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Am Freitag vor der Landtags- wahl wollte Martin Dulig noch einmal ordentlich auf den Schlamm hauen: Bildgewaltig ließ er sich ablichten, wie er die für die SPD wichtigsten The- men in Stein meißelte. Bessere Kitas, mehr Lehrer, faire Löh- ne, mehr Sicherheit, solide Fi- nanzen. Das Bild sollte zeigen: Diese Themen sind für die SPD unverrückbar. Für die Handvoll angereister JournalistInnen – solcherlei Inszenierungen aus dem Wahlkampf mittlerweile ge- wohnt und leicht überdrüssig – bot dieses Bild allerdings Platz für ungewöhnlich beißenden Spott. Ob der SPD-Chef da den Grabstein seiner Partei aufstel- len würde, witzelten sie, auch, weil genau dieser Stein unver- kennbare Ähnlichkeit mit einem solchen hatte. Für die Bildda- tenbanken des Boulevards ein gefundenes Fressen. Allein: Die Verwendung dieses Bonmots nach den Koalitions- verhandlungen musste auf sich warten lassen. Denn tatsäch- lich ist es der SPD gelungen, je- den Punkt der steinernen Liste im Koalitionsvertrag zum Tragen zu bringen. Hatte die SPD tat- sächlich einen kräftigen Klecks Rot aus dem programmatischen Tuschkasten ausgeteilt? Nur scheinbar. Denn dass das, was da medienwirksam in Stein gemeißelt wurde, kein Bume- rang wurde, liegt nicht am Ko- alitionsvertrag, sondern eher an den vagen Formulierungen: Werden mehr PolizistInnen ein- gestellt? Ja. Der Einstellungs- korridor wird von 300 auf 400 im Jahr erhöht. Allein: Das ist exakt die Zahl, zu der sich auch die CDU im Wahlkampf durch- gerungen hatte. Und da pers- pektivisch 500 PolizistInnen im Jahr ausscheiden, werden wir nach Ende der Legislatur sogar weniger BeamtInnen haben als bisher. Mehr LehrerInnen? Mindestens 6.100 soll der Freistaat einstel- len, jedes Ausscheiden aus dem Schuldienst ersetzt werden. Darüber blieben 1.000 weitere Stellen für die Qualität des Un- terrichts. Aber: Bei zu erwarten- den steigenden Schülerzahlen und Mangelbesetzung in den Schulen bleibt von diesem Mehr an Lehrern effektiv nichts üb- rig. Genau deshalb wird auch der Vertretungslehrerpool wei- tergeführt, die Befristung von Abordnungen an andere Schu- len verlängert. Und woher die LehrerInnen kommen sollen, weiß derzeit auch keiner. Weit entfernt bleiben wir von dem Zustand, dass vor jeder Klasse tatsächlich eine Lehrkraft steht, die für das jeweilige Fach aus- gebildet wurde. Und dann die besseren Kitas: Ja, der Betreuungsschlüssel wird gesenkt. Na endlich. Schrittwei- se um halbe Stellen bis 2017, erst in der Kita, dann in der Krip- pe. Dann werden ErzieherInnen also jeweils ein Kind weniger zu betreuen haben. Und damit wei- terhin deutlich mehr, als von Er- zieherInnen, Gewerkschaften, Eltern und Trägern gefordert. Eine wirkliche Entlastung? Eher Placebo, wenn in den Einrich- tungen schon längst der heutige Betreuungsschlüssel reine Ma- kulatur ist. Heilsam ist das SPD-Verspre- chen nach fairen Löhnen. Ver- einbart wurde so im Koalitions- vertrag vor allem Vages: Ein Bekenntnis zur Tarifautonomie, ein Wunsch nach höherer Ta- rifbindung in der sächsischen Wirtschaft und die Überarbei- tung des Vergabegesetzes. Doch hier gilt: Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung so- wie soziale und ökologische Kriterien im neuen Vergabege- setz sind lediglich Prüfauftrag. Konkrete Vereinbarungen fin- den sich nicht. Und auch bei den stabilen Finanzen melden die Verhandler Vollzug: Keine neuen Schulden – Kunststück – und ein Finanzierungsvorbehalt für alle Vereinbarungen bis auf die priorisierten Maßnahmen. Und Kommunalfinanzen? Er- klärte doch Martin Dulig schon im Juni 2010: „Die sächsischen Kommunen sind deutlich unter- finanziert. Viele von ihnen kön- nen noch nicht einmal mehr ihre Pflichtaufgaben wahrnehmen. […] Nötig ist ein Schutzschirm für die Kommunen.“ Auch dafür wurde eine Lösung gefunden, denn, so heißt es im Koalitions- vertrag: „Die derzeitige Finanz- ausstattung der sächsischen Kommunen ist solide.“ Die krankenden Kommunen dürfen sich freuen. Sie sind gesundge- schrieben. Na dann. Frisch ans Werk. Was bleibt? Martin Dulig muss sich dem Spott des Boulevards erst einmal nicht aussetzen. Kleinen Reparaturen, vielen schwammigen Willensbekun- dungen und noch mehr Gestus sei Dank. Doch Innovation, eine andere Politik dank SPD in die- sem Freistaat? Davon bleibt der Koalitionsvertrag weit entfernt. Der Opposition geht so – ver- sprochen – zumindest nicht die Arbeit aus. Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2014 In Stein gemeißelt

Links! Ausgabe 11/2014

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Ausgabe November 2014 der Zeitung LINKS! inklusive Beilagen.

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Am Freitag vor der Landtags-wahl wollte Martin Dulig noch einmal ordentlich auf den Schlamm hauen: Bildgewaltig ließ er sich ablichten, wie er die für die SPD wichtigsten The-men in Stein meißelte. Bessere Kitas, mehr Lehrer, faire Löh-ne, mehr Sicherheit, solide Fi-nanzen. Das Bild sollte zeigen: Diese Themen sind für die SPD unverrückbar. Für die Handvoll angereister JournalistInnen – solcherlei Inszenierungen aus dem Wahlkampf mittlerweile ge-wohnt und leicht überdrüssig – bot dieses Bild allerdings Platz für ungewöhnlich beißenden Spott. Ob der SPD-Chef da den Grabstein seiner Partei aufstel-len würde, witzelten sie, auch, weil genau dieser Stein unver-kennbare Ähnlichkeit mit einem solchen hatte. Für die Bildda-tenbanken des Boulevards ein gefundenes Fressen. Allein: Die Verwendung dieses Bonmots nach den Koalitions-verhandlungen musste auf sich warten lassen. Denn tatsäch-lich ist es der SPD gelungen, je-den Punkt der steinernen Liste im Koalitionsvertrag zum Tragen zu bringen. Hatte die SPD tat-sächlich einen kräftigen Klecks Rot aus dem programmatischen Tuschkasten ausgeteilt? Nur scheinbar. Denn dass das, was da medienwirksam in Stein gemeißelt wurde, kein Bume-rang wurde, liegt nicht am Ko-alitionsvertrag, sondern eher an den vagen Formulierungen: Werden mehr PolizistInnen ein-gestellt? Ja. Der Einstellungs-korridor wird von 300 auf 400 im Jahr erhöht. Allein: Das ist exakt die Zahl, zu der sich auch die CDU im Wahlkampf durch-gerungen hatte. Und da pers-pektivisch 500 PolizistInnen im Jahr ausscheiden, werden wir nach Ende der Legislatur sogar weniger BeamtInnen haben als bisher. Mehr LehrerInnen? Mindestens 6.100 soll der Freistaat einstel-len, jedes Ausscheiden aus dem Schuldienst ersetzt werden. Darüber blieben 1.000 weitere Stellen für die Qualität des Un-terrichts. Aber: Bei zu erwarten-den steigenden Schülerzahlen und Mangelbesetzung in den Schulen bleibt von diesem Mehr an Lehrern effektiv nichts üb-rig. Genau deshalb wird auch der Vertretungslehrerpool wei-tergeführt, die Befristung von

Abordnungen an andere Schu-len verlängert. Und woher die LehrerInnen kommen sollen, weiß derzeit auch keiner. Weit entfernt bleiben wir von dem Zustand, dass vor jeder Klasse tatsächlich eine Lehrkraft steht, die für das jeweilige Fach aus-gebildet wurde. Und dann die besseren Kitas: Ja, der Betreuungsschlüssel wird gesenkt. Na endlich. Schrittwei-se um halbe Stellen bis 2017, erst in der Kita, dann in der Krip-pe. Dann werden ErzieherInnen also jeweils ein Kind weniger zu betreuen haben. Und damit wei-terhin deutlich mehr, als von Er-zieherInnen, Gewerkschaften, Eltern und Trägern gefordert. Eine wirkliche Entlastung? Eher Placebo, wenn in den Einrich-tungen schon längst der heutige Betreuungsschlüssel reine Ma-kulatur ist. Heilsam ist das SPD-Verspre-chen nach fairen Löhnen. Ver-einbart wurde so im Koalitions-vertrag vor allem Vages: Ein Bekenntnis zur Tarifautonomie, ein Wunsch nach höherer Ta-rifbindung in der sächsischen Wirtschaft und die Überarbei-tung des Vergabegesetzes. Doch hier gilt: Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung so-wie soziale und ökologische Kriterien im neuen Vergabege-setz sind lediglich Prüfauftrag. Konkrete Vereinbarungen fin-den sich nicht. Und auch bei den stabilen Finanzen melden die Verhandler Vollzug: Keine neuen Schulden – Kunststück – und ein Finanzierungsvorbehalt für alle Vereinbarungen bis auf die priorisierten Maßnahmen. Und Kommunalfinanzen? Er-klärte doch Martin Dulig schon im Juni 2010: „Die sächsischen Kommunen sind deutlich unter-finanziert. Viele von ihnen kön-nen noch nicht einmal mehr ihre Pflichtaufgaben wahrnehmen. […] Nötig ist ein Schutzschirm für die Kommunen.“ Auch dafür wurde eine Lösung gefunden, denn, so heißt es im Koalitions-vertrag: „Die derzeitige Finanz-ausstattung der sächsischen Kommunen ist solide.“ Die krankenden Kommunen dürfen sich freuen. Sie sind gesundge-schrieben. Na dann. Frisch ans Werk.Was bleibt? Martin Dulig muss sich dem Spott des Boulevards erst einmal nicht aussetzen. Kleinen Reparaturen, vielen schwammigen Willensbekun-dungen und noch mehr Gestus sei Dank. Doch Innovation, eine andere Politik dank SPD in die-sem Freistaat? Davon bleibt der Koalitionsvertrag weit entfernt. Der Opposition geht so – ver-sprochen – zumindest nicht die Arbeit aus.

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2014

In Stein gemeißelt

Seite 2Links! 11/2014

Die sächsische NPD nach ihrer Niederlage bei der Landtags-wahl

800 Stimmen. 800 Stimmen sind nicht viel. 800 Stimmen können sehr viel sein, wenn sie fehlen. Rund 800 Stimmen fehlten der NPD zu ihrem er-beuten Einzug in den Sächsi-schen Landtag. 800 Stimmen bedeuten in diesem Fall den Unterschied zwischen Frakti-onsgeldern in Millionenhöhe, zusätzlichen Einnahmen für die stets klamme Parteikasse durch Abgeordnetenspenden, rund 30 hauptamtlichen Ka-dern in einem Bundesland, der Miete für Anlaufpunkte in den Regionen – oder aber eben dem finanziellen Nichts. Die NPD wäre nicht die NPD, wenn sie nicht ob des knappen Er-gebnisses sofort Wahlbetrug gewittert hätte. Überzeugt von dieser Verschwörungs-theorie schien sie selbst je-doch nicht. Rechtliche Maß-nahmen leitete sie nicht ein.Sie hat gegenwärtig andere Sorgen. Zwar hat Holger Szy-manski, Nachfolger des un-ter schmählichen Umständen in die Wüste (bzw. nach Mal-lorca) geschickten früheren Fraktionsvorsitzenden Hol-ger Apfel, vollmundig ange-kündigt, seine Partei werde 2019 erneut an die Tür des Sächsischen Landtages klop-fen. Doch es erscheint recht unsicher, ob ihr dann aufge-tan werden wird. Gegenwärtig

erscheint es sogar unsicher, ob die Partei dann überhaupt noch existieren wird. Und das völlig ohne das Verbotsverfah-ren. Ihren 50. Geburtstag hat die NPD beim Parteitag am 2. No-vember in Weinheim gefeiert, doch Feierlaune wollte bei den wenigen Delegierten nicht

aufkommen. Das sächsische Desaster der Neonazi-Forma-tion hat seine Entsprechung auf der Bundesebene. Der ehemalige Vorsitzende Holger Apfel, Opfer unbewiesener Anschuldigungen wegen se-xueller Übergriffe auf Kamera-den, hat erst die Partei zu ei-niger Bedeutung gebracht und sie inzwischen verlassen. Sein Nachfolger Udo Pastörs, Frak-tionsvorsitzender der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, agierte bereits in den vergan-genen Monaten ausgespro-chen lustlos und kündigte an, sich nunmehr ganz auf sein Bundesland – die letzte Basti-on – konzentrieren zu wollen. Zur ständigen Fragen „Was tun?“ also auch noch die Fra-ge „Wer nun?“.Frank Franz, Bundespresse-sprecher der Partei aus dem Saarland, war seinen Hut in den Ring. Und wurde umge-hend von Thomas Wulff, Kopf der offenen NS-Fraktion, als gegelter „Firle-Franz“ veral-bert. Er gilt als „Modernisie-rer“. Seine Gegner sehen darin nichts anderes als eine inhalt-liche Aufweichung. Sein erko-rener Stellvertreter, Sascha Rossmüller aus Bayern, woll-te dies zwar gern werden, war aber unabkömmlich, da gera-de inhaftiert. Als Mitglied der Rockergang „Bandidos“ soll der ehemalige Mitarbeiter der sächsischen Landtagsfraktion in die organisierte Kriminalität verwickelt gewesen sein.

Ungemach Nr. 2 für Frank Franz: Umgehend trat Kon-kurrenz auf, in Person von Pe-ter Marx, ehedem Fraktions-geschäftsführer der NPD im Sächsischen Landtag. Zwei Kandidaten aus dem gleichen Kreisverband. Doch die Chan-cen von Marx waren von An-fang an schlecht. Innerpartei-

lich hat er einen schlechten Ruf als Karrierist, der im-mer dann zu finden ist, wenn es um bezahlte Posten geht. Und schließlich trat, kurzfris-tig entschlossen erst auf dem Parteitag, noch Sigrid Schüs-sler aus Bayern an. Und hielt eine Bewerbungsrede, die vor allem demonstrierte, wie es in Wirklichkeit mit der viel be-schworenen „Kameradschaft“ bei den Neonazis aussieht. Die Aussage, die NPD ha-be ein Image, „das nichts anderes ist als Scheiße“, war fast noch harm-los. Sie fragte, „war-um Frauen wie ich seitens der par-teieigenen, feigen und hinterfotzi-gen Seilschaft-klüngelei und Mobbingprofis wie die Sau durch‘s Ort getrieben wer-den“? Und charak-terisierte die NPD-Führung als „Bande von Lügnern, Betrü-gern und Tagedieben“. Frank Franz, in Schüsslers Worten ein „schöngeistiger Jüngling“, machte schließlich klar das Rennen.Holger Szymanski, der schnell verglühte Stern am Firma-ment der sächsischen NPD, mischte sich in den Führungs-streit nicht offen ein. Die wich-tigen Entscheidungen waren in Kungelrunden bereits im Vorfeld gefallen. Eine Reihe

sächsischer Funktionäre wür-de auch dem nächsten Bun-desvorstand angehören. Und vor allem aber: Das Einkom-men von Szymanski selbst, ei-nes ehemaligen Spitzels des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, war auch zukünftig gesichert. Als nun-mehriger Bundesgeschäfts-

führer der Partei hat er für die nächsten zwei Jahre einen der wenigen bezahlten Jobs, die die Partei noch bieten kann.So sicher damit seine eige-ne Zukunft ist, so unsicher ist diese für den NPD-Landesver-band, dessen Vorsitzender er ist. Denn nicht nur die L a n d -t a g s -

wah -l e n

wurden vergeigt, sondern auch bei den Kommunalwah-len im Mai gab es – bis auf we-nige Ausnahmen – vor allem Rückschläge. Die Mitglieder-zahlen sinken deutlich. Rund ein Drittel der Anhänger hat die NPD in Sachsen in den letzten Jahren verlassen. Ak-tuell dürfte der Bestand bei weniger als 700 Neonazis lie-gen. Das Objekt des Partei-organs „Deutsche Stimme“ in Riesa, mit dem der Auf-stieg der hiesigen NPD im Jahr 2000 eigentlich erst richtig begonnen hatte, dürfte aus fi-nanziellen Gründen kaum zu halten sein. Kaum ein Kreis-verband ist noch funktionsfä-hig. Kurz: Der Zustand ist der gleiche wie bei allen sinken-den Schiffen.Während Holger Apfel noch schmählich über die Plan-ken gejagt worden war, sind andere bereits freiwillig von Bord gegangen. Von der Bun-desführung der NPD-Jugend-organisation, den Jungen Na-tionaldemokraten, die fast vollständig bei der Landtags-fraktion beschäftigt worden war, ist nichts mehr zu hören und zu sehen. Andy Knape, bisher Bundesvorsitzender der JN, ist spurlos verschwun-den, die Homepage des Ver-bandes nicht mehr zu errei-chen. Auch einige bisherige Landtagsabgeordnete, die mit der „Deutschen Stimme“ als Importe nach Sachsen gekom-men waren, sollen ihren Ab-gang aus dem Freistaat vorbe-reiten.Und da ein Unglück selten al-lein kommt, versucht auch die ungeliebte Konkurrenz im eigenen Lager neuerdings,

Sachsen für sich zu gewinnen.Nein, ausnahmsweise ist nicht die AfD gemeint. Auf die kann die NPD inzwischen nur nei-disch schauen. Die Rede ist von Kleinparteien, die als Fol-geprodukte von Vereinsverbo-ten entstanden sind. In Bayern wurde das dortige Freie Netz Süd verboten. Ein Schlag ins Wasser, da man zu lange ge-zögert hatte und ein großer Teil der Aktivisten sich inzwi-schen der Neugründung „Der III. Weg“ angeschlossen hatte. Inzwischen verfügt diese For-mation auch über einen Ab-leger im Vogtland, personell weitgehend gespeist von Mit-gliedern der dortigen „Revolu-tionären Nationalen Jugend“. Auch in NRW waren mehrere Kameradschaften verboten worden. Die Kader hatten sich umgehend in der neuen Partei „Die Rechte“ gesammelt.Auch diese hat sich das Vogtland, eine traditionelle Schwachstelle der NPD, aus-gesucht, um in Sachsen Fuß zu fassen. Für den 8. Novem-ber war in Zobes eine Großver-anstaltung angekündigt. Of-fenbar unter Beteiligung von Meuterern der sächsischen NPD. Der Leipziger Nils La-risch, ehemaliger Mitarbeiter der Landtagsfraktion, trat als Redner auf. Und wer eine Kar-te für das Event haben wollte, landete auf dem Handy von Mirko Beier, Kreisvorsitzender Meißen der NPD.Die Meuterei gegen Kapi-tän Szymanski, der im Janu-ar erneut Landesvorsitzender werden will, geht weiter. Lan-desorganisationsleiter Maik Scheffler hat ihm die Gefolg-schaft mit drastischen Worten aufgekündigt und ist aus dem Vorstand zurückgetreten. Mit ihm gingen der Landesvorsit-zende der JN sowie Thorsten Hiekisch, starker Mann des Kreisverbandes Görlitz. Der Schritt darf als Kampfansage gewertet werden. „Einer klei-nen Clique von zum Teil Ex-Re-publikanern und Ex-CDU‘lern war“ die Zusammenarbeit zwi-schen Kameradschaftskadern und NPD „von Anfang an im-mer ein Dorn im Auge aber sie verhielten sich in der zweiten und dritten Reihe ruhig um ih-re finanziell gut unterfütterten Platzdeckchen nicht zu gefähr-den“, so Scheffler. Seine Geg-ner stünden für einen „Sys-tem-Anbiederungskurs eines liberalkapitialistischen Reak-tionär-Nationalismus“. Scheff-lers Chancen beim Kampf um den Landesvorsitz stehen so schlecht nicht. Schlecht steht es nur um die NPD: ein sinken-des Schiff, auf dem sich zwei Offiziere streiten, wer denn nun Kapitän ist ...Kerstin Köditz

Aktuelles

Von sinkenden Schiffen und verglühten SternenBi

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Fahr

Seite 3 11/2014 Links! Die dritte Seite

Manchmal dümpelt Geschichte vor sich hin, über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende oder we-nigstens 40 Jahre, und manch-mal legt sie ein Tempo vor, dass Du mit dem Moped nicht hin-terher kommst. Da verlässt man z. B. am Montagabend der Herbstmessewoche 1989 das Uni-Hochhaus in Leipzig gegen sechs und bis nach Hause ist schon alles anders.Es war noch ein lauer Früh-herbsttag. Dennoch war es ge-raten, für die Fahrt abends mit dem Moped bereits eine Jacke über dem Jackett zu tragen. Fahrtwind ist selbst bei nur 50 km/h etwas Kaltes und Unan-genehmes, wenn die Luft sich in die Gegend der 10-Grad-

Marke abkühlt. Auf dem Jackett unter der Jacke, links am Revers steckte das Parteiabzeichen. Das wärmte nicht, auch wenn es gleich bis auf die Haut bren-nen sollte. „Genossen! Für die-ses Abzeichen sind Menschen in den Tod gegangen“ tönte vor nicht allzu langer Zeit der Kreis-sekretär jenen entgegen, die auch in der Parteiversammlung kein solches Abzeichen sehen ließen. Da waren schon zu vie-le in der Partei, weil halt eine Hand die andere wäscht. Das musste man nicht auch noch vor sich hertragen mit den ver-schlungenen Händen auf dem kleinen ovalen Ansteckme-daillon. Ich trug es jedoch und war der Meinung, meine Hän-de wären sauber ohne ande-rer Hände Zutun. Nur, was ei-ner meint, was wirklich der Fall ist und was andere so denken, das sind dreierlei Dinge. Da ist es manchmal gut, wenn die drei Dinge schon aufeinander treffen sollten, dass man nicht gleich erkennt, dass da einer ist, den man es ausbaden las-sen könnte. Denn kaum rechts

abgebogen aus der Goethestra-ße war ich plötzlich eingekeilt und zum Anhalten gezwungen. Eine bewegte Menschenmenge kam von mehreren Seiten auf mich zu, rannte an mir vorbei, wollte hin zum Bahnhof. Der Motor lief. Das war wahrnehm-

bar. Das Abzeichen nicht. Es steckte nicht mehr nur so, son-dern jetzt muss man sagen zum Glück oder gar Gott sei Dank, unsichtbar unter der Jacke. Wer weiß, was es in diesem Moment anzurichten imstan-de gewesen wäre. Die Mon-tagsbeter waren ausgerissen. Nicht gleich bis zum Ziel ih-rer Träume, dem Westen, aber doch aus der Absperrung um die Kirche, hinaus in die Stadt, hin zum Bahnhof eben. Das wa-ren keine Freunde derer, die das Abzeichen trugen. Und je

weiter sie rannten, desto mehr rannten mit ihnen. Es ging eben los, worauf schon viele gewar-tet hatten. Das Signal dafür war nicht vereinbart und funktio-nierte doch wie die Mutterspra-che, die für jeden Menschen plötzlich da ist und zuvor keiner Absprache bedarf.Der Motor lief und die Men-schen liefen. Das vertrug sich irgendwie nicht: „Komm, mach aus. Das dauert jetzt etwas län-ger“, meinte jovial ein Vorbeiei-lender zufrieden schmunzelnd und drückte dabei jenen He-bel an meinem Moped, der den Motor zum Verstummen brach-te. Und zu Ende war mit dem abgewürgten Motor, was zu-vor für dauerhaft gehalten war. Es war mir plötzlich im ganzen Körper spürbar, dass ab jetzt nichts mehr so bleiben konnte, wie es war und lange genug ge-dauert hatte. Die Fahrt konnte ich ziemlich bald fortsetzen. Es waren al-le im Bahnhof untergekom-men. Da drinnen brodelte es. Die Straße war wieder frei – jedenfalls für ein Moped. Im

Rosenthal wurde es ein holp-rig-ängstlicher Ritt durch das Dunkel des Parks und der kom-menden Geschichte. Mein Scheinwerfer und die Straßen-lichter ließen nicht viel nach vorne erkennen. Meine Ge-danken auch nicht. Ich sah den Erlkönig, und trug mich selbst durch die Nacht und den Fahrt-wind. Die Hoffnung, mit mir selbst im Arm lebendig anzu-kommen, war dem Ritt mit dem Moped und der eben begon-nenen Reise in eine in einer kurzen halben Stunde mit Ge-wissheit schon ungewiss ge-wordenen Zukunft gemeinsam. Es ist alles vorbei und es wird alles anders und wir wissen nicht, was aus uns wird. Das war die Nachricht, die ich am Ende dieses Tages einer noch ahnungslosen Frau und einem nichts ahnenden Kind nach Hause brachte. Dass sich die Ereignisse in den nächsten bei-den Monaten überstürzen wür-den, war noch nicht vorstellbar, auch nicht der neue Anfang, schon gar nicht der lange Weg bis heute.

Die Geschich-te von der Geschichte

Bomben und die Unwirklichkeit von NormalitätMit den Terrormilizen des Isla-mischen Staates (IS) kamen die Schrecken des Krieges in die au-tonom verwalteten Kurdengebie-te im Westen Syriens. Dort wird gekämpft, vertrieben, gefoltert und getötet. Mitte Oktober war Dominic Heilig direkt an der tür-kisch-syrischen Grenze zu Ko-bane und erlebte so hautnah die Luftangriffe der US-Streitkräfte und die Feuergefechte zwischen den kurdischen Selbstverteidi-gungseinheiten (YPG/YPJ) und den IS-Terrormilizen. Er sprach mit Ärzten und Flüchtlingen nahe der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien. Für SachsensLinke! be-richtet er über das Erlebte.

Das türkisch-kurdische Dorf Mehser liegt nur wenige hundert Meter vom Grenzzaun zu Syrien entfernt und damit in Sichtweite der umkämpften Stadt Kobane. In dem sonst ein paar dutzend Seelen zählenden Ort halten sich dieser Tage hunderte Kurdinnen und Kurden aus vielen Teilen der Türkei auf. Sie sind freiwillig ge-kommen, um die Grenze zu be-wachen. „Die türkische Armee macht das ja nicht“, sagt Ahmed aus Diyarbakir. Junge und Al-te haben sich an die Grenze zu Kobane auf den Weg gemacht, um den ungehinderten Grenz-wechsel von IS-Kämpfern allein mit ihrer Anwesenheit zu verhin-dern. So wie in Mehser sieht es in vielen Ortschaften entlang der Grenze aus.Als in der Nacht die Bomben-abwürfe der um die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ge-bildeten „Koalition“ gegen den IS intensiver werden, reißen die De-

tonationen wenige hundert Me-ter entfernt die dicht gedrängt im Erdgeschoss eines Hauses im Dorf auf Matten in einem Raum schlafenden Männer plötzlich aus dem Schlaf. Tagsüber kann man sehen, woher die Bomben und Geschosse stammen. In der Dunkelheit nicht. Und so ist auch immer die Angst da, dass es sich um Angriffe der IS-Mili-zen auf das Grenzgebiet handelt und nicht um Bomben der Ameri-kaner. In den vergangenen Tagen ist es schon mal vorgekommen, dass die Geschütze des IS das Dorf Mehser ins Visier nahmen. Die IS-Milizen verfügen über schweres Gerät, Panzer und Artilleriegeschütze. Die kurdi-schen Verteidiger hingegen nur über leichte, kaum panzerbre-chende Waffen. Daran haben auch die Waffenlieferungen der USA kaum etwas geändert. Während im Hintergrund stän-

diges schweres Maschinenge-wehrfeuer zu hören ist, welches immer direkt nach einer US-Bombe folgt und daher vermut-lich aus den Reihen der Kämp-ferInnen der kurdischen YPG stammt, erklärt Leyla aus Cizre, dass hier niemand für Krieg sei und sich dennoch jeder über die Hilfe aus der Luft freut. „Erdogan will uns nicht helfen. Er hat die IS bislang ja nicht einmal als ,Ter-rormiliz‘ bezeichnet, sondern le-diglich als Islamisten. Seine Me-dien verdrehen die Lage an der Grenze und haben über die Pro-teste im Land nur sehr selektiv berichtet“, so die junge Frau. Leyla ist 26 Jahre alt, hat einige Jahre in Bremen gelebt und ist seit den Kommunalwahlen vom Frühjahr Bürgermeisterin der Stadt Cizre. „Vor allem in den letzten Wochen ist deutlich ge-worden, dass sich die türkische Regierung für uns hier nicht in-

teressiert. Sie lassen IS unge-hindert die Grenze überwinden, während sie nicht bereit sind, ei-nen Korridor für Flüchtlinge und Nachschub an die kurdischen Einheiten in Kobane offenzuhal-ten.“ Es ist eine unwirkliche Situ-ation in diesem Landstrich. Un-wirklich ist die Lage in der Türkei überhaupt. Während im Osten des Landes die Kurdinnen und Kurden in Aufruhr sind, dutzende Demonstranten von Sicherheits-kräften verletzt und erschos-sen werden, geht im Westen des Landes das Leben in gewohnten Bahnen weiter. Hier gelten Kur-den der Mehrheit als Terroris-ten, die syrischen Selbstverwal-tungsgebiete als Rückzugsort für die PKK. Unwirklich ist auch die Tatsache, so sagen die Men-schen entlang der Grenze, dass es auf Seiten der IS-Terrormiliz auch hunderte Tote in den letz-ten Tagen gegeben habe, den-

noch deren Anzahl an Kämpfern stetig steigt. „Die holen nicht mal ihre Leichen ab, lassen sie einfach liegen und warten auf neue Kämpfer“ erzählt einer der Alten aus dem Ort.Zwischen den Grenzdörfern an der Grenze und der nächstgrö-ßeren Stadt auf türkischer Sei-te, Suruc, kampieren zwischen Panzerstellungen der türkischen Armee teils auf offenem Feld tausende Flüchtlinge aus und um Kobane. Kurdische Studie-rende aus Istanbul und Europa sind gekommen und haben ei-genständig ein kleines Straßen-theater erstellt, mit dem sie von Ort zu Ort ziehen, um die Ge-flüchteten für einen kurzen Mo-ment mit Gesang und Tanz aus dem Schrecken zu ziehen. Das gelingt, wenn auch nur für we-nige Minuten. Viele haben Ver-wandte, die in Kobane kämpfen und sterben. Beinahe täglich fin-den in Suruc Beerdigungen statt, während die offizielle Türkei die Überlebenden und Eingeschlos-senen alleine lässt. Nicht ein-mal für den Bau von winterfes-ten Flüchtlingslagern engagiert sie sich finanziell. Auch diese Last tragen die Kurdinnen und Kurden und deren Gemeinden in der Grenzregion so – unfreiwillig – autonom.

Vorträge zum ThemaRLS Sachsen: 20.11., Dresden, 19 Uhr, Altes WettbüroMdB Michael Leutert: 21.11., Chemnitz, 16 Uhr, Rosenplatz 4MdL Mirko Schultze: 22.11., Gör-litz, RLS Sachsen: 03.12., LinXXnet, Leipzig, [email protected]

Seite 4Links! 11/2014 Hintergrund

In den Nachrichten hintereinan-der gereiht fanden sich der Be-richt zu den Verfolgungen der kurdischen Minderheit der Jesi-den im Nordirak durch die Terror-miliz Islamischer Staat (IS), dar-über, wie die USA Lebensmittel in den Fluchtgebieten der Jesi-den abwerfen und beginnen, die IS-Melizen zu bekämpfen. Dann war da noch das Verbot der Mus-lim-Bruderschaft in Ägypten, die als Terrororganisation eingestuft worden ist. So viel Unrecht und Gewalt in der Welt. Nun ist es hundert Jahre her, dass der Erste Weltkrieg aus-brach. Jahrzehntelang kam er im Geschichtsunterricht, in den Medien und in der Politik wie die sprichwörtliche biblische Plage über Deutschland und Europa. Nun sucht man wenigstens nach Ursachen, aber leider vergeb-lich dort, wo sie zu finden sind. Man sucht sie in Politik und Di-plomatie und klammert, wie im-mer, wenn es um die Analyse der kapitalistischen Gesellschaft geht, den systemischen Aspekt aus. Denn dann müsste man den Zusammenhang zwischen kapitalistischen Wirtschaftsin-teressen, Politik und Krieg aus-leuchten. Bei Marx indes kann man sehr übersichtlich sehen,

wohin das kapitalistische Mo-nopol sich zwangsläufig entwi-ckeln muss, wenn es leben will. Und Lenin hat seine Entwicklung in der imperialistischen Phase des Kapitalismus weiter verfolgt und wesentliche Merkmale die-ser neuen Wirtschaftsform und seiner Verflechtung mit dem po-litischen System gefunden, die heute höchst offenkundig jeder darin gebildete Bürger erkennen könnte – an den Entwicklungen in der EU, in der Weltwirtschaft und auch am Ukraine-Konflikt. Wer Marx und Lenin nicht mag, kann sich auch an Jean Jaurés er-innern: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“2014 war auch der 70. Jahres-tag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler. Die Fülle der Beiträge in den Medien stand in krassem Gegensatz zur inhaltlichen Tie-fe: Anderer Widerstand kommt kaum oder nicht vor in der Be-richterstattung, nicht der kom-munistische, der die meisten Hingerichteten und Ermordeten hinnehmen musste, nicht stand-hafte Pfarrer wie Martin Niemöl-ler und Dietrich Bonhoeffer, und nicht der von Sozialdemokraten oder Juden. Und auch hier keine Einsicht in die systemischen Ur-

sachen bis heute.Es gab in einem kurzen histori-schen Aufbruch-Fenster die De-batte um die Auflösung der NA-TO, da ihr Existenzgrund, die Blockkonfrontation und die War-schauer Vertragsgemeinschaft, nicht mehr existieren. Die USA unterhalten fast 300 Auslands-stützpunkte, die „Russen“ nur knapp 30 Militärvereinbarungen. Weder gibt es heute in Deutsch-land oder anderswo Abrüstung, noch ist die NATO aufgelöst. Stattdessen hat sich Deutsch-land auf Platz drei der Waffen-exporteure vorgearbeitet. Nie ist mehr Geld für Waffen in der Welt ausgegeben worden als gegenwärtig. Battlegroups und „humanitäre“ Kampf-Ausland-seinsätze, europäische Vertei-digungsgemeinschaft und „Ter-rorbekämpfung“ sind dann die manipulativen Vokabeln dafür, dass sich amerikanische, deut-sche, französische und andere Soldaten mit amerikanischen, deutschen, französischen und anderen Waffen erschießen las-sen dürfen. Das gab es schon En-de des 19. Jahrhunderts und im 1. Weltkrieg. „Im Westen nichts Neues“, der Romantitel von E. M. Remarque, passt leider wie-der als Programm für Militär- und

Außenpolitik Deutschlands im 21. Jahrhundert. Der einleitende Satz von E. M. Remarque, „Die-ses Buch soll ... den Versuch ma-chen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zer-stört wurde – auch wenn sie sei-nen Granaten entkam.“, weist bis heute gültig auf ein Kernpro-blem von Krieg hin. PTBS, Post-traumatisches Belastungs-Syn-drom, ist nur einer der modernen Namen. In einem Interview 1963 sagte Remarque: „Ich dachte im-mer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, be-sonders die, die nicht hingehen müssen.“Und nun will die neue Bundes-verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Bundeswehr auch noch fitter machen, indem sie „familienfreundlicher“ wird. Die Bundeswehr, Söldnerarmee ist sie ja schon (!), wirbt in Schu-len mit gutem Einkommen, beruf-licher Perspektive und mit Tech-nikbegeisterung. Pervers! Was zivil durch falsche Politik nicht zu haben ist, soll den jungen (unrei-fen) Menschen als „Soldatenbe-ruf“ schmackhaft gemacht wer-den. Dass sie als (körperlicher oder seelischer) Krüppel oder tot nach Hause kommen könn-

ten, wird tunlichst verschwie-gen. Und just in dieser Konstel-lation wird festgestellt, dass die Technik der Bundeswehr alt und zu großem Teil nicht einsatzfä-hig ist. Der neue Marine-Chef A. Krause spricht schon in der An-trittsrede davon, dass nun deut-sche Soldaten zu kämpfen haben werden. Während sie doch sei-nerzeit in der Blockkonfrontation das „Kämpfen“ lernten, um nicht kämpfen zu müssen! Wie auf Bestellung kommt noch eine Nachricht, dass russische Jagdflieger mit Tanker-Unterstüt-zung im Raum der Nord- und Ost-see sowie über dem Schwarzen Meer so aktiv waren wie lange nicht. Eingeleitet wird sie reiße-risch: NATO-Kampfjets hätten russische Jagdflieger „abgefan-gen“, um dann zu berichten, dass sie sich im internationalen Luft-raum befanden – wo im übrigen NATO-Kampfjets immerzu aktiv sind, was keine Nachricht wert ist. Was wird hier wohl vorberei-tet? Alles Zufall? Oder doch notwen-dige Entwicklung, gar Strategie, schleichende Mobilmachung für neue imperiale Gelüste? Da läuft mediale ideologische Konditi-onierung auf Auslandseinsätze und Krieg. Ralf Becker

Udo Reiter und das Recht auf selbstbestimmtes SterbenIn meinem Urlaub besuchte ich in einem Ort in der Nähe des Chiemsee den Friedhof. Ein fri-sches Grab war von Blumen überschüttet. Auf dem Stein konnte man den Namen einer jungen Frau lesen. Sie war An-fang 20 gewesen, und zwischen den Blumenkränzen stand ein Klassenfoto von einer Mädchen-klasse aus einer sehr angesehen Schule aus der Region, wie ich später erfuhr. Tragischer Unfall-tod – dachte ich. „Nein, Selbst-mord!“, sagte unsere Gastge-berin. Worauf sofort die Frage kam: „Die Selbstmörder dür-fen jetzt hier sogar in der bayri-schen Provinz auf dem Friedhof beigesetzt werden?“ Seit eini-gen Jahren dürfen sie – also in diesem Ort. Ob das für alle ka-tholischen Friedhöfe Bayerns gilt, dafür möchte ich nicht mei-ne Hand ins Feuer legen. Immer-hin: In Bayern gibt es zumindest eine partielle „Emanzipation der Toten“ – wer selbstbestimmt aus dem Leben scheidet, dem wird von der Kirche offenbar nicht mehr grundsätzlich ein Bestat-tungsplatz verweigert. Udo Rei-ter kannte sein Bayern – er kam vom BR, bevor er die Intendanz beim MDR übernahm.Nach seinem Freitod strahl-te DeutschlandradioKultur das letzte Interview aus, das er dem Sender im August gegeben hat-te. Vehement sprach er sich für das Recht auf selbstbestimm-tes Sterben aus. Mit Anfang 20 hatte er einen schweren Ver-

kehrsunfall und war fortan quer-schnittsgelähmt. „Damals dach-te ich an Selbstmord!“ gestand er freimütig ein. Später habe er dann gesehen, wie viele „Fuß-gänger“ es gab, mit denen er sein Leben nicht hätte tauschen wollen. Die Moderatorin hakte nach: „Und wenn Sie da mit An-fang 20 Schluss gemacht hät-ten?“ „Dann wäre es eben so ge-wesen“, gab Reiter zurück. „Wir können doch nicht den Men-schen das Recht auf selbstbe-stimmtes Sterben verweigern, nur weil theoretisch eine Miss-brauchsmöglichkeit besteht – wie verhält es sich denn bei der Abtreibung? Untersagen wir da

den Frauen das Recht auf Ab-treibung, nur weil theoretisch die Missbrauchsmöglichkeit be-steht, dass vielleicht ein Part-ner oder andere Umstände eine Frau zwingen könnten, eine Ab-

treibung vorzunehmen?“ Erinnert werden darf in diesem Zusammenhang daran, dass sich fast auf den Tag genau vor einem Jahr Erich Loest in Leipzig das Leben nahm. Der Über-80-Jähri-ge sprang aus dem Fenster eines Krankenhauses. Ich möchte ehr-lich gesagt nicht in einem Land leben, in dem sich renommier-te Intendanten erschießen oder große Schriftsteller aus dem Fenster stürzen, weil es eine Lobby-Gruppe aus Kirchenleu-ten, Ärztevertretern und vor al-len Dingen der Pharma- und Ge-sundheitsindustrie gibt, die sich erfolgreich gegen den Wunsch der breiten Mehrheit der Bevöl-

kerung auf ein selbstbestimm-tes Sterben stellen. Diese Lob-by-Gruppe hat quer durch alle Parteien Fürsprecher „gewon-nen“. Die Industrie wittert einen Riesenmarkt. Mit Halbtoten soll

ein Milliardenumsatz gemacht werden – angeblich im Interes-se der Betroffenen, in Wahrheit im Profitinteresse einer Pharma- und Gesundheitsindustrie, die längst eine breite Ärzteschaft an sich gebunden hat. Hinzu kom-men unzählige Betreiber privater oder kirchlicher Pflegeeinrich-tungen. Volkes Stimme für ein selbstbe-stimmtes Sterben hat es schwer bei so viel Sperrfeuer – aber wenn selbst in Bayern Perso-nen, die den Freitod gewählt ha-ben, auf Kirchenfriedhöfen bei-gesetzt werden, sollte es dann nicht in von progressiven Partei-en regierten oder mitregierten

Bundesländern möglich sein, den Menschen zumindest dort Chancen für selbstbestimmtes Sterben einzuräumen? Bisher gibt es die Wahl zwischen „Ster-betourismus“ in die Schweiz

oder in die Niederlande – oder dem Fenstersprung in Leipzig bzw. dem Pistolenschuss auf der Terrasse. Wenn Brandenburg oder Thüringen vorangehen wür-den, wäre der Weg für uns Sach-sen kürzer, im Falle des Falles. Udo Reiter hat sinngemäß ge-sagt: Allein wenn man weiß, dass man die Möglichkeit hat, selbst-bestimmt aus dem Leben zu scheiden, führt das in den Län-dern, wo diese Gesetze beste-hen, eher zu einer Gelassenheit im Umgang mit dem Thema und keinesfalls zu einer Freitod-Wel-le. Ob man seinem Leben noch einen Sinn geben kann oder der Meinung ist, dass die Lebens-qualität auf unerträgliche Wei-se eingeschränkt ist, dies soll-ten allein die Betroffenen und nicht Politiker, Pfarrer und Ärz-te entscheiden. Übrigens spie-gelt sich bei dem Thema Freitod oder Selbstmord der alte Klas-senunterschied wieder. Adlige, hohe Politiker oder Unterneh-mer „wählen den Freitod“ – Leih-arbeiter, Arbeits- und Obdachlo-se „begehen Selbstmord“. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Dem ei-nen zollt man versteckt Aner-kennung, den anderen stellt man als verantwortungslosen Straf-täter hin. Der Totensonntag wä-re ein guter Anlass, von den Par-teien demonstrativ Antworten zu verlangen, wie ernst sie den Wunsch zum Recht auf selbst bestimmtes Leben und Sterben nehmen. Ralf Richter

Alles Zufall – oder (militär-)politisches Kalkül?!

Johannisfriedhof Dresden, Trauerhalle von Paul Wallot (1894).Bild: Lysippos / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

11/2014 Sachsens Linke! Seite 1

Mit Anja Klotzbücher und Marco Böhme be-richten die beiden jüngsten Abgeordneten der Linksfraktion, wie ihr Start im Parlament bisher verlief.

Michael Leutert schaut auf Hintergründe des Entwicklungshilfe-Haushaltes.

Caren Lay erklärt, wa-rum die angekündigte „Mietpreisbremse“ ein untaugliches und unzu-reichendes Instrument ist.

Jens Matthis hinter-fragt indes, ob der Be-griff „Unrechtsstaat“ für eine differenzier-te Geschichtsdebatte taugt.

Aktuelle Infos stets auch unter

www.dielinke-sachsen.de

Sachsens Linke

November 2014

Kein Kurs-wechsel

Der Berg kreißte und gebar ei-ne Maus. Das Ergebnis der Ko-alitionsverhandlungen kann aus linker Perspektive nicht befrie-digend sein. Viel mehr als tat-sächlich notwendige Reparatu-ren falscher Entscheidungen der CDU-Dauerregierung hat der Entwurf nicht zu bieten. So ver-wundert es nicht, dass er nach dem ersten Lesen so recht kei-nen Verhandlungssieger erken-nen lassen will, dafür aber ein-deutige Verlierer. Die heißen Tillich und Unland. Denn was sich schon in der letzten Legislatur-periode und im Wahlkampf an-deutete, wird nun manifest: Der rigide Sparkurs und die einzige Festlegung des Ministerpräsi-denten, den öffentlichen Dienst bis 2020 auf 70.000 Beschäf-tigte zu schrumpfen, haben sich als realitätsfremd erwiesen. Als Opposition haben wir seit Jahren auf zahlreiche Änderungen, die nun im Koalitionsvertrag festge-halten sind, gedrängt. Allein, das sind naheliegende Korrekturen. Innovation, Aufbruch für Sach-sen sieht anders aus: Längeres gemeinsames Lernen, eine mo-derne Verwaltung, ein Lösen der Bremse bei der Energiewende und endlich ein Ausstieg aus der Braunkohle sind nur einige Punk-te, die den Weg in den Koalitions-vertrag nicht gefunden haben. So scheint es, dass der SPD-Slogan „Unser Sachsen für mor-gen“ ziemlich stark nach gestern riecht. Mit der CDU an der Regie-rung wird es keine grundlegend andere Politik, keinen Kurswech-sel geben. Es ist zu befürchten, dass das Land weitere fünf Jahre verwaltet wird und nicht gestal-tet. Wir werden die Koalition des-halb ebenso kritisch wie konst-ruktiv begleiten.

Am 2. Dezember 1994 gegen 4.30 Uhr in der Frühe zog ein kleiner Trupp vom Berliner Karl-Liebknecht-Haus, der PDS-Par-teizentrale, zur gegenüberlie-genden Volksbühne. Intendant Frank Castorf selbst schloss den Gästen sein Haus auf. Die Besucher schlugen Feldbetten auf, campierten fortan im Mu-sentempel, gaben Pressekon-ferenzen und sahen sich gele-gentlich von der letzten Reihe des Balkons aus Inszenierun-gen des Hauses an.Die merkwürdigen Theatergän-ger waren Lothar Bisky, And-ré Brie, Gregor Gysi, Hanno Harnisch, Michael Schumann, Heinz Vietze und ich. Wir be-fanden uns seit knapp zwei Ta-gen im Hungerstreik, den wir in den Gebäuden der „Unabhän-gige Kommission zur Überprü-fung des Vermögens der Partei-en und Massenorganisationen der DDR“ und der „Treuhandan-stalt“ sowie im Berliner Abge-ordnetenhaus begonnen hat-ten, wo wir jeweils durch die Polizei geräumt wurden.Anlass für unsere Aktion war eine Steuerforderung von über 67 Millionen D-Mark, die das Finanzamt Berlin für das ers-te Halbjahr 1990 (!) gegenüber der Partei erhob. Als Schatz-meister der PDS erklärte ich damals: „Mit diesem Bescheid sowie den Vollstreckungs-

schritten des Berliner Finanz-senators Pieroth wird nicht nur die politische Existenz der PDS gefährdet, sondern zugleich der demokratische Rechtsstaat lächerlich gemacht.“Der abstruse Steuerbescheid war Teil eines mit aller Här-te geführten Kampfes gegen die sozialistische Partei. Nicht zufällig wurde das Pamph-let erst unmittelbar nach der Wahl 1994, bei der die PDS den Wiedereinzug in den Bundes-tag schaffte, erstellt und zuge-stellt. Offenbar sahen Bundes-regierung und Berliner Senat darin eine letzte Chance, die Partei zu strangulieren, auf de-ren langsames Ende setzten sie nicht mehr. Für die PDS ging es um Sein oder Nichtsein, die Partei musste öffentlich Druck machen.Nach acht Tagen konnten wir den Hungerstreik am Mitt-woch, dem 7. Dezember 1994, beenden. Das Verwaltungsge-richt Berlin hatte Anträgen der Partei stattgegeben, das wider-sinnige Verlangen war zunächst vom Tisch und die PDS bekam eine Atempause, bis die strit-tigen Vermögensfragen 1995 in einem Vergleich zwischen PDS und Treuhandanstalt ab- schließend geklärt wurden.Unser Hungerstreik und des-sen Erfolg ermutigten nicht wenige Menschen im Osten

Deutschlands, beherzt und selbstbewusst ihre Interessen zu verfechten. Über 50.000 Bürgerinnen und Bürger gin-gen in der ersten Dezemberta-gen ‘94 auf die Straße, erklär-ten sich solidarisch mit den Sozialistinnen und Sozialisten und dokumentierten trotzig: Wir lassen uns nicht alles ge-fallen! Namhafte Intellektuelle und Künstler stärkten uns den Rücken, darunter Stefan Heym, Stephan Hermlin, Steffi Spira, Käthe Reichel und Erwin Ge-schonneck. Ihren Unmut über das rechtsstaatswidrige Ge-baren der Behörden äußerten auch Menschen, die nichts mit der PDS am Hut hatten, zum Beispiel Thomas Schoppe von der Gruppe Renft, Joschka Fi-scher und Lothar de Maizié-re. In Potsdam war Rolf Wett-städt, Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, in den Hungerstreik getreten. Ganz besonders berührte uns die Solidarität der Kalikumpel aus Bischofferode, die selbst mittels Hungerstreik für die Zu-kunft ihrer Betriebe gefochten hatten. Die Solidarität war viel-fältig und riesig. Uns erreichten Briefe und Blumen, Obstsäfte und Decken, Bücher und Medi-kamente. Die Führungen euro-päischer Linksparteien grüßten ebenso wie zahlreiche Verbän-de und Vereine.

Der Hungerstreik war eine „Par-tisanenaktion“, mit keinem Vor-stand abgestimmt. Doch un-zählige Parteimitglieder stellten sich vorbehaltlos an unsere Sei-te, einige traten selbst in Hun-gerstreik. Wir genossen die Sympathie vieler Genossinnen und Genossen, die später auch unterschiedliche Wege gingen. Manche haben die Partei ver-lassen, andere waren lange oder sind bis heute in der LIN-KEN in Verantwortung. Exem-plarisch nenne ich Petra Pau, Dagmar Enkelmann, Helmuth Markov, Christine Ostrows-ki, Barbara Höll, Angela Mar-quardt, Rolf Kutzmutz, Elke He-rer und Brigitte Zschoche.Der Hungerstreik der PDS-Po-litiker warf natürlich die Frage auf, ob es gerechtfertigt ist, für eine Partei seine Gesundheit, gar das Leben auf’s Spiel zu setzen. Lothar Bisky hat sie da-mals so beantwortet: Die PDS sei für ihn „nicht nur Partei, sondern ein Stück linker Kul-tur, ein Stück vorweggenom-mener sozialer Gerechtigkeit, ein Stück solidarischer Um-gang miteinander; wenn man so will, ein Stück antizipierter demokratischer Sozialismus“, für den er streite. Nachzulesen ist das in einem Büchlein, das Lothar Bisky über den Hunger-streik schrieb. Sein Titel: Wut im Bauch. Dietmar Bartsch

Wut im Bauch

Bild: www.dietmar-bartsch.de

Sachsens Linke! 11/2014 Seite 2

Meinungen

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Herausgeberin: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Bildung

und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a,01129 Dresden

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wie-der. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kür-zungen vor. Termine der Redakti-

onssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und DruckereiGmbH in Cottbus in einer Auf-lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Ralf Richter, Stathis Soudias.

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Kontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 29.10.2014

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 04.12.2014.

Zur Unrechtsstaatsdebatte (Sachsens Linke! 10/2014, S. 1, 3)Jeder Staat gibt sich ein Rechts-system, das die gesellschaft-lichen Machtverhältnisse wi-derspiegelt, also hauptsächlich den Interessen der Herrschen-den entspricht. Auch in der BRD ist es so, dass sich die „kleinen oder großen Mächtigen“ hin und wieder nicht einmal an ihre eige-nen Gesetze halten. Und: „Recht haben und Recht bekommen ist zweierlei“, z. B. im Sozialbereich oder bei Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und Kon-zernen. Somit ist nach Defini-tion des Thüringer Papiers die BRD ein Unrechtsstaat. Und die polizeilichen Übergriffe z.B. bei Castortransporten, bei Block-upy in Frankfurt am Main usw. zeigen, dass dies auch bei der von Peter Porsch zitierten De-finition so ist. Warum steht das dort nicht so? Dabei hätte ich auch nichts dagegen, den Kampfbegriff „Unrechtsstaat“ ganz zu vermeiden und statt-dessen ganz im Sinne von Peter Porsch zu schreiben: „Auch die Erfahrungen in der DDR moti-vieren uns im Kampf gegen heu-tiges Unrecht.“ Und wenn SPD und Bündnis 90/Die Grünen das nicht unterschreiben kön-nen, würden sie damit nur zei-gen, dass es ihnen nicht um die Bekämpfung von Unrecht, son-dern um die Rechtfertigung des gegenwärtigen Unrechts geht. Uwe Schnabel, Coswig

Offener Brief an den Landes-vorsitzenden der Partei DIE LINKE SachsenGenosse Rico Gebhardt,auf der Regionalkonferenz am 9. Oktober 2014 in Leipzig zur Auswertung der Landtagswahl hast Du als Reaktion auf mei-nen Diskussionsbeitrag zum Ausdruck gebracht: Wer be-hauptet, dass es eine Konter-revolution gab (gemeint sind die historischen Ereignisse der Jahre 1989/90 in der DDR), der hat mit mir in einer Partei nichts zu tun.Ein solches Urteil eines Landes-vorsitzenden gegenüber einem Mitglied ist ernst zu nehmen, weshalb ich Dich bitte, Deinen Worten Taten folgen zu lassen und die Schiedskommission an-zurufen. Es ist für mich partei-politisch von existentieller Be-deutung, zu wissen, ob in der Partei DIE LINKE wissenschaft-liches marxistisches Denken noch geduldet ist.Vorab zum inhaltlichen Ver-ständnis. Jeder historische Vor-gang hat bestimmte Etappen und ein Resultat. Die Losung der ersten Etappe, „Wir sind das Volk“, zielte auf eine Reformie-rung der DDR und nicht auf die Einführung der Herrschaft des Kapitals. Die Losung der folgen-den Etappe, „Wir sind ein Volk“, beinhaltete die Forderung nach einer Vereinigung mit der ka-pitalistischen BRD. Entspre-chend des realen Kräfteverhält-nisses wurde die Losung „Wir

sind ein Volk“ zum Ausgangs-punkt der Restauration kapita-listischer Eigentumsverhältnis-se für die neuen Bundesländer; was nichts anderes war als die Beseitigung der nichtkapitalis-tischen Eigentumsverhältnis-se in der DDR bzw. der neuen Bundesländer, also Konterrevo-lution. Dieser Begriff ist demnach kei-ner, der die Menschen diskredi-tiert, „die die Schnauze voll hat-ten“, wie Du es auszudrücken beliebtest. Er bezeichnet dem-nach die Wiederherstellung überwundener Eigentumsver-hältnisse.Solltest Du die gegenwärti-gen Eigentumsverhältnisse der BRD, die die Reichen reicher macht, die Menschen zweiter Klasse produzieren (Hartz IV), die Kinderarmut, Obdachlosig-keit und Kriege einschließen, all das, was in der DDR überwun-den war, als Fortschritt betrach-ten, dann haben wir natürlich unüberbrückbare Meinungs-verschiedenheiten, die nicht in einer Partei zusammen ge-hören. Hiermit ist aber noch nicht gesagt, wer von uns bei-den nicht in DIE LINKE gehört. Denn im Parteiprogramm steht: „Wir verfolgen ein konkretes Ziel: Wir kämpfen für eine Ge-sellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesell-schaftlichen Verhältnisse de-mokratisch gestalten können. Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus“.

Sollte Deine Reaktion auf der Regionalkonferenz auf theo-retischer Unkenntnis gesell-schaftswissenschaftlicher Er-kenntnisse beruhen, so mach Dich bitte sachkundig. Ich er-warte dann mindestens eine öffentliche Entschuldigung, da Deine Position im Sachsenspie-gel am 13.10.2014 öffentlich wurde. Siegfried Kretzschmar

Antwort von Rico GebhardtLieber Siegfried Kretzschmar,da Du Deinem Schreiben an mich die Form eines Offenen Briefes gegeben hast, ent-spricht es sicherlich Deinem Anliegen, dass auch ich im In-teresse maximaler Transpa-renz den Weg der Einbeziehung interessierter Öffentlichkeit wähle.Wer bei der Regionalkonferenz am 9. Oktober in Leipzig da-bei war, weiß, dass sich Deine Ausführungen zur „Konterre-volution“ ausdrücklich auf das an diesem Tag stattfindende Gedenken in der Stadt an die große Demonstration am 9. 10.1989 bezogen hat. Die Be-wertung dieser Großdemons-tration des Herbstes 1989 in Leipzig als „Konterrevolution“ habe ich entschieden zurück-gewiesen, und dem habe ich nichts hinzuzufügen.Ich bitte deshalb, bei allem Streit in der Sache die realen Gegebenheiten nicht aus dem Auge zu verlieren. Zum Reali-tätssinn gehört auch die Ein-sicht, dass wir den Kampf um eine demokratisch sozialis-tische Gesellschaft nicht vor Partei-Schiedskommissionen, sondern in der Mitte der Ge-

sellschaft führen sollten. Da-von werde ich mich nicht ab-bringen lassen.Rico Gebhardt

Zukunftskongress, Kampag-ne, Strategiekonferenz

Nach der Wahl ist bekannt-lich vor der Wahl. Das gilt für die Bundes- wie auch für die Landesebene gleichermaßen. Doch die Zwischenwahlzeit will sinnvoll genutzt sein. Genau das will DIE LINKE versuchen. Deshalb wird sie sich im April 2015 in Berlin treffen, um dort auf einem Zukunftskongress die gesellschaftlichen Bedin-gungen und die Wünsche für eine sozial gerechte und öko-logische Zukunft zu diskutie-ren. Dies soll der Anfang sein für eine Kampagne, die sich bis zur nächsten Bundestagswahl 2017 zieht und versucht, pre-käre Arbeits- und Lebensver-hältnisse in den gesellschaft-lichen Fokus zu rücken und LINKE Alternativen zu formulie-ren. Unter dem Titel „Das muss drin sein. Leben ohne Zumu-tungen“ soll so die notwendi-ge thematische Zuspitzung bis 2017 erfolgen. Eingebettet in diesen Prozess wird auch DIE LINKE. Sachsen eine Strate-giekonferenz durchführen. Die-se ist für den 9. Mai 2015 ter-miniert. Die Bundes- wie auch die Landespartei haben sich al-so einiges vorgenommen. Auch „Sachsens Linke!“ wird diesen Prozess begleiten: Den Auf-schlag werden wir in der nächs-ten Ausgabe machen und Zu-kunftskongress und Kampagne näher beleuchten.

Der Witzeerzähler Dieter Nuhr hat einen Witz über den Islam gemacht. Vermutlich mehrere – aber das ist egal. Für einen da-von ist er nun angezeigt worden, von einem, der den Witz nicht lustig fand, weil er Moslem ist. Schlimm. Vor allen Dingen des-wegen, weil der Witzeerzähler Dieter Nuhr nun überall als mu-tiger Kabarettist herumgereicht wird, der er nun wirklich nicht ist. Vor allen Dingen kein Kaba-rettist, denn: Nuhr ist ein Wit-zeerzähler, so etwas Ähnliches wie ein Mario Barth oder Fips Asmussen, nur für die Creme der qualifizierten Hauptschul-abgänger. Nuhr betreibt weder Satire, noch macht er Kabarett, sondern er ulkt vor Kameras zu

guter Sendezeit herum, was in Kantinen und auf Bowlingbah-nen so als Ulk durchgeht, je-doch nicht mehr ist als blödes Gelaber über eine Welt, die man nicht versteht, weil man sie nicht verstehen kann oder will.Nun hat er sich den Islam raus-gesucht, der Nuhr – eine Reli-gion, die in Ursprung und Pra-xis das ist, was Religionen eben so sind: Dummes Geschwätz und das Befolgen noch dümme-rer Regeln, welche aus gewieft verfassten Schriftstücken über angeblich geschehene Wun-der und geschwindelte Reise-erlebnisse heiliggesprochener Angeber interpretiert werden – und die kein Mensch, der heu-te halbwegs bei Verstand ist, ir-

gendwie ernst nehmen kann. Das gepriesene Gelumpe mag Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus – oder sonstwie heißen: In seiner sprachlichen Albernheit (gern als große Lite-ratur, bezaubernde Lyrik gar ge-priesen) und seiner manifesten Brutalität bei korrekter Ausfüh-rung nimmt es sich nichts. Man könnte allen Religiösen getrost einen Vogel zeigen und sagen: Klärt das für Euch am Küchen-tisch oder unter der Bettdecke – aber lasst mich mit dem Un-fug in Ruh!Nicht so Nuhr. Der weiß als Wit-zeerzähler, was die Leute gern mögen – und zwar, dass beim Witz immer einer der Blöde sein muss. Ohne Depp gibt’s

kein Gelächter. Und da Nuhr als Mietmaul der christlich-abend-ländischen Bourgeoisie ganz genau weiß, wer der Blöde zu sein hat, nimmt er sich den Mu-selmann und seine Suren vor – völlig ausblendend, dass seit Christian Wulffs Heimsuchung durch Diekmann und die Rest-medien des Landes die Islam-hetze in Deutschland inzwi-schen ein hochgefährliches Ausmaß angenommen hat, vorläufig kulminierend im Köl-ner Hooligan-Aufmarsch des 26. September, als tausende Drecksäcke ihren Fremden-hass in die von Diekmann & Co. vorbereiteten Förmchen gie-ßen durften. Der Beifall, den Nuhr nun in den Kommentar-

spalten der Zeitungen, in Mails, Briefen und auf Facebook von den ekelhaftesten Vollpfosten der Republik dafür bekommt, dass er sich jammernd als vo-rauseilendes Opfer der Scharia verkauft, wird ihm nicht zu den-ken geben. Dafür ist Nuhr ein-fach zu dämlich. Und auch die Fotos brennender Moscheen und erschlagener Ausländer, jene, die es schon gibt und je-ne, die vielleicht noch entste-hen werden, dürften an seiner Dämlichkeit nichts ändern. Da-für ist Nuhr einfach zu deutsch. Er wird es nicht gewusst haben wollen, was er da selbst mit auf den Weg gebracht hat, eines Tages, wenn man ihn darauf an-spricht.

Glosse Blödmann vom Dienst von Uwe Schaarschmidt

11/2014 Sachsens Linke! Seite 3

Vorab: Ich bin kein Gegner einer rot-rot-grünen Regierung in Thü-ringen. Und wie viele andere hal-te ich die ganze Diskussion für eine falsche Diskussion zur fal-schen Zeit. Anders als manche/r in der Parteiführung bin ich aller-dings der Meinung, dass für die lästige Diskussion nicht die Kriti-ker des Begriffes verantwortlich sind, sondern diejenigen im Ver-handlungsteam, die absichtsvoll oder fahrlässig der Formulierung vom „Unrechtsstaat DDR“ zu-stimmten. Um ein Junktim zwi-schen einem politischen Ver-trag für die Zukunft und einer bestimmten historischen Be-wertung herzustellen, bedarf es einer besonderen Begründung. Entweder ist beabsichtigt, aus der Bewertung Konsequenzen zu ziehen. Über diese gewollten und ungewollten Konsequen-zen dieser Formulierung müsste dann intensiv nachgedacht, sie müssten benannt werden. Oder aber es handelt sich schlicht um eine politische Erpressung, die dazu da ist, die Verhandlungspo-sition des Gegenübers zu schwä-chen. Letzteres sollte man sich nicht gefallen lassen.Das Problem ist gar nicht, dass man sich durch den Begriff „Un-rechtsstaat“ persönlich belei-digt oder herabgesetzt fühlen müsste. Insofern sind mir Erklä-rungen etwas suspekt, die da-rauf hinauslaufen, man dürfe den Begriff mit „Rücksicht auf die Lebensleistung ehemaliger DDR-BürgerInnen“ nicht ver-wenden. Das ist ein so schwa-ches Defensivargument, dass es eher noch zur Bestätigung des Begriffes beiträgt. Es folgt dem Muster: „Opa war zwar ein krummer Hund, aber das kann man der Oma so natürlich nicht sagen“. Das eigentliche Problem ist vielmehr, dass sich eine Ge-schichtssimplifizierung aus po-

litischer Opportunität und ver-meintlichem Pragmatismus an nicht vorhersehbarer Stelle bit-ter rächen kann.Es ist unstrittig, die Repressio-nen gegen unangepasste, kriti-sche oder oppositionelle DDR-BürgerInnen klar als Unrecht zu bezeichnen, und zwar unabhän-gig davon, ob sie im Einzelfall durch DDR-Recht gedeckt waren oder nicht. Der Begriff „Repressi-on“ schließt für mich dabei alles ein, von der willkürlichen kleinen Zurücksetzung im Alltag bis zur jahrelangen Haft in Bautzen II. Unstrittig ist auch, dass die DDR kein bürgerlicher Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, unabhängi-ger Justiz und Rechtswegegaran-tie war. Sie wollte es in ihrem ei-genen Selbstverständnis bis zum Herbst 1989 auch gar nicht sein. Der Begriff „Unrechtsstaat“ hat jedoch andere, weitreichende-re Implikationen. Ein Staat wird nicht allein dadurch zum Un-rechtsstaat, dass es in ihm auch vom Staat geduldetes oder ver-anlasstes Unrecht gibt, so etwas kommt auch in vielen Rechts-staaten vor. Zum Unrechtsstaat wird ein Staat dadurch, dass seine gesamte Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Recht-sprechung im Wesentlichen ge-gen übergeordnete rechtliche und moralische Normen verstößt und damit von vornherein als Un-recht betrachtet werden kann. Davon kann man z. B. mit Blick auf das „Dritte Reich“ durchaus ausgehen. Aber bei der DDR? 1. In der DDR wurde die bür-gerliche Eigentumsordnung negiert und eine andere Ei-gentumsordnung geschaffen. Großes Privateigentum wurde entschädigungslos enteignet, anschließend verteilt (Bodenre-form) oder aber vergesellschaf-tet (Großindustrie, Banken usw.). Das passierte zwar in wesent-

lichen Teilen bereits unter Be-satzungsrecht vor 1949, wurde später aber durch DDR-Recht legitimiert und fortgesetzt. Die-se Veränderungen wurden von denjenigen, die davon negativ betroffen waren, als furchtbares Unrecht wahrgenommen. Für ei-nen großen Teil der bundesdeut-schen Gesellschaft verstößt die-ser Eingriff in das bürgerliche Eigentum gegen eine übergeord-nete Norm und ist damit ein In-dikator für den „Unrechtsstaat DDR“.2. Noch bevor er Bundespräsi-dent wurde, trug Joachim Gauck den „Kommunisten“ nach, dass die Anerkennung der Oder-Nei-ße-Grenze durch die DDR nicht nur in der Bundesrepublik, son-dern auch in großen Teilen der DDR-Bevölkerung als „Ze-mentierung des Un-rechtes der Vertrei-bung“ angesehen wurde. Zwar wur-de dieses „Un-recht“ vierzig Jah-re später durch die Bundesrepu-blik nachvollzo-gen. Das hinderte Gauck aber nicht daran, es als Argu-ment gegen den „Un-rechtsstaat DDR“ zu verwenden. 3. In der DDR wurden weitrei-chende Pläne zur gesellschaftli-chen Umgestaltung verfolgt. Da-zu gehörte auch die Brechung des Bildungsprivilegs der Rei-chen und Besitzenden. Das war aber harmonische Veranstal-tung unter der Überschrift „Stu-dium für alle“. Angesichts der beschränkten ökonomischen Ressourcen bedeutete zunächst jeder Studienplatz für ein Arbei-terkind auch, dass ein Kind aus einer Unternehmer-, Arzt- oder Pfarrersfamilie nicht studieren

konnte, obwohl es in dessen Fa-milientradition selbstverständ-lich war. Dies wurde von den Betroffenen, menschlich gut nachvollziehbar, als großes Un-recht im „Unrechtsstaat“ emp-funden. 4. Auch in anderen Bereichen brach das DDR-Recht radikal mit der bürgerlichen Ordnung, etwa im Zivil- und Familienrecht. Hier vollzog die DDR weitreichende Reformen, die in der Bundesre-publik mitunter erst Jahrzehnte später, zum Teil bis heute nicht nachvollzogen wurden. Von kon-servativer Seite wurden diese Reformen in der Bundesrepub-lik auf das Schärfste bekämpft, unter anderem auch mit dem Ar-gument, dass man nicht bereit

sei, das Un-r e c h t

d e s „ U n -

rechtsstaates DDR“ zu übernehmen. 5. Erwähnt sei noch das DDR-Arbeitsrecht, hergeleitet aus einem verfassungsmäßigen „Recht auf Arbeit“. Man kann es nach heutigen Maßstäben als ausgesprochen „arbeitnehmer-freundlich“ bezeichnen. Diese „Arbeitnehmerfreundlichkeit“ bereitete nicht nur privaten Un-ternehmern, sondern auch sozi-alistischen LeiterInnen in VEBs und Verwaltungen mitunter er-

hebliche Probleme. Zugleich si-cherte es Millionen Menschen ei-ne soziale Sicherheit, die durch Umbrüche im Wirtschaftsleben nicht gefährdet wurde. Dass wirtschaftliche Risiken nicht auf Arbeitnehmer abgewälzt wer-den können und Arbeitsplätze nicht betriebswirtschaftlicher Rationalität geopfert werden dürfen, wäre unter heutigen ge-sellschaftlichen Rahmenbedin-gungen zweifellos ein untragba-res „Unrecht“. Aus konservativer oder (neo-)liberaler Sicht ist es geradezu zwingend, die DDR aus den fünf vorgenannten Gründen als „Un-rechtsstaat“, als Angriff auf die Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft und des bürgerli-chen Rechtes zu klassifizieren. Die Einschränkung von politi-schen Bürgerrechten und die Re-pressionen gegen die Opposition spielen dabei eher eine unterge-ordnete Rolle, daran hätte und hat man sich bei anderen Staa-ten nicht weiter gestoßen. Aber waren die (teilweise) Aufhebung bürgerlichen Eigentums, die so-fortige Anerkennung der neu-en Grenzen in Europa, die Bre-chung des Bildungsprivilegs sowie die Reformen im Zivil-, Fa-milien- und Arbeitsrecht nach linken Maßstäben Unrecht? Aus linker Sicht sollte man genauer differenzieren, was an diesem „Staat der kleinen Leute“ (Gün-ter Gaus) historisch gerecht und gelungen, was legitim, aber miss-raten und schließlich was unent-schuldbares Unrecht war. Nicht nur um der Befindlichkeit oder eventueller juristischer Nach-wirkungen willen, sondern auch wegen des eigenen programma-tischen Selbstverständnisses. Jens MatthisDer ungekürzte Beitrag findet sich unter www.dielinke-dresden.de.

Auf der Welt hungern trotz heh-rer politischer Postulate immer noch 840 Millionen Menschen. Sie hungern hauptsächlich in Af-rika, Teilen Lateinamerikas und Südostasiens. Die wohlgenähr-te Seite der Welt dagegen ver-ramscht, vernichtet und verteilt, nachdem man heimische Bau-ern mit dem Export eigener bil-liger Ware zuvor ruiniert hat, zur Beruhigung des Gewissens in re-gelmäßigen karitativen Hilfsakti-onen Brosamen ihrer landwirt-schaftlichen Überproduktion. Diese Ungerechtigkeit wurde ererbt aus kolonialen Vorzei-ten, aber sie wird politisch in die Zukunft fortgeschrieben – u. a. durch die Exportorientierung der führenden Landwirtschaf-ten.Dabei hat die Erde genug Kraft, auch 10 Milliarden Menschen zu ernähren – wenn ihre vielseiti-

gen Ressourcen in jeder Region von und für die Menschen der Re-gion maßvoll entwickelt und ge-nutzt werden. Maßvoll schließt ein, dass verfestigte ungesunde Ernährungs- und gedankenlose Verbrauchsgewohnheiten in den reichen Industrienationen, also der inzwischen stagnierende, dennoch viel zu hohe Fleisch-konsum und die dramatische Lebensmittelverschwendung, reduziert werden. Das ist not-wendig, um weltweit Flächen-konkurrenzen abzubauen, aber auch, um das verheerende Mo-dellvorbild eines zukunftsfeind-lichen kapitalistischen Lebens-stils zu korrigieren. Eine solche „Entwicklungshilfepolitik“ eröff-net neue spannende Perspekti-ven – für die Landwirtschaft in Entwicklungs- und Schwellen-ländern, aber auch für Europa und in Deutschland.

Agrarpolitik ist mehr als Pro-duktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen in ausreichender Qualität und Quantität. Die heutige Gesell-schaft verlangt darüber hinaus die Einhaltung von steigenden Sozial-, Umwelt- und Tierschutz-standards in der Produktion selbst, sie fordert eigenständige Beiträge zum Klimaschutz, zum Erhalt der biologischen Vielfalt, zur Pflege von Kulturlandschaf-ten, sie mahnt faire globale Han-delsbeziehungen an. Multifunk-tional sowie sozial, ökologisch, tiergerecht und entwicklungs-politisch nachhaltig – eine sol-che Landwirtschaft muss sich stärker an der Region und ihren Wirtschaftskreisläufen sowie an der Qualität ihrer Produkte ori-entieren. Die allgemeinen ka-pitalistischen Markt- und För-dermechanismen torpedieren

eine solche Entwicklung mit dem Verweis auf eine steigen-de Nachfrage einer wachsenden Weltbevölkerung.Die Lösung dieses gesellschaft-lichen Konflikts ist von ebenso existentieller Bedeutung wie die Frage nach dem Energiesystem der Zukunft. Den Kurs in Europa bestimmen dabei die Mitglieds-staaten, den Kurs in Deutsch-land die Bundesländer. Ver-antwortung darf deshalb nicht delegiert werden. Es kommt auf den politischen Willen zur Kurs-änderung in der Landwirtschaft an – auch in Sachsen.Diese Kursänderung möchte die ökologische Landesarbeitsge-meinschaft ADELE in agrarpoliti-schen Leitlinien anmahnen und konkrete Handlungserfordernis-se für Partei und Fraktion ablei-ten. Einen ersten Entwurf dazu aus der Tastatur der Fachspre-

cherin der Landtagsfraktion, Ka-thrin Kagelmann, diskutierten die „Eulen“ anlässlich ihres dies-jährigen Landestreffens Anfang Oktober in Bad Lausick. Das bewusst im Umfang begrenz-te Papier droht nach einer sehr angeregten und anregenden De-batte mit zahlreichen Hinwei-sen und Ergänzungsvorschlä-gen „aus der Form“ zu gehen. Im kommenden Jahr wird ADE-LE die Diskussion fortsetzen. Ziel ist es, die Leitlinien im Jahr 2015 durch die Partei beschlie-ßen zu lassen. Die Mitglieder der LINKEN sind herzlich eingela-den, sich an der Diskussion zu beteiligen. Außerdem bestätig-ten die „Eulen“ mit Sabine Kun-ze, KV Görlitz, und Alexander Lauter, SV Leipzig, ihre bisheri-gen SprecherInnen für weitere zwei Jahre in ihren Ämtern. Kathrin Kagelmann

Unrechts ist nicht Links

„Drum braucht er was zu essen“ … – ADELEN diskutieren Landwirtschaft

Sachsens Linke! 11/2014 Seite 4

Wer an explodierende Mietkos-ten denkt, dem kommen Städ-te wie Hamburg, München, Frankfurt am Main und auch Berlin in den Sinn. In Sachsen war die Miete lange kein The-ma. Das ändert sich seit einigen Jahren – vor allem in Dresden, Leipzig und dem sogenannten „Speckgürtel“. Schenkt man dem Immobilienportal immo-net Glauben, dann steigt allein in Groß- und Universitätsstäd-ten die Kaltmiete seit 2009 um durchschnittlich 34 Prozent. Dagegen wirken die knapp 15 Prozent Anstieg im gleichen Zeitraum in Leipzig fast mode-rat. Experten befürchten je-doch, dass sich das Problem in Leipzig verschärfen wird – Leip-zig ist eine wachsende Stadt. Allein in diesem Jahr gab es eine Netto-Zuwanderung von 10.000 Neu-Leipzigerinnen und -Leipzigern. Grundsätz-lich eine schöne Entwicklung, die aber leider einhergeht mit Effekten, wie sie z. B. in Berlin seit etwa zehn Jahren zu beob-achten sind: Wohnraum wird lo-gischerweise knapp und eine Verdrängung der Ärmeren setzt ein. Auch in Dresden werden attraktive Stadtteile wie die Neustadt etwa für Studierende langsam unerschwinglich – ob-

wohl gerade sie es waren, die diesen Teil der Stadt lange ge-prägt haben.Hohe Mieten sind aber kein alleiniges Problem der Groß-stadt. In meinem Wahlkreis Bautzen sind in einigen Lagen die Mieten in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent ge-stiegen, und ebenso steigen die Grundstückspreise an; auch in Meißen wird das Leben teurer. Und selbst da, wo es nach wie vor viel Leerstand gibt, leiden Mieterinnen und Mieter unter steigenden Nebenkosten. Nun soll bald ein Gesetz der Großen Koalition mit dem viel-versprechenden Namen „Miet-preisbremse“ Linderung ver-schaffen. Die Enttäuschung wird groß sein. Denn was hier als Mietpreisbremse angekün-digt wird, verdient diesen Na-men nicht. Erstens liegt die Einführung der Mietpreisbrem-se in der Hand der Länder – das CDU-geführte Sachsen könn-te die Einführung verweigern. Mieten sollen gebremst werden und das auf 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Das kann aber in der Praxis im-mer noch locker eine Verdopp-lung der Miete im Vergleich zum Vormieter bedeuten, wenn man einen alten Mietvertrag hat. Zu-

sätzlich hat sich die CDU auf der Zielgrade noch durchge-setzt und der Immobilienlobby ein Geschenk gemacht, indem sie Neubauten komplett von der Mietpreisbremse befreit hat. In puncto Sozialer Wohnungs-bau schiebt der Bund die Ver-antwortung an die Länder und stellt – gemessen am Bedarf – viel zu wenig Geld zur Ver-fügung. Und mit diesen viel zu geringen Mitteln investie-

ren die Länder häufig nicht in den eigentlichen Zweck, näm-lich Sozialwohnungen. Bun-desweit kommt auf fünf Sozi-alwohnungsberechtigte gerade einmal eine Sozialwohnung. Und Sachsen hat die rote Later-ne: In keinem anderen Bundes-land sind in den vergangenen Jahren mehr Sozialwohnun-gen weggefallen als hier. Zwi-schen 2010 und 2012 hat sich die Zahl preisgebundener Woh-

nungen von 80.000 auf 40.000 halbiert.Deshalb ist es gut, dass sich vor Ort etwas tut und DIE LINKE zusammen mit Bünd-nissen von MieterInnen Druck macht, damit Wohnen bezahl-bar bleibt. In Dresden z. B. setzt sich DIE LINKE für die Schaf-fung einer städtischen Woh-nungsbaugesellschaft ein. Ein Bündnis für bezahlbares Woh-nen soll dort mit der Rats-mehrheit von LINKEN, SPD und Grünen noch in diesem Jahr um-gesetzt werden.Für LINKE ist klar: Gutes, innen-stadtnahes Wohnen darf kein Privileg der Reichen sein. Wir setzen uns für eine echte und flächendeckende Mietpreis-bremse ein Und wir brauchen eine Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus. Mindestens 150.000 neue Sozialwohnun-gen müssen jährlich entstehen.Caren Lay

Die Fraktion DIE LINKE. im Bun-destag veranstaltet am 15.11. eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Was bringt die Mietpreisbremse?“ in Berlin. Interessierte sind herzlich ein-geladen. Weitere Informationen gibt es unter anderem auf www.caren-lay.de unter „Termine“.

„Flüchtlinge in Nahost müssen hungern“. Mit dieser erschre-ckenden Schlagzeile machte vor kurzem die Online-Ausga-be der „Süddeutschen Zeitung“ auf. Der Grund dafür ist, dass die UNO angesichts der riesi-gen Flüchtlingsströme im Na-hen Osten nicht mehr über aus-reichende Mittel verfügt, um die Flüchtlinge wie bisher zu versorgen. Allein in Syrien sind 4,2 Millionen Menschen auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg oder haben ihre Lebensgrund-lage in der zerstörten Heimat verloren.In der Konsequenz bekommen die Menschen in den Flücht-lingslagern erheblich gekürzte Rationen an Essen und Trinken, je nach Land um zwischen 20 und 40 Prozent. Die hundert-tausenden Kurdinnen und Kur-den, die vor den Terrormilizen des IS in die Türkei entkommen konnten, erhalten von der UNO gar nichts mehr. Auf der türki-schen Seite steht die kurdische Verwaltung daher allein vor der Aufgabe, ihnen zu helfen. Dabei kann sie kaum auf Unterstüt-zung von der türkischen Zent-ralregierung in Ankara zählen. Organisiert und finanziert wer-den Zeltstädte wie auch Nah-rungsmittel und Decken aus-schließlich von der Kommune, von Privatpersonen vor Ort und durch Spenden, wie auch Do-

minic Heilig, Mitglied des Par-teivorstands der LINKEN, nach seinem Besuch vor Ort bestä-tigte.Für die Bundesregierung ist weder der rasante Anstieg der Flüchtlingszahlen in den Bür-gerkriegsstaaten Syrien, Irak und Libyen noch die finanzielle Not der UN eine Überraschung. Beides ist nicht über Nacht entstanden. Dennoch will die

Bundesregierung im Haushalts-jahr 2015 ihre – ohnehin nicht üppig ausgestattete – humani-täre und Flüchtlingshilfe insge-

samt um 128 Millionen Euro auf nur noch 187 Millionen im Aus-wärtigen Amt und 60 Millionen im Entwicklungsministerium kürzen. So sieht es der Entwurf zum neuen Bundeshaushalt vor. Wie sehr diese Planung am Be-darf vorbeigeht, hat die Große Koalition selbst bestätigt: Weil schon der jetzige Ansatz bei weitem nicht ausreicht, wur-den im Haushaltsausschuss

aufgrund des akuten Mehrbe-darfs für das laufende Jahr erst vor kurzem 85 Millionen Euro zusätzlich für Humanitäre Maß-

nahmen bewilligt.Wenn man sich nun fragt, wa-rum die Bundesregierung wi-der besseres Wissen die Gel-der für die Humanitäre und Flüchtlingshilfe kürzt, gibt es darauf eine klare Antwort: wegen Schäubles „Schwar-zer Null“. Das übergeordne-te Ziel, das die Bundesregie-rung mit dem Bundeshaushalt 2015 erreichen will, ist es, ohne

Nettoneuverschuldung auszu-kommen. Diesem Fetisch wird ministeriumsübergreifend poli-tische Gestaltungsmacht geop-

fert. In dem Fall heißt das: Ob es mehr oder weniger Flüchtlin-ge im Nahen Osten gibt, ob die UNO mit ihren Mitteln am En-de ist oder nicht, ist von nach-geordneter Bedeutung, solange die „Schwarze Null“ steht.Eine solche Politik ist nicht nur inhuman, sie ist auch ein haus-haltspolitisches Täuschungs-manöver. Es ist absehbar, dass angesichts der aktuellen Kon-flikte und humanitären Katast-rophen auch im nächsten Jahr nachträglich mehr Geld in den Haushalt eingestellt werden muss. Dieses wird dann aber langsamer fließen und mögli-cherweise anderswo im Bun-deshaushalt fehlen. Aus beiden Gründen, dem humanitären wie dem haushaltspolitischen, ha-be ich für DIE LINKE bei den Etatberatungen im Haushalts-ausschuss beantragt, die Mit-tel 2015 nicht zu kürzen, son-dern aufzustocken. Langfristig brauchen wir einen Krisenre-aktionsfonds für humanitäre Katastrophen. Damit stünden permanent Mittel zur Krisenre-aktion bereit, aus denen betrof-fene Ministerien unvorhergese-hene Ausgaben sofort decken können. Die Finanzierung eines solchen Fonds kann zum gro-ßen Teil durch die freiwerden-den Mittel nach dem Ende des ISAF-Mandats in Afghanistan erfolgen. Michael Leutert

Bezahlbares Wohnen für alle – in Sachsen und überall

Humanitäre Außenpolitik im Zeichen der „Schwarzen Null“

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Foto-credits: Mohamed Ali Mhenni, GFDL-license

Kommunal-Info 9-2014

FlüchtlingeRechtliche Grundlagen für die Unterbringung

Seite 2

SicherheitsdiensteAnforderungen bei Vergabe für Flüchtlingsunterkünfte

Seite 3

KlimaschutzprojekteKommunale Förderrichtlinie für 2015/2016

Seite 4

Seminare des KFSZu den Themen „Aufsichtsräte“ und „Kommunale Sozialpolitik“

Seite 4

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Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

5. November 2014

Sozialpolitik in der KommuneEntsprechend dem im Grundgesetz

postulierten Sozialstaatsgebot ist es Aufgabe der Sozialpolitik auf kom-munaler Ebene, insbesondere die Le-benslage benachteiligter Gruppen zu verbessern, durch eine Angleichung der Lebenschancen und Existenzbe-dingungen. Da die Bereitstellung so-zialer Dienste und Leistungen primär durch soziale Einrichtungen auf örtli-cher Ebene erfolgt, kommt der kom-munalen Sozialpolitik ein besonderer Stellenwert zu.

Ein Rückblick Am Anfang war es die Armenpfl e-

ge oder Armenfürsorge, die ganz in der Zuständigkeit der Kommunen und privater Wohltätigkeitsorganisationen stand. Mit der preußischen Städteord-nung von 1808 und sinngleicher Geset-ze in den anderen deutschen Ländern wurde die Verpfl ichtung, für die „Er-nährung der verarmten Mitglieder und Einwohner sorgen“, ganz in die kom-munale Selbstverwaltung abgescho-ben. Wie die gemeindliche Pfl icht zur Armenfürsorge zu erfüllen sei, wur-de jedoch kaum durch weitere staatli-che Vorgaben untersetzt. Obligatorisch war lediglich die Einrichtung von „Ar-mendeputationen“, einer Art Beiräte, die sich speziell damit befassten.

Eine weitere gesetzliche Grundla-ge gab es für die Kommunen mit dem preußischen Armenpfl egegesetz vom 31. Dez. 1842, das am selben Tag mit der allgemeinen Niederlassungsfrei-heit eingeführt wurde und zum Aus-gleich der Armenlasten diente. Bis dahin hatte das „Heimatprinzip“ ge-herrscht, wonach zur Unterstützung eines Verarmten diejenige Gemeinde verpfl ichtet war, in der ein Verarmter geboren worden war. Im Verarmungs-fall war der Betreffende dorthin „zu-

rückzuschaffen“. In den 1860er Jahren kam es zu ei-

ner weiteren Ausweitung und Diffe-renzierung kommunaler Sozialpolitik: „Die Städte verstanden die altherge-brachte Armenpfl ege nunmehr als Uni-versalfürsorge, neben der sie – je nach örtlichen Problemen und Reformpo-tenzialen – ergänzende Gesundheits-, Jugend-, Wohnungs-, Erwerbslosenfür-sorge und Arbeitsvermittlung etablier-ten. Die nun aufgebauten Einrichtungen und Dienste bildeten eine neuartige so-ziale Infrastruktur, die Angebote und Dienstleistungen offerierten, die sich erheblich von der tradierten repres-siven Armenfürsorge unterschieden, und eine ungeheure Breitenwirkung entfalteten.“1

Staatliche Sozialpolitik und kommu-nales Handeln wurden in dem Maße erforderlich, wie mit der Industrialisie-rung die soziale Sicherung und Integra-tion nicht mehr durch traditionelle Ge-meinschaftsformen funktionierte. Die Abwanderung großer Teile der ländli-chen Bevölkerung von der dörfl ichen Gemeinschaft in die Städte als abhän-gige Lohnarbeiter bargen bei Wirt-schaftskrisen die Gefahr massenhafter Verelendung, die von der traditionellen Armenfürsorge der rasch wachsenden Städte (Urbanisierung) nicht aufgefan-gen werden konnte. Mit der Einfüh-rung der Bismarckschen Sozialrefor-men in den 1880er Jahren erfuhr die kommunale Fürsorge erhebliche fi nan-zielle Entlastungen.

Weimarer RepublikIn der Weimarer Republik ab 1918

vollzogen sich gravierende Verände-rungen für die kommunale Selbstver-waltung und für die Sozialpolitik.

Als sich der Reichstag angesichts gravierender Versorgungsengpässe

infolge der Hyperinfl ation Ende 1922 erstmals entschied, fi nanzielle Mittel zugunsten der öffentlichen und freien Wohlfahrtspfl ege auszuschütten, nutz-te das Reichsarbeitsministerium2 diese Möglichkeit, um in erster Linie die be-stehenden christlichen Wohlfahrtsver-bände Caritas und Innere Mission zu fördern. Deren Spitzenverbände ent-wickelten sich zu Verteilungsinstanzen öffentlicher Mittel und mit dauerhaft ausgestatteten Subventionen zu schlag-kräftigen Lobbyorganisationen.

„Ziel dieser Politik des Reichsar-beitsministeriums, zu der dann wenig später auch die Verankerung des Sub-sidiaritätsprinzips im Fürsorgerecht gehörte, war es, die sozial-konserva-tiven Milieus zu stabilisieren und die Wohlfahrtsverbände als Gegenwicht zur kommunalen Wohlfahrtspfl ege zu installieren, die nunmehr ja sozialde-mokratischen Einfl üssen zu unterlie-gen schien.“3

Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsge-setz wurde 1922 die Verantwortung für das gedeihliche Auf wachsen von Kin-dern und Jugendlichen geregelt und 1924 kam es zu einer reichseinheitli-chen Regelung der gemeindlichen Ar-menpfl ege. Bis zur Einführung einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung 1927 war die Hilfe für Arbeitslose eine kommunale Aufgabe.

Zu den Ergebnissen der Weimarer Republik gehört, dass durch den prä-genden Einfl uss der Sozialdemokratie in der Kommunalpolitik, gelegentlich als „Munizipalsozialismus“ bezeich-net, innerhalb der Fürsorgebereiche sich weitere Entwicklungen vollzo-gen und die Kommunen auch weit über den engeren Bereich der Fürsorge hin-aus Maßnahmen der Sozialpolitik und Daseinsvorsorge auf den Weg brachten und z.B. Badeanstalten, Schwimmbä-

der, Spielplätze, Volksbibliotheken und Volkshochschulen einrichteten.

BundesrepublikDer gesetzliche Rahmen für sozial-

politisches Handeln wird heute in der Bundesrepublik durch das Sozialge-setzbuch (SGB) vorgegeben. Für die kommunale Ebene sind hierbei insbe-sondere folgende Teile von Bedeutung:

SGB II Grundsicherung für Arbeits-suchende (HARTZ IV),

SGB III Arbeitsförderung,SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe,SGB IX Rehabilitation und Teilhabe

behinderter Menschen,SGB XII Sozialhilfe.

Für die Anwendung dieser Bundes-gesetze gilt weiterhin das Sächsische Gesetz zur Ausführung des Sozialge-setzbuches (SächsAGSGB). Danach werden als kommunale Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende und als örtliche Träger der Sozialhilfe die Landkreise und Kreisfreien Städte bestimmt.

Das KommunaleLange Zeit wurde bestritten, dass es

eine eigenständige kommunale Sozial-politik gäbe, da eigenständige sozial-politische Konzepte auf kommunaler Ebene kaum existierten und die kom-munale sozialpolitische Praxis sich bloß darauf beschränkte, die vorgege-benen Gesetze zu vollziehen.

In den letzten Jahren sei jedoch den Trägern der kommunalen Selbstver-waltung im Rahmen der sozialstaatli-chen Neuordnung die strategische Auf-gabe zugewachsen, nicht länger nur Vollzugsorgan staatlicher Sozialpoli-tik zu sein. Sondern zunehmend wird von den Kommunen auch die Erfüllung

Fortsetzung auf folgender Seite

Seite 2Kommunal-Info 9/2014

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.de

V.i.S.d.P.: A. Grunke

Die Kommunal-Info dient derkommunalpolitischen Bildungund Information und wird ausfi nanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriumsdes Innern gefördert.

gestalterischer Aufgaben erwartet, sie sollen den lokalen Sozialstaat eigen-verantwortlicher als bislang gestalten.

Die Aufwertung der kommunalen Ebene wird allerdings unterschiedlich und als zweischneidig bewertet. In-dem damit das Ziel verfolgt werde, zi-vilgesellschaftliche und ehrenamtliche Kräfte stärker für das sozialpolitische Engagement heranzuziehen, bestehe die Gefahr, dass der Staat sich in dem Maße aus seiner sozialpolitischen Ver-antwortung zurückziehe.4

Kommunale Sozialpolitik bestand nie nur daraus, bestimmte

Auftragsangelegenheiten (z.B. im Bereich der Versorgung und Unterbrin-gung von Asylbewerbern) oder

Weisungsaufgaben (z.B. die Organi-sation von HARTZ IV) zu erfüllen.

Im Rahmen der kommunalen Selbst-verwaltung wurden stets

Pfl ichtaufgaben erledigt (z.B. die Bereitstellung von sozialen Diensten im Rahmen des Sozialhilferechts so-wie der Kinder- und Jugendhilfe) als auch

freiwillige Aufgaben übernommen (z.B. in der offenen Jugendarbeit wie in Teilen der offenen Altenhilfe oder die Einrichtung von Beratungsstellen, So-zialpassregelungen).

Insofern ließ sich kommunale Sozi-alpolitik nie auf einen bloßen Vollzug staatlicher Sozialpolitik reduzieren. Die im Rahmen kommunalen Selbst-verwaltung zugeordneten Aufgaben

weisen sie als ein eigenständiges kom-munales Politikgebiet aus.

Freie TrägerEine Vielzahl sowohl pfl ichtiger als

auch freiwilliger sozialer Leistungen wird von freien Trägern der Wohl-fahrtsverbände erbracht (wie z.B. AWO, Volkssolidarität, Caritas, Dia-konie).

Wohlfahrtsverbände, Kirchen und sonstige Leistungserbringer treten als Träger eigener sozialer Dienste auf, da die Sozialverwaltungen die Durchfüh-rung dieser Aufgaben nach dem Subsi-diaritätsprinzip delegieren.

Die Kommunen haben dabei eine ge-setzlich festgeschriebene Infrastruk-turverantwortung, die in der Regel durch Planungs- und Fördermaßnah-men wahrgenommen wird. Im Bereich der Jugendhilfe obliegt den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamt-verantwortung einschließlich der Pla-nungsverantwortung.

In letzter Zeit haben sich verschie-dene Stimmen zu Wort gemeldet, die die Strukturen des Sozialstaats in Fra-ge stellen. Die einen wollen, dass die Sozialverwaltungen soziale Angebote vollständig selbst machen, was unter dem Stichwort Re-Kommunalisierung häufi g auf Kosten oder zu Lasten der Freien Träger erfolge. Andere wollen unter dem Postulat einer höheren Ef-fi zienz weitere Privatisierungsprozes-se im sozialen Bereich vorantreiben. Beide Optionen seien falsch. Die Frei-en Verbände seien mit ihren Angeboten ein wesentlicher Bestandteil des sozi-alen Netzes. Sie sind natürliche Part-ner der Kommunen zur Schaffung von

Quartieren zum selbstbestimmten Le-ben und sehen sich auch in dieser Rolle und Verantwortung. Die freien Träger seien eben nicht nur Anbieter sozialer Dienstleistungen, denn sie erbringen auch einen qualitativen Mehrwert für das Gemeinwesen, für die Kommune.5

HerausforderungenSozialpolitisches Agieren auf kom-

munaler Ebene besteht vielfach daraus, auf entstandene soziale Notlagen zu reagieren. Eine nicht nur reagierende, vorausschauende und vorbeugende So-zialpolitik wäre erforderlich, um nicht von künftigen Entwicklungen überrollt zu werden. Da dies aber hauptsäch-lich eine freiwillige Angelegenheit der Kommunen ist, bestehen angesichts ei-ner unzureichenden Finanzausstattung nur sehr eingeschränkte Möglichkei-ten.

Die weitere Bevölkerungsentwick-lung wird zu erheblichen Auswirkun-gen in den Kommunen auf sozialem Gebiet führen. Erforderlich ist deshalb eine detaillierte Sozialraumanalyse unter besonderer Beachtung des demo-grafi schen Wandels sowie zur Realisie-rung der Charta der Rechte hilfs- und pfl egebedürftiger Menschen. Mit Blick auf die Zukunft ist die den Bedarf de-ckende Anzahl von Kinder-, Jugend-, Gesundheits-, Sozial- und Pfl egeein-richtungen zu ermitteln.

Die Kommunale Sozialpolitik gehört zum Kernbereich der öffentlichen Da-seinsvorsorge. Sie muss sich neuen He-rausforderungen stellen, die sich aus den konkreten Lebenslagen der Bevöl-kerung ergeben: der anhaltenden Lang-zeitarbeitslosigkeit, der Kinderarmut,

der zunehmenden Altersarmut und den Defi ziten in der Migrations- und Inte-grationspolitik.6

AG1 Handbuch Kommunale Sozialpolitik,

Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 28.2 Das Reichsarbeitsministerium leitete

von 1920-28 der Zentrumpolitiker Hein-rich Brauns mit einem Mitarbeiterstab, der ebenfalls dem Verbandskatholizis-mus verbunden war. 3 Handbuch Kommunale Sozialpolitik,

Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 33.4 Vgl. ebenda, S. 12ff.5 Vgl. Kommunale Sozialpolitik. Hand-

lungsfelder für local governance (Kon-fernzbericht), AWO-Bundesverband 2013, S. 7. 6 Vgl. Kommunalpolitische Leitlinien

der LINKEN Sachsen, November 2013.

Fortsetzung

Sozialpolitik ...

Thema: Flüchtlinge unterbringen

Die rechtlichen Grundlagen zur Auf-nahme und Unterbringung von Asyl-suchenden liegen im Asylverfahrens-gesetz des Bundes. Die Länder sind verpfl ichtet, Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende zu betreiben.1 Die Verteilung auf die Länder wird über den „Königssteiner Schlüssel“ gere-gelt.2 Weiterhin müssen die Länder die Anschlussunterbringung gewährleis-ten.3 nachdem die maximale Verweil-dauer in den Aufnahmeeinrichtungen von 3 Monaten verstrichen ist.4 Im Ge-

Rechtliche Grundlagen zur kommunalen Unterbringung gefl üchteter Menschen in Sachsen

gensatz zu anderen Bundesländern, lei-tet der Freistaat Sachsen aus §53 Abs. 1 S. 1 eine „Vorhaltepfl icht“ für Gemein-schaftsunterkünfte ab.

Per „Schlüssel“ entfallen auf Sachsen aktuell 5,17% der bundesweiten Asyl-antragssteller_innen. Deren Aufnah-me und Unterbringung ist präzisiert im Sächsischen Flüchtlingsaufnahmege-setz. Das Staatsministerium des Innern ist demnach die oberste Unterbrin-gungsbehörde.5 Die Landesdirektion Sachsen verteilt die Asylsuchenden

nach dem Aufenthalt in der Erstauf-nahmeeinrichtung auf die Landkreise und kreisfreien Städte.6 Diese sind für die Schaffung und den Betrieb der Un-terbringungseinrichtungen zuständig.7

Hierbei haben die Gemeinden mitzu-wirken8 sowie die Verpfl ichtung, die unterzubringenden Menschen aufzu-nehmen.9 Über das Wirken von Bun-des- und Landesgesetzen, obliegt den Kommunen die tatsächliche Unterbrin-gung als Pfl ichtaufgabe nach Weisung.

Die Kostenerstattung erfolgt gemäß

Konnexitätsprinzip als Mix von Pau-schale und Spitzabrechnung. Derzeit erstattet das Land 6000/Person und Jahr,10 nach Medienberichten sollen es künftig 7600/Person und Jahr sein. Kosten für Leistungen im Falle von Krankheit, Schwangerschaft, Geburt über 7669,38 werden auf Nachweis ab-gerechnet.

Verbindliche Regelungen hinsicht-lich der Form der Unterbringung gibt es nicht. Die VwV Unterbringung und soziale Betreuung wie auch das im Februar 2014 vom SMI vorgestell-te Unterbringungs- und Kommuni-kationskonzept formulieren lediglich kationskonzept formulieren lediglich kationskonzeptEmpfehlungen für Mindestanforde-rungen ohne Gesetzescharakter. Hier-über ergibt sich für die kommunalen Mandatsträger_innen Spielraum, die Art und Weise der Unterbringung men-schenwürdig zu gestalten.

KONRAD HEINZE, CHEMNITZ

1 §44 AsylVfG2 §45 AsylVfG3 §53 AsylVfG4 §47. Abs. 1 AsylVfG5 §2 Abs. 1 Nr. 1 SächsFlüAG6 §6 Abs. 3 S. 1 SächsFlüAG7 §3 Abs. 2 SächsFlüAG8 §3 Abs. 3 SächsFlüAG9 §6 Abs. 4 SächsFlüAG10 §10 Abs. 1 SächsFlüAg

Kommunal-Info 9-2014

FlüchtlingeRechtliche Grundlagen für die Unterbringung

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SicherheitsdiensteAnforderungen bei Vergabe für Flüchtlingsunterkünfte

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Seminare des KFSZu den Themen „Aufsichtsräte“ und „Kommunale Sozialpolitik“

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5. November 2014

Sozialpolitik in der KommuneEntsprechend dem im Grundgesetz

postulierten Sozialstaatsgebot ist es Aufgabe der Sozialpolitik auf kom-munaler Ebene, insbesondere die Le-benslage benachteiligter Gruppen zu verbessern, durch eine Angleichung der Lebenschancen und Existenzbe-dingungen. Da die Bereitstellung so-zialer Dienste und Leistungen primär durch soziale Einrichtungen auf örtli-cher Ebene erfolgt, kommt der kom-munalen Sozialpolitik ein besonderer Stellenwert zu.

Ein Rückblick Am Anfang war es die Armenpfl e-

ge oder Armenfürsorge, die ganz in der Zuständigkeit der Kommunen und privater Wohltätigkeitsorganisationen stand. Mit der preußischen Städteord-nung von 1808 und sinngleicher Geset-ze in den anderen deutschen Ländern wurde die Verpfl ichtung, für die „Er-nährung der verarmten Mitglieder und Einwohner sorgen“, ganz in die kom-munale Selbstverwaltung abgescho-ben. Wie die gemeindliche Pfl icht zur Armenfürsorge zu erfüllen sei, wur-de jedoch kaum durch weitere staatli-che Vorgaben untersetzt. Obligatorisch war lediglich die Einrichtung von „Ar-mendeputationen“, einer Art Beiräte, die sich speziell damit befassten.

Eine weitere gesetzliche Grundla-ge gab es für die Kommunen mit dem preußischen Armenpfl egegesetz vom 31. Dez. 1842, das am selben Tag mit der allgemeinen Niederlassungsfrei-heit eingeführt wurde und zum Aus-gleich der Armenlasten diente. Bis dahin hatte das „Heimatprinzip“ ge-herrscht, wonach zur Unterstützung eines Verarmten diejenige Gemeinde verpfl ichtet war, in der ein Verarmter geboren worden war. Im Verarmungs-fall war der Betreffende dorthin „zu-

rückzuschaffen“. In den 1860er Jahren kam es zu ei-

ner weiteren Ausweitung und Diffe-renzierung kommunaler Sozialpolitik: „Die Städte verstanden die altherge-brachte Armenpfl ege nunmehr als Uni-versalfürsorge, neben der sie – je nach örtlichen Problemen und Reformpo-tenzialen – ergänzende Gesundheits-, Jugend-, Wohnungs-, Erwerbslosenfür-sorge und Arbeitsvermittlung etablier-ten. Die nun aufgebauten Einrichtungen und Dienste bildeten eine neuartige so-ziale Infrastruktur, die Angebote und Dienstleistungen offerierten, die sich erheblich von der tradierten repres-siven Armenfürsorge unterschieden, und eine ungeheure Breitenwirkung entfalteten.“1

Staatliche Sozialpolitik und kommu-nales Handeln wurden in dem Maße erforderlich, wie mit der Industrialisie-rung die soziale Sicherung und Integra-tion nicht mehr durch traditionelle Ge-meinschaftsformen funktionierte. Die Abwanderung großer Teile der ländli-chen Bevölkerung von der dörfl ichen Gemeinschaft in die Städte als abhän-gige Lohnarbeiter bargen bei Wirt-schaftskrisen die Gefahr massenhafter Verelendung, die von der traditionellen Armenfürsorge der rasch wachsenden Städte (Urbanisierung) nicht aufgefan-gen werden konnte. Mit der Einfüh-rung der Bismarckschen Sozialrefor-men in den 1880er Jahren erfuhr die kommunale Fürsorge erhebliche fi nan-zielle Entlastungen.

Weimarer RepublikIn der Weimarer Republik ab 1918

vollzogen sich gravierende Verände-rungen für die kommunale Selbstver-waltung und für die Sozialpolitik.

Als sich der Reichstag angesichts gravierender Versorgungsengpässe

infolge der Hyperinfl ation Ende 1922 erstmals entschied, fi nanzielle Mittel zugunsten der öffentlichen und freien Wohlfahrtspfl ege auszuschütten, nutz-te das Reichsarbeitsministerium2 diese Möglichkeit, um in erster Linie die be-stehenden christlichen Wohlfahrtsver-bände Caritas und Innere Mission zu fördern. Deren Spitzenverbände ent-wickelten sich zu Verteilungsinstanzen öffentlicher Mittel und mit dauerhaft ausgestatteten Subventionen zu schlag-kräftigen Lobbyorganisationen.

„Ziel dieser Politik des Reichsar-beitsministeriums, zu der dann wenig später auch die Verankerung des Sub-sidiaritätsprinzips im Fürsorgerecht gehörte, war es, die sozial-konserva-tiven Milieus zu stabilisieren und die Wohlfahrtsverbände als Gegenwicht zur kommunalen Wohlfahrtspfl ege zu installieren, die nunmehr ja sozialde-mokratischen Einfl üssen zu unterlie-gen schien.“3

Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsge-setz wurde 1922 die Verantwortung für das gedeihliche Auf wachsen von Kin-dern und Jugendlichen geregelt und 1924 kam es zu einer reichseinheitli-chen Regelung der gemeindlichen Ar-menpfl ege. Bis zur Einführung einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung 1927 war die Hilfe für Arbeitslose eine kommunale Aufgabe.

Zu den Ergebnissen der Weimarer Republik gehört, dass durch den prä-genden Einfl uss der Sozialdemokratie in der Kommunalpolitik, gelegentlich als „Munizipalsozialismus“ bezeich-net, innerhalb der Fürsorgebereiche sich weitere Entwicklungen vollzo-gen und die Kommunen auch weit über den engeren Bereich der Fürsorge hin-aus Maßnahmen der Sozialpolitik und Daseinsvorsorge auf den Weg brachten und z.B. Badeanstalten, Schwimmbä-

der, Spielplätze, Volksbibliotheken und Volkshochschulen einrichteten.

BundesrepublikDer gesetzliche Rahmen für sozial-

politisches Handeln wird heute in der Bundesrepublik durch das Sozialge-setzbuch (SGB) vorgegeben. Für die kommunale Ebene sind hierbei insbe-sondere folgende Teile von Bedeutung:

SGB II Grundsicherung für Arbeits-suchende (HARTZ IV),

SGB III Arbeitsförderung,SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe,SGB IX Rehabilitation und Teilhabe

behinderter Menschen,SGB XII Sozialhilfe.

Für die Anwendung dieser Bundes-gesetze gilt weiterhin das Sächsische Gesetz zur Ausführung des Sozialge-setzbuches (SächsAGSGB). Danach werden als kommunale Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende und als örtliche Träger der Sozialhilfe die Landkreise und Kreisfreien Städte bestimmt.

Das KommunaleLange Zeit wurde bestritten, dass es

eine eigenständige kommunale Sozial-politik gäbe, da eigenständige sozial-politische Konzepte auf kommunaler Ebene kaum existierten und die kom-munale sozialpolitische Praxis sich bloß darauf beschränkte, die vorgege-benen Gesetze zu vollziehen.

In den letzten Jahren sei jedoch den Trägern der kommunalen Selbstver-waltung im Rahmen der sozialstaatli-chen Neuordnung die strategische Auf-gabe zugewachsen, nicht länger nur Vollzugsorgan staatlicher Sozialpoli-tik zu sein. Sondern zunehmend wird von den Kommunen auch die Erfüllung

Fortsetzung auf folgender Seite

Seite 2Kommunal-Info 9/2014

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.de

V.i.S.d.P.: A. Grunke

Die Kommunal-Info dient derkommunalpolitischen Bildungund Information und wird ausfi nanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriumsdes Innern gefördert.

gestalterischer Aufgaben erwartet, sie sollen den lokalen Sozialstaat eigen-verantwortlicher als bislang gestalten.

Die Aufwertung der kommunalen Ebene wird allerdings unterschiedlich und als zweischneidig bewertet. In-dem damit das Ziel verfolgt werde, zi-vilgesellschaftliche und ehrenamtliche Kräfte stärker für das sozialpolitische Engagement heranzuziehen, bestehe die Gefahr, dass der Staat sich in dem Maße aus seiner sozialpolitischen Ver-antwortung zurückziehe.4

Kommunale Sozialpolitik bestand nie nur daraus, bestimmte

Auftragsangelegenheiten (z.B. im Bereich der Versorgung und Unterbrin-gung von Asylbewerbern) oder

Weisungsaufgaben (z.B. die Organi-sation von HARTZ IV) zu erfüllen.

Im Rahmen der kommunalen Selbst-verwaltung wurden stets

Pfl ichtaufgaben erledigt (z.B. die Bereitstellung von sozialen Diensten im Rahmen des Sozialhilferechts so-wie der Kinder- und Jugendhilfe) als auch

freiwillige Aufgaben übernommen (z.B. in der offenen Jugendarbeit wie in Teilen der offenen Altenhilfe oder die Einrichtung von Beratungsstellen, So-zialpassregelungen).

Insofern ließ sich kommunale Sozi-alpolitik nie auf einen bloßen Vollzug staatlicher Sozialpolitik reduzieren. Die im Rahmen kommunalen Selbst-verwaltung zugeordneten Aufgaben

weisen sie als ein eigenständiges kom-munales Politikgebiet aus.

Freie TrägerEine Vielzahl sowohl pfl ichtiger als

auch freiwilliger sozialer Leistungen wird von freien Trägern der Wohl-fahrtsverbände erbracht (wie z.B. AWO, Volkssolidarität, Caritas, Dia-konie).

Wohlfahrtsverbände, Kirchen und sonstige Leistungserbringer treten als Träger eigener sozialer Dienste auf, da die Sozialverwaltungen die Durchfüh-rung dieser Aufgaben nach dem Subsi-diaritätsprinzip delegieren.

Die Kommunen haben dabei eine ge-setzlich festgeschriebene Infrastruk-turverantwortung, die in der Regel durch Planungs- und Fördermaßnah-men wahrgenommen wird. Im Bereich der Jugendhilfe obliegt den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamt-verantwortung einschließlich der Pla-nungsverantwortung.

In letzter Zeit haben sich verschie-dene Stimmen zu Wort gemeldet, die die Strukturen des Sozialstaats in Fra-ge stellen. Die einen wollen, dass die Sozialverwaltungen soziale Angebote vollständig selbst machen, was unter dem Stichwort Re-Kommunalisierung häufi g auf Kosten oder zu Lasten der Freien Träger erfolge. Andere wollen unter dem Postulat einer höheren Ef-fi zienz weitere Privatisierungsprozes-se im sozialen Bereich vorantreiben. Beide Optionen seien falsch. Die Frei-en Verbände seien mit ihren Angeboten ein wesentlicher Bestandteil des sozi-alen Netzes. Sie sind natürliche Part-ner der Kommunen zur Schaffung von

Quartieren zum selbstbestimmten Le-ben und sehen sich auch in dieser Rolle und Verantwortung. Die freien Träger seien eben nicht nur Anbieter sozialer Dienstleistungen, denn sie erbringen auch einen qualitativen Mehrwert für das Gemeinwesen, für die Kommune.5

HerausforderungenSozialpolitisches Agieren auf kom-

munaler Ebene besteht vielfach daraus, auf entstandene soziale Notlagen zu reagieren. Eine nicht nur reagierende, vorausschauende und vorbeugende So-zialpolitik wäre erforderlich, um nicht von künftigen Entwicklungen überrollt zu werden. Da dies aber hauptsäch-lich eine freiwillige Angelegenheit der Kommunen ist, bestehen angesichts ei-ner unzureichenden Finanzausstattung nur sehr eingeschränkte Möglichkei-ten.

Die weitere Bevölkerungsentwick-lung wird zu erheblichen Auswirkun-gen in den Kommunen auf sozialem Gebiet führen. Erforderlich ist deshalb eine detaillierte Sozialraumanalyse unter besonderer Beachtung des demo-grafi schen Wandels sowie zur Realisie-rung der Charta der Rechte hilfs- und pfl egebedürftiger Menschen. Mit Blick auf die Zukunft ist die den Bedarf de-ckende Anzahl von Kinder-, Jugend-, Gesundheits-, Sozial- und Pfl egeein-richtungen zu ermitteln.

Die Kommunale Sozialpolitik gehört zum Kernbereich der öffentlichen Da-seinsvorsorge. Sie muss sich neuen He-rausforderungen stellen, die sich aus den konkreten Lebenslagen der Bevöl-kerung ergeben: der anhaltenden Lang-zeitarbeitslosigkeit, der Kinderarmut,

der zunehmenden Altersarmut und den Defi ziten in der Migrations- und Inte-grationspolitik.6

AG1 Handbuch Kommunale Sozialpolitik,

Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 28.2 Das Reichsarbeitsministerium leitete

von 1920-28 der Zentrumpolitiker Hein-rich Brauns mit einem Mitarbeiterstab, der ebenfalls dem Verbandskatholizis-mus verbunden war. 3 Handbuch Kommunale Sozialpolitik,

Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 33.4 Vgl. ebenda, S. 12ff.5 Vgl. Kommunale Sozialpolitik. Hand-

lungsfelder für local governance (Kon-fernzbericht), AWO-Bundesverband 2013, S. 7. 6 Vgl. Kommunalpolitische Leitlinien

der LINKEN Sachsen, November 2013.

Fortsetzung

Sozialpolitik ...

Thema: Flüchtlinge unterbringen

Die rechtlichen Grundlagen zur Auf-nahme und Unterbringung von Asyl-suchenden liegen im Asylverfahrens-gesetz des Bundes. Die Länder sind verpfl ichtet, Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende zu betreiben.1 Die Verteilung auf die Länder wird über den „Königssteiner Schlüssel“ gere-gelt.2 Weiterhin müssen die Länder die Anschlussunterbringung gewährleis-ten.3 nachdem die maximale Verweil-dauer in den Aufnahmeeinrichtungen von 3 Monaten verstrichen ist.4 Im Ge-

Rechtliche Grundlagen zur kommunalen Unterbringung gefl üchteter Menschen in Sachsen

gensatz zu anderen Bundesländern, lei-tet der Freistaat Sachsen aus §53 Abs. 1 S. 1 eine „Vorhaltepfl icht“ für Gemein-schaftsunterkünfte ab.

Per „Schlüssel“ entfallen auf Sachsen aktuell 5,17% der bundesweiten Asyl-antragssteller_innen. Deren Aufnah-me und Unterbringung ist präzisiert im Sächsischen Flüchtlingsaufnahmege-setz. Das Staatsministerium des Innern ist demnach die oberste Unterbrin-gungsbehörde.5 Die Landesdirektion Sachsen verteilt die Asylsuchenden

nach dem Aufenthalt in der Erstauf-nahmeeinrichtung auf die Landkreise und kreisfreien Städte.6 Diese sind für die Schaffung und den Betrieb der Un-terbringungseinrichtungen zuständig.7

Hierbei haben die Gemeinden mitzu-wirken8 sowie die Verpfl ichtung, die unterzubringenden Menschen aufzu-nehmen.9 Über das Wirken von Bun-des- und Landesgesetzen, obliegt den Kommunen die tatsächliche Unterbrin-gung als Pfl ichtaufgabe nach Weisung.

Die Kostenerstattung erfolgt gemäß

Konnexitätsprinzip als Mix von Pau-schale und Spitzabrechnung. Derzeit erstattet das Land 6000/Person und Jahr,10 nach Medienberichten sollen es künftig 7600/Person und Jahr sein. Kosten für Leistungen im Falle von Krankheit, Schwangerschaft, Geburt über 7669,38 werden auf Nachweis ab-gerechnet.

Verbindliche Regelungen hinsicht-lich der Form der Unterbringung gibt es nicht. Die VwV Unterbringung und soziale Betreuung wie auch das im Februar 2014 vom SMI vorgestell-te Unterbringungs- und Kommuni-kationskonzept formulieren lediglich kationskonzept formulieren lediglich kationskonzeptEmpfehlungen für Mindestanforde-rungen ohne Gesetzescharakter. Hier-über ergibt sich für die kommunalen Mandatsträger_innen Spielraum, die Art und Weise der Unterbringung men-schenwürdig zu gestalten.

KONRAD HEINZE, CHEMNITZ

1 §44 AsylVfG2 §45 AsylVfG3 §53 AsylVfG4 §47. Abs. 1 AsylVfG5 §2 Abs. 1 Nr. 1 SächsFlüAG6 §6 Abs. 3 S. 1 SächsFlüAG7 §3 Abs. 2 SächsFlüAG8 §3 Abs. 3 SächsFlüAG9 §6 Abs. 4 SächsFlüAG10 §10 Abs. 1 SächsFlüAg

PARLAMENTSREPORTOktober 2014 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Es gibt durchaus angenehmere Lektüre als politische Positions-papiere. Bei einem jedoch kamen interessierte Beobachter in den letzten Wochen nicht umhin, min-destens einen Blick hineinzuwer-fen: Dem Koalitionsvertrag. Für dessen Beurteilung sind sicher-lich nicht literarische Ansprüche entscheidend, sondern die prakti-schen Folgen, die er für das Leben im Freistaat haben könnte. Dabei kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass seine zahlreichen Ankündigungen voll-ständig umgesetzt werden. Bei den sogenannten „prioritären Maß-nahmen“, die nicht unter dem Vor-behalt stehen, dass sie finanziert werden können, ist dies aber rela-tiv wahrscheinlich: Dazu gehören die geringfügige Verbesserung der Betreuungsverhältnisse in der Kin-derbetreuung, die Einstellung tau-sender Lehrer bis 2019 oder eine Vergrößerung des Polizei-Nach-wuchses. Mithin ignorieren die Koalitionäre einige Fehler der Vorgängerregie-rungen nicht länger, was als Fort-schritt gelten muss. Schwarz-Gelb hatte trotz laufender Kritik der Opposition in der Regel Hohelie-der auf vermeintliche Spitzen-plätze gesungen, die der Freistaat angeblich einnimmt, und Verbes-serungsvorschläge ignoriert. So blieb etwa die Zukunft wichtiger Gruppen der Landesbediensteten, die hohe Altersabgänge verzeich-nen – allen voran Lehrer, Polizis-ten, Richter – ungeklärt. Dass die Festlegungen von Schwarz-Rot ausreichen werden, um Sachsen zukunftsfest zu machen, darf aber bezweifelt werden. „Die 110 Seiten Koalitionsvertrag sind Resultat einer Verhand-lungs-Fleißarbeit mit vielen schönen Ankündigungen und Prüfaufträgen. Innovation sieht anders aus. Der große Wurf für Sachsen ist dieser Koa-litionsvertrag nicht“, stellte LINKE-Fraktionschef Rico Gebhardt in seiner ersten Reaktion fest. Klar ist jedenfalls: Was nicht vereinbart ist, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht umgesetzt. Des-halb ist es bemerkenswert, dass der Vertrag kein Wort zu notwendigen Moderni-sierungen der Verfassung enthält. Im Rahmen der Verhandlungen zur Verfas-sungsänderung 2013, land-

läufig unter dem Stichwort „Schul-denbremse“ diskutiert, waren sich die demokratischen Fraktionen einig gewesen, dass die Verfas-sung keinesfalls „fertig bearbeitet“ sei. Das Neuverschuldungsverbot, der „soziale Ausgleich“ als Haus-haltsstrukturgrundsatz und weitere Regelungen galten den Beteiligten nur als „erste Runde“. Die demokra-tische Opposition legte damals wei-tere Forderungen vor, wurde von der Regierung allerdings mit dem Hinweis vertröstet, dass man darü-ber in der neuen Wahlperiode spre-chen werde. Davon ist nun keine Rede mehr. „Die neuen Koalitionäre müssen dem Landtag und der Öffentlich-keit erklären, ob und wie sie in der 6. Wahlperiode mit dem Ände-rungsbedarf an der Verfassung umgehen wollen. Wenn sie sich einer weiteren Verfassungsdebatte verweigerte, würde insbesondere die CDU wortbrüchig“, kommen-tiert der LINKE Rechtsexperte Klaus Bartl dieses Verhalten. DIE LINKE sieht weiteren Reformbe-darf. Hauptpunkt ist die Forderung, die Volksgesetzgebung zu erleich-tern. Dazu müssen unter anderem die Erfolgschancen von Volksan-trägen, Volksbegehren und Volks-entscheiden erhöht werden, indem die geforderte Zahl an Unterstüt-zungsunterschriften an die Bevöl-kerungsentwicklung angepasst,

also reduziert wird. Weitere Punkte sind unter anderem das Wahlal-ter 16 bei Landtagswahlen, eine „Privatisierungsbremse“ und die Einführung eines Grundrechts auf Informationsfreiheit. An manchen Stellen zeichnet sich indes sogar ab, dass Fehler der Vorgängerregierung verschärft werden könnten. Ein beredtes Beispiel ist die Hochschulpolitik. Der drohende Abbau von 1.042 Hochschulstellen bis 2020 hat in den vergangenen Jahren heftige Proteste von Studierenden und Lehrenden ausgelöst – schließlich fährt eine unterfinanzierte Wissen-schaftslandschaft auf Verschleiß. Nun, so meldeten auch verschie-dene Medien, könnte zumindest der Großteil dieses Abbaus abge-wendet werden. Grund zum Jubeln ist das aber nicht. Erstens entfal-len die bis 2016 zum Abschuss frei-gegebenen 288 Stellen in jedem Fall. Zweitens können die Hoch-schulen die übrigen 754 Stellen nur behalten, wenn sie einen dreis-ten Handel eingehen: Sie müssen sich mit der Staatsregierung auf eine Hochschulentwicklungs-planung bis 2025 einigen und umfangreiche Vorgaben akzep-tieren, wodurch die Freiheit von Wissenschaft und Forschung arg beschnitten werden könnte. Bei den Verhandlungen sitzt die Regie-rung am längeren Hebel, kann die Hochschulen faktisch erpressen.

Denn Häuser, die sich nicht an der Vereinba-rung beteili-gen, müssen weiter Stellen abbauen, mög-l i c h e r w e i s e zusätzlich den S t e l l e n a b b a u jener Hochschu-len schultern, die sich per Zustim-mung „freige-kauft“ haben. Nach der Lektüre bleibt der Betrach-ter mindestens mit gemischten Gefühlen zurück. Ein angenehmes L e s e - E r l e b n i s beschert ihm der Vertrag nicht. Ob dessen Folgen für den Freistaat von Vorteil sind, wird ab sofort debattiert werden.

Reparatur, nicht Innovation: „Kleiner Wurf“ Koalitionsvertrag

Liebe Leserinnen und Leser,im November bekommt der Freistaat aller Voraussicht nach eine neue Regie-rung. Wer in den Entwurf des Koali-tionsvertrages blickt, wird manches Neues entdecken. Naturgemäß domi-niert allerdings die Handschrift der CDU, die sich anschickt, das 30. Jahr ihrer Herrschaft zu erreichen. Inso-fern steckt auch viel Altes im Fahrplan für die kommenden fünf Jahre. Gründe für die Opposition, Alternativen vorzu-schlagen, wird es viele geben – zumal sich erst zeigen muss, was von man-cher Absichtsbekundung übrig bleibt. Die Haushaltsverhandlungen, die wahr-scheinlich im Januar beginnen, werden erstes Licht ins Dunkel bringen.Die LINKE hat indes als erste Fraktion des 6. Sächsischen Landtages bereits Anträge vorgelegt. Während diese Zei-len entstehen, ist sie auch noch die einzige. Bestimmte Probleme gehö-ren schon jetzt auf die Agenda. Drän-gend ist etwa die grassierende Ebola-Epidemie – wir wollen einen sofortigen Abschiebestopp in betroffene Regi-onen erreichen, wie es ihn in ande-ren Bundesländern bereits gibt. Zudem haben wir die Staatsregierung aufge-fordert, den Landtag umfassend über die Personalsituation an den Schu-len zum Beginn des Schuljahres 2014/2015 zu unterrichten. Und nicht nur die Geschehnisse um den „Sach-sensumpf“ zeigen, dass Sachsen auch ein Handlungs- und Maßnahmenkon-zept zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität braucht. Zu zwei weiteren Anträgen erfahren Sie in dieser Aus-gabe Näheres.Unserem Auftrag als linke Oppositions-fraktion gemäß legen wir schon jetzt den Finger in die Wunde und schlagen konstruktive Lösungen vor. Das wird auch mit einer neuen alten Regierung so bleiben. Versprochen!

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

PARLAMENTSREPORTSeite 2 Oktober 2014

Staats-Etat ohne sozialen Ausgleich wäre VerfassungsbruchDer Staatshaushalt ist für die meis-ten ein unbekanntes, komple-xes „Wesen“. Er bildet eine eigene kleine Welt, in der sich gemeinhin nur Experten zurechtfinden. Den-noch hat er weitreichende Folgen für uns alle, denn er ist die Grund-lage des Regierungshandelns. Bei stark vereinfachter Betrachtung funktioniert er zudem ebenso wie die kleinen Haushaltskassen, die wir alle kennen: unsere eigenen. Sollen Schieflagen vermieden werden, ist es wichtig, bestimmte Prinzipien zu beachten. Sparsamkeit ist eines die-ser Gebote, Wirtschaftlichkeit ein anderes. Investiert werden sollte nur in sinnvolle Projekte, und in solche, die keine unverhältnismäßig hohen Folgekosten nach sich ziehen. Das ist beim Staatshaushalt nicht anders. Als der Sächsische Landtag am 10. Juli 2013 die Verfassung änderte, ist ein weiterer Grundsatz hinzuge-treten. Artikel 94 legt, wie in den Verhandlungen von der LINKEN durchgesetzt, fest, dass der „soziale Ausgleich“ bei Aufstellung und Voll-zug des Staatsetats gewährleistet werden muss, gleichrangig mit den Erfordernissen von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Allerdings droht nun Verfassungsbruch. Denn es ist keineswegs sicher, dass die – eben-falls CDU-geführte – neue Staatsre-gierung diese Forderung umsetzt. Die Vorgaben der Verfassung müs-sen in den Gesetzen und Verordnun-gen „ausgeführt“ werden; das aber

ist bis heute nicht geschehen. So weigerten sich die damaligen Koa-litionsfraktionen von CDU und FDP im Frühjahr 2014 beharrlich, den sozialen Ausgleich in die eigens zur Verfassungsanpassung geänderte Sächsische Haushaltsordnung aufzu-nehmen. Diese ist ein grundlegendes Regelwerk für den Etat.Der Entwurf des Doppelhaushaltes für 2015/2016 muss dem sozialen Ausgleich Rechnung tragen. Damit dies geschieht, hat die Linksfrak-tion vorsorglich einen Antrag ins Parlament eingebracht (Drucksache 6/61), der die Staatsregierung dazu anhält. Außerdem soll sie dem Land-tag darstellen, wie sie diesen Grund-satz im Haushalt konkret berück-

sichtigt haben wird. Schließlich wirken die drastischen Kürzungen im Bildungs-, Sozial- und Kulturbereich seit dem Doppelhaushalt 2009/2010 bis heute nach, und die „Schulden-bremse“ könnte für weitere Ein-schnitte missbraucht werden. Der Umstand, dass der Freistaat seit 2006 keine neuen Schulden mehr aufgenommen und zudem aus-ufernde Rücklagen gebildet hat, ist seit jeher teuer erkauft worden. Wenn der neue Etat den sozialen Ausgleich gegenüber den Grund-sätzen der Sparsam- und der Wirt-schaftlichkeit vernachlässigte, wäre er womöglich verfassungswidrig. Die Leipziger Verfassungsrichte-rinnen und -richter müssten dann

korrigierend eingreifen. Wenn es die Staatsregierung darauf ankom-men lassen sollte, wäre das für den Rechtsexperten der Linksfraktion, Klaus Bartl, eine „verfassungsrecht-liche Lumperei“. Die CDU-SPD-Koa-lition habe die Chance, „sich in die-ser Frage nicht ebenso ignorant und wortbrüchig zu zeigen wie die Vorgän-gerregierung“. Auch Finanzpolitiker Sebastian Scheel, der die Linksfrak-tion gemeinsam mit Bartl in der inter-fraktionellen Arbeitsgruppe zur Ver-fassungsänderung vertreten hatte, hält die Frage des sozialen Ausgleichs für zentral: „Es bleibt weiter unser Kernanliegen, dafür zu sorgen, dass Soziales, Bildung und Kultur ange-sichts der ,Schuldenbremse‘ nicht noch weiter unter die Räder geraten.“ Wer Kinder hat, wird übrigens gut nachvollziehen können, dass der soziale Ausgleich auch im Kleinen, bei unseren privaten Haushalts-kassen, unverzichtbar ist. Wer zum Beispiel gleichaltrige Geschwister mit unterschiedlich hohen Taschen-geldern beglücken will, handelt sich womöglich Ärger ein. Letzteres gilt wiederum auch im Großen, beim Staatshaushalt: Wer die Spaltung der Gesellschaft riskiert, gerät unter Druck. Deshalb sollte die neue Regie-rung den Forderungen des LINKEN Antrages nachkommen. Das sollte trotz aller Komplexität jeder und jedem einleuchten, ob im Landtag, im Finanzministerium oder an jedem anderen Ort in Sachsen.

LINKE will Schutzschirm für Sanktionen-geschädigte BetriebeSeit Monaten bestimmt der Konflikt zwischen Russland und der EU, der durch die Ukraine-Krise ausgelöst wurde, die Medienlandschaft. Seit dem 1. August gilt ein Handelsem-bargo der EU: Bestimmte Güter – dar-unter etwa Öl-Fördertechnik – dürfen nur noch nach vorheriger Geneh-migung nach Russland ausgeführt werden. Diese Sanktionsmaßnah-men wirken sich auch negativ auf die sächsische Wirtschaft aus. Insbeson-dere der Mittelstand ist betroffen. Weil russische Kunden keineswegs

nur auf sächsische Produkte zurück-greifen können, drohen selbst lang-fristige Wirtschaftsbeziehungen weg-zubrechen. Erste Firmen mussten ihre Mitarbeiter bereits in Kurzarbeit schicken. Der Maschinenbauverband VDMA-Ost hat einen Schutzschirm für Unternehmen gefordert, die auf-grund der Sanktionen Umsatzeinbu-ßen beklagen müssen.Die Exporte aus Sachsen nach Russ-land gingen laut der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft (VSW) im August im Vergleich zum Vorjahres-

monat um 48 Prozent zurück, in der Metall- und Elektroindustrie sogar um 53 Prozent. Für den Fraktions-chef der LINKEN, Rico Gebhardt, sind das „dramatische Daten“, die gleichzeitig die sächsische Staats-regierung zum Handeln nötigen. „Da die Bundesregierung diese Sanktionen abgenickt hat, ist die Bundespolitik auch in der Verant-wortung gegenüber sächsischen Unternehmen“. Die bisher bereit-gestellten Hilfsinstrumente wie Kurzarbeitergeld oder HERMES-Bürgschaften, mit denen die Bun-desregierung deutsche Unterneh-men gegen Exportrisiken versichert, seien untauglich. Deshalb müsse Ministerpräsident Tillich unverzüg-lich den Druck auf die Bundesregie-rung erhöhen und aushandeln, dass staatliche Hilfen für sanktionsbe-troffene Unternehmen ausgereicht werden. Diesen „Schutzschirm für von Wirtschaftssanktionen gegen Russland betroffene Unternehmen“ verlangt die LINKE auch im zweiten Antrag (Drucksache 6/62), den sie in den Landtag einbrachte.

Darin fordert sie von der Staatsre-gierung ein Maßnahmenkonzept mit drei Schwerpunkten. Erstens sollen die absehbaren mittelfristigen Fol-gen des EU-Embargos gegenüber Russland für sächsische Unterneh-men analysiert werden. Zweitens soll der Ministerpräsident erklären, welche Maßnahmen er gegenüber der Bundesregierung eingeleitet hat, die auf eine Kompensationsleistung des Bundes gegenüber betroffe-nen Unternehmen abzielen. Drittens schließlich soll der Landtag fortlau-fend darüber informiert werden, wie sich die Sanktionspolitik entwickelt und welche Folgen für die sächsische Wirtschaft sich ergeben. Wenn der Antrag im Landtag zur Abstimmung steht, können CDU und SPD beweisen, ob sie es mit ihrer angekündigten Stärkung der sächsi-schen Wirtschaft, insbesondere der mittelständischen, ernst meinen. Inzwischen geht es bei der Sanktions-politik zwischen der EU und Russland allerdings längst nicht mehr um Scha-densvermeidung, sondern um Scha-densbegrenzung.

PARLAMENTSREPORTOktober 2014 Seite 3

„Landtags-Küken“ und „alter Hase“ blicken nach vornDie Landtagswahl von 2014 bescherte nicht nur der CDU einen neuen Koalitionspartner, sondern dem Landtag auch viele neue Abge-ordnete. Die Zahl derer, die seit 1990 dabei sind, nimmt stetig ab. 12 von 27 Mandatsträgern der Linksfrak-tion zogen zum ersten Mal in den Landtag ein. Junge und ältere Abge-ordnete bringen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven ins Hohe Haus ein. „Parlamentsreport“ sprach mit der jüngsten Abgeordne-ten des Landtages, Anja Klotzbü-cher (19), und dem Dienstältesten der Fraktion DIE LINKE, Klaus Bartl (64), über ihren Ausblick auf die vor uns liegende Wahlperiode.

Frau Klotzbücher, Sie sind eine der „Neuen“ im Parlament und gleichzeitig die Jüngste. Wie ver-lief der Start bisher?

Wie auch (fast) alle anderen neuen Abgeordneten lerne ich struk-turelle und parlamentarische Abläufe ebenso wie die wichtigsten Ansprechpersonen erst noch ken-nen. Dennoch kann ich sagen, dass ich gut angekommen bin. Ich erfahre ja auch jede Menge Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen, genauso wie durch die Beschäftigten in der Fraktion.

Meinen Sie, dass Sie es als „Land-tags-Küken“ – wie die Morgen-post Sie jüngst nannte – schwerer haben als andere „Neulinge“, sich in die Arbeit hineinzufinden?

Mit Sicherheit ist es einfacher, mit 35 oder 40 Jahren die erste Legislatur im Landtag zu bestreiten. Man hat mehr Lebenserfahrung, ein souveräneres Auftreten und vielleicht schon einige Jahre in ähnlichen strukturellen Zusammenhängen gearbeitet. Man muss sich selbst und anderen gegen-über weniger beweisen. Wenn man so jung, wie ich es bin – und dann auch noch als Frau –, in der instituti-onellen Politik ankommt, passiert es ab und an, dass man übersehen oder schlichtweg nicht ernst genommen wird. Und trotzdem: Jung zu sein ist auch ein Privileg. Was gibt es Besse-res, als sich als Jugendliche und Fast-noch-Schülerin in Jugend- und Bil-dungspolitik einmischen zu können?

Sie werden sich vor allem mit Europapolitik beschäftigen. Nicht zuletzt aufgrund Ihrer langjähri-

gen Tätigkeit als Schülerspreche-rin sind Sie aber auch nah dran an Bildungs-, Kultur- und Jugend-politik. Wie lässt sich das alles verbinden?

So wie es aussieht, wird mein thema-tischer Schwerpunkt bei den euro-papolitischen Themen liegen. Aber das lässt sich auch mit Jugend- und Bildungspolitik prima verknüpfen. Ich hoffe, europaweite jugendpolitische Vernetzungsinitiativen unterstützen und auch dahingehende Projekte ins Leben rufen zu können. Außerdem belese ich mich gerade über Ein-flussmöglichkeiten, die Länder und Kommunen bei der EU-Gesetzge-bung haben, und über die Subsida-ritätskontrolle, die in den nächsten Jahren bezüglich aller Themenfelder einen wesentlichen Bestandteil mei-nes Wirkens ausmachen werden. Momentan beschäftigen mich die Verhandlungen um die Freihandels-abkommen TTIP und CETA, deren Auswirkungen auch Sachsen stark betreffen würden.

Vor einem Jahr haben Sie ein Stu-dium aufgenommen und sich an der TU Dresden für die Fächer Geschichte und Soziologie einge-schrieben. Wie können sich beide Arbeitsfelder – Plenar- und Hör-saal – ergänzen?

Das muss sich zeigen. Momentan mache ich ein Urlaubssemester, um mich mit voller Kraft in die Landtags-arbeit zu stürzen. Wenn dahingehend ein wenig Alltag eingekehrt ist, werde ich auf jeden Fall wieder das Studium aufnehmen. Ich möchte während der nächsten fünf Jahre mindestens mei-nen Bachelor abschließen.

Wie verstehen Sie grundsätzlich Ihre Aufgabe als Oppositionspo-litikerin, auch hinsichtlich des Umgangs mit anderen Fraktionen?

Ich sehe die Opposition und speziell die Fraktion DIE LINKE als parlamen-tarische Kontrolle der Regierung und der Koalitionsfraktionen. Außerdem als Impulsgeber für neue und weit-reichendere politische Ansätze als jene, die vor allem die CDU bisher verfolgte. Das hat Sachsen ja auch sehr nötig.

Auch in den Fraktionen gibt es neue Abgeordnete, die etwa in Ihrem Alter sind. Halten Sie es für wünschenswert und möglich, dass man sich ungeachtet der politi-schen Differenzen gemeinsam in das „Abenteuer Parlamentsarbeit“ stürzt?

Klar, das wäre wünschenswert. Vor allem die Interessenvertretung, Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Kinder- und Jugendpolitik ste-hen für mich über parteipolitischen Differenzen. Und doch gibt es im Sächsischen Landtag Fraktionen, mit denen ich mir ein gemeinsames politisches Vorgehen nicht vorstel-len kann.

Herr Bartl, Sie erleben nunmehr den sechsten Start in eine neue Wahlperiode. Was ist anders als früher?

Ich hätte mir 1990 nicht träumen las-sen, dass es für mich jemals einen sechsten Start geben würde. Zwar kam ich nicht ganz unbedarft daher, weil ich von April bis September 1990 als Rechtsberater der PDS-Fraktion in der „Nachwende“-Volkskammer einen ersten Eindruck vom bürgerlich ver-fassten Parlamentarismus bekam. In diese 6. Wahlperiode gehe ich nun als „alter Hase“. Wie der Landtag funk-tioniert, weiß ich wirklich. Nichts-destotrotz bin ich nicht weniger (an)gespannt als am Anfang, entschlos-sen, mir alle Mühe zu geben, auf mei-nem Fachgebiet gegen politische Kon-kurrenz zu bestehen.

Wo sehen Sie Schwerpunkte auf Ihrem Gebiet?

Zuerst in der Einforderung notwen-diger Änderungen der Landesverfas-sung. Unser Wahlprogramm, für des-sen partielle Umsetzung wir nun – für mich nicht überraschend – erneut aus der Oppositionsrolle heraus rin-gen müssen, beinhaltet 14 Forderun-gen, darunter beispielsweise, dass die Hürden für die Volksgesetzgebung gesenkt werden. Was die Rechtspolitik angeht, so müssen in punkto Ausstat-tung der Justiz speziell angesichts der teils überlangen Verfahrensdauer im Straf-, Verwaltungs- und Sozialrecht Nägel mit Köpfen gemacht werden. Als besonderen Schwerpunkt sehe ich auch, den Zugang aller zu effek-tivem Rechtsschutz zu garantieren. Sein Recht zu bekommen, darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Besonders beunruhigt mich, dass der Teil „Innere Sicherheit und Polizei“ des Koalitions-vertrages das „Null-Toleranz-Prinzip“ voranstellt. Kriminalität lässt sich aber nicht mit viel Repression und wenig Prävention bekämpfen. Umge-kehrt wird ein Schuh daraus. Auch ist die Rede von „Maßnahmen der stationären Videoüberwachung an besonderen Brennpunkten“ und von einer „rechtssicheren Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten automati-scher Kennzeichenerfassungssys-teme“. Die sächsische Bevölkerung soll weder brennpunktorientiert noch „rechtssicher“ überwacht werden. Sicherheit gewinnt man nicht durch die Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten.

Gelten heute andere Anforderun-gen an Oppositionspolitik als in den ersten Wahlperioden?

Es hat seinen guten Grund, dass Sach-sen als eines von wenigen Ländern in der Verfassung eine Art Legalde-finition der Opposition aufgenom-men hat: „Das Recht auf Bildung und Ausübung parlamentarischer Oppo-sition ist wesentlich für die freiheitli-che Demokratie“. Das reflektiert zum einen die Erfahrung, dass es einer der größten Fehler des Sozialismusmo-dells der DDR war, dass eine demokra-tische Opposition nicht gewollt und zugelassen war. Zum anderen führt dies die auch in meiner Partei anzu-treffende Position ad absurdum, dass man nur aus der Regierungsverant-wortung heraus gestaltend tätig wer-den kann. Ich halte nach wie vor sehr viel von der PDS-Losung „Veränderung beginnt mit Opposition“. Natürlich ist in der Politik nichts statisch. Ich kann heute Opposition nicht so betreiben wie 1990. Die LINKE von heute kann es schon deshalb nicht tun, weil sie Oppositionsführerin ist. Ein Anspruch, der ausgefüllt sein will.

Wie hat sich die Debattenkultur im Landtag seit 1990 verändert?

1990 bis 1994 wurde die damalige Linke Liste-PDS im Parlament scharf bekämpft. Es gab Zeiten, in denen die meisten Abgeordneten den Saal verlie-ßen, wenn jemand von unserer Frak-tion ans Rednerpult trat. Aber in den Gründungsjahren war der Plenarsaal grundsätzlich gut besetzt. Die Debat-ten verfolgt haben auch Abgeordnete, die nicht unbedingt für den jeweiligen Bereich zuständig waren, der gerade debattiert wurde. Hier ist uns viel ver-lorengegangen. Ansonsten nenne ich nur ein Faktum: Nach allem, was mir bekannt ist, haben die Fraktionen der LINKEN bzw. der PDS in 25 Jahren ganze zwei Anträge durchbekommen. Ansonsten wurde alles, was von ihr und oft auch von anderen Oppositionsfrakti-onen kam, von der Mehrheit abgelehnt.

Wie verstehen Sie grundsätzlich Ihre Aufgabe als Oppositionspoliti-ker, auch hinsichtlich des Umgangs mit anderen Fraktionen?

Als Oppositionspolitiker habe ich zuerst die Regierung zu kontrollie-ren, Lumpereien anzuprangern und zugleich die sie tragenden Fraktionen durch gescheite eigene Gesetze und Anträge zum Schwur zu zwingen. Dazu muss ich mitnichten in demonstrati-ver Distanz oder Feindseligkeit gegen-über Politikern anderer Fraktionen ste-hen. Ich habe überhaupt keine Scheu, bei bestimmten Themen auf meinem Gebiet auf den Obmann der CDU-Frak-tion zuzugehen und mit ihm zu bereden, ob es einen Weg gibt, wie man ein im Bürgerinteresse wichtiges Anliegen im Konsens durchbringen kann. Wenn es dann nur realisiert werden kann, indem der Antrag mit geändertem Komma auf dem CDU-Kopfbogen eingebracht wird, stört mich das überhaupt nicht. Ent-scheidend ist der bewirkte Effekt.

PARLAMENTSREPORTSeite 4 Oktober 2014

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon: 0351/493-5800Telefax: 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

V.i.S.d.P.: Marcel BraumannRedaktion: Kevin Reißig

Wer Steuergeld verwaltet, muss sich über die Schulter schauen lassen. Diese Aufgabe übernimmt alljährlich der Sächsische Rech-nungshof. Frei von Weisungen – und oppositioneller Umtriebe gänzlich unverdächtig – hat er auch 2014 das Finanzgebaren der Staatsregierung mit dem nüchter-nen Blick der Kassenprüfer unter die Lupe genommen. Nun übt er stellenweise harsche Kritik. Diese bezieht sich freilich auf die Arbeit der scheidenden CDU-FDP-Koa-lition, weist aber dennoch in die Zukunft: Fehler ausbügeln muss schließlich die neue Staatsregie-rung.Dabei sollte sie zunächst mit der verfehlten FDP-Lob-bypolitik aufräumen. Ein anschauliches Beispiel von deren Folgen liefert, so die Rechnungsprüfer, die Förderung von Schmal-spurbahnen im Freistaat. Die Staatsregierung habe keinen „detaillier-ten Überblick über die Kostenentwick-lung der Bahnen, etwaige Risiken der Betriebs-führung und deren Finan-zierung“. Dabei geht es um n e n n e n s w e r t e Summen: Zwi-schen 1996 und 2012 wurden die fünf sächsischen

Schmalspurbahnen aus Bundes- und Landesmitteln mit insgesamt mehr als 80 Mio. € Betriebskos-tenzuschüssen und fast 45 Mio. € Investitionszuschüssen unter-stützt, die über die kommunalen ÖPNV-Zweckverbände ausgereicht wurden. Für den laufenden Betrieb erhalten sie jährlich 8,65 Millionen Euro aus Steuermitteln. Obwohl diese Unterstützung der Schmal-spurbahnen klar zulasten des Öffentlichen Nahverkehrs geht, haben es die Koalitionäre dabei offenbar an Sorgfalt mangeln lassen. So beteiligte sich der

Bund am Wiederauf-bau der im 2002 durch das Hochwas-ser geschädigten Weißeritztalbahn, stellte dafür aller-dings Bedingun-gen an den Frei-staat. Diese sind laut Rech-nungshof nicht v o l l s t ä n d i g erfüllt, wes-halb Rückfor-derungen dro-hen. Zudem

hat der Freistaat den Zweckverbänden schon

im Januar 2013 zugesagt, wel-che Mittel sie ab 2015 bekom-

men sollen, ohne dass klar gewe-sen wäre, ob das dafür benötigte Bundes-Geld auch zur Verfügung stehen wird. Das Risiko müssen nun die Verkehrszweckverbände

tragen. Auch die Investitionspolitik im Bereich der Krankenhäuser wird von

den Prüfern kritisch bewertet. Sie sei unzureichend: „Im Jahr 2012 stan-den einem Bedarf von 68,2 Mio. € Ausgaben von 40,3 Mio. € gegen-über“. Außerdem hätten weder das Sozialministerium noch die Sächsi-sche Aufbaubank einen Überblick darüber, wie viele unverbrauchte Mittel die Krankenhäuser ange-spart haben. Für Susanne Schaper, die lange in einem Krankenhaus arbeitete und jetzt für DIE LINKE im Landtag sitzt, belegt dies einmal mehr: „Wer kein Konzept hat, kennt den Bedarf nicht und kann ihn nicht befriedigen. Ähnliches erleben wir zum Beispiel im Lehrerbereich seit Jahren. Das Ergebnis ist Substanz-verzehr“. Bei den Krankenhausin-vestitionen ist Sachsen bundesweit Schlusslicht. Im nächsten Doppel-haushalt müssen sie deshalb ange-hoben werden, was auch die Säch-sische Krankenhausgesellschaft fordert.Große Erwartungen weckte Schwarz-Gelb einst mit einer Restrukturierung von Behörden-standorten. Erhebliche Einsparun-gen seien möglich. Zumindest für die Finanzämter, deren Zahl seit Jahren reduziert wird, trifft das aber nicht zu. Der Rechnungshof merkt hierzu an, dass die Regierung „gegenüber dem Parlament die erwarteten Ein-sparungen zu hoch und die anfallen-den Kosten zu niedrig eingeschätzt“ habe. Nur 22 % der Kostensenkun-gen, mit der die Standortverände-rungen gerechtfertigt wurden, ent-stehen durch die Zusammenlegung von Ämtern. Auch bei der wohl größten landes-politischen „Baustelle“ pocht der

Rechnungshof auf Korrekturen: Bis 2031 gehen zwei Drittel der heuti-gen Landesbediensteten – Lehrer, Polizisten, Professoren und viele andere – in den Ruhestand. Ihre Nachfolge müsste schon lange organisiert sein, ein Konzept vor-liegen. Wie der Rechnungshof kri-tisiert, ist die Vorgängerregierung an dieser Aufgabe klar gescheitert. Die neue verspricht nun im Koaliti-onsvertrag eine Kommission, die „bis 2016 eine aufgabenorientierte Personalbedarfsplanung für den öffentlichen Dienst des Freistaates Sachsen“ erstellen soll. Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein. Zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeld gehört übrigens auch, dass die Regierung das Parlament umfassend über alle Haushaltsvorgänge informiert. 13,7 % des Etats liegen schließlich in sogenannten „Extra-Haushalten“ wie Staatsbetrieben, öffentlichen Körperschaften oder Stiftungen. Deshalb muss es wieder Beteili-gungsberichte zu allen Sonderver-mögen und Beteiligungen des Frei-staates geben. „Nur in Kenntnis dieser Berichte kann das Parlament seine Funktion als Haushaltsge-setzgeber wahrnehmen“, mahnt der Finanzexperte der LINKEN, Sebas-tian Scheel. Es bleibt abzuwarten, ob die Koalitionäre ihre Ankündi-gung wahr machen und nach 2009 endlich wieder derartige Papiere vorlegen.Die neue Staatsregierung sollte die Empfehlungen des Rechnungsho-fes umsetzen. Sein kritischer Blick wird sich schließlich auch auf ihr Handeln richten.

Rügen vom Rechnungshof für Schwarz-Gelb – bald auch für Schwarz-Rot?

„Politik zum Anfassen“ im Landtag wieder mit LinksfraktionFragen stellen, die Meinung geigen oder einfach nett plaudern – das geht am besten von Angesicht zu Angesicht. Traditionell veranstal-tet der Sächsische Landtag am 3. Oktober seinen Tag der Offenen Tür – auch in diesem Jahr eine gute Gelegenheit für Bürgerinnen, Bürger und Abgeordnete, sich zu begeg-nen. Klar, dass die Fraktion DIE LINKE dabei nicht fehlte. Im Neu-bau des Landtagsgebäudes präsen-tierte sie sich mit einem „Politiker-Speed-Dating“ und dem bewährten Polit-Talk mit Abgeordneten auf der Bühne. Auf Seiten der Abgeordneten waren neue und bekannte Gesichter zu ent-decken: So stellten sich zum Beispiel Fraktionschef Rico Gebhardt, Horst Wehner, Sebastian Scheel, Klaus Tischendorf und Annekatrin Klepsch den Fragen der Besucher, aber auch neue Mandatsträger wie Susanne

Schaper und Lutz Richter. Die Debat-tenthemen reichten von der Mittel-standspolitik über die Krankenhaus-finanzierung bis hin zur Bewertung des Begriffes „Unrechtsstaat“.Die musikalische Umrahmung oblag erneut dem Chemnitzer Duo „Father & Son“, das etwa mit Lie-

dern von Gerhard Gundermann und Hannes Wader für Stimmung sorgte. Dazu gab es frische Bio-Äpfel aus der Region, Glücksrad für Jung und Alt sowie Zuckerwatte. Die nächste Gelegenheit zum Aus-tausch kommt, spätestens am 3. Oktober 2015!

Fachgespräch mit Multiplikator_innen im Bereich Gleichstellungspolitik mit Sarah Buddeberg (MdL) 28.11.2014, 17 UhrSächsischer Landtag

Anmeldung bis 20. Novemberunter bb-buddeberg@ linksfraktion-sachsen.de

Seite 3 Kommunal-Info 9/2014

Thema: Flüchtlinge unterbringenBund und Länder müssen überfor-derte Kommunen unterstützen

Angesichts der steigenden Anzahl an Flüchtlingen und der Unterbringungs-debatte fordert PRO ASYL einen Para-digmenwechsel bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Politik muss anerken-nen, dass Flüchtlinge auch langfristig in großer Zahl kommen und auf Dauer bleiben werden. Bund und Länder müs-sen die Kommunen in viel stärkerem Maße unterstützen. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Containersiedlun-gen, Kasernen und Zelten dürfen kei-ne Dauerlösung werden. Die Politik muss stattdessen Konzepte entwickeln, die den zügigen Auszug aus den Not- und Sammelunterkünften ermöglichen und Flüchtlingen erlauben, sich selbst zu versorgen, die Sprache zu erlernen und zu arbeiten. „Statt immer wieder zu improvisieren, muss die Politik ein Aufnahme- und Integrationskonzept entwickeln und die rechtliche Aus-grenzung von Flüchtlingen beenden“, erklärt Günter Burkhardt, Geschäfts-führer von PRO ASYL.

Zu einem nachhaltigen Programm zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen gehört:

Unterbringung in Wohnungen: PRO ASYL fordert, dass die Unterbringung in Wohnungen zum Ziel der Aufnah-mepolitik wird. Die Lagerpfl icht gehört in allen Bundesländern abgeschafft. Programme zur Unterstützung bei der Wohnungssuche müssen aufgelegt und bürokratische Hürden abgebaut wer-den. Die Konzepte der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen mit Woh-nungsquoten zwischen 85 und 92 Pro-zent (Stand 2012) können hier als Bei-spiel dienen. Länder wie Bayern und Sachsen müssen umdenken.

Ausreichende Kostenerstattungen für die Kommunen: Für viele Kom-

munen sind die Erstattungspauschalen der Bundesländer bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht kostendeckend. Dies führt zu Defi ziten bei Unterbrin-gung und Integration.

Integration vom ersten Tag an: Sprachkursanspruch und Arbeitser-laubnis. Flüchtlingen muss es ermög-licht werden, auf eigenen Füßen zu stehen, sie müssen die Sprache lernen können und dabei unterstützt werden, Arbeit zu fi nden. Die Integrationskurse müssen für Asylsuchende geöffnet wer-den. Der Bund muss die Arbeitsverbote und das Nachrangigkeitsprinzip ersatz-

Integration statt Ausgrenzung und Notunterbringung

Anforderungen an die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen

Im Zusammenhang mit der Unter-bringung von Flüchtlingen in Erstauf-nahmeeinrichtungen der Länder ist es in verschiedenen Fällen offenbar zu schweren Fehlverhalten des dort einge-setzten privaten Sicherheitspersonals gekommen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch für Städte und Gemein-den die Frage, welche Anforderungen sie im Falle der Vergabe von Sicher-heitsdienstleistungen, etwa bei eigenen kommunalen Einrichtungen, an die je-weiligen Dienstleister sowie deren ein-gesetztes Personal zu stellen haben.

Bei der Vergabe von Sicherheits-dienstleistungen zur Bewachung von Flüchtlingsunterkünften sind mit Blick auf die Eignung des jeweils eingesetz-ten Personals besonders hohe Anfor-derungen zu stellen. Ein öffentlicher Auftraggeber hat insbesondere zu prüfen, ob das für den Auftrag vorge-sehene Personal des Bieters über die erforderlichen Fertigkeiten und Fach-kenntnisse verfügt. Bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen sind

dies Nachweise des Bieters, seines Lei-tungspersonals und der Beschäftigten über die Befähigung und Sachkunde.

Aus kommunaler Sicht ist insbe-sondere sicherzustellen, dass auch et-waig eingesetzte Nachunternehmen zur Ausführung der jeweiligen Bewa-chungsleistungen die seitens des Auf-traggebers gestellten

Eignungsanforderungen vollumfäng-lich erfüllen.

Vor diesem Hintergrund hat jüngst ein Austausch zwischen dem DStGB sowie dem Bundesverband der Sicherheits-wirtschaft e. V. (BDSW) zu den Anfor-derungen an die Vergabe von Sicher-heitsdienstleistungen stattgefunden. Nach Auffassung des BDSW empfi ehlt sich bei der Vergabe von Sicherheits- beziehungsweise Bewachungsleistun-gen die entsprechende Anwendung der Leistungsstufe 2 gemäß Anhang Ader DIN 77200:2008-05 „Sicher-heitsdienstleistungen – Anforderun-gen“. Im Bereich der Auftragsvergabe von Objektschutzdienstleistungen, et-wa von Flüchtlingsunterkünften sowie Asylbewerberwohnheimen, können

nach Aussage des BDSW im Übrigen folgende unternehmensbezogene Eig-nungskriterien vom Auftraggeber ver-langt werden:

1) Einsatz qualifi zierten Personals; sinnvoll erscheint für das eingesetzte Personal der Nachweis der erforderli-chen Sachkundeprüfung bei einer IHK. Beim Führungspersonal bzw. beim Ob-jekt- und Wachleiterpersonal sollten qualifi zierte Ausbildungen in Form der IHK-Geprüften Werkschutzfachkraft bzw. der IHK-Geprüften Schutz- und Sicherheitskraft vorliegen.

2) Im Hinblick auf das eingesetz-te Personal ist ferner zu erwägen, ei-ne verfassungsschutzmäßige Über-prüfung gem. § 9 Absatz 2 BewachV vorzunehmen.

3) Spezielle Fortbildungen in Dees-kalationstechniken.

4) Vorhandensein eines qualifi zier-ten Qualitätsmanagement-Systems, tägliche, 24-Stunden dauernde unun-terbrochene Besetzung der Einsatzlei-tung mit Führungspersonal.

5) Vorhandensein englischer Sprach-kenntnisse, die eine sichere Kommuni-kation mit Asylbewerbern ermöglicht.

6) kurze Reaktionszeit der Einsatz-

leitung mit Führungspersonal sowie der Reserven zur Verstärkung vor Ort bzw. zur Ersatzstellung von maximal 2 Stunden.

Zu Punkt 2) (§ 9 Abs. 2 BewachV) sollte es indes ausreichen, wenn der je-weilige Bieter eine entsprechende Ei-generklärung vorlegt. Der Prüfauf-wand für den Auftraggeber/Kommune sollte so gering wie möglich gehalten werden. Einzelfallbezogen mag es zu-dem noch weitere Kriterien, wie zum Beispiel die Vorlage von Referenzen, geben, die ein Auftraggeber verlangen kann. Insoweit ist die vorstehende Auf-zählung nicht abschließend.Deutscher Städte- und Gemeindebund,

1. Oktober 2014Quelle: www.dstgb-vis.de

Sicherheitsdienste in Flüchtlingsunterkünften

los streichen. Das XENOS-Sonderpro-gramm zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen sollte über 2014 hin-aus verlängert und deutlich ausgebaut statt zurückgefahren werden.

Wiederbelebung des sozialen Woh-nungsbaus: In Ballungszentren fehlt es generell für Menschen mit geringem Einkommen an bezahlbarem Wohn-raum. Jährlich verlieren mindestens 100.000 Wohnungen ihren früheren Status als Sozialwohnungen. Die Alt-bestände des sozialen Wohnungsbaus wurden weitgehend privatisiert. PRO ASYL fordert ein Wohnungsbaupro-

gramm, das es Flüchtlingen und an-deren Menschen mit geringem Ein-kommen ermöglicht, bezahlbaren Wohnraum zu fi nden.

Weiterführende Informationen sind zu fi nden in der Studie „Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland. Re-gelungen und Praxis der Bundeslän-der im Vergleich“ von Kay Wendel mit Stand vom August 2014 kann herunter-geladen werden unter: www.proasyl.de

PRO ASYL zu steigenden Flüchtlings-zahlen und UnterbringungsdebattePresseerklärung, 01.09.2014

Seite 4Kommunal-Info 9/2014

Seminare im Herbst 2014

Eure Rechte & Pfl ichten als Aufsichtsräteam 14. & 15. 11. 2014

im Hotel »Schwarzes Roß« Freiberger Straße 909603 Siebenlehn

Freitag: 18 – 20 UhrSonnabend: 9 – 12 & 13 – 15 UhrReferent: Alexander Thomas, Dipl.-Verwaltungswirt & parlamentarisch-wissenschaftlicher BeraterAnmeldung bitte bis zum 10.11.2014

Grundlagen kommunaler Sozialpolitikam 29. 11. 2014

im »City Tagung«, Brühl 54 / Nikolaistraße 4004109 Leipzig

10 – 12 Uhr: Seminar13 – 15 Uhr: Seminar15.30 – 16.30 Uhr: Diskussion & AbschlussrundeReferentin: Christine Pastor, ehemalige Stadträtin & sozialpolitische SprecherinAnmeldung bitte bis zum 24.11.2014

Der Teilnahmebeitrag beträgt 10 Euro für eintätige Seminare und 20 Euro für zweitägige Seminare. Auszubildende sowie Hartz-IV- und Sozialhilfe-Emp-fänger zahlen einen ermäßigten Teilnahmebeitrag in Höhe von 2 Euro.

Anmeldung & Nachfragen:Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99, 01127 Dresden

Fon: 0351 - 4 82 79 -44 / -45, Fax: 0351 - 7 95 24 [email protected]

Was bietet die Kommunalrichtlinie 2015/2016?

Die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrich-tungen im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative“ (kurz: Kom-munalrichtlinie) des Bundesumwelt-ministeriums (BMUB) bietet auch im Antragsjahr 2015 umfangreiche För-dermöglichkeiten für den kommunalen Klimaschutz. Die novellierte Richt-linie ist für zwei Jahre gültig und bie-tet somit mehr Planungssicherheit und Vorbereitungszeit. Das beim Deut-schen Institut für Urbanistik (Difu) an-gesiedelten Service- und Kompetenz-zentrum: Kommunaler Klimaschutz (SK:KK) informiert über Änderungen und Förderschwerpunkte der nächsten Antragsperiode.

Jetzt schon Anträge für 2015 vorbereiten!

Förderanträge können vom 1. Janu-ar bis zum 31. März 2015 eingereicht werden. Die Förderschwerpunkte Kli-maschutzmanagement, das Anschluss-

vorhaben zum Klimaschutzmanage-ment, die ausgewählte Maßnahme sowie ab 2015 auch Energiesparmodel-le in Schulen und Kitas können ganz-jährig beantragt werden. Die Kommu-nalrichtlinie richtet sich in erster Linie an Kommunen. Aber auch andere In-stitutionen wie Bildungseinrichtungen, kommunale Unternehmen oder Religi-onsgemeinschaften mit Körperschafts-status sind unter bestimmten Voraus-setzungen antragsberechtigt.

Die Förderschwerpunkte 2015/2016 im Überblick

Kommunen, die beim Klimaschutz noch am Anfang stehen, können ei-ne Einstiegsberatung beantragen. Um möglichst vielen Kommunen einen strukturierten Einstieg in den langfris-tigen Klimaschutzprozess zu ermögli-chen, sind auch Kommunen, die bereits ein Teilkonzept zum Thema Klima-schutz erarbeitet oder beantragt haben, für Beratungsleistungen durch fach-kundige Dritte antragsberechtigt. Zu-dem sind die Ausgaben für begleitende Öffentlichkeitsarbeit förderfähig.

Die Erstellung von umfassenden Klimaschutzkonzepten und thema-tisch fokussierten Teilkonzepten bildet auch im Jahr 2015 das Kernstück der Kommunalrichtlinie. Kommunale Un-ternehmen haben 2015 erstmalig die Möglichkeit, Klimaschutzteilkonzepte für die Bereiche Green-IT, Erneuerba-re Energien und integrierte Wärmenut-

Förderung von Klimaschutzprojektenzung erstellen zu lassen. Um die Um-setzung der Konzepte zu unterstützen, bezuschusst die Kommunalrichtlinie die Einrichtung einer Personalstelle für das Klimaschutzmanagement. Klima-schutzmanager können auch 2015 eine ausgewählte Maßnahme – mit einem Zuschuss von bis zu 200 000 Euro – be-antragen. Die für die Zuwendung vor-ausgesetzte Reduktion von Treibhaus-gasemissionen wurde auf 70 Prozent herabgesetzt. Förderfähig sind hier-bei beispielsweise eine Umrüstung von Lichtsignalanlagen auf LED-Beleuch-tung, Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung in Verbindung mit einer Gebäudeleittechnik oder die Um-stellung des kommunalen Fuhrparks auf Elektromobilität.

Ab 2015 sind im Rahmen von Ener-giesparmodellen in Schulen und Kin-dertagesstätten zusätzlich bis zu 1 000 Euro für die begleitende Öffentlich-keitsarbeit von Aktionstagen in den je-weiligen Einrichtungen förderfähig.

Neben Zuschüssen für Konzeption und Umsetzung bietet die Kommunal-richtlinie auch fi nanzielle Unterstüt-

zung für investive Maßnahmen. Die Sanierung und Nachrüstung von Lüf-tungsanlagen, der Einbau hocheffi zi-enter LED-Beleuchtungs-, Steuer- und Regelungstechnik bei der Sanierung von Innen- und Hallenbeleuchtungen sowie die Förderung von Klimaschutz-maßnahmen bei stillgelegten Sied-lungsabfalldeponien sind weiterhin förderfähig.

Im Bereich der nachhaltigen Mobi-lität stehen die Verbesserung des Rad-verkehrs sowie die Verknüpfung um-weltfreundlicher Mobilitätsformen im Fokus der Förderung. Hierzu zählen die Einrichtung von Beschilderungs-systemen für Fahrradwege, das Errich-ten verkehrsmittelübergreifender Mo-bilitätsstationen und Maßnahmen zur Verbesserung der Radverkehrsinfra-struktur.

Beratung und weiterführende Informationen

Fragen rund um die Kommunal-richtlinie beantwortet das SK:KK. Um möglichst viele Interessierte über die Kommunalrichtlinie zu informie-ren und für den Klimaschutz zu akti-vieren, führt das SK:KK eine bundes-weite „Infotour“ durch. Informationen hierzu sowie Veranstaltungstipps und Projektbeispiele befi nden sich auf der Internetseite des SK:KK: www.klima-schutz.de/kommunen

Quelle: Difu-Berichte 3/2014

Mythen statt Fakten? Öffentliche Dienstleister kritisieren Gutachten der Monopolkommission

Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesverbandes Öffentliche Dienst-leistungen (BVÖD) hat sich ablehnend zu den ökonomisch-theoretischen und empirischen Grundlagen geäußert, die die Monopolkommission der Bundes-regierung in ihrem insgesamt 284 Sei-ten umfassenden 20. Hauptgutachten für kommunale Wirtschaftstätigkei-ten heranzieht. Deren ökonomische Auswirkungen sieht die Kommissi-on kritisch und will daher der Frage nachgehen, inwieweit vor dem Hinter-grund des Bestrebens von Kommunen, die eigenen wirtschaftlichen Tätigkei-ten auszuweiten, ordnungspolitischer Handlungsbedarf besteht. Anlass für die Stellungnahme des BVÖD war die Verbändeanhörung des Bundesminis-teriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im September in Berlin.

BVÖD-Beiratsvorsitzender Profes-sor Dr. Holger Mühlenkamp von der Deutschen Universität für Verwal-tungswissenschaften in Speyer sieht in dem Gutachten wichtige Theoriebau-steine der Ökonomik außer Acht gelas-sen. Er moniert zudem, dass insgesamt verengend argumentiert werde. „Die von der Monopolkommission gefol-gerte Beschränkung der Tätigkeit öf-fentlicher Unternehmen auf natürliche Monopole bei Marktversagen greift zu kurz, da die Monopolkommission gro-ße Teile der modernen ökonomischen Theorie zu Privatisierungsfragen au-ßer Acht lässt“, führt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler aus. Auch hält aus Sicht von Mühlenkamp der von der Monopolkommission behaup-tete grundsätzliche Effi zienzvorteil

privater Unternehmen gegenüber öf-fentlichen Unternehmen einer empiri-schen Prüfung nicht stand. „Es fi nden sich in neueren Studien keine Hinweise auf systematische Effi zienzunterschie-de zwischen öffentlicher und priva-ter Wirtschaft“, betont der Beiratsvor-sitzende. „Von einer grundsätzlichen Überlegenheit privater Unternehmen auszugehen, basiert auf einem Mythos, nicht auf einem Fakt.“ Das Gutach-ten der Monopolkommission erwecke so einen durch empirische Ergebnisse nicht gedeckten Eindruck.

Auch zu den sektorbezogenen Vor-schlägen der Monopolkommission zur Wasserwirtschaft und zur Telekommu-nikationswirtschaft bezieht der Beirat in seiner Stellungnahme Position und weist insbesondere die Forderung nach einer Anreizregulierung der Wasser-wirtschaft zurück.

Der BVÖD bündelt in Deutschland die politischen Interessen der Erbrin-ger von Dienstleistungen von allge-meinem (wirtschaftlichem) Interesse. Die Stellungnahme des Wissenschaft-lichen Beirates kann im Wortlaut her-untergeladen werden: www.weka.de/kommunalverwaltung.

Der Verband kommunaler Unterneh-men (VKU) weist den erhobenen Vor-wurf der Wettbewerbsverzerrung durch kommunale Unternehmen als nicht nachvollziehbar zurück. Aus Gründen des Gemeinwohls nehmen kommuna-le Querverbundunternehmen vielmehr Wettbewerbsnachteile gegenüber der Privatwirtschaft in Kauf, die durch die Möglichkeit der steuerlichen Verrech-nung nur in geringem Umfang anteilig kompensiert werden. Die Stellungnah-me des VKU ist zu fi nden unter: www.vku.de/service-navigation/recht

Keine Überlegenheit der Privaten

Seite 3 Kommunal-Info 9/2014

Thema: Flüchtlinge unterbringenBund und Länder müssen überfor-derte Kommunen unterstützen

Angesichts der steigenden Anzahl an Flüchtlingen und der Unterbringungs-debatte fordert PRO ASYL einen Para-digmenwechsel bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Politik muss anerken-nen, dass Flüchtlinge auch langfristig in großer Zahl kommen und auf Dauer bleiben werden. Bund und Länder müs-sen die Kommunen in viel stärkerem Maße unterstützen. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Containersiedlun-gen, Kasernen und Zelten dürfen kei-ne Dauerlösung werden. Die Politik muss stattdessen Konzepte entwickeln, die den zügigen Auszug aus den Not- und Sammelunterkünften ermöglichen und Flüchtlingen erlauben, sich selbst zu versorgen, die Sprache zu erlernen und zu arbeiten. „Statt immer wieder zu improvisieren, muss die Politik ein Aufnahme- und Integrationskonzept entwickeln und die rechtliche Aus-grenzung von Flüchtlingen beenden“, erklärt Günter Burkhardt, Geschäfts-führer von PRO ASYL.

Zu einem nachhaltigen Programm zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen gehört:

Unterbringung in Wohnungen: PRO ASYL fordert, dass die Unterbringung in Wohnungen zum Ziel der Aufnah-mepolitik wird. Die Lagerpfl icht gehört in allen Bundesländern abgeschafft. Programme zur Unterstützung bei der Wohnungssuche müssen aufgelegt und bürokratische Hürden abgebaut wer-den. Die Konzepte der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen mit Woh-nungsquoten zwischen 85 und 92 Pro-zent (Stand 2012) können hier als Bei-spiel dienen. Länder wie Bayern und Sachsen müssen umdenken.

Ausreichende Kostenerstattungen für die Kommunen: Für viele Kom-

munen sind die Erstattungspauschalen der Bundesländer bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht kostendeckend. Dies führt zu Defi ziten bei Unterbrin-gung und Integration.

Integration vom ersten Tag an: Sprachkursanspruch und Arbeitser-laubnis. Flüchtlingen muss es ermög-licht werden, auf eigenen Füßen zu stehen, sie müssen die Sprache lernen können und dabei unterstützt werden, Arbeit zu fi nden. Die Integrationskurse müssen für Asylsuchende geöffnet wer-den. Der Bund muss die Arbeitsverbote und das Nachrangigkeitsprinzip ersatz-

Integration statt Ausgrenzung und Notunterbringung

Anforderungen an die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen

Im Zusammenhang mit der Unter-bringung von Flüchtlingen in Erstauf-nahmeeinrichtungen der Länder ist es in verschiedenen Fällen offenbar zu schweren Fehlverhalten des dort einge-setzten privaten Sicherheitspersonals gekommen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch für Städte und Gemein-den die Frage, welche Anforderungen sie im Falle der Vergabe von Sicher-heitsdienstleistungen, etwa bei eigenen kommunalen Einrichtungen, an die je-weiligen Dienstleister sowie deren ein-gesetztes Personal zu stellen haben.

Bei der Vergabe von Sicherheits-dienstleistungen zur Bewachung von Flüchtlingsunterkünften sind mit Blick auf die Eignung des jeweils eingesetz-ten Personals besonders hohe Anfor-derungen zu stellen. Ein öffentlicher Auftraggeber hat insbesondere zu prüfen, ob das für den Auftrag vorge-sehene Personal des Bieters über die erforderlichen Fertigkeiten und Fach-kenntnisse verfügt. Bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen sind

dies Nachweise des Bieters, seines Lei-tungspersonals und der Beschäftigten über die Befähigung und Sachkunde.

Aus kommunaler Sicht ist insbe-sondere sicherzustellen, dass auch et-waig eingesetzte Nachunternehmen zur Ausführung der jeweiligen Bewa-chungsleistungen die seitens des Auf-traggebers gestellten

Eignungsanforderungen vollumfäng-lich erfüllen.

Vor diesem Hintergrund hat jüngst ein Austausch zwischen dem DStGB sowie dem Bundesverband der Sicherheits-wirtschaft e. V. (BDSW) zu den Anfor-derungen an die Vergabe von Sicher-heitsdienstleistungen stattgefunden. Nach Auffassung des BDSW empfi ehlt sich bei der Vergabe von Sicherheits- beziehungsweise Bewachungsleistun-gen die entsprechende Anwendung der Leistungsstufe 2 gemäß Anhang Ader DIN 77200:2008-05 „Sicher-heitsdienstleistungen – Anforderun-gen“. Im Bereich der Auftragsvergabe von Objektschutzdienstleistungen, et-wa von Flüchtlingsunterkünften sowie Asylbewerberwohnheimen, können

nach Aussage des BDSW im Übrigen folgende unternehmensbezogene Eig-nungskriterien vom Auftraggeber ver-langt werden:

1) Einsatz qualifi zierten Personals; sinnvoll erscheint für das eingesetzte Personal der Nachweis der erforderli-chen Sachkundeprüfung bei einer IHK. Beim Führungspersonal bzw. beim Ob-jekt- und Wachleiterpersonal sollten qualifi zierte Ausbildungen in Form der IHK-Geprüften Werkschutzfachkraft bzw. der IHK-Geprüften Schutz- und Sicherheitskraft vorliegen.

2) Im Hinblick auf das eingesetz-te Personal ist ferner zu erwägen, ei-ne verfassungsschutzmäßige Über-prüfung gem. § 9 Absatz 2 BewachV vorzunehmen.

3) Spezielle Fortbildungen in Dees-kalationstechniken.

4) Vorhandensein eines qualifi zier-ten Qualitätsmanagement-Systems, tägliche, 24-Stunden dauernde unun-terbrochene Besetzung der Einsatzlei-tung mit Führungspersonal.

5) Vorhandensein englischer Sprach-kenntnisse, die eine sichere Kommuni-kation mit Asylbewerbern ermöglicht.

6) kurze Reaktionszeit der Einsatz-

leitung mit Führungspersonal sowie der Reserven zur Verstärkung vor Ort bzw. zur Ersatzstellung von maximal 2 Stunden.

Zu Punkt 2) (§ 9 Abs. 2 BewachV) sollte es indes ausreichen, wenn der je-weilige Bieter eine entsprechende Ei-generklärung vorlegt. Der Prüfauf-wand für den Auftraggeber/Kommune sollte so gering wie möglich gehalten werden. Einzelfallbezogen mag es zu-dem noch weitere Kriterien, wie zum Beispiel die Vorlage von Referenzen, geben, die ein Auftraggeber verlangen kann. Insoweit ist die vorstehende Auf-zählung nicht abschließend.Deutscher Städte- und Gemeindebund,

1. Oktober 2014Quelle: www.dstgb-vis.de

Sicherheitsdienste in Flüchtlingsunterkünften

los streichen. Das XENOS-Sonderpro-gramm zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen sollte über 2014 hin-aus verlängert und deutlich ausgebaut statt zurückgefahren werden.

Wiederbelebung des sozialen Woh-nungsbaus: In Ballungszentren fehlt es generell für Menschen mit geringem Einkommen an bezahlbarem Wohn-raum. Jährlich verlieren mindestens 100.000 Wohnungen ihren früheren Status als Sozialwohnungen. Die Alt-bestände des sozialen Wohnungsbaus wurden weitgehend privatisiert. PRO ASYL fordert ein Wohnungsbaupro-

gramm, das es Flüchtlingen und an-deren Menschen mit geringem Ein-kommen ermöglicht, bezahlbaren Wohnraum zu fi nden.

Weiterführende Informationen sind zu fi nden in der Studie „Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland. Re-gelungen und Praxis der Bundeslän-der im Vergleich“ von Kay Wendel mit Stand vom August 2014 kann herunter-geladen werden unter: www.proasyl.de

PRO ASYL zu steigenden Flüchtlings-zahlen und UnterbringungsdebattePresseerklärung, 01.09.2014

Seite 4Kommunal-Info 9/2014

Seminare im Herbst 2014

Eure Rechte & Pfl ichten als Aufsichtsräteam 14. & 15. 11. 2014

im Hotel »Schwarzes Roß« Freiberger Straße 909603 Siebenlehn

Freitag: 18 – 20 UhrSonnabend: 9 – 12 & 13 – 15 UhrReferent: Alexander Thomas, Dipl.-Verwaltungswirt & parlamentarisch-wissenschaftlicher BeraterAnmeldung bitte bis zum 10.11.2014

Grundlagen kommunaler Sozialpolitikam 29. 11. 2014

im »City Tagung«, Brühl 54 / Nikolaistraße 4004109 Leipzig

10 – 12 Uhr: Seminar13 – 15 Uhr: Seminar15.30 – 16.30 Uhr: Diskussion & AbschlussrundeReferentin: Christine Pastor, ehemalige Stadträtin & sozialpolitische SprecherinAnmeldung bitte bis zum 24.11.2014

Der Teilnahmebeitrag beträgt 10 Euro für eintätige Seminare und 20 Euro für zweitägige Seminare. Auszubildende sowie Hartz-IV- und Sozialhilfe-Emp-fänger zahlen einen ermäßigten Teilnahmebeitrag in Höhe von 2 Euro.

Anmeldung & Nachfragen:Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99, 01127 Dresden

Fon: 0351 - 4 82 79 -44 / -45, Fax: 0351 - 7 95 24 [email protected]

Was bietet die Kommunalrichtlinie 2015/2016?

Die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrich-tungen im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative“ (kurz: Kom-munalrichtlinie) des Bundesumwelt-ministeriums (BMUB) bietet auch im Antragsjahr 2015 umfangreiche För-dermöglichkeiten für den kommunalen Klimaschutz. Die novellierte Richt-linie ist für zwei Jahre gültig und bie-tet somit mehr Planungssicherheit und Vorbereitungszeit. Das beim Deut-schen Institut für Urbanistik (Difu) an-gesiedelten Service- und Kompetenz-zentrum: Kommunaler Klimaschutz (SK:KK) informiert über Änderungen und Förderschwerpunkte der nächsten Antragsperiode.

Jetzt schon Anträge für 2015 vorbereiten!

Förderanträge können vom 1. Janu-ar bis zum 31. März 2015 eingereicht werden. Die Förderschwerpunkte Kli-maschutzmanagement, das Anschluss-

vorhaben zum Klimaschutzmanage-ment, die ausgewählte Maßnahme sowie ab 2015 auch Energiesparmodel-le in Schulen und Kitas können ganz-jährig beantragt werden. Die Kommu-nalrichtlinie richtet sich in erster Linie an Kommunen. Aber auch andere In-stitutionen wie Bildungseinrichtungen, kommunale Unternehmen oder Religi-onsgemeinschaften mit Körperschafts-status sind unter bestimmten Voraus-setzungen antragsberechtigt.

Die Förderschwerpunkte 2015/2016 im Überblick

Kommunen, die beim Klimaschutz noch am Anfang stehen, können ei-ne Einstiegsberatung beantragen. Um möglichst vielen Kommunen einen strukturierten Einstieg in den langfris-tigen Klimaschutzprozess zu ermögli-chen, sind auch Kommunen, die bereits ein Teilkonzept zum Thema Klima-schutz erarbeitet oder beantragt haben, für Beratungsleistungen durch fach-kundige Dritte antragsberechtigt. Zu-dem sind die Ausgaben für begleitende Öffentlichkeitsarbeit förderfähig.

Die Erstellung von umfassenden Klimaschutzkonzepten und thema-tisch fokussierten Teilkonzepten bildet auch im Jahr 2015 das Kernstück der Kommunalrichtlinie. Kommunale Un-ternehmen haben 2015 erstmalig die Möglichkeit, Klimaschutzteilkonzepte für die Bereiche Green-IT, Erneuerba-re Energien und integrierte Wärmenut-

Förderung von Klimaschutzprojektenzung erstellen zu lassen. Um die Um-setzung der Konzepte zu unterstützen, bezuschusst die Kommunalrichtlinie die Einrichtung einer Personalstelle für das Klimaschutzmanagement. Klima-schutzmanager können auch 2015 eine ausgewählte Maßnahme – mit einem Zuschuss von bis zu 200 000 Euro – be-antragen. Die für die Zuwendung vor-ausgesetzte Reduktion von Treibhaus-gasemissionen wurde auf 70 Prozent herabgesetzt. Förderfähig sind hier-bei beispielsweise eine Umrüstung von Lichtsignalanlagen auf LED-Beleuch-tung, Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung in Verbindung mit einer Gebäudeleittechnik oder die Um-stellung des kommunalen Fuhrparks auf Elektromobilität.

Ab 2015 sind im Rahmen von Ener-giesparmodellen in Schulen und Kin-dertagesstätten zusätzlich bis zu 1 000 Euro für die begleitende Öffentlich-keitsarbeit von Aktionstagen in den je-weiligen Einrichtungen förderfähig.

Neben Zuschüssen für Konzeption und Umsetzung bietet die Kommunal-richtlinie auch fi nanzielle Unterstüt-

zung für investive Maßnahmen. Die Sanierung und Nachrüstung von Lüf-tungsanlagen, der Einbau hocheffi zi-enter LED-Beleuchtungs-, Steuer- und Regelungstechnik bei der Sanierung von Innen- und Hallenbeleuchtungen sowie die Förderung von Klimaschutz-maßnahmen bei stillgelegten Sied-lungsabfalldeponien sind weiterhin förderfähig.

Im Bereich der nachhaltigen Mobi-lität stehen die Verbesserung des Rad-verkehrs sowie die Verknüpfung um-weltfreundlicher Mobilitätsformen im Fokus der Förderung. Hierzu zählen die Einrichtung von Beschilderungs-systemen für Fahrradwege, das Errich-ten verkehrsmittelübergreifender Mo-bilitätsstationen und Maßnahmen zur Verbesserung der Radverkehrsinfra-struktur.

Beratung und weiterführende Informationen

Fragen rund um die Kommunal-richtlinie beantwortet das SK:KK. Um möglichst viele Interessierte über die Kommunalrichtlinie zu informie-ren und für den Klimaschutz zu akti-vieren, führt das SK:KK eine bundes-weite „Infotour“ durch. Informationen hierzu sowie Veranstaltungstipps und Projektbeispiele befi nden sich auf der Internetseite des SK:KK: www.klima-schutz.de/kommunen

Quelle: Difu-Berichte 3/2014

Mythen statt Fakten? Öffentliche Dienstleister kritisieren Gutachten der Monopolkommission

Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesverbandes Öffentliche Dienst-leistungen (BVÖD) hat sich ablehnend zu den ökonomisch-theoretischen und empirischen Grundlagen geäußert, die die Monopolkommission der Bundes-regierung in ihrem insgesamt 284 Sei-ten umfassenden 20. Hauptgutachten für kommunale Wirtschaftstätigkei-ten heranzieht. Deren ökonomische Auswirkungen sieht die Kommissi-on kritisch und will daher der Frage nachgehen, inwieweit vor dem Hinter-grund des Bestrebens von Kommunen, die eigenen wirtschaftlichen Tätigkei-ten auszuweiten, ordnungspolitischer Handlungsbedarf besteht. Anlass für die Stellungnahme des BVÖD war die Verbändeanhörung des Bundesminis-teriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im September in Berlin.

BVÖD-Beiratsvorsitzender Profes-sor Dr. Holger Mühlenkamp von der Deutschen Universität für Verwal-tungswissenschaften in Speyer sieht in dem Gutachten wichtige Theoriebau-steine der Ökonomik außer Acht gelas-sen. Er moniert zudem, dass insgesamt verengend argumentiert werde. „Die von der Monopolkommission gefol-gerte Beschränkung der Tätigkeit öf-fentlicher Unternehmen auf natürliche Monopole bei Marktversagen greift zu kurz, da die Monopolkommission gro-ße Teile der modernen ökonomischen Theorie zu Privatisierungsfragen au-ßer Acht lässt“, führt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler aus. Auch hält aus Sicht von Mühlenkamp der von der Monopolkommission behaup-tete grundsätzliche Effi zienzvorteil

privater Unternehmen gegenüber öf-fentlichen Unternehmen einer empiri-schen Prüfung nicht stand. „Es fi nden sich in neueren Studien keine Hinweise auf systematische Effi zienzunterschie-de zwischen öffentlicher und priva-ter Wirtschaft“, betont der Beiratsvor-sitzende. „Von einer grundsätzlichen Überlegenheit privater Unternehmen auszugehen, basiert auf einem Mythos, nicht auf einem Fakt.“ Das Gutach-ten der Monopolkommission erwecke so einen durch empirische Ergebnisse nicht gedeckten Eindruck.

Auch zu den sektorbezogenen Vor-schlägen der Monopolkommission zur Wasserwirtschaft und zur Telekommu-nikationswirtschaft bezieht der Beirat in seiner Stellungnahme Position und weist insbesondere die Forderung nach einer Anreizregulierung der Wasser-wirtschaft zurück.

Der BVÖD bündelt in Deutschland die politischen Interessen der Erbrin-ger von Dienstleistungen von allge-meinem (wirtschaftlichem) Interesse. Die Stellungnahme des Wissenschaft-lichen Beirates kann im Wortlaut her-untergeladen werden: www.weka.de/kommunalverwaltung.

Der Verband kommunaler Unterneh-men (VKU) weist den erhobenen Vor-wurf der Wettbewerbsverzerrung durch kommunale Unternehmen als nicht nachvollziehbar zurück. Aus Gründen des Gemeinwohls nehmen kommuna-le Querverbundunternehmen vielmehr Wettbewerbsnachteile gegenüber der Privatwirtschaft in Kauf, die durch die Möglichkeit der steuerlichen Verrech-nung nur in geringem Umfang anteilig kompensiert werden. Die Stellungnah-me des VKU ist zu fi nden unter: www.vku.de/service-navigation/recht

Keine Überlegenheit der Privaten

11/2014 Sachsens Linke! Seite 5

„Wie mobil sind Seniorinnen und Senioren im ländlichen Raum“?

Postkapitalistische ÖkonomieDas „Ende des Wachstums“ be-schäftigt uns seit dem gleichna-migen Bericht des Club of Rome von 1992. Alternativen gibt es sowohl theoretisch wie als Le-bensgemeinschaften. Gemein-wirtschaft, sozial-ökologischer Umbau, „nachhaltige Entwick-lung“, Permakultur sind Stich-worte alternativer Ökonomie.Die AG Offene Kirche Chemnitz hatte am 25.10.2014 eine Kon-ferenz zum obigen Thema aus-gerichtet. Hauptreferent war Bernd Winkelmann, evangeli-scher Theologe aus Sachsen.Wer offene Augen und einen wachen Verstand hat, kann den neoliberalen ideologischen Formeln von Wohlstand durch Wachstum, dem inflationä-ren Geschwätz über „Nachhal-tigkeit“, sogar nun „nachhalti-ges Wachstum“, ohnehin nichts mehr abgewinnen. Doch wo sind die Lösungen zu suchen? Winkelmann referierte eine Be-standsanalyse über Paradoxien unseres heutigen Wirtschafts-lebens: einerseits hohe Produk-

tivität, wachsender Reichtum und technologische Möglichkei-ten, andererseits wieder wach-sende Armut, Hunger, Ausgren-zung aus Arbeit, Verarmung der öffentlichen Hand, wieder zu-nehmende, ökonomisch inten-dierte politische und militäri-sche Konflikte etc. Was führt zur Reproduktion dieser Paradoxi-en? Ursache sind das „Kapita-lisierungsprinzip“ und das „Pri-vatisierungssprinzip“. Das eine bewirkt, dass aus Geld immer mehr Geld wird, auch ohne Wert-schöpfung; das andere bewirkt eine sich weiter ausdehnen-de privatwirtschaftliche Verfü-gung über jegliche Wertschöp-fungsprozesse, so dass auch öffentliche und gemeinschaftli-che Aufgaben Privatinteressen, also dem Kapitalisierungsprin-zip, geopfert werden. Diese bei-den „Leitprinzipien“ stellen in ih-rer Wirkung das ursprüngliche Anliegen jeglicher wirtschaft-lichen Tätigkeit auf den Kopf: Existenzsicherung und Wohl-stand. Sie konkretisieren sich

in Wirkungsprinzipien der Wirt-schaft: Verwertungsprinzip – al-le Aktivitäten müssen zur Geld-vermehrung beitragen, sonst drohen Legitimationsschwierig-keiten. Konkurrenzprinzip – Wirt-schaftspotentiale bekämpfen und vernichten, um zu wach-sen, verdrängen die Konkurrenz oder schalten sie aus, auch mit unlauteren Mitteln. Wohltuend bleibt der Referent bei diesem Begriff und redet eben nicht von „Wettbewerb“, der ganz ande-re Voraussetzungen hätte, was schon in Sport-Regeln nachvoll-ziehbar ist. Wachstumsprinzip – dem Drang zur Gewinn- und Geldmehrung folgt der Zwang zum unternehmerischen Wach-sen aus Angst eben vor dem Konkurrenzprinzip. Externalisie-rungsprinzip – Abschieben aller Last- und Folgekosten auf die All-gemeinheit, und das nennt man dann betriebswirtschaftliche Ef-fizienz. Und das in Verbindung mit dem Deregulierungsprinzip – Herausdrängen des Staates und seiner Regulierungen aus „der

Wirtschaft“, so dass für soziali-sierte Folgekosten kein Geld da ist. Aber auch die so verstande-ne „Wirtschaft“ ist nicht repro-duktionsfähig, denn wesentli-che Bereiche werden auf diese Art nicht erledigt, weil nicht fi-nanziert. Und so kommt Winkel-mann zu dem Schluss, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise eine „ausgesprochene Abschöp-fungs-, Bereicherungs- und Aus-grenzungsökonomie zu Gunsten weniger und zu Lasten vieler“ ist. Sie ist eine Sackgasse, die kei-ne humane, solidarische, ökolo-gisch und gemeinschaftlich ori-entierte Zukunft sichern kann. Winkelmann räumt auch mit der ideologischen Schimäre von der Leistung, die sich lohne, auf: Oh-ne ethische Prämissen und auf nachhaltige Zukunft orientierte Ziele gibt es keine legitime Leis-tung, es ist vielmehr das Recht der (ökonomisch) Starken – mit einem Wort: Sozialdarwinismus.Wen wundert es, dass seine Lö-sung folgende Bausteine hat: 1. radikal neue Eigentumsord-

nung, 2. radikal neue Finanzord-nung, 3. partizipatorische Un-ternehmensverfassung, 4. neue Arbeitskultur, 5. neues Leis-tungsentgeltsystem mit direkter Abhängigkeit der geringsten und höchsten Einkommen, 6. Ökolo-gisierung, 7. Solidarisches Steu-ersystem, 8. ökosoziale Globa-lisierung und Regionalisierung? Die Nähe zu Positionen der LIN-KEN ist unverkennbar. Und wer noch Rudimente einer 150 Jahre alten ökonomischen Theorie im Kopf hat, die einst ein neues Ge-sellschaftsmodell begründete, kann sich mit Recht daran erin-nert fühlen. Winkelmann nimmt direkt Bezug auf die Marx‘sche Lehre zur Begründung seines Ansatzes! Winkelmann ist in der wissenschaftlichen Fundierung konsequenter als jedes wirt-schaftspolitische Standpunkt-papier der parlamentarischen LINKEN! Winkelmann ist linke ökonomische Weiterbildung, wie sie mancher (Sommer-)Akade-mie der LINKEN fehlt. Ralf Becker

Unter diesem Thema trafen sich am 15. September die Sprecher der AG Seniorinnen und Senio-ren und die Sprecherinnen und Sprecher der BAG in Plauen. Grundlage war die Antwort zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag (Drucksache 5/11434). Sie um-fasst acht Komplexe mit insge-samt 119 Fragen. Die Antworten zeichnen sich durch Unkenntnis und Unwillen aus. Legt man den Landesentwicklungsplan des Freistaates daneben, den die Staatsregierung verabschiedet hat, klaffen Lücken, die größer gar nicht sein können – aber Pa-pier ist ja geduldig. Die Große Anfrage insgesamt zu behandeln, ist nicht möglich. Da-her befassten wir uns zunächst mit den verkehrlichen und mo-bilen Bedingungen der Senioren im ländlichen Raum. An unse-rer Beratung nahmen neben den Landtagsabgeordneten Horst Wehner und Enrico Stange auch Ron Böhme, Fachbereichsleiter Verkehrsplanung des MDV, und Torsten Müller, Geschäftsführer der Verkehrsbetriebe Vogtland-kreis, teil. Beide Referate sind auf unserer Homepage nachzu-lesen. Enrico Stange stellte acht The-sen dar. Vier Vorüberlegungen wurden vorangestellt: In Sach-sen leben etwa 4,1 Mio. Men-schen, davon ungefähr 1,5 Mio. in den Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz. Deren Infrastruktur lässt sich nicht auf den ländlichen Raum übertra-gen. Erhebliche Unterschiede zwischen Ober-, Mittelzentren und ländlichem Raum. Der Lan-desentwicklungsplan von 2013

konzentriert sich auf die Ober-zentren. Zu den Thesen: 1. Die Linienent-wicklung so gestalten, dass Be-dürfnisse der Pendler bis hin zu Freizeitgestaltung berück-sichtigt werden. 2. Die Erreich-barkeit der Verwaltungen muss sichergestellt werden. 3. Das je-weils nächste Grundzentrum soll in 30 Minuten, Mittelzentrum in 45 Minuten, Oberzentrum in 90 Minuten erreichbar sein. 4. Fol-gende Taktfrequenzen in Haupt-verkehrszeiten sind notwen-dig: werktags 60 Minuten, am Wochenende 120 – 140 Minu-ten. 5. Notwendig sind barrie-refreie Fahrzeuge und Bahnstei-ge, ebenso Auskunftssysteme, Fahrkartenautomaten; in Mittel-zentren sollten Haltestellen ma-ximal 300 Meter auseinanderlie-gen. 6. Die Tarifgestaltung muss den Anforderungen der einfa-chen Strecke entsprechen. 7. Bei einer geringeren Nutzerzahl müssen kleinere Fahrzeuge oder alternative Formen eingesetzt werden. 8. Die Mitnahmemög-lichkeit für den Rollator muss zum Regelangebot werden. Kurz ging Stange auf die Finan-zierung ein. Die Bundesmittel müssen durch den Freistaat di-rekt an die Verkehrsverbünde/Landkreise weitergereicht wer-den. Der Schülerverkehr muss generell für die Eltern kostenfrei sein, denn das Schulnetz wur-de vom Freistaat entwickelt und nicht von den Eltern.Horst Wehner wandte sich den Bedingungen für Mobilität zu. Nicht immer werden diese Be-lange so deutlich angesprochen. Wie mobil sind sie nun die Seni-orinnen und Senioren im länd-

lichen Raum? Das Spektrum reicht von „sehr mobil“ bis „stark eingeschränkt“. Alt sein bedeu-tet nicht, unfit zu sein. Aber im Alter können sich mehr und mehr gesundheitliche Probleme einstellen, die das Laufen, das Greifen, das Hören oder das Se-hen beeinträchtigen. Deswegen sollten in der Seniorenarbeit ak-tive Menschen auch die Schaf-fung der umfassenden Barriere-freiheit als ständige Aufgabe im Arbeitsplan verankert haben. Es geht sowohl um die Barrierefrei-heit im öffentlichen Verkehrs-raum (öffentliche Gebäude wie Behörden, Kulturstädten, gas-tronomische und Herbergsein-richtungen, Kleingartenanlagen, Begegnungsstätten, aber auch Verkehrsmittel und Verkehrsan-lagen) als auch im mittelbaren und unmittelbaren Wohnumfeld. Im Freistaat Sachsen ist ein Vier-tel der Bevölkerung älter als 60 Jahre. Jeder Dritte darunter lei-det an körperlichen, geistigen, seelischen oder/und Sinnesbe-einträchtigungen. Wohnen im Al-ter und mit Behinderung ist ein zentrales Zukunftsthema. Die al-ternde Gesellschaft ist eine Ge-staltungsaufgabe für jeden Ein-zelnen, für Bund und Länder, für Dörfer und Städte. Wohnen im Alter und mit Behinderung ist vielschichtig und erfordert kom-plexe Interventionen: Es um-fasst unter anderem den alters-gerechten Umbau der eigenen Wohnung, ein entsprechendes Wohnumfeld, Mobilität, Pflege und Dienstleistungen, Beratung einschließlich Case- und Care-management sowie das zentrale Thema der Teilhabe am sozialen Leben. „Halbe Sachen“ funktio-

nieren in der Regel nicht.Zu fragen ist: Will man in einer Erdgeschosswohnung leben? Ältere Menschen fühlen sich in diesem Bereich nicht immer si-cher. Obere Etagen kommen nur in Betracht, wenn ein Auf-zug im Wohngebäude vorhanden ist, der auch ebenerdig erreich-bar ist. Das ist leider in Sachsen nicht der Regelfall. Der Wohn-raum sollte so beschaffen sein, dass man sich darin sicher mit dem Rollator oder dem Rollstuhl bewegen kann. Es braucht also Fläche. Vor allem im Bad. Man-che Wohnungsvermieter haben zum Beispiel den Wohnraum für ihre älteren Mieter saniert. Da wird beispielsweise anstatt ei-ner Wanne eine bodengleiche Dusche mit Halterung und Sitz-möglichkeit eingebaut. Alltags-unterstützende Assistenzlösun-gen sind ebenfalls ein wichtiger Baustein des altersgerechten Wohnens zu Hause. Wie eine Wohnung beschaf-fen sein soll, welche Unterstüt-zungsleistungen für die Verrich-tungen des täglichen Lebens in Frage kommen können, all das sollte in der Beratungsarbeit der Seniorinnen und Senioren eine Rolle spielen. Wohnraumbera-tungsstellen sind hier sinnvolle Einrichtungen. Sie sollten neut-ral und unabhängig von irgend-welchen Leistungserbringern oder Leistungsträgern entweder in den eigenen Reihen der LAG Senioren oder in Zusammen-arbeit mit im Land bestehen-den Beratungsstellen von Sozi-al- oder Behindertenverbänden agieren. Mein Verband, der Sozi-alverband VdK Sachsen e.V., wird über seine im Freistaat Sachsen

bestehenden Beratungsstellen vor Ort Informationsveranstal-tungen zum Wohnen im Alter zu folgenden Fragestellungen durchführen: Altersgerecht um-bauen – wie kann ich in meiner vertrauten Wohnung bleiben? Welche Unterstützung gibt es zu Hause? Welche Möglichkeiten stehen mir offen, wenn ich im Al-ter noch einmal umziehe? In den kommenden Wochen wol-len wir, die LAG, die Fakten für die Kreise auswerten. Die The-men müssen auch in unseren kommunalen Vertretungen dis-kutiert werden. Veränderungen wird es für uns nur geben, wenn wir konkrete Analysen vor Ort durchführen und Forderungen formulieren. Heidemarie Lüth

Gesamtmitglieder-versammlung der LAG Rote Reporter19. November 2014, 10 UhrLiebknechthaus Leipzig, Brau-straße 15

Auf der Tagesordnung stehen u. a. die Wahlen zum Spreche-rInnenrat, Landesrat und der Delegierten sowie Diskussion zu den anstehenden Aufga-ben. Alle Mitglieder der LAG sowie Interessierte sind herz-lich eingeladen. Für einen Im-biss wird gesorgt.

Sachsens Linke! 11/2014 Seite 6

07. bis 09. November 2014: Landesjugendtag und Landes-jugendplenum in der Jugend-herberge Sayda, Infos und An-meldung unter http://www.linksjugend-sach-sen.de

07. bis 08. November 2014: 3. Initiativenkonferenz „Asyl in Sachsen“ in der EHS Dresden, mehr unter www.kulturbuero-sachsen.de

08. November 2014, ab 20:00 Uhr: Ausstellungseröff-nung und Vortrag „Hoyerswer-da 1991 – Möglichkeiten und Grenzen linker Erinnerungspo-litik“ im AZ Conni, Rudolf-Leon-hard-Straße 39, Dresden, mehr unter http://pogrom91.tumblr.com

09. November 2014: sachsen-weite Gedenkaktion „Mahnwa-che und Stolpersteine putzen“

14. November 2014: Aus-stellungseröffnung „Die ver-schwiegenen Toten - Opfer rechter Gewalt in Leipzig seit 1990“ im Neuen Rathaus Leip-zig, Untere Wandelhalle, mehr Infos unter http://initiativkreis.blogsport.de

15. November 2014: „No Dancing With Nazis“ in De-litzsch, mehr Infos unter http://nodancingwithnazis.noblogs.org

15. bis 16. November 2014: Auftaktveranstaltung zum Frauen*kampftag 2015 in Ber-lin, mehr Infos unter http ://www.frauenkampf-tag2015.de

22. November 2014: „Lange Nacht der Prekarität“ in Leip-zig, mehr unter http://www.linksjugend-leip-zig.de

23. November 2014, ab 12:00 Uhr: BR-Sitzung im Büro der linksjugend Chemnitz, Rosen-platz 4, Chemnitz

29. November 2014: Stadtju-gendtag der linksjugend Chem-nitz, mehr Infos unter http://chemnitz.linksjugend-sachsen.de

05. bis 07. Dezember 2014: Herbstakademie – Seminarwo-chenende III in Bad Lausick, In-fos und Anmeldung unter http://www.linksjugend-sach-sen.de

13. Dezember 2014, ab 12:00 Uhr: BR-Sitzung in der WahlFa-brik, Kleiststraße 10 a, Dresden

Mehr Infos unter www.linksju-gend-sachsen.de

Termine„Es geht los. Und, das kann ich versprechen: Ich gebe mein Bestes.“

Was im Landtag so abgeht – oder auch nicht

Brief eines PolitikmüdenJugend

Knapp drei Monate ist die Landtagswahl nun her, und noch immer geht es nicht so richtig los. Stress gibt es ge-nug, keine Frage, aber so lan-ge die neue Regierung noch nicht in Gang gekommen ist, passiert im parlamenta-rischen Ablauf nur das, was man draus macht.Und das war schon eine Men-ge. Fraktionssitzungen, Ar-beitskreistreffen, Pres-seanfragen, thematische Besprechungen und Podiums-diskussionen stehen auf der persönlichen Tagesordnung. Man steht plötzlich in einer Reihe von Prozessen, in de-nen man geschickt agieren muss und dabei die eigenen politischen Ziele nicht verlie-ren darf. Als Klimaschutz-, Energie- und Verkehrspolitischer Spre-cher arbeite ich mich gerade in die Materie der sächsischen Verwaltungs- und Planungs-

landschaft ein. Das braucht Zeit, und es gibt da viel zu erstreiten. Es macht Spaß, ist spannend und auch belebend. Auch wenn ich schon so manche Anfeindung von ver-schiedenen Leuten erfahren musste. So gab es heftige At-tacken von CDU’lern, weil ich mich geweigert habe, beim Abspielen und Mitsingen der Na-tionalhymne im Landtags -plenum aufzu -stehen u n d mitzu -singen. Es gibt viel zu t u n . D i e C D U

ist da das eine Pro-

b l e m . E i n größe-res die A f D . A u c h wenn diese n o c h

n i c h t a r b e i t s -

fähig ist, zeigt sie

schon ihr hässliches Gesicht. Die erste parlamentarische Initiative war eine Kleine An-frage an die Staatsregierung über die „Aktivitäten der ex-tremen linken/Antifa im Mo-nat September“, womit sie in die Fußstapfen der NPD tritt. Naja, passt ja auch. Schließ-lich sitzt die AfD im Landtag auch auf der gleichen Sei-te, auf der die NPD saß (auch wenn sie gerne in der Reihe der FDP sitzen wollte). Mal schauen, was uns da erwar-tet. Ich möchte euch jedenfalls einladen, zusammen mit mir und anderen die sächsische Politiklandschaft zu rocken. Anja und ich haben ein net-tes Büro im Landtag, wo es auch eine Chill-Out Ecke mit viel Glitzer geben wird. Soweit, liebe Grüße und ein großes Dankeschön für die bisherige Unterstützung! Marco Böhme

Ich lasse den Blick schweifen. Um mich herum: Bücher, Studi-en, Stapel von Kleinen Anfragen und – wo habe ich noch gleich meine Kaffeetasse abgestellt? Ja, ich bin angekommen. An-gekommen in einem Beruf, der mich die nächsten fünf Jahre he-rausfordern, prägen und wohl auch einige Male an den Rand der Erschöpfung treiben wird. Angekommen inmitten fremder und Neugier weckender Persön-lichkeiten, angekommen inmit-ten von Erwartungen und neuen Herausforderungen, die nun alle auf mich einstürmen.Ich bin das jüngste Mitglied des 6. Sächsischen Landtages. Und momentan kann ich noch nicht sagen, ob mein Alter eher ein Privileg oder ein Stigma dar-stellt. Ich genieße sehr viele Freiheiten, sehr viel Verständ-nis und Unterstützung. Ich stelle Fragen über Fragen. Mir wird zu-gestanden, vieles noch nicht zu kennen und zu wissen. Ich wer-de nicht schief angesehen, wenn ich mich in den strukturellen Ab-läufen des Parlamentsalltages noch nicht immer zurechtfinde. Ich kann und werde Fehler ma-chen, mich provokanter aus-drücken als manch andere/-r oder auch mal mit einer Lauf-masche in der Strumpfhose auf den Landtagsfluren anzu-treffen sein.Trotzdem ist es für mich auch eine Herausforderung, mich mit meinen 19 Jahren in den Kreisen der institutionellen Politik zu behaupten. Ich ha-be in den letzten Wochen ei-

ne Vielzahl von Interviews ge-geben. Sei es für Zeitungen, Radios oder auch für den MDR Sachsenspiegel. An inhaltliche Fragen kann ich mich nicht er-innern. Ich glaube, mehr darum kämpfen zu müssen als andere, ernst genommen zu werden. Sei es, wenn ich im kollektiven Hän-deschütteln übersehen werde oder meine Ansicht mit einem „Ach, als ich so jung war wie du, hatte ich auch noch Ideale“ ab-getan wird. Ich muss mich be-weisen. Ich muss beweisen, dass ich trotz meines Alters den Erwartungen an Politiker_in-nen gerecht w e r d e n k a n n , und das s i n d n i c h t wenige. „ A n -ja, du bist doch jetzt in der P o l i t i k . Kannst du m i r

erklären, wie sich Menschen auf ihre preußische Staatsbürger-schaft berufen können und wa-rum sie für sich nicht das Grund-gesetz sondern die preußische Verfassung von 1848 geltend machen wollen? Was für eine Position hat DIE LINKE dazu?“ ist nur eine Frage, die ich zu-nächst nur mit einem Schulter-zucken zu beantworten wuss-te. Es ist vermessen zu glauben, dass Politiker und Politikerinnen zu allen Themen einen Stand-punkt beziehen könnten. Natür-lich bemühe ich mich, meinen

Horizont stetig zu erwei-tern, alle Anliegen weiter zu tragen und

mich nicht nur auf meine Themen

und Ansichten zu versteifen. Aber für die sächsische Karpfenpo-pulation und

die Gefahr, der die säch-

sische Bevöl-kerung durch

Chemtrails ausge -s e t z t i s t , s i n d a n d e -re zu-s t ä n -d i g . U n d das ist a u c h g u t so. Ich

bin für die Themen der Jugend- und Bildungspolitik angetreten und habe mich dazu bereiter-klärt, in den kommenden fünf Jahren auch Fragen der Euro-papolitik zu bearbeiten. In diese Themenfelder stecke ich derzeit all meine Zeit und Energie, die-se Bereiche werde ich mit Herz und Kopf vertreten. Und ja, das kann ich auch mit meinen 19 Jahren. Das Parlament begreift sich als ein repräsentatives Gre-mium. Demnach ist es nur rich-tig, dass auch junge Menschen mit zugegebenermaßen weni-ger Lebenserfahrung und einem noch nicht abgeschlossenem Studium dort stellvertretend ihre Interessen und Bedürfnis-se einbringen können. Ich ken-ne den Schulalltag der Schüle-rinnen und Schüler in Sachsen und ich bin es, die tatsächliche Mitbestimmungsmöglichkei-ten von Kindern und Jugendli-chen nicht aus den Augen ver-lieren wird. Heute grüßen mich die Menschen mit meinem Na-men und einem freundlichen Lä-cheln im Gesicht. Mit manchen bin ich schon beim „Du“, denn irgendwie ist diese Förmlichkeit manchmal auch fehl am Platz. Noch bin ich beschäftigt, mich in Beschlusslagen und aktuelle Arbeitsstände einzulesen, mir die Grundzüge des EU-Rechts anzueignen, mich auf allen Ebe-nen zu vernetzen und viel, zu viel Kaffee zu trinken. Aber es geht los. Und, das kann ich ver-sprechen, ich gebe mein Bes-tes. Anja Klotzbücher

11/2014 Sachsens Linke! Seite 7

Als ich im Mai 2011 auf der In-sel Lampedusa war, war ich da die erste Europaabgeordnete nach dem „Arabischen Früh-ling“. Noch im März 2011 hatte Berlusconi verboten, die Erst-aufnahmelager in Lampedusa wieder zu eröffnen. Hunderte Flüchtlinge kamen in bitter-kalter Nacht am italienischen Ufer an und hatten nichts. Da-mals waren es Leute aus Lam-pedusa, die zum Ufer gingen, Wasser und Decken verteil-ten und Flüchtlingskinder mit nach Hause nahmen, damit diese die kalte Nacht überste-hen. Zwei Monate später hatte der internationale Druck von NGOs bewirkt, dass sich die italienischen Behörden um die Ankömmlinge kümmerten. Ich besuchte damals beide Lager und konnte mit Flüchtlingen reden. An dem Wochenende, als ich in Lampedusa war, ka-men ca. 1.200 Menschen aus ungefähr zehn Ländern Afri-kas und Asiens in Booten an. Mit großen Hoffnungen. Als wir nun vor wenigen Wo-chen Anfang Oktober 2014 wieder Lampedusa besuch-ten, fanden wir auf dem Fried-hof zahlreiche Gräber von af-rikanischen Flüchtlingen, die nach unserem Besuch im Meer gestorben waren. Ein Grab war mit einem Holzkreuz versehen, überschrieben mit „Gestorben für die Hoffnung“. Wir waren als Delegation der Vereinigten Linksfraktion GUENGL in Lampedusa zum Jahrestag der Katastrophe, als damals an einem eiskal-ten frühen Morgen 366 Men-schen vor dem Kaninchenfel-sen Lampedusa ertranken. Fischer sammelten die Lei-chen auf. Die damalige Bür-germeisterin der kleinen Mit-

telmeerinsel wandte sich an die EU, um Hilfe zu bekom-men. Diese Hilfe waren ein paar Tränen von Kommissarin Malmström, die vor den Kin-dersärgen in Lampedusa ge-standen hatte. Die Antworten auf die humanitäre Katastro-phe an den EU-Außengren-zen blieben jedoch leeres Ge-wäsch, ein paar Kröten mehr

für die Anrainerstaaten. Den-noch hatten die Italiener nach der Katastrophe eine Such- und Rettungsaktion begon-nen, unter dem Namen „Mare Nostrum“. Etwa 100.000 Men-schen wurden aufgefunden und gerettet, dem gilt mein großer Respekt. „Mare Nos-trum“ fischte die Flüchtlinge bis zur libyschen Küstengren-ze auf. Dennoch starben seit der Zeit etwa 3.000 Menschen im Meer. Trotzdem war „Mare Nostrum“ das bisher Beste,

das Flüchtlingen auf dem Mit-telmeer jemals zugutegekom-men war. Statt „Mare Nostrum“ unter Einbeziehung aller Mitglieds-staaten aufzustocken, wird „Mare Nostrum“ nun aber ein-gestellt. Stattdessen erfolgt ein neuer Einsatz der „Europä-ischen Grenzschutzagentur“ Frontex im Mittelmeer, der al-

lerdings das Suchen und Ret-ten von Flüchtlingen nicht zum ersten Ziel hat, sondern viel-mehr der Abwehr vom „ille-galen“ Migranten dienen soll. Die Italiener werden eine ab-gespeckte Variante zum Su-chen und Retten im Umfeld ihrer Küstengewässer vor-nehmen. In Konsequenz heißt das, dass wieder mehr Men-schen auf hoher See sterben werden. In diesem Umfeld verliefen die Diskussionen in Lampedusa

im Oktober 2014. Alljährlich tragen Flüchtlingsorganisati-onen das „Sabir Festival“ auf Lampedusa aus. Sabir – das ist eine Seemannssprache der Menschen der Mittelmeer-staaten, gespeist aus den verschiedenen Sprachen der Mittelmeerländer. Hunderte Vertreter/innen europäischer Flüchtlingsorganisationen wa-

ren da, besuchten sizilianische Asylunterkünfte, sprachen mit Flüchtlingen. Wir waren dabei. Zeitgleich traf sich das Esta-blishment um den EP-Präsi-denten Martin Schulz, der auf dem Flughafen Lampedusa eine schnelle Rede hielt, sich auf ein Schiff begab, um me-dienwirksame Fotos vor dem Kaninchenfelsen schießen zu lassen. Wir waren als Europa-abgeordnete von der Gedenk-veranstaltung übrigens ausge-laden worden. Wir beteiligten

uns an einer Gegendemonst-ration mit zahlreichen Flücht-lingen in Lampedusa, die sich für eine humane Asylpolitik und gegen die Instrumentali-sierung der Gedenkfeier aus-sprach. Was sich bei mir am meisten verwurzelt hat, war eine Gesprächsrunde mit An-gehörigen von vermissten Flüchtlingen aus verschiede-nen Ländern. Die italienische Regierung weigert sich be-harrlich, Auskunft über Flücht-linge zu geben, die in Italien nachweislich angekommen sind. Eltern sprachen davon, dass ihnen jede Information verweigert wird. Wir wollen nun Druck machen über das Europaparlament, damit In-formationen über Angehörige weitergegeben werden. Was sich an den Grenzen zur EU abspielt, ist teilweise un-fassbar. Der Blick auf Itali-en genügt nicht. Schlimmste Menschenrechtsverletzungen erfolgen in Griechenland, wo Beispiele von Folter an die Öf-fentlichkeit kamen, Malta, wo die Küstenwache die Rettung von Flüchtlingen verweigerte. Das jüngste Beispiel betrifft die marokkanisch-spanische Grenze, wo die spanische Grenzpolizei einen Flüchtling bewusstlos geprügelt und in diesem Zustand durch den Grenzzaun nach Marokko zu-rück geworfen hat. Ob dieser Flüchtling noch lebt, ließ sich auf dem Video, das im Inter-net verbreitet wurde, nicht er-kennen. Der skandalöse Umgang der EU und der Mitgliedsstaaten mit der größten Flüchtlings-welle seit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges ist durch nichts zu rechtferti-gen. Wenn in diesen Tagen im Zuge der italienischen Rats-präsidentschaft anstelle von Rettungsmaßnahmen eine millionenschwere großange-legte Polizeiaktion in 25 Mit-gliedsstaaten durchgeführt wird, um „illegale Migranten“ aufzuspüren, dann muss das unsere schärfste Kritik und unseren Widerstand potenzie-ren. Nein, eine solche EU wol-len wir nicht.Dr. Cornelia Ernst (MdEP), Mit-glied im Ausschuss für Bürger-liche Freiheiten, Justiz und In-neres.

DIE LINKE im Europäischen Parlament

„Gestorben für die Hoffnung“ – Lampedusa, Oktober 2014

Sachsens Linke! 11/2014 Seite 8DIE LINKE im Bundestag

Afrika – erschreckende Armut und Mut machendes EngagementWenn es in Deutschland kalt wird, zieht es die Politiker in den Süden – so bewertete ein Berliner Journalist den Besuch einer kleinen Delegation des Sportausschusses in Afrika, konkret in Sambia, Südafrika und Namibia. Für mich war es nach einem Jahr im Bundestag die erste Ausschussreise, und ich denke, es war wichtig, dass wir uns vor Ort ein Bild darüber gemacht haben, wie Fördermit-tel des Außen- und des Entwick-lungshilfeministerium für Spor-teinrichtungen, Projekte und Trainerausbildung im südlichen Afrika eingesetzt werden und welche Wirkung sie erzielen. In Sambia besuchten wir das Olympic Youth Development Centre, wo täglich zwischen 1200 und 1500 Jugendliche aus den ärmsten Vierteln der Haupt-stadt Lusaka in den Sportarten Leichtathletik, Hockey, Schwim-men, Judo und Boxen trainie-ren können. Zudem übergaben wir eine Sportgeräte-Spende aus Mitteln des Auswärtigen Amtes an die St.-Pauls-School. Natürlich gab es auch diverse Gespräche in Parlamenten, Mi-nisterien und Verbänden über Sportförderung sowie Doping-Bekämpfung, und ich habe mich sehr gefreut, mit Frankie Frede-ricks einen der besten Sprinter der 90er Jahre kennenzulernen. Am beeindruckendsten aber waren die Begegnungen an

der Basis, mit deutschen Ent-wicklungshelfern, Trainern, Be-treuern und Projektleitern, die sich unter extrem schwierigen Umfeldbedingungen und oft bei eher symbolischer Bezahlung zum Teil über viele Jahre hinweg in Afrika engagieren.Das tun sie zum Beispiel im Projekt AMANDLA Edufootball in Südafrika. Dort werden jede

Woche ca. 4000 junge Men-schen von Trainer und Sozial-arbeitern betreut, die nicht nur die fußballerischen Fähigkeiten

verbessern, sondern auch Anti-Agressions-Training betreiben und die Kids bei der Erledigung schulischer Hausaufgaben un-terstützen. Die Erfolge sind un-übersehbar: Bei fast 50 Prozent der Betreuten haben sich die schulischen Leistungen insbe-sondere in Mathematik und Englisch deutlich verbessert und die Gewalt- und Kriminali-

tätsrate im Einzugsbereich von AMANDLA ist innerhalb von zwei Jahren um 44 Prozent zu-rückgegangen. Als ich beim Ge-

spräch danach fragte, wie groß denn dieser Einzugsbereich sei, war ich über die Antwort (ein Radius von rund 800 Meter um den Sportplatz) zunächst erstaunt, aber dann noch mehr verblüfft, als ich erfuhr, dass in diesem Umkreis in den klei-nen Wellblechhütten sage und schreibe 60.000 Menschen le-ben.

Kapstadt hat etwa soviel Ein-wohner wie Berlin – mehr als die Hälfte davon leben in den so genannten Townships, den

Armenvierteln, und nur ein ganz kleiner Teil hat die Chance, sol-che Angebote wie von AMAND-LA zu nutzen. In Namibias Hauptstadt Wind-hoek besuchten wir ein spezi-ell für Mädchen eingerichtetes Fußballzentrum, wo auch die AIDS-Prävention eine wichtige Rolle spielt, nahmen an der Ein-weihung des neuen Gebäudes einer Basketball-Schule teil und trafen uns mit Funktionären und Athleten des Paralympischen Komitees, die unter wirklich abenteuerlichen Bedingungen arbeiten sowie trainieren müs-sen und dringender Hilfe bedür-fen. Bei allen sonstigen politischen Differenzen bestand partei-übergreifend große Einigkeit darüber, dass es nicht nur not-wendig ist, solche Projekte mit Finanzmitteln des Bundes wei-ter zu unterstützen, sondern die Förderung möglichst auch noch zu verstärken.Ich wünschte, der eingangs er-wähnte Journalist wäre mitge-kommen. Für touristische Ziele blieb auf der Reise nämlich kei-ne Zeit. Aber es ist wichtig, auch hierzulande einmal über das po-sitive Agieren der Helfer im Sü-den Afrikas zu berichten. Ihnen gilt ebenso meine Hochachtung wie all jenen, die im Westen des Kontinents gegen die Ebola-Epi-demie ankämpfen. André Hahn

E

Menschenwürdige, selbstbestimmte Pflege gehört in die Mitte der GesellschaftZum Pflegestärkungsgesetz der Bundesregierung

Mitte Oktober verabschie-dete der Bundestag mit den Stimmen von SPD und CDU das Pflegestärkungsgesetz. Dieses schwarz-rote Gesetz sieht vor, dass von dem Geld der Beitragszahlenden ein ka-pitalgedeckter Vorsorgefonds angelegt werden soll. Kapital-gedeckter Vorsorgefonds – dieser etwas sperrige Begriff meint letztlich Folgendes: Geld der Beitragszahlenden soll ab-gezweigt werden, um es auf die Finanzmärkte zu werfen. Wir als LINKE kritisieren die schwarz-roten Pläne für einen Kapitalstock, und zwar aus drei Gründen.Erstens: Die Beitrags-zahlenden müssen jetzt drei-fach zahlen: für den Aufbau des Fonds, für die bestehende Pflegeversicherung und, da hier das Teilkaskoprinzip gilt, auch noch für die hohen Eigen-leistungen.Zweitens: Damit werden Geld-er der Beitragszahlenden ins globale Finanzkasino gespeist. Wir als LINKE aber meinen: Mit dem Geld der Beitrags-zahlenden darf nicht spekuliert werden. Das ist finanzpoli-

tisches Harakiri. Drittens: Jeder Euro, der in den Kapitalstock fließen soll, fehlt heute für eine menschen-würdige Pflege.Menschenwürdiges Leben bedeutet mehr, als satt und sauber im Bett zu liegen. Men-schenwürdige Pflege heißt, dass auch Pflegebedürftige weiterhin soziale Kontakte pflegen und am gesellschaft-lichen Leben teilhaben können.Menschenwürdige Pflege heißt für uns auch, dass die Betrof-fenen selbst bestimmen kön-nen, wie sie ihren Alltag regeln. Das gilt sowohl für Menschen mit demenziellen Erkran-kungen wie für Menschen mit Assistenzbedarf. Deshalb set-zen wir uns voller Energie für einen neuen Pflegebegriff ein. Im vorliegenden Gesetzent-wurf der großen Koalition fehlt aber jegliche Aussage zu einem neuen Pflegebegriff. Ich selbst habe verschiedene Pflegeein-richtungen besucht. Ich bin in den Arbeitsalltag eingetaucht, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum. Ich muss sagen: Ich habe höchsten Respekt vor den Menschen, die dort einer schwierigen und wichtigen Arbeit nachgehen, und das zu viel zu niedrigen Gehältern und

unter wirklich schwierigen Ar-beitsbedingungen.

Pflegekräfte gehen leer aus

Arbeit in der Pflege bedeutet nur zu oft Arbeit im Akkord sowie Personalbemessung am Limit. Sobald es einen Krank-heitsfall gibt, wird der Schicht-plan zur Makulatur. Insofern ist es kein Wunder, dass Burn-out und stressbedingte Krank-heiten inzwischen zum Alltag in Pflegeberufen gehören. Wenn Pflegekräfte ständig am Limit arbeiten und im Minutentakt rackern müssen, dann kommt der Mensch unter die Räder, und zwar auf beiden Seiten. Deshalb braucht es deutlich mehr Personal im Pflege- und Assistenzbereich.Menschenwürdige Pflege heißt auch, dass Menschen selbst entscheiden können, wie lange sie in ihrer gewohnten Umge-bung leben wollen. Wir haben aber leider eine Situation, in der immer noch der Geldbeu-tel entscheidet – denn nur, wer sich überhaupt eine Pflegeein-richtung leisten kann, hat wirk-lich Wahlmöglichkeiten.Noch ein weiterer Aspekt muss angesprochen werden, wenn wir über die Entscheidung für

das Zuhausebleiben reden: In einer Gesellschaft, in der Barrierefreiheit weitgehend verwirklicht ist, fällt die Ent-scheidung für die Pflege zu Hause leichter. Barrierefreiheit sollte also bei jedem Neubau und bei jeder Wohnungssanie-rung gleich mitgeplant werden, denn Barrierefreiheit bedeutet mehr Freiheit für alle.

Neuer Pflegebegriff ist eine ethische Frage

Ein weiterer Punkt ist wich-tig, hier sollte man ganz per-sönlich in sich gehen: Es gibt Fälle, in denen die Zweibett-lösung eine akzeptable oder sogar angenehme Lösung ist. Fakt ist aber auch, dass es für viele eine Horrorvorstellung ist, für unbestimmte Zeit mit einer unbekannten Person Tag für Tag, Nacht für Nacht das Zimmer teilen zu müssen, wo-möglich mit einer Person, die nachts vor Schmerzen schreit oder von Albträumen geplagt aufschreckt. Deswegen glau-be ich, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass wirklich jeder, der ein Einbettzimmer will, die Möglichkeit bekommt, auch in einer Pflegeeinrichtung einen letzten privaten Rück-

zugsraum zu haben. Die häusliche Pflegearbeit wird vor allem von Töchtern, Ehefrauen, Schwiegertöchtern – kurzum: von Frauen – ver-richtet, von Frauen, die dafür viel in Kauf nehmen: Gehalts-einbußen, Verluste bei den Rentenanwartschaften, Ver-zicht auf Freizeit. Sie haben mehr verdient als tätschelnde Lobesworte in Sonntagsre-den. Um pflegende Angehö-rige wirklich zu entlasten und um gute Gehälter und gute Arbeitsbedingungen in den Pflegeeinrichtungen zu ermög-lichen, brauchen wir eine gute Finanzierung der Pflege.Auch deswegen setzen wir uns als LINKE für eine soli-darische Bürgerversicherung ein, für eine Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle einzahlen und von der alle gleichermaßen profitieren, die Pflegerin ebenso wie die Milli-onärin. Katja Kipping

Seite 5 11/2014 Links!

Die Leipziger Sechs und der Alt-rektor der Alma Mater erinnern an den dramatischen 9. Oktober 1989

Der 9. Oktober 1989. Die drama-tische Montags-Demo in Leipzig sichert ihm einen Platz in den Ge-schichtsbüchern. Als Auftakt des gesellschaftlichen Aufbruchs, der, anders als von Egon Krenz gemeint, die „Wende“ einleitet. 70.000 skandieren auf dem Karl-Marx-Platz: „Keine Gewalt! Wir sind das Volk!“ Die konfrontati-ve Atmosphäre von emotional aufgeladener Masse und aufmu-nitionierter Staatsgewalt lässt Schlimmes befürchten. Dass ein nicht auszuschließendes Blutver-

gießen ausbleibt, ist auch einem inzwischen legendären Aufruf zu danken. Sechs mutige Männer mahnen zu Besonnenheit und Di-alogbereitschaft.25 Jahre später lebt das Ereignis auf. Am 8. Oktober 2014 strö-men Scharen Interessierter in die Alte Nikolaischule, sich die Be-sonderheit des 9. Oktober 1989 bei einer Podiumsdiskussion aus erster Hand interpretieren zu las-sen. Die Rosa-Luxemburg-Stif-tung Sachsen mit ihrem Vorsit-zenden Prof. Dr. Peter Porsch hat dafür vier der „Leipziger Sechs“ gewinnen können. Kurt Masur und Jochen Pommert sind verhin-dert. So bekunden der Kabaret-tist Bernd-Lutz Lange, die SED-Bezirkssekretäre von einst, Dr. Kurt Meyer und Dr. Roland Wöt-zel, der Theologe Dr. Peter Zim-mermann und mit ihnen Altmag-nifizenz Prof. Dr. Cornelius Weiss einem erwartungsvollen Publi-kum in der überfüllten Aula ihre An- und Einsichten. Einig sind sie sich in ihrer Retrospektive, eine friedliche und damit vorentschei-dende Protestaktion für alles Nachfolgende erlebt zu haben. Aber was jeder für sich im Einzel-nen gedacht und getan hat, trägt zwangsläufig individuelle Züge. Geschichte löst sich in Geschich-ten auf. Mosaiksteinartig fügen

die Zeitzeugen ein Gesamtbild des Geschehenen zusammen. Nicht mit aufgesetztem Pathos, nicht mit bedeutungsschwange-rem Heldenbibbern in der Stim-me (der Terminus „Revolution“ fällt übrigens nicht), sondern, ganz in Augenhöhe mit dem Au-ditorium, sympathisch ereignis-bezogen, in heiter-pointiertem, nicht selten selbstironischem Er-zählmodus. Die Moderatoren der Rückschau, die Zeithistoriker Dr. Detlef Nakath und Gerd-Rüdiger Stephan, durch etliche einschlä-gige Publikationen als Kenner der Materie ausgewiesen, haben leichtes Amtieren. Die Fünf lau-fen zur Hochform auf und wer-fen sich die Erinnerungsbälle

ohne Kunstpausen zu. So gerät dieser Abend selbst zum histo-rischen Ereignis, das sich ange-sichts der nicht mehr ganz jun-gen Akteure auf dem Podium so kaum wiederholen wird. Dessen eingedenk verzichtet dieser Re-port sowohl auf Rekapitulation des allbekannten Aktionsver-laufs am 9. Oktober als auch auf Betrachtungen von Ursache und Wirkung, wie sie in der unüber-schaubar gewordenen „Wen-deliteratur“ dokumentiert und selbstverständlich auch an die-sem Abend zur Sprache gekom-men sind. Er greift, schon aus Platzgründen, stattdessen aus den Reflexionen der Zeitzeugen einige Details heraus, Petites-sen inklusive, die für eine inter-essierte Nachwelt nur von ihnen enthüllt werden konnten.

Besonnenheit als „Hit“

Peter Zimmermann erzählt von der ihn befriedigenden Überein-stimmung zwischen Regierung und Kirche, alles für gewaltfreie Demos zu tun. Den Leserbrief eines Kampfgruppenkomman-deurs in der LVZ, den Sozialis-mus auch mit Waffengewalt zu schützen, habe er als Aufkündi-gung dieses Gewaltlosigkeits-Konsenses durch die Parteifüh-

rung verstanden. Empört habe er Protestbriefe an Honecker, die SED-Bezirksleitung, den Uni-Rektor verfasst und eine gerade erhaltene staatliche Auszeich-nung persönlich in der Bezirks-leitung zurückgegeben. Roland Wötzel sei es aber gelungen, ihn für die Aufruf-Aktion zu gewin-nen, da sie seinen eigenen Inten-tionen entsprach.Für Erheiterung im Publikum sorgt, typisch Kabarettist, Bernd-Lutz Langes Schilderung, wie er den handschriftlichen Text mit sieben Durchschlägen auf der Schreibmaschine ab-schrieb. „Da hab‘ ich mich ver-tippt. Statt ,Besonnenheit‘ stand ,Besonnenhit‘ da. Na, dachte ich,

hoffentlich wird’s auch ein Hit.“Roland Wötzel offenbart seine bisweilen einsame Position im Sekretariat der SED-Bezirkslei-tung weit vor dem 9. Oktober. Seine Umweltschutz-Konzep-tion kommt nicht durch. Seine Rede im Sommer 1989 vor Ver-antwortlichen an der Karl-Marx-Universität wird mit Distanz be-trachtet. Hat er doch die Frage

aufgeworfen, ob Bolschewiki die Macht behaupten können. „Angesichts der angespannten Situation in der DDR habe ich meine Bedenken vorgetragen.“ Gemeinsame Pläne mit Bernd-Lutz Lange, ein persönliches Si-gnal zu setzen für den Dialog

zwischen Partei und anderen ge-sellschaftlichen Kräften, durf-ten im Sekretariat nicht ruchbar werden. Das Verbot des Neuen Forums habe das Geheimvorha-ben vereitelt.Dass er am 7. Oktober vor dem Gewandhaus erleben musste, wie hart und unsensibel Dutzen-de Sicherheitskräfte gegen eine Handvoll Demonstranten vor-gingen, beunruhigte Kurt Meyer sehr. Im Sekretariat, berichtet er jetzt, stellte er dem amtieren-den 1. Sekretär und Chef der Be-zirkseinsatzleitung, Helmut Ha-ckenberg, die Frage, wer dafür verantwortlich sei. „Als Hacken-berg antwortete: ,Für die Sicher-heit ist das Sekretariat verant-wortlich‘, erklärte ich: ,Dann stimme ich solchen Einsätzen nicht zu.‘ Roland Wötzel schloss sich mir an, und wir ließen unse-ren Einspruch erstmals zu Proto-koll nehmen.“Er gehöre nicht in die Reihe der mutigen Sechs, erklärt Corneli-us Weiss. Der erste Nachwende-Rektor der Leipziger Universität bekennt, dass er als Chemie-professor am 9. Oktober wohl die Anordnung der Uni-Leitung unterlaufen habe, die Studen-ten von der Demo abzuhalten, selbst aber kein Held gewesen sei. „Als ich sie aber nachmit-tags dem Karl-Marx-Platz zustre-ben sah, habe ich meine Ängste vergessen und mich ihnen ange-schlossen. Die Sechs waren die Helden.“ Deshalb empöre ihn, dass die Medien, wenn von den „Leipziger Sechs“ die Rede sei, die Namen der drei SED-Funktio-näre meist unterschlügen.

„Sie waren mutiger als wir an-deren drei“

Bernd-Lutz Lange nimmt diese Vorlage auf: Er werde als Ehren-gast den offiziellen Feierlichkei-ten zur 25-jährigen Wiederkehr des 9. Oktober ‘89 fernbleiben, weil die Parteisekretäre keine

Einladung erhalten hätten. „Wir waren sechs. Und die drei trugen das größte Risiko, weil niemand wusste, wie die Aktion ausgeht. Sie waren mutiger als wir ande-ren drei. In Masurs Wohnung ha-be ich zu ihnen gesagt, Ihr müsst dafür sorgen, dass die Polizei-

kräfte abgezogen werden. Auch das wird oft vergessen, dass sie es taten.“Die Blicke richten sich auf Ro-land Wötzel. Wie hatten er, Mey-er und Pommert das erreicht? „Nach unserer Rückkehr in die Bezirksleitung gab es zunächst eine handfeste Auseinander-setzung mit dem amtierenden 1. Sekretär. Endlich fragte Ha-ckenberg, was er nun angesichts ausgebliebener Weisungen von oben unternehmen solle. ,Das Militär zurückziehen‘, sagten wir. Es folgten Telefonate mit Krenz, dessen bekanntes Zögern, Ha-ckenbergs Entscheidung in unserem Sinne. Das war der politische Knallpunkt! Wenn Ha-ckenberg die Polizeikräfte nicht in letzter Minute gestoppt hätte, wäre der Abend schlimm ausge-gangen. Am Bahnhof sollte die Demo mit allen Mitteln zum Ste-hen gebracht werden. Nur einige Schritte davor drehte die Polizei ab. Die Geschichte hat sich auf wenigen Metern entschieden.“Das wäre nicht ohne die Kirchen möglich gewesen, betont Pe-ter Zimmermann. Er vermisse in der öffentlichen Rückschau auf den 9. Oktober 1989 die Aner-kennung für ihren Anteil daran, „dass sich 70.000 friedlich ver-hielten“. Für seine Podiumspart-ner eine unbestrittene Tatsache.

Folgen und Erfolg

Es gab doch in der Bezirksleitung ein „Danach“, wird Kurt Mey-er aus der Reserve gelockt. Der redet bisher ungehörten Klar-text. Der 1. Sekretär, der Chef des Protokolls und der Verant-wortliche für Sicherheitsfragen hätten die Drei mit Vorwürfen überzogen: „Ihr habt die Partei gespalten und verraten. Ihr hät-tet Euch heraushalten müssen!“ Am nächsten Morgen, 5.30 Uhr, waren sie in die Bezirksleitung einbestellt, erinnert sich Kurt Meyer genau. Während Hacken-berg nach Berlin musste, hätten sie, nach außen abgeschottet, jeder für sich eine Stellungnah-me an Honecker schreiben sol-len, was sie aber nicht taten. Auf Roland Wötzels Frage, ob sie unter Hausarrest stünden, habe Hackenberg aus Berlin ge-sagt: „Ja, wenn du so willst.“ Am Nachmittag seien sie aber wie-der auf einem Parteiaktiv aufge-treten. „Da kannten uns schon einige Genossen nicht mehr.“ Gegen Abend, so Meyer weiter, habe ihn das sowjetische Gene-ralkonsulat wissen lassen, der Außenminister böte ihm Asyl an, weil man ihn für den Rädelsfüh-rer hielt. „Damit es aber zu kei-ner Legendenbildung kommt: Ich bin von niemandem aus der Bezirksleitung befreit worden. Am 21. Oktober haben wir, alle sechs, unseren ersten Dialog im Gewandhaus geführt.“ Wulf Skaun

Geschichte

„Die Geschichte hat sich auf wenigen Metern entschieden“

Dr. Peter Zimmermann, Prof. Dr. Cornelius Weiss, Dr. Detlef Nakath,Bernd-Lutz Lange, Dr. Roland Wötzel (v. l. n. r. )Bild: Susann Scholz-Karas

Gerd-Rüdiger Stephan, Dr. Kurt Meyer (v. l. n. r. )Bild: Susann Scholz-Karas

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Chemnitz, 8. November, Sams-tag, 19.00 UhrVortrag und Diskussion. Kritik der Popkultur II: „Die Revolte im Spektakel - Punx not dead – er riecht nur wie abgehangener Si-tuationismus“***. Mit Zwi Ne-gator.AJZ Chemnitz, Chemnitztalstraße 54, 09114 Chemnitz

Chemnitz, 12. November, Mitt-woch, 19:00 UhrVortrag und Diskussion. Die „neuen“ Rechten***. Mit Volk-mar Wölk, Publizist (Grimma).Soziokulturelles Zentrum “quer-beet”, Rosenplatz 4, 09120 Chemnitz

In Europa und Deutschland sind hohe Wahlergebnisse für „neue“ Rechte zur verzeichnen. Es scheint, dass im Zeitalter der Globalisierung faschistische, am Nationalstaat orientierte Kräf-te keine Chance haben werden, neuerlich an die Macht zu kom-men. Gilt dies aber auch für einen modernisierten Faschismus, der erneuert und als europäische Be-wegung agieren würde? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass Bewegungen der extremen Rechten auf nationaler Ebene Er-folge verbuchen können? Welche Rolle spielen Ideologie, Kultur und neue Medien dabei?

Leipzig, 13. November, Don-nerstag, 18.00 UhrVortrag und Diskussion. Das Frei-handelsabkommen TTIP - Chan-ce für Europa oder Trojanisches Pferd?*** Mit Prof. Dr. Christa Luft, Wirtschaftswissenschaftle-rin (Berlin). Moderation: Dr. Die-ter Janke.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Der Vortrag setzt sich mit den Wohlstandsverheißungen einer neuen Stufe der Liberalisierung von Außenhandel und Investiti-onen auseinander, zeigt, dass transnationale Konzerne die Pro-fiteure wären und wie Rechte der nationalen Parlamente ausgehe-belt werden sollen. Aufklärung über die Geheimverhandlungen soll zum Nachfragen und zur Ge-genwehr ermutigen.

Dresden, 18. November, Dienstag, 18.00 UhrVortrag und Diskussion: JUNGE ROSA. Der Letzte lässt das Licht an – Die Exzellenzinitiative im Rahmen bisheriger Hochschul-politik. Mit Enrico Pfau, MA Phi-losophie, Dresden.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Über die Exzellenzinitiative wur-de in der Öffentlichkeit viel ge-schwärmt, aber wenig gewusst, viel versprochen, aber wenig gehalten. Die Methode war ein-deutig: Desinformation und Verklärung haben bedenkliche Entwicklungen der Hochschul-landschaft verschleiert.

Leipzig, 18. November, Diens-tag 18.00 UhrBuchvorstellung: „Deutsche und Russen, Russen und Deutsche. Wahrnehmungen aus fünf Jahr-hunderten“ Mit den AutorInnen: Prof. Dr. Wolfgang Geier, Dr. An-tonia Opitz, Dr. Volker Hölzer, Prof. Dr. Erhard Hexelschneider, Prof. Dr. Roland Opitz und Prof. Dr. Willi Beitz.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

In diesem Sammelband werden anhand geschichtlicher Quel-len, auf der Grundlage von Veröf-fentlichungen und persönlichen Erfahrungen der Vortragenden historio- und biografische wech-selseitige Wahrnehmungen zwi-schen Deutschen und Russen, Russen und Deutschen aus fünf Jahrhunderten behandelt.

Leipzig, 25. November, Diens-tag, 18.00 UhrVortrag und Diskussion: „NIETZ-SCHE unter Röcken“ Zum Nach-leben eines schwierigen Denkers in der sozialistischen Provinz***Mit Prof. Dr. Matthias Steinbach, Historiker, TU Braunschweig.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Ausgehend vom innerwis-senschaftlich-akademischen Nietzsche(Harich)-Diskurs der 1970/80er Jahre geht es im Vor-trag um den öffentlichen, veröf-fentlichten, ja populären Nietz-

sche in der DDR. Insbesondere mit Blick auf Weimar und Röcken lassen sich unterhalb der De-batten um eine „Revision des marxistischen Nietzschebildes“ noch andere, eigensinnige An-eignungen des ‚Donnerers‘ und seiner Philosophie ausmachen.

Dresden, 26. November, Mitt-woch, 19.00 UhrVortrag und Diskussion: TTIP - Transatlantisches Freihandels-abkommen - Hintergründe, Ge-fahren, Widerstandsoptionen. Mit Ralph Lenkert, MdBWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Seit dem Sommer 2013 verhan-deln die EU und die USA hinter verschlossenen Türen über ein transatlantisches Freihandels-abkommen. Der Name des Pro-jekts: Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP). Finanzmarktregeln, das Gesundheitssystem, Arbeitneh-merrechte sowie Umwelt- und Verbraucherstandards drohen im Interesse transnationaler Konzerne ausgehöhlt zu wer-den. Schiedsgerichte sollen die demokratisch legitimierte Ge-richtsbarkeit ersetzen.

Leipzig, 27. November, Don-nerstag, 18.30 UhrREIHE: ROSA L. IN GRÜNAU. Die Wahlen in Sachsen, Branden-burg und Thüringen. Mit Tilman Loos (Leipzig).Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04177 Leipzig

Vor kurzem wurden in Sach-sen, Brandenburg und Thürin-gen neue Landtage gewählt. Er-schrocken sind viele wegen einer historisch niedrigen Wahlbeteili-gung in Sachsen und Branden-burg. Durch den Wahlerfolg der AfD in allen drei Landtagen kann man von einem weiteren Rechts-ruck in der Gesellschaft spre-chen, selbst wenn die NPD es in keinen Landtag mehr geschafft hat. Wir fragen: Wie sind die Er-gebnisse einzuschätzen? Ist die geringe Wahlbeteiligung demo-kratiegefährdend? Wie entwi-ckeln sich Millieus und Parteien-bindungen?

Dresden, 27. November, Don-nerstag, 19.00 UhrVortrag und Diskussion: Selbst-verwirklichung oder Selbstaus-beutung? - Das kreative Prekari-at*** Mit Dr. Alexandra Manske, Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin, Vertretungsprofessorin für Soziologie an der Universität Hamburg; Annekatrin Klepsch, MdL der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag; Frank Eckhardt, Geschäftsführer des riesa efau. Kultur Forum Dres-den, Künstler. Moderation: Ma-gnus Hecht, 2. Vorsitzender der LiveKomm. Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen, des Bür-gerInnenbüro der MdL Anneka-trin Klepsch und des riesa efau DresdenMotorenhalle. Projektzentrum für zeitgenössische Kunst, Wachs-bleichstraße 4a, 01067 Dresden

Seit einigen Jahren wird mit dem Begriff der Kultur- und Kreativ-wirtschaft hantiert, ohne neue Zugänge zum Thema zu suchen. Größere Unternehmen befinden sich „auf dem Schirm“ der Ver-waltungen. Viele Freiberufliche leben jedoch auch mit neuem La-bel unterhalb der Armutsgrenze. Es scheint, dass es eine größer werdende Anzahl Leute gibt, die für wenig Geld, rund um die Uhr, mit großem Enthusiasmus krea-tiv arbeiten und dabei von Selbst-verwirklichung reden. Kurz: kre-ativ zu sein, ist eine besonders charmante Art, arm zu sein. Doch muss das so sein und gibt es einen Weg aus der Misere?

Cunnersdorf, 28.11., 20 UhrVortrag und Diskussion. Philoso-phinnen in Cunnersdorf***. Mit Wolfgang Giese. Eine gemeinsa-me Veranstaltung des Alte Schu-le Cunnersdorf e.V. und der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.Alte Schule e.V., Schulweg 0, 01929 Schönteichen/OT Cun-nersdorf

Leipzig, 28.11., 18 UhrLesungen: Literaturtee bei Rosa L. Eine Veranstaltung des Dialog e. V. in Kooperation mit der Rosa-

Luxemburg-Stiftung Sachsen.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Chemnitz, 2. Dezember, Diens-tag, 18:30 UhrVortrag und Diskussion. REIHE: Junge akademische Reihe. Welt-bühne und Linkskurve - zwei linke Zeitschriften in der spä-ten Weimarer Republik (1929 - 1932)*** Mit Nico Zimmer-mann, Politikwissenschaftler (Chemnitz).Soziokulturelles Zentrum “quer-beet”, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

„Es gibt eine kommunistische Scholastik hierzulande, (…) die auch die nötigen Marxzitate parat hätte, wenn es Stalin plötzlich ge-fiele, katholisch zu werden“, spot-tete der „Weltbühnen“- Herausge-ber Carl von Ossietzky 1930 über die deutschen Kommunisten. Der kommunistischen „Linkskurve“ hingegen galt die „Weltbühne“ als ein „Blättchen verschrullter intellektueller Außenseiter“. Im Vortrag werden beide Zeitschrif-ten im Kontext der von ihnen re-präsentierten Milieus vorgestellt und ihr Verhältnis zueinander, ih-re Wahrnehmung voneinander in der Spätphase der Weimarer Re-publik, angesichts Wirtschafts-krise, repressiver Austeritäts-politik und des aufsteigenden Nationalsozialismus, beleuchtet.

Dresden, 3. Dezember, Mitt-woch, 19.00 UhrFilm: Frohes Schaffen – Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral. Ein Film von Konstantin Faigle - Deutschland 2012, 98 MinutenWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Der Film, eine Mischung aus Sa-tire, Dokumentarfilm und Erzäh-lung zeigt, fragt, ob der moder-ne und aufgeklärte Mensch frei ist. Er stellt die Frage, ob es gu-te Arbeit überhaupt gibt und ob der Sinn des Lebens in der Arbeit überhaupt zu suchen ist.

*** in Kooperation mit der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung: Gesell-schaftsanalyse und politische Bil-dung e.V.

Rosa-Luxemburg-Stiftung

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt

Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sach-sen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-

mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exempla-ren gedruckt.

Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter

Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84389773

Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

Redaktionschluss: 29.10.2014

Die nächste Ausgabe erscheint am 04.12.2014.

Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand.

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Wir alle hatten oder haben Groß-mütter und Großväter, und wenn wir sie nicht selbst erlebt haben, dann gab es Geschichten über sie. Doch das Allerspannends-te waren immer Geschichten von ihnen selbst. Später erkennt man, dass zwar die meisten von uns alt, leider aber die wenigsten weise werden. Gerade die wei-sen Großväter spielen in der Lite-ratur eine große Rolle. Ich habe in meinem Leben kaum jeman-dem zugehört, der so nach ei-nem weisen Großvater klang wie Elmar Faber, Verleger von Chris-toph Hein, Heiner Müller, Christa Wolf und vielen anderen. Selbst-bewusstsein und Bescheiden-heit zeichnen diesen Mann aus, der noch immer Verleger ist. Er wurde im Jahre 1934 geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in Thüringen auf. Seine Freunde waren und sind nicht nur die Au-toren im Osten, sondern auch die großen Verleger im Westen, wie Siegfried Unseld vom Suhr-kamp-Verlag.Mit dem Buch „Verloren im Para-dies“ legt er uns nun einen Teil seiner langen – 80-jährigen – Le-bensgeschichte vor. Sie beginnt mit dem kleinen Jungen und en-det mit der Wende. Elmar Faber war – wie so viele – der DDR ge-genüber nicht unkritisch. Aber er ging seinen Weg, überwand Widerstände, kultivierte seine Zweifel, schlug Haken, wenn es galt, der Zensur ein Schnippchen zu schlagen. Was sein Buch so besonders macht: Elmar Faber war kein „kleiner DDR-Bürger“, sondern steuerte als zeitweili-ger Verleger des Aufbau-Verla-

ges von 1983 bis 1992 über zehn Jahre ein Flaggschiff der literari-schen ostdeutschen Kulturpro-duktion – und dies waren keine einfachen Jahre. Es waren aber gerade auch literarisch äußerst spannende Zeiten, man konn-te sich etwas trauen. Seit 1986, mit dem frischen Wind aus Mos-kau, bewegte sich auch in Ber-lin und in der gesamten DDR et-was. Perestroika und Glasnost, das Haus Europa – es kam Licht aus dem Osten, eine Hoffnung darauf, dass es einen besseren

Sozialismus geben könnte, dass dieser erreichbar wäre durch in-neren Wandel. Als es dann doch in Richtung „Einheit“ ging, war da bei einigen Leuten im Osten, wie bei Elmar Faber, aber auch im Westen, wie bei Siegfried Un-seld, kurzzeitig eine Hoffnung, dass die Fusion dergestalt von-

stattengehen möge, dass sich die Vorzüge des Ostens mit de-nen des Westens verbinden mö-gen. Diese Vorstellung hat sich als naiv erwiesen. Bei Elmar Fa-ber klingt das so: „Im Westen – die Freiheit des Wortes, im Osten – die Kraft der Literatur. Im Westen – die Heiligkeit des Marktes, im Osten der vormund-schaftliche Staat. Im Westen das Geld, im Osten – die Phan-tasie. Im Westen – die großen Buchkonzerne, im Osten – die kleinen Literaturwerkstätten.

Im Westen – die Trivialisierung des Geschmacks –, im Osten – seine Verfeinerung. Im Westen – die wirtschaftliche Zensur, im Osten – die politische. Als das – zur Wende – alles übereinan-der stürzte, hatte man einen Mo-ment lang das Gefühl, als könnte die Begegnung beider Sozialisa-

tionen Vorzüge und Verzerrun-gen beider System ausgleichen und umverwandeln in neue Nachdenklichkeit und leise Ver-nunft – als Rückgriff auf eine große buchhändlerische Vergan-genheit. Man wollte aber nicht hinter sich blicken. Es blieb, wie es war. Aus dem Westen nicht Neues. Aus dem Osten jeder Ge-danke ein Anschlag des Teufels. Man dachte gar nicht daran, die Beliebigkeitsgeneration wieder zurückzuholen in die Sänften des gebildeten Bürgers, das Bil-

dungsbürgertum wieder zur trei-benden Kraft der Gesellschaft zu machen, nicht die gestyl-ten Bank- und Wirtschaftsbos-se, deren Interessen sich mehr auf ihre Boote und Yachten, ih-re Immobilien und Liebschaf-ten richteten statt auf die Gefil-de der humanistischen Bildung,

auf die Aufklärung der Nation. Die Chance der Wende, den Auf-einanderprall unterschiedlicher Gewohnheiten, zu nutzen für ei-ne neue Gesellschaftsmoral, für eine neue deutsche Republik, blieb ungenutzt.“ So zu denken, das mag nicht weise klingen, sondern eher nach einer leisen Stimme der Vernunft. Was dann kam, war das Diktat des Turbo-kapitalismus mit dem bis heute ungeschriebenen Krimi der Ver-nichtung der Wirtschaft des Os-tens und des Aufkaufs der Reste durch die Großen aus dem Wes-ten. Inzwischen hat sich Faber von den Irrtümern erholt. Un-erschütterlich ist sein Glaube – und darin ist er weise, , dass sich die Qualität durchsetzen wird. Faber glaubt, dass großen Au-toren wie Andersen Nexö (ob-zwar Däne, so wohnte er doch bis zu seinem Tod in Dresden) oder Ludwig Renn, der so groß-artige Bestseller geschrieben hat wie „Adel im Untergang“ oder „Krieg“, in ihrem Wert wie-der erkannt werden. In Dresden wurde das Andersen-Nexö-Mu-seum beseitigt, in Dänemark wurde Nexö in der Phase der Wiederentdeckung ein neues Museum gewidmet. Es bleiben ja der Menschheit nur zwei We-ge: Entweder mit großer Kultur weiterleben oder in der Barba-rei untergehen. Elmar Faber ist da wesentlich optimistischer als viele 20- oder 30-Jährige. Ein mit interessanten Geschichten ge-fülltes Buch eines großen Ver-legers und weisen alten Mannes verdient es, von uns gelesen zu werden! Ralf Richter

Lebenswerk eines Aufbau-VerlegersRezensionen

Was bewegt einen renommier-ten deutschen Verlag, elf Jahre nach der französischen Erstver-öffentlichung den Roman einer Autorin auf den Markt zu brin-gen, die zuvor noch kein einziges Buch veröffentlicht hatte und die diesem Band bisher auch le-diglich einen weiteren Roman folgen ließ? Da wir im Kapita-lismus leben, liegt es nahe, an-zunehmen, dass mögliche Auf-lagenzahlen eine wichtige Rolle bei den Überlegungen gespielt haben. Aurélie Filipetti, unsere Autorin, war zum Zeitpunkt der Planung dieser Veröffentlichung Kulturministerin in Frankreich, seit2007 Abgeordnete der Sozialis-ten – die in unserem Nachbar-land noch immer stärker Sozial-demokraten sind, als es unsere SPD seit Jahrzehnten ist – im Département Moselle, auf gut deutsch: in Lothringen also. Im August 2014 allerdings hatte sie die Nase voll. Dem zweiten Kabinett von Ministerpräsident Manuel Valls, einer Art hellrot gefärbtem Nicolas Sarkozy light, mit dem nach etlichen Wahlnie-

derlagen ein weiterer Rechts-ruck der französischen Regie-rungspolitik eingeläutet wurde, mochte sie nicht mehr angehö-ren. Sie zählt zum linken Par-teiflügel der Sozialisten um den ehemaligen Minister Arnaud Montebourg.Der Name Filipetti klingt nicht originär französisch. Ist er auch nicht. Er stammt aus Italien. Und damit sind wir eigentlich schon mittendrin in der The-matik dieses, so der Untertitel, Familienromans. Die Filipettis sind Einwanderer. Sie gehören zu den zahllosen Bergarbeitern, die es aus Italien zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Lothrin-gen gezogen hatte; in jene Ge-gend, die wohl am ehesten mit dem deutschen Ruhrgebiet ver-glichen werden kann. Waren es im Revier vorwiegend Po-len, die als Einwanderer in das aufstrebende industrielle Zent-rum dafür sorgten, dass Krupp, Thyssen, Mannesmann und all die anderen zu Weltfirmen wer-den konnten, die die dreckigs-te, schwerste und gefährlichste Arbeit verrichteten, so waren es

in Lothringen besonders Italie-ner mit ihren Familien. Nach der Machtübernahme durch die Fa-schisten Mussolinis verstärkte sich dieser Zustrom nochmals.Die Familie, von der Filipet-ti schreibt und von der man an-nehmen darf, dass die eigene Familie durchaus als Vorlage gedient hat, steht stellvertre-tend. Sie steht für jene, so der Klappentext, die für Loyalität und ihre Würde gekämpft ha-ben, sie steht für jene, die Zu-sammenhalt, Freundschaft und Brüderlichkeit gelebt haben, die gemeinsam den Traum von Frei-heit und Gleichheit geträumt ha-ben. Kurz: Sie steht für die kom-munistische Bewegung in einer ihrer Hochburgen, in einer Ge-gend, in der der PCF traditionell die stärkste Partei war und die Sozialisten auf dem zweiten folg-ten. Sie steht für den Kampf ge-gen den Faschismus, den Wider-stand gegen die Nazi-Besatzer.Der Traum von Freiheit und Gleichheit ist ausgeträumt. Die kommunistische Partei ist nur noch ein Schatten vergangener Tage.

Während im Ruhrpott relativ er-folgreich ein Strukturwandel vollzogen wurde, der zumindest notdürftig den Wegfall der in-dustriellen Arbeitsplätze kom-pensieren konnte, ist Lothrin-gen – betroffen von haargenau den gleichen Problemen – zu ei-ner der wirtschaftlich schwächs-ten Regionen mit der niedrigs-ten Kaufkraft geworden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 20 Prozent, Tendenz weiter steigend. Auch die einst macht-volle Gewerkschaft CGT verkam zu einem Schatten früherer Grö-ße, als ab den siebziger Jahren nur noch die Krise im Bergbau der Region boomte. 1997 wur-de die letzte Mine geschlossen. Im März 2014 wurde in Hayange, einem ehemaligen Zentrum der Arbeiterbewegung, der Kandidat des Front National zum Bürger-meister gewählt. Das Ende der Arbeiterklasse? Zumindest das gefühlte Ende.Als die Krise und deren Auswir-kungen nicht mehr zu übersehen waren, machte ein anderes Buch aus Frankreich von sich reden. Kein Roman. Der Philosoph An-

dré Gorz nahm „Abschied vom Proletariat“. Gorz diagnostizier-te das Entstehen einer postin-dustriellen Gesellschaft, sah als Resultat unserer Produktions-weise neben der sozialen auch eine ökologische Katastrophe, plädierte – nach heutigen Wor-ten – für einen sozialökologi-schen Umbau. Die Arbeiter-klasse habe als revolutionäres Subjekt ausgedient. Er blieb ein Rufer in der Wüste. Die Anfein-dungen aus kommunistischen und Gewerkschaftskreisen folg-ten umgehend. Sein Diskussi-onsangebot wurde ausgeschla-gen.Nach dem „Abschied vom Pro-letariat“ nun also „Das Ende der Arbeiterklasse“. Das eine theo-retisch aufrüttelnd, das andere emotional stark berührend. Bei-de lohnen die (Re-)Lektüre. Als politische Denkanstöße für das heutige Ruhrgebiet, das aktuelle Lothringen. Den Osten Deutsch-lands. Volkmar WölkAurélie Filipetti: Das Ende der Arbeiterklasse. Ein Familienro-man. Frankfurt/Main: S. Fischer, 2014, 180 S.

Das Ende der Arbeiterklasse

Elmar Faber (vorn rechts, mit Einstecktuch) erläutert dem Politbüromitglied Kurt Hager das Angebot des Aufbau-Verlages, Leipziger Buchmesse 1987.Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0315-118 / Grubitzsch (geb. Raphael), Waltraud / CC-BY-SA

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Am 9. Juli 1935 wurde sie in San Miguel de Tucuman in Argentini-en geboren. Die Volkslieder ih-rer Heimat, die von dem Schick-sal der einfachen Bevölkerung erzählen, prägten sie bereits in ihrer Kindheit. Ihre sehr junge Karriere begann, nachdem sie im Alter von fünfzehn Jahren bei einem Folklorewettbewerb den ersten Preis erhielt. In den frü-hen 60ern zog es sie nach Men-doza, wo sie mit den Musikern Armando Tejada Gomez und Oscar Manuel Matis die „Movi-miento del Nuevo Cancionero“, die „Vereinigung neuer Lieder-macher“, gründete.In ihrem Liedrepertoire tauch-ten auch erstmalig Texte vom großartigen Poeten Pablo Neru-da auf, auch Songs vom chile-nischen Sänger Victor Jara und von Silvio Rodriguez. 1962 er-schien ihre erste Langspielplatte mit dem Titel „La voz de la zafra“ (etwa: „Die Rufe der Zuckerroh-rernte“). Diese Platte beinhalte-te ausschließlich argentinische Folksongs. Richtig bekannt im Land jedoch wurde Mercedes Sosa dank ihres Auftritts beim „Festival Nacional de Folklore de Cosquin“ im Jahre 1965. Inzwi-schen sang sie auch Volkslieder aus anderen südamerikanischen Ländern. Aufgrund ihrer wachsenden Po-pularität auch außerhalb ihres Kontinents lud man sie nach Por-tugal, Italien und in die UdSSR sowie die USA ein. Im Laufe ih-rer weiteren künstlerischen Ent-wicklung wurden ihre Liedin-halte politischer und enthielten immer öfter sozialkritische The-

men. Sie sang für die Rechte der eingeborenen Indios und gegen die aufgrund des Putsches am 24. März 1976 an die Macht ge-langte Militärjunta. Dadurch galt sie jahrzehntelang als die Stim-me der Opposition. Wie zu er-warten war, drohten ihr Auftritts-beschränkungen in den Medien, und es dauerte nicht lange, bis ihre Schallplatten nicht mehr verkauft werden durften. Wäh-rend eines Konzerts in Mar del Plata 1979, bei dem tausende Fans zugegen waren, kam es zu einem brutalen Übergriff der Militärpolizei, die die Veranstal-tung beenden ließ und sämtliche Künstler sowie Teile des Publi-kums verhaftete.1980 beschloss sie schließlich mit großer Trauer im Herzen, ih-re geliebte Heimat zu verlassen. Sie ging nach Europa und fand in Madrid einstweilig ein neues Zuhause. Sie gab mehrere Kon-zerte in Spanien und Frankreich und trat bei bedeutenden Festi-vals auf, so auch beim Berliner „Horizonte Festival der Welt-kulturen 1982“. Im selben Jahr wagte sie sich nach Argentini-en zurück, wo sie vom Opern-haus in Buenos Aires ein Ange-bot bekam. Von der bis dahin herrschenden Militärregierung schien keine Gefahr mehr aus-zugehen, da diese sich aufgrund des verlorenen Falkland-Krie-ges aufzulösen begann und ei-ner demokratischen Bewegung Platz machen musste. 1983 zog es Mercedes Sosa endgültig in ihre Heimat zurück. „La Negra“ („Die Schwarze“, wie ihre Fans sie gern nannten) wurde be-

geistert empfangen und konnte endlich wieder ungehemmt auf ihrem Kontinent arbeiten. Das Album „Sosa En Argentina“, auf-genommen 1982 und bei Poly-gram (Universal) erschienen, gilt als Meilenstein in der latein-amerikanischen Musikgeschich-

te. Weitere Plattenproduktionen folgten, und die Sosa erlangte

Weltruhm. 1995 verlieh man ihr den „CAMU-UNESCO-Preis“. In Deutschland kam es zu einem gemeinsamen Auftritt mit Kons-tantin Wecker; auch andere Kol-legen jener Zunft legten Wert darauf, mit „La Negra“ ein Du-ett zu singen: Nana Mouskouri,

Maria Farantouri aus Griechen-land, die wunderbare Nordame-

rikanerin Joan Baez, zudem Sha-kira, Luciano Pavarotti, sogar der Rockstar Sting. 2003 muss-te die Sängerin eine ungewollte Schaffenspause einlegen. Sie erkrankte sehr schwer, litt unter tiefsten Depressionen und war kaum noch in der Lage, sich ih-rer Musik zu widmen. Zwei Jah-re lang musste sie ausharren, bis sie sich nach erfolgreichen Therapien wieder auf die Bühne wagte – am 23. September 2005 im Weißen Salon des argentini-schen Regierungspalastes vor Prominenz aus Kultur und Poli-tik. So wurde sie an jenem Ort gefeiert und umjubelt, von dem aus sie einst verpönt und ins Exil gezwungen wurde. In Anerken-nung ihrer künstlerischen Leis-tungen und ihres Einsatzes für Menschenrechte erhielt sie vom argentinischen Senat den Sar-miento-Preis.Die CD „Corazon Libre“ (Frei-es Herz) mit hochmotivierten Mitstreitern wie Chango Farias Gomez, Alberto Rojo, Luis Sali-nas, Eduardo Falu, Jorge Giulia-no, Javier Casalla und Oscar Pu-ebla kam 2005 auf den Markt, und auch Carlos Santana gab sich die Ehre, daran mitzuwir-ken. 2008 wurde Mercedes So-sa zur UNICEF-Botschafterin für Lateinamerika und die Karibik ernannt. Ihre letzte CD „Canto-ra“ erschien 2009. Am 4. Okto-ber des gleichen Jahres verstarb sie in Buenos Aires im Alter von 74 Jahren an Herzversagen. Sie schenkte ihre Stimme den Ver-gessenen und Verlorenen die-ser Welt. Jens-Paul Wollenberg

Die letzte Seite

„La Negra“ – Lateinamerikas große Stimme der Opposition: In Gedenken an Mercedes Sosa

9. Oktober 2014: Ich war auf dem Ring!

Mercedes Sosa mit der argentinischen Regierungschefin Cristina Fernández de Kirchner. Bild: Presidencia de la Nación Argentina / CC BY 2.0

Mit meinen 24 Jahren habe ich die DDR nicht erlebt, wurde also nur dort geboren und bin quasi ein „Wossi“. Wenn man es posi-tiver formulieren möchte: Ich bin ich zu einer Zeit geboren, als die Mauer offen, die Wahlen frei und die Ideale sozialistische waren. Die Geschehnisse vor 25 Jah-ren bewegen Leipzig auch heu-te noch. Beeindruckend finde ich, dass damals die Menschen auf die Straße gegangen sind, um Reformen zu fordern – Refor-men, die die Rechte der Bürger_innen in der DDR stärken sollten. Meinungsfreiheit. Reisefreiheit. Freie Wahlen. Freiheit von staat-lichen Repressionen. Leipzig ist friedlich geblieben. Das lag auch an den berühm-ten Sechs: Kurt Masur (Gewand-hauskapellmeister), Peter Zim-mermann (Theologiedozent), Bernd-Lutz Lange (Kabarettist) und den drei Sekretären der SED-Bezirksleitung Dr. Kurt Meyer, Dr. Roland Wötzel und Jochen Pommert, die über den

Stadtfunk folgendes verkünde-ten:„[...] Wir alle brauchen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb ver-sprechen die Genannten heute allen Bürgern, ihre ganze Kraft und Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur im Bezirk Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir bitten Sie dringend um Be-sonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird [...]“Anders, als es bei den Feierlich-keiten und in den Medien über-wiegend gesagt wurde, sind die Menschen am 9. Oktober 1989 auch auf die Straße gegangen, um dieses System, in dem sie lebten, zu verbessern. Ein Bei-tritt zur BRD stand nicht auf der Tagesordnung. Doch heute le-ben wir in diesem Staat und in diesem System. Auch da gibt es eine Unmenge zu kritisieren und genügend Grün-de, um auf die Straße zu gehen.

Leider taten das viele Menschen in den 90er Jahren auch, um ge-gen Flüchtlinge zu hetzen oder die Demokratie in Frage zu stel-len. Wie leider auch heute noch. Die Künstler_innen des Licht-festes haben diese Paralle-len gezeigt und auf Missstände (Überwachung, Rassismus, De-mokratiedefizite, etc.) im Hier und Jetzt hingewiesen. Das war

für mich ein Grund, diese Kun-stinstallation anzuschauen. Wir LINKEN sollten uns nicht vor un-serer Vergangenheit verstecken, nichts schönreden. Wir sollten auch an solchen Veranstaltun-gen teilnehmen und auf die gra-vierenden Probleme im Hier und Jetzt hinweisen. Auch DIE LINKE ist Teil dieser Geschichte. Auch wir müssen

sagen, was in der DDR unrecht-mäßig war und nicht wiederholt werden darf. Nichts anderes ist in Thüringen passiert. Zugege-ben, mit einem sehr einseitigen Begriff, der medial ohne die Be-gründungen und Erklärungen dahinter verbreitet wurde. „Un-rechtsstaat“ allein ist eine fal-sche Bezeichnung für die DDR. Es ist aber richtig, dass es staat-liches Unrecht gab – und das nicht zu knapp. DIE LINKE hat nach ihrer Gründung der PDS unwiderruflich mit dem Stali-nismus als System gebrochen und arbeitet ihre Geschichte bis heute auf. Das finde ich gut und muss auch weiter geführt wer-den. Es ist DIE LINKE, die als eine der wenigen Parteien heute ge-gen die Missstände in diesem System aufsteht und dagegen spricht. Das ist auch meine Par-tei – und ich kämpfe mit ihr für einen demokratischen Sozialis-mus. Trotz, oder gerade wegen ihrer Geschichte. Marco Böhme