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Zu den Russischen Wahlen Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2012 Die Ergebnisse der Duma – Wahlen und die darauf folgen- den Protestkundgebungen in Moskau und vielen anderen Städten haben ein ernstes Si- gnal den Verantwortlichen im Kreml und in der Regierung ge- geben, es wird Druck auf die Macht ausgeübt. Die Putin- Partei „Einiges Russland“ hat zwar ihre Mehrheit in der Du- ma behalten, alle anderen Par- teien sprechen aber von einer Wahlfälschung. In der Bevöl- kerung und Parteienlandschaft herrscht Übereinstimmung, dass längst Veränderungen im politischen System Russlands herangereift sind. Über Inhalt und Wege wird diametral ge- stritten. Die von Putin zentra- listisch aufgebaute Vertikale der Machtstrukturen hat Russ- land vor dem drohenden wei- teren Zerfall im ersten Dezen- nium des neuen Jahrhunderts gerettet, offenbart jedoch ne- gative Erscheinungen solch ei- ner Führungsstruktur. Russland steht vor großen in- nen- und außenpolitischen Herausforderungen. Die von USA ausgegangene weltwei- te Finanzkrise, amerikanische Hegemoniebestrebungen, geopolitischer Kampf um Zu- gang zu den Naturressourcen, Bildung neuer Machtzentren (China, Indien, Brasilien), un- gelöste Konflikte im Nahen Osten, Bekämpfung des in- ternationalen Terrorismus, Verdrängung russischen Ein- flusses in postsowjetischen Regionen – dies sind nur eini- ge Herausforderungen an die russische Außen- und Sicher- heitspolitik. Innenpolitisch steht Russ- land vor noch größeren Auf- gaben. Modernisierung der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik, des politischen Systems, der Parteienland- schaft, Entfaltung der Zivilge- sellschaft, Lösung von sozia- len Fragen, Kampf gegen die Korruption auf allen Ebenen, gegen Armut, gegen Drogen, Alkoholismus… Nach dem Zer- fall der Sowjetunion ist die sozialistische Idee bei vielen Menschen für lange Zeit dis- kreditiert; die Jelzin Ära hat den Demokratiegedanken in Misskredit gebracht, die krimi- nelle Privatisierung des Staats- eigentums und die Bildung von Oligarchienstrukturen über- schatten den Glauben an Ge- rechtigkeit und politischen Willen der Machthaber, es zu ändern. Die täglichen Debatten im staatlichen Fernsehen haben niemals solch einen offenen Ausmaß gehabt, wie jetzt zu den Präsidentschaftswahlen. Eine der zentralen Fragen ist die Auseinandersetzung zwi- schen der Macht und Opposi- tion um die Verhinderung ei- nes möglichen Wahlbetruges. Die Diskussionen werden sehr emotional geführt. Die Oppo- sitionskandidaten diskutieren untereinander, Putin tritt nicht direkt auf, schickt zu den De- batten seine Vertreter. Über eine „Hofberichterstattung“ im Fernsehen sind Putin und Medwedew stets präsent. Bei- de verkünden geplante, not- wendige Reformen und Maß- nahmen, sie widerspiegeln teils die Ideen der Opposition. Viele glauben Putin, dass er es realisieren kann. Den Ab- sichtserklärungen der Oppo- sitionskandidaten wird weni- ger Glauben geschenkt, da sie noch nie an der Macht waren. Das Volk ist von den Nachwe- hen der Gorbatschow- und Jelzinpolitik müde. Will keine „farbige“ Revolution. „Keine Experimente“ (für ehemalige DDR-Bürger eine bekannte Lo- sung), Stabilität ist gefordert. Dr. Wolfgang Schälike Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Kulturin- stituts e.V.

Links! Ausgabe 03/2012

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Ausgabe März 2012 inklusive aller Beilagen.

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Zu den Russischen Wahlen

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2012

Die Ergebnisse der Duma –Wahlen und die darauf folgen-den Protestkundgebungen in Moskau und vielen anderen Städten haben ein ernstes Si-gnal den Verantwortlichen im Kreml und in der Regierung ge-geben, es wird Druck auf die Macht ausgeübt. Die Putin-Partei „Einiges Russland“ hat zwar ihre Mehrheit in der Du-ma behalten, alle anderen Par-teien sprechen aber von einer Wahlfälschung. In der Bevöl-kerung und Parteienlandschaft herrscht Übereinstimmung, dass längst Veränderungen im politischen System Russlands herangereift sind. Über Inhalt und Wege wird diametral ge-stritten. Die von Putin zentra-listisch aufgebaute Vertikale der Machtstrukturen hat Russ-land vor dem drohenden wei-teren Zerfall im ersten Dezen-nium des neuen Jahrhunderts gerettet, offenbart jedoch ne-gative Erscheinungen solch ei-ner Führungsstruktur. Russland steht vor großen in-nen- und außenpolitischen Herausforderungen. Die von USA ausgegangene weltwei-te Finanzkrise, amerikanische Hegemoniebestrebungen, geopolitischer Kampf um Zu-gang zu den Naturressourcen, Bildung neuer Machtzentren (China, Indien, Brasilien), un-gelöste Konflikte im Nahen Osten, Bekämpfung des in-ternationalen Terrorismus, Verdrängung russischen Ein-flusses in postsowjetischen Regionen – dies sind nur eini-ge Herausforderungen an die russische Außen- und Sicher-heitspolitik. Innenpolitisch steht Russ-land vor noch größeren Auf-gaben. Modernisierung der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik, des politischen Systems, der Parteienland-schaft, Entfaltung der Zivilge-sellschaft, Lösung von sozia-

len Fragen, Kampf gegen die Korruption auf allen Ebenen, gegen Armut, gegen Drogen, Alkoholismus… Nach dem Zer-fall der Sowjetunion ist die sozialistische Idee bei vielen Menschen für lange Zeit dis-kreditiert; die Jelzin Ära hat den Demokratiegedanken in Misskredit gebracht, die krimi-nelle Privatisierung des Staats-eigentums und die Bildung von Oligarchienstrukturen über-schatten den Glauben an Ge-rechtigkeit und politischen Willen der Machthaber, es zu ändern.Die täglichen Debatten im staatlichen Fernsehen haben niemals solch einen offenen Ausmaß gehabt, wie jetzt zu den Präsidentschaftswahlen. Eine der zentralen Fragen ist die Auseinandersetzung zwi-schen der Macht und Opposi-tion um die Verhinderung ei-nes möglichen Wahlbetruges. Die Diskussionen werden sehr emotional geführt. Die Oppo-sitionskandidaten diskutieren untereinander, Putin tritt nicht direkt auf, schickt zu den De-batten seine Vertreter. Über eine „Hofberichterstattung“ im Fernsehen sind Putin und Medwedew stets präsent. Bei-de verkünden geplante, not-wendige Reformen und Maß-nahmen, sie widerspiegeln teils die Ideen der Opposition. Viele glauben Putin, dass er es realisieren kann. Den Ab-sichtserklärungen der Oppo-sitionskandidaten wird weni-ger Glauben geschenkt, da sie noch nie an der Macht waren. Das Volk ist von den Nachwe-hen der Gorbatschow- und Jelzinpolitik müde. Will keine „farbige“ Revolution. „Keine Experimente“ (für ehemalige DDR-Bürger eine bekannte Lo-sung), Stabilität ist gefordert.

Dr. Wolfgang SchälikeVorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Kulturin-stituts e.V.

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»Linkes Netzwerken in Richtung Osten«

Links! im Gespräch

Die Situation in Russland ist aus den öffentlichen Debatten unserer Tage nicht mehr weg-zudenken. Auch Linke müssen Antworten auf die drängenden Probleme im größten Land der Erde finden. LINKS! sprach mit dem Leipziger Gregor Hen-ker und Boris Krumnow über die Arbeit der Arbeitsgruppe (AG) Russland des Jugendbil-dungsnetzwerks der der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung.

Die AG Russland be-schreibt sich auf ihrer Homepage www.ag-russ-land.de als ein „offenes und sich ständig erwei-terndes Netzwerk, das seit mehreren Jahren politi-sche, kulturelle, künstleri-sche und soziale Projekte, vor allem in Nordwestruss-land mit veranstaltet.“Boris Krumnow: Nun, diese Beschreibung ist vielleicht schon etwas veraltet. Wir könnten uns heute als Teil ei-nes internationalen linken Netzwerkes beschreiben, dass an verschiedenen Orten in Europa, Veranstaltungen auf dem Gebiet der politischen Bildung organisiert. Wir gehö-ren zu einem politischen und grenzüberschreitenden Kom-munikations- und Arbeitszu-sammenhang von linken Akti-vistInnen, KünstlerInnen und BildnerInnen aus mehreren europäischen Ländern.Gregor Henker: An unseren Veranstaltungen wie der linken Bildungsakademie «Vostok« im nordwestrussischen Apa-tity (seit 2007) oder der inter-nationalen Projektwerkstatt »Platforma 11« 2011 in Leipzig haben bisher Menschen aus 14 Ländern Europas sowie aus Ägypten und Israel teilgenom-men. Im Moment bereiten wir eine Werkstatt und eine Kon-ferenz in Murmansk vor. An deren unmittelbarer Vorberei-tung sind Bildungs- und Kunst-aktivistinnen aus Russland, Serbien, Estland und Deutsch-land beteiligt. B.K.: Es muss erwähnt wer-den, dass wir eng mit der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung in Berlin und in Moskau zusam-menarbeiten, und dass das linXXnet und der Rote Baum e.V. Leipzig eine infrastruktu-relle Basis für unsere Arbeit bilden. Die AG Russland gibt es in sieben Bundesländern in Ost und West, aber hier in Sachsen sind wir besonders gut vertreten und vernetzt.

Wie sieht die konkrete Ar-beit aus? G. H.: Wir wollen keine so ge-nannte Völkerverständigungunterstützen, sondern schaf-fen Räume, wo sich linke Men-schen austauschen können, die aus verschiedenen Län-dern kommen, die aber auch Vieles verbindet. Dies bedeu-tet auch die Diskussion über sehr unterschiedliche poli-tische Erfahrungen in unse-ren Herkunftsländern. Beim letzten »Vostok« zum Beispiel standen die Themenfelder Kri-se, linkes Campaigning und Gender im Fokus. Es geht uns bei solchen Veranstaltungen darum, voneinander zu ler-nen und zum Teil auch eine ge-meinsame Theorie und Praxis zu entwickeln.

Ihr redet also viel mitein-ander. Ginge es nicht auch um gemeinsames politi-sches Handeln?B. K.: Wir haben auch schon ge-meinsame Kampagnen orga-nisiert. Einige von uns wollen die Linke als transnationales Projekt voranbringen. Aber es ist schon klar, das es mehre-re Schritte auf diesem Weg zu tun gibt. Intensive, sich verbrei-ternde und vertiefende Kom-munikation ist einer davon. Außerdem stimmt das Prinzip »Global denken, lokal (und re-gional)handeln« ja weiterhin. In Leipzig und Murmansk zum Beispiel sind mehrere regiona-le »Tochterprojekte« aus unse-ren Netzwerken hervorgegan-gen. Wir erforschen aber auch gemeinsam, wie gleichberech-tigte Kommunikation zwischen Menschen aus verschiedenen Kontexten aussehen kann, in dem wir so genannte prozess-orientierte Bildungs- und Kon-ferenz-Formate entwickeln.G. H.: Wir haben über die Jahre viele nachhaltige Kontakte ge-knüpft und auch Anderen den Zugang dazu ermöglicht.In Russland sind wir neben un-serer traditionellen Partnerin,der Humanistischen Jugend-bewegung mit linken Ökolo-gInnen, BürgerrechtlerInnen, AntifaschistInnen, Radikalfe-ministInnen und linken Kunst-aktiven verbunden. Zu unsererNetzwerktätigkeit gehört aberauch Informationsaustausch und verbunden damit auch die Aneignung von Fachwissen zu Entwicklungen im postsowjeti-schen Raum.

Wie schätzt ihr die regie-rungskritische Bewegung in Russland ein?

G. H.: Wir sehen mit Erleich-terung, dass es einen kleinen demokratischen Aufbruch in Russland gibt. Nach den Wah-len zur Duma am 4. Dezember 2011 war die Empörung in den großen und mittleren Städten groß. Für einen Teil der Bevöl-kerung war die Situation des Stimmenkaufs, der sich in der Regel ganz unverhohlen in ih-rer unmittelbaren Umgebung vollzog, einfach nicht mehr zu ertragen. In Russland haben viele Menschen eine hohe To-leranz gegen den alltäglichen politischen Zynismus der Be-amten und Regierungspoliti-kerInnen. Hier war aber wohl eine Grenze erreicht und die Regierung muss nun zurückru-dern. Sie versucht es nun ne-ben dem üblichen Spektrum an Repressionen auch mal mit einer Prise Toleranz und medi-aler Transparenz.B. K.: Diese zwischenzeitlich recht gut situierte neue Mittel-schicht in Russland hat sicherst mit dem wirtschaftlichenAufschwung und der Stabili-sierung in den frühen Jahren der Putin-Präsidentschaft kon-solidiert. Nun fordern die »Kin-der der Putin-Epoche« auch angesichts der Wirtschafts-krise ihr Recht auf Mitwirkung und Teilhabe ein. Dabei hat sich die Medwedew-Putin-Regierung keinen Gefallen ge-tan, als sie repressiv gegen die ersten Proteste vorging. Poli-zeiknüppel erweisen sich wie schon so oft in der russischen Geschichte als hervorragende Politisierungsinstanz für künf-tige Oppositionelle.

Wie bewerten eure Partner die Entwicklung?G. H.: Unsere Freunde in Russ-land fühlen sich ermutigt und

bestärkt, sehen die Perspek-tiven dieser Demokratiebewe-gung allerdings nur mit sehr vorsichtigem Optimismus. Möglicherweise hat eine grundlegende Verschiebung der gesamtgesellschaftlichenStimmung stattgefunden. Während der Wahlsieg Putins im März 2012 doch sehr wahr-scheinlich erscheint, wird esspannend zu beobachten, wiedie herrschende staatskapita-listische Bürokratie nun ihrePolitik entwickelt. Dabei ha-ben ihre Vertreter ein kogni-tives Problem: Ihnen scheint jegliches Grundverständnis für den systemstabilisierenden Wert bürgerlicher Demokratie zu fehlen.

Welche Rolle spielen die Kommunisten als größte Oppositionspartei gegen-wärtig?B. K.: Die Kommunistische Partei (KPRF) und auch die ehemals Putin-treue sozial orientierte Partei »Gerech-tes Russland« waren die gro-ßen Siegerinnen der Duma-Wahlen im Dezember 2011. Sie haben ihre Prozente und Sitze fast verdoppelt. Leider ist in beiden Parteien ein lin-kes Profil nur bedingt zu er-kennen. Unter den Kommunis-ten dominiert neben sozialen Ideen sowjetnostalgischer Großmachtpatriotismus mit nationalistisch-christlich-or-thodoxen Klecksen. In ihrem praktischen Verhältnis zu Fra-gen der inneren und gesell-schaftlichen Demokratisie-rung sind die Unterschiede der KPRF zur Putinpartei »Einiges Russland« gar nicht groß. Gre-gor, ich und einige in unserem Netzwerk pflegen allerdings trotz der geäußerten Kritik das

Gespräch mit nichtnationalis-tischen und stalinkritischen VertreterInnen der KPRF und hoffen noch ein kleines biss-chen auf den sich abzeichnen-den Generations- und auch Perspektivenwechsel. Immer-hin verbindet uns noch eine gemeinsame Vergangenheit.

In letzter Zeit wird in Me-dien, aber auch in linken Kreisen viel über das Auf-kommen von offen rassis-tischen und nazistischen Bewegungen in Russland gesprochen.G. H.: Ja, leider völlig zu Recht.Die heutigen russischen Nazi-Strukturen entstanden im letz-ten Jahrzehnt, also in der Pu-tin-Medwedew-Zeit. Fakt ist, dass die russischen Nazisextrem gewalttätig sind und zahlreiche rassistische Mordebegangen haben. Ganz gezieltgehen Nazis auch gegen Men-schen wie den antirassisti-schen Anwalt S. Markelov und die Journalistin und autonome Aktivistin A. Baburova vor, die im Januar 2009 ermordet wur-den. Zivilgesellschaftliche wie linke AntifaschistInnen sind dabei gegenwärtig dem dop-pelten Druck von Nazis und der Antiextremismuspolizei ausgesetzt.B. K.: Nachdem auch Vertreterder Staatsmacht ins Visier der Rechtsterroristen gelangt wa-ren, gehen nun auch Polizei und FSB gegen die Nazis und ihre Strukturen vor. Wie auch anderswo ist aber auch in Russland der »gemäßigtere«populistische Rassismus der offiziellen Politik und Bürokra-tie ein Brutkasten für die men-schenverachtenden Positio-nen des Nazismus. Die Fragen stellte A. Günther.

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»Was Du nicht willst, dass Dir man tu, das füg‘ auch keinem andern zu!«

»Sächsische Demokratie« immun gegen Rechtsterror-Schock

Mit diesem Wahlspruch hat mich meine Großmutter schonsehr früh traktiert - ein klugesMotto einer klugen Frau.Es ist die deutliche Warnungdavor, im Konflikt eine mög-licherweise endlose Kette von »Aug‘ um Aug‘, Zahn um Zahn«, zu eröffnen. Daran er-innert hat mich jüngst eine Zeitungsmeldung: »Die NATO beginnt ungeachtet des wil-den Protests des Kremls mit dem Aufbau des Raketenab-wehrschilds für Europa ... Der Kreml argumentiert, dieser Anti-Raketenschirm würde automatisch auch Russlands Vergeltungskapazität außer Kraft setzen« (Kronen-Zei-tung, 07.02.12, S. 4). Es em-

pört sich ein Land, das Auge und Zahn durch das Andere gefährdet sieht, mit »wildem Protest« über die verhinder-te Möglichkeit der abschre-ckenden Revanche. Dies wird wiederum als Ausfluss böser Absichten denunziert. Ent-sprechend die Über-schrift über das Ganze, »Russland gegen Euro-pa«, und die Empörung am Schluss: »Russlands Strategen haben also noch immer Europa im Visier!« Spätestens jetzt tönt mir das scheinhei-lig-perfide »Haltet denDieb« des eigentlichen»Täters« im Ohr. Man möchte schon fragen, wer sich hier unver-wundbar macht und warum?Die NATO streitet Feindselig-keit gegen Russland ab. Es gehe nur um die Verteidigung gegen iranische Gefahr. Die Russen wieder bleiben miss-trauisch und wollen sich lieberdie Option des »Wie Du mir, so ich Dir« erhalten. Unsereineraber kommt ins Grübeln. Wäre nicht meine Großmutter

mit ihrer Weisheit die besse-re Diplomatin? Wir lächeln. In den internationalen Beziehun-gen geht es eben anders zu als in der Welt meiner Oma. Schade! Die NATO macht sich z.B. mehr und mehr im Mittel-meerraum breit.

Die Russen, die das auch ver-suchten, werden verdrängt. Noch vergelten sie deshalb nicht Gleiches mit Gleichem.Von russischen Bombern überafrikanischen und arabischenMittelmeeranrainern habe ichnoch nicht gehört; von russi-schen Bomben und Granaten,die dort explodieren, aller-dings schon. Anschläge auf

israelische Diplomaten sind zu verurteilen. Das stimmt ja auch! Anschläge auf iranischeAtomphysiker oder auf Al Quaida-Führer in Pakistan sind zumindest hinzunehmen.Wer erklärt mir das plausibel?Irgendwie drängt sich doch

der Eindruck auf, zwei machten da nicht nur das Gleiche, sondern auch das Selbe. Mit-nichten,belehren uns Mächtige und ihre Medien.Worin besteht also der Unterschied? Die altenRömer hatten eine prak-tische Lösung, die laute-te: »Quod licet Iovi, non licet bovi«, »was Jupitererlaubt ist, ist dem Rind-

vieh nicht erlaubt«.Interessant! Sind die NATO und ihre Schützlinge gebo-rene Götter und besteht der Rest der Welt deshalb nur ausRindviechern? Sind Deutsch-land und Frankreich göttlicherNatur und siedeln in Griechen-land, Portugal, Spanien nur Kühe, Ochsen und triebblindeStiere? Das will man uns glau-

ben machen. Hier ist die alte Einsicht, »Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott« verdreht worden zur Anmaßung »Hilf Dir selbst, dann bist Du Gott«. Göttern gleich wähnen sich manche Staatenlenker und -lenkerin-nen und machen sich zu Klä-gern und Richtern zugleich.Lassen wir doch alle Sprich-wörter sein und stellen wir fest: Es herrscht in der Welt am Ende doch nur das Recht des Stärkeren – trotz aller UNO, trotz Völkerrechts, trotz EU, trotz Arabischer Liga, trotz internationaler Gerichts-höfe, trotz aller angehäufter Weisheit der Völker. Den Haag für den Balkan und Afrika, Selbstjustiz für mich! »Ist erst die Henne mein, so gehören mir auch die Eier«. Und um die Eier geht es, nicht um Recht und Gerechtigkeit. Wie alt ist doch die Menschheit und wie wenig hat sich im Umgang miteinander geändert! Dabei könnten die Völker mit ihren Weisheiten die Welt nicht nur verschieden interpretieren,sondern auch verändern.Peter Porsch

Außer Fensterreden sind in Sachsen kaum greifba-re Fortschritte im Kampf gegen Nazis zu bemerken Wolfgang Thierse hat den Be-griff in einem Interview ge-prägt, gegeben während der Auseinandersetzungen des 19. Februar 2011 in Dresden: »Sächsische Demokratie«. Die Einheimischen hat er nicht wirklich überrascht. In mehr als 20 Jahren hat man sich hierzulande daran gewöhnt, dass das politische Sachsen noch ein bisschen feudalis-tischer, unaufgeklärter und hausbackener erschien als das biedere Bayern, das Mut-terland der Stammtische. Was Thierse meinte, war der juris-tisch materiell korrekte und dennoch unbegreifliche Um-stand, dass Demokraten, die sich gegen Feinde der Demo-kratie aktiv wehren, im Namen der Demokratie in Sachsen be-sonders eifrig verfolgt werden. Blockierer von Naziaufmär-schen erhalten Strafbefehle, während die Polizei das Ver-sammlungsrecht der braunen Ungeister durchsetzen muss.Mit der Entdeckung der Jena-Zwickauer Terrorzelle schie-nen auch die Staatsregierung und die Regierungsfraktionen von einem heilsamen Schock ergriffen. Freilich mit der für Sachsen typischen Langsam-keit. Ministerpräsident Stanis-

law Tillich brauchte zehn Tage länger als seine Thüringer Kol-legin Lieberknecht, bis sein Redenschreiber einige zum Ablesen vor der Landespres-sekonferenz geeignete Sätze fand. Aber wenn der Vorsitzen-de der Kontrollkommission für den Verfassungsschutz Günter Schneider (CDU) im Landtag von »Staatsversagen« und ei-nem »Desaster« sprach, zeugte das schon von einiger Betrof-fenheit. Im Januar legte dann auch Tillich nach, sprach in Zwi-

ckau von »braunem Dreck«, den Sachsen loswerden müsse.Doch die Praxis ist das Krite-rium der Wahrheit, lernten wir einst. Es sind nicht nur Links-politiker, die substanzielle Ver-besserungen und greifbare Veränderungen bei der Ausein-andersetzung mit dem Rechts-extremismus vermissen. SPD-Landtagsfraktionschef Martin Dulig beispielsweise vermisst bei der Staatsregierung die Bereitschaft, konsequent an der Aufklärung des NSU-Ter-

rors und der Verstrickung der Geheimdienste mitzuwirken. Die Informationen im Innen-ausschuss flössen spärlich, Ministeriumsmitarbeiter be-kämen kein Auskunftsrecht, eine Sonderkommission wie in Thüringen sei nicht in Sicht. »Innenminister Markus Ulbig zwingt uns geradezu, einen Untersuchungsausschuss ein-zusetzen«, folgert Dulig. Den wird es wie in Thüringen und wie im Bundestag absehbar nun auch in Sachsen geben.

Dulig hat es bis heute nicht verkraftet, dass im Januarple-num des Landtages eine ge-meinsame Erklärung zum 13. Februar in Dresden am Boy-kott von CDU und FDP schei-terte. In der Stadt ist man dank der Arbeitsgruppe 13. Februar inzwischen weiter. Auf Landesebene aber domi-niert weiterhin altes Denken in konservativen Köpfen. Die per Videobotschaft wohlfor-mulierte Äußerung von Innen-minister Markus Ulbig, die Antwort auf Nazis sei nicht Antifaschismus, sondern De-mokratie, hat ein heftigeres Echo ausgelöst, als er vermu-tete. Beim großen bunten Zug durch Dresden am 18. Februar lautete bezeichnenderweise der häufigste Slogan »Sächsi-sche Verhältnisse kippen«!Damit sind vor allem die Re-pressionen gegen friedliche Gegendemonstranten der ver-gangenen Jahre gemeint. Hin-sichtlich der Blockaden von Nazi-Aufmärschen pflege die sächsische Justiz weiterhin ein Rechtsverständnis, das in wei-ten Teilen der Bundesrepublik überholt sei, sagte Sprecher Paul Tschirmer vom Nazifrei-Bündnis. Erwartete Urteile in zweiter Instanz bei den laufen-den Verfahren wegen Verstö-ßen gegen das Versammlungs-gesetz würden das zeigen.Mark Spitz

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Gott, segne die Ungarn!

Ein Wort zur „Schuldenbremse“

Mit diesen Worten beginnt die neue ungarische Verfassung, die in einem Staat mit vielen Bevölkerungen und 13 Min-derheiten gelten soll. Das Un-garn des Viktor Orban ist seit dem 18. April 2011 keine Re-publik mehr und die Verfas-sung des neuen Ungarns euro-paweit in der Kritik. Sie wurde Thema im Europäischen Par-lament mit der Frage, inwie-weit sie mit den Grundsätzen des EU-Rechts vereinbar ist oder nicht. Nur wenn das na-tionale Recht gegen EU-Ver-tragsrecht Verstößt, kann sei-tens der EU, der Kommission, gehandelt werden. Die Ironie der Geschichte war es, dass zeitgleich zur Verfassungsan-nahme in Ungarn Viktor Or-ban turnusmäßig EU-Ratsprä-sident in Brüssel wurde, stolz getragen von einer 2/3 -Mehr-heit seiner rechtskonserva-tiven Fidesz-Partei. Ein Jahr später würde er sagen, dass er sich dem Angriff »der inter-nationalen Linken« im Europa-parlament von Angesicht zu Angesicht gestellt habe. Die »internationalen Linken« sind in seinen Augen alle Fraktio-nen links der EVP-Fraktion.Letztere hielt ihm brav die Stange, immerhin ist er ja bis heute auch Vizepräsident der Europäischen Volkspartei. Alser Anfang 2011 dem Europa-parlament seine halbjährige Ratspräsidentschaft erklärte, kam es zu Protesten bei Grü-nen, Sozialisten / Sozialde-mokraten sowie den Linken.Transparente wurden insbe-sondere gegen die Aufhebungder Medienfreiheit in Ungarn hochgehalten, und die De-batte ergoss sich im verbalen Schlagabtausch.

Viktor Orban ist ein einge-fleischter Kommunistenhas-ser, obwohl er doch als Chef der ungarischen kommunisti-schen Jugendorganisation sei-ne Karriere begann. 1988 for-derte er öffentlich den Abzugder sowjetischen Soldaten und avancierte zum Helden des Westens, wofür man ihm noch heute die Hände küsst.Die Bekämpfung der Sozialis-ten, Sozialdemokraten und Li-beralen ist sein Programm.Unter seiner Führung wurde die Fidesz-Partei zur wichtigs-ten rechtskonservativen Kraftin Ungarn. Am 11. April 2010 errang sie 52,7 Prozent der Wählerstimmen, nachdem die sozialistische Vorgängerregie-rung gravierende Fehler ge-macht und das Vertrauen derBürgerinnen und Bürger rest-los verspielt hatte.Als die Europaabgeordneten unterstützt von der demokra-tischen Opposition in Ungarn die ungarische Verfassung der Kritik unterzogen und die Kommission zum Handeln auf-forderte, rief Orban zur »Ver-teidigung Ungarns« auf und zog eine Parallele zwischen Nationalsozialismus und dem »internationalen Sozialismus«.Was hat es mit der Verfassung auf sich? Sie macht die Ideo-logie der herrschenden Par-tei verbindlich für alle und er-hebt die Nation zum höchsten Wert.Die ungarische »Ethnonati-on« blendet außerhalb der ungarischen andere Ethnien aus, auch wenn diese formal gleichgestellt sind. Grund-rechte können »im Interesse der (ungarischen) Nation« so-gar eingeschränkt werden.Insgesamt wird der Grund-

rechtsschutz ausgehöhlt, auch durch die Abschaffungdes Popularrechtes. Auch hatdas Verfassungsgericht künf-tig nur noch beschränkte Kon-trollkompetenzen, nicht mehr in Bezug auf Gesetze zu Haus-halt oder Finanzen. Darüber

hinaus wurde die Unabhängig-keit der Richter weitgehend eingeschränkt, unliebsame »Linke« aus der Sozialismusä-ra wurden per Gesetz in die Rente geschickt und durch Fi-desz-Leute ersetzt. Es folgte die verfassungsrechtlich ga-rantierte Gleichschaltung in allen Machtbereichen. Dasungarische Parlament hat kei-ne Budgetfreiheit mehr. Es kann nur das Budget erlassen,wenn der neu geschaffene Haushaltsausschuss zuge-stimmt hat. Dieser setzt sichzusammen aus einem vom Staatspräsidenten ernanntenVorsitzenden, dem Präsiden-

ten der Nationalbank und dem Rechnungshofpräsidenten, al-lesamt Fidesz-Leute, deren Amtszeit weit über herkömm-liche Legislaturperioden hin-ausreicht.Der Präsident des Rechnungs-hofes wurde für 12 Jahre ge-

wählt, ein Fidesz-Mann wurde Leiter der staatlichenMedien- und Kommunikati-onsbehörde und für neun Jah-re gewählt. Die Zentralbank wurde unter die Fuchtel der Fi-desz gebracht und die Unab-hängigkeit der Datenschutz-behörde aufgehoben.Der Oberstaatsanwalt, einstrammer Fidesz-Mann, auchfür neun Jahre, alle Verfas-sungsrichter sind Fidesz-Leu-te. Zugleich gibt es eine enge Verflechtung zwischen Staat und Wirtschaft. 20-30 Pro-zent der großen staatlichen Investitionen wandern zurück in die Parteikasse. Das war al-

lerdings auch schon zu Zeiten der Sozialisten so. Noch nicht erwähnt wurde die neue Fa-milienpolitik, die eine Diskri-minierung gleichgeschlecht-licher Paare erleichtert, was gegen die Grundrechtechar-ta verstößt. Die Liste könnte noch weitergeführt werden.Die Schlüsselfrage, welche sich Parlament und Kommis-sion im Januar 2012 zu stel-len hatten war, wie diesen offenkundigen Verletzungen des EU-Rechts begegnet wer-den soll. Die Kommission hat nunmehr drei Vertragsverlet-zungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, wo sie die Verlet-zung des Gemeinschaftsrech-tes durch Ungarn sieht. Die ungarische Regierung hat ei-nen Monat Zeit, um auf die Kritik der Kommission zu ant-worten. Vertragsverletzungen können bis zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofes führen, um europäisches gel-tendes Recht einzuklagen.Im weitest gehenden Fall, für den sowohl die Grünen als auch wir Linken plädiert ha-ben, kann Ungarn sogar das Stimmrecht zeitweilig entzo-gen werden, solange keine Änderungen in der Rechtslage vorgenommen werden.Gegenwärtig schauen Un-garns Demokratinnen und Demokraten auf die Kommis-sion und hoffen darauf, dass sie eine deutliche Sprache spricht und sich nicht abspei-sen lässt. Kosmetische Verän-derungen reichen hier nicht aus. Deshalb braucht es auch weiterhin den Druck der Eu-ropaabgeordneten. Schon im nächsten Monat muss die Kommission dem Parlamentberichten. Cornelia Ernst

Sie sind angetreten, Großes zu vollbringen. Ordnung soll-te gebracht werden in ein Sys-tem, das offensichtlich nicht mehr in Ordnung ist. Am Be-ginn der Förderalismusreform II stand unter anderem die Aufgabe, eine grundlegende Neuordnung der Finanzbezie-hungen zwischen Bund, Län-dern und Kommunen zu er-reichen. Wie so viele Anläufe zuvor scheiterte auch diese Kommission an der Aufgabe. Um allerdings nicht ganz mit leeren Händen dazustehen, präsentierten die Beteiligten eine Neuerung, die darüber hinwegtäuschen sollte, dass der eigentliche Auftrag nicht erfüllt wurde. Die »Schulden-bremse« war geboren. Unter dem Deckmantel einer vorgetäuschten Generationen-gerechtigkeit soll dem Staat,

aber vor allem der Politik und damit den Politkern, der Kre-dit als Finanzierungsform ge-nommen werden. Viele Politi-ker waren sich nicht zu schade, ein Bild zu bedienen, das sie selbst als stark Abhängige dar-stellte, denen endlich ihre Dro-ge genommen werden musste. Damit verbunden ist die Be-hauptung, dass die Politik da-zu neigt, gern immer mehr und sinnlos ausgeben zu wollen. Insbesondere Lobbyinstituti-onen wie die »Stiftung Neue Soziale Marktwirtschaft« sind immer gern dabei, der Politik einen aufgeblähten Staatsap-parat vorzuwerfen. Dahinter steckt ein Geist der Marktfi-xierung, der den Staat mehr und mehr in eine Beobach-terrolle drängen will. Ziel der Angriffe und Diskreditierung des Staates und seiner Aufga-

ben war es, Umverteilungen zu rechtfertigen und vor allem soziale Leistungen auf den Einzelnen zu verlagern. Vor diesem Hintergrund sind auch die großen Steuersenkungs-programme für Unternehmen und Vermögende zu verste-hen. Die Frage eines Verbotes von Krediten ist ein weiterer Versuch, die öffentliche Hand in ihren Handlungsmöglichkei-ten einzuschränken.Mit der Schuldenkrise ver-schiedener europäischer Staaten haben die Befürwor-ter einer sogenannten »Schul-denbremse« scheinbar nach-träglich Recht bekommen. Was steckt nun aber hinter dieser geradezu hysterisch geführten Debatte? Sind denn Kredite an sich Teufelszeug? Und ist die Politik allgemein unfähig, mit Geld umzugehen?

Dem ist mitnichten so. Durch das Vorziehen von Investiti-onen kann der Staat durch kluge Infrastrukturentschei-dungen sogar einen wichti-gen Beitrag zum Wirtschafts-wachstum erbringen. Wichtig dabei ist allerdings, dass die daraus folgenden Be-lastungen auch finanziell getra-gen werden können. Damit ge-hört es aber auch zur Wahrheit dazu, dass einige Länder schon länger nicht mehr in der Lage sind, mit ihrem Schuldenberg und den daraus erwachsenen Verpflichtungen umzugehen. Hier hat Politik teilweise ver-sagt. Haushaltsnotlage wird das heute genannt. Ab dem Jahr 2020 wird es dem Bund und den Ländern nur noch in sehr begrenzten Um-fang möglich sein, sich über Kredite zu finanzieren. Damit

entfällt auch die Möglichkeit, sinnvolle und nutzbringende Investitionen in die öffentliche Infrastruktur in Zukunft aus Krediten vorzufinanzieren. Dadurch wird die »Schulden-bremse« zur Investitionsbrem-se und es besteht die reale Gefahr, dass notwendige In-vestitionen zum Wohle künfti-ger Generationen auf der Stre-cke bleiben.Fakt bleibt also - die »Schul-denbremse« entfaltet ihre Wir-kung. Der Stabilitätsrat ist ein-gerichtet und arbeitet. Er hat Kriterien und Vereinbarungen mit notleidenden Ländern ab-geschlossen und überwacht deren Einhaltung. Es ist einem breiten linken Bündnis leider nicht gelungen, diesen weite-ren Angriff auf den Staat abzu-wehren.Sebastian Scheel

Axel Troost zeigt auf seite 3, was ist ei-gentlich los in Grie-chenland und was hat das mit uns zu tun.Gerhard Besier warnt davor, dass die schlechte Bezahlung vor allem des wissen-schaftlichen Mittel-baus an den univer-sitäten verheerende Folgen haben wird. Auf Seite 3.

Von engagierten De-batten im Landes-vorstand der sächsi-schen LINKEN über ein sächsisches Ver-gabegesetz berichten Antje Feiks und Ste-fan Hartmann. Auf Seite 4.

Auf Seite 5 informiert Tillmann Loos über die Vorhaben des Ju-gendverbandes links-jugend [ solid] in die-sem Jahr.

Dresden nazifrei!Voller Erfolg am 13. und 18. Februar!

SachsensLinke

März2012

Danke Dresden!

Voller Erfolg!

Nein, nicht wegen dem 13. und 18. Februar 2012, obwohl die Proteste an diesen beiden Ta-gen aus Sicht der LINKEN ein großartiger Erfolg waren.Ich meine den 29. Januar 2012. Hier haben die Dresdnerinnen und Dresdner tatsächlich es ge-schafft, das Haus zu verlassen und sich am Bürgerentscheid, zum Erhalt der Krankenhäu-ser in städtischer Hand, zu be-teiligen. Das Ergebnis ist für viele überraschend: 135.000 Ja-Stimmen. Zum Vergleich: die aktuelle Oberbürgermeis-terin in Dresden wurde im 2. Wahlgang 2008 mit gerade mal 90.000 Stimmen gewählt. Ich finde, ein großartiger Erfolg für die Stadt Dresden. Jedoch ist es auch ein großartiger Er-folg für den Stadtverband und die Stadtfraktion in Dresden, weil unter anderem die Initiato-ren des Bürgerentscheides drei Stadträte der LINKEN waren.Jetzt ist hoffentlich allen klar: DIE LINKE in Dresden hat die richtigen Schlussfolgerungen und Lehren aus dem Totalver-kauf der Dresdner Wohnungs-baugesellschaft gezogen. Der damals schon fast nicht mehr zu ertragende Prozess der Spaltung der Stadtfraktion war notwendig. Die Stimmenver-luste bei den darauffolgenden Wahlen folgerichtig. Nun sollte unseren Wählerinnen und Wäh-lern in Dresden und darüber hinaus klar geworden sein, für was wir stehen: Für Kommu-naleigentum! Und uns muss klar sein, dass Glaubwürdigkeit in der Politik ein hohes Gut ist, was man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen darf. Deswegen: Danke Dresden. Wir hatten als LINKE wegen euch einen guten Start in das Jahr 2012.

Naziaufmarsch am 13.2. blockiert! Für die Abschaffung »Sächsischer Verhältnisse« am 18. Februar demonstriert!Auch wenn es in der medialen Berichterstattung etwas wider-sprüchlich ist: Wir haben den Naziaufmarsch am 13. Februar erfolgreich blockiert! Die 1600 Nazis konnten vielleicht 1200 Meter laufen und mussten frus-triert abreisen, noch bevor die von ihnen geplante Gedenkmi-nute um 21:32 (Uhrzeit des Be-ginns der Bombardements) ze-lebriert werden konnte.Der Tag begann 13 Uhr am Co-meniusplatz mit dem »Mahn-gang Täterspuren«. An Hand von elf innerstädtischen Punk-ten wurde deutlich gemacht, dass Dresden nicht die Opfer-stadt war, als die sie immer noch romantisiert wird, son-dern dass es in Dresden nicht wenige Täter_innen, Mitläufer_innen und Wegschauer_innen gab. Über 2.000 Menschen nah-men an diesem Mahngang teil. Unter anderem wurde die Mutschman-Villa (Mutsch-

mann war Ministerpräsident, Partei-Gauleiter und Reich-statthalter), der Standort der ehemaligen Gefangenenanstalt Mathildenstraße, die Synago-ge, das Polizeipräsidium und der ehemalige Sitz der Gestapo aufgesucht. Damit ist auch die Intervention in den Diskurs um die angeblich unschuldige Kul-turstadt Dresdens erfolgreich gewesen. DIE LINKE war beim »Täterorte Rundgang« und den späteren Blockaden nicht zu übersehen.Anschließend fand die Men-schenkette und Blockaden ge-gen die Naziaufmärsche statt. Im Nachhinein verschwamm in diversen Presse-Berichten die von der AG 13. Februar der Stadt Dresden initiierte Men-schenkette und die Blockaden zu einer Gedenkveranstaltung »gegen Rechtsextremismus«, die den Naziaufmarsch stop-pen konnte. Für die Kommu-nikation der Sache spielt das jedoch kaum eine Rolle. Der Widerstand gegen den Naziauf-marsch und die Kritik am ent-kontextualisierten Gedenken haben ihren Einzug in den öf-fentlichen Diskurs gefunden. Die Dresdner schauen nicht mehr weg, wenn Nazis am 13. Februar durch ihre Stadt zie-hen, weil sie nur das stille Ge-

denken an die Bombenopfer in-teressiert, oder verteidigen mit der Menschenkette die histo-rische Altstadt Dresdens »ge-gen die zugereisten Extremis-ten von links und rechts, die das Gedenken missbrauchen«. Inzwischen verbinden sie das Gedenken mit der Absage an die Nazis. Daneben haben sich tausende Dresdnerinnen und Dresdner an unseren Blocka-den beteiligt, weil ihnen Händ-chen halten nicht genug war. Für den 18. Feburar 2012 war lange Zeit unklar, ob Nazis nach Dresden kommen werden oder nicht. Das Bündnis »Dresden Nazifrei« war für alle Situation umfassend vorbereitet. Da kei-ne Nazis ihr geschichtsrevisio-nistischen Bild auf die Straße tragen wollten, fand eine große antifaschistische Demonstrati-on mit mehr als 10.000 Teilneh-mer_innen statt. Ein absoluter Erfolg. Mit dem Protestzug ge-gen »sächsische Verhältnisse« wurde die Stadt Dresden am 18. Februar 2012 Zeugin der größ-ten, in der BRD stattfindenden, antifaschistischen Demonstra-tion seit mehr als zehn Jahren. Auch für DIE LINKE war die Mo-bilisierung nach Dresden ein absoluter Höhepunkt. In vie-len Städten organisierten un-sere Genossinnen und Genos-

sen Busse, oder beteiligten sich an der Organisation. Aus der ganzen Republik reis-ten LINKE in die sächsische Hauptstadt und zeigten, dass weder Funkzellenabfragen, noch Strafverfahren und Im-munitätsaufhebungen sie ein-schüchtern können. Neben den vielen Mitgliedern, waren mehr als ein Dutzend Bundestags-abgeordnete und ganze Land-tagsfraktionen der LINKEN auf der Demonstration präsent. Nachdem die Neonazis nun drei Niederlagen in drei auf-einander folgenden Jahren hinnehmen mussten, kön-nen wir davon ausgehen, dass der rechte Großaufmarsch in Dresden vorerst Geschichte ist. Der konsequente Wider-stand eines breiten Bündnisses aus Antifa-Gruppen, Gewerk-schaften, zivilgesellschaftli-chen Organisationen und Par-teien wie DIE LINKE, hat es geschafft, das wichtigste Er-eignis im Terminkalender der deutschen Neonazi-Szene zu einem Fest der antifaschisti-schen Bewegung zu machen. Wir möchten allen Beteiligten für ihr Engagement danken. Nur gemeinsam konnten wir so erfolgreich sein!Björn Resener und Jens Thöricht

Seite 2Sachsens Linke! 3/2012

Meinungen So gesehen

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in SachsenHerausgeber: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01127 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 18000 Exp. ge-druckt.Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Ant-je Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teich-mann, Ralf Richter, Stathis Soudias Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

Internet unter www.sachsens-linke.deKontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 21.2.2012Die nächste Ausgabe er-scheint am 29.3. 2012.

Von Stathis Soudias

Wie die Perlen einer SchnurDie Aufregung war groß, als bekannt wurde, dass sehr vie-le Mitglieder der LINKEN vom Verfassungsschutz observiert werden. Fernsehsender und Zeitschriften kritisierten die Bundesregierung, Kabarettis-ten nahmen den Dienst auf die Schippe, Politiker meldeten sich kritisch zu Wort. Warum denn?Es ist doch nur gerechtfertigt die Partei und ihre Mitglieder zu observieren, die als einzi-ge im Deutschen Bundestag das Grundgesetz ernst nimmt und seine Durchsetzung, seine Geltung verteidigen.DIE LINKE ist die einzige Par-tei, die das Gebot des Artikels 1 ernst nimmt. Sie verteidigt die Würde des Menschen und sagt deshalb von Anfang an: »Hartz VI ist Armut per Gesetz«.DIE LINKE ist die einzige Par-tei, die das Grundgesetz ernst nimmt und gegen den Einsatz der Bundeswehr in kriegeri-schen Auseinandersetzungen ist.DIE LINKE ist die einzige Par-tei, die das Gebot des Grund-gesetzes »Eigentum verpflich-tet« durchsetzen will und somit gegen die Rettung der Finanz-spekulanten auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger ist.DIE LINKE ist die einzige Par-tei, die das Grundgesetz ernst nimmt und die Gleichstellung der Geschlechter fordert und fördert. Die 50 Prozent-Quote wird nur von der LINKEN kon-sequent eingehalten.Selbstverständlich macht das diese Partei verdächtig. Selbstverständlich ist diese Partei gefährlich, weil sie die anderen bloß stellt. Und, eine sächsische Besonderheit, sie widerspricht mit Wort und Tat der Extremismus Theorie des Chemnitzer Professors, die un-reflektiert von der Landesregie-rung blind durchgesetzt wird. So gesehen ist auch nur kon-sequent, dass DIE LINKE nicht teilnehmen darf bei der Su-che eines geeigneten Kandi-daten für das Amt des/der Bundespräsidentin. Und die-jenigen, die das Grundgesetz missachten, haben sich auf jemanden verständigt, sie re-präsentiert. Herr Gauck redet zwar von Freiheit, was übri-gens das Motto der Kanzlerin ist, vergisst aber total die sozi-ale Gerechtigkeit. Das wieder-um macht ihn zu einem guten Christen. Wie die Perlen einer Schnur eben.

Leserbrief von Klaus Mül-ler zu »Wer denkt, es kann sich nicht wiederholen, der irrt« in LINKS, Januar-Februar 2012 Heinz Lippmann – eine wi-dersprüchliche Persön-lichkeitZweifellos gehörte Heinz Lipp-mann als Krankenpfleger in Auschwitz III (Monowitz) zum Widerstandskomitee. Ge-meinsam mit dem Doktor Grossmann aus Berlin hat er Justin Sonder vor dem Verga-sungstod gerettet. Sicher war das nicht die einzige positi-ve Tat. Außerdem hat er Jus-tin – gewiss auch andere – für den Widerstand gewonnen. So weit so gut.Eure Anmerkung zu Lippmann am Ende des schönen großen Gesprächs ist jedoch nicht ganz korrekt. Dieser ist 1953 nicht einfach mit 300.000 Westmark in die BRD über-gesiedelt. Das klingt nach le-galem Umzug. Das Geld war natürlich für das Wirken des FDJ-Zentralrates vorgesehen, wo Lippmann die Westabtei-lung leitete. Im September 1953 ließ er sich die 300.000 DM von einem zuständigen Mitarbeiter oder Abteilungs-leiter (Finanzen) des Zentral-rates übergeben, um angeb-lich noch eine Aufgabe im Sinne der FDJ zu erledigen, bevor er »in den Urlaub gehen wollte«, wie er sagte. Nach-dem er die Summe erhalten hatte, setzte er sich mit der S-Bahn nach Westberlin und dann in die BRD ab. Die DM be-trachtete er als eigenes Start-kapital für den Westen.Seine Gründe für die Flucht sind nicht ganz geklärt. Lipp-manns Enkelin hat eine Fern-sehdokumentation über ih-ren Großvater gefertigt, die im vergangenen Jahr gesen-det wurde (MDR oder ZDF). Daraus soll man entnehmen, dass es Konflikte mit Erich Honecker, damals Vorsitzen-der des FDJ-Zentralrates, gab. Fest steht, dass beide domi-nante Persönlichkeiten waren. Kurt Goldstein schildert in der Dokumentation Lippmann als einen Menschen, der für sei-ne Arbeit und seine Entschei-dungen viel Freiraum brauch-

te. Auf jeden Fall bestätigt der Fernsehbeitrag die wider-sprüchliche Entwicklung Lipp-manns.In dem Buch »Unser Zeichen war die Sonne«, herausgege-ben von Hans Modrow (Ver-lag Neues Leben GmbH Berlin 1996, Seiten 74/75), bezeich-net Jupp Angenfort, Vorsitzen-der der FDJ in der BRD, Lipp-mann als eine zwielichtige Person. Dieser sei in Prozes-sen gegen Mitglieder der FDJ in Westdeutschland aufgetre-ten und habe mit dem Verfas-sungsschutz zusammengear-beitet.

Hubert Gintschel aus Chemnitz In Memoriam - Hans-Jochen Vogel

Vor 6 Jahren am 27. Dezem-ber 2005 starb nach schwerer Krankheit Hans-Jochen Vogel. Der Christ protestantischer Konfession, der Gemeinde-pfarrer, der evangelische Stu-dentenpfarrer in Karl-Marx-Stadt und Chemnitz, der Antifaschist, Friedenskämp-fer, vor allem aber der unbe-irrbare, kluge, kritische Geist und sozial engagierte, tätige Mensch.Wie viele in unserer Partei hat-te ich Hans-Jochen Vogel nach 1989 kennen gelernt. Unser erstes Zusammentreffen fand auf Einladung der christlichen Friedensinitiative im Umwelt-zentrum zur Organisierung der Proteste gegen den 1. Golf-krieg statt. Sehr schnell merk-ten wir, dass die Gräben, die uns früher trennten, eigentlich keine waren und wir im Grun-de das Gleiche wollten: eine Welt ohne Kriege, ohne Armut, Hunger und soziale Ängste, ohne Glaubens- und Rassen-hass, eben eine menschliche Welt. Aus dieser Gemeinsam-keit erwuchs eine 15-jährige aktive, vertrauensvolle und solidarische Zusammenar-beit.Als die NATO angetrieben von der Bundesregierung von SPD und Bündnis90/Grüne den Jugoslawienkrieg vom Zaune brach, zerrte die bundesdeut-sche Justiz Hans-Jochen vor Gericht. Wegen seines Aufru-fes an die Soldaten, sich nicht

am Krieg zu beteiligen und zu desertieren, sollte er verur-teilt werden. Als ausgewie-senem Verfechter der Aktion »Schwerter zu Pflugscharen« ist ihm das in der DDR nicht passiert.Hans-Jochen musste freige-sprochen werden. Eine von der damaligen PDS initiier-te breite, öffentliche Solidari-tätsbewegung zusammen mit der Verteidigung durch RA Klaus Bartl (MdL/PDS) hat maßgeblich dazu beigetragen.Als der Hamburger Neofa-schist Worch in Chemnitz ei-nen rechten Aufmarsch gegen die Ausstellung »Die verbre-chen der Wehrmacht« orga-nisierte, stand Hans-Jochen mit an der Spitze der 8.000 Gegendemonstranten, de-ren erklärtes Ziel es war, den Aufmarsch der Nazis zu ver-hindern, zumindest aber emp-findlich zu stören. Kennzeich-nend für Hans-Jochen war immer, Friedensarbeit und Antifaschismus dürfen sich nicht in Symbolik erschöpfen, die muss sein, aber sie verän-dert noch nichts. Vom Gebet zur Tat, dass war sein christ-liches Credo. Ganz im Sinne von Goethes Dr. Faustus: Im Anfang war die Tat.Widerstand zu leisten gegen Neofaschismus, Rechtsra-dikalismus, Rassen- und Re-ligionshass, Fremdenfeind-lichkeit und Kriegstreiberei gehörte für ihn zu den Rechten eines wehrhaften Demokra-ten. Dabei alle Kräfte zu einen, war für ihn ein grundsätzliches Gebot. Einer Trennung zwi-schen so genannter bürgerli-cher Mitte und alternativen, auch linken Kräften hat Hans-Jochen nie das Wort geredet. Wenn wir alle gemeinsam so herangehen, dann werden wir in der Erinnerung an Hans-Jo-chen Vogel seinem Wirken ge-recht und, um es noch einmal mit Goethe zu sagen, wird die Spur von seinen Erdentagen nicht in Äonen untergehen.

Uwe Schnabel aus Coswig zu »Überparteilicher Auf-bruch in Richtung Gleich-stellung« (Sachsens Linke! 1-2/2012, S. 9)

Es ist schön, wenn die Gleich-berechtigung durchgesetzt wird. Dazu gehört natürlich auch, dass Frauen in Füh-rungspositionen entspre-

chend ihres Bevölkerungs-anteils vertreten sind. Die meisten Frauen haben aber nichts davon, wenn mehr Frauen in die Aufsichtsräte kommen. Das betrifft nur eine kleine Minderheit. Und Frau-en in Führungspositionen (z.B. Margaret Thatcher, Angela Merkel, (Zens)Ursula von der Leyen, Friede Springer) set-zen sich auch häufig nicht für soziale Gerechtigkeit im Allge-meinen und speziell für Frauen ein. Somit sind die Beseitigung der Einkommensunterschiede sowohl im als auch nach dem Berufsleben wie auch bei Er-werbsarbeitslosigkeit, eine gerechtere Verteilung der Tä-tigkeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unab-hängig vom Geldbeutel und die Bekämpfung sexistischer Vorurteile viel wichtiger. Die Berliner Erklärung kann so-mit selbst bei Erfolg besten-falls ein erster Schritt sein. Eine spürbare Besserstellung der Frauen und effektive Maß-nahmen zur Umsetzung der Gleichberechtigung werden dadurch nicht erreicht.

Dresden-Pillnitz: Freier Park für freie Bürger – mit Online-Petition Eintrittsgeld verhindernDresdner Bürger wollen sich nicht alles bieten lassen. Keine privatisierten Krankenhäuser und keine privatisierten Parks. Die Initiative «Freier Park für freie Bürger” fordert alle Bürge-rinnen und Bürger auf, sich ge-gen die Erhebung der Parkge-bühren per Online-Petition zu wenden. Von den bislang zehn freien Zugängen sollen ab April diesen Jahres fünf komplett ge-schlossen werden. Drei sollen nur noch als Ausgang genutzt werden dürfen und nur zwei Eingänge bleiben übrig. Dies ist nicht hinnehmbar. Jede und jeder der online unterschreibt kann die Aufforderung zur Un-terschrift an Freunde und Be-kannte weiterleiten.Zudem kann man den Link ver-schicken: http://openpetiti-on.de/petition/online/freier-park-fuer-freie-buerger

Seite 3 3/2012 Sachsens Linke!

Kein Ende in Sicht

»Billigprofessoren«, ihre »Knechte« und die StudierendenDie Situation an den deut-schen Hochschulen eignet sich kaum für den tagesak-tuellen Parteienstreit. Wir sind jetzt vielmehr an einem Punkt angelangt, wo gemein-sam couragierte kultur- bzw. gesellschaftspolitische Wei-chenstellungen für die kom-menden Jahrzehnte vorge-nommen werden müssen. Seit der Reform der Profes-sorengehälter durch die Bun-desbildungsministerin Bul-mahn (SPD) erhalten viele Hochschullehrer nur noch ein vergleichsweise geringes Grundgehalt, das durch Leis-tungszuschläge aufgebessert werden kann. Doch die Uni-versitäten haben nicht ge-nug Mittel, um diese Zulagen auch an alle Leistungsträger zahlen zu können. Daher ge-hen nicht wenige leer aus. We-gen der zu geringen Grundfi-

nanzierung der Universitäten scheitert oft auch die Anwer-bung von Spitzenforschern. Seit 2006 gibt es keine bun-deseinheitliche Besoldungs-ordnung mehr, sodass exzel-lente Wissenschaftler gerne einem Ruf in die reichen Bun-desländer (Baden-Württem-berg, Bayern, Hessen) folgen, wo sie sehr viel mehr verdie-nen als in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg. Wenn die-ser Trend sich fortsetzt, wer-den nur jene Hochschulleh-rer im östlichen Deutschland verharren, die keine bessere Anstellung im Westen gefun-den haben. Im internationalen Vergleich liegt das Einkom-men akademischer Lehrkräfte in Deutschland auf Platz 10 – nach Südafrika, Kanada, Sau-di-Arabien, Italien, Australien, Großbritannien, Indien, den USA und den Niederlanden.

Das ist ein deprimierendes Er-gebnis für die selbsternannte »Bildungsrepublik«. Anders als in den meisten die-ser Länder verfügen die deut-schen Professoren der höchs-ten Kategorie aber über eine schlecht bezahlte Schreib-kraft und über Hilfskräfte. Letztere werden über meist kurzfristig laufende Verträge als wissenschaftliche Mitar-beiter, geprüfte wissenschaft-liche Hilfskräfte und studenti-sche Hilfskräfte bezahlt. Nicht zuletzt aufgrund ihrer elenden Position fehlt es diesen jungen Menschen oft an Einsatzfreu-de. Durch die Exzellenzinitiati-ven vergrößert sich das Heer dieser Hilfskräfte ohne Pers-pektive von Jahr zu Jahr. In den nordischen Ländern, in Kanada, Großbritannien, den USA und anderen Ländern müssen sich die Professoren

selbst um das Alltagsgeschäft ihres Lehr- und Forschungsbe-triebs kümmern. Diese Mühen haben der Qualität ihrer Ar-beit offenbar nicht geschadet. Anders als in Deutschland forschen die jungen Nach-wuchswissenschaftler in den genannten Ländern frei und müssen keine Zuarbeit für »ih-re« Professoren leisten. Sie verdienen genug, um anstän-dig leben zu können, erhalten meist mehrjährige Verträge und können mit klar definier-ten Aufstiegschancen rech-nen. Sie werden auch nicht, wie in Deutschland, für weit-reichende Lehraufgaben an den überfüllten Universitäten herangezogen. Vor dem geschilderten Hin-tergrund sollte sich die Be-geisterung über die wachsen-de Zahl von Studienanfängern an sächsischen Hochschulen,

die ihre Hochschulzugangs-berechtigung in anderen Bun-desländern erworben haben, in engen Grenzen halten. Was unbesehen als Indikator für Qualität gewertet wird, könn-te auch als ein Ergebnis von Zulassungsbeschränkungen und noch hoffnungsloserer Überfüllung in anderen Bun-desländern interpretiert wer-den. In der Regel werden infor-mierte und leistungsbewusste Studierende sich um Studien-plätze an jenen Universitäten bemühen, an denen hervor-ragende Hochschullehrer un-terrichten. Gegenwärtig kom-men nicht alle dort unter. Aber spätestens nach dem Examen werden die Zugezogenen in ih-re Heimatländer zurückkeh-ren – wenn dort besser be-zahlte Jobs auf sie warten. Gerhard Besier

Griechenland, Eurokrise und kein Ende in Sicht! Was ist los in Griechenland und was hat das mit uns zu tun?

Griechenland ist pleite, Grie-chenland hat über seine Ver-hältnisse gelebt, Griechenland muss sparen, Griechenland muss endlich ordentlich wirt-schaften! Dies sind die übli-chen Schlagzeilen und Schlag-worte, wie wir sie seit nun schon über einem Jahr täglich in der Zeitung lesen und in der Tagesschau hören.Zunächst die offizielle Ge-schichte, die auch nicht falsch ist: Ende 2009 erklärt die da-mals neue griechische Regie-rung unter Giorgos Papandre-ou, dass die Statistiken zu Haushaltslöchern und Staats-schulden in Griechenland vie-le Jahre manipuliert worden waren und die Schulden nun viel höher seien als angenom-men. Zu diesem Zeitpunkt schrumpfte die griechische Wirtschaft bereits im zwei-ten Jahr und das Vertrauen der Kapitalanleger in die grie-chischen Unternehmen und Banken war bereits stark ge-schwunden. Nach dieser Of-fenbarung war auch der Rest an Vertrauen verloren. Alles

weitere ist bekannt.Nun der Teil der Geschichte, den man seltener hört: 1999 wurde in der Europäischen Union eine Währungsunion gegründet und 2001 der Eu-ro als Gemeinschaftswährung eingeführt. Eine Währungsuni-on ist ein sehr enges Korsett: Ein Land kann seine Wettbe-werbsfähigkeit nicht mehr über Wechselkurse anpassen und über seine Zentralbank auch nicht mehr das Zinsni-veau steuern, eine weitere wichtige wirtschaftliche Stell-schraube. Im Gegenzug sind Unternehmen in einer Wäh-rungsunion von Wechselkurs-risiken befreit und Umtausch-gebühren fallen weg.In einer Währungsunion ist aufgrund der aufgegebenen nationalen Steuerungsmecha-nismen eine eng koordinierte Wirtschaftspolitik notwendig. Darum hat sich aber keiner der Eurostaaten ernsthaft ge-kümmert. Die Folge: die wirt-schaftliche Entwicklung läuft auseinander. Eine wesentliche Ursache ist dafür die Lohnpo-litik, insbesondere das deut-sche Lohndumping. Staaten wie Griechenland, aber auch Frankreich mit einer mode-raten Lohnpolitik, haben seit ihrem Beitritt zur Europäi-schen Währungsunion immer mehr an Wettbewerbsfähig-keit verloren. Dies ging mit steigenden Schulden gegen-über Volkswirtschaften wie Deutschland einher. Wegen

der lahmenden Binnennach-frage suchte deutsches Kapi-tal nach Anlagemöglichkeiten und fand sie im Ausland. Grie-chenland hing nun jedoch im-mer mehr vom Wohlwollen sei-ner ausländischen Gläubiger ab. Diese drehten dem Land schließlich den Geldhahn ab.Die Regierungen der Euro-Zo-ne haben daraufhin zwei Ent-scheidungen getroffen. Die erste und richtige Entschei-dung war, Griechenland »vom Markt zu nehmen« und die (Re-) Finanzierung des grie-chischen Staates über staat-liche Kredite abzudecken. Die zweite und verheerend fal-sche Entscheidung war, diese Kredite mit extrem brutalen Sparauflagen zu verbinden. Weil Löhne und Renten auch die Konjunktur in Schwung halten, würgten die Kürzungs-orgien die griechische Wirt-schaft ab. In der Folge brachen auch die Steuereinnahmen ein und der Staat erreichte seine Haushaltsziele nicht. Weil man sich zu Recht fra-gen muss, warum Deutsch-land nun Solidarität mit den Griechen und nicht mit den noch ärmeren Staaten Euro-pas oder der Welt üben soll, kommt DIE LINKE auch nicht um neue Spielregeln für die europäische Wirtschaftsord-nung herum. Dafür reicht es nicht aus, gemäß der Bun-desregierung nur auf ande-re Staaten einzudreschen. Der deutsche Überschuss in

der Leistungsbilanz ist nicht nachhaltig. Durch höhere Löh-ne und öffentliche Investiti-onen hat Deutschland seine Importe deutlich zu steigern und Produktivitätsfortschrit-te endlich zuhause zu verfrüh-stücken. Sonst konkurrieren sich die Euro-Staaten weiter in die Pleite.Siehe genauer: Troost/Her-sel, Solidarisches Miteinander statt ruinöser Wettbewerb -

Europäische Ausgleichsunion. Aus SOZIALISMUS 12/2011 ht tp ://w w w.axe l - t roost .de/ar ticle/5774.solidar i -sches-miteinander-statt-ru-inoe-ser-wettbewerb-euro-paeische-ausgleichsunion.html?sstr=AusgleichsunionUnd allgemein zum The-ma: http://www.axel-tro-os t .de/top ic/3.themen.html?tag=FinanzmarktkriseAxel Troost

Seite 4Sachsens Linke! 3/2012

8,50 Euro sind Zwischenschritt

DIE LINKE. Sachsen unter-stützt vielfältige Proteste gegen Naziaufmarsch am 5.März in ChemnitzAm 5.März wollen erneut mehrere hundert Nazis vom Bahnhof aus durch Chemnitz marschieren. Anlass ist die Bombardierung der Stadt im Frühjahr 1945 durch alliier-te Luftstreitkräfte. Sie planen deshalb einen Trauermarsch, leugnen deutsche Kriegs-schuld und relativieren die Ge-schichte.Das werden wir nicht zulas-sen. Wie in Dresden geht es der LINKEN dabei auch um die Auseinandersetzung mit dem inhaltlichen Hintergrund des Aufmarsches – auch in Chemnitz nehmen die Nazis die Bombardierung der Stadt durch die Alliierten zum An-

lass, um Geschichte zu ver-drehen. Diesem Versuch, den Nationalsozialismus zu rela-tivieren, erteilen wir ebenso wie einer in der offiziellen Er-innerungspolitik verbreiteten Schlussstrichmentalität in Be-zug auf den Nationalsozialis-mus eine klare Absage.»Dass in Chemnitz antifaschis-tischer Protest, nicht nur ge-gen den Naziaufmarsch, not-wendig ist, zeigt die Eröffnung eines Schulungszentrums der extremen Rechten im Novem-ber des letzten Jahres. Da-her sind alle demokratischen Kräfte aufgerufen, ähnlich wie in Dresden, den Nazis entge-genzutreten und deutlichen Protest zu üben«, so das Mit-glied des Landesvorstands der Partei DIE LINKE. Sachsen Jens Thöricht.

Bericht aus der Landesvorstandssitzung am 10. Februar 2012

Die Februar-Beratung des Lan-desvorstandes war durch eini-ge spannende, zum Teil auch kontroverse Diskussionen ge-prägt. Die politisch interes-santeste Debatte entwickelte sich an Hand der Vorlage »Be-schluss zur Initiative der LIN-KEN und der SPD im Sächsi-schen Landtag zum Thema: Gesetz zur Sicherung von Ta-riftreue, Sozialstandards und fairem Wettbewerb bei öffent-licher Auftragsvergabe im Frei-staat Sachsen« (B 3–042).Dieses gemeinsame Vorhaben der LINKEN und der SPD wird durch den DGB nicht nur mit-getragen, sondern soll in den nächsten Wochen und Mona-

ten durch gemeinsame öffent-liche Aktivitäten der Gewerk-schaft und beider Parteien Einfluss auf die gesellschaftli-che Debatte in Sachsen neh-men. Damit erfüllt DIE LINKE eine ihrer wichtigen politischen Aufgaben, die im Erfurter Pro-gramm beschrieben sind: »DIE LINKE steht an der Seite der Gewerkschaften, die für bes-sere Arbeitsbedingungen und eine gute soziale Absiche-rung der Beschäftigten« strei-ten und handelt damit auch in Sachsen entsprechend der Programmformulierung: »Für die Durchsetzung eines politi-schen Richtungswechsels und einer solidarischen Umgestal-tung brauchen wir starke, akti-ve, kämpferische und politisch eigenständig handelnde Ge-werkschaften.«

Die kontroverse Debatte von Landesvorstand und den zu diesem Thema eingeladenen Gästen, MdL Karl-Friedrich Zais und Mathias von der Re-cke (parlamentarischer Mit-arbeiter der Fraktion DIE LIN-KE im Sächsischen Landtag), entfaltete sich natürlich nicht am, bei diesen Thema selbst-verständlichen, Bündnis mit dem DGB. Vielmehr wurde auf das Problem verwiesen, dass durch die Zusammenarbeit mit dem DGB dessen Mindest-lohnforderung (derzeit 8,50 Euro) die Grundlage des Ge-setzentwurfs bildet und keine Annäherung an unsere eigene Forderung sichtbar ist. Im Ergebnis war es den Mit-gliedern des Landesvorstan-des wichtig, in den Beschluss folgende Formulierung auf-

zunehmen: »Der derzeitig im Gesetzestext enthaltene und vom DGB Sachsen geforderte Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro stellt einen Zwischen-schritt in der konkreten Um-setzung und Ausgestaltung des Weges zum im Parteipro-gramm geforderten Mindest-lohn von 60 Prozent des nati-onalen Durchschnittslohnes dar. (...). Die programmatisch fixierte Forderung der LIN-KEN nach einem Mindestlohn in Höhe von mindestens 60 Prozent des nationalen Durch-schnittslohns bleibt von die-ser gemeinsamen Gesetzes-initiative selbstverständlich unberührt.« Die mit diesem Thema befassten Mitglie-der und MitarbeiterInnen der Fraktion wurden gebeten, ins-besondere dazu die Diskussi-

on in der Partei zu suchen.Für die politische Ausgestal-tung der Arbeit in den Orts- und Kreisverbänden ist der Beschluss B 3–043 interes-sant, in dem die Zeitleiste für die bis 2014 zu erarbeiten-den inhaltlichen Grundlagen unseres Landesverbandes festgelegt wurde. Mitglieder des Landesvorstandes, der Grundsatzkommission bzw. mit der Erarbeitung einzelner Papier beauftragte GenossIn-nen stehen in bewährter Art und Weise zur Verfügung, vor Ort zu diskutieren und damit Ideen, Anregungen und Kri-tiken aufzunehmen. Die kon-kreten Anfragen dazu können an die Landesgeschäftsstel-le bzw. an die Grundsatzkom-mission gerichtet werden.Stefan Hartmann, Antje Feiks

Auf dem Landesparteitag in Bautzen wurde beschlossen, in Sachsen eine »Parteikonfe-renz zu inhaltlichen Fragen von Rassismus und Ideologie der Ungleichwertigkeit sowie zu Handlungsoptionen der LIN-KEN in der Auseinanderset-zung mit den verschiedenen Spielarten dieses politischen Spektrums« durchzuführen.Diese wird am 5. Mai 2012 stattfinden. Zur Vorbereitung hat der Landesvorstand am 10. Februar die Bildung ei-ner Arbeitsgemeinschaft be-schlossen. Ihr gehören neben MdL Freya-Maria Klinger und Jens Thöricht auch die Landes-geschäftsführerin Antje Feiks und Stefan Hartmann an.

Um der Maßgabe einer Par-teikonferenz und der Einbe-ziehung der Mitgliedschaft Rechnung zu tragen, bittet der Landesvorstand alle Genoss_innen und Sympathisant_innen bis zum 10.März 2012 mögli-che Schwerpunkte, Fragestel-lungen und Anregungen für die Veranstaltung an die Lan-desgeschäftsstelle zuzuarbei-ten. Welche Probleme und Be-darfe habt ihr vor Ort? Aus den Vorschlägen wird die Arbeits-gemeinschaft bis zur Landes-vorstandssitzung am 16.März 2012 eine Konzeption für die Parteikonferenz zum Beschluss vorlegen. Wir freuen uns auf Eure Ideen!Freya-Maria Klinger, Jens Thöricht

Antifaschistische (Bildungs-)Arbeit

Unter dem Motto *Let s kick* organisierte die Initiative Pro De To am 4. Februar 2012 ein Fußballturnier für Freizeit-mannschaften aus dem Erzge-birgskreis in der Stollberger »Drei Felder Halle«.Das war nicht irgendein Tur-nier, es bot die Möglichkeit, sich mit sächsischen Land-tagsabgeordneten zu »duellie-ren«. Es war ein Match auf Au-genhöhe für Demokratie und Toleranz. Neben dem FC Landtag hat-ten sich weitere zwölf Mann-schaften aus verschiedenen Jugend- und Freizeiteinrich-tungen des Erzgebirgskreises angemeldet. Gespielt wurde in zwei Gruppen. Erst gegen 17:15 Uhr stand der Sieger fest. Am Rande des Turniers gab es zahlreiche Gespräche zwi-schen den Landtagsabgeord-neten, Turnierteilnehmern

und MitarbeiterInnen der Ju-gend- und Freizeiteinrichtun-gen.Die Organisatoren wollten mit diesem Turnier ein Zeichen für Demokratie und Toleranz setzten. Es ging um einen fai-ren Umgang miteinander, ganz gleich, wo man her kommt und wer man ist. Hallensprecher Andreas Bern-hardt konnte sich voll auf die Spiele konzentrieren, dass es fair zuging und es keine gelben oder roten Karten gab.Turniersieger wurde der »FC Urinstinkt« vor den »Ampel-männchen« (die mit mehr Am-pelmädchen besetzt war) und dem Fanprojekt von Wismut Aue. Der FC Landtag mit Torwart Klaus Tischendorf belegte den 5. Platz. Für das leibliche Wohl sorgten die Schülerinnen und Schüler der 12. Klassen des »von Bach

Gymnasium« Stollberg.Die Organisatoren bedanken sich bei allen Helferinnen und Helfern sowie bei der Fraktion der LINKEN im Kreistag Erzge-birge für die technische Unter-stützung.Die Initiative Pro De(mokratie) und To(leranz) gibt es seit 2008 in der Region Stollberg. In ihr engagieren sich Bürge-rinnen und Bürger sowie Ver-eine und Institutionen. Der LINKE-Landtagsabgeordnete Klaus Tischendorf gehört zu den Mitbegründern der Initia-tive und unterstützt diese ge-meinsam mit seinem Bürger-büro. Bisher wurden von der Initiative unter anderem Po-diumsdiskussionen und Ver-anstaltungen zum Thema Rechtsextremismus und eine Ausstellung zum Thema »Ge-sicht zeigen ...! für Demokra-tie und Toleranz« organsiert.Angela Hähnel

*Let s kick*

Vielfältige Proteste

ParlamentsrePort

Liebe Leserinnen und Leser!Verglichen mit 2010 und 2011 ist das „Nachspiel“ der Ereignisse rund um den 13. Februar in diesem Jahr über-schaubar. Während im Zusammen-hang mit dem am zivilgesellschaft-lichen Widerstand gescheiterten Nazi-Aufmarsch 2010 möglicher-weise bald vier Landtags-Fraktions-vorsitzende der LINKEN in Sachsen vor Gericht gestellt werden sollen und wegen der Proteste von Nazi-gegnern 2011 Hunderte Strafbefehle verschickt worden sind, herrscht in diesem Jahr zwischen allen demo-kratischen Parteien eine annähernde Übereinstimmung in der Würdigung erfolgreicher Anti-Nazi-Proteste.

Umso unverständlicher ist der Umgang von Polizeibeamten mit dem 76-jährigen Vorsitzenden der Vereini-gung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN – BdA), Hein-rich Fink, der zwecks zwangsweiser Personalienfeststellung angehalten wurde, da man ihn des Verdachts des Landfriedensbruchs am 19. Februar 2011 in Dresden bezichti-gte. Dass das vorgelegte Vergleichs-foto keinerlei Ähnlichkeit mit Fink hat und er selbst damals gar nicht in Dresden war, focht die Beamten nicht an. Hier verlange ich Aufklärung vom sächsischen Innenminister.

Zu Recht haben Dresden und viele Gäste am 18. Februar die Absage der ursprünglich für diesen Tag geplanten Nazi-Großdemonstration gefeiert, die damit zum dritten Mal in Folge nicht zustande gekommen ist. Ein gutes Omen für einen Zuwachs an Zivil-courage in Sachsen beim Kampf gegen Nazis – und (hoffentlich) Vor-bild den Regierenden, die zu lange auf dem rechten Auge blind waren.

Dr. André HahnFraktionsvorsitzender

Februar 2012 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

nungskonzepts“ im Jahr 2011 den Nazis die halbe Stadt freigeräumt werden sollte – die Gewerkschaf-ter durften vor ihrem eigenen Haus keine Mahnwache abhalten, und die Nazigegner wurden genötigt, an der Autobahn ihre Busse zu verlassen und kilometerlange Fußmärsche in die Stadt zurückzulegen.

Wenn nun 2012 derselbe Ober-staatsanwalt, der 2010 die Beschlagnahme von Plakaten mit einem sogenannten „Blockade-Aufruf“ öffentlich mit martialischen Worten gerechtfertigt hat, dem „Trauermarsch“ der Braunen laut-stark „Nazis raus“ zuruft, als Teil-nehmer einer Gegendemonstration, die aus einer gemeinschaftlichen Platznahme entstanden ist, die 2011 noch als verbotene Blockade von der Polizei erbittert bekämpft worden wäre, ist das schön. Und beweist: Die Polizei ist nicht das Problem, sondern die Politik und die Justiz, die mit ihr umgehen. Wir bekräftigen unsere Forderung: Alle Verfahren, die nicht wegen Sachbe-schädigung oder Körperverletzung, sondern wegen Behinderung eines Nazi-Marsches geführt werden, sind endlich einzustellen! Sonst müssen wir darüber nochmal im Landtag sprechen – garantiert har-moniefrei.

dung“ des Bundesverfassungs-gerichts vom 4. November 2009 spricht eine klare Sprache. Dass sich die sächsische Landeshaupt-stadt über viele Jahre hinweg zum Schauplatz der europaweit größten Zusammenrottung von Nazis auf Straßen und Plätzen entwickelte, ist Folge des Versagens von Verant-wortlichen in Politik, Verwaltung und Justiz. Dass es auch ganz anders geht, haben Berlin, Leipzig, Jena und viele andere Städte gezeigt.

Zur ganzen Wahrheit rund um den 13. Februar in Dresden gehört: Die Stigmatisierung und Kriminalisie-rung von Nazigegnern hat die Ver-drängung der Nazis von den Stra-ßen Dresdens lange blockiert. Wir werden so schnell nicht vergessen, dass 2009 Tausende von Demonst-ranten der Aktion „Geh Denken“ auf der Carolabrücke so lange bei Eises-kälte von der Polizei angehalten wurden, bis die Nazis in der Innen-stadt ungestört ihres Weges gezo-gen waren. Wir werden auch nicht vergessen, dass als Folge des „Tren-

Der „Trauermarsch“ der Nazis am 13. Februar 2012 in Dresden wurde zur Lachnummer, war in Medien zu lesen. Dank massiver Proteste vieler tausend Menschen rund um das World Trade Center in Dresden blieb von der Marschroute der Brau-nen so wenig übrig, dass sie ihrem Frust freien Lauf ließen und sich untereinander zerstritten. Nach-dem der für den 18. Februar erwar-tete Nazi-Marsch bereits abgesagt war, ist dies ein großer zivilgesell-schaftlicher Erfolg gewesen, den Antifaschistinnen und Antifaschis-ten, Wertkonservative, Christinnen und Christen, Unkonventionelle und „Bürgerliche“, Linke, Grüne, „Mittige“, Einheimische und Gäste gemeinsam erreicht haben. Bereits am 13. Februar 2010 und 19. Feb-ruar 2011 kamen die Nazis aufgrund Zivilcourage, besonders durch das Bündnis „Dresden Nazifrei“ nicht zum Zuge.

Für die CDU-Fraktion im Sächsi-schen Landtag erklärte ihr Abge-ordneter Christian Hartmann: „Der Protest gegen den Aufmarsch der Neonazis war nicht nur erfolgreich, sondern auch friedlich, rechts-staatlich und gesetzeskonform …“ Bei allem Respekt für CDU-Politi-ker, die wie Hartmann – angefan-gen bei seinem Landtags-Plädoyer für Protest in Sicht- und Hörweite – einen beachtlichen Lernprozess beim Umgang mit Nazi-Demos hin-ter sich gebracht haben: Es hätte sich gehört, dieses Lob ausdrück-lich auch all denen gegenüber aus-zusprechen, die wie das Bündnis „Dresden Nazifrei“ noch vor kurzem in den Ruch einer „kriminellen Verei-nigung“ gebracht worden sind.

Nazi-Aufmärsche muss es nicht geben – die „Wunsiedel-Entschei-

Pirouetten um „Blockaden“Von Rico Gebhardt, innenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE

MdL Rico Gebhardt

Heinrich Fink (li.) und MdL Marion Junge

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PARLAMENTSREPORTSeite 2 Februar 2012

Mahngang „Täterspuren“: Statt 300 kamen 2.000Der Landtagsabgeordnete der LINKEN Falk Neubert hat den Mahngang „Täterspuren“ angemeldet.

Gedenkkultur – der Spagat um den 13. Februar Dresden, das während des zweiten Weltkrieges wie zahlreiche andere deutsche Großstädte – Hamburg, Magdeburg, Nürnberg, Chem-nitz, um nur einige zu nennen – von den Alliierten bom-bardiert wurde, ist mit dem jährlichen Gedenktag am 13. Februar im letzten Jahrzehnt bundesweit in die Schlagzeilen gekom-men. Während die einen vor allem der Opfer der Bombardie-rung gedenken wol-len, sehen andere den 13. Februar und sein Umfeld auch als Anlass, an die Ver-nichtungsmaschinerie der National-sozialisten zu erinnern und gegen die ideologische Umdeutung der

Erinnerung durch die geistigen Erben des NS-Regimes im Umfeld der NPD Flagge zu zeigen.

Es ist ein politischer Spa-gat, der von der Stadt-verwaltung, den demo-kratischen Parteien und der Dresdner Bevölke-rung als Zivilgesellschaft selbst gefordert ist.

Die Bombardierung Dresdens darf nicht ohne die Erinnerung daran, dass Dres-den in den vierziger

Jahren Nazi-Hochburg und ein wesentliches

Eisenbahnkreuz für den Rüstungs-transport war, thematisiert werden. Allein im Dresdner Landgericht am Münchner Platz wurden ca. 1.300

Menschen aus politischen Gründen während der Nazi-Herrschaft hinge-richtet.

Ein erster negativer Höhepunkt in der Dresdner Gedenktradition war der Aufmarsch von mehr als 6.000 Neonazis im Februar 2005 in der Altstadt. Die Auseinandersetzung um das „richtige Gedenken“ ist 2011 eskaliert, nachdem die CDU-geführte Stadtspitze jahrelang der Meinung war, ein stilles Gedenken sei ausreichend und angemessen, während bereits 2010 und 2011 ein Neonazi-Marsch nur durch Kundge-bungen und Blockaden tausender Gegendemonstranten verhindert werden konnte.

Mit dem Februar 2012 scheint ein neuer Umgang mit dem 13. Februar

möglich zu sein. Erstmals war es auch seitens der Polizei und des CDU-Bür-germeisters für Ordnung und Sicher-heit gebilligt, in Hör- und Sichtweite der Nazi-Kundgebung dagegen zu demonstrieren. Dem voran gegangen waren heftig geführte Auseinander-setzungen um den 13. und 19. Feb-ruar 2011, die Strafverfolgung fried-licher Blockadeteilnehmer/innen, ein beispielloses Ausmaß an Mobil-funküberwachung und das Auffliegen der NSU-Terrorzelle. Ihren für den 18. Februar angemeldeten Marsch sagten die Neonazis ab, doch an die-sem Tag beteiligten sich mehr als 10.000 Menschen an einem Aufzug des Bündnisses „Dresden Nazifrei“. Zivilcourage tut not, in Dresden und anderswo, solange Geschichte ver-dreht und missbraucht zu werden droht.

Dass sich zweitausend Menschen bei frostigen Temperaturen stunden-lang an einem Stadtrundgang zu his-torischen Orten der Nazi-Täter und ihrer Verbrechen beteiligen, dürfte deutschlandweit einmalig sein. Wie ist es zu einer solchen Veranstaltung gekommen, und was hat Sie dazu bewogen, sie nun schon zum wieder-holten Mal anzumelden?

Es war ein Riesenerfolg. Wir selbst hatten zu Beginn in die Anmeldung 300 Personen geschrieben. In Dres-den stand am 13. Februar immer in erster Linie das Gedenken an die Opfer der Bombardierung. Inzwi-schen ist es glücklicherweise Kon-sens, dass deutlicher Protest gegen Naziaufmärsche dringend nötig ist. Dem Bündnis „Dresden Nazifrei“ ist es zudem wichtig, auf Menschen und Institutionen in dieser Stadt zu verweisen, die einen aktiven Bei-trag zu den Verbrechen der Nazizeit geleistet haben. Dresden war keine unschuldige Stadt. Vor diesem Hin-tergrund stand für mich außer Frage, auf Wunsch von „Dresden Nazifrei“ auch dieses Jahr die Anmeldung vor-zunehmen.

Im vergangenen Jahr war der Mahn-gang behördlichen Repressionen ausgesetzt und nach seinem Beginn schon wieder zu Ende. Bestätigt der Umstand, dass er diesmal ungehin-dert stattfinden konnte, die Gesamt-wahrnehmung, dass die Stadt Dres-den im Zusammenhang mit dem 13. Februar dazu gelernt hat?

Im letzten Jahr wurde der Mahngang von der Stadt Dresden schlicht ver-boten. Eine der Begründungen war, der Mahngang sei lediglich vorge-schoben, um Menschen für die Blo-ckaden zu sammeln. Vor dem Hinter-grund, dass sich viele Künstlerinnen und Künstler in die inhaltliche Vorbe-reitung eingebracht haben, war das mehr als ein Affront. Gegen dieses Vorgehen der Stadt habe ich inzwi-schen in Absprache mit „Dresden Nazifrei“ Klage eingereicht. In die-sem Jahr waren sowohl die Vertrete-rin des Ordnungsamtes als auch der Polizeiführer vor Ort ausgesprochen kooperativ. Man hat gespürt, dass der äußere politische Druck extrem groß war, dass es nicht zur Eskala-tion kommen darf. Das ist mit Sicher-heit Folge der bekanntgewordenen Morde des Zwickauer Nazitrios, aber

wahrscheinlich auch Ergebnis der Arbeit der AG 13. Februar in Dres-den, die bestrebt war, dass unter-schiedliche Protestformen gegen Nazis nicht wie bisher gegeneinan-der ausgespielt werden, wodurch in den Vorjahren zivilgesellschaftlicher Protest delegitimiert und kriminali-siert wurde.

Soll der Mahngang am 13. Februar zu einer festen Institution in Dresden werden?

Diese Frage wird „Dresden Nazifrei“ in der nächsten Zeit beantworten müssen. Ich persönlich denke, dass auch in Zukunft eine solche andere Perspektive auf den 13. Februar dringend geboten ist. Und ich finde es wichtig, dass sich – wie bereits in diesem Jahr – prominente Politi-ker/innen in diesen Mahngang ein-reihen. Die organisatorische und inhaltliche Verantwortung sehe ich bei „Dresden Nazifrei“ sehr gut auf-gehoben.

MdL Falk Neubert

MdL Annekatrin Klepsch

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PARLAMENTSREPORTFebruar 2012 Seite 3

Wer im vergangenen Jahr an den Protestaktionen gegen den Nazi-aufmarsch teilgenommen hat, aber nicht nur der, konnte in die massenhafte Datenauswertung von Staatsanwaltschaft und Poli-zei geraten: Unverhältnismäßig angesichts der vielen berührten Grundrechte (Versammlungsfrei-heit, Assoziationsfreiheit, Privat-heit der Telekommunikation usw.), wie der Datenschutzbeauftragte ausführte. Es entstand der Ein-druck: Sächsische Behörden gehen immer einen Schritt weiter, als eigentlich rechtlich gedeckt wäre. Ebenso erweckte die Forderung nach Unterzeichnung einer Demo-kratieerklärung für Bildungsvereine Empörung, da sie deren inhaltliche Arbeit direkt an die Ministerien und deren Politik der „Extremis-musdoktrin“ anbindet. Eine solche Forderung sei aus der Perspektive des Grundgesetzes fragwürdig. Mit einem neuen Versammlungsgesetz soll eine bestimmte Art der Erin-nerungspolitik im Bereich des Ver-

sammlungsrechts konserviert wer-den – eine Herangehensweise, die vorm sächsischen Verfassungsge-richtshof auf den Prüfstand kommt.

Die Proteste gegen den Naziauf-marsch vom Februar 2012 beinhal-teten immer auch eine deutliche Aussage in Richtung der Behörden und amtlichen Ver-treter der „sächsi-schen Demokratie“: U n r e c h t m ä ß i g e D a t e n v e r a r b e i -tung wurde beim Namen genannt und auf die Unver-hältnismäßigkeit im Vorgehen gegen-über Gegendemons-tranten in den Jahren 2009–2011 hingewie-sen. So fasste ein P r o t e s t s p a z i e r -gang Einschätzun-gen bundesweiter Kommentatoren von Tagesschau bis

„Neues aus der Anstalt“ zur Dresd-ner Geschichtspolitik und sächsi-schen Demokratie zusammen, um deutlich zu machen, wie isoliert die Regierung über die Landesgren-zen hinaus mit ihrer Haltung ist, und dass sie im eigenen Land auf-merksam und kritisch hinterfragt wird. Denn gerade nach der Ext-

remismusklausel für Bil-dungsvereine und der Funkzellenauswertung nach dem Februar 2011 ist es wichtig, dass die handelnden Bürgerinnen und Bür-ger sich nicht durch E i n s c h ü c h t e r u n g ihrer Grundrechte

berauben lassen: Wir demonstrieren weiter, es werden weiter Dis-

kussionsveranstaltun-gen organisiert, die Kritik an diesem Vor-gehen der Regierung reißt nicht ab.

Das entschlossene Vorgehen von Bür-gerinnen und Bürgern hat dem Massen-

Event der Nazimobilisie-rung in Dresden erneut einen Strich durch die Rechnung gemacht.

„Sächsische Demokratie“ und Protest gegen Naziaufmarsch

Impressionen13. Februar 2012, 16 Uhr: Warm gekleidet, eine Ther-mosflasche Tee im Rucksack geht es Richtung Postplatz. Die Vorbeieilenden nicken sich fröhlich zu, alle haben ein Ziel. Dort angekommen herrscht buntes Treiben. Bekannte Gewerkschafterinnen treffe ich, eine Gruppe von Schü-lerinnen und Schülern tanzt sich warm, am Jugendbus der LINKEN mit Transparenten von „Dresden Nazifrei“ gibt es Warmes und weitere Infor-mationen. Weiter in Richtung Theaterplatz verteilt Ulli Reinsch mit einigen Genos-sinnen des Dresdner Stadt-verbandes Luftballons und Karten, die auffordern, nach der Menschenkette zu den Blockaden in Richtung Bahn-hof zu kommen. 18 Uhr ist die Menschenkette geschlossen. Wir stehen gegenüber der Semperoper in Zweier- und Dreierreihen. Mit der Auf-lösung gehen viele zum Post-platz zurück und weiter zum WTC und Sternplatz. Es wird noch ein fröhlicher Abend.

MdL Heiderose Gläß

Der 13. Februar 2012 – eine Kreuzung, heißer Tee und MusikGegen 16.10 Uhr meldet eine SMS, dass am World Trade Center Unterstützer gebraucht werden. Uns stehen 2 Wasser-werfer gegenüber, die Hub-schrauber kreisen und die Bahngleise werden durch die Bundespolizei bewacht. Auf der bunt besetzten Kreuzung läuft Musik, wird Tee und Suppe aus-geschenkt. Die Stimmung ist entspannt, das scheint auch auf die Polizei auszustrahlen. Auch an dieser Stelle kommen die Nazis nicht durch, und als sie nach 20.00 Uhr wieder in ihren Zügen sitzen, feiert die bunte Gemeinschaft einfach weiter.

MdL Verena Meiwald

MdL Julia Bonk Sprecherin für Datenschutz, Verbraucher-schutz und neue Medien

Zehntausend Menschen demonstrierten am 18. Februar in Dresden gegen Nazis und Grundrechte-Abbau in Sachsen.

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PARLAMENTSREPORTSeite 4 Februar 2012

Am Tag zuvor habe ich im Internet ein paar Seiten besucht. Unter ande-rem „Dresden Nazifrei“. Aber auch ein Video des schwarzen Blocks mit dem Aufruf zu Gewalt gegen Nazis sah ich. Deshalb näherte ich mich mit gemischten Gefühlen Dresden.

Wir waren zu spät für den Gedächt-nismarsch, deshalb gingen wir gegen 16.00 Uhr direkt zum World Trade Center. Eine SMS hatte uns dorthin gebeten. Etwa fünfhundert Demonstranten waren schon dort versammelt. Es herrschte eine fröh-liche Stimmung. Musik ertönte, Tee wurde ausgeschenkt, rosa Luftbal-lons schwebten über der Menge, Fahnen wurden geschwenkt, Trans-parente entrollt und wegen der Kälte tanzten viele im Rhythmus der Musik.

Eine Straße war durch Metallgitter versperrt. Polizisten in voller Kampf-ausrüstung standen neben Was-serwerfern, über uns kreisten zwei Hubschrauber. Was wird dieser Tag noch bringen?

Über SMS kam die Meldung, am Sternplatz werden noch Menschen gebraucht. Also machte sich unsere Gruppe auf den Weg dorthin. Ein junger Polizist versperrte uns den Weg zum Sternplatz.Sehr freundlich aber bestimmt erklärte er uns, dass er uns noch max. 100 m bis zur zweiten Barri-kade gehen lassen kann, aber dort ist dann endgültig Schluss. Wei-ter ging es bis zum Postplatz. Dort begegneten wir einem Zug von meh-

reren hundert (oder waren es tau-sende?) Demonstranten. Sie alle bewegten sich Richtung Sternplatz.

Ungehindert passierten wir mehrere Polizeiautos und eine Pferdestaffel. Noch immer knatterten die Hub-schrauber über uns.

Gegen 19.45 Uhr setzten plötz-lich Sprechchöre ein. Aus tausen-den Kehlen erklang der Ruf „Nazis raus“. Eine Gruppe sang: „Ihr habt den Krieg verloren...“ Auch ich brüllte mich heiser.Meine Oma hatte mir viel darüber erzählt, wie mein Großvater in den KZ Reichenbach und Colditz gefol-tert wurde. Auch an den Journalis-ten und Schriftsteller Roman Fris-ter musste ich denken, der seine Jugend im KZ durchlitten hat und

das in seinem Buch „ Die Mütze oder der Preis des Lebens“ so eindrucksvoll beschreibt. Men-schen dieses braunen Geistes marschierten keine 50 m vor mir vorüber. Ich reckte mich, um etwas zu sehen. Im Gegenlicht der Scheinwerfer war es aus der zehnten Reihe unmöglich, etwas zu erkennen. War das Flackern von Fackeln? Angst hatte in dieser Menschenmenge niemand. Man füllte sich in der Masse vollständig sicher.

Ein Blick zur Uhr erinnerte mich daran, dass mein letzter Zug nach Hause um 21.05 Uhr fuhr. Ich machte mich sofort auf den Weg zum Hauptbahnhof. Diesmal allein. Auf der Prager Straße nur einzelne Passanten. Vor dem Hauptbahnhof

Polizeiabsper-rung, Wasser-

werfer. Komme ich durch? Unge-

hindert erreichte ich meinen Bahnsteig. Nun

sah ich von oben die Polizisten in voller Kampfmontur mit dem

Rücken zu mir. Der Zug kommt, nur wenige steigen ein. Ab nach Hause.

An jedem Bahnhof unterwegs Poli-zeifahrzeuge. Erst am nächsten Tag las ich auf „Dresden Nazifrei“:„Montag, 21.19 Uhr, Dresden Hbf. Die Nazis haben noch nicht genug. Kleinstgruppen liefern sich vorm Hbf. Scharmützel mit der Polizei. Passt weiter auf euch auf!“

Jörg Frister (re. im Bild)

Der 13. Februar 2012 in Dresden

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Bernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon 0351/493-5800Fax 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

www.linksfraktion-sachsen.de

V.i.S.d.P.: Marcel Braumann

Protest par excellence13. Februar in Dresden gegen 17 Uhr. Der Sternplatz füllt sich nur langsam, da die Polizei alle größeren Zufahrts-wege versperrt. Auch sächsische Abgeordnete wie Rico Gebhardt, Andrea Roth oder Karl-Friedrich Zais unterstützen den zivilen Protest bei eisigen Temperaturen. Doch am heu-tigen Tag lässt die große Motivation des zivilen Protestes jede Diskus-sion über das Wetter verstummen. Als eine Reiterstaffel um 19 Uhr ungefähr tausend Nazigegner pas-sieren lässt und das gesamte Areal jubelnd applaudiert, begreifen alle, worum es wirklich geht.Während sich ein bescheidener Wolf-gang Thierse unters Demonstran-

tenvolk gemischt hat, klammert sich nun Claudia Roth jedes griffbereite Megaphon, um die neuesten Infos der Blockade zu vermitteln. Einige Menschen fragen sich: „Warum gerade sie?“, die meisten haben das Prinzip der Selbstinszenierung begriffen und nehmen es hin.

Alles verläuft friedlich und ruhig. Dann erscheint der „Trauermarsch“ der Nazis in Sichtweite und die Stim-mung kippt. Doch keineswegs zur Gewalttätigkeit hin, die protestieren-den Massen begrüßen die Neonazis mit einem beachtlichen Lautstärke-pegel in Form von Verabschiedungs-gesängen. Die demokratisch-not-

wendige Forderung der Sprechchöre wird postwendend umgesetzt und die Nazis sitzen schnell wieder in ihren Zügen Richtung Heimat. Am Ende fliegt der erste Stein auf ein Polizeifahrzeug, doch bleibt dieser ohne Nachwirkungen.

Viele tausend Gegendemonstran-ten verkürzten den Opfermythos-Spuk auf eine Stunde Frischluft schnappen. Insgesamt ein Erfolg auf ganzer Linie. Denn die Aus-schreitungen des Vorjahres konn-ten, aufgrund des friedlichen Protestverhaltens und der Deeska-lationstaktik der Polizei, vermieden werden.

Als alles vorbei schien und der Sternplatz sich rasch leerte, nimmt die Polizei überraschend die Per-sonalien des 76-jährigen Hein-rich Fink (Vorsitzender vom Bund der Antifaschist/-innen) auf. Der absurde Vorwurf lautet: Verdacht des Landfriedensbruchs am 19. Februar 2011 in Dresden, obwohl Fink damals gar nicht in Sachsen war. Das Einschreiten André Hahns

und einiger Bürger konnte nicht ver-hindern, dass sächsische Beamte ihrem Ruf doch noch gerecht wer-den und eine gelungene Demonst-ration merkwürdig beenden.

Dave Schmidtke (re. im Bild)

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Kommunal-Info 2-2012

RechtsextremismusEin Beschluss des Deutschen Städtetags vom 08.02.2012

Seite 2

GroßwohnsiedlungWhitepaper über die Zukunftvon Großwohnsiedlungen

Seite 3

WohnungsprognoseNeues IÖR-Internet-Rechenprogramm

Seite 4

SchwellenwerteNeue EU-Schwellenwerte veröffentlicht

Seite 4

K o m m u n a l p o l i t i s c h e s F o r u m S a c h s e n e . V .K F S

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

22. Februar 2012

Sanierung und Ausgleichsbeträge Nachdem Anschlussbeiträge und

Straßenbaubeiträge in den zurücklie-genden Jahren für heftige Debatten in den sächsischen Städten und Ge-meinden sorgten, scheint jetzt in ei-nigen Städten ein neues Thema auf-zuflammen: Ausgleichsbeträge nach städtebaulichen Sanierungsverfah-ren.

Das Baugesetzbuch (BauGB) schreibt hierzu in § 154 Abs. 1 vor:

„Der Eigentümer eines im förm-lich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks hat zur Fi-nanzierung der Sanierung an die Ge-meinde einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts seines Grundstücks ent-spricht.“

Frühzeitige InformationIn Sachsen laufen mehr als 200

städtebauliche Sanierungsverfah-ren (Sanierungsgebiete), die in den nächsten Jahren abgeschlossen wer-den sollen. Spätestens zum Ende der Sanierungsmaßnahme stehen die Ge-meinden vor der Aufgabe, die Aus-gleichsbeträge zu erheben und von den betroffenen Eigentümern per Bescheid einzuziehen. Für die Ge-meinden besteht von Gesetz her die grundsätzliche Pflicht zur Erhebung der Ausgleichsbeträge.

Dass bei den betroffenen Eigen-tümern darüber keine Freude auf-kommt, liegt naturgemäß auf der Hand. Schwierig den Eigentümern zu vermitteln wird es vor allem dann sein, wenn mit einem erheblichen Teil der Sanierungsverfahren schon vor längerer Zeit begonnen wurde und möglicherweise die Gemeinden in der Vergangenheit wenig öffent-lichkeitswirksam mit dem Thema

Ausgleichsbeträge umgegangen sind. Nach § 137 BauGB sind die Betroffe-nen rechtzeitig einzubeziehen:

„Die Sanierung soll mit den Eigen-tümern, Mietern, Pächtern und sons-tigen Betroffenen möglichst frühzei-tig erörtert werden. Die Betroffenen sollen zur Mitwirkung bei der Sanie-rung und zur Durchführung der er-forderlichen baulichen Maßnahmen angeregt und hierbei im Rahmen des Möglichen beraten werden.“

Außerdem verpflichtet § 11 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) dazu, über Planungen und Vorhaben der Gemeinde frühzei-tig und umfassend zu informieren, die für ihre Entwicklung bedeutsam sind oder die sozialen, kulturellen, ökologischen oder wirtschaftlichen Belange der Einwohner berühren.1

Warum Sanierung?Ziel städtebaulicher Sanierungs-

maßnahmen ist es nach § 136 BauGB, städtebauliche Missstände zu behe-ben und damit in einem Gebiet den Gesamtzustand wesentlich zu ver-bessern und umzugestalten. Städte-bauliche Missstände liegen vor, wenn (1) das Gebiet nach seiner vorhan-denen Bebauung oder nach seiner sonstigen Beschaffenheit den allge-meinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder an die Sicherheit der in ihm wohnen-den oder arbeitenden Menschen nicht entspricht oder (2) das Gebiet in der Erfüllung der Aufgaben erheblich beeinträchtigt ist, die ihm nach sei-ner Lage und Funktion obliegen.

In der Beurteilung, ob städtebauli-che Missstände vorliegen, sind insbe-sondere Substanzmängel bei folgen-den Dingen zu beachten:

bei Belichtung, Besonnung und Be-

lüftung der Wohnungen und Arbeits-stätten,

bei der baulichen Beschaffenheit von Gebäuden, Wohnungen und Ar-beitsstätten,

hinsichtlich der Zugänglichkeit der Grundstücke,

bei Auswirkungen einer vorhande-nen Mischung von Wohn- und Arbeits-stätten,

bei der Nutzung von bebauten und unbebauten Flächen nach Art, Maß und Zustand,

bei Einwirkungen, die von Grund-stücken, Betrieben, Einrichtungen oder Verkehrsanlagen ausgehen, insbeson-dere durch Lärm, Verunreinigungen und Erschütterungen,

bei der vorhandenen Erschließung.

Weiterhin sind Mängel zu beachten, die die Funktionsfähigkeit des Gebiets in folgender Hinsicht beeinträchtigen können:

beim fließenden und ruhenden Ver-kehr,

in der wirtschaftlichen Situation und Entwicklungsfähigkeit des Gebiets un-ter Berücksichtigung seiner Versor-gungsfunktion im Verflechtungsbe-reich,

in der infrastrukturelle Erschlie-ßung des Gebiets, seiner Ausstattung mit Grünflächen, Spiel- und Sportplät-zen und mit Anlagen des Gemeinbe-darfs, insbesondere unter Berücksich-tigung der sozialen und kulturellen Aufgaben dieses Gebiets im Verflech-tungsbereich.

VorbereitungenBevor für ein betreffendes Gebiet die

Sanierung durch Satzung beschlos-sen wird, hat die Gemeinde nach § 141 BauGB vorbereitende Untersuchungen für das betreffende Gebiet durchzufüh-

ren oder zu veranlassen, um erforder-liche Beurteilungsgrundlagen über die Notwendigkeit der Sanierung, die sozi-alen, strukturellen und städtebaulichen Verhältnisse und Zusammenhänge so-wie die anzustrebenden allgemeinen Ziele und die Durchführbarkeit der Sa-nierung im Allgemeinen zu gewinnen. Solche Untersuchungen sollen auch die voraussichtlichen nachteiligen Aus-wirkungen für die unmittelbar Betrof-fenen ermitteln. Sie können auch wäh-rend der Durchführung der Sanierung ergänzend erfolgen.

Aus den vorbereitenden Untersu-chungen soll die von der Gemeinde zunächst angenommene Sanierungs-bedürftigkeit bestätigt oder ggf. korri-giert werden. Es soll daraus abgeleitet werden können, ob ein vereinfachtes Verfahren der Sanierung ausreicht und die Betroffenen zur Mitwirkung bereit sind. Daher soll die Gemeinde auch die Sanierungsabsicht frühzeitig mit den Betroffenen erörtern. Damit werden die allgemeinen Ziele und Zwecke (Sa-nierungskonzept) der Sanierungsmaß-nahmen für das Gebiet konkretisiert.

Die Ergebnisse der vorbereitenden Untersuchungen sollen zweckmäßiger-weise in einem Untersuchungsbericht zusammengefasst werden, auch wenn das gesetzlich nicht gefordert wird. Der Untersuchungsbericht sollte folgende Elemente beinhalten:

welche städtebaulichen Missstände in dem Gebiet vorliegen,

die Durchführbarkeit der Sanie-rung,

die allgemeinen Ziele der Sanie-rung,

die Mitwirkungsbereitschaft der Be-troffenen,

die Stellungnahmen der Behörden

Fortsetzung folgende Seite

Seite 2Kommunal-Info 2/2012

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.de

V.i.S.d.P.: A. Grunke

Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefödert.

und sonstigen Träger öffentlicher Be-lange,

die Möglichkeit der Durchführung eines vereinfachten Verfahrens so-wie ggf. Gründe für das Absehen von vorbereitenden Untersuchungen.2

Der Beginn der vorbereitenden Untersuchungen muss nach § 141 BauGB von der Gemeinde beschlos-sen werden. Der Beschluss ist ortsüb-lich bekannt zu machen.

Vereinfachtes VerfahrenSeit der Einführung des Städte-

bauförderungsrechts ins BauGB sind sehr viele Sanierungen im verein-fachten Verfahren nach § 142 Abs. 4 durchgeführt worden. Hierbei werden keine Ausgleichsbeträge erhoben, weil keine erheblichen Bodenwerter-höhungen im Gefolge Sanierung ein-treten. Jedoch können stattdessen Er-schließungs- und Ausbaubeiträge zu zahlen sein, sofern entsprechende Maßnahmen durchgeführt werden.

Im Unterschied werden beim ge-wöhnlichen Sanierungsverfahren nach den besonderen sanierungs-rechtlichen Vorschriften der §§ 152 bis 156 BauGB Ausgleichsbeträge zur Finanzierung der Sanierungs-kosten erhoben, die den sanierungs-bedingten Bodenwertsteigerungen entsprechen und sonst von der Allge-meinheit zu tragen wären.

Ausgleichsbeträge werden von den Eigentümern erhoben, die von der Sanierung begünstigt worden sind. Zur Erhebung dieser Ausgleichsbe-träge sind die Gemeinden verpflich-

tet. Werden im Rahmen des ge-wöhnlichen Sanierungsverfahrens Erschließungs- und Ausbaumaßnah-men getätigt, werden dann dafür kei-ne gesonderten Beiträge erhoben.

Welches Verfahren die Gemeinde wählt, entscheidet sie im konkreten Einzelfall und legt das in der Sanie-rungssatzung fest. Auch ein späterer Wechsel vom gewöhnlichen zum ver-einfachten Sanierungsverfahren ist gesetzlich nicht ausgeschlossen.3

SanierungssatzungWerden im Ergebnis vorbereiten-

der Untersuchungen städtebauliche Sanierungsmaßnahmen in einem Ge-biet für erforderlich gehalten, kann die Gemeinde nach § 142 BauGB nach erfolgter Abwägung das Ge-biet durch Beschluss förmlich als Sanierungsgebiet festlegen („förm-lich festgelegtes Sanierungsgebiet“). Der Beschluss des Gemeinderats hat in Gestalt einer Satzung nach § 4 der SächsGemO zu erfolgen.

In der Satzung ist das Sanierungs-gebiet zu bezeichnen. Es ist so zu begrenzen, dass sich die Sanierung zweckmäßig durchführen lässt. Ein-zelne Grundstücke, die von der Sa-nierung nicht betroffen werden, können aus dem Gebiet ganz oder teilweise ausgenommen werden. So-bald diese Grundstücke durch die Sa-nierung jedoch wertmäßig steigen, werden sie in das umfassende Sanie-rungsverfahren einbezogen. Die Ent-scheidung liegt hierbei im Ermessen der Gemeinde. Einbezogen werden können aber auch Grundstücke, auf denen selbst keine Sanierungsmaß-nahmen durchgeführt werden sollen,

insbesondere wenn eine Sanierung zur Verbesserung der Funktionsfä-higkeit des Gebiets erfolgt.

Die Satzung hat keinen planeri-schen Inhalt, sie legt nur das Sanie-rungsgebiet und das Sanierungsver-fahren fest. Beim Beschluss über die Sanierungssatzung ist zugleich durch Beschluss die Frist festzulegen, in der die Sanierung durchgeführt wer-den soll. Die Frist soll 15 Jahre nicht überschreiten. Kann die Sanierung nicht innerhalb der beschlossenen Frist durchgeführt werden, kann durch Beschluss eine Fristverlänge-rung vorgenommen werden.

AusgleichsbetragDer zu entrichtende Ausgleichsbe-

trag wird nach § 154 Abs. 2 BauGB ermittelt aus dem Unterschied zwi-schen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beab-sichtigt noch durchgeführt worden wäre (Anfangswert), und dem Bo-denwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des förmlich festgeleg-ten Sanierungsgebiets nach erfolgter Sanierung ergibt (Endwert).

Auf Antrag des Eigentümers hat die Gemeinde nach § 154 Abs. 5 den Ausgleichsbetrag in ein Tilgungs-darlehen umzuwandeln, sofern ihm nicht zugemutet werden kann, die Verpflichtung bei Fälligkeit mit eige-nen oder fremden Mitteln zu erfüllen. Nach § 155 Abs. 3 kann die Gemein-de für das förmlich festgelegte Sanie-rungsgebiet oder für zu bezeichnende Teile des Sanierungsgebiets von der Festsetzung des Ausgleichsbetrags

absehen, wenn eine geringfügige Bodenwerterhö-

hung gutachtlich ermittelt worden ist und

der Verwaltungsaufwand für die Er-hebung des Ausgleichsbetrags in kei-nem Verhältnis zu den möglichen Ein-nahmen steht.

Im Einzelfall kann die Gemeinde von der Erhebung des Ausgleichsbetrags ganz oder teilweise absehen, wenn dies im öffentlichen Interesse ist oder zur Vermeidung unbilliger Härten geboten ist. Die Freistellung kann auch vor Ab-schluss der Sanierung erfolgen.

AG____

1 Siehe hierzu: Kommunalinfo Nr. 5/2011.2 Vgl. Koppitz, Das öffentliche Baurecht

in der kommunalen Praxis, E. Schmidt Verlag 2007, S. 369. 3 Vgl. ebenda, S. 373.

Fortsetzung von Seite 1

... Ausgleichbeträge

Beschluss des Präsidiums des Deutschen Städtetages vom 8.2.2012

1. Das Präsidium schließt sich der Forderung der Ministerpräsidenten-konferenz vom 15.12.2011 an, ein NPD-Verbot sowie ein Verbot von Tarnorga-nisationen anzustreben.

2. Der Deutsche Städtetag und sei-ne Mitgliedstädte engagieren sich seit langem und auf vielfältige Weise gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind-lichkeit und Rassismus. Die aktuellen Vorgänge um die Terror-Organisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) machen erneut deutlich, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus bzw. rechtsextremistische Tendenzen eine gesamtgesellschaftliche Aufga-be darstellt und auf allen Ebenen von Staat und Gesellschaft kontinuierlich geführt werden muss.

3. Für eine wirksame Bekämpfung des Rechtsextremismus erscheint eine Vernetzung der vorhandenen Akteure insbesondere auf der lokalen und regi-onalen Ebene wichtig. Städte und Ge-meinden sollten sich gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren aktiv an „Bündnissen gegen Rechts“ beteili-gen oder solche selbst initiieren. Auch die Einrichtung von „Fachstellen ge-gen Rechtsextremismus“ in den Kom-munen stellt ein wirksames Instrument

zur Bündelung der Aktivitäten dar. Damit bereits bestehende kommuna-le Netzwerke und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus nachhaltig wirken können, fordert der Deutsche Städtetag die Bundesregierung auf, Bundespro-gramme zu intensivieren und weiterzu-entwickeln, die die stetige Vernetzung von Akteuren sowie die Entwicklung und Umsetzung lokaler Handlungsstra-tegien und Maßnahmen gegen Rechts-extremismus nachhaltig fördern.

4. Kommunalverwaltungen wid-men sich im Rahmen der ihnen eige-nen Möglichkeiten dem Kampf gegen Rechtsextremismus, beispielsweise:

indem sie sich an der Aufklärung der Bürger/innen beteiligen (Podiumsdis-kussionen anregen, Flugblätter erstel-len, Informationsfluss gewährleisten).

indem sie über ihre eigenen Verteiler schnell und mit inhaltlichen Argumen-ten reagieren, wenn an Schulen oder in Kindergärten rechtsextreme Flugblät-ter auftauchen.

indem sich kommunale Ordnungs-ämter bundesweit vernetzen und darü-ber austauschen, wie man gegen rechts-extreme Demonstrationen vorgehen kann (von Verboten bis zu Auflagenbe-scheiden).

1. Der Deutsche Städtetag prüft die

Aktivitäten gegen Rechtsextremismus

Einrichtung einer Arbeitsgruppe der Kommunen gegen Rechtsextremismus sowie die Wiederaufnahme einer sei-nerzeit eingerichteten Datenbank im Mitgliederservice des Deutschen Städ-tetages zu kommunalen Initiativen und Maßnahmen gegen den Rechtsextre-mismus im Sinne des Erfahrungsaus-tausches.

2. Die Hauptgeschäftsstelle wird gebeten, einen Erfahrungsaustausch über den Umgang mit rechtsextremen Mandatsträgern und über kommunale Handlungsstrategien durchzuführen.

(www.staedtetag.de)

Seite 3 Kommunal-Info 2/2012

Zukunftschancen ostdeutscher Großwohnsiedlungen

Frau Prof. Dr. Sigrun Kabisch im Bild rechts

Die wohnungspolitischen Fach-tagung 2012 des Kommunalpoliti-schen Forums Sachsen e.V. fand am 10. Februar 2012 in Leipzig statt.1 Nach den Vorträgen von Herrn Sieg-fried Schneider, dem Direktor des Verbands der Wohnungswirtschaft Sachsens und Herrn Rainer Löhnert, Vorstand der Wohnungsbaugenos-senschaft Kontakt e.G. Leipzig hatte Frau Prof. Sigrun Kabisch vom Helm-holtz-Zentrum für Umweltforschung das White Paper „Zukunftschancen ostdeutscher Großwohnsiedlungen. Vorrangiger Forschungsbedarf“ vor-gestellt. Es war bereits im Ergebnis der Tagung „Zukunftschancen ost-deutscher Großwohnsiedlungen“ ent-standen, die am 04.03.2011 auf Ein-ladung der Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ und des Leibniz-Instituts für Regional-entwicklung und Strukturplanung (IRS) stattgefunden hatte. Nachfol-gend dokumentieren wir wesentliche Teile dieses White Papers.

… Mit rund einer Million Wohnun-gen machen Großwohnsiedlungen derzeit in Ostdeutschland etwa ein Sechstel des gesamten Wohnungs-bestandes aus. Die soziale Konzep-tion und städtebauliche Struktur der Großwohnsiedlungen der 1950er bis 1980er Jahre stehen in der Tradition des Siedlungsbaus der 1920er Jahre in Deutschland. In den vergangenen Jahren haben die Großwohnsiedlun-gen in Ostdeutschland starke Umbrü-che erfahren, die in ihrer Dynamik und Reichweite beispiellos sind… Das White Paper hebt Herausforde-rungen hervor, die über die aktuell oft einseitige Debatte zum Stadtum-bau in Großwohnsiedlungen mit ih-rem Schwerpunkt auf den Abriss von Wohnungen hinausgehen. Es fordert eine sachliche Bestandsaufnahme, um die langfristig nachhaltige Ent-wicklung der Städte mit ihrem unter-schiedlichen Wohnungsbaubestand zu unterstützen.

In den radikalen Veränderungen der letzen beiden Jahrzehnte über-lagerten sich städtebauliche und so-ziale mit infrastrukturellen und wohnungswirtschaftlichen Problem-lagen. Die daraus folgenden, kom-plexen Wirkungen sind bisher kaum erforscht. Schlagworte wie Alte-rung, Abriss, Unterauslastung bzw. Schließung von Schulen, Verkauf kommunaler Wohnungsbestände oder drohender sozialer Statusver-lust markieren zusammenhangslos punktuelle Probleme. Entgegen al-ler stigmatisierenden Stimmen wei-sen viele dieser Quartiere eine hohe Ortsverbundenheit der dort lebenden Menschen auf, sie erfahren priva-te und öffentliche Investitionen, und auch Klimaschutzbestrebungen for-mulieren hohe Erwartungen an das CO

2-Einsparpotenzial in genau die-

sem Quartierstyp. Daraus resultieren Fragestellungen, für die es noch kei-nerlei überzeugende Antworten gibt. Doch gerade jetzt ist die politische und wissenschaftliche Aufmerksam-keit für Großwohnsiedlungen rück-läufig. Um jedoch auf der Grundlage wissenschaftlicher Analysen sach-

liche Stabilisierungs- und Entwick-lungspotentiale erkennen und gezielt nutzen zu können, brauchen sie diese Beachtung…

Folgende Themenfelder werden von uns als vorrangiger Forschungs-bedarf angesehen:

1. Differenzierung und Typisierung

von Großwohnsiedlungen, insbe-sondere im Zusammenhang zur Ge-samtstadt

Die Entwicklung von Großwohn-siedlungen ist differenzierter als es die öffentliche oder mediale Wahr-nehmung suggeriert. Eine Genera-lisierung von Entwicklungschan-cen allein aus der Binnensicht eines Quartiers oder über den Baustruk-turtyp ist nicht zielführend. Die Ent-wicklungspfade hängen vielmehr von der Einbettung der Siedlungen in den gesamtstädtischen Zusammen-hang, der Entwicklung im Vergleich zu vorhandenen anderen Wohnungs-marktsegmenten sowie der Entwick-lungsdynamik der Gesamtstadt ab. Anhand dieser Kriterien sind Typen von Großwohnsiedlungen zu bestim-men, die über ein unterschiedliches Maß an zukunftsfähigem Entwick-lungspotenzial verfügen. Auf dieser Basis können Investitionsschwer-punkte abgeleitet werden.

2. Rückgang der Einwohnerzahl und „Quartiere auf Zeit“

Trotz aller bisher getätigten Auf-wertungsmaßnahmen wird die Ein-wohnerzahl in einem großen Teil der Siedlungen weiter zurückgehen. Die Ursachen von Schrumpfungsprozes-sen sind mittlerweile gut untersucht, jedoch besteht über die weiteren Ver-läufe und deren Konsequenzen Un-kenntnis. Zudem vollziehen sich die Bevölkerungsverluste sozial und de-mographisch selektiv und nicht li-near. Auf länger anhaltende stabile Phasen können Entwicklungssprün-ge in Richtung weiterer Aufwertung oder Verfall folgen. Als neues Phäno-men sind „Quartiere auf Zeit“ zu ver-zeichnen, für deren begrenzte Exis-tenz eine akzeptable Lebensqualität und Daseinsvorsorge zu sichern sind. Dazu müssen nachhaltige Instrumen-te und Strategien für die Absicherung

akzeptabler Wohnbedingungen ent-wickelt werden, die sowohl den not-wendigen Substanzerhalt sichern als auch langfristige Fehlinvestitionen vermeiden.

3. Quantitative und qualitative Infrastrukturanpassung

Eine angemessene Infrastruktur

muss für eine sich verringernde Ein-wohnerzahl und zunehmend älte-re Bewohnerschaft vorgehalten wer-den. Die zu erwartende Altersarmut in ostdeutschen Kommunen wird die Problemlagen noch verschärfen, zu-mal in Regionen, die stark von Ar-beitsplatzmigration der Kindergene-ration und demzufolge dem Wegfall von Versorgungs- und Betreuungs-leistungen betroffen sind. Der In-frastrukturbedarf ändert sich somit auch qualitativ. Ältere brauchen an-dere Einrichtungen und Dienstleis-tungen als die einst für vornehmlich junge Familien geschaffenen. Wie die erforderliche Infrastruktur be-reitgestellt werden kann, ist bisher unklar, denn schrumpfende Kommu-nen mit angespannter Haushaltslage setzen zur Kostenersparnis eher auf eine Reduzierung von Infrastruktur als auf einen qualitativen Ausbau für bestimmte Bewohnergruppen.

4. Verschärfung kleinteiliger Segregationsprozesse

Die vergleichsweise günstigen Mieten und die kleinen Wohnungs-größen haben in vielen Großwohn-siedlungen zu verstärkten Zuzügen sozial schwacher Haushalte geführt, auch wenn die lokal-regionalen Un-terschiede groß sind. Hierdurch gerät die bis heute noch tendenziell stabi-le soziale Mischung unter Druck. Das Ineinandergreifen von sozial-, alters- und milieuspezifischen Wohnstand-ortentscheidungen auf weiter seg-mentierten Wohnungsmärkten führt zu kleinteiligen Segregationspro-zessen bis auf Gebäudeebene. In zu-nehmendem Maße werden Konflikte zwischen etablierten Alteingesesse-nen und zuziehenden „Problemhaus-halten“ sowie Generationenkonflik-te beobachtet. Darüber hinaus trägt eine Internationalisierung der Be-wohnerschaft durch MigrantInnen

zu einer Neuausrichtung von Nach-barschaften bei. Die in Entstehung begriffenen Segregations- und Kon-fliktmuster gilt es aufzudecken, um einer extremen Ausprägung gezielt entgegenwirken zu können. Dafür sind neue Formen und Instrumente der Beeinflussung sozialräumlicher Entmischung zu entwickeln und be-stehende zu qualifizieren.

5. Politische und planerische Steue-rung in Großwohnsiedlungen (Governance)

Die Heterogenität der Eigentümer in Folge fortgesetzter Verkäufe kom-munaler und genossenschaftlicher Bestände hat sich stetig vergrößert. Hierdurch kommt es zu einem Neben-einander sehr verschiedener Immobi-lienverwertungsstrategien auf engs-tem Raum. Außerdem sind staatliche Fördermittel, die zur Stabilisierung der Wohngebiete in der Vergangen-heit in Anspruch genommen wer-den konnten, deutlich zurückgegan-gen und stehen auch weiterhin unter starkem Kürzungsdruck. Die Wech-selwirkungen zwischen den kom-munalen und den Landesstrategien, den Rahmensetzungen des Bundes und den Interessen der unterschied-lichen wohnungswirtschaftlichen Akteure sind lokal sehr verschieden. Dies ist stärker zu beleuchten, um Er-folgsbedingungen für die Herausbil-dung tragfähiger Akteursstrukturen zu bestimmen. Gleichzeitig ist die Steuerbarkeit mit den vorhandenen Planungsinstrumenten kritisch zu be-leuchten und es sind Vorschläge zur Weiterentwicklung zu erarbeiten.

6. Erkennen von Mobilitätsmustern und deren gezielte Beeinflussung

Mobilitätsmuster in Großwohnsied-lungen sind vielfältig. Eine Reduzie-rung auf Bleiben oder Gehen greift zu kurz. Neben dem Wegzug sind auch vielfache Umzüge innerhalb der Siedlungen, Zuzüge von außerhalb und Rückzüge ehemaliger Bewoh-ner festzustellen. Zur Stabilisierung der Siedlungen werden detaillierte Kenntnisse zu einzelnen Motiven für gruppenspezifische Wohnstandort-entscheidungen ebenso benötigt wie Wissen über das Zusammenspiel von Entscheidungskriterien. Anreize zum Zuzug und zum Bleiben in der Groß-wohnsiedlung brauchen eine gezielte Ausrichtung. Auch für die Progno-se der zukünftigen Wohnraumnach-frage, der Infrastrukturentwicklung oder der politischen Steuerung sind Detailkenntnisse jenseits der Wande-rungsstatistiken erforderlich.

Fortsetzung folgende Seite

Seite 4Kommunal-Info 2/2012

7. Umweltgerechte Gebietsentwick-lung, insbesondere energetische Sa-nierung der Gebäude

Aus ökologischer Perspektive wei-sen Großwohnsiedlungen deutliche Potenziale auf, die im Sinne nachhal-tiger, insbesondere umweltgerechter Stadtentwicklungsstrategien zu nut-zen sind: Sie weisen eine dichte Bau-form mit einem geringen Anteil ver-siegelter Fläche auf, sie sind oft sehr gut durch ÖPNV und Radwegenet-ze erschlossen, die Luftqualität an Stadtrandlagen ist günstig und die Grünraumqualitäten sind hoch. Die Klimaschutzbemühungen der Bun-desregierung identifizieren im bau-lichen Bestand hohes Potenzial zur Emissionsreduzierung infolge en-ergetischer Sanierung, da die tech-nischen Bedingungen günstig sind und keine Denkmalschutzrestriktio-nen vorliegen. Diese Qualitäten sind im Sinne umweltgerechter Gebiets-entwicklung zu nutzen und weiter zu stärken.

8. Bedeutung der Wohnsiedlungen für die Struktur des deutschen Woh-nungsmarktes

Die Bedeutung des sozial orientier-

ten Wohnungsbaus bereits seit den 1920er Jahren für die soziale Wohn-raumversorgung sowie die gerin-ge Krisenanfälligkeit des deutschen Wohnungsmarktes hat sich aktuell in der internationalen Immobilien-krise gezeigt: während unsymme-trische, nahezu ausschließlich auf privates Einzeleigentum setzende Marktstrukturen in den USA und an-deren Ländern zum Auslöser der Kri-se wurden, hat sich die ausbalancier-te Marktstruktur in Deutschland mit ihren unterschiedlichen Marktseg-menten als volkswirtschaftlicher und sozialer Stabilisator erwiesen. Von Bedeutung ist daher die Frage, wel-che strategische sozialpolitische wie volkswirtschaftliche Langzeitwir-kung unterschiedliche Wohnungs-marktstrukturen haben und welche Rolle dabei den großen Wohnsied-lungen des Mietwohnungsbaus zu-kommt.

9. Zusammenspiel von ökologischer Aufwertung, städtebaulicher Wei-terentwicklung und sozialräumli-cher Differenzierung durch neue methodische Zugänge beleuchten

Die Zukunft der Großwohnsiedlun-gen entscheidet sich letztendlich im Zusammenspiel der oben genannten Faktoren. Ob z.B. die ökologischen Qualitäten genutzt werden können,

hängt von sozioökonomischen Rah-menbedingungen ab. Diese komple-xen Prozesse bedürfen der Beachtung von Wechselwirkungen, Überlage-rungen und Gegenläufigkeiten. Da-zu sind neue und weiterentwickelte methodische Zugänge erforderlich, die explizit inter- und transdiszip-linär ausgerichtet sind. Es werden Wissensvorräte sowohl aus Langzeit-studien als auch aus Modellierungen, Simulationen oder Szenariotechni-ken, die auf die Zukunft gerichtet sind, gebraucht. Dadurch kann die Entscheidungsunterstützung in der Praxis erheblich verbessert werden.

10. Ostdeutsche Großwohnsiedlun-gen im europäischen und im histori-schen Kontext betrachten

Um festgefahrene Sichtweisen in der (ost)deutschen Diskussion aufzu-brechen, empfiehlt sich eine Interna-tionalisierung der Beschäftigung mit Großwohnsiedlungen. Von besonde-rem Interesse ist dabei Osteuropa, da hier Großwohnsiedlungen ein wesent-lich größeres Wohnungsmarktsegment als in Westeuropa bilden und Paralle-len in der Entstehungs- und Entwick-lungsgeschichte zu Ostdeutschland aufweisen. Zudem müssen die Groß-wohnsiedlungen in einen größeren his-torischen Kontext eingebettet werden, der Verbindungen herstellt zum Sied-

lungsbau der 1920er Jahre. Genauer zu untersuchen ist dabei die Frage da-nach, welche besonderen Merkmale des Siedlungsbaus auch weiterhin zu-kunftsfähig sind.

FazitZusammengefasst muss festgestellt

werden, dass die Entwicklung in Groß-wohnsiedlungen heute differenzierter denn je verläuft. Neben ernstzuneh-menden Problemen verfügen sie über nicht zu vernachlässigende Potenziale, die für eine klimagerechte und nach-haltige Stadtentwicklung genutzt wer-den sollten. Diese Differenziertheit von Entwicklungschancen ist in der aktuellen Diskussion jedoch kaum zu erkennen. Es ist daher notwendig, die aktuelle Lage der ostdeutschen Groß-wohnsiedlungen genau in den Blick zu nehmen, deren Herausforderungen zu verstehen und die Weichen für die weitere Entwicklung dieser Siedlungen richtig zu stellen. Für eine zukunftsfä-hige Weiterentwicklung dieses Quar-tierstyps braucht es das nötige Wissen, um komplexer werdende Problemlagen zu bewältigen.

___1 Eine Dokumentation mit allen Vorträ-

gen wird demnächst als Broschüre er-scheinen.

Fortsetzung von Seite 3

... Großwohnsiedlungen

Kommunale Wohnungsnachfrage-prognose - verbesserte Nutzerfunk-tionen im neuen IÖR-Internet-Re-chenprogramm

Bevölkerungsschrumpfung und Al-terung führen zu deutlichen Verän-derungen der Stadt-, Regional- und Wohnungsmarktentwicklung. Diese können sehr vielfältig sein und lassen sich nur schwer ermitteln. Kostenfreie Unterstützung für öffentliche und pri-vate Nutzer bietet das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. (IÖR). Ein Rechenprogramm, das hilft, zukünftige Bevölkerungs-, Haus-halts- und Wohnungsnachfrageent-wicklungen abzuschätzen, wurde nun überarbeitet und nutzerfreundlich ge-staltet. Es ist auf der Internetseite des IÖR frei zugänglich.

Für viele klein- und mittelstädtische Kommunen sowie Planungsbüros ist das IÖR-Internet-Rechenprogramm zu einer unverzichtbaren wissenschaft-lichen Dienstleistung geworden. Spit-zenreiter bei der Programmnutzung sind bislang noch die sächsischen Kommunen, aber auch Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern, Thürin-gen, Hessen und Niedersachsen ge-hören zu den häufigen Nutzern. Mit dem IÖR-Internet-Rechenprogramm können nicht nur einfache Trendpro-gnosen, sondern auch Szenarien erar-beitet werden, welche sich bei der Er-stellung von Stadtumbaukonzepten als Planungsgrundlage bewährt haben. Dies belegen auch die über 50 000 Pro-grammzugriffe und die mehr als 1700 erstellten Szenarien der Programmnut-zer.

Die Neugestaltung des Programms mit gleichzeitig erweiterten Bedien-funktionen ist über www.ioer.de/woh-nungsprognose erreichbar und lädt

Kommunal- und Regionalplaner zum Experimentieren ein. In einer zwei-ten wissenschaftlichen Dienstleistung des IÖR, dem Monitor der Siedlungs- und Freiraumentwicklung (www.io-er-monitor.de), können darüber hinaus deutschlandweit wichtige kleinräumi-ge Informationen über die Flächennut-zungsentwicklung in den Städten und Gemeinden abgerufen werden.

Wohnungsnachfrageprognose

Neue EU-Schwellenwerte für 2012 veröffentlicht

Die EU-Kommission hat mit Verord-nung Nr. 1251/2011 vom 30. Novem-ber 2011 (Amtsblatt der Europäischen

Union L 319 vom 02.12.2011, S. 43) zur Änderung der EU-Vergaberichtli-nien (2004/17/EG, 2004/18/EG und 2009/81/EG) neue EU-Schwellenwer-te für Auftragsvergaben ab dem 01. Ja-nuar 2012 eingeführt.

Da die Schwellenwerte im WTO-Vergabeabkommen (GPA) in Sonder-ziehungsrechten ausgedrückt sind, unterliegen sie den Fluktuationen des Devisenmarktes. Dem tragen die EU-Vergaberichtlinien Rechnung, indem sie regelmäßig alle zwei Jahre eine An-

passung der auf Euro lautenden Richt-linien-Schwellenwerte vorsehen. Aus kommunaler Sicht ist hervorhebens-wert, dass die Neuberechnung der EU-Schwellenwerte erstmals zu einer An-hebung der Schwellenwerte führen wird. Insoweit wird in Deutschland der jeweils 1. Abschnitt von VOB/A und VOL/A an Bedeutung zunehmen.

Neue EU-Schwellenwerte

Die von der Kommission vorgesehe-nen Änderungen sind nachstehend auf-geführt:

1. Für Liefer- und Dienstleistungs-aufträge der Obersten oder Oberen Bundesbehörden sowie vergleichbarer Bundeseinrichtungen: 130 000 Euro (bisher: 125 000 Euro).

2. Für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge: 200 000 Euro (bisher: 193 000 Euro).

3. Für Bauaufträge: 5 Millionen Euro (bisher: 4,845 Millionen Euro)

4. Sektorenverordnung (SektVO):- Bauaufträge: 5 Millionen Euro- Liefer- und Dienstleistungsaufträge:

400 000 Euro (bisher: 387 000 Euro)Wichtiger Hinweis: Unabhängig von

den Änderungen der Schwellenwerte zum 01. Januar 2012 ist in Deutschland zunächst die Anpassung der Vergabe-verordnung (VgV) abzuwarten.

Grund ist, dass die aktuellen EU-Schwellenwerte in der Vergabeverord-nung die „strengeren“ Regelungen dar-stellen. Mit Blick auf die kommunale Vergabepraxis bedeutet dies, dass bei Vergabeverfahren bis zum Inkrafttre-ten der geänderten Vergabeverordnung die aktuell gültigen Schwellenwerte (vgl. oben die Zahlen in Klammern) zugrunde zu legen sind. Das BMWi hat mitgeteilt, dass die geänderte Vergabe-verordnung voraussichtlich im März 2012 in Kraft treten wird.

Für den Bereich der Sektorenverord-nung (SektVO) werden hingegen die ak-tualisierten EU-Schwellenwerte bereits zum 01. Januar 2012 wirksam werden. Grund ist, dass die Sektorenverord-nung – anders als die Vergabeverord-nung – eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltende EU-Rechtslage beinhaltet (s. § 1 Abs. 2 SektVO). Dies bedeutet, dass es keiner weiteren Än-derung der SektVO bedarf.

(Quelle: www.dstgb-vis.de)

Seite 5 3/2012 Sachsens Linke!

Zukunft gestalten

Volles Jahr

Soziales

Sehr ge-ehrte Frau Kestner, ich habe zwei Kin-der und beziehe Arbeits-

losenhilfe. Bei der Berech-nung des Bedarfs meiner Familie wird das Kinder-geld als Einkommen mei-ner Kinder in die Berech-nung einbezogen. Soweit verstehe ich das ja. Aller-dings habe ich folgendes Problem: Für mein jüngeres Kind besteht eine Unfall-versicherung. Mir wurde hierzu geraten, weil es an ADS (Aufmerksamkeitsde-fizitsyndrom) leidet. Ich ha-be gehört, dass für solche Versicherungen Pauscha-len bei der Berechnung be-rücksichtigt werden. Wie ist da die Rechtslage?Viele Grüße, Mandy P. (Leipzig)

Sehr geehrte Frau P.,diese Frage war bisher für so-genannte private Versicherun-gen (Ausbildungsversicherun-gen, Unfallversicherungen usw.) noch nicht hinreichend geklärt, sofern es die tatsächlich abge-schlossenen Versicherungen betrifft. Manche Jobcenter ha-ben deshalb Versicherungen für Kinder als notwendig anerkannt und eine Versicherungspau-schale in Höhe von EUR 30,00 als Freibetrag vom Einkommen des Kindes abgezogen. Das Bun-dessozialgericht (BSG) hat nun-mehr in einem aktuellen Urteil zum Ausdruck gebracht, dass in der Regel auch dann keine Ver-sicherungspauschale abgesetzt werden kann, wenn Versiche-rungskosten für Kinder tatsäch-lich nachgewiesen werden kön-nen (BSG – B 4 AS 89/11 R). Der Grund: Das Einkommen des Kin-des (z.B. Kindegeld) sei vorran-gig zur Existenzsicherung ein-zusetzen. Etwas anderes kann natürlich aus dem Umstand fol-gen, dass eine Versicherung sich aufgrund der besonderen Situation eines Kindes geradezu aufdrängt. Allerdings muss dies u.U. sehr konkret nachgewie-sen werden. Und es ist - nach der jüngsten Äußerung des BSG - damit zu rechnen, dass die Job-center zukünftig besonders ho-he Maßstäbe anlegen werden. Der Hinweis auf ADS allein wird also möglicherweise noch nicht genügen. Ihre Marlen Kestner

Fünftes Bautzner Sozialforum präsentiert »Lausitzer« und ringt um BürgerzentrumKlirrende Kälte konnte am Sonnabend die sozial Enga-gierten nicht schrecken: Zum fünften Mal traf man sich in Bautzen zum Regionalen Sozi-alforum. Die Sozialforumsbe-wegung entstand als Reaktion auf die Treffen der internatio-nalen Regierungs- und Welt-wirtschaftsbosse. Während die deutsche Sozialforums-bewegung in der Krise steckt – das vierte in Freiburg im Breisgau 2011 geplante Tref-fen kam nicht zustande, statt-dessen gab es ein Krisentref-fen in Hannover – bleiben die Turmstädter unermüdlich am Ball. In Bautzen kamen wie in den Vorjahren ca. 40 Teil-nehmerinnen und Teilneh-mer zusammen. Den Einfüh-rungsvortrag hielt Dr. Elka Tschernokoshewa vom Sorbi-schen Institut zum Thema »Zu-kunft mitgestalten«. Anschlie-ßend formierten sich vier Gesprächskreise: Es ging um Patenschaften, Regionalgeld – den im September des letz-ten Jahres eingeführten »Lau-sitzer«, um die so genannten »Tauschringe« und ein Regio-nales Bürgerzentrum für Baut-zen und Umland.Wie ein roter Faden zieht sich durch die Sozialforumsbewe-gung die Bestrebung, ein be-dingungsloses Grundeinkom-men einzuführen, dass Hartz IV ablösen soll. Diese Idee hat inzwischen Anhänger quer durch verschiedenen Partei-

en und soziale Schichten, so hatte kürzlich in der Dresd-ner Frauenkirche der Unter-nehmer und ehemalige Karls-ruher Professor, Gründer der dm-Drogeriekette Götz Wer-ner sein Grundeinkommens-konzept vorgestellt und ver-teidigt. Auch der ehemalige thüringische Ministerpräsi-dent Althaus setzt sich für ein Grundeinkommen ein, des-gleichen verfechten jeweils eigene Konzepte Gruppen der Grünen und LINKEN. Un-verhoffte Verstärkung bekam die Grundeinkommens-Be-wegung nach dem Erdrutsch-sieg durch die Piraten bei den Berliner Kommunalwahlen. Schneller als alle anderen Par-teien konnten sich im Vorjahr die Piraten sofort als Partei-ziel bei ihrem ersten Parteitag in Offenbach am Main auf die Einführung eines Grundein-kommens einigen, woraufhin es umgehend zum Gespräch zwischen Dresdner Piraten und Bautzner Anhängern der Sozialforumsbewegung kam.

Im März, so wurde jetzt auf dem Bautzner Sozialforum verkündet, werden in Baut-zen die Piraten einen Kreisver-band gründen. Am 25. März soll es so weit sein.Das Thema Ankurbelung der Regionalwirtschaft bei gleich-zeitigem Vertrauensverlust in den Euro spielt bei der ak-tuell laufen Einführung Regi-onalgeld eine Rolle. Seit Sep-tember ist »der Lausitzer« als Zahlungsgeld erprobt worden und es werden weitere Kun-den und Unternehmer ge-sucht, die die Regionalwirt-schaft unterstützen möchten, in dem sie regionale Produk-te nicht nur mit Euro sondern auch mit der Regionalwährung Lausitzer kaufen bzw. verkau-fen, die ausschließlich als Zah-lungsmittel von ausgewählten Geschäften innerhalb der Lau-sitz zugelassen ist. Zum An-fassen wurden drei Scheine herum gereicht.Heftig gerungen wurde am Sonnabend verbal um die Entstehung eines Bürger-

zentrums – schon bei grund-sätzlichen Fragen herrsch-te immenser Klärungsbedarf: Soll es sich bei dem Zentrum um ein »echtes« Gebäude für Bautzner Bürgerinitiativen handeln oder reichen gemie-tete bzw. gelegentlich zur Nut-zung überlassene Räumlich-keiten? Wer darf mitmachen und wie will man »die Rech-ten« draußen halten? Oder sol-len die etwa auch dabei sein können – wenn es »für alle« ist? Wie soll die Finanzierung gewährleistet werden – als Bürgerstiftung oder Genos-senschaft? Man wurde sich immerhin darüber einig, dass man noch in der Ideen-Samm-lungs-Phase steckt. Bautzne-rinnen und Bautzner mit Ideen zum Bürgerzentrum können dies dem Bautzener Sozialfo-rum mitteilen. Stammtisch-treffen ist im »Grünen Laden« jeden ersten Mittwoch im Mo-nat. Im Internet finden Interes-sierte das Sozialforum unter www.sozialforum-bautzen.deRalf Richter

Wie voll das Jahr ist, wird er-kenntlich, wenn der neues Jah-reskalender der linksjugend [ solid] Sachsen in euren Ab-geordnetenbüros und Woh-nungen eintrifft. Unter dem Titel »Wir ticken anders...« hat der Jugendverband in Sachsen einen eigenen Kalender pro-duziert – und zwar von März 2012 bis März 2013. Das ist möglich, weil die Terminpla-nung inklusive der spät im Jahr stattfindenden Events dieses Jahr vom neuen Beauftragten-rat zeitig in Sack und Tüten verpackt worden war.Auf der Klausurtagung des Be-auftragtenrates wurden nicht nur die jährlichen Großveran-staltungen wie das Pfingst-camp, die Herbstakademie, die Provinzparade und der

Landesjugendtag zeitlich ein-getaktet, sondern auch alle Sitzungen des Beauftragten-rates und andere »kleine« Ter-mine. Darüber hinaus soll in diesem Jahr die Aktivierung von Mitgliedern, Sympathi-sierenden und Basisgruppen im ländlichen Raum eine grö-ßere Rolle im Landesverband einnehmen. Dazu sollen nach Möglichkeit mehrere »Kick-Off«-Veranstaltungen stattfin-den, die den Startschuss für die (Neu-)Initiierung der Orts-gruppen sein soll. Die erste Veranstaltung dieser Art soll als Testballon am 7. April im Raum Döbeln steigen.Wer Interesse an all den Ak-tivitäten und Terminen der linksjugend [ solid] Sachsen hat, hängt sich am besten den

neuen Kalender an die Wand, schaut auf unserer stets ak-tuellen Website vorbei oder abonniert den öffentlichen di-gitalen Kalender einfach via Kalenderprogramm oder Han-dy-App und bekommt die lang-fristigen und aktuellen Termi-

ne dann ohne weiteres Zutun frisch »geliefert«. Lecker!Alle Infos zum Kalender, Ter-mine und die Aktivitäten des Jugendverbandes auf www.linksjugend-sachsen.deTilman Loos, Jugendpolitischer Sprecher DIE LINKE. Sachsen

Seite 6Sachsens Linke! 3/2012

Jedes Jahr sucht anlässlich des Internationalen Frauenta-ges die Frauenarbeitsgemein-schaft LISA Sachsen Vorschlä-ge zur Auszeichnung mit dem Lysistrata-Frauen-Friedens-preis, der dann im September verliehen wird. Im vergangen Jahr war Prof. Peter Porsch, langjähriger Fraktionsvorsit-zender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Lauda-tor bei der Auszeichnung von Tanja Grobitzsch, einer jungen Frau aus Leipzig, angestellt bei der Handwerkskammer, die zum aktiven Kern des »Frie-denszentrum Leipzig e.V.« ge-hört und vor drei Jahren dort Verantwortung als stellvertre-tende Vorsitzende übernahm. Hier einige Auszüge aus der bemerkenswerten Rede von Peter Porsch:»‘Stellt Euch vor, es ist Krieg und keiner geht hin!‘. Ein from-mer Wunsch, wohl immer öfter geäußert, aber doch noch weit entfernt von seiner Verwirkli-chung - so weit entfernt von seiner Realisierung wie die Spiegelung dieses Wunsches in dem Satz: ‚Stellt Euch vor, es wird gegen den Krieg protes-tiert und alle gehen hin.‘ Es wird wohl so sein, dass der zweite Satz zuerst Wirklichkeit werden muss, bevor der im ers-ten Satz geäußerte Wunsch zur

Tatsache wird. Zu viele gehen noch hin, wenn Krieg ist. Und sie wissen oft nicht wirklich, was sie tun. Deshalb wollen wir, dass immer mehr kom-men, wenn gegen Kriege pro-testiert wird und mit dem Pro-test auch über ihre Ursachen und ihre Verhinderung aufge-klärt wird.«…«Tanja Grobitzsch vermittelt ihre Überzeugungen, ihr Wis-sen, ihren Standpunkt in sach-lich-hartnäckiger Gelassen-heit. Das verschafft ihr Gehör im persönlichen Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, ver-mittelt ihr Bedenken. Toleranz verwechselt sie nicht mit Be-liebigkeit, um vielleicht gar Auseinandersetzungen auszu-weichen. Sie durchschaut für ihr friedenspolitisches Akti-onsfeld souverän die nationa-le wie globale imperialistische Politik, die sich Ökonomie, Rüstungsindustrie, Kultur, Me-dien und Bildung für ihre Ziele unterwirft.«…»Man sagt, ‚Handwerk hat gol-denen Boden‘. Das kann stim-men. Das Kriegshandwerk hat diesen mit Gewissheit nicht - jedenfalls nicht für die meis-ten, die es ausführen und nicht für die, die davon betrof-fen, sondern höchstens für die, die es anordnen. Nein, das Kriegshandwerk gedeiht nur

auf vergiftetem, verpestetem Boden. Es ist der Boden der Gewaltverherrlichung, der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus, des Faschismus. Tanja Grobitzsch weiß auch das und deshalb gibt es eine zweite Komponente ihrer poli-tischen Arbeit: Protest und Widerstand gegen Nazis und ihre Aufmärsche, besonders in Leipzig, und antifaschisti-sche Gedenkarbeit.« …. »Folgen wir ihr auf einem Weg, an dessen Ende Schluss ist mit dem ‚Krieg als Vater aller Dinge‘ und ‚Frieden zur Mutter aller Dinge‘ wird.«Heiderose Gläß

Frauen müssen gleichberechtigt sein – nicht nur in Aufsichtsräten

Frauen

Frauen sind nicht gleichge-stellt. Dies muss sich ändern. Gesetzliche Regelungen, die Frauen nicht nur in Führungs-positionen gleichstellen, sind nun eine Pflicht, die der Ge-setzgeber umsetzen muss, da-zu verpflichtet uns nicht nur das Grundgesetz.Gestern Abend fragte ich den Taxifahrer, der mich nach Hau-se fuhr, ob er etwas von der Diskussion über eine Quo-te für Frauen in Führungseta-gen gehört hätte. Er sagte: »Nein.« - Ich fragte ihn, was er davon hält. Er sagte: »Klar können die Frauen das ma-chen, die können es doch.« - Ich: »Was denken Sie denn, woran es liegt?« - Er: »Die Kerle sind einfach zu ver-bohrt.« Drei klare Antworten! Ich glaube, der Mann hat Recht. Viele Menschen in un-serem Land bewegt die Lage der Frauen. Sie bewegt der Umstand, dass Frauen in Mi-nijobs weggedrückt werden, dass Frauen wenig verdienen – sie würden am meisten von ei-ner Mindestlohnregelung pro-

fitieren –, dass insbesondere Alleinerziehende von Armut bedroht sind und dass Frau-en wissen, dass sie im Alter ganz geringe Renten erhalten werden. Viele Menschen sa-gen aber auch, dass wir in der Wirtschaft etwas tun müssen. So, wie von unten etwas getan werden muss, muss auch von

oben gedrückt werden, damit sich etwas verändert. Es ist inzwischen unstrittig, dass unter betriebswirtschaft-lichen Aspekten die Unterneh-men am besten funktionieren, die eine geschlechtergemisch-te Führung haben, die also we-der reine Frauenführungen noch reine Männerführungen,

sondern in etwa gleich viele Frauen und Männer in Füh-rungspositionen haben. Dafür gibt es verschiedene Ursa-chen: Es gibt unterschiedliche Strategien zur Konfliktlösung. Es gibt unterschiedliche Blicke auf das, was für ein Unterneh-men wichtig ist. Ich formuliere es einmal ein

bisschen drastisch: Vor etwa einem Jahr stand in der »Bild« ganz groß: Extra-Vergütung der Mitarbeiter einer deut-schen Versicherung in Ungarn in Form eines Sexurlaubs. Man stelle sich vor, auch in diesem Unternehmen wären auf allen Ebenen Positionen mit Män-nern und Frauen gleicherma-ßen besetzt gewesen. Hätten die Frauen es als Auszeich-nung empfunden, dass sie in ein Bordell gehen sollen? Hät-ten die Frauen im Vorstand ei-ner solchen Art und Weise der Vergütung zugestimmt? Nie-mals!Ich habe nachgeschaut: Auch in diesem Unternehmen sind nur drei Frauen im Aufsichts-rat, von 20 Mitgliedern; eine Frau ist im Vorstand, eine ein-zige. Aber eine Frau alleine ist nicht in der Lage, die Verhält-nisse zu ändern. Bei solchen Verhältnissen wird eher diese Frau verändert. Viele Frauen zusammen können aber die Verhältnisse ändern. Deshalb brauchen wir die Quote.Dr. Barbara Höll, MdB

Kürzlich wurde mir die Frage gestellt, ob der Internationa-le Frauentag in Deutschland mehr Kampf- oder Feiertag ist. Wenn ich mir so anschaue, was in Landes- und Kreisverbän-den der LINKEN so am Frau-entag geplant ist, könnte man feststellen, dass Deutsch-land zweigteilt ist. Der Westen kämpft und der Osten feiert. Doch Spaß beiseite, auch wenn viele unserer älteren Genossinnen sich recht gern, manchmal auch mit einem Augenzwinkern, noch an die Frauentagsfeiern zu DDR-Zei-ten erinnern, so haben unsere

Veranstaltungen auch in Sach-sen einen anderen Charakter bekommen. In Redebeiträ-gen, Diskussionen oder auch in Kulturprogrammen wird da-rauf eingegangen, dass sich in den letzten 20 Jahren die La-ge der Frauen im Osten, al-so auch hier in Sachsen, ver-schlechtert hat. Besonders was die finanzielle Unabhän-gigkeit und die eigene Berufs-tätigkeit anbelangt. Prekäre Beschäftigung, Minijobs, Teil-zeit, ABM und Ehrenamt sind weibliche Berufs- und Arbeits-zeitmodelle geworden. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, durch ein dich-tes Netz bezahlbarer Kinder-betreuungseinrichtungen, aber auch Pflegemöglichkei-ten für Eltern oder Verwand-te, ist schwerer geworden. Das zwingt viele Frauen, auf eine Vollzeitberufstätigkeit, selbst wenn sie möglich wäre, zu verzichten. Das aber wiede-rum wird sich auch später bei den Rentenansprüchen zeigen – »Teilzeitarbeit führt zu Teil-zeitrenten« ist ein vielfach ver-wendetes geflügeltes Wort. Also heißt es für uns Frauen: Feiern und kämpfen – oft-mals schon gewonnen glaubte Kämpfe wiederholen sich da-bei. Heiderose Gläß

Eine echte Schwester Lysistratas 8. März 2012: Feiern oder kämpfen?

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Seite 7 3/2012 Sachsens Linke!

ParlamentsreportParlamentsreportDIE LINKE im Europäischen Parlament

Die Zukunft der Fördermittel

Ein Programm wie von MerkozySøren Søndergard zur dänischen Ratspräsident-schaftSøren Søndergard ist gelern-ter Schiffsbauer, nicht ganz ungewöhnlich in Dänemark. Er ist Mitglied der Volksbewe-gung gegen die EU, die sich 1972 im Vorfeld der Volksab-stimmung über den EG-Bei-tritt Dänemarks gründete. Diese Volksbewegung forder-te im Zusammenhang mit dem Lissabonvertrag eine Abstim-mung der Bevölkerung über diesen Vertrag, die aber nicht zustande kam. 2005 gründete sich nach dänischem Recht eine europäische Partei, die EUDemokraten - Allianz für ein Europa der Demokratien (EUD), die 2009 alle Sitze im Europaparlament verlor. Durch den Beitritt Søren Søn-dergards in die EUD, deren Mitglieder aus den verschie-densten europäischen Län-

dern kommen, ist diese Partei dennoch im Europaparlament vertreten. Die EUD fordert mehr Transparenz auf europä-ischer Ebene, Bürgernähe und Demokratie. Ihre Mitglieder lehnen die Zentralisierung von Machtbefugnissen durch EU-Institutionen ab und stehen für eine demokratische Kont-rolle, die sie auf nationaler oder regionaler Ebene besser realisiert wissen wollen. Ähn-lich wie DIE LINKE hat auch die EUD den Lissabonvertrag ab-gelehnt. Søren gehört inner-

halb der GUENGL den Nor-disch-Grünen Linken (NGL) an. Dies ist eine Struktur, wel-che Abgeordnete umfasst, die sich in der konföderalen GUENGL untereinander ab-stimmen und in besonderer Weise zusammenarbeiten. Neben unserem dänischen Kollegen gehören dieser Struktur zwei Kolleg/innen aus den Niederlanden und ein schwedischer Linker an, wel-cher als bekennender Femi-nist gleichzeitig der Vorsitzen-de des Frauenausschusses im Europaparlament ist. Während die Nordisch-Grü-nen Linken seit Jahren ge-meinsame Politikziele verfol-gen, wie zum Beispiel für den Erhalt der Arktis, kocht die dänische Regierung auf Spar-flamme. Als am 18. Januar in Strassburg Helle Thorning-Schmidt ihr Arbeitsprogramm für die 6-monatige dänische Ratspräsidentschaft (1. Halb-jahr 2012) vorstellte, mach-te sich Langeweile breit. Die mittlerweile 4. dänische Rats-

präsidentschaft steht unter dem Allerweltsthema »Euro-pa bei der Arbeit«. Die selbst gewählten 4 Schwerpunkte »Ein verantwortungsvolles, dynamisches, grünes und si-cheres Europa« lassen ver-muten, dass die Finanzpolitik im Vordergrund stehen wird. Es ginge um Haushaltsdiszi-plin, so die Ministerpräsiden-tin, soziale Strangulierung der Menschen in der EU wäre ein ehrlicherer Ausdruck dafür ge-wesen. Es war Søren, der es präzise auf den Punkt brach-te, dass das Arbeitsprogramm der Dänen aussehe, als ob es von Merkozy verfasst worden wäre. Er erinnerte die Minis-terpräsidentin daran, dass sie mit ihrem Versprechen ge-wählt wurde, den Weg aus der Krise nicht durch mehr Spa-ren, sondern durch mehr In-vestieren zu gehen. Das ganze Gegenteil präsentierte sie in ihrer Rede, die sich im Schwur um gemeinsame Haushalts-disziplin erging, so als hätte sie ihre Wahlversprechen ver-

gessen. Für die Dänen ist die-ser Wortbruch insofern prob-lematisch, weil einige Monate vorher die konservative Regie-rung abgelöst wurde, die sich durch Wiedereinführung von Grenzkontrollen unbeliebt ge-macht hatte und dem Spar-diktat des Rates alternativlos gefolgt war. Mit der Wahl von Thorning-Schmidt sollte ei-ne neue Politikära beginnen. Was daraus wird, hängt auch wesentlich vom Agieren der Ministerpräsidentin während der Ratspräsidentschaft ab.

Cornelia Ernst und Søren Søn-dergard

»Auch zukünftig brauchen wir in Sachsen Fördermittel euro-päischer Strukturfonds, bis-her Erreichtes darf nicht ver-loren gehen. Europa muss nicht weniger, sondern mehr zur Überwindung der ökono-mischen und sozialen Ent-wicklungsunterschiede leis-ten.« So lautet das Fazit der Dialogtour »Zur Zukunft der Fördermittelpolitik«. Gemein-sam mit der Landtagsfraktion der sächsischen LINKEN tour-te die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst durch die Lan-desdirektionsgebiete Sach-sens.Beginnend in Chemnitz be-suchten die Abgeordneten verschiedene Projekte, die Fördermittel aus Europäi-schen Strukturfonds erhalten. Die Delegation traf sich unter anderem mit den Vertreterin-nen des ILE Gebiets Silbernes Erzgebirge und den Koordina-toren des Projekts »Stärken vor Ort« und diskutierte über Perspektiven für ländliche Räume im Zusammenhang mit den demografischen Entwick-lungen: »Wir setzen uns für die Einführung von Zwischenkate-gorien in der neue Förderpe-riode ein. Die Regionen müs-sen weiter in der Lage sein die Attraktivität ländlicher Räu-me zu stärken. Dazu gehört auch, dass die Förderung klei-ner und mittelständischer Un-ternehmen ausgebaut werden muss« so Ernst, die im Euro-paparlament auch Mitglied im

Ausschuss für regionale Ent-wicklung ist. Die zweite Station der Dialog-tour führte die Abgeordneten in die Leipziger Region. Beim Besuch der Osterland Ag-rar GmbH mit Vertretern der Landkreisverwaltung, des ILE-Regionalmanagements, des Landesbauernverbandes und Landwirten stellte sich schnell heraus, dass viele Reform-vorhaben der Europäischen Union an der Lebenswirklich-keit vorbei gehen. So sollen Bauern deren außerlandwirt-schaftliches Einkommen das Zwanzigfache der durch die EU zugewiesenen Direktzah-lung übersteigt, von der För-derung ausgeschlossen wer-den. Dies trifft vor allem die ostdeutschen Großbetriebe deren Gesellschafter meist nur wenige Anteile halten und die Landwirtschaft lediglich »nebenbei« betreiben. Der ge-forderte Abbau der Bürokra-tie ist da eher ein frommer Wunsch, denn Fakt ist, dass diese an vielen Stellen eher verstärkt wurde. Das wurde auch in der Jugendstrafanstalt in Regis-Breitingen deutlich, die in den angebotenen mo-dularen Ausbildungsangebo-ten Fördermittel des europäi-schen Sozialfonds erhält.»Sowohl auf europäischer Ebene, als auch in der Umset-zung in den Bundesländern müssen die Richtlinien und Durchführungsbestimmun-gen aufeinander abgestimmt

werden und die Kompatibili-tät zwischen den Förderpro-grammen hergestellt werden. Der bereits hohe Bürokratie-aufwand darf nicht noch grö-ßer werden und damit sich zur unüberwindbaren Hürde für die Inanspruchnahme von eu-ropäischen Fördermitteln stei-gern« kommentiert Ernst. In der Region Dresden be-suchte die Delegation dann die Produktionsschule Moritz-burg. Dort hatte man die Ge-legenheit sowohl mit dem Lei-ter, den Sozialarbeitern, als auch mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Hier wurde deutlich, welche per-sönliche Bedeutung die ge-

förderten Projekte für die Teil-nehmenden haben. »Es sind eben nicht nur Zahlen und Beträge, über die wir hier re-den, sondern es geht auch um Menschen, die aufgrund ihrer nicht geradlinig verlaufenen Biografien eine Chance be-kommen an der Gesellschaft teilzuhaben.« Hintergrund der Dialogtour sind die bereits angelaufenen Verhandlungen zur Ausgestal-tung der neuen Fördermittel-periode ab 2014. Dabei ist es noch fraglich, wie die Struk-tur der europäischen Förder-mittelfonds aufgebaut sein wird und wie hoch die zur Ver-fügung stehenden Mittel sein

werden, was nicht zuletzt an den Mitgliedstaaten liegt und wie viel sie bereit sind, einzu-zahlen. Diese Dialogtour war eine wichtige Etappe, um mit den Akteuren, den Projektverant-wortlichen und den Multiplika-toren gemeinsam zu diskutie-ren und die Problemlagen vor Ort kennenzulernen und auf-zunehmen. Diese neu gewon-nen Erfahrungen gilt es nun in die Verhandlungen auf eu-ropäischer Ebene um die zu-künftige Gestaltung der För-dermittelfonds einzubringen. Ein noch harter Weg, der vor uns liegt.Cornelia Ernst

Seite 8Sachsens Linke! 3/2012

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DIE LINKE im Bundestag

Worte und Taten – Zur Aufhebung meiner Immunität

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Rettungsdienste retten

»Wir sind alle gefordert zu handeln – überall dort, wo Rechtsextremisten versu-chen, gesellschaftlichen Bo-den zu gewinnen.« So steht es in dem gemeinsamen Antrag, den alle Fraktionen des Deut-schen Bundestages unter dem Eindruck der Naziterror-Mord-serie am 22. November 2011 formuliert und beschlossen haben. Alle Fraktionen, das muss man hier betonen, heißt: auch CDU/CSU, FDP und SPD.Nicht mal drei Monate spä-ter hat der Immunitätsaus-schuss des Bundestages mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD entschieden, keine Immunität für meine Kollegin Caren Lay und mich herzustellen, weil wir jenen Satz wörtlich genommen hat-ten: Wir hatten gehandelt, uns den Nazis in den Weg ge-stellt und uns am 19. Februar 2011 an Blockaden beteiligt, als die Faschisten in Dres-den ganz konkret versuch-ten, gesellschaftlichen Boden zu gewinnen. Nun können wir deswegen von der Staatsan-waltschaft strafrechtlich ver-folgt werden. Die Bedeutung der Entschei-

dung des Immunitätsaus-schusses geht weit über die rechtlichen Konsequenzen für Caren und mich hinaus. Die Entscheidung zeigt, dass den großen Worten der politisch Verantwortlichen keine Taten folgen. Sie kriminalisiert an-tifaschistisches Engagement und signalisiert allen, die sich den Nazis entgegen stellen, dass sie mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müs-sen. Damit stellt sie zugleich eine Ermutigung für die Nazis dar, ihre Aufmärsche gegen friedlichen Protest durchzu-setzen. Darüber hinaus le-gitimiert der Ausschuss die politische Einseitigkeit der Ermittlungen in Sachsen, die sich bevorzugt gegen Abge-ordnete der LINKEN richten.Besonders enttäuscht hat mich das Abstimmungsverhal-ten der SPD. Als einzige Oppo-sitionsfraktion hat sie sich dem Votum der Regierungsfrakti-onen angeschlossen, obwohl deren Stimmen alleine schon ausgereicht hätten. Dabei ist der Spielraum des Immunitäts-ausschusses ein anderer als der einer Staatsanwaltschaft. Es ist ja ausdrücklich dessen Aufgabe, neben rechtlichen

auch politische Aspekte zu berücksichtigen. Die Zustim-mung der SPD-Mitglieder im Ausschuss, uns keinen Schutz zu gewähren, ist nicht nur ge-schichtsvergessen, sondern fällt auch den Sozialdemokra-tinnen und Sozialdemokraten in den Rücken, die gemeinsam mit uns und vielen anderen in Dresden gegen die Nazis pro-testiert haben. Wenn es in diesem Jahr erst-

mals gelungen ist, den ehe-mals größten Nazi-Aufmarsch Europas bereits im Vorfeld zu verhindern, ist dies nicht we-gen, sondern trotz der Haltung der Mehrheit des Bundestages gelungen. Es ist ermutigend, dass am 18. Februar zehntau-send Menschen daran mitge-wirkt haben, das Motto des Bündnisses Wirklichkeit wer-den zu lassen: Dresden nazi-frei! Auf ein entschlossenes

Handeln politischer Entschei-dungsträger gegen Rechts können wir nicht verzichten. Zu viel hängt davon ab. Doch wenn sie versagen, wächst die Bedeutung des gesellschaft-lichen Engagements. Um die Nazis zu stoppen und um Druck aufzubauen, damit gro-ßen Worten doch noch einmal Taten folgen.Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe Sachsen

… findet ihr auch, dass Sarra-zins Buch »mutig«, der Krieg in Afghanistan »erträglich« und antikapitalistische Pro-teste »unsäglich albern« sind? Seid ihr auch für die Rente mit 67 und fürchtet, dass Solida-rität die Menschen »erschlaf-fen« lasse? Nein? Dann frage ich mich, warum ihr Joachim Gauck unbedingt als Bundes-präsident wollt? Entweder geht es Euch überhaupt nicht um politische Inhalte, sondern nur um machttaktische Spielchen. Oder ihr erkennt Euch in sei-nen Positionen doch wieder. So oder so: Erzählt bloß nicht hinterher, ihr hättet es nicht gewusst!

Michael Leutert, MdB

Im Landkreis Bautzen sind mehr als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rettungs-dienste von Kündigung oder schlechterer Bezahlung be-droht. Denn nach einem Ge-richtsurteil vom August 2011 muss der Landkreis die Ret-tungsdienste neu ausschrei-ben. Ein privater Anbieter sah sich von der bisherigen Ver-gabepraxis benachteiligt und hatte geklagt. Ab 1. Juli 2012 ist nun die europaweite Aus-schreibung fällig, dann gleich für mehrere Jahre. Wie schon in Dresden drängen nun auch im Landkreis Bautzen private Mitbewerber auf den Markt und treten in Konkurrenz zu den bisherigen Trägern der Rettungsdienste ASB und DRK. Auch in anderen Land-kreisen zeichnet sich eine sol-che Entwicklung ab.Hintergrund für die anstehen-den Ausschreibungen ist die EU-Dienstleistungsrichtlinie, gegen die DIE LINKE bereits bei deren Erlass protestiert hatte. Denn sie öffnete die Tür für die weitere Privatisierung von Leistungen der öffentli-

chen Daseinsvorsorge sowie für geringere soziale Stan-dards und Entlohnung. Gerade bei Rettungsdiens-ten darf nicht nur der Preis ausschlaggebend sein, son-dern hier geht es auch um die Qualität der Leistung. Ret-tungsdienste sind Teil der öffentlichen Daseinsvorsor-ge und keine Dienstleistun-gen, deren Vergabe und An-gebot nach Marktkriterien zu organisieren sind. Ein Verga-beverfahren darf auch nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen. Diese sind gerade im Bereich des Rettungswesen hohen körperlichen und psy-chischen Belastungen aus-gesetzt. Hohe soziale Stan-dards sind daher dringend geboten. Eine Ausschreibung darf auch nicht zu Lohndum-ping führen. Ein effektives Mittel dagegen wäre die Ver-ankerung von Mindest- und Tariflöhnen im sächsischen Vergaberecht. Notwendig ist zudem eine No-vellierung des sächsischen Rettungsdienstegesetz. Das Mindeste wäre eine Regelung,

dass die Absicherung von Großschadensereignissen ge-währleistet sein muss. Denn das können die Privaten nicht garantieren. Außerdem sollte der Landtag den betroffenen Kommunen durch die Novelle die Möglichkeit eröffnen, die Rettungsdienste zu rekom-munalisieren. Denn das wäre die sicherste Lösung zur Si-cherung der vorhandenen Ar-beitsplätze mit entsprechend

guter Bezahlung. Das Land Sachsen täte gut daran, die Rekommunalisie-rung der öffentlichen Daseins-vorsorge voran zu bringen. Schleswig-Holstein, Hessen und Niedersachsen haben be-reits vorgemacht, das dies so-gar bei den Rettungsdiensten möglich ist.Caren Lay (MdB, Bundesge-schäftsführerin der LINKEN)

Sagt mal, SPD und Grüne, …

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Seite 5 3/2012 Links! Geschichte

Der erste Eindruck ... ist der des Gespenstischen1952 bot Moskau die deutsche Einheit an

Paul Sethe, konservativer Her-ausgeber der FAZ, schrieb am 12. März 1952: »Der erste Ein-druck bei der Lektüre der sow-jetischen Dokumente... ist der des Gespenstischen. Dies al-so ist möglich? Ist es wirklich noch nicht acht Jahre her, dass das Reich völlig zu Boden ge-worfen wurde ...? [...] Die Welt hat in den letzten Jahrzehnten mehr als eine plötzliche Wen-dung der sowjetischen Poli-tik kennengelernt; keine doch war so jäh wie diese«. In der Tat hatte Moskau zwei Tage zuvor die Initiati-ve ergriffen und in Noten an die Westalliierten Verhand-lungen zu einem Friedens-vertrag in Aussicht gestellt. Deutschland sollte »als (ein) einheitliche(r), unabhängige(r), demokratische(r) und friedliebende(r) Staat in Über-einstimmung mit den Pots-damer Beschlüssen« wieder-

erstehen, ohne Militarismus und Aggression. Der Abzug der Besatzer, demokratische Verhältnisse, Entwicklung der Wirtschaft und eine deutsche Verteidigungsarmee wurden angeboten.Springender Punkt war jedoch die Verpflichtung zur Neutrali-tät.Die sowjetische Wendung hat-te einen konkreten Anlass. Die BRD und speziell Adenauer wollten mit den USA endlich das halbe Deutschland fest im Kalten Krieg positionieren.Für den Kanzler war ein Wehr-beitrag der Preis für die Sou-veränität und auch ein Inte-grationsprogramm für alte Nazi-Militärs. Endlich über-zeugten die USA auch Frank-reich, sich diesen Gegeben-heiten zu stellen. Im Frühjahrwar ein Vertragswerk für eine Europäische Verteidigungsge-meinschaft (EVG) spruchreif, aus Moskaus Sicht eine allein gegen sie gerichtete Militär-koalition. Dagegen waren alle Mittel recht, auch die Rücker-innerung an den Rapallo-Ver-trag.

Warum sollten nicht auch kon-servative Politiker, Sozialde-mokraten, Liberale sowie-so, bereit sein, für die Einheit ihres Vaterlandes solchem Kriegsgeschrei zu widerste-hen?Deutsche Kommunisten mussten erfahren, dass für die UdSSR einmal mehr nicht Weltrevolution, sondern eige-nes Sicherheitsinteresse do-minierte.SED und KPD, letztere bereits vom Verbot bedroht, hätten Federn lassen müssen, auch wenn Moskau sicher von ei-ner eher freundlicheren politi-schen Lösung im gesamtdeut-schen Parlament ausging (In Österreich funktionierte das dann ab 1955).Bis heute streiten Historiker, ob Stalin es ernst meinte, oder ob das Angebot nur Störmanö-ver oder Bluff war. 1952 woll-ten ihn manche westliche Di-plomaten beim Wort nehmen, auch nicht wenige BRD-Publi-zisten.Aber so leicht ließen sich Ade-nauer und die USA ihre Chan-ce für die Westeinbindung

nicht nehmen. Adenauer sahin der Stalin-Note den Beweisfür den Erfolg einer Politik derStärke, und er erklärte am 16. März 1952 vor dem Evangeli-schen Arbeitskreis der CDU in Siegen: »Seien wir uns da-rüber klar, dass dort (im Os-ten) der Feind des Christen-tums sitzt. Hier handelt es sich nicht nur um politische, sondern auch um geistige Ge-fahren ... Es gibt drei Möglich-keiten für Deutschland. den Anschluss an den Westen, Anschluss an den Osten und Neutralisierung ... Ein Zusam-menschluss mit dem Osten aber kommt für uns wegen der völligen Verschiedenheit der Weltanschauungen nicht in Frage.« Wenig verklausuliertlehnten die Adressaten am 25. März die Vorschläge ab. Es gab weitere Noten, der Ton wur-de schärfer, die DDR rief zum »Volkswiderstand« der West-deutschen gegen das nun als »Generalkriegsvertrag« ge-brandmarkte Abkommen der BRD mit den Drei Mächten auf,aber weder Demos noch No-ten hielten diesen Vertrag und

das EVG-Abkommen auf (dasscheiterte erst an der PariserNationalversammlung).Die Zeichen standen nun auf Konfrontation. In der BRD sorgten Koreakrieg, latenter Antikommunismus und ver-meintlich wie wirkliche Er-fahrungen mit der DDR dafür, dass Adenauers Kurs trug. Für die Sowjetunion und ihre Ver-bündeten war mit der EVG die Kriegsgefahr in Europa ange-kommen.Sie alle, nicht zuletzt die DDR,erhielten klare Vorgaben fürdie Aufrüstung, die Sicherheitan der Westgrenze wurde ra-dikal verschärft. Immerhin, für die SED-Führung um Wal-ter Ulbricht war dies auch der Moment, den alten Traum des Sozialismus auf deutschem Boden umzusetzen, damit Moskau nicht so schnell wie-der auf die Idee kam, seine Ge-nossen preiszugeben. Die 2. Parteikonferenz beschloss imJuli den Aufbau der Grundla-gen des Sozialismus in der DDR.Stefan Bollinger

Die Ostpolitik der BRD war bis zum Ende der 1960er Jah-re konsequent hart. Unter den CDU-Kanzlern Adenauer, Er-hard und Kiesinger verhinder-ten der Alleinvertretungsan-spruch der BRD und die darauf aufbauende Hallstein-Dokt-rin, die andere Staaten von der Aufnahme diplomatischer Be-ziehungen zur DDR abhalten sollte, jegliches politisches Tauwetter zwischen beiden deutschen Staaten. Die Bun-desrepublik strebte danach, die DDR international zu iso-lieren, und erkannte sie nicht als Staat an. Das änderte sich erst mit dem Machtantritt der soziallibera-len Koalition im Jahre 1969. Fortan setzte man nicht mehr auf Abgrenzung und Verdam-mung des östlichen Nachbar-staates, sondern auf Verstän-digung, auf Verhandlungen zur Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses, was in ei-ner Zeit ständiger Kriegsge-fahr auch dringend geboten schien. Der Alleinvertretungs-anspruch wurde aufgegeben und die DDR staatsrechtlich (nicht völkerrechtlich) aner-kannt. Diese »Neue Ostpolitik« ist untrennbar mit einem großen Namen der SPD verbunden: Egon Bahr. Er formulierte das

Prinzip »Wandel durch Annä-herung« und bereitete so den Boden für diplomatische Be-ziehungen zur DDR. 1922 in Treffurt geboren und seit 1956 SPD-Mitglied, war Bahr einer der wichtigsten außenpoliti-schen Berater Willy Brandts. Seit 1969 war er Staatsse-kretär im Bundeskanzleramt und Bevollmächtigter der Bun-desregierung in Berlin, somit maßgeblich am Zustandekom-men wichtiger Verträge betei-ligt. Dazu zählen vor allem der Moskauer Vertrag (1970), der Warschauer Vertrag (1970), das Transitabkommen von 1971 sowie der Grundlagen-vertrag zwischen BRD und DDR von 1972/1973. Nicht unerwähnt bleiben darf auch der Prager Vertrag von 1973, der das Münchner Abkommen von 1938 für nichtig erklärte. 1973 traten beide deutsche Staaten den Vereinten Natio-nen bei.Diese auf Verständigung ori-entierte Ostpolitik stieß in der BRD auf erbitterten Wider-stand der CDU/CSU-Oppositi-on, die um die Westintegration der Bundesrepublik fürchtete und weiterhin eine Politik der starken Hand gegenüber der »Ost-« oder »Sowjetzone« for-derte. Wenn das Ziel Wieder-vereinigung jedoch erreicht

werden sollte, erklärt Bahr bis heute, mussten beide Sei-ten aufeinander zugehen. »Wir mussten uns zunächst einmal dem Osten zuwenden und ihn als vorhanden akzeptieren«.Auch im hohen Alter mischt sich das SPD-Urgestein ein. So solle die SPD bei der nächsten Bundestagswahl keinesfalls auf eine große Ko-alition setzen, da »die Stabi-lität unseres Staates davon abhängt, dass die beiden gro-

ßen Parteien sich in der Regie-rung abwechseln«. Eine Koa-lition mit der LINKEN sei laut Bahr solange nicht denkbar, »wie diese Partei nicht die in-ternationalen Verpflichtungen Deutschlands, also die UN, EU und NATO akzeptiert. So lange ist sie nicht regierungsfähig«. Einiges Aufsehen erregte auch seine Forderung, die Stasi-Un-terlagenbehörde zu schließen, da sie ihr Mögliches zur Auf-klärung bereits geleistet habe.

Überhaupt sei die Einrichtung dieser Institution, so Bahr im Interview mit der Berliner Zei-tung, ein Fehler gewesen – denn sie stehe der inneren Einheit Deutschlands im Weg. »Solange die ,Aufarbeitung‘ praktisch nur für die ehema-lige DDR betrieben wird, ver-tieft die Behörde die mentale Spaltung unseres Volkes«. Am 18. März feiert der »Architekt der Ostpolitik« seinen 90. Ge-burtstag. Paul Kühn

Architekt und Urgestein

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11. Dezember 1971: Bahr (BRD) und Kohl (DDR) unterzeichnen das Transitabkommen

Seite 6Links! 3/2012

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die WeltHerausgebergremium: Dr. Mo-nika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 18000 Exempla-

ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.)Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84 38 9773Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

Redaktionschluß: 22.2.2012Die nächste Ausgabe er-

scheint am 29.3.2012. Die Zei-tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Ver-sand. Abo-Service 0351-84389773Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank

Internet www.links-sachsen.de

TermineRosa-Luxemburg-Stiftung

Dresden, 7. März, 19 Uhr Vortrag und Diskussion Der neue Elitenrassismus – Wie funktioniert die Me-thode SarrazinMit Jana Werner, Wissen-schaftspreisträgerin der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung Sach-sen 2012, LeipzigWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 DresdenJana Werner hat untersucht welcher sprachlichen Mittel sich Sarrazin bedient und wa-rum seine umstrittenen Äuße-rungen eindeutig als rassis-tisch zu betrachten sind.

Zittau, 9. März, 16.30 Uhr Vortrag und Diskussion Die internationalen Be-ziehungen der Partei DIE LINKE unter besonde-rer Berücksichtigung des DreiländerecksMit Oliver Schröder, Leiter des Bereichs Internationale Politik der Partei DIE LINKEBegegnungsstätte, Äußere Weberstraße 2, 02763 Zittaunochmal in Bautzen, 10. März, 10 UhrRestaurant »Zum Echten«, Lau-engraben 16, 02625 Bautzen

Leipzig, 13. März, 19 Uhr Speakerstour Der arabi-sche Frühling - Die Welt im Umbruch?Mit Elham Eidarous Al Kassir, Ägypten, Menschrechtsak-tivistin und Massoud Romd-hani, Tunesien, Vizepräsident der tunesischen Liga für Men-schenrechteGeisteswissenschaftliches Zentrum, Beethovenstraße 15, 04107 LeipzigSprache: Englisch

Dresden, 14. März, 19 Uhr Vortrag und Diskussion Wohin steuert Russland? Was aus dem sowjeti-schen Staatssozialismus wurde und wirdMit Prof. Dr. habil. Karl-Heinz Gräfe, Historiker und Mitglied der Historischen Kommission bei der Partei Die LINKEWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 DresdenDie Parlaments- und Präsiden-tenwahlen Russlands sind An-lass, die folgenden Fragen zu beantworten:

- Warum scheiterte die Erneu-erungsversuche des sowjeti-schen Staatssozialismus und der Weltmacht UdSSR? - Welche politische Kräfte tra-gen die Verantwortung für den Zerfall der Sowjetunion in 15 Staaten und deren kapitalisti-sche Entwicklung? - Ist Russland ein demokra-tisch kapitalistischer Staat? Wie entwickelt sich der post-sowjetische Raum von der Uk-raine über Kaukasien bis Zen-tralasien?

Leipzig, 15. März, 19.30 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST »Gegen Na-zis sowieso. Lokale Strate-gien gegen Rechts«mit den Autoren Yves Müller und Benjamin WinklerDas Buch »Gegen Nazis sowie-so.« ist als 6. Band in der Rei-he »Crashkurs Kommune« im VSA Verlag erschienen Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zigDas Agieren rechter Parteien und Organisationen bedroht das Zusammenleben der Men-schen in der Kommune. Doch welche Strategien verfolgen die Rechten dort? Wie nut-zen sie kommunale Gremien, Vereine, Jugendeinrichtungen und öffentliche Orte? Und was können wir dagegen tun?

Leipzig, 16. März, 18 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST »Eine Reise nach Israel«*Mit Ali Salem, ägyptischer Au-tor und Träger des Zivilcou-rage-Preises der Train Foun-dation und Ruben Schenzle, Übersetzer der deutschen AusgabeRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 LeipzigAli Salem wurde 1936 gebo-ren. Er gilt als einer der bedeu-tendsten zeitgenössischen ägyptischen Dramatiker, der in seinen satirischen Stücken Missstände innerhalb der ägyptischen Gesellschaft, vor allem Bürokratie, Korruption und Despotismus scharf atta-ckiert. Die Friedensinitiative Sadats und dessen Reise ins feindliche Israel im Jahr 1977 begrüßte er hingegen von Be-

ginn an. Ein großes Maß an Aufmerksamkeit, auch außer-halb Ägyptens, erregte ein bereits 1993 geplantes und im Frühjahr 1994 ausgeführ-te spektakuläre Unterneh-men Ali Salems: Mit seinem eigenen Auto überquert er die Grenze zu Israel und bereist drei Wochen lang das unge-liebte Nachbarland, wo er sich mit Vertreter(inne)n der isra-elischen Friedensbewegung trifft, an Seminaren an isra-elischen Universitäten teil-nimmt, Vorträge hält, Inter-views gibt und als Tourist die Sehenswürdigkeiten des Lan-des besucht.

Leipzig, 17. März, 18 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST PolyluxMarx. Bildungsma-terial zur Kapitallektüre. Erster BandMit Valeria Bruschi, Antonel-la Muzzupappa, Sabine Nuss, Anne Steckner, Ingo StützleRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 LeipzigSeit einigen Jahren ist Marx langsam wieder aus der Mot-tenkiste geklettert. Sozia-le Verwerfungen im globalen Kapitalismus, die Schwäche herrschender Erklärungsan-sätze für wirtschaftliche Zu-sammenhänge und schließ-lich die seit den 1990ern den Erdball erschütternden Krisen sorgen für eine erneute Be-schäftigung mit Marx‘ Gesell-schaftsanalyse.

Leipzig, 17. März, 20.30 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST »Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in Bar-celona und Paris 1936–1938«Mit Lou MarinRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 LeipzigMichael Seidman hat Arbeits-verweigerungen während der Spanischen Revolution in Barcelona und der Fabrikbe-setzungen in Paris zwischen 1936 und 1938 untersucht. Er hat herausgefunden, dass Ar-beiterInnen unter Revolution keineswegs verstanden, aus Begeisterung mehr zu arbei-ten, sondern vielmehr weniger

oder gar nicht. Eine brisante Studie gegen die produktivis-tische Gesellschaftsutopie.

Leipzig, 20. März, 18 Uhr Lesung und Gespräch »Chodorkowskij – My-then, Legenden und ande-re Wahrheiten«Mit dem Autor Viktor Timt-schenko, Journalist und Wirt-schaftswissenschaftler, Leip-zigRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 LeipzigDas Urteil der Öffentlichkeit ist gefallen: Der russische Mi-nisterpräsident Wladimir Pu-tin statuiert an Michail Cho-dorkowskij ein Exempel, weil dieser es wagte, sich unge-fragt in die Politik einzumi-schen – ein Verhalten, das der erfolgreiche, sozial engagier-te Selfmademan nun mit dem Gefängnis bezahlt. Doch ist die Sache so einfach?

Dresden, 20. März, 18 Uhr Reihe: Die junge Rosa Der rote Faden der MoralMit Boris Krumnow, politi-scher Bildner, LeipzigWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 DresdenDürfen Menschen... in den politischen »Hinterzimmern« kungeln, fremdgehen, Tie-re töten? Sollen Menschen sich selbst verwirklichen, ein neues Auschwitz verhindern, an sich denken und damit al-len anderen nützen, mit allen Mitteln den Kapitalismus be-kämpfen?

Chemnitz, 21. März, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Wohin steuert Russland? Was aus dem sowjeti-schen Staatssozialismus wurde und wird.Zu den Parlaments und Prä-sidentenwahlen Mit Prof. Dr. Karl-Heinz Gräfe, FreitalRothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Chemnitz, 22. März, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Was ist Linux? Open Sour-ce und Freie SoftwareMit Thomas Winde und Frank HoffmannRothaus, Lohstraße 2, 09111 ChemnitzZiel der Veranstaltung ist ei-nen Einblick in das Thema al-ternative Betriebssysteme zu geben und die politische ge-sellschaftliche Idee dahinter

aufzugezeigen.

Leipzig, 27. März, 18 Uhr Buchvorstellung und Ge-spräch »Juden in Europa. Historische Skizzen aus zwei Jahrtausenden«Mit Prof. Dr. Wolfgang Geier, Klagenfurt/LeipzigRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 LeipzigIn acht historischen Skizzen werden Ereignisse und Gestal-ten der Geschichte des euro-päischen aschkenasischen und sephardischen Juden-tums aus zwei Jahrtausenden in der Haggada beschrieben. So die Lage von Judenheiten unter spätrömischen Kaisern und die Entstehung des Juden-hasses der Kirchväter, das se-phardische Judentum auf der iberischen Halbinsel zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert, Wahrnehmungen sephardi-scher Bevölkerungen und Ge-meinden in Reiseberichten über das südöstliche Euro-pa zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert, die Haggada von Sarajevo, demografische Situ-ationen jüdischer Bevölkerun-gen im östlichen und südöst-lichen Europa zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert u.a.m.

Dresden, 28. März, 19 Uhr Vortrag und Diskussion Soziale Klassen? Gibt es die noch?Mit Christina Kaindl, Rosa-Lu-xemburg-Stiftung, BerlinWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 DresdenDer Begriff der Klasse stand im Zentrum vor allem der marxis-tischen Gesellschaftstheorie. Er hatte eine analytische und empirische Funktion: er zielte auf den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit und diente zur Beschreibung von sozia-len Gruppen. Vielfach wurden in der marxistischen Traditi-on daraus Schlüsse über die Subjekte gesellschaftlicher Veränderungen gezogen. Und heute? Gibt es noch Klassen und wenn ja, welche und mit welcher Ausprägung? Oder spielen sich die wichtigen gesellschaftlichen Auseinan-dersetzungen auf anderen Ebenen und zwischen ande-ren sozialen Gruppierungen ab? Kann überhaupt noch von einer stabilen Gruppen- oder Klassenzugehörigkeiten aus-gegangen werden oder gibt es nur noch Individuen in ständig wechselnden Milieus und sozi-alen Rollen?

Leipzig, 30. März, 20.30 Uhr Lesung und Gespräch-com.dichterMit Christina Esther Hansen (Lyrik), Florian Stern (Prosa) und Jonathan Böhm (Essay)hinZundkunZ, Georg-Schwarz-Straße 9, 04177 Leipzig

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Politik und Lüge

Rezensionen

Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt

»Hohe Luft« – ein neues Magazin aus Hamburg macht Lust auf philosophisches DenkenAm besten sind die Wahlkämp-fe, die der Gegner für einen führt: »Wir haben gelogen – früh, mittags und am Abend. Wir haben einfach immer ge-logen.« Das sagte der sozial-demokratische Ex-Staatschef Ungarns Ferenc Gyurcsany unvorsichtigerweise in einem Telefonat, das mitgeschnitten wurde. Beim nächsten Wahl-kampf brauchte dann die Op-position nur noch Lautspre-cher aufzustellen oder mit dem Lautsprecher-Wagen durch die Straßen zu fahren. Das reich-te. Kein Oppositionspolitiker brauchte sich noch selbst zu profilieren. Die Regierungspar-tei war bis auf die Knochen ge-demütigt, und wer heute die

Macht der konservativen FI-DESZ und Viktor Orbans be-klagt, der sollte auch daran denken, durch welche Politik er spielend an die Macht ge-kommen ist. Die einstige Re-gierungspartei war schlicht unwählbar geworden. Ihre An-hänger blieben beschämt zu Hause und die Opposition ging triumphierend in die Wahlkabi-nen.Ohne Frage: Politik und Lü-ge sind überall auf der Welt beherrschende Themen. Un-ser Gutti und nun unser Wulf-fi – alles Lüge! Doch ist es so schlimm und mittlerweile so umfassend sumpfig – der tiefe Niedersachsensumpf, in dem jeder mit jedem kungelt und selbst die Baden-Württember-ger mit Oettinger drinhängen –, dass eine wirkliche umfas-sende Aufklärung vermutlich das komplette Parteien- und Wirtschaftssystem der Bun-desrepublik beim Demokra-tie-restgläubigen Bürger kom-plett diskreditieren würde. Deshalb sorgt sich SPD-Gabri-

el wohl so um CDU-Wulff: »Es ist nicht Aufgabe der Sozialde-mokraten, den Rücktritt Wulffs zu fordern!« Der Zuschauer hört es und denkt, Gabriel? Ist der nicht auch, wie Wulff, wie Schröder, wie Maschmeyer ein Niedersachse? Will sich hier ei-ner selbst retten? Prophylak-tisch etwa? Was bedeutet dazu das laute Schweigen der Kanz-lerin?Kurz: Ein besseres Aufmacher-Thema als: »Du sollst nicht lü-gen! Aber warum eigentlich nicht?« als Startheft für ein neues Philosophie-Magazin aus Dresdens Partnerstadt Hamburg konnte es kaum ge-ben. Hohe Luft, das wissen Hamburg-Kenner, ist ein Ge-biet in der Hansestadt, wo auch die Redaktion zu Hause ist.Tiefgründiges Denken ist ja nun offenkundig nicht die Lieb-lingsbeschäftigung der meis-ten Politiker. Denn wüssten sie, was sie mit ihren Reden anrichten, sie würden wohl öf-ter schweigen – das betrifft

nicht nur die politisch Enga-gierten im bürgerlichen La-ger. Da kommt so ein Thema – philosophisch von allen Sei-ten beleuchtet – gerade recht. Um die Problematik klar zu ma-chen, beginnen die raffinier-ten Hamburger mit einem pro-fanen Einstieg: Die schon auf dem Sterbebett liegende Tante äußert sich besorgt über ihre Goldfische, die freilich längst das Zeitliche gesegnet haben. Aber wer der Angehörigen wird die ohnehin Gebrechliche noch mit der Wahrheit foltern wollen? Hier wird es offen-sichtlich: Lüge ist nicht gleich Lüge. Es gab und gibt verschie-denen Auffassungen, und das Lügenthema zieht sich durch alle Bereiche: Firmen-, Um-welt- und Militärpolitik bis hin zu intimsten Beziehungsfra-gen mit dem eigenen Partner. Da gibt es den Brachial-Wahr-heitsfanatiker Kant, aber auch den konzilianten Macchiavelli. Nicht ohne war auch Heming-way: »Die Lüge tötet die Liebe. Aber die Aufrichtigkeit tötet sie

erst recht.« Was meinten die alten Griechen dazu? Freilich: Es fehlen die Stimmen von au-ßerhalb des westlichen Kultur-kreises, das muss im gerade gestarteten Jahr des Drachens einfach mal gesagt werden. Wo bleibt Konfuzius? Was meinen Islam und Judentum zu der Fra-ge? Vielleicht fehlte der Platz oder das Vorstellungsvermö-gen der Schreiber, das Leser so viel Genuss bei dem The-ma empfinden können, dass es durchaus keine Überdehnung gewesen wäre, hätte jemand den Mut besessen, den Bogen noch weiter zu spannen. Aber – das kann man hoffen – das Thema ist ist einfach zu tragfä-hig, als dass man es übers Herz bringen könnte, darauf später nicht in der einen oder anderen Form zurückzukommen.Das Philosophie-Magazin für alle soll alle zwei Monate er-scheinen. Es kostet 8 Euro und ist im Internet zu finden unter www.hoheluft-magazin.deRalf Richter

Über Michail Gorbatschow ge-hen die Meinungen weit aus-einander. Manche meinen zu wissen, dass er sich bereits in seiner Jugend geschworen habe, den Sozialismus abzu-schaffen. Nicht wenige, die vor über 20 Jahren noch be-geistert »Gorbi, Gorbi« riefen, sind enttäuscht und verbit-tert, fühlen sich von ihm ver-raten und verkauft. Die west-lichen Medien hofieren ihn, und er redet gern seinen west-lichen Gastgebern zu Munde (Was ein anständiger Kommu-nist nicht tut).»Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Ge-schichte«, heißt es im »Wallen-stein« von Friedrich Schiller. Nun schrieb ein ungarischer Marxist ein Buch über den In-kriminierten. György Dalos stützt sich auf ein intensives Quellenstudium. Nach dem Prolog werden Herkunft, Stu-dium, Ehe und der Aufstieg im Partei- und Staatsapparat be-schrieben. Es folgt die Schil-derung der Reformversuche, die Gorbatschow als Partei- und Staatschef der UdSSR un-ternahm. Dalos berichtet über die verzweifelte ökonomische Lage, in die das Land nach Jahren der Stagnation, Miss-ernten, mangelnder Innovati-on sowie Wettrüsten geraten war. Auch in der Außenpolitik hatte Gorbatschow eine Alt-last aus der Breschnew-Ära

abzutragen, bemühte sich um Entspannung und lehnte frag-würdige »Bündnisangebote« von Staaten wie Syrien und Li-byen ab. Gorbatschows Geg-ner im Partei- und Staatsap-parat machten Front gegen ihn, vor allem die Militärs und Manager in den Rüstungsfab-riken, die abgespeckt werden sollten. Frühzeitig gab es Warnun-gen vor einer nicht mehr zu beherrschenden Situation. Gorbatschow zog daraus die Konsequenz, die Bürden des Bündnisses nicht mehr länger zu tragen. Das verhärtete die Opposition. Alsbald trat Boris Jelzin auf den Plan, ein Dem-agoge, der unter den Provinz-fürsten Verbündete suchte und fand.Gorbatschow proklamier-te Glasnost und Perestroi-ka, ein Ende von Zensur und geistiger Bevormundung. Da-los konstatiert: »So entstand zwischen 1985 und 1989 eine unstrukturierte und instituti-onslose Meinungsdemagogie, vielleicht die lebendigste und pluralistischste der damaligen Welt«. Die Intelligenzija nutz-te die neuen Freiheiten, enga-gierte sich aber nicht für die Durchsetzung der Reformen. Gorbatschow berief sich auf Lenins Geist, die Moskau-er Nomenklatura baute ihre Seilschaften aus und die Pro-vinzfürsten forderten nun na-tionale Unabhängigkeit. Der

deutsche Imperialismus för-derte die Separationswün-sche der drei baltischen Re-publiken durch vorzeitige diplomatische Anerkennung. Wie Schachfiguren fielen die europäischen Verbündeten von Moskau ab. Ausführlich rekonstruiert Dalos das Ende der DDR. Nach der Öffnung des Brandenburger Tors gab es kein Halten mehr. Dalos lässt offen, wer am Ende wirk-lich für die Öffnung verant-wortlich war: War es Sowjet-botschafter Kotschemassow oder der sowjetische Geheim-dienstchef Krjutschkow, die den Auftrag gaben? Oder soll-te dieses historische Ereignis einzig SED-Politbüromitglied

Schabowski angestoßen ha-ben? Krjutschkow gehörte zu je-nen Verschwörern, die Gor-batschows Sturz ermöglich-ten. Jelzin konnte sich dank der Putschisten zum Herren im Kreml aufschwingen. Er zwang Gorbatschow, öffent-lich das Verbot der KPdSU zu verlesen und warf ihn dann aus seinen Amtsräumen. Am 25. Dezember 1991 musste Gorbatschow als Staatspräsi-dent zurücktreten. Die UdSSR zerfiel. Das weitere Leben des Michail Sergejewitsch Gorbatschow wies wenig Würde auf. Zwar verteidigte er zunächst noch Honecker & Co. gegen ei-

ne rachsüchtige Bonner Jus-tiz und protestierte gegen die neuen Kriege des US-Impe-rialismus. Andererseits ver-kaufte er sich für Werbespots westlicher Firmen; er benö-tigte, wie er 2011 in einem In-terview erklärte, Geld für sein Moskauer Institut. Glaubt er selbst, was er da sagt? Dalos hat eine eindrucksvol-le Biografie verfasst, die Ver-urteilungen meidet, aber Feh-ler, Irrtümer und Säumnisse klar benennt. Das Buch dürf-te auch jene Sozialisten zum Nachdenken anregen, die in Gorbatschow nur den Verräter sehen und selbstkritische Re-flexionen scheuen.Theodor Bergmann

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Seite 8Links! 3/2012

ACTA ad acta!Kultur

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Welche Meldungen! Mehrere Zehntausende, vor allem jun-ge Menschen, seien am 11. Februar in Deutschland auf die Straße gegangen. Je nach Medium konnte man auch von Hunderttausend Demonst-ranten lesen. Noch bevor der europaweite Protesttag statt-fand, las man hier und da von vorsichtigem Erfolg. Polen würde ACTA vorerst nicht un-terzeichnen, Tschechien und die Slowakei ebenso, Lett-land und am Ende eben auch Deutschland. Die Ratifizie-rung des internationalen Han-delsabkommens würde vor-erst nicht stattfinden. ACTA ist dabei ein seltsames Akro-nym, welches für Anti-Coun-terfeiting Trade Agreement steht, also ein Handelsabkom-men gegen Produktpirate-rie. Ein undurchsichtiges Ver-tragswirrwarr, welches vor allem hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet wurde. Dass die Großen der Unter-haltungsbranche hier massive Lobbyarbeit ausübten, ist ein allenfalls offenes Geheimnis.Im Großen und Ganzen wür-de es z. B. im Internet spürba-re Auswirkungen haben. Denn das heute so beliebte An-schauen, Hören und Herunter-laden von Musik und Videos wäre dann nicht mehr so ein-fach möglich. Denn die Inter-netprovider, also die, die den Zugang ins Internet überhauptermöglichen, sollen für die Handlungen ihrer Nutzer haft-bar und verantwortlich ge-macht werden. In ihrem ei-genen Interesse müssten sie

dann den Datenverkehr einge-hend überwachen. ACTA geht aber noch viel weiter. Auch die Verwendung soge-nannter Generika, also wirk-stoffgleiche Medikamen-te, die schon unter (teurem) Namen auf dem Markt sind, würde mittels ACTA weiter eingeschränkt werden. Die Verwendung von Medikamen-ten gegen Aids, z. B. in afrika-nischen Ländern würde teurer und schwieriger werden.Dabei steht ACTA in einer Reihe von Abkommen, die in den letzten Jahren getrof-fen wurden oder zumindest angedacht waren. Prinzipi-ell regelt die »Welt der Paten-te« und deren Durchsetzung schon TRIPS (Übereinkom-men über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geis-tigen Eigentum), das aber zu-mindest Möglichkeiten offen lässt, was eben z. B. gerade genannte Generika angeht. ACTA hätte dies zementiert. Auch in den USA speziell gab es in den letzten drei Mona-ten glühende Proteste und Debatten über zwei Geset-zesvorhaben namens SOPA und PIPA. Auch hier sollte die Freiheit im Internet zugunsten von Rechteinhabern (also der Unterhaltungsbranche) ein-geschränkt werden. Teils mit drakonischen Strafen, selbst bei »leichten« Vergehen, wie das Vergessen einer Namens-nennung bei Fotos. Der Sturm der Entrüstung, der im Winter zur 24-stündige Abschaltung großer populärer amerikani-scher Webseiten (z. B. Wiki-

pedia) führte, hatte aber Er-folg. SOPA und PIPA stehen vorerst nicht mehr zur Debat-te. Im Moment weht der Wind auch scharf gegen ACTA, das

im Gegensatz zu diesen natio-nalen Vorstößen ein weltweit gültiger Vertrag sein soll. Ob sich das Blatt noch einmal für ACTA wendet, ist dabei im Mo-ment schwer abzusehen.Jedenfalls hat ACTA einmal

mehr gezeigt, dass Mobilisie-rung im Internet immer größe-re Ausmaße erreicht und eben auch genutzt wird. Vorbei die Zeit, in der das Netz ein seltsa-mes neues Medium war, dass niemand so richtig verstand‘.

Heute streiten dessen Nutzer für die Freiheit und Unabhän-gigkeit - gegen Überwachung und Zensur. Und gehen dafür nun auf die Straße. Richtig so!Gregor Henker

Ach, was wäre die Linke oh-ne Brecht und Eisler! Fraglos vorhanden, aber wohl nicht so bunt und belebt. Musik stiftet Identität, und die politische Linke kann stolz sein auf ein riesiges Kaleidoskop an eige-nem Liedgut, das sie mensch-licher, emotionaler und zuwei-len grimmiger wirken lässt als die oft kalten Technokraten der Gegenseite. Großen An-teil haben die beiden eingangs Erwähnten, die uns – der eine dichtend, der andere kompo-nierend – mit zahlreichen im-merfort aktuellen (Kampf-)Liedern ausstatteten. Den-ken wir etwa an Anmut spa-ret nicht noch Mühe, das prächtig als deutsche Natio-nalhymne geeignet wäre, an das Einheitsfrontlied, oder an den herrlich bissigen Kälber-marsch, die demaskierende Verballhornung des faschisti-schen Horst-Wessel-Liedes.

Ein solches Werk entstand auch 1933, als Eisler Brecht im dänischen Exil besuchte. Es kündet »von der beleben-den Wirkung des Geldes« und ist heute vor allem durch die Interpretation von Gisela May bekannt. Man fühlt sich davon unweigerlich an jene Tragödie erinnert, die sich gerade in Eu-ropa abspielt: Die schleichen-de Kolonialisierung Griechen-lands, angeführt von Merkel und Sarkozy. Eine ganze Volkswirtschaft verkümmert schrittweise, haucht ihr Leben aus – warum? »Ach, sie gehen alle in die Irre/Die da glauben, dass am Geld nichts liegt./Aus der Fruchtbarkeit wird Dürre/Wenn der gute Strom versiegt«. Trocken ist er schon lang, der Strom, das Damo-klesschwert der Staatsplei-te schwebt über dem ganzen Land. Mehr noch: Unter dem Druck der EU wird der Sozial-

staat abgewickelt, Kaufkraft zerschlagen, öffentliches Ei-gentum verscherbelt. Krawal-le werden häufiger: »Vater, Mutter, Brüder: alles schlägt sich! Sehet, der Schornstein, er raucht nicht mehr!«. Die Fol-gen spüren die Griechen hart: »So ist‘s auch mit allem Guten und Großen. Es verkümmert rasch in dieser Welt./Denn mit leerem Magen und mit blo-ßen/Füßen ist man nicht auf Größe eingestellt«. Die Griechen aber brauchen die Wiederbelebung, und das geht nicht ohne Geld. Die Troi-ka aus EU, IWF und EZB darf sie nicht weiterhin daran hin-dern, eigenes zu verdienen – fremdes Kapital macht ab-hängig. Für die Griechen ist die Welt derzeit jedenfalls »ei-ne kalte Welt«, wie Brecht und Eisler wohl dazu sagen wür-den. Und aus Kälte folgt Er-starrung. Kevin Reißig

Geld ist Leben

Prosa und Lyrik, Gesell-schaftspolitik und Fußball, Diktatur und Demokratie – die Literaturszenen in Polen, der Ukraine und Belarus verspre-chen neue Namen, spannende Themen und bewegende Ge-schichten. Zur Leipziger Buch-messe präsentieren vom 15. bis 18. März junge Wilde und preisgekrönte Routiniers erst-mals den Programmschwer-punkt »tranzyt. Literatur aus Polen, der Ukraine und Bela-rus«. »Mit ‚tranzyt’ wollen wir gemeinsam mit unseren Part-nern den Blick auf diese weit-gehend unbekannten Litera-tur-Landschaften schärfen«, meint Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse. Wie gehen Schriftsteller mit den historischen Ereignissen und den teils dramatischen, politischen Entwicklungen um? Welche Aufgaben kom-

men Autoren und Künstlern in der Diskussion über die Zivil-gesellschaften gegen einen al-les beherrschenden Staat zu? Wie können die Künstler als Kreative jenseits der jewei-ligen Landespolitik wahrge-nommen werden? Unterschei-den sich Prosa oder Lyrik aus diesen drei Ländern voneinan-der oder vom Rest der Welt? In 20 Veranstaltungen geben 32 Autoren aus Polen, der Uk-raine und Belarus Antworten auf diese Fragen. Dazu gehö-ren Joanna Bator, Sylwia Chut-nik, Piotr Siemion und Andrzej Stasiuk aus Polen sowie Swet-lana Alexijewitsch und Alhierd Bacharewitsch aus Belarus. Insgesamt 2.780 Autoren und Mitwirkende in 2.600 Veran-staltungen kommen zu Euro-pas größtem Lesefest »Leipzig liest« nach Leipzig.

tranzyt. Literatur aus Osteuropa