Gefangenen Info #358

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  • 8/6/2019 Gefangenen Info #358

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    gefangenen infounsere solidaritt gegen ihre repression

    okt./nov. 2010 nr. 358 preis brd: 2 preis ausland: 2,70 www.gefangenen.info

    Schwerpunkt: Interview zuKnastarbeit und -Privatisierung

    Stuttgart: Veranstaltungund Grabbesuch zum 18.10.77

    Russland: KnastsystemRusslands und der Fall Chimki

    das knastsystem

    hat viele gesichter... doch es bleibt immer ein system der unterdrueckung

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    Liebe Leserinnen und Leser,

    weil eine Zeitung wie das Gefangenen Info wegen ihres spezifischen Zuschnittsgrtenteils schwer verdauliche Beitrge aus der Welt der Repression gegenrevolutionre und fortschrittliche Krfte publiziert, mchten wir das Vorwortmit einer guten Nachricht beginnen: Der Berufungsprozess gegen unsere Zei-tung endete mit einem Freispruch. Die Staatsanwaltschaft ist nicht mehr inRevision gegangen, so dass das Urteil nun rechtskrftig ist. Auf Seite 7 habenwir einen Bericht der ProzessbeobachterInnen und einige Auszge aus Solia-

    dressen abgedruckt. Wir bedanken uns nochmals recht herzlich fr die Soli-daritt, die uns aus den Knsten und unserem Umfeld drauen zuteil wurde.

    Nun zu einer Mitteilung an unsere AbonentInnen: Bei mehreren AbonentInnenkam es bei der Zustellung der letzten Ausgabe zu Schwierigkeiten und die ver-schickten Exemplare landeten wieder in unserem Briefkasten. Dafr mchtenwir uns entschuldigen. Deshalb erhalten diese AbonentInnen neben dieser Aus-gabe auch die letzte Ausgabe.In eigener Sache mchten wir berdies mitteilen, dass wir momentan ver-suchen, eine Auswertung der letzten zwei Jahre zu machen. In diesen zweiJahren ist eine Menge passiert und wir haben viele Erfahrungen bezglich desErstellens und des Vertriebs dieser Zeitung gemacht. Eine Auswertung soll unsdabei helfen, das Gefangenen Info besser an die stattfindenden Entwicklungen- seien sie objektiver oder subjektiver Natur - und den tatschlichen Anforde-rungen an eine Antirepressions- und Solidarittszeitung anzupassen. In dieserHinsicht wrden wir auch gerne die Meinung unserer Leserinnen und Lesererfahren. Also wenn ihr uns bei der Entwicklung dieser Zeitung behilflich seinwollt, dann schreibt uns doch einfach.

    In dieser Ausgabe setzen wir den angekndigten Schwerpunkt Knast und Kapi-talismus mit einem Interview fort, das wir mit dem anarchistischen Gefange-nen Thomas Meyer-Falk gefhrt haben. Somit kann das - teilweise doch sehrabstrakt erscheinende - Themenfeld durch einen authentischen Beitrag mitkonkreten Erfahrungswerten aus einem deutschen Knast ergnzt werden. Inden kommenden Ausgaben werden wir dieses Thema weiter vertiefen.Einen weiteren Schwerpunkt stellt unsere gelaufene Kampagne zum 18. Oktober1977 Nulla finito! Nicht ist vorbei! dar. Bereits in der letzten Ausgabe hattenwir dieses angekndigt. In dieser Nummer dokumentieren wir mit einem Bei-trag die Aktivitten und die solidarischen Reaktionen aus dem In- und Ausland.

    Zu den laufenden 129b-Prozessen in Dsseldorf mchten wir noch mitteilen,dass das Verfahren gegen Cengiz, Nurhan und Ahmet laut Informationen nochim Dezember diesen Jahres enden wird. Die angeklagten GenossInnen habenmitgeteilt, dass sie vor dem Ende des Verfahrens noch Schlussworte verlesenmchten. Achtet diesbezglich auf Ankndigungen.Der internationale Teil dieser Ausgabe besteht hauptschlich aus Gastbeitr-gen. Wir mchten uns bei den Genossinnen und Genossen bedanken, die unsdiese Beitrge zugesandt haben. An dieser Stelle mchten wir nochmals dazuaufrufen, sich an den anstehenden Mobilisierungen und Aktionen fr die Ge-fangenen zu beteiligen. Ausdrcklich mchten auf die Mumia-Demo in Berlinam 11. Dezember verweisen und die Dringlichkeit in diesem Fall unterstreichen.

    Wie in jeder zweiten Ausgabe ist auch in dieser wieder eine aktualisierte Li-ste der politischen Gefangenen aus dem deutschsprachigen Raum abgedruckt.

    Schreibt ihnen, informiert sie ber die Entwicklungen drauen und bezieht siein eure Kmpfe ein!

    In diesem Sinne:Drinnen und drauen - ein Kampf!

    Die Redaktion

    Das Gefangenen Info ist aus dem Angehrigen Info hervorgegangen, welches im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989 als Hungerstreik Info entstand.HerausgeberInnen: Netzwerk Freiheit fr alle politischen Gefangenen und FreundInnen.V.i.S.d.P.: Wolfgang Lettow c/o Gefangenen Info, Stadtteilladen Lunte e.V., Weisestrae 53, 12049 BerlinNichtredaktionelle Texte spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Beitrge der Redaktion sind entsprechend gekennzeichnet.Bestellungen (Inland): Einzelpreis: 2. Ein Jahresabonnement kostet 25,20 (Frderabo 28,00), Buchlden, Infolden und sonstige Weiterverkufer erhalten bei Bestel-lungen ab 3 Stck 30% Rabatt. Bei Bestellungen erhalten Sie eine Rechnung, die anschlieend auf das Konto des Gefangenen Info zu berweisen ist.

    Bestellungen (Ausland): Einzelpreis: 2,70. Ein Jahresabonnement kostet 28,40 (Frderabo 31,20), Buchlden, Infolden und sonstige Weiterverkufer erhalten beiBestellungen ab 3 Stck 30% Rabatt. Bei Bestellungen erhalten Sie eine Rechnung, die anschlieend auf das Konto des Gefangenen Info zu berweisen ist.Anschrift: Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen, Lunte e.V., Weisestrae 53, 12049 Berlin, Redaktion: [email protected], Vertrieb: [email protected]: Gefangenen Info, Konto-Nr.10382200, Bankleitzahl: 20010020, Postbank HamburgEigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist die Zeitung solange Eigentum der/des AbsenderIn, bis es den Gefangenen ausgehndigt worden ist. Zur-Habe-Nahme ist keine Aushndigung im Sinne des Vorbehalts. Wird das Info den Gefangenen nicht persnlich ausgehndigt, ist es der/dem AbsenderIn mit dem Grundder Nichtaushndigung zurckzuschicken.

    e-mail: [email protected] homepage: www.gefangenen.info

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    vorwort inhalt dieser ausgabe

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    Schwerpunkt

    Interview mit Thomas Meyer-Falkzu Knastarbeit und -Privatisierung

    Inland

    No Justice No PeaceDer Tod von Dennis J. und seine Folgen

    Gegen die Verfolgung des kurdischenWiderstandes

    Aktivitten zum 18.10.77 in Stuttgart

    Freispruch fr das Gefangenen Info

    Finger weg von unseren Lden!

    International

    Marco Camenisch bei Nacht und Nebelverlegt

    10 Jahre Knast gegen die engagierteAnwltin Lynne Stewart

    Jetzt nur nicht die Wut verlieren!Aufruf zur Mumia-Demo in Berlin

    Zum Knastsystem Russlandsund dem Fall Chimki

    Zur Situation der Gefangenenin Griechenland

    Menschenrechtsaktivist in Oaxaca

    (Mexiko) von Regierung bedroht

    Zu den jngsten Knastkmpfen inNordirland

    Gefangene

    Brief von Nurhan Erdem

    Brief von Faruk Ereren

    Brief von Tommy Tank

    Brief von Gnter Finneisen

    Gefangenenadressen

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    Gefangenen Info: Hast du schon mal im

    Knast gearbeitet? Wenn ja, was?

    Thomas: Produktive Arbeit kam fr michnicht in Frage, denn hier im Gefngnisgeht es um Zwangsarbeit (so nennt esselbst das deutsche Grundgesetz in Artikel12). Vorbereitung auf ein Leben als eiige

    Arbeitsbiene, die zu mglichst niedrigemTarif ihre Arbeitskraft verkauft.Demgem lehnte ich es auch whrendmeiner Zeit, als ich in Bruchsal in Isohaftsa (1998 2007) ab zu arbeiten. Erstwollte man mir eine Nachbarzelle als Ein-zelarbeitsplatz herrichten, spter sollte ichtagsber in einen Minibetrieb mit 3-5 an-deren gefhrlichen Gefangenen, um dortAkkordarbeit zu verrichten.Als Konsequenz fr die Arbeitsverweige-rung wurden mir Taschengeld und Fern-seher vorenthalten; Beides nicht wirklichein Verlust (wobei ich als Nichtraucher essicher leichter hatte als jemand, der stark

    raucht. Tabakwaren, wie alle anderenNahrungs- und Genussmittel muss manim Knast vom erarbeiteten Lohn oder ebenvom Taschengeld zahlen. Aber wo kein Ta-schengeld und kein Lohn, dort auch keinesolche Sachen).Seit die Isohaft im Mai 2007 aufgehobenwurde, habe ich erst einen EDV-Kurs be-sucht, 2008 dann einen Lageristen-Lehr-gang der DEKRA absolviert und 2010 er-neut einen Computerkurs. Die Lehrgngefanden allesamt in den Schulrumen derAnstalt statt, mussten selbst bezahlt wer-den (bzw. es el ein Eigenanteil an: 210Euro fr den EDV-Kurs und ber 500 Euro

    fr den DEKRA-Kurs), dafr wurde mandann whrend der Dauer der Lehrgngegefngnisblich entlohnt, d.h. so als wrdeman in einem Betrieb arbeiten.Jetzt ab Herbst 2010 ist eine Ausbildungzum Mediengestalter (Dauer 3 3 Jah-

    re) geplant; da ich danach kaum entlassenwerde, da ab 2013 Sicherungsverwahrungnotiert ist, knnte ich spter noch das Ab-itur machen, um dann im Rahmen einesFernstudiums (Fernuni Hagen) weiter zulernen.Wenn schon im Knast, dann sollte derMensch etwas fr seine Bildung tun. Der

    Bildungsbereich ist zudem nicht so ele-mentar von nanziellen Krzungen be-troffen, zumindest in Bruchsal, wie der Ar-beitsbereich. In letzterem wurde in jngsterZeit radikal gekrzt. Baden-Wrttembergmchte ber 2 Millionen Euro bei den Ge-fangenenlhnen sparen. Das geht nur aufdem Rcken und auf Kosten der Insassen.Eine Methode ist die Neubewertung vonArbeitspltzen; man stuft sie schlicht in derBezahlung runter.Wo im Vormonat noch 1,40 Euro / Stundegezahlt wurde, bekommt mensch pltzlichnur noch 1,20 oder 1,15 Euro / Stunde.Oder die frher blichen Leistungszuschl-

    ge von bis zu 30 %. Diese wurden radikaleingeschmolzen, so dass nun maximal 7,5% gewhrt werden drfen.Mitgefangene dazu zu bewegen sich frelementare Rechte als ArbeiterInnen ein-zusetzen ist eine groe Herausforderungund selten von Erfolg gekrnt. Selbst re-formistische Mittel wie Beschwerden sindden Allermeisten schon viel zu wagemutig.

    GI: Was hat die JVA fr Mittel um den Ar-

    beitszwang durchzusetzen?

    Thomas: Krperlich durchsetzen kann dieJVA den Arbeitszwang nicht, wie berhaupt

    krperliche Repression durch psychischeZwangsmittel abgelst wird, im Vergleichzu frher. Heute kann die JVA durch dieAnordnung von so genannten Disziplinar-manahmen versuchen die Arbeitspichtdurchzusetzen, z.B. Arrest, Entzug von

    Radio und TV, Verbot Briefe zu schreibenund zu empfangen. Alles zeitlich immerbefristet, nur ist laut Rechtsprechung auchdas wiederholte Anordnen von solchenManahmen mglich, wenn jemand auchweiterhin die Arbeitsaufnahme verweigert.Wer die Arbeit verweigert bekommt auchkein Taschengeld (entspricht in etwa derSperrzeit, wie man sie drauen in Freiheitkennt, wenn man das ALG II gestrichen er-hlt). Je nach Anstalt kommen auch isola-tionshnliche Manahmen hinzu: Die Zellebleibt 23 h / Tag geschlossen, gesonderterHofgang, keine Mglichkeit mit anderenGefangenen an Freizeit / Sportgruppenteilzunehmen, etc...Zudem knnen auf die Gefangenen Rech-nungen zu kommen von circa 400 Euro imMonat fr Kosten und Logie, sprich Haft-kosten! Verschuldete Gefangene kom-men dann mit noch mehr Schulden ausdem Knast als sie rein kamen. ZumindestBaden-Wrttemberg hat insoweit mal wasVernnftiges gemacht und beschrnkt die

    Geltendmachung von solchen Haftkostenauf jene Flle, in welchen Gefangene Zin-seinnahmen oder Mieteinnahmen erzielen,also vermgend sind. Alle anderen Betrof-fenen werden nicht in Anspruch genom-men.Da die Anstalten nur eine Minimalver-sorgung bieten, sind Gefangene letztlichgezwungen zu arbeiten, denn sonst kn-nen sie sich weder Tabak, Kaffee, nochirgendein Duschgel leisten.

    GI: Drauen steht es (noch) den Men-

    schen zu sich dort wo sie arbeiten gewerk-

    schaftlich zu organisieren? Trifft das auf

    Gefangene auch zu?

    Thomas: Inhaftierte sind nach den Vorstel-lungen dieses Staates im Regelfall keineArbeitnehmer im Sinne der einschlgigenBestimmung (sieht man von dem Spezi-alfall ab, dass jemand im offenen Vollzugsitzt und in Freiheit arbeiten gehen kann).Deshalb hat auch der DGB schon 1997 aufAnfrage mitgeteilt, dass es schwierig seiMitglied einer Gewerkschaft zu werden,gerade weil man kein Arbeitnehmer (ist),wenn im Rahmen der Anstaltsgewalt Ar-beit geleistet werde. Dies korrespondiertmit einer Mitteilung des Ministeriums fr

    Arbeit des Landes Baden-Wrttembergvom 23.08.2010, in welchem ausdrcklicheine Diskriminierung behinderter Gefan-gener bestritten wurde, wenn diesen denfreien BrgerInnen (gem. 125 SGB IX)zustehende Zusatzurlaub fr Behinderteverweigert werde.Soweit mir bekannt hat es noch keineernstlichen Versuche gegeben eine bun-desweite Gewerkschaft fr Gefangene zugrnden. Letztlich knnte eine rechtlichwirksame Grndung an dem nach herr-schender Meinung fehlenden Arbeitneh-merstatus der Gefangenen scheitern.Losgelst von dieser rechtlichen Dimensi-

    on ist es keiner Gefangenenhilfsorganisa-tion oder auch Einzelpersonen untersagt,sich gegen Zwangsarbeit einzusetzen oderdie Arbeitsbedingungen im Gefngnis an-zuprangern. Neben durchaus sinnvollenAktivitten im Gefngnis (wie Ausbildung,

    Interview mit Thomas Meyer-Falkzu Knastarbeit und -privatisierung

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    Schule, Studium) gibt es nmlich nach wievor stupide Akkordarbeit unter teils bekla-genswerten Umstnden.

    GI: Was fr Arten von Arbeit mssen Ge-

    fangene so im Knast verrichten?

    Thomas: Die in den Knsten von Inhaf-tierten abverlangten Arbeiten hneln sicheinerseits, andererseits gibt es auch vonKnast zu Knast teils erhebliche Unter-schiede.So ziemlich in jedem Gefngnis gibt es dieso genannten Eigenbetriebe: d.h. Kche,Wscherei, welche primr zur Versorgungder Mitgefangenen ttig sind. Dann gibt esdie Schnzer / Kalfaktoren / Hausarbeite-rInnen, sprich jene, die das Essen an dieGefangenen verteilen, die Flure und Be-amtenbros putzen (und die in den Augender Justiz ganz besonders zuverlssigsein mssen, deshalb unter dem General-verdacht der leider allzu oft begrndet ist

    der Spitzelei stehen).In den Arbeitsbetrieben der Gefngnissereichen die Arbeiten von stupider Akkord-arbeit: es mssen z.B. Metallwerkstckeim Akkord entgratet, Einbanddecken ge-falzt, Teppichmusterkataloge mit Teppich-stcken beklebt, Spielzeugteile sortiert,Kugelschreiber montiert werden und hn-liches mehr, bis hin zu qualizierten hand-werklichen Arbeiten. Ob Schreinereien,Buchbindereien, Flechtereien, kaum einHandwerk, welches nicht in irgendeinerAnstalt vertreten ist. Mitunter knnen dannauch regulre Ausbildungen absolviertwerden, die mit einem Gesellenbrief ab-schlieen.

    Von Sabotageakten liest man selten. Sogenannte Schlechtleistung (Unterschrei-tung des Arbeits-Solls) wird in vielen Ge-fngnissen disziplinarisch geahndet. Wererwischt wird, wie er einen Penis in ein vonder JVA-Druckerei hergestelltes Strafvoll-zugsgesetzbuch malt (so geschehen imSommer 2010 in Bruchsal) wird sofort vonseinem Arbeitsplatz abgelst (in Freiheitwrde man es fristlose Kndigung nen-nen).GI: Welche Firmen stecken hinter den Ar-

    beitsbetrieben? Wer proftiert von der Aus-

    beutung der Gefangenen und wie funktio-

    niert das?

    Thomas: Konkrete Firmennamen sind mirgerade nicht prsent, zumal die Vollzugs-anstalten durchaus bemht sind diese nichtan die groe Glocke zu hngen. Aber manndet z.B. Firmen, die Teppichmusterka-taloge in den Anstalten herstellen lassen;Firmen, die Kinderspielzeug herstellen undin den Anstalten z.B. fr Spielzeugpuppendas Zubehr sortieren, eintten und ver-schweien lassen. Aber auch - das kannich aus eigener Erfahrung berichten Be-hrden und Gerichte, die Formulare in denKnsten produzieren lassen. Nicht nur dru-

    cken, sondern von den Mediengestalter-Auszubildenden setzen, Druckplatten her-stellen und dann drucken lassen. Selbstdie Polizei nutzt diese Gefangenenarbeit;aktuell die Bereitschaftspolizei Gppingen,die ein Formular fr PolizeibewerberInnen

    hat korrigieren lassen.Wer hier den Prot macht ist nicht leicht zusagen. Manche sagen spontan: der Knast!Rechnet man die Kosten der Gefangenen-lhne, der Gehlter der Wrter und die Ko-sten fr die Arbeitsmaterialien zusammenund stellt dem die Einnahmen gegenber,verbleibt je nach Betrieb sicherlich ein Ge-winn. Sobald jedoch die Kosten fr dengesamten Knast, die Baukosten, wie auchdie Gehlter der anderen Beamtinnen undBeamten, wie der Pensionisten einkalku-liert werden, ist auch Knastarbeit fr dieVollzugsanstalten nicht wirklich protabel.Manche Auftraggeber protieren sicherlichvon den nicht immer marktgerechten Prei-sen der Anstalten; so beklagen mitunterz.B. freie Buchbinder oder Druckereien dieKnastkonkurrenz. Wirklichen Prot drftennoch am ehesten Firmen wie Ktter ma-chen, die teilprivatisierte Anstalten bauenund betreiben, oder Firmen wie um zweiBeispiele zu nennen Massak LogistikGmbH (http://www.massak.de ) und TelioCommunications GmbH (http://www.telio.de ), welche Leistungen direkt an Inhaf-tierte verkaufen (Massak: Lebensmittelund Kleidung; Telio: Telefondienstleistungund TV-Empfang), die hierfr mit ihremhart erarbeiteten krglichen Lohn bezah-len.

    Versteht man den Begriff Prot rechtweit, dann protiert sicherlich die jeweiligeAnstalt, mithin der Justizhaushalt und so-mit der / die SteuerzahlerIn davon, dassGefangene keinen wirklichen Lohn erhal-ten, sondern nur 9% des Durchschnittsver-dienstes der ArbeiterInnen / Angestellten.

    Das ist jedoch kein tatschlich vorhan-denes Geld, welches in irgendwelche Ta-schen iet.Und was die Ausbeutung angeht auchich verwende den Begriff, aber es gibt si-cher Gefangene, auf die passt er nicht. Diesind sogar stolz darauf, wenn sie (wie obenangedeutet) fr Staatsanwaltschaften unddie Polizei Auftrge erledigen drfen. Kei-neswegs Menschen mit beschrnktem Ho-rizont, sondern aus tiefstem Herzen stolz!

    GI: In welchem Zusammenhang steht das

    bisher gesagte mit der Privatisierung von

    Knsten?

    Thomas: Provokant gesagt ist es mir per-snlich erst einmal egal, ob mir ein privati-sierter Wrter die Zelle auf und zu schlietoder einer, der sein Gehalt direkt von derJustiz bezieht. Darin liegt jedoch keine

    Bagatellisierung der Tendenzen der Pri-vatisierung im Bereich Strafvollzug, dennwie man exemplarisch an Verhltnissen inden USA oder Grobritannien sehen kann,bedeutet Privatisierung in aller Regel eineunmittelbare und sprbare Verschlechte-rung der Lebensbedingungen fr die Ge-fangenen (ironischer Weise auch fr dieWrterInnen, denn die Lhne, die im pri-vaten Gewerbe bezahlt werden, weichenerheblich nach unten ab im Vergleich zuden Beamtengehltern).Das Diktat der konomie bestimmt alleLebensbereiche in unserer Gesellschaftund somit zwangslug auch den SektorKnastwirtschaft; wer sich als Privatunter-nehmen in diesem Bereich engagiert,hat letztendlich eine Lizenz zum Gelddru-cken, denn die Justiz sorgt zuverlssigdafr, dass die Kundschaft niemals ausgeht und der Staat ist solventer Schuldner,wenn es darum geht die Proteure zu be-zahlen.Ich denke, der Begriff der Privatisierungsollte weiter gefasst werden als es die Fra-gestellung vorgibt, denn neben der recht-lichen Privatisierung ganzer Knste oderTeilbereichen davon ndet schon heuteeine Art der Privatisierung in Richtung derGefangenen statt. In dem man ihnen Ko-sten auferlegt fr ganz selbstverstndlicheDinge, die noch vor einiger Zeit oder vorwenigen Jahren kostenfrei erhltlich wa-ren. Gab es z.B. in Bruchsal frher mor-gens ein Kaffeeersatzgetrnk, am Wo-chenende auch mal Kakao und abendsTee, wurde in einer ersten Stufe diese Aus-gabe gestrichen und es wurde an alle Kaf-feeersatzpulver (Malzkaffee) ausgegeben,

    bzw. man erhielt Teebeutel. Seit Neuestembekommen nur noch bedrftige Insassenderartiges ausgehndigt. Stromkosten?Wurden frher nicht angesetzt, heuteschon. Mit Radio / Fernseher / Lampe undvielleicht noch einem Wasserkocher undeiner Spielkonsole ist man gleich mit fast 8Euro Stromkosten pro Monat dabei.Einerseits wird einem die Bewegungsfrei-heit entzogen, andererseits soll man dafrdann auch noch bezahlen, es sei dennman setzt sich bei (kaltem) Wasser ausdem Wasserhahn in eine leere Zelle undlebt in absoluter Askese.Zusammenfassend kann also festgehal-

    ten werden: Verlierer der Privatisierungs-tendenzen sind neben den Gefangenen,deren Familien auch Bedienstete und derStaat hchst selbst. Gewinner (die gro-en Gewinner!) sind die Privatrmen, siescheffeln die Gewinne, bei minimalem Ri-siko und hchstmglicher Rendite.

    GI: Abschlieend bleibt die Frage, was fr

    Mglichkeiten fr die Inhaftierten bestehen

    sich zu organisieren und fr ihre (auch

    konomischen) Rechte zu kmpfen? Und

    wie knnte mensch dies von drauen un-

    tersttzen bzw. die Kmpfe von drinnen

    und drauen verbinden?

    Thomas: Die Mglichkeit sich zu organi-sieren besteht auch fr Gefangene, gleichwohl in der Praxis mannigfache Herausfor-derungen zu bewltigen sind.Zum einen die Versuche der Anstalten

    (entnommen aus der Internetprsenz vonMassak Logistik)

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    jeglichen Versuch sich zu organisierenzu unterbinden. Schon eine simple Unter-schriftensammlung fr eine Petition kannzu energischen Reaktionen fhren. Hierbedarf es einfach einer gewissen Hartn-ckig-, ja, Verbissenheit der Gefangenenund auch die Bereitschaft Nachteile inKauf zu nehmen. Denn wenn die Justizsieht, dass offene Repression zum Schei-tern verurteilt ist, agiert sie subtiler: Sie

    wollen doch bestimmt mal in den offenenVollzug, oder Ausgang, Urlaub,...?.Zum anderen muss man realistischerwei-se feststellen, dass ein Groteil der Ge-fangenen mit dem Spatzen in der Handzufriedener sind, als mit der Aussicht aufdie Taube, die weit entfernt auf dem Dachsitzt. Sprich, das monatliche Einkommen,sei es auch noch so karg, ist ihnen lieber,denn auf Tabak und Kaffee wollen sie nichtverzichten, als die Aussicht vielleicht, ir-gendwann einmal mehr Lohn und bessereBedingungen zu erhalten. Und noch reichtder Lohn zur Deckung der elementarstenTabak- / Kaffeebedrfnisse.

    Wichtig ist jene Insassinnen und Insassen,die bereit sind sich aus dem Fenster zu leh-nen durch Post, aber auch ffentlichkeits-arbeit zu untersttzen, neben politischem,auch mit notwendigem juristischen Mate-rial zu versorgen, gegebenenfalls auch

    Anwltinnen / Anwlte einzubinden, dennmitunter reagieren Anstalten mit Kontakt-verboten, wenn sie die Sicherheit undOrdnung bedroht sehen. Mit einer Vertei-digerin / einem Verteidiger jedoch kannkein Gefngnis den Briefwechsel verbie-ten. Auch wenn ich aus Grnden, die hierkeine Rolle spielen sollen, mit dem Initiatorder Interessenvertretung Inhaftierter, Pe-ter Scherzl, keinen Kontakt mehr habe, so

    zeigt sich doch, dass die I.V.I. Einiges anOrganisationsgrad erreichen konnte undwenn Scherzl nicht so hartnckig wre,gbe es die I.V.I. Lngst nicht mehr.Teile und herrsche, ein auch im Strafvoll-zug praktizierter Grundsatz, der ganz ge-zielt seitens der Anstalten zur Anwendungkommt: dem einen Gefangenen wird etwaszugestanden, was dem Anderen verwehrtwird, der Eine bekommt bestimmte Infor-mationen zugespielt, der Andere nicht.Dann gewhrt man mal wieder irgendeinemarginale Vergnstigung oder droht damitbestehende Vergnstigungen zu strei-chen. Bis in deutschen Gefngnissen, so

    das durchaus bittere Resmee, ein Zu-stand erreicht sein wird, wo Gefangene mitder Faust auf den Tisch schlagen und ru-fen: So nicht! und sich organisieren undaktiv wehren, wird wohl noch einige Zeitvergehen.

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    Thomas Meyer-FalkThomas Meyer-Falk sitzt seit 1996 aufgrundeines Bankberfalls in Haft. Das Geld, was erenteignen wollte, sollte legalen und illegalen

    linken politischen Projekten zu Gute kommen.Das Interview fhrten wir mit Thomas bereinen lngeren Zeitraum per Briefwechsel.Ziel des Interview ist es einen Einblick in dasThemenfeld Knast und Arbeitszwang und dieRolle der Privatisierung zu schaffen.

    Nachrichten aus demStrafvollzug

    ISBN: 978-3-941552-04-3Preis: 9,90 Euro

    Blumige Worte gehren nichtzu seinem Repertoire. Tho-mas Meyer-Falk sitzt seit 1996im Gefngnis, davon mehr als

    10 Jahre in Isolationshaft. Die eingeschrnkteKommunikation, die in vielerlei Hinsicht feh-lenden Sinneseindrcke und die stndigen Aus-einandersetzungen fr den Erhalt kleinster indi-

    vidueller Freiheiten haben seinen Blick auf dasWesentliche geschrft. In seinen Essays undGedichten beschreibt Thomas Meyer-Falk eineWelt, die erstaunliche Parallelen zu unserem ei-genen Alltag aufzeigt.Abseits von Schuld, Reue und Shne bezieht

    dieses Buch klar Stellung zu aktuellen Entwick-lungen in den Justizvollzugsanstalten. Im Zugeder Diskussion um eine Ausweitung der Siche-rungsverwahrung sollte auch der Standpunktder Inhaftierten Bercksichtigung nden. Tho-mas Meyer-Falk zeigt die Kehrseite der Medail-le. Auch wenn es einigen Leuten nicht passt

    Anzumerken bleibt, dass Thomas inzwischenseine Ausbildung zum Mediengestalter abge-brochen hat. Grund hierfr ist unter anderemder Umstand, dass die Gefangenen im Rah-men ihrer Ausbildung Auftrge fr die Justiz

    erledigen zu haben, wie beispielsweise For-mulare fr Gerichte und Polizei herstellen.Ich halte es fr skandals und mich machtes wtend, wenn Gefangene an ihrer eigenenInhaftierung mitwirken. Ob es nun jene Insas-sen sind, die die Zellen-Fenstergitter schwei-en, die Kghfe fr gefhrliche Insassenherstellen oder die mithelfen Haftbefehle undPapiere fr Polizeibehrden zu produzieren.Hierin liegt meines Erachtens auch ein stck-weit Erniedrigung: Selbsterniedrigung, aberauch seitens der Justiz gegenber den Ge-fangenen. (Thomas Meyer Falk - Ausbildungim Knast?! Keine Alternative!)

    Weitere Informationen zu Thomas auf:www.freedom-for-thomas.de

    Schreibt den Gefangenen!Thomas Meyer-Falk, JVA Bruchsal, Z. 3117,Schnbornstrae 32, 76646 Bruchsal

    Zur Person Thomas Meyer-Falk

    Buchtip

    Berlin: Am 13. Oktober hatder Bundesrat einen Ent-wurf zur Verschrfung der 113 und 114 des StGBsbeschlossen. Dieser siehtvor, das Strafma bei Wider-stand gegen Vollstreckungs-

    beamte von bis zu zwei aufbis zu drei Jahre Haft zuerhhen. Zudem sollen Feuerwehr- und Ret-tungskrfte in den Schutz mit einbezogenwerden. Darber hinaus wurde der 2. Absatzdes 113 so ergnzt, dass das Mitfhreneines anderen gefhrlichen Werkzeugesals besonders schwerer Fall von Widerstandgegen Vollstreckungsbeamte bewertet wird.(red.)

    Schwalmstedt: In der JVASchwalmstedt traten bei-nahe 20 Inhaftierte vom 1.November in einen Hunger-

    streik, der bis zum Redak-tionsschluss noch andau-erte. Mit ihrem Hungerstreikwollten die Inhaftierten derJVA in erster Linie darauf

    aufmerksam machen, dass Hessen auchweiterhin die nachtrgliche Sicherungsver-wahrung fortsetzt obwohl im Oktober derEuropische Menschengerichtshof ein ein-deutiges Urteil gefllt hatte. In der Erklrungder Inhaftierten heit es: Wir Sicherheitsver-wahrten werden derzeit menschenrechtswid-rigen Vollzug von Prventivhaft in Zukunftnicht mehr widerstandslos hinnehmen. (red.)

    Berlin: Am 2. Novemberfand in Berlin-Kreuzbergeine Demonstration gegenNazigewalt und Repressionstatt, an der 1500 Menschenteilnahmen. Anlass fr dieDemo war der Brandan-schlag auf den InfoladenM99 und die beinahe zur

    Routine gewordenen Hausdurchsuchungenin linken Buch- und Infolden. Die Polizei griffmehrmals die Demonstration an. Die Polizeibegrndete ihre brutalen bergriffe mit Ver-sten gegen das Vermummungsverbot. DieDemo wurde aus Rcksicht auf das krper-liche Wohl der Versammlungsteilnehmer_in-nen abgebrochen. (red.)

    Frankfurt: Ein 20 jhrigerMann wurde anfang Sep-tember zu Hause von 2 Ver-fassungsschutz-Mitarbeiternaufgesucht und es entstandein Gesprch ber Kurdi-stan. Die VS-Mitarbeiter wa-ren uerst zuvor kommendund fuhren die Person zu

    seiner Arbeitsstelle, um mit ihm auch darberzu reden, dass der VS ja eigentlich nicht so

    verkehrt sei. Es wurde ein weiteres Treffenvereinbart, das aber nicht zu Stande kam.Knapp einen Monat spter wurde die Personnoch einmal angesprochen woraufhin er kon-sequent jedes Gesprch verweigerte. Lassteuch nicht anquatschen. (red.)

    Kurzmeldungen bundesweit

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    Am 3. Juli 2010 el das Urteil in dem Prozessgegen drei Berliner Polizisten. Die Anklage lau-

    tete: Totschlag an Dennis J. beziehungsweiseStrafvereitelung. Reinhard R., der am 31. De-zember 2008 sein ganzes Magazin auf den 26

    jhrigen Neukllner leer geschossen hatte, be-kam zwei Jahre auf Bewhrung. Mit einer Geld-strafe in Hhe von 10.800 Euro kam der PolizistHeinz S. davon, whrend sein Kollege Olaf B.8.400 Euro zu bezahlen hat. Beide hatten be-hauptet, wegen der Sylvesterknallerei nichtsvon dem Handeln des wtenden Todesschtzenmitbekommen zu haben. Dabei hatte Letzterererklrt, er habe aus Notwehr zum Schutz seinerKollegen geschossen.Mit diesem Urteil wird sowohl die Schuld der Be-amten an dem Tod von Dennis J. anerkannt, alsauch die Tatsache, dass sie ber die Gescheh-nisse gelogen haben. Doch sind die Strafen nursymbolisch. Der Haupttter wird aus dem Poli-zeidienst entlassen werden, sobald das Urteilrechtskrftig ist. Die beiden Mitangeklagten wer-den als Polizisten weiterarbeiten knnen unddie Geldbuen werden schnell abgezahlt sein.Fr den Hauptangeklagten hatte die Staatsan-waltschaft dreieinhalb Jahre gefordert. In ihremPldoyer kritisierte sie den Korpsgeist der Po-lizei, welcher die Aufklrung des Todeshergangsverhindert habe. Das ignorierte der Richter undverhngte ein mildes Strafma von zwei Jah-re auf Bewhrung. Reinhard R. sei besondershaftempndlich, hie es bei der Urteilsverkn-dung, da er in dem Fall einer Haftstrafein dem

    selben Gefngnis sitzen msse, wie die Mnner,die er verfolgt hatte. Die Familie von Dennis J.sieht das Urteil als einenweiteren Justizskan-dal. Whrend des Prozesses sind so viele gra-vierende Pannen aufgetreten, dass sie dessenNeuerffnung verlangt.Ende 2008 hatte Dennis J. zwei Haftbefehle of-fen, wonach er etwa zehn Monate htte sitzenmssen. Aber er wollte nicht in den Knast. Werwill das schon? Zweimal hatte er es geschafft,dem Kommissar Reinhard R., der ihn gesuchthatte, zu entiehen. Am Sylvesterabend 2008hatte Reinhard R. den Tip bekommen, dasssich Dennis J. in Schnie bei seiner Freun-din bendet. Reinhard R. ist daraufhin mit zweiKollegen nach Schnie gefahren. Heinz S.,der mitfuhr, war nicht im Dienst und die Anord-nung, dass solche Festnahmen whrend derFeierlichkeiten am Jahresende keine Prioritthaben, wurde missachtet. Warum? Das bleibtungeklrt. Sicher ist, dass an diesem Abend, andem das Personal knapp ist, die Polizeiwache

    mit einem Team weniger rechnen musste.Dennis J. sei in einem parkenden Auto erwischt

    worden. Die anfahrende Zivilstreife soll wenigeMeter vor ihm angehalten und die Strae blo-ckiert haben. Zwei Beamte seien ausgestiegen.Dennis J. soll anschieend versucht habenwegzufahren. Dabei habe er einen der beidenbeinahe berfahren, weshalb Rainhard R. ge-schossen haben soll. So die ofzielle Version.Davon konnte die Familie von Dennis J. nieein Wort glauben. Eine Woche vor seinem Todhatte sein Schwager einen Anruf von ReinhardR. erhalten, mit eindeutigen Drohungen gegenDennis J., falls er sich nicht stellen wrde. AmTag der Beerdigung protestierten Verwandteund Bekannte von Dennis J. deshalb vor demSitz des Tempelhofer LKSs, damit Ermittlungenerffnet werden. Dennis, das war Mord!, riefensie. Sie knnen es nicht hinnehmen, dass Po-lizisten derart ihre Macht missbrauchen, einen

    jungen Man erschieen, sich hinter der Behaup-tung, es sei Notwehr gewesen, verstecken undDennis J. als Kleinkriminellen oder Intensivtteraus Neuklln in den Mediendarstellen lassen,der es wohl verdient haben muss. Nein! Das hater nciht verdient.Diese Proteste lieen sogar die Staatsanwalt-schaft an der ofziellen polizeilichen Versionzweifeln. Damals sagten selbst Polizisten ffent-lich, dass ein solches Vorgehen bei einer Fest-nahme einfach widerlich ist. Sogar der BerlinerPolizeiprsident erklrte in einem Fernsehinter-view, dass Dennis J. nicht dafr bekannt war,

    bewafffnet zu sein. Warum haben also die Po-lizisten ihre Waffen benutzt? Reinhard R. wurdevon der Staatsanwaltschaft angeklagt, jedochnicht wegen Mordes sondern wegen Totschlags.Dadurch konnten drei Familienangehrige alsNebenklger in das Verfahren einsteigen undhatten damit auch Anspruch auf Akteneinsicht.Anfang Mai diesen Jahres begann der Prozessgegen die drei Polizisten, wohl um klarzuma-chen, wer ohnehin die Macht behlt, auch wenndiesmal drei von ihnen auf der Anklage banksitzen.Am ersten Prozesstag lieen die Angeklagteneine Erklrung vorlesen, die besagte, dass siezwar die Geschehnisse bereuen, dass es aberNotwehr gewesen sei. Mit dieser Aussage konn-ten sie sich auch jeglicher Befragung der Rich-ter entziehen. Das drfen sie machen, so ist dasdeutsche Recht.Zum Tatgeschehen gab es mehrere Zeugen. Gutdie Hlfte von ihnen sind Kinder im Alter von 11bis 16 Jahren. An dem Abend waren sie gegen

    18 Uhr auf der Strae, um Knaller anzuznden.Weit du, dass du mit 14 Jahren schon straf-fhig bist? fragt der vorsitzende Richter einenJungen mit drohender Stimme. Kurz davor wa-ren schon zwei Schwestern befragt worden, dieunter dem Druck ihre Trnen nicht zurckhaltenkonnten. Sie erzhlten, wie es auf der Straeganz ruhig war, als sie ein Knallen hrten. In dieRichtung des Knalls schauend, sahen sie ein

    Auto, das quer auf der Strae stand. An beidenSeiten des parkenden Autos stand jeweils einMann. Dann wurde der Motor des Autos gestar-tet. Es wurde weiter geschossen. Nach einemchaotischen Manver fuhr das Auto an denMdchen vorbei. Sie sahen, wie der Fahrer berdas Lenkrad gebckt war. Einige Meter weiterstt es gegen parkende Autos. Sie wollten demMann zu Hilfe kommen, wurden aber von zweiangeblichen Polizisten zurckgehalten. Dafrlief der Eine zum Auto, machte die Tr auf, stell-te fest, dass Dennis J., den er lange gesuchthatte, tot war und machte ohne weiteres Zgerndie Tr wieder zu. Daraufhin kam eine jungeFrau. Der Zivilpolizist nahm sie in die Arme. Sieweinte und sagte: Das habe ich nicht gewollt.

    Bei der Zeugenbefragung ging es dem vorsit-zenden Richter hauptschlich darum zu klren,ob zu dem Zeitpunkt wirklich keine Knaller zuhren waren. Dies besttigten die Kinder. Demwidersprach aber eine Lehrerin, die direkt ne-ben dem Parkplatz wohnt, wo Dennis J. geparkthatte und die eine Freundin beim BKA hat. DerRichter kam deshalb wohl zu dem Schluss, dassdie Zeugenaussagen sich einfach widerspre-chen und dass der genaue Tathergang nicht zuklren ist.Das sind aber nicht die einzigen Krten, die dieFamilienangehrigen zu schlucken hatten. AmEnde des zweiten Prozesstages kam per Zufallheraus, dass sich der vorsitzende Richter alleinmit den Anwlten der angeklagten Polizistengetroffen hatte, um den Prozessablauf abzu-stimmen. Dabei htte er vllig aus Versehenvergessen, auch die Anwlte der Familie vonDennis J. einzuladen. Ein Sachverstndiger,der beim Prozess mitgewirkt hat, wurde vonden Anwlten der Angeklagten fr ein Gutach-ten privat angefragt. Nicht hinterfragt blieb auchdie Tatsache, dass die Hose von Polizist S.,der hingefallen sein soll, bevor er von DennisJ. beinahe berfahren worden wre, wie frischaus der Reinigung aussah. Die Freundin vonDennis J. konnte vor dem Gericht nicht gehrtwerden. Dabei hatte ihr Vater - ein Polizist - sieals Vermisst gemeldet, um ihr Handy abhrenlassen zu knnen, wie es in den Akten steht.

    Der Experte fr Ballistik erklrte, dass der ersteSchuss, der tdlich war, aus einer Entfernungvon 1,5 Metern abgefeuert wurde. Er betonte,dass Dennis J. die Hnde nicht auf dem Lenkradgehabt haben konnte. Dennis J. sei also nichtnur ein Kleinkrimineller gewesen, sondern auchein Akrobat, so die Justiz, der ohne das Auto-lenkrad zu halten, fahren kann...Am 3. Juli wurden drei Freunde von Dennis J.festgenommen, die ihren Unmut ber das Urteilvor dem Gericht uerten. Am selben Tag wurdeeine Spontandemo auf dem Kottbusser Dammbrutal niedergeknppelt.Gewalt, das sit die einzige Anzwort der Staats-macht, wenn ihr Handeln in Frage gestellt wird.Und anscheinend ihr wahres Gesicht. Rund 15Menschen sterben jedes Jahr in der BRD durchPolizeigewalt. Mesitens werden die Verantwort-lichen freigesprochen.

    (Artikel entnommen aus Randnotizen - Stadt-teilzeitung aus dem Schillerkiez)

    No Justice No PeaceDer Tod von Dennis J. aus Neuklln und seine Folgen

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    Bochum: Nach polizeilichenGewalt Eskapaden am 26.3.und 10.4.2010 in Bochumfanden seit Mitte Septemberbisher fnf Prozesse gegenbetroffene AntifaschistInnenstatt. Die Anklagen lauteten

    auf Widerstand, Krper-verletzung und versuchterGefangenenbefreiung. Ein Prozess endetemit einem Freispruch und einer wurde ein-gestellt. Zwei Prozesse endeten mit Verurtei-lungen zu skandals hohen Geldstrafen (je-weils 1200 Euro und 800 Euro). Eine Personerhielt einen rechtskrftigen Strafbefehl ber450 Euro. (red.) Ausfhrliche Informationengibt es unter: www.ajb.blogsport.de/

    Stuttgart: Am 22. Oktoberfand ein Knastspaziergangzur JVA Stuttgart-Stamm-heim statt. Knapp 50 Leu-

    te beteiligten sich an demSpaziergang und riefen dortParolen. Die Inhaftiertenbemerkten die Solidaritts-kundgebung und ngen

    auch selbst an Parolen zu rufen. Hintergrunddes Knastspaziergangs war unter anderemdie starke Repression gegen kurdische Ju-gendliche. So wurden innerhalb der letztenMonate 18 Personen festgenommen, denendie Beteiligung an einem Angriff auf eine vontrkischen Faschisten besuchte Kneipe vor-geworfen wird (Fr weitere Informationen sie-he Beitraglinks). (red.)

    Hannover: Am 20. Oktoberwurden die Rumlichkeitendes kurdischen Verein Kur-distan-Volkshaus e.V. (MalaGel) in Hannover durch-sucht. Gegen 14 Uhr wurdeder Verein von 60 Einsatz-krften durchsucht. Trotzmehrmaligem Nachfragen

    wurde den anwesenden Personen keinDurchsuchungsbefehl vorgezeigt und mitder Begrndung eines mndlichen Durchsu-chungsbefehls beiseite geschoben. Von denAnwesenden wurden alle die Personalienkontrolliert, vier Personen wurden kurzzeitigauf die Wache mitgenommen. (red.)

    Freiburg: In Freiburg fan-den vom 14. - 17. Okto-ber 2010 linke Aktionstagezur Wohnungspolitik undfr mehr selbstbestimmteFreirume statt. An diesemWochenende wurden ver-schiedene Gebude besetztund es fanden demons-

    trative Kundgebungen statt. ber das Wo-chenende verteilt kam es zu 4 Festnahmen.Auswrtigen wurde ber das Wochenende

    ein Stadtverbot erteilt. Eine Person wurdevon mehreren BeamtInnen auf den Bodengeworfen, in den Rcken getreten und dannweggeschleift. Der Festgenommene lag danneinige Zeit gefesselt regungslos auf dem Bo-den. (red.)

    Kurzmeldungen bundesweit

    Freiheit fr die kurdischen Jugendlichen!Freiheit fr Kurdistan!

    In den letzten Monaten wurden in Stuttgart & Re-gion 18 kurdische Jugendliche verhaftet. Ihnenwird vorgeworfen an einem Angriff auf eine Knei-pe in Nrtingen, die regelmig von trkischenFaschisten besucht wurde, beteiligt gewesenzu sein. Bei dem Angriff wurden 4 Faschistenverletzt. Die Jugendlichen sind nun wegen ver-suchten Mordes angeklagt und stehen ab dem17. Januar 2011 vor Gericht. Gegen eine Personwird nach 129 (Mitgliedschaft / Untersttzungeiner kriminellen Vereinigung) ermittelt.

    Chronologie der Repressionswelle

    Die ersten Verhaftungen in diesem Zusam-menhang fanden bereits Ende Mai, keine zweiWochen nach dem Angriff auf die Kneipe in Nr-tingen statt. Ihren Hhepunkt fand die Repressi-onswelle am 7. Juli im Groraum Stuttgart wur-

    Gegen die Verfolgung deskurdischen Widerstandeshier und berall!

    den beinahe zeitgleich Hausdurchsuchungendurchgefhrt und 8 Personen festgenommen.Danach fanden vereinzelt weitere Verhaftungenstatt. Mittlerweile benden sich nun 19 Jugendli-che in verschiedenen Knsten ber ganz Baden-Wrttemberg verteilt.Neben den Verhaftungen fanden auch zahl-reiche Schikanen statt: eine Person wurde durcheine Namensverwechslung 33 Tage lang ein-gesperrt und Freunde und Bekannte wurden von

    Polizeibehrden am Telefon und vor Ort belstigtund unter Druck gesetzt.

    Das alles lsst darauf schlieen, dass es denRepressionsbehrden dabei um mehr als nurden Angriff auf die Kneipe in Nrtingen geht.Denn durch die hohe Aktivitt der kurdischenCommunity in Stuttgart, sind diese den Staats-schtzern schon seit langem ein Dorn im Auge.Der Angriff richtet sich nicht nur gegen die in-haftierten kurdischen Jugendlichen sondernallgemein gegen die aktive kurdische Linke inStuttgart.

    Untersttzung bekamen die Behrden durcheinen Spitzel, der sich seit 5 Jahren in den

    Reihen der kurdischen Szene in Stuttgart be-wegen soll. Darber hinaus haben zwei derfestgenommenen Personen dem Druck der Po-lizei, den Geldversprechungen und Drohungennicht standgehalten sondern sie haben ihre po-litischen Zusammenhnge, GenossInnen undFreunde verraten und sie durch umfangreicheAussagen dem Staat und der Kriminalisierungausgeliefert.

    Schreibt den Gefangenen

    Die Gefangenen benden sich nun seit mehre-ren Monaten in Untersuchungshaft und wartenauf den Prozessbeginn am 17. Januar 2011. Ei-

    nige sind bereits seit 6 Monaten weg gesperrt.Daher freuen sie sich ber solidarische Greund Post. Wenn ihr ihnen schreiben wollt, nehmtKontakt mit uns auf und wir leiten die Gre unddie Post weiter. [email protected]

    Prozesstermin: 17. Januar 2011 | LandgerichtStuttgart

    Weitere Informationen zum kommenden Pro-zess, zur Verhaftungswelle folgen in den nch-sten Tagen.

    Die Broschre, die in diesem Zusammenhangerstellt wurde, ndet ihr auf:www.political-prisoners.net

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #358

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    seite 3 schwerpunkt inland international dossier gefangene feuilleton kurzmeldungen

    Aktivitten zum18.10.77 in Stuttgart

    Von dem Gefangenen Werner Braeuner ausSehnde an Nulla fnito

    Den Teilnehmenden an der Veranstaltung Nul-la Finito! - Nichts ist vorbei! - RevolutionreGeschichte aneignen und verteidigen! wn-sche ich, die Verbindungen zu nden, welchevon der RAF zu heutigen Kmpfen fhren. Zur

    Kranzniederlegung am 16.10., 12 Uhr, fr fnfim Kampf gegen das zerstrerische WeltunheilKapitalismus umgekommene Angehrige derRoten Armee Fraktion einen Salut aus demKnast, dem innersten Heiligtum von Staat, So-zialdemokratie und Kapital.Holte der Widerstand Luft, wollte er neue Krfteschpfen. Aus den kapitalistischen Metropolendiese Metropole schwchen und so zugleichden weltweiten kapitalistischen Aggressor zuFall bringen.

    Nichts ist vorbei!Venceremos!

    Werner Braeuner

    PS: Da das Original von Werners Gruwort istden Veranstalterinnen abhanden gekommenist, hat er das aus dem Gedchtnis rekonstru-iert. .

    Von den Genossinnen und Genossen frden Aufbau der Roten Hilfe Italien

    Wir ergreifen diese Gelegenheit, um zu unter-streichen, welchen Beitrag die RAF in den 70erund 80er Jahren zur Entwicklung der revolu-tionren Bewegung auf internationaler Ebene

    geleistet hat.Der deutsche Staat hat versucht, den Wider-stand der Gefangenen aus der RAF mit allenMitteln zu brechen, angefangen von der Isola-tionsfolter bis hin zur physischen Vernichtung.Diese jedoch haben immer widerstanden undweiterhin ihre eigene revolutionre Zugehrig-keit/Verstndnis verteidigt, sowohl hinter Git-tern, wie auch im Rahmen der verschiedenenProzesse, die sich gegen sie richteten.(...) Sie hat eine antiimperialistische Politik undPraxis entwickelt, sowie einen neuen proleta-rischen Internationalismus in Solidaritt mitden unterdrckten Vlkern, speziell mit demvietnamesischen und dem palstinensischenVolk. In den 90er Jahren hat die Organisationleider beschlossen, sich einseitig aus der Aus-einandersetzung zurckzuziehen und ihrer ei-genen Erfahrung ein Ende zu setzen.Diese Position wurde von groen Teilen derrevolutionren Bewegung in Europa und vonzahlreichen gefangenen GenossInnen in ver-schiedenen Lndern scharf kritisiert.Wir denken, dass es notwendig ist, Lehren ausden positiven wie auch negativen Aspekten zuziehen, die die Geschichte der RAF charakte-risiert haben, um Schritte vorwrts machen zuknnen im Aufbau einer revolutionren Per-spektive, die die einzige Mglichkeit ist, um ausder Barbarei des Kapitalismus zu entkommen.Eine revolutionre Perspektive, die gerecht-fertigt wird durch die existierenden Widerspr-che zwischen internationalem Proletariat undimperialistischer Bourgeoisie, die heute, wiegestern, nicht nur noch fortbestehen, sondernsich viel mehr auf verschrfte Art manifestie-ren.

    Am Freitag, den 15. Oktober 2010, fand inStuttgart anlsslich der Stammheimer Todes-nacht eine Veranstaltung unter dem MottoNulla Finito! - Nichts ist vorbei! - Revoluti-onre Geschichte aneignen und verteidigen!statt, welche vom Netzwerk Freiheit fr alle

    politischen Gefangenen organisiert wurde.Die Veranstaltung, die im Linken Zentrum LiloHerrmann durchgefhrt wurde, wurde vonrund 65 TeilnehmerInnen besucht. Am darauffolgenden Tag, den 16. OKtober, fand ein Be-such an den Grbern von Andreas Baader,Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe auf demDornhalden-Friedhof statt, an dem sich rund40 Menschen beteiligten.Die Veranstaltung begann mit einer Schwei-geminute zum Gedenken an alle Kmpfe-rinnen und Kmpfer aus dem revolutionrenWiderstand, die aufgrund ihres konsequentenEinsatzes gegen den Imperialismus und frBefreiung von der Konterrevolution gefoltert

    und ermordet wurden. Anlass, sich mit die-sem Teil der Geschichte auseinanderzuset-zen und die Identikation mit ihr verstrkt zupropagieren - kurz die Veranstaltung und dengemeinsamen Grabbesuch zu organisieren -,waren einmal die Erinnerung an die Stamm-heimer Todesnacht, die sich dieses Jahr zum33. Mal jhrte, sowie der aktuell stattndendeProzess gegen Verena Becker und die damiteinhergehende Medienhetze und Diffamie-rung der Roten Armee Fraktion.In den einzelnen Beitrgen wurde auf die re-pressive Situation der Nachkriegs-BRD, aufdas Vorgehen des Staates gegen die revo-lutionre Linke und die Geschehnisse des

    18.10.1977 eingegangen.Desweiteren folgte ein Beitrag, in dem - ge-sttzt auf Ausschnitten aus Erklrungender Roten Armee Fraktion - die KonzeptionStadtguerilla sowie die Bedeutung von prole-tarischem Internationalismus dargestellt und

    ihr praktischer Antiimperialismus anhand ihrerAktivitten aufgezeigt wurde.Darber hinaus wurde das Frontpapier alsAntwort auf die vernderte Situation nach 77und die Notwendigkeit der Verbindung unter-schiedlicher Ebenen des Widerstandes, so-

    wie ihre Zusammenarbeit mit Brigate Rosseund Action Directe erlutert.Den Schluss bildete ein Beitrag, in dem sichmit der Frage, ob die Aussagen der Gefange-nen aus der RAF heute noch Gltigkeit ha-ben, sowie der Bedeutung von Kollektivitt frdie revolutionre Linke, auseinandergesetztwurde.Der Gefangene Werner Braeuner aus Sehnde,die Genossinnen und Genossen fr den Auf-bau einer Roten Hilfe Italiens und die GruppeZimmerwald aus der Schweiz beteiligten sichdurch Gruworte, in denen auf die Bedeutungder RAF auf die Internationale Linke und dieAktualitt und Relevanz des Kampfes der

    RAF fr heute eingegangen wurde.Durch einen gemeinsamen Grabbesuch amdarauf folgenden Tag wurde den Revolutio-nren der RAF gedacht und die Erinnerung ansie, sowie an alle Gefallenen aus dem revolu-tionren Widerstand, hochgehalten. Es wurdeein Gedicht von Bertolt Brecht verlesen undrote Nelken auf den Grbern niedergelegt.Wir beenden diesen kurzen Bericht ber miteinem Auszug eines Gedicht von B. Brecht,das an den Grbern verlesen wurde:

    Die Schwachen kmpfen nichtDie Strkeren kmpfen vielleicht eine Stunde lang

    Die noch strker sind, kmpfen viele Jahre

    Aber die Strksten kmpfen ihr Leben langDiese sind unentbehrlich

    Netzwerk Freiheit fr allepolitischen Gefangenen

    Auszge aus den Gruwrtern

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    Rosenheim: Auf Druck vonermittelnder Kripo nahmam 16.10.2010 das Unter-nehmen Beepworld dieWebsite der autonomenInfogruppe Rosenheimvom Netz und sperrte diese.

    Grund hierfr war der Auf-ruf der Kampagne Castorschottern!. Als erste Auswirkung eines be-ginnenden Ermittlungsverfahrens der Staats-anwaltschaft Lneburg wurde die Seite derInfogruppe Rosenheim kurzzeitig gesperrt.Mittlerweile ist die Infogruppe wieder bereine neue Internetseite erreichbar auf derauch eine Stellungnahme zur Sperrung zunden ist: http://91.90.148.244/infogruppe/(red.)

    Oschersleben: Die ALGEin Oschersleben wurdeam 11. Oktober von einem

    Groaufgebot der Polizeigestrmt und gerumt. Amselben Tag wurde dann be-gonnen das Haus einzureis-sen, so dass eine Rckkehrin das Gebude unmglich

    wurde. Die ALGE (Alternative Lebensgestal-tung) war ein langjhriges Projekt in Oschers-leben. Sie bot den einzigen antifaschistischenSchutzraum auf der Strecke von Magdeburgnach Halberstadt und hatte immer wieder mitAngriffen von Nazis zu kmpfen. Erst EndeSpetember versuchten drei Nazis Molotov-Cocktails in das Haus zu werfen, die sichaber nicht entzndeten. (red.)

    Dsseldorf:Am 03. Novem-ber wurde eine Person mitdem Vorwurf der Mitglied-schaft in der LTTE (Liberati-on Tigers of Tamil Eelam) inDsseldorf festgenommen.Ihm wird mit Hilfe des 129bvorgeworfen von 2005 bis2009 der deutschen Aus-

    landsliale der LTTE angehrt zu haben. Ersoll der Gebietsverantwortlicher der Tamilenfr Berlin gewesen sein und Sachmittel zurFhrung des bewaffneten Kampfes der LTTEin Sri Lanka beschafft haben. Dies ist bereitsdie 9. Verhaftung gegen die tamilische Bewe-gung in diesem Jahr. (red.)

    Mnchen: Abermals wur-de der Infoladen in Mn-chen am 10.11. durchsucht.Grund fr die Durchsuchungwar die aktuelle Ausgabeder Interim. Ohne Vorwar-nung wurde die Eingangstrdes Kafe Marat mit einemRammbock aufgebrochen.

    Danach wurde der Infoladen mittels Brechei-sen geffnet. Gefunden haben die Beamten

    nichts. Bei beiden Tren entstand groerSchaden. Dies war bereits die dritte Haus-durchsuchung des Infoladen Mnchens in-nerhalb weniger Monate. Erst im Juli und imSeptember wurden die Rumlichkeiten dasletzte Mal durchsucht. (red.)

    Kurzmeldungen bundesweitDie Ausbeutung, das Elend, der Krieg, hervor-gerufen durch den Imperialismus, sind Ausfor-mungen einer Realitt, der sich das Proletariatwie die unterdrckten Vlker immer strker un-terworfen sehen.Die Knste auf der ganzen Welt sind voll mitrevolutionren KmpferInnen.Die Isolationsfolter, die Unterdrckung, sindPraktiken, die die Staaten heute weltweit in im-mer zugespitzterer Form anwenden.

    Um hierauf eine Antwort geben zu knnen,halten wir es fr notwendig, immer mehr Soli-darittsstrukturen fr die revolutionren Gefan-genen auf internationaler Ebene zu etablierenund fortzuentwickeln, mit denen ihre politischeIdentitt verteidigt wird, in denen die revolutio-nren Versuche/Wege bekannt gemacht wer-den, indem ihnen eine Stimme gegeben wirdund ihre Zugehrigkeit/Verankerung zur Klas-se gefestigt wird.Am Ende unseres Betrags schliessen wir ab,indem wir den Genossen Andreas Baader, Gu-drun Ensslin, Jan-Carl-Raspe die Ehre erwei-sen, sowie allen GenossInnen, die weltweit ge-fallen sind im Kampf gegen den Imperialismus

    und fr den Kommunismus.Genossinnen und Genossen fr denAufbau der Roten Hilfe in Italien

    Gruppe Zimmerwald- Internationale Debatte

    Sprechen wir ber die historische und aktuelleDimension der Ereignisse vom Herbst 1977.Schon die Debatte um die Freilassung vonChristian Klar hatte es angedeutet, der Prozessgegen Verena Becker und die Androhung vonBeugehaft gegen verschiedene ehemaligenMitglieder der RAF besttigt es: 33 Jahre nachStammheim soll erneut abgerechnet werden.Nicht nur mit der Roten Armee Fraktion (RAF),sondern mit revolutionrer Politik ganz allge-mein. Bestenfalls sei der Versuch einer revo-lutionren Vernderung durch die Stadtguerillain den 70er und 80er Jahren ein fundamentalerFehltritt der Geschichte; fr die Geschichtsre-visionisten ist es ,irregeleiteter Terrorismus.(...) Die Politik der RAF hatte Hoffnungen ge-weckt, nicht fr die breiten Massen, nein, diesleider nicht. Doch fr viele, die damals freine revolutionre Vernderung der gesell-schaftlichen Verhltnisse kmpften, verliehsie Hoffnung und Perspektive: Die Revolutionerschien als machbar, nicht nur im Trikont,

    sondern auch hier, in der Schweiz, im Herzendes Kapitalismus! Die Politik der RAF hatte an-fangs der 70er Jahren auf bestimmte Teile derrevolutionren Bewegung einen nicht gerin-gen Einuss. Das soll an dieser Stelle gesagtwerden, auch wenn es viele, fr die damalsdie RAF Orientierung war, nicht mehr hrenwollen, weshalb sie desinteressiert abwinken.Die Zeiten htten sich verndert. Die Frage seierlaubt, was hat sich eigentlich verndert? Dieherrschenden gesellschaftlichen Verhltnisse?Die Notwendigkeit einer revolutionren Vern-derung? Wohl kaum.(...) Dem wollte die Rote Armee Fraktion dieMachbarkeit des bewaffneten Kampfes entge-

    gen setzen und einen Weg fr einen offenerenGeschichtsverlauf aufzeigen.Allerdings wre die Stadtguerilla ohne eine ob- jektive Situation, in der ber den Befreiungs-kampf in Vietnam, Afrika, Lateinamerika und imNahen Osten war auch eine vielfltige Rekon-

    struktion marxistischer Theorie.(...) Anfnglich gelang es der RAF, den Staatzu demaskieren und mit den bewaffneten Akti-onen gegen die US-Armee die Imperialisten imihrem Hinterland zu verunsichern. (...) Die Fas-zination der ,Machbarkeit` von revolutionrerIntervention zeigte in der revolutionren LinkenWirkung. Dazu kam, im damaligen sozialenKontext sehr wichtig, dass subjektive Befrei-ung in der Illegalitt mglich schien.

    Auf der anderen Seit nahm der Druck des Re-pressionsapparates mit der Zeit enorm zu. Dieserforderte eine drastische Reduzierung aufsmilitrisch Notwendige. Politische und sozialeKontakte litten immer strker darunter, was zuden eigenen programmatischen Zielsetzungenim Widerspruch stand. Denn die Verbindungder Guerilla mit den Klassenkmpfen war freine politische Entwicklung unbestritten. (...)Schon damals war klar, eine fehlende Verbin-dung mit der eigenen sozialen Basis entwi-ckelt sich zwangslug zu einem Voluntaris-mus, der immer strker zum Ausgangspunktder eigenen Politik fhren knnte..Inwiefern dieser Widerspruch zur fast aus-

    schlielichen Orientierung an den nationalenBefreiungskmpfen fhrte, bleibe dahinge-stellt. Tatsache ist, dass die RAF das primrerevolutionre Subjekt Trikont ausmachte. DemMetropolenproletariat, korrumpiert durch denin diesen Lndern erpressten Extraprot, kamallenfalls noch Hilfsfunktion zu. Die Verschr-fung der Klassenkmpfe in den Metropolenseien folgerichtig nur ber die Kmpfe im Tri-kont zu realisieren. Einen politischen Aufbau-prozess als Teil einer Machteroberungsstrate-gie fand keinen Raum. Eine ,Revolutionierungder Situation konnte nicht greifen.(...) Und was bedeutet das fr unsere aktuellenPerspektiven?Die RAF hat die Frage der Konkretisierungrevolutionrer Gegenmacht (...) auch in einernicht revolutionren Situation theoretisch undvor allem praktisch von Neuem aufgeworfen,und zwar in objektiven Bedingungen, die sichwesentlich von denen in Italien oder Spanienunterschieden. Damit wurde zwischen demReformismus und der revolutionren Bewe-gung in Westeuropa nicht nur endlich wiederein klarer Trennungsstrich gezogen, sondernfr den Klassenkampf neue Mglichkeitenentwickelt und somit auch wieder eine revolu-tionre Perspektive sichtbar. Dieser politischeStachel im Fleisch der Herrschenden schmerztauch nach ber drei JahrzehntenAuf der Grundlage einer Analyse der gesell-

    schaftlichen Wirklichkeit bilden Programmatik,Organisation und Strategie eine Einheit, ohnedie keine revolutionren Mglichkeiten ent-stehen. (...) Insofern bleibt die Geschichte derRAF aktuell!

    Red. Anmerkungen:Wegen Platzgrnden sind die Texte redaktio-nell gekrzt worden. Die vollstndigen Texteund Material, weiterfhrende Links und Infom-rationen sind auf der Kampagnenhomepage zunden:

    www.nullaenito.jimdo.com

    Zudem berichtete Spiegel TV am 17.10 aufRTL in bekannt abflliger Manier:http://www.livingscoop.com/watch.php?v=OTg3

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #358

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    10 gefangenen info okt./nov. 2010

    seite 3 schwerpunkt inland international dossier gefangene feuilleton kurzmeldungen

    Am 11. Oktober 2010 fand um 13.30 Uhr vor

    dem Landgericht Berlin der Berufungsprozess

    gegen das Gefangenen Info statt. Die Zeitung

    existiert seit 21 Jahren und hat bereits zahl-

    reiche staatliche Angriffe gegen die Pressefrei-

    heit berstanden.

    Im April 2010 wurde der presserechtlich Verant-

    wortliche des Gefangenen Infos zur Zahlung ei-ner Geldstrafe in Hhe von 800 Euro verurteilt.

    Er ist laut Gericht fr die Verffentlichung eines

    Artikels im Gefangenen Info Nr. 348 verantwort-

    lich, welcher ber die zynische Bemerkung bei

    der Verhngung der Beugehaft durch den Rich-

    ter Klein in einem Dsseldorfer 129b Prozess

    gegenber einem durch Folter erblindeten tr-

    kische Zeugen berichtete.

    Um 13.00 fand vor dem Gerichtsgebude eine

    Kundgebung statt. Es wurde ein Transparent mit

    dem Karl Marx Zitat Die Waffe der Kritik kann

    allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen

    gezeigt.

    Den Berufungsprozess besuchten 20 teilwei-

    se internationale ProzessbeobachterInnen,darunter Vertreter des Netzwerkes Freiheit fr

    alle politischen Gefangenen, des Komitees fr

    Grundrechte und Demokratie, der Roten Hilfe

    Magdeburg, der GenossInnen fr den Aufbau

    der Roten Hilfe in Italien und des Tayad Komi-

    tees.

    Im Vorfeld des Prozesses verffentlichten ver-

    schiedene politische Gefangene wie Thomas

    Meyer Falk, Nurhan Erdem, Faruk Ereren sowie

    die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Ulla

    Jelpke Erklrungen zum Prozess, in denen sie

    einen Freispruch forderten.

    Zu Beginn der Verhandlung stellte der Vertei-

    diger als erstes fest, dass der fragliche Artikel

    nicht vom presserechtlich Verantwortlichen

    des Gefangenen Infos, sondern von Prozess-

    beobachterInnen der Roten Hilfe-Ortsgruppe

    Mnchengladbach-Neuss- Dsseldorf verfasst

    wurde.

    Der Angeklagte Wolfgang Lettow trug danach

    eine Prozesserklrung vor. Daraufhin verlas die

    Richterin die bisher abgegebenen Zeugenaus-

    sagen verschiedener Mitglieder des Oberlan-

    desgerichtes Dsseldorf, welche sich alle nicht

    an die zynische Wortwahl der Bemerkung des

    Dsseldorfer Richters Klein erinnern wollten.

    Sogar die Berliner Richterin fragte sich darauf-

    hin was er denn dann gesagt habe, denn das es

    sehr zynisch war, schien ihr nach Akteneinsicht

    durchaus glaubhaft zu sein.

    Nun gab die Verteidigung zwei Beweisantr-

    ge ab, in welchen sie einerseits forderte, den

    Rechtsanwalt W. Weckmller als Zeugen zu

    laden, welcher in Dsseldorf anwesend warund sich noch genau an die zynischen Umstn-

    de des Richterspruches erinnert. Andererseits

    beantragte sie durch einen weiteren Beweis-

    antrag beim Urteil in Betracht zu ziehen, dass

    ein anderer Dsseldorfer Richter O.Beidling fr

    hnliche, hug auch rassistische Zustze in Ur-

    teilsbegrndungen bekannt ist. (Er spricht z.B.

    bei Urteilen gegen arabisch stmmige Ange-

    klagte gern von Mrchen aus 1001 Nacht oder

    dreisten Lgen)

    Das Magazin Focus bezeichnete ihn in einem

    Artikel als Richter Tacheles.

    Nach einer 10-mintigen Pause und dem Hin-

    weis der Richterin, die Beweisantrge doch lie-

    ber als Hilfsbeweisantrge zu betrachten, da siezu einem Freispruch neige, gaben Verteidigung

    und Staatsanwaltschaft ihre Pldoyers ab. Die

    Verteidigung betonte neben der Tatsache des

    zynischen Spruches die Relevanz der Presse-

    freiheit und stellte dar, warum der presserecht-

    liche Verantwortliche des Gefangenen Infos bei

    glaubhaftem Inhalt gar nicht die Aufgabe haben

    kann, jedes Zitat der Artikel auf ihren genauen

    Wortlaut zu berprfen.

    Der Staatsanwalt gab nur eine sehr kurze Er-

    klrung ab und meinte dabei, der Abdruck des

    Artikels wre doch vorstzlich der Tatsache

    geschehen, dass der Angeklagte die Verffentli-

    chung einer, wie er meinte, Unwahrheit billigend

    in Kauf genommen habe.

    Nach einer weiteren Pause verkndete die

    Richterin den Freispruch des Angeklagten und

    begrndete ihn damit, dass sie davon ausgehe,

    dass ein Spruch hnlich des Dokumentierten

    gefallen ist und das es nicht die Aufgabe des

    Angeklagten gewesen sei, beim Richter nach-

    zufragen, ob der ihn denn wirklich zynisch ge-

    meint habe.

    Die ProzessbeobachterInnen

    Freispruch fr das Gefangenen InfoRote Hilfe International

    Zur Geschichte der Klassen- und revolutionren

    Kmpfen gehren Solidarittsstrukturen wie das

    Gefangenen Info mit dazu, spielten und spielen

    eine wichtige Rolle. Die Kontinuitt ber verschie-

    denste Etappen und Phasen linker Bewegungen

    macht das GI zu einer ganz speziell wertvollen

    Struktur.Den Redaktions-GenossInnen ist es bis heute ge-

    lungen, das Projekt durch all die Etappen revoluti-

    onrer Geschichte nicht nur zu erhalten, nein, wer

    das neue GI in den Hnden hlt stellt fest, dass es

    ihnen gelang es weiterzuentwickeln. Heute ist es

    ein fester, lebendiger Bestandteil der sich internati-

    onal entwickelnden Bewegungen.

    Ulla Jelpke, MdB, Innenpolitische

    Sprecherin der Linken

    Das Gefangenen Info gibt politischen Gefange-

    nen eine Stimme, die jenseits der Isolationshaft

    und der Gefngnismauern zu hren ist. Diese

    Kriminalisierung des Gefangenen Info muss im

    Zusammenhang mit dem Versuch gesehen wer-

    den, politische Aktivistinnen und Aktivisten aus der

    Trkei, die wegen ihres Engagements fr Rechte

    und Freiheiten dort oft schon jahrelang inhaftiert

    und gefoltert wurden, auch in Deutschland mit dem

    Paragraphen 129b StGB als Terroristen weiter zu

    verfolgen.

    Diese Kriminalisierung zielt auf die Einschchte-

    rung kritischer Gegenffentlichkeit...

    Die GenossInnen fr den Aufbau der Rote

    Hilfe in Italien

    Die Kriminalisierung und die Unterdrckung von

    Verbnden, die mit dem Kampf gegen den imperi-

    alistischen Knast und zur Sttze der revolutionren

    Gefangenen beschftigt sind, betraf und betrifft

    Europa.Diesbezglich wurde die Unterdrckungin der Vergangenheit in der BRD, seit der Nach-

    kriegszeit, gegen die Arbeiter und Studenten be-

    sonders massiv praktiziert.

    Was Italien betrifft haben die Solidarittsverbn-

    de viele Festnahmen vom Staatsschutzangriffe

    erlitten. Wir glauben, dass die vom Staatsschutz

    durchgefhrte Unterdrckung und Kriminalisierung

    nur durch die Verstrkung der Solidaritt mit den

    revolutionren Gefangenen, durch die Unterstt-

    zung ihrer Kmpfe, durch die Vermittlung ihres po-

    litischen Weges und des Standes ihrer politischen

    Debatte, besiegt werden knnen.

    Auszge aus Solidarittsadressen

    Seit einigen Monaten er-halten die linken Buch-lden in Berlin vermehrtunerwnschten Besuchvon Polizei und Staatsan-waltschaft. Anlsse sind

    regelmig mal mehr, mal weniger neue Publika-tionen aus der radikalen Linken, deren inhaltlicheVielfalt den Repressionsorganen zu weit geht.Hug werden dabei nicht nur die gesuchtenZeitschriften, sondern auch gleich die Computerder Lden mit beschlagnahmt.Die linken Buch- und Infolden sind ein wichtiger

    Teil unserer Infrastruktur. Wir nden dort Rat,wenn wir Literatur fr unsere politische Arbeit su-chen. Sie bieten uns einen Raum, ins Gesprchzu kommen und uns zu vernetzen. Sie helfenuns, unsere Positionen auch jenseits kommer-zieller Verlagsstrukturen zu verbreiten. Kurz: Wirmchten sie nicht missen.

    Die aktuelle Repression ist der erneute staatlicheVersuch, die offenen Debatten der radikalen Lin-ken, die nicht an den Grenzen der herrschendenLegalitt verstummen, zu zensieren. Diesmalwurden die linken Buchlden als Angriffsobjektevon den Repressionsorganen auserkoren. Wirstehen daher solidarisch an ihrer Seite. Gemein-sam wenden wir die staatliche Repression in eineStrkung der linken Debatten und Strukturen!

    Bisherige Unterzeichner_innen:Anarchist Black Cross (ABC) Berlin, AnarchistischeGruppe Neuklln, Antifa AK Kln, Antifa Gruppe Orani-enburg [AGO], Antifa Prenzlauer Berg, Antifaschistische

    Initiative Moabit [AIM], Antifaschistische Initiative Reini-ckendorf [A.I.R.], Antifaschistische Linke Berlin [ALB],Antifaschistische Linke Potsdam, AntifaschistischeRevolutionre Aktion Berlin [ARAB], antimilitarismus.blogsport.de, Webseiten-Redaktion, AntirassistischeInitiative Berlin (ARI), Archiv der sozialen BewegungenBremen, arranca! - linke Zeitschrift, Autonome Antifa In-

    Finger weg von unseren Lden!fernal [AAI], Autonome Neukllner Antifa, Avanti - Pro-jekt undogmatische Linke, Babylonia e.V., Berliner An-tirepressionsforum, Berliner Bndnis Freiheit fr MumiaAbu-Jamal!, Black Mosquito Mailorder, BuchhandlungReul, Kevelaer, Buchladen Sputnik, Potsdam, commu-nisme sucr, CONTRASTE - Monatszeitung fr Selb-storganisation, Heidelberg, Deutsche KommunistischePartei (DKB) - Berlin, Emanzipative AntifaschistischeGruppe (EAG-Berlin), entdinglichung.wordpress.com,Webseiten-Redaktion, Fr eine linke Strmung (FelS)- organisiert in der Interventionistischen Linken (IL), Ge-fangenen Info, Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. (IL), Jugendanti-fa Berlin, JungdemokratInnen/Junge Linke Berlin, Kpi137, Berlin, Lateinamerika Nachrichten, love techno- hate germany, Partykollektiv, Max Delbrck Schulko-mitee (MDSK), Berlin, Mehringhof, Netzwerk Freiheit fralle politischen Gefangenen - Berlin, North East Antifa(NEA) Berlin, Out of Control Berlin, Projekt Rigaer 94,ReachOut - Opferberatung und Bildung gegen Rechts-

    extremismus, Rassismus und Antisemitismus, Redakti-on Graswurzelrevolution, Roland Bialke, Berlin, Schwar-zer Kanal, Berlin, Second-Hand-Buchladen Miggang,Seminar fr angewandte Unsicherheit [SaU], Berlin,Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Berlin,Stefanie Katz, Hamburg, Straen aus Zucker, Jugend-zeitung, Subversiv e.V., Wgcompany

    Berlin, Oktober 2010

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #358

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    okt./nov. 2010 gefangenen info 11

    seite 3 schwerpunkt inland international dossier gefangene feuilleton kurzmeldungen

    Wir haben am 8.Oktober erfahren, dass Mar-co Camenisch in einer Nacht- und Nebelakti-on von Regensdorf nach Orbe in den Hoch-sicherheitsknast Bochuz verlegt worden ist.Pltzlich und aus dem Nichts heraus, ohneVorwarnung. Marco war seit seinem Prozessvor 8 Jahren in Pschwies.Wir kennen die Grnde dieser berra-schenden Aktion der Repression gegen un-seren Genossen nicht. Wir knnen nur ver-muten, dass die Kampagne fr die Freiheitrevolutionrer Langzeitgefangener, der kol-lektive Hungerstreik mit den seit 7 Monatenin der Schweiz inhaftierten italienischen an-

    archistichen Gefangenen Billy, Silvia, Costa, sein aktives Intervenieren und Verhalten inden internationalen politischen Bewegungen,den zunehmenden Mobilisierungen undAktionen damit in Zusammenhang stehenknnten. Wir werden es nicht hinnehmen undschon gar nicht im eingeschlagenen Weg unsaufhalten lassen:

    Drinnen und drauen ein Kampf gegenStaat und Kapital - Solidaritt mit denrevolutionren Gefangenen!

    Schickt Soligre massenweise an:Marco Camenisch

    Penitencier de BochuzCase Postale 1501350 Orbe

    Solidaritt ist unsere Waffe - setzen wir sie ein

    Rote Hilfe International

    Marco Camensich zu seinerVerschleppung

    Marcos erster Brief nach seiner Verschlep-pung vom Pschwieser Knast in den weit ent-fernten Hochsicherheitsknast Bochuz!

    Orbe, 10.10.10Liebe GenossInnenDo. 7.10.10 vor Arbeitsbeginn nachmittagswurde ich ber die Gegensprechanlage derZelle informiert es habe keine Arbeit, ich

    knne auf der Zelle bleiben (in 6 Jahren niedagewesen. Ha,ha...), dann wurde ich insAbteilbro gerufen, Herr Hauenberger (ChefAbteile 5-8) wollte mich sprechen, da war eraber nicht und zwei Prtorianer-Wrter (gross,nach viel Muskel- und wenig Hirnmasse aus-gewhlt) brachten mich zum Umkleide- undEffektendienst (der Hatschier muss Ihnenetwas zeigen, bliche Masche..) Dort wei-tere Prtorianer, mir wurde die Versetzungs-verfgung von Herrn Thomas Noll, sattsambekannter Vollzugschef Direktionsmitgliedund ehemaliger Notfallpsychiater Pschwies,vorgelegt. Versetzung wegen Gefhrdung

    der Anstalt wegen Demos und Gefhrdungdes Personals. Entzug der aufschiebendenWirkung aus Sicherheitsgrnden der 10-t-gigen Rekursfrist, und Orbe habe mich zumeiner Weiterinternierung bereit erklrt. Mus-ste mich umkleiden und ohne Effekten kom-men nach mit einschneidenden Kabelbin-dern an den Handgelenken am Gurt befestigtund Fuketten, an der Klappenkiste befestigt,mit 4 ZH Bullen losiegen. Landung Yverdonles Bains auf einem von vermummten Bullenabgesperrten Industrieparkplatz. Die brach-ten mich mit Transporter rasch hierher, wo ichim Eintrittsabteil neugierig auf meine Warewarte. Immerhin in Privatkleidern Uniform

    gelte fr die Arbeit. Auch sonst sieht es soaus, als werde hier Perdie und Schwachsinnetwas weniger auf die Spitze getrieben als imAvantgardeknast Pschwies des Justizab-schaums ZH.Ist aber soweit irrelevant, relevant hingegenist die eindeutige politische Repressalie undGeiselstatus-Dynamik als politischer bzw.Kriegsgefangener vom Staat und Kapital, undVerantwortlichkeit der Kantone bzw. Instituti-onen Zrich/Vaud. Nun nehme ich aber kei-nesfalls an, dass sich militanter Widerstanddurch kopose und schwche beweisendeSymptombekmpfung seitens der Repressionso billig ins Bockshorn jagen, einschchtern

    und erpressen lsst... (smiley)Sondern im Gegenteil, dass sie ihre Lage nurnoch ein klein wenig verschlimmert haben,dass auch diese weitere kleine Entlarvung ih-rer paranoiden Verkommenheit wieder um zuauch grundlegender militanter Reexion, Ana-

    Marco Camenisch bei Nacht und Nebel verlegt

    lyse und theoretisch-praktischer Entwicklungund Strkung als korrekte Richtung weit berden spezische (Fall, Repression) hinaus be-wirken kann...Seid herzlich umarmt , a presto Marco

    P.S. Marco hatte Anfang November immernoch nicht all seine Kleidung und Unterlagen:Vor allem seinen Computer vermisst er, aufdem er seit acht Jahren viele wichtige poli-tische Dateien gespeichert hat.

    Kurz was zu Marco Camenisch:Marco wird am 21. Januar 1952 in derSchweiz geboren. Er begann sein politischesEngagement mit der Untersttzung kmp-fender Gefangener und ab 1978 schloss ersich dem Kampf gegen Atomkraftwerke an.Anfang 1980 wird Marco wegen zwei Spreng-stoffanschlgen verhaftet: gegen einen Masteiner Hochspannungsleitung des Elektrokon-zerns NOK und gegen Transformatoren undden Richtstrahlmasten eines Elektro-Unter-

    werkes.Er wurde zu 10 Jahren Knast verurteilt. Am17. Dezember 1981 brach Marco Camenischzusammen mit einigen italienischen Mitgefan-genen aus dem Gefngnis Regensdorf aus,wobei ein Aufseher gettet und ein andererverletzt wurde. Whrend zehn Jahren lebtMarco Camenisch im Untergrund.Dezember 1989: ein Zllner an der italienisch-schweizerischen Grenze wird gettet, undsofort erklren die Medien und die BehrdenMarco Camenisch zum Tter. Marco Came-nisch hat diese Anklage immer zurckgewie-sen. Die lange Flucht von zehn Jahren wurdeam 5. November 1991 durch eine gewhn-

    liche Ausweiskontrolle in der toskanischenProvinz Massa unterbrochen. Die dummeReaktion eines Karabiniere auf Marcos ge-zogene Pistole hat einen Schusswechsel zurFolge, ein Karabiniere wird verletzt, und Mar-co wird an beiden Beinen angeschossen und,an der Flucht gehindert, verhaftet.Er verweigert jegliche Zusammenarbeitmit der Justiz und wird im Mai 1992 fr dieSchiesserei mit den Carabinieri und fr einenSprengstoffanschlag gegen einen Masten derHochspannungsleitung La Spezia-Acciaiolo,womit Atomstrom aus Frankreich importiertwird, zu 12 Jahren verurteilt.Nach Verbssung der Strafe wird Marco im

    April 2002 fr die acht verbleibenden Jahreseiner ersten Verurteilung sowie fr den Pro-zess wegen der Flucht und der Schiessereiam Zoll an die Schweiz ausgeliefert. Von Mai2002 bis 2004 dauert dann das Verfahren ge-gen ihn und der Prozess wurde mit dem Frei-spruch in Sachen Tod des Gefngnisaufse-hers und mit der Verurteilung zu 17 Jahren frden Tod des Zllners abgeschlossen. DieseVerurteilung ist auf fehlende Reue und seineentschlossene Bekennung zur offensichtlichimmer dringenderen Notwendigkeit des re-volutionren Umsturzes der kapitalistisch-im-perialistischen Weltordnung zurckzufhren.Diese 17 Jahren Zusatzstrafe wurden unter

    Verletzung ihres eigenen Strafgesetzbuchesausgesprochen. Im Mrz 2007 muss dieStrafe auf die im spezischen Fall juristischmgliche Hchstbemessung von 8 Jahren he-rabgesetzt werden, was insgesamt 30 JahreKnast mit Strafende Mai 2018 bedeutet.

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #358

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    12 gefangenen info okt./nov. 2010

    seite 3 schwerpunkt inland international dossier gefangene feuilleton kurzmeldungen

    Nach dem Angriff gegen das World TradeCenter und gegen das Pentagon in Septem-ber 2001 entfachte die US-Regierung unterPrsident George W. Bush ihren Krieg gegenden Terrorismus. Der Krieg nach auen imIrak und Afghanistan wurde vom Krieg nachinnen begleitet.Direkt nach dem 11. September wurden po-litische Gefangene in Isolationshaft verlegt.

    Tausende arabische und muslimische Men-schen, vor allem Mnner, wurden willkrlichfestgenommen, verhrt, misshandelt undnach langer Inhaftierung, ohne jegliche Mg-lichkeit sich rechtlich zu verteidigen, abge-schoben. Migranten, die teilweise lange Jahrein den USA gelebt hatten, wurden wegen dergeringsten Verste gegen die Einwande-rungsbestimmungen deportiert.Knapp sechs Wochen nach dem Angriff wur-de das unter der Leitung von JustizministerJohn Ashcroft entworfene PATRIOT Act,dass gravierende Einschrnkungen von langeerkmpften Brgerrechten und eine Ausdeh-nung der Terrorismusbegriffs enthielt, inner-

    halb von drei Tagen vom Reprsentanten-haus und Senat verabschiedet und von Bushunterschrieben.Am 9. April 2002 trat Ashcroft vor nationalenund internationalen Fernsehkameras, um denneuesten Erfolg zu verknden, die Verhaf-tung der linken Anwltin Lynne Stewart wegenu.a. materieller Untersttzung des Terroris-mus und vorsetzlicher Tuschung der US-Regierung [1].Lynne Stewart war keine Unbekannte. Wh-rend einer drei Jahrzehnte umspannendenLaufbahn verteidigte sie Mitglieder linker Or-ganisationen wie der Black Panther Party,Black Liberation Front, Ohio 7 und Weather

    Underground, aber auch viele mittellose Kli-enten und Maamitglieder.

    Die Anklage gegen Stewart beruht auf Ereig-nissen vor dem 11. September. Stewart warMitte der 1990er Jahre Pichtverteidigerin

    des blinden gyptischen muslimischen Pre-digers Omar Abdel Rahman. Rahman, einerder fhrenden Gegner des von den USAgesttzten Mukarak Regimes verbt einelebenslange Haftstrafe wegen staatsgefhr-dender Verschwrung im Zusammenhang mitangeblichen Sprengstoffanschlgen gegenNew Yorker Bauwerke.

    1998 verhngt das Justizministerium sog.administrative Sondernahmen (SAM) gegenRahman, die ihm jeglichen Kontakt mit derAuenwelt verbot, auer Anwaltsbesuchenund einem wchentlichen fnfzehnmintigenTelefonat mit seiner Ehefrau. Seine Anwltemuten schriftlich versichern, dass sie undihre Angestellten und Beauftragten diese Be-dingungen einhalten werden, sonst durftensie ihn nicht besuchen.

    Stewart wurde vorgeworfen gegen dieseSAM-Bestimmungen verstoen zu haben, in-dem sie Nachrichten zwischen Rahman undder Islamischen Gruppe (IG), die fr einen is-

    lamistischen Staat in gypten kmpft, weiter-geleitet zu haben. Die Vorwrfe basierten vor-wiegend auf Abhrprotokollen von angeblichverfassungsmig geschtzten Gesprchenzwischen Anwlten und Mandanten. Stewartsoll whrend eines Besuchs laut auf Eng-lisch gesprochen haben, um ein Gesprchzwischen Rahman und dem Rechtsgehilfenbezglich der Fortsetzung eines Waffenstill-standes zu bertnen und seine Entschei-dung die Feuerpause nicht lnger zu un-tersttzen, an die Medien weitergegeben zuhaben.Stewart stellte einen Antrag auf Verfahren-einstellung. Der ehemalige Justizminister

    und Mitverteidiger im Rahman Fall RamseyClark erklrte, er habe mehrmals gegen dieSAM-Bestimmungen verstoen, die Justiz-behrde aber habe sich niemals beschwert,geschweige denn Anklage erhoben. Clark lasRahman Zeitungsberichte vor und gab, wie

    10 Jahre Knast gegen die engagagierteAnwltin Lynne Stewart

    Stewart, eine Erklrung an die Medien weiter.Die Anklageschrift machte deutlich wie sehrdas Mandanten/Anwalt-Gesprch nicht nurabgehrt, sondern auch videoberwacht wur-de. Mindestens zweieinhalb Jahre lang hrtedie Justiz jedes Wort mit.Der Prozess gegen Lynne Stewart ng AnfangJuli 2004 an und dauerte bis Februar 2005.Die Staatsanwaltschaft versuchte, Stewartals Terrorismusbefrworterin darzustellen.Es wurden massenhaft Zeitungsausschnitteber Aktivitten und Anschlge radikaler is-lamischer Gruppierungen, die auch aus Ste-warts Bro beschlagnahmt wurden, und Vide-oaufnahmen von Osama bin Laden, der seineUntersttzung fr Rahman verkndet hatte,gezeigt. Ein Groteil der Zeitungsausschnittehat Stewart von der Staatsanwaltschaft be-kommen. Sie waren angebliche Beweismittelim Rahman Verfahren und mussten an dieVerteidigung ausgeliefert werden.Eine Geschworenenjurie befand sie in allenPunkten fr schuldig. Wegen einer Brust-krebserkrankung bei Stewart erfolgte die

    Strafmafestsetzung erst im Oktober 2006.Anstatt die von der Staatsanwaltschaft ge-forderten 15 bis 30 Jahre verurteilte RichterKoeltl Stewart zu einer Haftstrafe von 28 Mo-naten. Die Staatsanwaltschaft kndigte sofortan, Berufung einzulegen.

    Im November 2009 erklrte ein Berufungs-gericht das Strafma fr zu niedrig. RichterKoeltl wurde angewiesen das Strafma neufestzusetzen und zu berprfen, ob Stewartnicht Meineid begangen htte.Am 15. Juli 2010 gab Richter Koeltl seineEntscheidung bekannt. Zuerst sprach er einehalbe Stunde lang ber die ca. 400 Unterstt-

    zungsbriefe, die er bekommen hatte, ber diemittlerweile siebzigjhrige Stewart und ihrenJahrzehnte langen Dienst an den Armen undVerstoenen der Gesellschaft und ber ih-ren verschlechterten Gesundheitszustand,insbesondere ihr Krebsleiden. Dann erklrteer, Stewart hat Meineid begangen und keineReue gezeigt - In Interviews nach ihrer Ver-urteilung zu 28 Monaten 2006 hat Stewarterleichtert erklrt, sie sitze die Zeit spielendab bzw. sie sei sich keines Unrechts bewusstund wrde es wieder machen. Dann verur-teilte er sie ganz trocken zu einer Haftstrafevon zehn Jahren, fast das Vierfache der ur-sprnglichen Strafe.

    Als Stewarts Anwltin fragte, weshalb, erwi-derte er, Anweisung von oben. Eine Todes-strafe fr eine Siebzigjhrige nannte es Ste-warts Ehemann.

    Wie vor ca. sechzig Jahren als Ethel und Ju-lius Rosenberg im gleichen Gerichtssaal zumTode verurteilt wurden, ein Exempel im Krieggegen den Kommunismus statuiert wurde,wird nun das Gleiche mit Lynne Stewart imKrieg gegen den Terrorismus gemacht

    [1] Mohamed Yousry, Ahmed Abdel Sattar undYassir Al-Sirri wurden mit Stewart zusammen

    verhaftet. Die Anklage gegen Al-Siiri wurdenspter fallengelassen. Yousry, Stewarts Dol-metscher, wurde zu 20 Monaten verurteilt undSattar zu 24 Jahren.

    cj

    Lynne Stewart (ganz vorne) verteidigte im Laufeihrer Karriere viele politische Gefangene

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #358

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    okt./nov. 2010 gefangenen info 13

    seite 3 schwerpunkt inland international dossier gefangene feuilleton kurzmeldungen

    Grobritannien: In GB wur-de Ende Oktober ein lang-

    jhriger Aktivist als Polizistenttarnt: Mark Stone, auchFlash genannt war von2000 bis 2009 fr die Polizeittig. Es handelte sich bei

    ihm nicht um einen Spitzeloder Informanten, sondernum einen Polizisten, der gezielt eingesetztwurde. Er war in vielen Bereichen der auto-nomen Bewegung aktiv: von Earth First!, zuTierrechtsaktionen, Freirume, Antifa usw.Darber hinaus hatte er Kontakte nach Eur-opa und verkehrte desfteren in Berlin. Nacheigenen Aussagen ist er 2009 aus dem Poli-zeidienst ausgeschieden. (red.)

    Frankreich: Marina wur-de verlegt. Sie sollte beieiner Repressionswelle2000/2001 gegen die bas-

    kische Bewegung verhaftetwerden, konnte sich aberbis 2006 der Verhaftung ent-ziehen. 2006 wurde Marinafestgenommen und war mit

    baskischen Gefangenen im grten Frauen-knast von Paris weggesperrt. 2008 wurde-gegen sie und 16 BaskInnen das Verfahrenwegen Mitgliedschaft in der ETA erffnet. Ihrdroht eine mehrjhrige Haftstrafe. Im Som-mer wurde sie nun in einen Vorort von Parisverlegt. (red.) Die neue Anschrift lautet:Marina Bernad Bonada (951978)MAF Fresnes, Alle des Thuyas s/n94261 Fresnes Cedex

    Frankreich

    Irland: Am Montag, den18. Oktober 2010, wurden2 Mitglieder der RepublicanSinn Fin vor ein Sonderge-richt in Dublin gestellt. SenRyan und Kevin Devlin wa-ren am 15. Oktober 2010wegen Mitgliedschaft inder Irisch-republikanischen

    Armee (IRA), und der Oglaigh na hireann(Kmpfer Irlands) verhaftet worden. Dar-ber hinaus wird ihnen der Besitz einer explo-siven Substanz vorgeworfen. Beide Mnnerwurden umgehend in den Flgel fr politischeGefangene im HochsicherheitsgefngnisPortlaoise, Co. Laois, gebracht. (red.)

    Griechenland: Der Prozessgegen Alfredo Bonanno undChristos Stratigopoulos wirdam 22. November beginnen.Die beiden wurden am 01.Oktober 2009 wegen einesBankraubes verhaftet undbenden sich seitdem inHaft. Beide sind langjhrige

    anarchistische Aktivisten, die auch schon ei-

    nige Jahre ihres Lebens im Knast verbrachthaben. Alfredo, der mittlerweile 72 Jahre altist, hat zudem einige theoretische Schriftenber den aufstndischen Anarchismus ver-fasst und sa bereits in den 70ern einigeJahre hinter Gittern. (red.)

    Kurzmeldungen international

    Seit 29 Jahren sitzt ein Journalist im Tode-strakt - weil er gewagt hat, laut zu sagen, wasist.Seit 29 Jahren ist ein Mensch von seinen An-gehrigen isoliert - weil Gefangene in seinemLand kaum Rechte haben.Seit 29 Jahren ist ein Afroamerikaner stn-dig vom Tod bedroht - weil die Todesstrafedas letzte Mittel einer untergehenden Gesell-schaftsordnung ist.

    Der Gefangene heisst Mumia Abu-Jamal, derOrt liegt im US Bundesstaat Pennsylvanianahe dem kleinen Ort Waynesburg. Eine von

    der Regierung betriebene Gefngnisfabrikproduziert dort jhrlich ca. 50 Millionen US-$Prot durch Zwangsarbeit. Inmitten dieserFabrik ist ein Hochsicherheitstrakt, in demknapp 250 Menschen unter weitesgehenderIsolation auf das Ende ihres Lebens warten.In 6m kleinen Zellen haben sie nur eine ein-zige Gewissheit: dass sie diese Mauern nichtlebend verlassen werden. Manche von ihnenkennen sogar schon den Tag, an dem sie ster-ben werden.In einem Land, in dem 80% der Bevlkerungeuropischen Ursprungs sind, leben in denvergessenen Todestrakten der Supermax Ge-fngnisse berwiegend AfroamerikanerInnen

    sowie Native Americans, Hispanics oder Asia-tInnen. Gerade mal 34% der Gefangenen ent-stammen der Bevlkerungsmehrheit.In den Gefngnisfabriken, die ber die ge-samten USA verteilt sind, sieht es hnlichaus. Der Gefngnisindustrielle Komplex ist ei-ner der grssten Binnenwirtschaftszweige derUSA. Das Verfgen ber nahezu unbezahlteArbeitskraft war der historische Motor fr denAufbau der nordamerikanischen Kolonien.Die nach der Grndung der USA auch formalinstitutionalisierte Sklaverei wurde 1865 ofzi-ell abgeschafft - real existiert sie bis heute inder Gefngnisindustrie weiter. Kein Land derErde inhaftiert momentan mehr Menschen als

    die USA, weder prozentual noch nach kon-kreten Zahlen. Die Todesstrafe als ultimativeBedrohung garantiert dabei das Stillhalten dereingeschchterten Bevlkerung.Fr einen untergeschobenen Polizistenmordwurde Mumia Abu-Jamal zum Tode verur-

    teilt. Real jedoch, weil er konsequent berRassismus, Polizeigewalt und behrdlicheKorruption berichtete. Das macht er bis heu-te und erreicht damit inzwischen trotz Isolati-onshaft Millionen Menschen. Er gibt all deneneine Stimme, die in den Medien in der Regelignoriert werden. Nach jahrzehntelangen er-folgreichen Protesten versucht die Regierungzur Zeit erneut, seine Hinrichtung doch nochdurchzusetzen.Politische Justizwillkr kennzeichnete eben-falls die Verurteilungen von Leonard Peltierfr dessen Engagement im American IndianMovement (A.I.M.) sowie den Cuban 5, wel-

    che den von US Geheimdiensten gedecktenTerror gegen Cuba verhindern wollten. Inden USA sitzen laut Menschenrechtsgruppenmomentan weit ber 100 Gefangene alleinwg. ihrer politischen Anschauungen ein. Anti-Repressionsgruppen gehen sogar von ber4000 aus.

    Wir wissen um die sterilen Gnge und Zellen,in denen Menschen, deren einzige Schuld esmeistens ist, sich keine angemessene Ver-teidigung leisten zu knnen, auf ihr gewalt-sames Lebensende warten.Wir wissen um die Kraft, welche Post, Berichteber Solidarittsproteste oder Haftbesuche in

    diese sterilen Mauern des Todes tragen.Wir stehen zusammen mit Mumia Abu-Jamalund allen anderen, die von der Todesstrafebedroht sind. Kein Staat hat das Recht, Ge-fangene zu ermorden!

    LASST UNS GEMEINSAM AUF DIE STRAS-SE GEHEN, UM DER VERTRETUNG DERUSA KLAR ZU MACHEN, DASS WIR NUREINE LSUNG AKZEPTIEREN WERDEN:

    Freiheit fr Mumia Abu-Jamal!Freiheit fr alle politischen Gefangenen!Abschaffung der Todesstrafe weltweit!

    Demonstration:Samstag 11. Dezember 201014:00 Uhr amHeinrichplatz, Bln X-bergAbschluss vor der US BotschaftBrandenburger Tor

    Jetzt nur nicht die Wut verlieren!29 Jahre Todestrakt - Freiheit fr Mumia jetzt!Wir dokumentieren den Demo-Aufruf:

  • 8/6/2019 Gefangenen Info #358

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    14 gefangenen info okt./nov. 2010

    seite 3 schwerpunkt inland international dossier gefangene feuilleton kurzmeldungen

    Staatliche Repression und Knast sind in Rus-sland selbstverstndlicher und gegenwrtigerAlltag, auch und vor allem fr politische Zu-

    sammenhnge, die herrschenden Interessennicht passen. Bis 2001 war Russland dieNummer 1 in Sachen Gefangene, seitdemwurde es nur von den USA berholt. Gefng-nisse verdeutlichen die allgemeine Gangartder Gesellschaft. Whrend die Machthaber inRussland Kontrollen ausbauen und die Re-gierung immer repressiver vorgeht, wchst dieAnzahl der Gefangenen. Zur Zeit betrgt diegefangene Bevlkerung in Russland 700.000Menschen. Die konomische Ausbeutung derGefangenen ist wenig entwickelt, im Gegen-teil mangelt es an sinnvoller Beschftigung- somit ist der wachsende Anteil der Gefan-genen weniger konomisch durch das Kapital

    als vielmehr durch Druck vom Staat zu erkl-ren. (On prison resistance in Russia, Artikelaus der Abolishing the borders from belowvom Oktober 2008)Nach der Zeit der Perestroika ging die Zu-stndigkeit fr die Knste vom Innen- aufsJustizministerium ber. Dadurch gab es zu-nchst verhltnismig wenig Folter undbergriffe, aber auch weniger Geld fr denBetrieb der Knste, so dass die Gefangenenauf Pckchen und Spenden von Angehri-gen zum berleben angewiesen sind, da siesonst schlichtweg verhungern. Auch die me-dizinische Versorgung ist minimal, so dassin russischen Knsten (besonders in den

    zumeist gnadenlos berbelegten Untersu-chungsgefngnissen) Krankheiten wie Aids,Tuberkulose und sogar die Diphtherie, die alsausgestorben galt, auf diese Weise geradezugezchtet werden. In Gefngnissen gibt es re-gelmig Aufstnde, Geiselnahmen und Str-mungen durch Spezialeinheiten mit Toten. Diehugste Form von Widerstand gegen dieHaftbedingungen, Gewalt durch Wrter undschlechte Behandlung, ist die des Hunger-streiks und der Selbstverletzung. Allerdingsist die politische Auseinandersetzung mitdem System Knast in emanzipativen Krei-sen zur Zeit praktisch eher schwach. Verein-zelte Kampagnen zur Freilassung einzelner

    Gefangener vor allem aus dem antifaschi-stischen Spektrum werden nur von relativkleinen Gruppen wie Anarchist Black Crossin Moskau und anderen Stdten auf das The-ma Knast aus emanzipativer Sicht generellausgeweitet. Es gab vor einigen Jahren auch

    eine Kooperation zwischen FrontAIDS, einerkleinen anarchistisch geprgten Organisationund Gefangenen, die Zugang zu Medizin ge-

    gen HIV forderten.Zur allgemeinen Lage in Russland ist auchder Einuss des medialen inneren Feindesim Kaukasus nicht zu unterschtzen, der vieleinnenpolitische Konikte berdecken hilft undder seit 1994 andauernde faktische Kriegs-zustand in Tschetschenien auf russischemGebiet. Hier werden Spezialeinheiten wie dieOMON (Militrpolizei) in Aufstandsbekmp-fung trainiert und lassen ihre Kriegserfahrungbei Einstzen in Grostdten wie Moskauoder St.Petersburg auch gerne raushngen.Die Zusammenarbeit von faschistischenGruppier