef-fektiver für die Mitglieder or-ganisieren können, aber eben auch kostengünstiger im Lan-

desverband – ohne dabei in-nerparteiliche Mitwirkung und Demokratie zurückzudre-hen. Die Vorschläge für ent-sprechende Satzungsände-rungen könnt ihr unter www.dielinke-sachsen.de/partei/parteitag/12-landespartei-tag/antraege sowie in den Ta-gungsunterlagen für den Lan-desparteitag nachlesen. Schlussendlich brauchen wir aber kreative Ideen, um die Einnahmen dauerhaft zu erhö-hen. Eine erste Idee dafür ist das Plakat von Gregor Gysi, das ihr in der letzten Ausgabe der Zeitung gesehen habt und

das für Fans käuflich zu erwer-ben ist. Aber wir brauchen auch ei-ne neue Kultur. Die Partei ist im Grunde genommen für uns Genossinnen und Genossen das, was der Kleingarten für andere ist – beides ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wenn Ihr Vorschläge zur Frage habt, wie wir unsere Einnah-men erhöhen können, aber auch zur Frage, was wir zu-künftig nicht mehr brauchen, dann freue ich mich auf Eure Hinweise. Antje Feiks, Landesgeschäfts-führerin

Sachsens Linke! 09/2015 Seite 6

Nach dem Pfingstcamp ist vor dem Pfingstcamp. So heißt es immer wieder. Das Pfingstcamp 2015 unter dem Motto „Wo Le-ben wir denn?“ mit 621 Perso-nen liegt jetzt etwas mehr als drei Monate hinter uns. Zeit ge-nug, um zurückzuschauen und zu realisieren, was wir alles ge-schafft haben.Es gab 30 Vorbereitungstref-fen und sieben Telefonkonfe-renzen, 90 ehrenamtliche Hel-fer_innen auf dem Pfingstcamp (PC) und sieben Personen, die für bestimmte Arbeiten bezahlt wurden, wie beispielsweise ei-ne qualifizierte Kinderbetreu-ung. 2.270 Stunden Arbeits-schichten wurden ehrenamtlich besetzt, mindestens 35 Ur-laubstage wurden von Pfingst-camphelfer_innen eingereicht und mindestens 36 weitere Vorlesungen, Übungen oder Schulstunden für die Auf- und Abbauzeit geopfert. Der Tech-nikbedarf wurde mit Leihgaben von mindestens 17 befreunde-ten Strukturen und 22 Privat-personen gedeckt.Es gab 58 Vorträge, Workshops und Diskussionsrunden mit 66 Referent_innen. Das Kulturpro-gramm füllte 58 Stunden mit 54 Künstler_innen. Das Pfingst-camp-eigene Radio hat 4.229 Minuten am Stück gesendet und über das vom Pfingstcamp-Hackerspace eingerichtete Netzwerk wurden 123 GB Da-ten in die weiten Welt und aus ihr transferiert.Über 1.610 m selbst verleg-tes Stromkabel und 69 Strom-

verteiler haben wir im Laufe des PCs 4.789 kWh Strom ver-braucht, also so viel wie ein 4-Personen-Haushalt im Jahr. Mindestens 770 m eigenes Gaf-fa blieben auf der Strecke, um alle Installationen zusammen-

zuhalten und zu verändern. Dies hat mensch sicherlich nicht nur in unseren 31 gestalteten Loca-tions gesehen. Auch die Finanzen sehen dieses Jahr gut aus. Wir konnten unse-ren eingenommen Teilnehmer_innenbeiträge auf durchschnitt-lich 54,70 € pro Person steigern und unsere Kosten pro Kopf auf 101,73 € reduzieren. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist und wir auf Geld angewie-

sen sind, mussten viele dieses Jahr schmerzlich in Erfahrung bringen. Das Pfingstcamp ist alleine durch Teilnahmebeiträ-gen und dem Anteil der links-jugend nicht zu realisieren. So sind wir auf externe finanzielle

Unterstützung in Höhe von um die 10.000 € angewiesen. Die-ses Jahr haben wir keine Förder-mittel bekommen und mussten massiv sparen. Leider an kei-nem schönen Punkt. Hier geht der Dank an all die wunderba-ren Referent_innen und Künst-ler_innen, die sich bereit erklärt haben, zu Gunsten des Pfingst-camps auf ihr Honorar und teil-weise auch auf Fahrtkosten zu verzichten. Wir hoffen stark,

dass es so etwas beim Pfingst-camp nicht noch einmal geben muss, um nicht Teil der Prekari-sierungsspirale vor allem junger Bildner_innen und Künstler_in-nen zu sein.Dieser Text mag sich vielleicht

wie eine trockene Faktenliste lesen, ist aber der Versuch, an praktischen Fakten aufzuzei-gen, was für ein gigantisches Projekt hier zu riesigen Teilen ehrenamtlich auf die Beine ge-stellt wurde. Wenn man sich die Zahlen auf der Zunge zer-gehen lässt und an die 70 wun-derbaren Stunden Pfingstcamp denkt, stellen wir uns die Frage: Was wäre das Pfingstcamp nur ohne all die tollen Menschen,

die es zu dem machen, was es ist? Ein riesiger Dank geht an al-le, die mitgeholfen, unterstützt, geplant, referiert, gelebt, musi-ziert, gefeiert und das Pfingst-camp zu dem gemacht haben, was es ist.Was nächstes Jahr kommt, ist noch ungewiss. Sicher ist, dass wir eine gute Vorbereitungs-gruppe und viele helfende Hän-de brauchen, um es wieder zu einem unvergesslichen Pfingst-camp zu machen. Aktuell su-chen wir einen Termin für ein erstes Vorbereitungswochen-ende im November, bei dem un-ter anderem diskutiert werden soll, was unsere Ansprüche an das Pfingstcamp sind, was wir machen wollen, wie und wann und ob es beispielsweise ein Schwerpunktthema geben soll.Wenn du Interesse hast, das Pfingstcamp mitzuentwickeln, dann schau doch mal unter ht-tp://gleft.de/Zi, welches No-vember-Wochenende Dir am besten passt und/oder melde dich bei [email protected] allerliebsten GrüßenRico und Marie für den Vorbe-reitungskreis des Pfingstcamp 2015

Nach dem Pfingstcamp ist vor dem PfingstcampJugend

Termine06.09.2015, 15 Uhr: Sommer-fest „Dresden Nazifrei & Dres-den für Alle“. Dresden, Hasen-berg, an der Synagoge

19.09.2015, 12 Uhr: Sitzung des Beauftragtenrates, Leipzig, Bor-naische Straße 3D, Linxxnet

25.09.2015 – 27.09.2015: Bil-dungswochenende der Linksju-gend Sachsen, Schönteichen, Schulweg 10, Alte Schule

01.10.2015 – 05.10.2015: Herbstakademie des SDS „Krieg, Frieden und Imperialismus“, Joa-chimsthal, Joachimsthaler Stra-ße 20, EJB Werbellinsee: Infos: http://gleft.de/10h

9.10.2015 – 11.10.2015: Stadt-jugendtag der Linksjugend Leip-zig, Leipzig, Demmeringstr. 34, INTERIM

17.10.2015, 12 Uhr: Sitzung des Beauftragtenrates, Chemnitz, Rosenplatz 4, im Büro der Links-jugend

30.10.2015 – 01.11.2015: Lan-desjugendplenum, Oschatz, Be-rufsschulstraße 20, Europäi-sches Jugendcamp

13.11.2015 – 15.11.2015: Bil-dungskongress der Linksjugend Sachsen. Nähere Informationen folgen, aber halt Dir das Wochen-ende schon frei!

Internationales Sommercamp der linksjugend [ solid]Vom 01.08 – 09.08 2015 fand auf dem Gelände des Kultur-kosmos im mecklenburgischen Lärz das erste internationale Sommercamp der linksjugend [‚solid] statt. Unter dem Mot-to „Facism never again“ konn-ten Genoss*innen aus Finn-land, Polen, Dänemark und aus Österreich sowie aus dem ge-samten Bundesgebiet begrüßt werden. Der sächsische Lan-desverband war schon vor Be-ginn des Camps am Aufbau beteiligt und dekorierte einen der Hangars zu einem netten Ort zum Feiern und Entspan-nen. Dazu wurde Technik aus der WIR-AG in Dresden sowie aus dem linXXnet in Leipzig auf das Gelände gefahren, wo fleißi-ge Helfer*innen das Equipment und die Zelte aufbauten, die für zahlreiche Workshops vorgese-hen waren. Die Workshops wur-den in verschiedenen Sprachen abgehalten und hatten Themen wie NSU, Flucht und Rassismus, Europapolitik, Feminismus, Er-innerungspolitik und Kapita-lismuskritik. Zudem fand ein Ausflug der internationalen De-

legation zur Gedenkstätte Ra-vensbrück statt. Es konnten Fahrräder ausge-liehen werden, um an den na-he gelegenen Badeteich oder auch an die Müritz zu fahren, sich bei tropischen Temperatu-ren abzukühlen. Die internatio-nale Delegation veranstaltete einen musikalischen Abend mit Arbeiterliedern aus verschiede-nen Ländern. Es wurden nicht nur Workshops und Lieder-

abende veranstaltet, sondern beispielsweise auch ein queer-feministisches Selbstverteidi-gungstraining, Lesungen und Diskussionen sowie ein Kanu-Ausflug auf der Mecklenbur-ger Seenplatte. Aber auch das schönste Camp geht einmal zu Ende. Wir danken allen betei-ligten Genoss*innen, die beim Auf- und Abbau geholfen haben, sowie der Kochcrew, die uns sehr gut versorgte. Ein großes

Dankeschön geht auch an die DJs, die für die nötige Stimmung sorgten. Bis zum nächsten Jahr!Christoph SchinkeBild: Einer der sächsischen Workshops: Diskussionsrunde zur Arbeit des Jugendverbandes in Landesparlamenten und zur Regierungsbeteiligung. Mit Kati Engel (MdL Thüringen), Isabel-le Vandré (MdL Brandenburg) und Josi Michalke (Beauftrag-tenrat Sachsen, Moderation).

09/2015 Sachsens Linke! Seite 7

Als ich Anfang der 90er Jahre als Mitarbeiterin der LL-PDS-Fraktion begann, habe ich aus vielen progressiven Richtlini-en und Verordnungen der EU Anregungen „kopiert“, waren davon Anträge und Anfragen inspiriert. Die EU, die trotz Al-tiero Spinelli nicht als ein linkes Projekt auf die Welt kam, son-dern unter dem Aspekt eines gemeinsamen Binnenmarktes konzipiert wurde, war dennoch

in vielen politischen Fragen ein progressiver Motor. Die Au-genhöhe kleiner neben großen Mitgliedsstaaten war anfangs durch das Konsensprinzip we-nigstens halbwegs realisierbar. Mit dem Lissabonvertrag, der das Mehrheitsprinzip bei Ab-stimmungen festlegte, wur-de das anders. Das Parlament erhielt zwar deutlich stärke-re Rechte, aber der Rat eben auch. Die zahlreichen Öff-nungsklauseln des Vertrages, der eben keine Verfassung ist, sondern nur ein halbferti-ges Ergebnis der Machtkämp-fe zwischen Mitgliedsstaaten und Kommission, haben dazu geführt, dass nahezu alle re-levanten Lebensentscheidun-gen woanders fallen. Sie fallen nicht nur nicht im Europapar-lament, sondern auch in kei-nem anderen Parlament der Welt. Das grandiose Demo-kratiedefizit der Union führte schließlich dazu, dass Verträ-ge wie der Fiskalpakt faktisch nur als Deal zwischen einer Handvoll Staatschefs ausge-handelt werden. Zweifellos hat die Kraft des Parlamentes auch zu Punktsiegen geführt, wie bei der Ablehnung von AC-TA, aber das sind seltene Fälle. Diese glaubten die Staatschefs durch die Lissabonregelungen verhindern zu können. Aus ei-gener Kraft kann das Europa-parlament den Vertrag weder aufheben noch ändern, selbst wenn alle Parlamentarier es wollten (und schon das ist illu-sorisch). Der Lissabonvertrag hat aber auch zur Folge, dass der Euro-päische Rat sich neu sortiert hat. Er ist seit längerem zu ei-nem Nationalistenstadel ver-kommen, wo der gewinnt, der

am lautesten schreit. Und im-mer mehr wird „deutsch“ ge-sprochen, die Zeit der Bilder von Kohl und Mitterand sind wirklich vorbei, da steht nur noch Merkel. Drumherum ist nichts, oder sagen wir: nichts „Kriegsentscheidendes“. An-dere Mitgliedsstaaten wer-den aus den unterschiedlichs-ten Interessenlagen heraus zu Merkels Jüngern, überall dort, wo es ihnen nützen könnte.

Momentan scheint es, als sei von der Europäischen Union nur eine wacklige Währungs-union übriggeblieben. Die Fä-higkeit der EU zur Förderung gesellschaftlicher Fortschritte, und sei es auch nur des Binnen-marktes wegen, verkümmert. Der europäische Integrations-prozess unter dem Motto „Ge-eint in Vielfalt“ ist verloren gegangen. Und die Unzufrie-denheit wächst, zieht Kreise,

die längst die Mitte der Gesell-schaft in den europäischen Re-gionen erreicht hat. So sehr ich den Egoismus Camerons ab-lehne, so sehr muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur in Großbritannien die tiefgreifende Skepsis an der EU wächst. Das Resultat solcher Entwicklungen ist die Stärkung

rechtspopulistischer und anti-europäischer Kräfte. Um sich greift eine tief sitzende antieu-ropäische Grundhaltung, die von ganz rechts bis in die linken Parteien hinein reicht, der Un-glaube, dass mit der EU, wie sie jetzt beschaffen ist, ganz all-gemein Fortschritt überhaupt noch erzielt werden kann. Dass es sich dabei nicht nur um ein bloßes Grundgefühl handelt, belegen folgende In-dizien: Zum ersten die Unfä-higkeit, eine Lösung für Grie-chenland anzustreben, die dem Land die Möglichkeit gibt, wieder zu gesunden. Das geht ohne Konjunkturförderung und Stärkung des Binnenmarktes in Griechenland eben nicht. Alles, was von Schäuble und Merkel in der Eurozone durch-geboxt wurde, steht gewisser-maßen ökonomischen Grund-regeln entgegen. Ihre Angst, der von ihnen erzwungene Weg der Austerität könnte nicht nur von Griechenland, sondern auch anderen Ländern verlas-sen werden, war mehr wert als das Elend griechischer Rent-ner. Es ist die Angst vor Macht-verlust. So ist das griechische Exempel ein Pyrrhussieg mit historischer Reichweite. Mit ihm wird in das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürgern eingegraben, dass sie, wenn es hart auf hart kommt, im Regen stehen gelassen werden. Zum zweiten versagen EU und Mitgliedsstaaten vor der größ-

ten Herausforderung des be-gonnenen Jahrtausends, der Flüchtlingsfrage. Wie auch im-mer die oder der Einzelne zu Flüchtlingen persönlich steht, alle begreifen, dass die bisheri-ge Politik gescheitert ist. Wenn die Mitgliedsstaaten weder be-reit sind, das zur Kenntnis zu nehmen und Konsequenzen zu

ziehen, noch besonders betrof-fenen Ländern unter die Arme greifen, dann muss man doch dem italienischen Staatschef Recht geben, der sagt: Wenn das so ist, wozu braucht man dann noch Europa (gemeint die EU)? Sowohl nach innen (Grie-chenland) als auch nach außen (Flüchtlinge) gibt es keinerlei zukunftsfähige und menschen-würdige Lösungen seitens der Union. Ein dritter Aspekt muss ge-nannt werden. Zu den Grün-dungsideen der EU gehört Friedenschaffen. Als Mittlerin zwischen den Großmächten könnte sie dabei eine eigene Rolle spielen. Aber auch das wird vergeigt. Statt in der Uk-rainekrise als neutraler Partner zu agieren, beförderten EU und Mitgliedstaaten einen nicht endenden Konflikt mit großer Sprengkraft. Wenn im vorletz-ten Plenum in Straßburg per Resolution mehrheitlich, nur gegen die Stimmen unserer Fraktion, beschlossen wurde, Russland ab sofort nicht mehr als strategischen Partner der EU zu betrachten, dann ist das nicht nur dumm, sondern auch kreuzgefährlich. Die außenpolitische Potenz der EU wird übrigens auch verge-ben, wenn ein eigenständiges Agieren gegenüber den USA aufgegeben wird. Das zeigt et-wa die Massenausspähung von Millionen Europäern durch Ge-heimdienste, die vor der NSA

zu Kreuze kriechen. Es gibt mo-mentan nicht ein einziges au-ßenpolitisches Feld, auf dem die EU eigenständig als kon-fliktlösende Kraft agiert. So-gar die Atomkrise mit dem Iran mussten Amerikaner und Rus-sen de facto allein lösen. All das hat die Diskussion befeu-ert, das Verhältnis zur EU als

solches zu überprüfen. In der Linken wird darüber gespro-chen, ob man sich dieser Ebe-ne nicht verweigern sollte. Ich finde, dass wir es uns in zwei-erlei Hinsicht nicht zu leicht machen dürfen: Weder „Raus aus der EU“ noch „Man darf die EU nicht in Frage stellen“ hilft uns weiter. Ich finde, wir müs-sen das jetzige Konstrukt der EU zutiefst in Frage stellen und seinen radikalen Umbau ein-fordern. Dieser Umbau muss zwingend das Demokratiede-fizit auf der europäischen Ebe-ne beheben. Ohne Vertrags-änderungen kann das nicht zustande kommen. Wir dürfen nicht erzittern, wenn von Ver-tragsänderungen geredet wird, Schäuble macht das bereits ganz offen, allerdings mit ei-ner anderen Zielrichtung, Ker-neuropa und Peripherie. Das wäre der Schlusspunkt jedwe-der Integration. Anders aus-gedrückt: Wir müssen endlich alle Kräfte sammeln gegen die-sen besonders von Schäub-le und Merkel verantworteten Politikkurs, anstelle in nationa-len Wunschträumen zu verhar-ren. Europäische Politik ist un-ter Linken ein nebensächliches Zusatzthema, obwohl die Ent-wicklung dieses Kontinents da-von abhängt.Es ist prioritär, eine gemein-same Vision als Linke in Euro-pa zu entwickeln. Die haben wir nicht und es gibt kein aus-reichendes Engagement da-für. Es gibt kein gemeinsames Konzept, im Gegenteil: Unse-re größten Unterschiede inner-halb der Linken in Europa be-stehen in der Sicht auf Europa und die EU. Dadurch sind wir europäisch gesehen gelähmt, auch die Europäische Links-partei dümpelt dahin, ohne bislang ein ernsthafter Faktor geworden zu sein. Die größte Schwäche auf dem Weg zu ei-ner wirklichen Alternative ist die linke Bewegung in Europa selbst. Sie träumt sich in eine andere Welt und ist unfähig, sich für konkrete konstruktive Ziele zu bündeln. Ihre Antwor-ten sind fast immer nur natio-nal und damit untauglich, wel-ches Problem auch immer in Europa zu lösen. Deshalb müssen wir unsere Po-litik als Linke in den Mitglieds-staaten dringend überprüfen, ja regelrecht europäisieren, wenn wir den gravierenden Problemen der Gegenwart überhaupt noch nachkommen wollen. Cornelia Ernst

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Die europäische Integration am Abgrund

Saal in den Kapitolinischen Museen in Rom. Hier wurde 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begründet. Bild: hadi/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0

Sachsens Linke! 09/2015 Seite 8

Zum Zwischenbericht über das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung

Vor mehr als vier Jahren, im Ap-ril 2011, fragte ich die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, wie hoch denn die Ausgaben für die Werbekampagne zum soge-nannten Bildungs- und Teilha-bepaket gewesen seien, mit der das Ministerium – zielsicher an der Zielgruppe vorbei – für ein Programm warb, dass schon da-mals erahnen ließ, dass es flop-pen würde.

„Für 2,6 Millionen Euro wurden Plakate gedruckt , Werbeflächen gemietet und herzige Filmchen produziert, welche als Werbung vor die Nachrichten-Videos auf den Websites von Zeitungen und Fernsehsender platziert wurden. Das nenne ich nicht zielgenaue und umfassende Information, sondern eine parteipolitische Imagekampagne aus Steuermit-teln!“

Dies schrieb ich damals als Re-aktion auf die Antwort der Mi-nisterin. Inzwischen sind vier Jahre ins Land gegangen. All meine Befürchtungen – ich hat-te das Programm als bürokrati-

sches Monster bezeichnet – ha-ben sich leider erfüllt. Im Jahre 2013 hatte das Bundesministe-rium für Arbeit und Soziales ein Forschungsvorhaben zur Eva-luation der bundesweiten Inan-spruchnahme und Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepa-ketes in Auftrag gegeben. Dazu liegt nun ein erster Zwischen-bericht vor. Auf insgesamt 440 Seiten haben verschiedene In-stitute, Hochschulen, Politik-berater und das Statistische Bundesamt alles zusammen-getragen, was es zu einem För-derprogramm zu sagen gibt, das lediglich entwickelt wurde, um die Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes für Kinder zu ver-hindern – und stattdessen fast ausschließlich auf die Gewäh-rung von Sachleistungen über Gutscheine, selbstverständlich auf Antrag, zu setzen.

Begeisterte Forscher bei der Arbeit

Es ist ein großes Werk entstan-den. Hunderte Interviews in ver-schiedenen Kommunen, geführt persönlich und telefonisch nach Fragebögen auf den Leistungs-stellen, bei Leistungsberech-tigten und Leistungsanbietern geben bis ins Detail Auskunft,

wie Bildung und Teilhabe unter die Anspruchsberechtigten ge-bracht werden. So erfährt man, dass der Zeitaufwand für die Be-antragung der Leistungen durch die Antragsteller zwischen mi-nimal 0,7 Minuten (Antrag auf Schulbedarf) und maximal 4,1 Minuten (Antrag auf Lernförde-rung) beträgt. Naturgemäß we-sentlich länger dauert die Bear-beitung. Auch hier wurde forsch geforscht und herausgefunden, dass 11,7 bzw. 33,5 Minuten lang bearbeitet wurde. Aber was sagen schon solch pauschale Zeitangaben? Die Teilhabeforscher sind deshalb noch tiefer in die Materie ein-gedrungen und haben genau analysiert, welcher Zeitanteil für welche Bearbeitungstätig-keit aufgewendet wurde. Für die Bearbeitung eines Antrages auf Unterstützung für Lernför-derung erfährt man beispiels-weise, dass die Sache an sich nur 22,9 Minuten lang bearbei-tet wurde. Anschließend erfolg-te eine Prüfung der Bearbeitung der Sache, die sich über 5,2 Minuten erstreckte. Anschlie-ßend wurde 0,6 Minuten lang intern über das Prüfungsergeb-nis kommuniziert, bevor die ex-terne Kommunikation anlaufen und nach 2,1 Minuten abge-

schlossen sein könnte – wenn, ja wenn, nicht noch 1,7 Minuten für die Datenübertragung benö-tigt würden. Nun noch schnell den Vorgang archivieren, was nur 1,0 Minuten dauert, ein Hin-weis darauf, dass die Bearbei-ter wohl gleich im Keller neben dem Archiv sitzen dürften – und schon fertig. Jedenfalls kommt man so auf die erwähnten 33,5 Minuten.Das alles – und noch viel mehr – haben die Institute und Exper-ten für uns herausgefunden! Denn selbstverständlich gibt es die entsprechen Forschungser-gebnisse auch noch für die An-tragsabrechnung. Minute für Minute. Und wem das immer noch zu ungenau ist, der findet es auch noch unterschieden in Erst- und Folgeanträge auf-geschlüsselt. Auch finden sich Tabellen über die Erfüllungs-aufwände – aufgeschlüsselt in Zeit und Geld – und dies noch einmal unterschieden in Erfül-lungsaufwand der Leistungs-stellen, der Leistungsträger und der Leistungsarten. Beein-druckend.

Ein beschämendes Fazit

Aber kommen wir zu den Zah-len, die eigentlich interessieren

und deshalb gut versteckt, aber immerhin vorhanden sind: 450 Millionen Euro wurden im Jahr 2013 an Leistungen bewilligt. Das klingt gewaltig – bis man genauer liest und feststellt, dass nur 45 % der Berechtigten die Leistungen überhaupt bean-tragt haben. Genau das war be-absichtigt, schien und scheint es mir. Möglichst hohe büro-kratische Hürden in der Bean-tragung aufbauen, damit we-nig Geld ausgegeben werden muss. Jedenfalls an die Bedürf-tigen – denn die bürokratischen Hürden hat man sich ordentlich etwas kosten lassen: 136 Milli-onen Euro Verwaltungskosten hat das Bildungs- und Teilhabe-paket 2013 verschlungen – also fast ein Drittel der Höhe der be-willigten Zuschüsse! Wovor hat-te ich gewarnt? Vor einem büro-kratischen Monster. Das ist es wirklich geworden – wenn auch monströser, als ich es befürch-tet hatte.Und zugegeben: Da verblassen die eingangs erwähnten 2,6 Millionen Euro für die Werbe-filmchen und Plakate ein wenig. Wieviel jedoch die 440 Seiten Studie gekostet haben, interes-siert mich dann doch. Ich werde es in Erfahrung bringen.Katja Kipping

DIE LINKE im Bundestag

E

Des Monsters technische Daten

Aus Überzeugung – Gymnasium Einsiedel wird „Schule ohne Rassismus“Die Jugend ist die Entwicklungs-phase, in der sich ein politisches Bewusstsein und eine eigene politische Meinung ausbilden. Die kognitiven Fähigkeiten ent-wickeln sich und man beginnt, sich verstärkt mit gesellschafts-politischen Themen ausein-anderzusetzen, Dinge zu hin-terfragen. Schule ist dabei ein zentraler Ort, in dem nicht nur Informationen vermittelt wer-den, sondern in dem man sich auch mit Freund_innen aus-tauscht. Als mir nun vor einiger Zeit Schüler_innen des Gymna-siums Einsiedel berichtet ha-ben, dass ihre Schule „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ werden will, und mich fragten, ob ich als Pate für das Projekt zur Verfügung stehe, musste ich nicht lange über-legen. Natürlich unterstütze ich dieses tolle Engagement in Chemnitz gerne, gerade weil es von den Schüler_innen ausgeht. „Schule ohne Rassismus“ ist ein Netzwerk von über 1.700 Schu-len in ganz Deutschland. Der Titel ist keine Auszeichnung, jedenfalls keine für bereits Ge-leistetes. Er ist eine freiwillige Verpflichtung. Er bedeutet, dass sich eine große Mehrheit – min-destens 70 Prozent der Schü-

ler_innen und Lehrer_innen – bewusst entschieden hat, ak-tiv gegen Diskriminierung ein-zutreten. Am Gymnasium Ein-siedel ging die Initiative vom Schüler_innenrat aus, der die Direktorin und der Lehrerkör-per zugestimmt haben. Zu Schü-ler_innenrat gehört auch Mari-

us, der Mitglied der linksjugend ist und erst letztes Jahr mit dem Programm ‚Jugend und Parla-ment’ bei mir im Bundestag war. Dass das Engagement nicht von außen, sondern aus der Schu-le kommt; dass nicht versucht wird, den Schüler_innen eine Überzeugung zu vermitteln, son-

dern dass sie aus einer Grund-überzeugung über Richtig und Falsch heraus zu handeln begin-nen, ist für mich ein wichtiges Kennzeichen des Projekts. Was aber heißt „Schule ohne Rassismus“ konkret? Die Schü-ler_innen verpflichten sich, künftig gegen rassistische Vor-

kommnisse an ihrer Schule vor-zugehen. Ein weiterer Baustein sind regelmäßige Projekttage, an denen sich die Schulen mit Rassismus, Antisemitismus, aber auch anderen Formen der Diskriminierung auseinander-setzen. Dazu gehört am Gym-nasium Einsiedel die Integration von Menschen mit Behinderung in den normalen Schulbetrieb. Und jede „Schule ohne Rassis-mus“ hat einen Patin oder ei-nen Paten, die oder den sich die Schüler_innen selbst suchen. Auch deshalb bin ich ein wenig stolz, dass ich in Frage gekom-men bin. Ich werde öffentlich für dieses Projekt werben und natürlich den Kontakt zu „mei-ner“ Schule halten. Noch vor der Sommerpause habe ich sie be-sucht und mich mit dem Schü-ler_innenrat und der Direkto-rin getroffen. Am 7. Juli wurde der Titel „Schule ohne Rassis-mus“ dem Gymanium Einsiedel schließlich offiziell überreicht. Michael Leutert

Kommunal-Info 7-2015

Thema AsylAktuelle Förderrichtlinien im Überblick

Seite 2/3

SeminarDOPPIK für Mandatsträger am 18./19. September

Seite 4

FachforumBarrierefreiheit in sächsischen Kommunen am 28. September

Seite 4

Neuer Leitfaden„Kommunales Haushaltsrecht in Sachsen“

Seite 4

K o m m u n a l p o l i t i s c h e s F o r u m S a c h s e n e . V .K F S

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

2. September 2015

Zur Erfüllung ihrer Aufgaben ha-ben die Kommunen das Recht, Abga-ben zu erheben, um die erforderlichen finanziellen Einnahmen für die Ko-stendeckung zu erzielen. Die recht-liche Ermächtigung dafür wurde durch das Sächsische Kommunalabgabenge-setz (SächsKAG) geschaffen, wo es in § 1 heißt: „Die Gemeinden und Land-kreise sind berechtigt, nach diesem Ge-setz Abgaben zu erheben, soweit nicht Bundesrecht oder Landesrecht etwas anderes bestimmen.“

Zu den Abgaben im Sinne des SächsKAG gehören:

�Steuern, �Benutzungsgebühren, �Beiträge, �Aufwandsersatz, � die Kurtaxe, � die Fremdenverkehrsabgabe und � abgabenrechtliche Nebenleistungen

(Verspätungszuschläge, Zinsen und Säumniszuschläge).1

Grundsätze der Einnahmebeschaffung

Mit dem Recht zur Erhebung von Abgaben können die Kommunen zwar grundsätzlich über die Art, Zusam-mensetzung und Höhe ihrer Einnah-men frei zu entscheiden. Jedoch sind mit den „Grundsätzen der Einnahme-beschaffung“ in § 73 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) ge-setzliche Einschränkungen vorgege-ben

� zum Schutz der Abgabepflichtigen (Einwohner, Unternehmen),

� zur Erreichung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen den Ab-gabepflichtigen (Verhältnis zwischen Steuern und speziellen Entgelten),

� um die Gefährdung einer dauernden Leistungsfähigkeit der Kommunen (durch Kreditaufnahmen) zu verhin-dern.

Deshalb sind in § 73 SächGemO fol-

Kommunale Einnahmen beschaffengende Grundsätze für die Beschaffung finanzieller Einnahmen festgehalten:

�Die Gemeinde hat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnah-men

� soweit vertretbar und geboten, aus selbst zu bestimmenden Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen,

� im Übrigen aus Steuern zu beschaf-fen.

�Die Gemeinde hat bei der Einnah-menbeschaffung auf die wirtschaft-lichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen.

�Die Gemeinde darf Kredite nur auf-nehmen, wenn eine andere Finanzie-rung nicht möglich ist oder wirtschaft-lich unzweckmäßig wäre.

�Die Gemeinde darf zur Erfüllung ih-rer Aufgaben Spenden, Schenkungen und ähnliche Zuwendungen einwerben und annehmen oder an Dritte vermit-teln, die sich an der Erfüllung von kom-munalen Aufgaben beteiligen.

Entgelte für LeistungenNach den Grundsätzen der Einnah-

mebeschaffung gilt darum eine ver-bindliche Reihenfolge für die kom-munalen Einnahmen: Dabei stehen an erster Stelle die Einnahmen aus Ent-gelten (Gebühren, privatrechtliche Benutzungsentgelte, Beiträge) und an zweiter Stelle die Einnahmen aus Steu-ern, an letzter Stelle steht die Aufnah-me von Krediten.

Der Vorrang der Entgelte vor Steu-ern wird aus dem Verursacherprin-zip abgeleitet und dient dem sog. Vor-teilsausgleich. Wer also aus speziellen Leistungen der Kommune und ihren Einrichtungen individuell zurechen-bare wirtschaftliche Vorteile erfährt, der soll auch zuerst für die anfallenden Kosten herangezogen werden und nicht der anonyme Steuerzahler.

Die Entgelte sollen grundsätzlich ko-stendeckend sein, jedoch sind Abwei-

chungen aus verschiedenen Gründen zulässig. Deshalb heißt es auch im Ge-setz, dass Entgelte „soweit vertretbar und geboten“ zu erheben sind:

� „Soweit geboten“ meint hierbei eine möglichst volle Kostendeckung, wäh-rend mit

� „soweit vertretbar“ die Möglichkeit eingeräumt wird, eine Leistung auch ohne volle Kostendeckung anzubieten.

Der Umfang der Kostendeckung bei leistungsbezogenen Entgelten ist ge-setzlich nicht vorgeschrieben. Für die Benutzungsgebühren legen die §§ 10 bis 14 SächsKAG nur die Obergrenzen fest. Diese bestimmen, welche Kosten angesetzt werden können und dass die Gebühren diese Kosten nicht über-schreiten dürfen (Kostenüberschrei-tungsverbot). Diese Grundsätze gelten auch für die privatrechtlichen Entgelte sinngemäß.

Kostendeckende Entgelte werden in der Regel nur bei sog. kostenrech-nenden Einrichtungen erreicht (Was-serversorgung, Energieversorgung, Abwasserbeseitigung, Abfallbeseiti-gung).

Nicht kostendeckende Entgelte wä-ren u.a. aus folgenden Gründen ge-rechtfertigt

� aus sozialen Gründen: z.B. Kinder-tagesstätten, Hallen- und Freibäder;

� aus kulturpolitischen Gründen: z.B. Volkshochschulen, Musikschulen, Theater, Museen, Büchereien;

� aus umweltpolitischen Gründen: z.B. ÖPNV.

Ein kostendeckendes Entgelt würde in o.g. Fällen auch zu einem drastischen Rückgang der Nachfrage und damit zu noch geringeren Einnahmen führen, mit der möglichen Konsequenz, dass diese Leistungen den Einwohner/innen gar nicht mehr angeboten werden. Gemeindesteuern

Nach den leistungsbezogenen Ent-gelten stehen in der Rangfolge der Ein-

nahmen die Steuern an zweiter Stelle. Im Hinblick auf die Fülle der Aufgaben sind die Gemeinden auf die Erhebung der Steuern angewiesen, die Gewerbe-steuer und die Grundsteuer spielen da-bei eine wichtige Rolle im Gemeinde-finanzsystem. Ihre Erhebung ist auch deshalb konsequent, weil sie zu einer gerechten Lastenverteilung beitragen. Die übrigen örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern (z.B. Hundesteuer, Zweitwohnungssteuer) haben als Ba-gatellsteuern eine geringe Bedeutung.

Die Gewerbesteuerhebesätze liegen bei den sächsischen Kommunen im Durchschnitt höher als der Bundes-durchschnitt. Deshalb gebe es hier we-nig Reserven für die Zukunft, die He-besätze noch weiter heraufzusetzen.

Auch bei der Grundsteuer haben die Kommunen in Sachsen in den letzten Jahren die Hebesätze stark angehoben. Wie bei der Gewerbesteuer bleiben die Einnahmen aus der Grundsteuer in Sachsen ebenfalls deutlich hinter den Ergebnissen der Westländer zurück. Ursache dafür sind die unterschied-lichen Einheitswerte, die in auf völlig veralteten Werten basieren. Basis für die neuen Länder sind noch immer we-gen fehlender Neubewertung die Wert-verhältnisse von 1935, während im Westen wenigstens die Wertbasis 1964 zugrunde liegt. Außerdem ist der An-teil der land- und forstwirtschaftlichen Flächen im Osten relativ größer als im Westen, für die nur die niedrigere Grundsteuer A angesetzt wird (im Un-terschied zu bebauten Flächen die hö-here Grundsteuer B).2

RücksichtnahmegebotZu den Grundsätzen der Einnahme-

beschaffung gehört, dass die Gemein-de „auf die wirtschaftlichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht zu

Fortsetzung auf folgender Seite

Seite 2Kommunal-Info 7/2015

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.deRed., Satz und Layout: A. Grunke

V.i.S.d.P.: P. PritschaDie Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.

nehmen“ habe. Die Abgabepflichtigen sollen nicht

unzumutbar belastet werden. Die Steu-erbelastung darf nicht so hoch ange-setzt werden, dass sie für den durch-schnittlichen Steuerpflichtigen eine Existenzgefährdung mit sich bringt oder dass sie stark leistungshemmend wirkt. Dies liegt auch im Eigeninte-resse der Gemeinde, denn andernfalls würden Abwanderungen, Insolvenzen und Konkurse, Steuerhinterziehung u. a. längerfristig das Aufkommen an Steuern reduzieren.

Der einzelne Abgabepflichtige kann jedoch aus dem Rücksichtnahmegebot in § 73 Abs. 2 SächsGemO kein sub-jektives Recht auf eine geringere Steu-erbelastung ableiten. Deshalb kann es auch keine Festsetzung einer sog. „so-zial verträglichen“ Abgabe im Ein-zelfall geben. Vielmehr ist von der Belastung der Gesamtheit der Abga-bepflichtigen durch die Gesamtheit der Abgaben (vornehmlich der wiederkeh-renden) auszugehen.

Das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht haben entschieden, dass die Steuern keine er-drosselnde oder konfiskatorische Wir-kung haben dürfen.3

Sollen in Anwendung des Rücksicht-nahmegebotes kommunalpolitische Entscheidungen getroffen werden, wird empfohlen, einen sog. „Abgabenkorb“ mit jenen wichtigsten Abgaben zu be-stimmen, die von der Mehrzahl der Bürger erhoben werden, und in Relati-on zur Finanzkraft der Gemeinde und ihrer Bürger zu setzen. Wenn die von der Mehrzahl der Bürger zu leistenden Abgaben insgesamt ein zumutbares Maß überschreiten und die Finanzkraft der Gemeinde es zulässt, können Ab-gabensenkungen in Betracht kommen.4

Sonstige EinnahmenDie „sonstigen Einnahmen“ unter-

liegen nicht den Einnahmebeschaf-fungsgrundsätzen, wenngleich sie ei-nen erheblichen Teil des kommunalen Finanzaufkommens ausmachen. Dazu gehören u.a.

� die allgemeinen Schlüsselzuwei-sungen nach dem Finanzausgleichsge-setz (FAG),

� der Gemeindeanteil an der Einkom-menssteuer,

�Ersatz für soziale Leistungen, �Buß- und Verwarngelder, �Entnahmen aus der Rücklage.Besonders die Zuweisungen aus dem

FAG haben für Sachsen und die ande-ren ostdeutschen Bundesländer ein er-hebliches Gewicht. Liegt doch der An-teil der gemeindlichen Einnahmen aus Steuern im Vergleich zu den west-deutschen Ländern sichtlich niedriger. Nach dem Gemeindefinanzbericht für 2014 des Deutschen Städtetags hat-ten die Steuern bei den Einnahmen im Westen einen Anteil von 41,3 % wäh-rend ihr Anteil im Osten nur 26,7 % ausmachte. Umgekehrt sah es bei den Zuweisungen aus: im Osten betrug ihr Anteil an den gemeindlichen Einnah-men 47,8 % und im Westen 31,9 %.

Ein beträchtlicher Teil der „sonstigen Einnahmen“ (Schlüsselzuweisungen, Anteil an der Einkommenssteuer, Er-satz sozialer Leistungen) sind von den Gemeinden selbst nicht maßgebend be-einflussbar. Die Gemeinde muss diese Einnahmemöglichkeiten vollständig ausschöpfen, um die Gemeindeein-wohner und örtlichen Steuerzahlern zu entlasten.

KrediteAn dritter und letzter Stelle der kom-

munalen Einnahmebeschaffung nach § 73 Abs. 4 SächsGemO steht die Auf-nahme von Krediten durch die Ge-meinde. Kredite dürfen erst dann auf-genommen werden, „wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre“. Deshalb hat die Gemeinde davor al-le anderen Einnahmequellen und De-ckungsmöglichkeiten ausschöpfen. Vor einer Kreditaufnahme ist deshalb zu prüfen, ob durch eine stärkere He-ranziehung der sonstigen Einnahmen und der leistungsbezogenen Entgelte sowie durch Erhöhung der Steuersätze die Eigenmittel aufstockt werden kön-nen. Weiterhin soll geprüft werden, ob Erlöse aus Vermögensveräußerungen zu erzielen sind.

Aufgrund der relativ langen Laufzeit der kommunalen Kredite übersteigt die Zinssumme häufig den Darlehensbe-trag, so dass die Kreditfinanzierung ei-ne sehr teure Art der Finanzierung dar-stellt. Eine hohe Verschuldung kann damit zu einer erheblichen Gefährdung der dauernden Leistungsfähigkeit der gemeindlichen Finanzwirtschaft füh-ren. Das könnte auch bedeuten, dass

die nachfolgende Generation in unzu-mutbarer Weise vorbelastet wird.

Die Aufnahme von Krediten durch Kommunen darf deshalb nur unter strengen Voraussetzungen geschehen. Insbesondere gelten hier die Bestim-mungen in § 82 SächsGemO:

�Kredite dürfen nur im Finanzhaus-halt und nur für Investitionen, Investi-tionsförderungsmaßnahmen und zur Umschuldung aufgenommen werden.

�Der Gesamtbetrag der vorgesehenen Kreditaufnahmen für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen be-darf im Rahmen der Haushaltssatzung der Genehmigung der Rechtsaufsichts-behörde.

SpendenDer Absatz 5 in § 73 SächsGemO

(Einwerbung von Spenden) kam auf Anregung des Sächsischen Städte- und Gemeindetags in die neugefasste Gemeindeordnung. Mit dieser Rege-lung soll Transparenz und Sicherheit geschaffen werden. Sie soll den Ver-antwortlichen der Gemeinde ermögli-chen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Zu-wendungen von Privaten einzuwerben, ohne dass die Betreffenden in Gefahr geraten, Vorwürfen wegen Vorteilsan-nahme oder Vorteilsgewährung ausge-setzt zu sein und dann ggf. strafrecht-lich belangt zu werden.

Mit der Einwerbung von Spenden kann die Gemeinde Mittel beschaffen, um mit deren Hilfe die Durchführung einer bestimmten Aufgabe zu ermögli-chen. Handelt es sich um Spenden für laufende Aufgaben (z.B. Finanzierung einer Veranstaltung), wird die Spen-de im Ergebnishaushalt vereinnahmt. Geht es jedoch um eine Spende zur Fi-nanzierung einer Investition (z. B. für den Bau eines Bades), dann wird sie als Einzahlung im Finanzhaushalt festge-halten. Das Wesen der Spende besteht darin, dass sie direkt zu einer kon-kreten Aufgabenerfüllung eingesetzt wird.

Die Gemeinde darf auch Spenden und Schenkungen einwerben, wenn sie diese dann an einen Dritten weiterlei-tet, der eine Aufgabe erfüllt, die zum gemeindlichen Wirkungskreis zählt. Denkbar ist z. B. die Bitte um Spenden zur Errichtung eines vereinseigenen Sportplatzes, den der Sportverein vor-mittags für den Schulsport bereitstellt. In diesem Falle handelt es sich um eine „Durchlaufspende“, die eine Gemeinde

annimmt, in ihrem Haushalt einnimmt und dort auch weiterleitet.

Die Einwerbung und die Entgegen-nahme der Angebote für Spenden und Schenkungen obliegen ausschließlich dem Bürgermeister, den Beigeordneten oder den vom Bürgermeister damit be-auftragten leitenden Bediensteten. Die Entscheidung über die Annahme oder Vermittlung der Spenden und Schen-kungen entscheidet entweder der Ge-meinderat oder ein beschließender Ausschuss. Dabei ist ausschließliche Zuständigkeit des Gemeinderats für Zuwendungen und Spenden in bedeu-tender Höhe durchaus sinnvoll. In der kommunalen Praxis werden jedoch häufig kleinere und kleinste Beträge eingeworben. Deshalb sollte die Ge-meinde in ihrer Hauptsatzung für die-se Beträge einen beschließenden Aus-schuss für zuständig erklären.5

AG—

1 Auf weitergehende Ausführungen zum Thema „Kommunale Einnahmen“ sei hier auf den Beitrag in Kommunal-Info Nr. 9/2012 verwiesen. 2 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat

Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit wei-terführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 73, Rn. 40. 3 Vgl. ebenda, Rn. 43.4 Vgl. Menke/Arens, Gemeindeordnung

für den Freistaat Sachsen. Kommentar, 4. Aufl., 2004, S. 181.5 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat

Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit wei-terführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 73, Rn. 432.

Fortsetzung von Seite 1... Einnahmen beschaffen

RL Nachhaltige Soziale Stadtent-wicklung ESF 2014-2020 vom 09.03.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 13/2015, S. 402 und Bekanntma-chung des Sächsischen Staatsmini-steriums des Innern vom 09.03.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 13/2015, S. 406.

Ziel der Richtlinie ist es, die Städ-te und Gemeinden bei der Umsetzung von niedrigschwelligen Vorhaben zur Förderung und gesellschaftlichen Teil-habe sozial benachteiligter Einwoh-ner_innen zu unterstützen. In der För-derfassung vom 09.03.2015 erstreckt sich dies auch ausdrücklich auf Mi-grant_innen und Asylsuchende.

Antragsberechtigt sind Städte und

Aktuelle Förderrichtlinien AsylGemeinden mit mindestens 5.000 Ein-wohner_innen, so sie die Vorausset-zung erfüllen, über ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept (INSEK) zu verfügen. Die Zuwendungen selbst können an Dritte, den Projektträger, weitergereicht werden

Die umzusetzenden, integrativen Vorhaben müssen Bestandteil eines gebietsbezogenen, integrierten Hand-lungskonzeptes sein1, die zuwendungs-fähigen Kosten sollen 10.000 EUR nicht unterschreiten, die Gemeinden müssen den erforderlichen Eigenanteil tragen können. Es kann aber auch der Projektträger den Eigenanteil erbrin-gen.

Über die Bewilligung der Förder-

mittel wird in einem zweistufigen An-tragsverfahren entschieden. Im ersten Schritt muss das gebietsbezogene, in-tegrierte Handlungskonzept bestätigt werden. Hierzu ist bis zum 15.07.2016 der Antrag auf Bestätigung in zwei-facher Ausfertigung unter Verwendung des SAB-Vordruckes 60888 bei der Sächsischen Aufbaubank – Förder-bank einzureichen. Im zweiten Schritt wird über die Förderung der einzelnen Vorhaben im Rahmen des gebietsbezo-genen Handlungskonzeptes entschie-den.

Gefördert werden bis 95% der zu-wendungsfähigen Ausgaben und Ko-sten. Insgesamt stehen für die Förder-periode 2014-2020 30 Mio. EUR zur

Verfügung, zusätzlich dazu die Betei-ligung des Freistaates Sachsen in Höhe von 5,6 Mio. EUR.

RL Flüchtlingswohnungen vom 30.03.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 16/2015, S. 502, mit Änderung vom 30.07.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 30/2015, S. 1010.

Ziel der Richtlinie ist es, die Städte und Gemeinden bei der Schaffung von Wohnraum für Asylsuchende und Ge-flüchtete zu unterstützen. Hierzu soll die Sanierung und Modernisierung von leerstehendem Wohnungsbestand in vorrangig innerstädtischen Quartieren

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gefördert werden.Antragsberechtigt sind Städte und

Gemeinden, die (1) in ein laufendes Programm der Städtebaulichen Erneu-erung oder des Stadtumbau aufgenom-men wurden und (2) für die Aufnahme von Asylsuchenden vorgesehen sind. Die Gemeinde leitet die Zuwendung an Dritte weiter, welche die Maßnahme durchführen.

Hierzu muss die Sanierung und Mo-dernisierung der betreffenden Gebäu-de im Rahmen der Städtebaulichen Er-neuerung gemäß der VwV StBauE vom 20.08.2009 gefördert werden. Weiter-hin braucht es eine Bestätigung der zuständigen Unterbringungsbehörde, dass der betreffende Wohnraum grund-sätzlich geeignet und nach der Sanie-rung als Wohnraum für Asylsuchende und Geflüchtete vorgesehen ist. Sel-biger soll nach Abschluss der Maßnah-me mindestens 10 Jahre vorrangig als Wohnraum für Asylsuchende und Ge-flüchtete dienen, so aber kein Bedarf besteht, als Wohnraum für Leistungs-empfänger_innen nach SGB II und SGB XII genutzt werden. Dem Beach-tung zollend, sollen die Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen an-gemessen erfolgen.

Nicht gefördert werden der Neubau von Gebäuden, die Modernisierung von für eine dauerhafte Unterbringung ungeeigneten Gebäuden, Personalko-sten der Gemeinde, Kosten für Aus-stattung und Betrieb des Wohnraums. Jedoch wird der kommunale Eige-nanteil für Sanierungs- und Moderni-sierungsmaßnahmen im Rahmen der Programme der städtebaulichen Er-neuerung zu 100% durch Landesmit-tel ersetzt.

Die Förderung kann für die Haus-haltsjahre 2015, 2016, 2017 bis zum 31.12.2015 unter Verwendung des SAB-Vordruckes 61379 bei der Säch-sischen Aufbaubank – Förderbank beantragt werden. Private Träger wen-den sich an die jeweilige Gemeinde- oder Stadtverwaltung. Im Doppelhaus-halt 2015/2016 sind für 2015 1 Mio. EUR und für 2016 4 Mio. EUR ein-gestellt.

RL Soziale Betreuung Flüchtlinge vom 08.07.2015, Sächsisches Amts-blatt Nr. 29/2015, S. 992

Ziel der Richtlinie ist es, die Städ-te und Gemeinden bei der Gewähr-leistung der sozialen Beratung und Betreuung von Asylsuchenden und Ge-flüchteten zu unterstützen. Mittels der Förderung durch die Richtlinie soll der Betreuungsschlüssel von gegenwärtig ein_er Sozialarbeiter_in pro 200 Asyl-suchende und Geflüchtete auf 1:150 verbessert werden.2

Antragsberechtigt sind die Land-kreise und kreisfreien Städte als un-tere Unterbringungsbehörde nach § 2 SächsFlüAG. Die Zuwendungen kön-nen an Träger der freien Wohlfahrts-pflege und andere gemeinnützige, öf-fentlich-rechtliche Einrichtungen weitergeleitet werden.

Voraussetzung ist die Teilnahme an einer Evaluierung der Maßnahmen und die Deckung des Eigenanteils von min-destens 10%. Förderfähig sind vorha-benbezogene Personal- und Sachkosten – erstere bis zur Höhe einer vergleich-

baren Vergütung nach TvöD, letzte-re bis 10% der zuwendungsfähigen Ausgaben. Die Vorhaben selbst sind mit Dipl.-Sozialpädagog_innen, ver-gleichbaren Studienabschlüssen oder von Personen mit besonderen Kennt-nissen und praktischen Erfahrungen zu besetzen. Nicht gefördert werden Ver-fahrens- und Rechtsberatung als auch Ausgaben für Maßnahmen, die bereits mit der Kostenpauschale nach § 10 AsylblG abgedeckt sind.

Die Höhe der Förderung wird nach dem gleichen Schlüssel ermittelt wie die Erstattung der Kostenpauschale. Maßgeblich ist die durchschnittliche

Anzahl der zu den Monatsenden des vorausgehenden Vierteljahres Unterge-brachten.3 Die Höhe der Förderung be-trägt bis 90% der zuwendungsfähigen Ausgaben.

Einzureichen sind die Anträge bei der Landesdirektion Sachsen unter Verwendung des Vordruckes Antrag auf Gewährung einer Zuwendung Förderung der sozialen Betreuung von Flüchtlingen in kommunalen Unterbringungseinrichtungen, gilt für 2015 der 15.10. als Frist. Vorge-sehen sind für 2015 und 2016 jeweils 3 Mio. EUR

RL Integrative Maßnahmen, voraus-sichtliches Inkrafttreten: Anfang Sep-tember 2015, Stand: 26.08.2015

Ziel der Richtlinie ist es, die Integra-tion und Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund zu unterstüt-zen, in dem Wissen, dass dies eine ge-samtgesellschaftliche Aufgabe ist. Die Richtlinie ist zweigeteilt.

Teil 1 richtet sich an gemeinnüt-zige Träger, Vereine, Verbände, Trä-ger der freien Wohlfahrtspflege, kom-munale Gebietskörperschaften, Träger der freien Wohlfahrtspflege, anerkann-te Religionsgemeinschaften und wis-senschaftliche Einrichtungen in Koo-peration mit gemeinnützigen Trägern/kommunalen Gebietskörperschaf-ten. Förderfähig sind Vorhaben, die die selbstbestimmte Teilhabe von Mi-grant_innen zum Ziel haben. Explizit umfasst das die Information, Beratung und Unterstützung von Asylsuchen-den und Geflüchteten.4 Eine Förderung entfällt, insofern bereits Fördermittel von EU, Bund und Land in Anspruch genommen werden. Jedoch kann die Richtlinie zur Kofinanzierung von För-derprogrammen von EU und Bund he-rangezogen werden. Besonderer Wert wird auf die Qualifizierung des Perso-nals als auch deren regionaler Vernet-zung gelegt.

Zuwendungsfähig sind Personal-,

Sach- und Verwaltungskosten, der För-deranteil liegt bei bis zu 90%. Anträge sind einzureichen bei der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank unter Verwendung des SAB-Vordruckes 60691, bis zum jeweils 1.10. des Vor-jahres. Für das Haushaltsjahr 2015 gilt ebenfalls der 1.10.

Teil 2 richtet sich an die Kommunen. Förderfähig sind folgende Vorhaben: (1) eine „Koordinationskraft Integrati-on“ je Landkreis/kreisfreier Stadt; (2) niedrigschwellige, ehrenamtliche Ini-tiativen, insbesondere zum Spracher-werb in Kooperation mit kommunalen und gemeinnützigen Trägern, Trägern

der freien Wohlfahrtspflege und an-erkannten Religionsgemeinschaften; (3) Unterstützung bei der Bereitstel-lung von Arbeitsgelegenheiten nach § 5 AsylblG. Zuwendungsempfänger sind die Landkreise und kreisfreien Städte. Diese können die Maßnahmen selbst durchführen oder die Zuwendungen weiterleiten. Endempfänger können natürliche und juristische Personen des öffentlich und privaten Rechts und anerkannte Religionsgemeinschaften sein. Die Förderung entfällt für Vor-haben, die bereits nach der Kosten-pauschale des SächsFlüAG abgegol-ten sind bzw. der RL „Wir für Sachsen“ oder der RL Soziale Betreuung Flücht-linge gefördert werden. Das jeweilige Höchstbudget richtet sich nach der Be-völkerungszahl der Landkreise und kreisfreien Städte. Zuwendungsfähig sind: (1) bis zu 90% der notwendigen Personal- und Sachkosten, jedoch kei-ne Ausgaben für kommunale Integra-tions-/Ausländerbeauftragte; (2) für ehrenamtliche Initiativen Sachaus-gaben bis zu 1000 EUR/Jahr, für eh-renamtlich Sprachkurse können je Sprachkurs Sachausgaben bis zu 300 EUR weitergereicht werden; (3) Sach-ausgaben bis 500 EUR/bereitgestellter Arbeitsgelegenheit.

Anträge sind einzureichen bei der Sächsischen Aufbaubank – Förder-bank unter Verwendung des SAB-Vor-druckes 60692 und der Maßnahmen-übersicht SAB-Vordruck 60693, bis zum jeweils 1.10. des Vorjahres. Für das Haushaltsjahr 2015 gilt eben-falls der 1.10. Für 2015 stehen 3,5 Mio. EUR, für 2016 4,5 Mio. EUR zur Ver-fügung.

Die Richtlinien werden ergänzt um jeweils 3 Mio. EUR Bedarfszuwei-sungen in 2015 und 2016, welche für die Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten zu verwenden sind.5 Wei-terhin sind in 2015 20,5 Mio. EUR und in 2016 17,5 Mio. EUR als zweckge-bundene Investitionspauschale zur Er-

stellung und Instandsetzung von Ein-richtungen zur Unterbringung von Asylsuchenden vorgesehen.6 Sel-bige wird aus der „pauschalen Hilfe“ Bundes finanziert, welche zusammen-genommen für 2015 eine Höhe von 1 Mrd. EUR hat7 – über den „Königstei-ner Schlüssel“ stehen Sachsen 50 Mio. EUR zu.

Zusätzlich wurde mit der Änderung des SächsFlüAG die Pauschale zur Ko-stenerstattung durch den Freistaat an die Kommunen auf 7.600 EUR/Per-son/Jahr erhöht.8 Der angehobene Er-stattungsbetrag gilt bereits zum jet-zigen Zeitpunkt als unzureichend, so beziffert das Unterbringungs- und Kommunikationskonzept des LK Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ei-ne auskömmliche Pauschale auf eher 9.000 EUR/Person/Jahr.9

Angesichts der korrigierten Progno-sen des BMI, wonach 2015 bundesweit mit bis zu 800.000 Asylerstanträgen zu rechnen ist, von denen 41.000 auf den Freistaat Sachsen entfielen, kündi-gte die Staatsregierung an, die tatsäch-liche Kostendeckung der Erstattungs-pauschale zu überprüfen. Darüber hinaus wurden weitere Finanzmittel in Aussicht gestellt: 2015 - 20 Mio. EUR pauschal zuzüglich 10 Mio. EUR Be-darfszuweisung, 2016 - 10 Mio. EUR pauschal zuzüglich 20 Mio. EUR Be-darfszuweisung. Hierfür sollen Meh-reinnahmen und nicht verbrauchte Mit-tel verwendet werden.10

Zusammengestellt von KonrAd Heinze, CHemnitz

—1 Die Richtlinie sieht die Förderung der

Erstellung von gebietsbezogenen, integ-rierten Handlungskonzepten bis zu einer Förderhöhe von 50.000 EUR vor, je-doch ist die Antragsfrist am 07.05.2015 verstrichen.2 Hier sei angemerkt, dass die Liga der

Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen da-zu rät, einen Schlüssel von 1:80 anzu-streben.3 Vgl. § 10 Abs. 1 SächsFlüAG.4 Vgl. Teil I, Ziffer II, Nr. 3 RL Integra-

tive Maßnahmen.5 Vgl. § 22 Abs. 8 SächsFAG.6 Vgl. Art 15 Haushaltsbegleitgesetz

2015/2016.7 Waren eigentlich für 2015 und 2015

jeweils 500 Mio. EUR vorgesehen, wird der Betrag für 2016 vorgezogen. Die Entscheidung, die Zahlung für 2016 vorzuziehen, fiel jedoch im Juni 2015, als der sächsische Doppelhaushalt 2015/2016 bereits in Kraft getreten war.8 Vgl. Art. 8 Haushaltsbegleitgesetz

2015/2016.9 Vgl. LK Sächsische Schweiz-Osterz-

gebirge (Hrsg.): Unterbringungs- und Kommunikationskonzept des Land-kreises Sächsische Schweiz-Osterzge-birge, beschlossen am 18.05.2015, S. 24.10 Vgl. Sächsische Staatskanzlei

(Hrsg.): Medieninformation 148/2015. Sachsen stellt sich Herausforderung bei Asyl, vom 20.08.2015.

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... Förderrichtlinien Asyl

Seite 4Kommunal-Info 7/2015

Seminar

Den kommunalen Haushalt lesen und verstehen. Doppik für Mandatsträger

Freitag 18.09.2015 ab 18:00 Uhr bis Sonnabend 19.09.2015 ca.15:30

Schwerpunkte: � Haushaltssatzung und Haushaltsplan – was beinhalten beide? � Nach welchen Haushaltsgrundsätzen ist der Haushaltsplan aufzustellen? � Wie ist ein „doppischer“ Haushaltsplan aufgebaut? Was wird durch den Ergeb-nishaushalt und was durch den Finanzhaushalt abgebildet?

� Wie wird im „doppischen“ Haushalt gebucht? � Was geschieht, wenn die Haushaltssatzung nicht beschlossen wurde und nur eine vorläufige Haushaltsführung möglich ist?

� Welche Abweichungen vom Haushaltsplan sind zulässig, wann ist ein Nachtragshaushalt zu beschließen?

� Wie wird im „doppischen“ Haushaltsplan der Haushaltsausgleich erreicht? � Wie ist die Eröffnungsbilanz aufzustellen, was ist dabei zu beachten? � Unter welchen Voraussetzungen darf die Kommune Kredite aufnehmen? � Wann muss ein Haushaltsstrukturkonzept aufgestellt werden, was muss darin enthalten sein?

� Was steht im Jahresabschluss und in der Eröffnungsbilanz und nach welchen Grundsätzen sind sie zu erstellen?

� Wie können Mandatsträger Einfluss auf den kommunalen Haushaltsplan nehmen?

Referent: Alexander Thomas (Dipl.-Verwaltungswirt)Veranstaltungsort: Hotel „Schwarzes Roß, Freiberger Straße 9, Großschirma ST SiebenlehnTeilnahmegebühr: 20,00 (Studenten u. AlG II-/SoHi-Empfänger 5,00 EUR)inkl. Übernachtung und alkoholfreie Tagungsgetränke

Fachforum

Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Barrierefreiheit in sächsischen Kommunen

Montag, 28.09.2015, 17:00 Uhr

Schwerpunkte: � 6 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland

� Was fordert die UN-Behindertenrechtskonvention? � Wie ist der Stand der Umsetzung im Freistaat Sachsen? � Was ist ein Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und wann kommt dieser in Sachsen?

� Sicherung der Teilhabe und eines selbstbestimmten Leben ist mehr als nur die Schaffung von Barrierefreiheit!

� Was bedeutet umfassende Barrierefreiheit? � Welchen eigenen Beitrag können Landkreise und Kommunen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention leisten?

� Welche Maßnahmen können Kommunen zur Schaffung von Barrierefreiheit leisten?

� Wie sinnvoll sind eigene Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behinderten-rechtskonvention in Kommunen und was können sie bewirken?

Referent/innen:Helga Dittrich (Senioren- und Behindertenbeauftragte des Landkreises Erzgebirge)Horst Wehner (MdL, Sprecher für Inklusion u. für SeniorInnenpolitik)Veranstaltungsort: „Kulturbahnhof“, Bahnhofstr. 2, StollbergTeilnahmegebühr: 3,00 EUR

Anmeldungen bitte an:Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99

Tel.: 0351-4827944 oder 4827945Fax: 0351-7952453

[email protected]

ISBN 978-3-945564-01-1; 6,90 EURWo kommt das Geld her, das einer Kommune zur Verfügung steht? Für was soll bzw. darf es ausgegeben werden? Und wie wird das ganze Jahr der Überblick bewahrt?Alexander Thomas sorgt für Klarheit. Der Diplom-Verwaltungswirt erklärt alle wichtigen Begriffe, Zusammenhänge und rechtlichen Hintergründe. Dabei ver-anschaulichen konkrete Zahlen und praxisnahe Beispiele die Abläufe. Dieses Know-How ist wichtig, um öffentliche Mittel verantwortungsvoll zu verwenden!Der Autor ist seit dem Jahr 2000 parlamenta¬rischer Berater der Linksfraktion im Sächsischen Landtag — davor war er Fachbediensteter für das Finanzwesen der Stadt Meißen.

Informationsveranstaltungen zum Thema

Kommunale Asylpolitik im Kontext

am Mittwoch, 10.09.2015, 18:00 Uhr„Café mit Herz - Begegnungsstätte für Jung und Alt“,

Kosmonautenstraße 9, Zwickau

am Dienstag, 15.09.2015, 17:00 Uhr„Ein Haus für Viele(s)“, Dresdner Straße 13, Meißen

am Dienstag, 29.09.2015, 14:30 UhrVolkssolidarität - „Begegnungszentrum Casino“,

Reißiger Straße 50, Plauen

Referent:Konrad Heinze (Politikwissenschaftler, Teamer beim Netzwerk Demokratie und Courage)

PARLAMENTSREPORTJuli/August 2015 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Der Titel der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten im Juli ließ wie üblich das alte Tremolo von Selbst-lob und Worthülsen erwarten. Aller-dings hatte die Staatskanzlei zuvor per Umfrage herausgefunden, wel-ches Thema der Bevölkerung derzeit am wichtigsten ist: die Asylpolitik. Deshalb erwarteten viele, dass Tillich nach Monaten des Schweigens end-lich klare Worte finden würde. Die-sen Anspruch erfüllte er und erhielt auch Beifall von der Opposition: „Mich machen die Bilder von Menschen in überfüllten Booten und in Flüchtlingslagern im Nahen Osten und Afrika traurig. Es geht um Menschen, die vor Krieg und Katastrophen auf der Flucht sind. Diese Men-schen müssen bei uns gut aufgenommen werden. Sie haben Anspruch auf ein fai-res Asylverfahren und eine gute Unterbringung. Hass und Gewalt gegen diese Men-schen und gegen alle ande-ren verurteile ich auf das Schärfste! Rassismus ist eine Schande. Wenn eine Minder-heit in unserem Land gegen alle Werte von Moral und Anstand verstößt, dann ist es die Pflicht der großen Mehr-heit, sich dagegen zu stellen“.

Leider ist nicht sicher, dass diese Aussagen die Position der sächsischen CDU wider-spiegeln. Vor allem die Namen zweier CDU-Abgeordneter illustrieren das: Krauß und Kupfer. Alexander Krauß aus Schneeberg, sozialpolitischer Sprecher, forderte allen rechtsstaatlichen Grundsätzen zum Trotz, man möge Asylsuchende, deren Identität nicht feststeht, ein-fach einsperren. „Ein Aufenthalt hin-ter Gittern fördert die Gedächtnis-leistung enorm“. Nein, wir reden nicht von einem amerikanischen Gangs-terfilm. Wer „Wirtschaftsflüchtlinge wolle“, so Krauß weiter, solle sie doch „privat aufnehmen“. Solche Platthei-ten wurden gerade noch rechtzeitig aus der Rede von CDU-Fraktionschef Frank Kupfer getilgt, waren allerdings im zuvor verteilten Manuskript noch enthalten. Offenbar hatte man in der CDU-Fraktion nicht mit den klaren Worten Tillichs gerechnet. So ließ sich nachvollziehen, dass Kupfer viel Popu-listisches etwa zu Abschiebehaft und „Wirtschaftsflüchtlingen“ wegließ. Dennoch schimpfte er vor allem gegen „Asylmissbrauch“. Damit stellte er sich gegen Tillich, der formuliert hatte: „Wir fragen nicht zuerst, woher kommt der Mensch, was bringt er mit. Zuerst bieten wir Hilfe an“.

Liebe Leserinnen und Leser,der Ruf des Freistaates ist „fundamental im Arsch“ – so der Dresdner Schriftstel-ler Peter Richter, der in New York lebt und wie der Rest der Welt fassungslos auf Sachsen schaut. Sommerpause? Keine Spur, stattdessen beinahe täglich neues Unterbringungschaos, neue rassistische Übergriffe, überforderte Behörden. Innenminister Ulbig, der lieber in Dresden einen aussichtslosen Wahlkampf führte als seiner Verantwor-tung nachzukommen, steht massiv unter Druck. Auch sonst herrscht Krisenstim-mung in der Landesregierung. Lang vermisste, klare Worte des Mini-sterpräsidenten zum Rassismus-Problem werden regelmäßig entwertet, weil CDU-Hardliner weiter auf Ressentiments statt auf Vernunft setzen, etwa fordern, die Grenzen dichtzumachen. Wer aber legale und sichere Fluchtwege verhindert, ist nicht nur mitschuldig am tausendfachen Sterben – auf Booten im Mittelmeer oder in LKWs auf österreichischen Autobahnen –, sondern sichert auch das Geschäftsmodell von Schlepperbanden.Wir haben der Regierung angeboten, bei der Bewältigung der „größten gesell-schaftlichen Umwälzung seit dem Ende der DDR“ (Freie Presse) parteiüber-greifend zu agieren, und 45 Vorschläge für eine menschliche und geordnete Asylpolitik gemacht. Wir haben eine Son-dersitzung des Landtages angestoßen. Auch davon werden wir in der nächsten Ausgabe berichten. Einstweilen werfen wir einen Blick zurück in den Juli. Denn neben dem Asyl-Chaos gibt es andere Themen, die wir bearbei-ten müssen. Ziel aller Politik muss es sein, dauerhafte soziale Sicherheit für alle zu schaffen, die in Sachsen leben – egal, woher oder warum sie kommen. Das ist dringend nötig, damit die Gesell-schaft nicht zerfällt. Imageprobleme sind dabei nur Randnotizen.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

„Sachsen – was in Zukunft wichtig ist“Der Rest der Regierungserklärung war dann vor allem eines: Standard. Sie bot nur Bekanntes – etwa Seiten-hiebe auf die „Braunkohleabgabe“, deren Verhinderung die Dominanz der Braunkohleverstromung stützen hilft. Neben Dankesformeln und Selbst-lob traten Formeln wie diese: „Ich bin überzeugt, dass wir nur gemeinsam unseren Freistaat Sachsen weiter gut gestalten können“.

Oppositionsführer Rico Gebhardt sparte nicht mit Lob: „Ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident, für Ihr unmiss-verständliches Bekenntnis: Jeder Mensch, der zu uns kommt, hat unab-hängig von seinem Aufenthalts- oder Asylstatus ein uneingeschränktes Recht auf Schutz seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit“. Es sei aber falsch, Begriffe wie „Missbrauch des Asylrechts“ zu gebrauchen – denn das Recht, Asyl zu beantragen, stehe auch allen zu, deren Antrag abgelehnt wird. Es dürfe niemandem rückwir-kend abgesprochen oder aufgrund pauschaler Vorurteile („Wirtschafts-flüchtlinge“) von vornherein verwehrt werden. Deshalb müsse Tillich auch allen in seiner Partei widersprechen, die Ressentiments schüren.

Dass der Ministerpräsident sich nicht früher geäußert hat, erklärte sich Gebhardt mit dessen Taktik, stets erst zu handeln, wenn der Leidensdruck zu groß wird. Offenbar hätten ihm Vertre-ter der Wirtschaft oder von Forschungs-einrichtungen gesagt, dass Fremden-feindlichkeit ausländische Fachkräfte

abschrecke. „Da plötzlich werden Sie aktiv. Sie merken, es droht wirtschaft-licher Schaden. Für Sie ist Dynamik nur in der Wirtschaft wünschenswert – beim Sozialen, der Kultur und Bildung setzen Sie dagegen auf Bewegungs-losigkeit“. Auch deshalb könne von gleichwertigen Lebensverhältnissen in ganz Sachsen keine Rede sein. Dieses Ziel steht noch nicht einmal in der Lan-desverfassung, über deren Reformie-

rung erneut verhandelt wer-den müsse. „Nicht mit ihnen!“, rief CDU-Fraktionschef Kupfer eilig dazwischen.

Dabei sei Sachsen ein Land der Parallelgesellschaften, „das ,Wir‘ liegt in Stücken“, so Gebhardt. Wohnungsnot und Leerstand, Abwanderung und Bevölkerungswachstum, Wirtschaftszentren und leere Gewerbegebiete lägen bei-einander. Neben guten Wirt-schaftskennzahlen gebe es noch immer eine sechsstel-lige Arbeitslosenzahl; ein Lan-desarbeitsmarktprogramm wie in Thüringen sei nicht in Sicht. Dabei könne Arbeit auch ein Schlüssel zur Integ-ration von Flüchtlingen sein. Stattdessen gebe es vieler-orts keinerlei Zusammenhalt mehr. „Wer etwa in den ländli-chen Räumen in Sachsen lebt, seine Kinder in einen anderen Ort zur Kita fährt, weit weg arbeitet und abends schnell in einem Einkaufsmarkt am Stadtrand einkauft – wer so

leben muss und seine Nachbarn kaum noch sieht, der tut sich schwer, in Neu-ankömmlingen eine Bereicherung der Gesellschaft zu erleben. Einfach weil es für ihn gar keine funktionierende Gesellschaft mehr gibt“. Dem könne entgegengewirkt werden: Mit einer Bil-dungsreform, die längeres gemeinsa-mes Lernen für alle Kinder erreicht. Mit einer Verwaltungsreform, die Bürger-nähe herstellt. Mit einer Wirtschaftsre-form, die kleine und mittelständische Unternehmen stärkt. Mit soliden Kom-munalfinanzen und mehr Austausch zwischen Metropolen und ländlichem Raum. Nicht zuletzt mit einer Sozial-politik, durch die alle Menschen gleich-wertig am Leben teilhaben können. Sachsen brauche neue Modelle für gesellschaftlichen Zusammenhalt, so Gebhardt. „Das kann der staatlich geförderte Dorf-Konsum, der flächen-deckende fahrscheinlose Nahverkehr und eine Renaissance von Genossen-schaften sein“. Was in Zukunft wichtig ist? Klar: „eine neue Kultur der Gesel-ligkeit statt der Verwaltung der Ein-samkeit“.

PARLAMENTSREPORTSeite 2 Juli/August 2015

Autoreparaturen besser vergütet als AltenpflegeEs ist eine Antwort, die man bei Fami-lienfeiern häufig hört: „Etwas mit Medien“ wolle man machen, oder „etwas mit Menschen“, antwortet mancher auf die Frage nach Wünschen für die berufliche Zukunft. Beide Aus-sagen umschreiben spannende Felder. Doch während man es im Medienbe-reich mit einer guten Ausbildung und etwas Glück zu einigem Wohlstand bringen kann, ringen viele im zweiten Bereich – dem der „sozialen Arbeit“ – trotz größten Einsatzes um das Exis-tenzminimum. Wir alle haben schon einmal ein Kran-kenhaus, ein Seniorenheim oder eine Kindertagesstätte von innen gesehen und wissen, wie engagiert die Beschäf-tigten teils enorme körperliche und seelische Belastungen auf sich neh-men. Viele dürften sich denken: „Ich könnte hier nicht arbeiten“. Umso mehr Hochachtung sollten wir vor denen haben, die es tun, als Krankenschwes-ter, Altenpfleger oder Erzieherin, trotz mieser Bezahlung. Hochachtung aber reicht nicht: Die Beschäftigten ver-dienen gute Arbeitsbedingungen und einen fairen Lohn. Deshalb debattierte der Landtag auf Anregung der Links-fraktion das Thema „Gute Löhne für soziale Arbeit – Das muss drin sein!“

Susanne Schaper, Krankenschwes-ter und Sprecherin für Sozialpolitik,

verwies auf den Pflegenotstand in Krankenhäusern oder Heimen, auf Personalmangel in Kitas und in der Jugendhilfe. Dies seien Folgen der Ökonomisierung unseres Lebens: „Immer öfter werden humanistische Werte unter das Diktat ökonomi-scher Kategorien wie Wertschöpfung, Preis oder Rentabilität gestellt. Für ein Krankenhaus, ein Altenheim oder eine Kindertagesstätte ist das völ-lig untauglich“. Es könne nicht sein, dass Menschen, die sich um andere kümmern, mit dem Mindestlohn abge-speist werden. „Eine kranke Gesell-

schaft erkennt man daran, dass sie eine Stunde Autoreparatur viermal so hoch vergütet wie eine Stunde Kran-ken- oder Altenpflege“. Soziale Arbeit werde durch Steuergelder und Sozi-alversicherungsbeiträge finanziert und stelle einen volkswirtschaftlichen Wert dar. Gehälter und Fachkräftean-teil müssten erhöht und die Privatisie-rung der Pflegeausbildung rückgängig gemacht werden. Nico Brünler, Sprecher für Wirt-schafts- und Arbeitsmarktpolitik, unterstrich die Kritik an Ökonomisie-

rungstendenzen. Bessere Arbeitsbe-dingungen in sozialen Berufen seien schon deshalb notwendig, damit sich die Beschäftigten wirklich um andere kümmern können, „ohne sie einfach abzufertigen“. Wer im Sozial- und Erziehungsdienst arbeite, werde besonders belastet. In Chemnitz liege die Krankenstands-Quote bei Kita-Erzieherinnen bei zehn Prozent, was durchschnittlich 39 Ausfalltage pro Kopf bedeute.

Annekatrin Klepsch, Expertin für Kinder- und Jugendpolitik, verwies auf den ersten unbefristeten Streik von Kita-Beschäftigten im vereinten Deutschland. Sie lobte den Durch-haltewillen der Streikenden, zumal der öffentliche Dienst eine Leit- und Vorbildfunktion habe. Er zeichnet die Gehaltsentwicklung für freie Kita-Trä-ger vor. Die Gehälter müssten auch steigen, weil ein Großteil des Perso-nals eine Fachhochschul- oder Hoch-schulausbildung besitzt. Deutschland ist reich. Durch eine Steuerpolitik auf Bundesebene, die breite Schultern stärker belastet, lie-ßen sich auch gute Gehälter in der Sozialen Arbeit finanzieren. Dafür sollte sich die Staatsregierung ein-setzen – damit es auch künftig genug Menschen gibt, die bereit sind, Arbeit „mit Menschen“ zu leisten.

Erbschaftsteuer schafft Ausgleich – Schluss mit Schonung!

Wer arbeitet, soll mehr haben als der-jenige, der nicht arbeitet! Solche Sprü-che hört man noch oft, obwohl die FDP politisch bedeutungslos ist. An min-destens einer Stelle aber müssen sich „Leistungsträger“-Freunde Inkonse-quenz vorwerfen lassen – wenn sie für eine schwache Erbschaftsteuer plä-dieren. Schließlich wird Besitz bei Ver-erbung oder Schenkung auch übertra-gen, ohne dass die neuen Eigentümer dafür „etwas leisten“ müssen. Des-halb darf die öffentliche Hand einen Teil beanspruchen, um das Gemein-wesen zu finanzieren. Dennoch gibt es eine schiefe Entwicklung: Zwischen 2009 und 2013 wuchs das geerbte Betriebsvermögen um 41,9 Prozent, das Erbschaftsteueraufkommen aber nur um elf Prozent. Indes hat sich der Wert des verschenkten Betriebsver-mögens beinahe verdreifacht, wäh-rend die Summe der gezahlten Schen-kungsteuer um 21,4 Prozent sank!

Die Regelungen zur Erbschaft- und Schenkungsteuer werden derzeit auf Bundesebene überarbeitet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die weitgehenden Ausnahmen für ver-fassungswidrig erklärt. Auch die Landesregierungen können diesen Prozess beeinflussen. Wir haben die Staatsregierung per Antrag (Drucksa-che 6/1730) aufgefordert, sich gegen Steuerbefreiungen bei vererbtem oder verschenktem Betriebsvermö-gen einzusetzen. Der Staat soll stärker zugreifen, und Unternehmenseigentü-mer, die eine angemessene Erbschaft-steuer zahlen könnten, nicht länger schonen. Dennoch sollen Liquidität und Arbeitsplätze sicher bleiben – etwa durch Stundung bei nachgewie-sener Bedürftigkeit. Der Aufschrei war groß und folgte einem alten Muster: Diese Linken wollen unsere Unternehmer enteig-nen, Arbeitsplätze sind ihnen wurscht!

Alles falsch, wie Sebastian Scheel, Finanzexperte der Fraktion DIE LINKE, klarstellte. „2,6 Billionen Euro werden bis 2020 in Deutschland ver-erbt. Wenn wir zusammenfassen wol-len, was das bedeutet, dann heißt das: Viele erben wenig und einige wenige im Westen erben viel“. Seit Jahren seien Regelungen zur Vererbung von Betriebsvermögen gelockert worden. Immer großzügigere Stundungen, die Abschaffung von Zinszahlungen und das Ausklammern weiter Teile des Betriebsvermögens bei der Steuerbe-rechnung führten 2008 zum großen Coup der Unternehmerlobby: „Mül-ler und Co. durften sich freuen. End-lich ist es gelungen, ohne Steuern ihr Vermögen auf die nächste Generation übertragen zu können“. Seitdem konn-ten Unternehmen steuerfrei vererbt werden, unabhängig davon, wie groß sie sind, oder ob es sich der Erbe leis-ten könnte, Erbschaftsteuer zu zahlen – solange die Mitarbeiterzahl einige Jahre lang stabil blieb. „In den Jahren 2009 bis 2012 sind nach Angaben des Bundesfinanzministeriums auf-grund dieser neu geschaffenen Para-grafen über 70 Milliarden Euro nicht zur Steuer herangezogen worden“, so Scheel. Dabei habe der Wirtschaftslobby insbesondere das Argument gehol-fen, eine zu harte Erbschaftsteuer gefährde Arbeitsplätze. Bis heute gibt es, so Scheel, aber nicht ein ein-ziges Unternehmen, das durch die Erbschaftsteuer in Schieflage gera-

ten wäre. Ein Gutachten des Bundes-finanzministeriums argumentiert, es existierten „wenig Hinweise darauf, dass eine Verschonung von Betriebs-vermögen geboten ist, um Arbeits-platzverluste zu vermeiden“. Sofern die CSU die Kompromisse mit-trägt und Lobbyisten keine erneute Abschwächung durchsetzen, sollen künftig alle Unternehmen mit mehr als drei Mitarbeitern nachweisen müssen, dass sie Erbschaftsteuerrabatte zu Recht erhalten. Die werden gewährt, wenn die Beschäftigtenzahl einige Jahre konstant bleibt. Auch die Höhe möglicher Steuerrabatte wird abge-senkt. Wenn das vererbte Betriebs-vermögen mehr als 26 Millionen Euro wert ist, wird künftig geprüft, ob der Nutznießer die übliche Steuer nicht aus seinem Privatvermögen zahlen kann. Bisher lag diese Grenze deutlich höher.Dennoch lädt der Gesetzentwurf zur Steuervermeidung ein. Auch künftig werden nur wenige Unternehmen Erb-schaftsteuer zahlen müssen. „Lassen Sie uns – bei einem individuellen Frei-betrag von 500.000 Euro – alle Son-dertatbestände abschaffen, denn sie schaffen nur Unklarheit und Umge-hungstatbestände“, so Scheel. Die Erbschaftsteuer ist schließlich, wie auch das Verfassungsgericht fest-stellt, sehr wichtig. Sie hilft im Kampf gegen die zunehmende Ungleichver-teilung von Vermögen – auch dann, wenn Menschen es erhalten, ohne dafür etwas leisten zu müssen.

PARLAMENTSREPORTJuli/August 2015 Seite 3

Nicht so zurückhaltend, Staatsregierung!Lange hielt sich die

Koalition beim Thema TTIP bedeckt. Erstmals seit dem Verhandlungs-start 2013 haben sich CDU und SPD nun damit befasst und einen Antrag beschlossen, der anerkennt: Die Frei-handelsabkommen könnten soziale, medizinische und ökologische Stan-dards sowie die kulturelle Vielfalt bedrohen. Zu dieser Einsicht darf man gratulieren! Für die Linksfraktion sind TTIP und Co. ein Dauerthema. Schon im März woll-ten wir von der Staatsregierung per Großer Anfrage (Drucksache 6/1092) ihre Positionen zu den Folgen von TTIP, CETA, TiSA und ACTA für den Freistaat wissen. Die Antworten bele-gen die Zurückhaltung der Regierung gegenüber den Verhandlungen, ihr Nicht-Wissen-Wollen und ihr blindes Vertrauen in die Europäische Kommis-sion. Folglich hat sie die Hälfte unse-rer 64 Fragen nur pauschal beant-wortet, viele weitere mit Floskeln, 13 überhaupt nicht. Per Entschließungsantrag schlugen wir Schlussfolgerungen vor. Das Parla-ment sollte die Regierung unter ande-rem zu ständiger Transparenz auffor-dern. Dr. Jana Pinka, Sprecherin für Umweltpolitik und Ressourcenwirt-

schaft: „Die Menschen wollen sich einbringen. Dazu brauchen sie Infor-mationen, und zwar nicht die, über welchen Link sie bei der EU irgend-welche Dokumente herunterladen können, sondern zu den möglichen konkreten Risiken der Freihandelsab-kommen“.

Die Europapolitikerin der Linksfrak-tion, Anja Klotzbücher, entlarvte die Fiktion von den goldenen Zeiten, die mit TTIP und Co. angeblich bevorstün-den. Diesem Trugbild hängen nicht nur viele EU-Parlamentarier an, son-dern auch CDU und SPD in Sachsen. Das Abkommen werde, so ihr Koaliti-onsantrag, „wesentliche Impulse für neue Investitionen geben“ und „die Wirtschaft [...] in Sachsen beleben“. Klotzbücher überzeugt das nicht. So sei insbesondere belegt, dass TTIP kein „Wachstums- und Beschäfti-gungsmotor“ ist. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte die wichtigsten Studien zu Freihandelsabkommen analysiert und festgestellt, dass die zu erwar-tenden Effekte für Wachstum und Beschäftigung „winzig“ seien. Dafür droht unter anderem, dass Standards für Ökologie und Verbraucherschutz dem US-„Nachsorgeprinzip“ unterfal-

len könnten. Dort gelten Produkte so lange als zugelassen, bis ihre Schäd-lichkeit nachgewiesen ist – in Europa werden sie erst zugelassen, wenn sie als unschädlich gelten.

Nico Brünler, Wirtschaftspolitiker der Linksfraktion, sieht insbeson-dere die drohende Sondergerichtsbar-keit durch private Schiedsgerichte als problematisch an. Sie sei trotz einer Resolution des EU-Parlaments weiter auf dem Tisch – und werde „Kapital-interessen vor den Entscheidungen demokratisch gewählter Parlamente“ schützen. TTIP sei kein Freihandels-abkommen, „sondern ein Investoren- und Profitschutzabkommen“. Zudem belege eine Studie der Tufts-Univer-sity in Boston anhand eines makro-ökonomischen Modells der Vereinten Nationen, dass kapitalstarke Unter-nehmen und eben nicht die für Sach-sen typischen kleinen und mittleren Betriebe vom Abkommen profitieren.Die geheimen Verhandlungen müssen öffentlich werden, damit Parlamente nicht zu Abnickmaschinen für fertige Texte verkommen. Europäische Stan-dards müssen verteidigt werden. Die Staatsregierung darf nicht länger pas-siv bleiben!

Flüchtlingskinder in Sachsen: Gut betreut?Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) geraten zunehmend ins Blick-feld. Die meisten Flüchtlingskinder sind zwischen 15 und 17 Jahre alt, kommen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien, Erit-rea oder Somalia. Sie haben eine harte Flucht hinter sich, müssen die Trennung von ihren Familien verkraften. Viele sind traumatisiert, waren Kindersolda-ten, erlitten Genitalverstümmelungen oder Zwangsprostitution. Sie brauchen gute Unterkünfte und eine intensive Betreuung. Wir hatten schon im April (Drucksache 6/1409) argumentiert, ein Kompetenzzentrum beim Landes-jugendamt könne ihre Rechte schüt-zen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (Arbeiter-wohlfahrt, Caritas, Paritätischer Wohl-fahrtsverband, Rotes Kreuz, Diakonie, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) hatte das empfohlen. In der Debatte betonte Annekatrin Klepsch, Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik, dass Flüchtlingskinder kein „spezielles Nischenthema in der Kinder- und Jugendhilfefachwelt“ mehr darstellen. 2010 waren bundesweit 2.800 in Obhut genommen worden, 2013 hatte sich diese Zahl mehr als ver-doppelt. Aktuell leben etwa 20.000 UMF in Deutschland. Für ihre Obhut sind die kommunalen Jugendämter zuständig. Untergebracht werden sie in denjenigen Kommunen, in denen sie ankommen; in Sachsen momentan vor allem in Leipzig, Dresden und Ostsachsen. Wegen dieser Konzentration von UMF fühlen sich manche Bundeslän-der überfordert. Bayern forderte im September 2014 im Bundesrat, auch Flüchtlingskinder nach dem Königstei-ner Schlüssel innerhalb Deutschlands

zu verteilen. Noch im Mai 2015 stellte die Staatsregierung fest, dass Sachsen „nicht zu den Haupteinreiseländern von unbegleiteten minderjährigen Auslän-dern“ gehöre; inzwischen erkennt sie aber an, dass ab 2016 mehr als 1.000 UMF hier untergebracht werden müs-sen. Nach monatelanger Debatte gibt es nun immerhin eine koordinierende Stabsstelle im Sozialministerium. Wei-tere Schritte sind nicht bekannt. Viel-mehr tat sich die Sozialministerin mit dem Vorschlag hervor, Flüchtlingskin-der in Pflegefamilien unterzubringen, wohl wissend, dass das unrealistisch ist. Klepsch: „Sachsen benötigt drin-gend eine Strategie für die Unterbrin-gung in den Kommunen, aber auch für die fachliche Steuerung durch das Lan-desjugendamt“.Dem pflichtet Juliane Nagel, Spre-cherin für Flüchtlings- und Migra-tionspolitik, bei. Die quotenbasierte

Verteilung der UMF, wie sie die Bundes-regierung mit ihrem im Juli beschlos-senen Gesetzesentwurf vorsieht, gefährde das Kindeswohl. Flüchtlings-kinder dürften nicht nach statistischen Kriterien verschickt, sondern müss-ten dort untergebracht werden, wo sie wirklich betreut werden können. „Das Kindeswohl hat bei allen behördlichen Entscheidungen Vorrang“. Sachsen solle ein Handlungskonzept zu ihrer Unterbringung erarbeiten und ein Ver-fahren der Alterseinschätzung ohne entwürdigende medizinische Untersu-chung entwickeln. Sozialpsychiatrische Dienste müssten mit mehrsprachigen Fachkräften aufgestockt und das Lan-desjugendamt einbezogen werden.Die Regierungskoalition lehnte ab. Sollten Flüchtlingskinder in Sachsen zukünftig nicht angemessen betreut werden, ist klar, wer darunter leidet: die Schwächsten.

PlenarspiegelJuli 2015Die 16. und 17. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 8. und 9. Juli 2015 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten:

Aktuelle Debatte„Gute Löhne für soziale Arbeit – Das muss drin sein!“

Große Anfrage– „Positionen der Staatsregierung zu Bedeutung und Auswirkun-gen von TTIP, CETA, TiSA und ACTA im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/1092)

Anträge– „Bei der Neuregelung der Erbschaftssteuer Gestaltungs-missbrauch stoppen und Steu-ergerechtigkeit herstellen!“ (Drs 6/1730)– Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schützen, fördern und beteiligen! Vorkehrungen für die Aufnahme einer zunehmenden Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Sachsen treffen“ (Drs 6/1409)

Änderungsantrag– zum Gesetzentwurf der Staatsregierung in Drs 6/1246 „Sächsisches Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (SächsFrTrSchulG)“ (Drs 6/2102) und der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Schule und Sport, Drs 6/1989

Sammeldrucksache 6/1992 – darin enthalten sind die Anträge der Fraktion DIE LINKE in – „,Masterplan Erwachsenenbil-dung‘ für den Freistaat Sachsen auflegen“ (Drs 6/253)– „Gasthörerschaft von Asylsu-chenden an den Hochschulen im Freistaat Sachsen ermöglichen“ (Drs 6/1406)

Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die Mehrheit im Plenum diese Anträge ab.

Drucksachen (Drs) und Rede beiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de

PARLAMENTSREPORTSeite 4 Juli/August 2015

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon: 0351/493-5800Telefax: 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

V.i.S.d.P.: Marcel BraumannRedaktion: Kevin Reißig

Viele von uns gehen gern ins Thea-ter, in die Oper oder andere subven-tionierte Kulturstätten. Danach reden wir darüber, wie großartig das Gese-hene war, sind uns einig, wie wichtig Kultur für unser Leben, für die Stadt und das Land ist. Wir verstehen ihren Nutzen für die Ansiedelung von Unter-nehmen und die Attraktivität für den Tourismus.Nun stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Regisseur aus den USA plant, zum Beispiel in Dresden eine Musik-aufführung zu inszenieren. Lächer-lich! Wir alle wissen, wie teuer eine Operninszenierung ist, mit wie viel Geld eine Eintrittskarte subventio-niert wird. Er mietet einen Veranstal-tungssaal, stellt sein Orchester und sein Ensemble zusammen, sieht die Semperoper und möchte ebenfalls eine Förderung in gleicher Höhe vom Freistaat, weil er sich wettbewerbs-rechtlich benachteiligt sieht. Das Land verwehrt sie ihm. Er beginnt zu klagen: Entweder erhält er auch diese Förderung, oder das Land soll seine Subventionierung der Semperoper einstellen! So oder so ähnlich könnte es in Zukunft oft vonstattengehen, sollte der Kultursektor bei den Verhand-lungen zum Transatlantischen Frei-handelsabkommen (TTIP) nicht ausgeschlossen werden. Richtig: Beteuerungen, dass Kultur bei die-sen Verhandlungen keine Rolle spiele, gibt es von vielen Seiten. Vizekanzler Sigmar Gabriel: „Wenn TTIP die Kul-

tur nicht genug schützt, dürfen wir dem Abkommen nicht zustimmen“. Der gleiche Minister sagte auf einem Wirtschaftsgipfel: „Vielleicht sind die Verhältnisse in Deutschland schwieri-ger, weil wir reich und hysterisch sind“ (gemeint ist die Durchsetzung von TTIP und den Schiedsgerichten).TTIP soll Standards und Normen angleichen und gleiche Wettbewerbs-voraussetzungen in Europa und in den USA schaffen. Jedoch sind die Voraussetzungen im Kulturbereich grundsätzlich unterschiedlich. Europa und im speziellen Deutschland hat eine reichhaltige Kulturlandschaft, die durch staatliche Subventionen geför-dert wird. Derlei gibt es in den USA nicht. Dort ist auch dieser Bereich den Prinzipien des freien Marktes unterworfen. Kann so eine Anglei-chung überhaupt möglich sein? Kultur

ist keine Handelsware, sondern ein öffentliches Gut!Cecilia Malmström (EU-Handelskom-missarin) meint: „Es kommt nicht in Frage, dass TTIP Deutschlands reich-haltige kulturelle Vielfalt oder entspre-chende Politikbereiche beeinflussen wird“. Allein: Mir fehlt der Glaube. Ich kann mich bisher auch nicht vom Gegenteil überzeugen. Inzwischen dürfen zwar Vertreter der Bundesre-gierung nach Voranmeldung in einem Leseraum die Dokumente einsehen. Vertreter der Landesregierungen hat-ten dieses Recht zu keinem Zeitpunkt. Nun soll Schluss sein mit der Geheim-niskrämerei. Künftig will die Brüsseler Behörde detaillierte Berichte über die Verhandlungen auf ihre Website stel-len. Warten wir es ab.An den Verhandlungen ist ohnehin problematisch, dass dabei nicht auf

Basis von Positivlisten, sondern von Negativlisten beraten wird. Wäh-rend in Positivlisten nur diejenigen Bereiche eingetragen werden, über die verhandelt werden soll, wird in Verhandlungen mit Negativlisten zunächst alles einbezogen, ob es nun gemeinwohlorientiert oder erwerbs-wirtschaftlich ist. Danach muss begründet werden, weshalb ein Sek-tor außen vor bleiben soll, also auf die Negativliste zu schreiben ist. Für den Kulturbereich ist dies eine riesige Aufgabe, da dieser viele Bereiche umfasst: Verlagswesen, Musikschu-len, Filmwirtschaft, Öffentlich-recht-licher Rundfunk, Theater, Orchester, Museen, kleine kulturwirtschaftliche Betriebe etc. Für alle müssen nun Begründungen für einen Ausschluss aus den Verhandlungen formuliert werden. Außerdem ist die Entwick-lung im Zuge der Digitalisierung ein-zelner Kulturbereiche noch gar nicht abzusehen. Wie kann man eine Aus-nahme formulieren für etwas, das noch nicht stattfindet? Es geht darum, zu sensibilisieren und die politischen Sinne zu schärfen. Wir müssen fragen, ob wir unsere kultu-relle Vielfalt, die über Jahrhunderte gewachsen ist, der Gefahr ausset-zen möchten, zu einer wirtschaftlich auszubeutenden Mainstreamkultur im Sinne eines Einheitsbreis zu wer-den. Wenn wir also weiter wie bisher Theater oder Opern besuchen wollen, heißt es: Augen, Ohren und Mund auf!

Franz Sodann, MdL

TTIP und die Kultur

Staatsversagen bei Aufnahme und Unterbringung von FlüchtlingenAm 24. Juli wurden Helfende des DRK bei der Errichtung einer Zelt-Notun-terkunft für Flüchtlinge in Dresden verbal attackiert und tätlich angegrif-fen. Das offenbart drei grundlegende Probleme: Erstens ist die Staatsver-waltung des Freistaates den steigen-den Asylsuchenden- und Flüchtlings-zahlen nicht gewachsen und hat kein auf absehbare Zeit belastbares Auf-nahme- und Unterbringungskonzept. Zweitens brechen sich die in breiten Teilen der Bevölkerung vorherrschen-den fremdenfeindlichen und rassis-tischen Ressentiments nicht nur in

Pegida- und Legida-Demos sowie in sozialen Netzwerken Bahn. Sie werden jetzt durch tätliche Angriffe auf Hel-fende und auf Flüchtlinge zur Gefahr für Leib und Leben. Drittens scheint die Polizei durch den Personalabbau so geschwächt, dass sie dauerhaft am Rand der Leistungsfähigkeit arbeitet und nicht mehr allen Situationen ange-messen begegnen kann.Dieser Ad-hoc-Befund hat die Fraktion DIE LINKE bewogen, eine Sondersit-zung des Innenausschusses des Land-tages für den 3. August zu beantragen und ihre Beweggründe in einem Antrag

auf umfangreiche Berichte der Staats-regierung (Drucksache 6/2297) darzu-legen. Zugleich wurde beantragt, den Helfenden des DRK, des THW sowie der Polizei und allen Ehrenamtlichen Dank auszusprechen. Darüber hinaus sollte die Staatsregierung umgehend einen Asylgipfel unter Einbeziehung der staatlichen Stellen, der Kommunen und Landkreise sowie aller zivilgesellschaft-lichen Akteure, die in der Asyl- und Flüchtlingsarbeit tätig sind, einberufen und ein tragfähiges Unterbringungs-konzept mit festen und sicheren Unter-künften vorlegen. Unser Antrag wurde durch CDU und SPD abgelehnt.Unsere Mitglieder des Innenausschus-ses hatten sich zuvor vor Ort über die Unterbringungs- und Versorgungs-umstände im Zeltcamp in der Bremer Straße in Dresden ins Bild gesetzt. Den Helfenden des DRK und THW ist dabei zu bescheinigen, dass sie über viele Tage teils Übermenschliches geleistet haben. Schier über Nacht hatten sie aus einer Brache den Boden für das Camp bereitet und es errich-tet. Rund um die Uhr waren und sind sie bemüht, die Unterkünfte zu ver-bessern und die Versorgung den eth-nischen und religiösen Bedürfnissen anzupassen.

Die Staatsregierung läuft seit zwei Jah-ren auf der Grundlage falscher Progno-sen der Situation hinterher und hat kein tragfähiges Unterbringungskonzept. Bei der Sicherheit der Asylsuchenden, Flüchtlinge und Helfenden stützt sie sich auf private Firmen und will den Stel-len- und Personalabbau bei der Polizei nicht stoppen. Wir werden weiter Druck machen, damit sich die Lage der Flücht-linge schnell und dauerhaft bessert.

Enrico Stange, MdL

Beneidenswerte Zustände?