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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 375 Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten Nr. 20/2015 vom 20. Oktober 2015 ISSN 2195-7274 Inhaltsübersicht Neuregelung des Delistings: Karami/Schuster, Anmerkungen zur Delisting-Neuregelung aus ökonomischer Sicht, S. 376 Laufende Spruchverfahren S. 381 Generali Deutschland Holding AG, Celesio AG, Homag Group AG, Sky Deutschland AG, Bien-Zenker AG, Rütgers AG Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen S. 384 GFKL AG, MeVis Medical Solutions AG Delisting-Fälle S. 385 Bemerkenswerte Befundevon Prof. Knoll Fall 9: Beta-Faktor: Blick über den Zaun, S. 387 Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ ). Sie erscheint jeweils nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber: [email protected] Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen. Spruchverfahren aktuell

Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 20/2015

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

SpruchZ 2015 Seite 375

Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten

Nr. 20/2015 vom 20. Oktober 2015 ISSN 2195-7274

Inhaltsübersicht

Neuregelung des Delistings:

Karami/Schuster, Anmerkungen zur Delisting-Neuregelung aus ökonomischer Sicht, S. 376

Laufende Spruchverfahren S. 381 Generali Deutschland Holding AG, Celesio AG, Homag Group AG, Sky Deutschland AG, Bien-Zenker AG, Rütgers AG

Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen S. 384

GFKL AG, MeVis Medical Solutions AG

Delisting-Fälle S. 385

„Bemerkenswerte Befunde“ von Prof. Knoll

Fall 9: Beta-Faktor: Blick über den Zaun, S. 387

Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt

und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils

nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an

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Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine

umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

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Neuregelung des Delistings

Anmerkungen zur Delisting-Neuregelung aus ökonomischer Sicht1

von Dr. Behzad Karami und René Schuster

Der Deutsche Bundestag hat am 1. Oktober 2015 das Umsetzungsgesetz zur Transparenzrichtlinie-

Änderungsrichtlinie in der Fassung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom

30. September 2015 beschlossen. In diesem Rahmen wurde ebenfalls der Anlegerschutz beim

Rückzug eines Emittenten aus dem regulierten Markt neu geregelt. Ziel der großen Koalition ist, den

Schutz von Aktionären bei einem Rückzug ihres Emittenten von der Börse – sog. Delisting

(einschließlich Downlisting) – zu stärken. Auslöser dafür war der Beschluss des BGH in der

Rechtssache „FRoSTA“ (BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12).

Der mit der „FROSTA“-Entscheidung vollzogene Paradigmenwechsel des BGH führte im sich

anschließenden Zeitraum bis zum 30. September 2015 zu einer regelrechten Rückzugswelle am

deutschen Aktienmarkt. Gemäß der unter dem Titel „Eine empirische Analyse des Kurs- und

Liquiditätseffekts auf die Ankündigung eines Börsenrückzugs am deutschen Kapitalmarkt im Lichte

der ,FRoSTA‘-Entscheidung des BGH“ veröffentlichten empirischen Studie von Karami/Schuster sowie

weiterer Untersuchungen der Autoren haben im „FRoSTA“-Zeitalter bislang 53 Gesellschaften einen

freiwilligen Rückzug vom regulierten Markt (Delisting/Downlisting) angekündigt und teilweise bereits

vollzogen. Parallel zu der Ausfertigung der vorgenannten Studie entbrannte in Wissenschaft und in

praxi ein Streit darüber, ob und – wenn ja – auf welche Weise der Schutz der Anleger im „FRoSTA“-

Zeitalter sicherzustellen sei. Während einzelne Vertreter aus der Beratungspraxis die in den

Börsenordnungen vornehmlich vorgesehene Fristenlösung, wonach der Widerruf nicht sofort,

sondern nach Ablauf einer Frist wirksam wird, als ausreichende Schutzvorkehrung betrachteten,

vertrat die überwiegende Anzahl der Fachkundigen die Ansicht, dass nach der „FRoSTA“-

Entscheidung die (Vermögens-)Interessen von Aktionären im Falle eines Börsenrückzugs nicht mehr

hinreichend geschützt seien und vor diesem Hintergrund Einzelheiten des Anlegerschutzes nicht

mehr ausschließlich den Börsenordnungen überlassen werden dürften, die nur vereinzelt ein

Pflichtangebot vorsehen.

So groß die Einigkeit hinsichtlich des grundsätzlichen Handlungsbedarfs auch sein mag, so umstritten

war (und ist nach wie vor), wie dieses Anliegen (de lege ferenda) im Detail umgesetzt werden soll. Im

Schrifttum wurden mit dem gesellschaftsrechtlichen und dem kapitalmarktrechtlichen Ansatz zwei

Gestaltungsvarianten für eine gesetzliche Regelung intensiv diskutiert, wobei der Gesetzgeber im

Hinblick auf die Verortung der Neuregelung des Anlegerschutzes einen (vorläufigen) Schlusspunkt

1 Der Beitrag ist eine Zusammenfassung der Stellungnahme der Autoren, die als PDF-Datei (inklusive

Auswertung) unter folgendem Link frei abrufbar ist: Stellungnahme_Karami/Schuster

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hinter diese kontroverse Diskussion gesetzt hat. Er hat sich de lege lata für die sog.

kapitalmarktrechtliche Lösung entschieden. Gemäß dem Gesetzesvorschlag der Koalitionsfraktionen

vom 29. September 2015 wird § 39 BörsG in Abs. 2 modifiziert sowie um die Absätze 3 bis 6 ergänzt.

Die Neuregelung gilt rückwirkend für alle Widerrufe ab dem 7. September 2015, womit das rund

zweijährige Zeitfenster geschlossen wurde, in dem ein Börsenrückzug ohne Pflichtangebot möglich

war. Im Kern hat der Gesetzgeber die Generalklausel, wonach der Zulassungswiderruf dem

Anlegerschutz nicht widersprechen darf, näher konkretisiert. Danach ist ein freiwilliger

Börsenrückzug (Delisting/Downlisting) zulässig, wenn der Emittent dem Antrag ein Angebot zum

Erwerb aller Aktien, die Gegenstand des Antrags sind, beifügt. Dieses Erwerbsangebot hat nach § 39

Abs. 3 Satz 2 BörsG-Entwurf (Änderungsantrag) entsprechend den Vorschriften des WpÜG

mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Aktien während der

letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG

zu entsprechen. Ausnahmen von dieser Regel sieht der Gesetzgeber im Falle der in § 39 Abs. 3 Satz 3

Nr. 1 ff. BörsG-Entwurf (Änderungsantrag) genannten Tatbestände vor. Danach bemisst sich das

Erwerbsangebot (ausnahmsweise) nach dem Fundamentalwert des Emittenten, wenn an der

Aussagekraft des Börsenkurses auf Grund von unberechtigterweise zurückgehaltenen oder unwahren

Insiderinformationen, nachweisbaren Kursmanipulationen seitens des Emittenten oder des Bieters

und/oder einer Marktenge in Anlehnung an § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebotsVO (hier bezogen auf den

Sechsmoantszeitraum) berechtigte Zweifel bestehen.

Nach Auffassung von Karami/Schuster können empirische Studien zu den wirtschaftlichen

Konsequenzen eines freiwilligen Börsenrückzugs helfen, den Anlegerschutzes stärker evidenz-

orientiert und damit effektiver auszugestalten. Vor diesem Hintergrund setzen sich die Autoren in

ihrer hier wiedergegebenen Stellungnahme zum Ziel, den zuvor skizzierten Gesetzesentwurf vom

29. September 2015 unter Beachtung der von Karami/Schuster festgestellten empirischen Befunde

aus ökonomischer Sicht zu beleuchten und dabei speziell die dort als defizitär oder inkonsistent

erachteten Textstellen aufzuzeigen und erste Änderungsvorschlage einzubringen, ohne jedoch den

Anspruch einer systematisch rechtlichen Behandlung und Beurteilung einzelner Detailfragen zu

erheben. Karami/Schuster diskutieren, ob die Stärkung des Anlegerschutzes in dem vom Gesetzgeber

vorgesehenen Umfang angesichts der im Nachgang zur „FRoSTA“-Entscheidung ermittelten Kurs- und

Liquiditätseffekte auf die Ankündigung einer Rückzugsabsicht zweckgerecht ist. Nach deren

Auffassung wäre ein ausgewogener Anlegerschutz, der einerseits den berechtigten (Vermögens-

)Interessen betroffener (Minderheits-)Aktionäre Rechnung trägt, andererseits ökonomisch sinnvolle

Börsenrückzüge nicht erschwert, wünschenswert.

Mit Blick auf ihre aktuellen Untersuchungsergebnisse ist nach Ansicht von Karami/Schuster der vom

Gesetzgeber kodifizierte – sowie vom rechtlichen Schrifttum geforderte – undifferenzierte (!)

Anlegerschutz, der das obligatorische Erwerbsangebot ohne Beachtung der konkreten

Unternehmenssituation (z. B. Anteilsbesitzkonzentration, Bestehen eines Beherrschungs- und

Gewinnabführungsvertrages etc.) ausschließlich an den Verlust der Börsennotierung koppelt, nicht

zwingend ausgewogenen im oben verstandenen Sinne. Nach Ansicht der Autoren können an dieser

Sichtweise auch die im juristischen Schrifttum überwiegend vorgetragenen – und aus rein rechtlicher

Sicht durchaus nachvollziehbaren – Argumente nichts ändern. Danach schaffe das an die

Börsennotierung anknüpfende Normengeflecht einen größeren Anlegerschutz, der auch im Falle

einer Fortsetzung des Handels im „qualifizierten“ Freiverkehr nicht annähernd erreicht werde; schon

deshalb müsse der Anlegerschutz ohne weitere Differenzierungen auch das Downlisting erfassen.

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Dies sei nach Ansicht von Karami/Schuster allerdings keineswegs zwingend, denn damit werde,

soweit ersichtlich, ohne Rückgriff auf eine gesicherte empirische Datenbasis unterstellt, dass die

Börsennotierung selbst ein den Aktienkurs und die Verkehrsfähigkeit beeinflussender Faktor ist.

Wäre dies der Fall, müsste auch die Ad-hoc-Mitteilung zum Downlisting negative Kurs- und

Liquiditätseffekte auslösen. Allerdings können gemäß den empirischen Daten von Karami/Schuster

auf die Ankündigung eines Downlisting überwiegend keine signifikanten Kurs- und Liquiditätseffekte

festgestellt werden. Vielmehr deuten die Untersuchungsergebnisse der Autoren darauf hin, dass die

Anzahl der Handelstage, die Aktienkursvolatilität sowie die Höhe des Streubesitzanteils für einen

liquiden Handel entscheidender sind als das Börsensegment.

Nach Auffassung von Karami/Schuster bestehe keine Notwendigkeit, ein Erwerbsangebot per se

vorzusehen bzw. dieses an den Verlust der Börsennotierung zu knüpfen. Vielmehr sei es geboten,

den unbestimmten Rechtsbegriff „Anlegerschutz“ am Normzweck auszulegen. Insoweit ist nach dort

vertretener Ansicht das Aktionärsvertrauen in die Börsennotierung schutzwürdig, wenn die konkrete

rechtliche und wirtschaftliche Situation dieses Vertrauen rechtfertige. Bei einem Börsenrückzug ist

ein Aktionär in zwei Bereichen betroffen: Einerseits vergrößert der Widerruf das Informationsgefälle

zwischen Geschäftsleitung und (Minderheits-)Aktionären, soweit ausschließlich im regulierten Markt

vorgeschriebene Publizitätspflichten (und sonstige aus Anlegersicht wesentliche Schutzinstrumente –

z. B. die Pflichten nach dem WpÜG) wegfallen. Andererseits ist die (wirtschaftliche) Verkehrsfähigkeit

betroffen, soweit der Aktienmarkt für den Handel vollständig wegbricht. Die ökonomische Analyse

habe sich somit darauf zu konzentrieren, ob ein Börsenrückzug unter den vorgenannten Aspekten

einen Hauptversammlungsbeschluss und/oder ein Erwerbsangebot erfordere.

Darüber hinaus schlagen Karami/Schuster – quasi als eigenen Lösungsansatz – vor, die Bestimmung

in § 31 Abs. 5 WpÜG, die der Gesetzgeber de lege lata lediglich für die Person des

Abfindungspflichtigen (gewöhnlich der Groß- bzw. Mehrheitsaktionär) vorschreibt, auch auf einen

(noch) außenstehenden Dritten zu erstrecken. Danach müsse ein potentieller Investor, der innerhalb

eines zu definierenden Zeitraums (etwa zwei Jahre) ab Wirksamkeit des Widerrufs durch

außerbörslichen Beteiligungsverkauf des (ggf. zuvor abfindungspflichtigen) Großaktionärs die

Kontrolle über das betreffende Zielunternehmen i. S. d. § 29 Abs. 2 WpÜG erlangt, verpflichtet

werden, den übrigen Aktionären ebenfalls ein Erwerbsangebot in Höhe des an den (ehemaligen)

Großaktionär bezahlten (höchsten) Kaufpreises zu unterbreiten. Auf diese Weise könne gemäß den

Erläuterungen von Karami/Schuster der im Schrifttum mehrfach betonten Gefahr einer mutmaßlich

missbräuchlichen Übernahme durch Umgehung der übernahmerechtlichen Regelungskomplexe

begegnet werden. Schließlich bliebe ein potentieller Investor, der unter wirtschaftlichen Aspekten

gewöhnlich an einer schnellstmöglichen Übernahme und Integration der Zielgesellschaft interessiert

ist und mit dem der Mehrheitsaktionär womöglich bereits vor der Widerrufsentscheidung

Verhandlungen aufgenommen hat, auch nach einem Börsenrückzug abfindungspflichtig. Somit

könnten – trotz Nichtgeltung des WpÜG – alle Aktionäre von einer eventuellen Übernahmeprämie

profitieren.

Im Kern verbindet der von Karami/Schuster definierte ausgewogene Anlegerschutz rechtliche

Aspekte und empirische Erkenntnisse. Im Ausgangspunkt sei ein Beschluss der Hauptversammlung

mit qualifizierter Mehrheit immer dann erforderlich, wenn ein Großaktionär nicht über die benötigte

Kapitalmehrheit verfügt. Diese Regelung ist nach Ansicht der Autoren sinnvoll, weil im Lichte der

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aktuellen empirischen Befunde nicht lediglich Emittenten mit einem starken Mehrheitsaktionär und

geringem Streubesitzanteil einen Börsenrückzug vollziehen. Ungeachtet dessen sei darüber hinaus

ein zusätzliches Erwerbsangebot i. S. d. kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutzes nur dann

erforderlich, wenn das Anlegervertrauen, die Aktien jederzeit zu einem „angemessenen“ Börsenkurs

veräußern zu können, gestört sei. Ob im Falle eines Börsenrückzugs dieses Vertrauen noch

schutzwürdig sei, hänge nach Auffassung von Karami/Schuster von der faktischen Möglichkeit einer

solchen Desinvestition ab, die stets im Einzelfall anhand der gegebenen Marktsituation zu prüfen sei.

Während Karami/Schuster beim regulären Delisting ein Erwerbsangebot für sachgerecht erachten,

weil gemäß deren Untersuchungsergebnisse unmittelbar nach der Ankündigung der Widerrufsabsicht

ein signifikanter Kursverfall liquider Aktien eintrete, der es den betroffenen Aktionären regelmäßig

unmöglich mache, die durch die Ankündigung verursachten Kursverluste im Zeitraum bis zur

Wirksamkeit auszugleichen, sei bei einem Downlisting ein Erwerbsangebot nicht zwingend.

Schließlich sei hier kein spürbarer Kursverfall oder keine wesentliche Einschränkung der Ver-

kehrsfähigkeit nach Ankündigung oder Wirksamkeit der Widerrufsabsicht belegbar.

Sofern das Erfordernis eines Erwerbsangebots bejaht wird, solle sich dieses jedoch nicht am

Börsendurchschnittskurs orientieren. Gemäß den Darlegungen von Karami/Schuster sei eine

Mittelung des Börsenkurses bei ökonomischer Betrachtungsweise über (deutlich) längere – ganz

gleich, ob drei- oder sechsmonatige – Zeiträume nicht zu rechtfertigen. Auch aus der Perspektive der

schutzwürdigen Aktionäre bedeute eine Durchschnittsbildung nicht unbedingt eine Verbesserung des

Anlegerschutzes. Werden etwa im (maßgeblichen sechsmonatigen) Referenzzeitraum positive

unternehmensspezifische Informationen und/oder Informationen, die den Kapitalmarkt als Ganzen

betreffen, veröffentlicht, schlagen sich diese auch in der Kursentwicklung nieder. Gleichwohl bilde

der Börsendurchschnittskurs diese neuen wertrelevanten Informationen nur partiell ab, d. h. der

positive Trend werde durch die Durchschnittsbildung abgeschwächt. Insoweit sei ökonomisch der

Desinvestitionswert, mithin der Preis, maßgeblich, zu dem ein Aktionär seine Anteile „eine juristische

Sekunde“ vor Ankündigung der Widerrufsabsicht bei einer freien Deinvestitionsentscheidung hätte

veräußern können; ein eventuell höhere Börsendurchschnittskurs könne allenfalls die Mindest-

kompensation darstellen.

Bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (BGV) zum Zeitpunkt der

Ankündigung der Widerrufsabsicht sei gemäß den Ausführungen von Karami/Schuster jedenfalls in

den in § 305 Abs. 4 AktG genannten Fristen die Unterbreitung eines zusätzlichen Erwerbsangebots

entbehrlich. Schließlich müssen Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge neben der Ver-

pflichtung zum Ausgleich auch eine Abfindungspflicht i. S. d. § 305 Abs. 1 AktG enthalten, die dem

„vollen“ Wert der Beteiligung, mindestens dem „Stollwerck“-Börsendurchschnittskurs entsprechen

muss. Diese Abfindung (einschließlich etwaiger Abfindungsergänzungsansprüche) könne von den

betroffenen Minderheitsaktionären der Untergesellschaft bis zum Ablauf der in § 305 Abs. 4 AktG

genannten Fristen jederzeit von der Obergesellschaft eingefordert werden. Bei dieser Sachlage löse

ein Börsenrückzug weder einen Verkaufsdruck aus noch würde eine Beeinträchtigung der

Verkehrsfähigkeit angesichts der Verkaufsoption vorliegen.

Abschließend fordern Karami/Schuster mit Verweis auf ihre empirischen Befunde eine handels-

platzübergreifende Abstimmung der Schutzinstrumente, denn gewöhnlich werde im Schrifttum das

weitere, höchst praxisrelevante Problem, dass bei einem Rückzug aus dem Freiverkehr der

Anlegerschutz nur rudimentär geregelt sei, vernachlässigt. Dies sei bedenklich, denn beim Rückzug

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

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(„Delisting“) aus dem Freiverkehr seien zum Teil deutlich höhere Kursverluste als beim regulären

Delisting zu verzeichnen. Aus Sicht der Börsenträger und der Emittenten möge dies unbedenklich

erscheinen, aus Aktionärssicht sei jedoch der Gedanke des ausgewogenen Anlegerschutzes nicht dort

erschöpft, wo die rechtliche Grenze zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten

Gesellschaften gezogen werde.

Die Langfassung mit der Auswertung der Autoren ist kostenlos abrufbar unter:

http://bewertung-im-recht.de/blog/kritische-anmerkungen-zur-neugestaltung-des-anlegerschutzes-

beim-widerruf-der-boersenzulassung

_______________

Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zu der zwischenzeitlich verabschiedeten Delisting-Neuregelung

http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/10/stellungnahme-der-bundesrechtsanwaltska.html

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„Und raus bist Du! - Anlegerschutz beim Börsenrückzug“ Kommentar von Prof. Leonhard Knoll zur Delisting-Neuregelung:

http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=18136

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

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Laufende Spruchverfahren

Beweisbeschluss im Spruchverfahren zu dem Squeeze-out bei der Generali Deutschland Holding AG

In dem Spruchverfahren zu dem Squeeze-out der Minderheitsaktionäre bei der Generali Deutschland

Holding AG hat das Landgericht Köln einen Beweisbeschluss gefasst (Beschluss vom 17. August 2015,

Az. 82 O 49/14). Das Gericht hat Herrn Wirtschaftsprüfer StB Dipl.-Kfm. Andreas Creutzmann (c/o IVA

VALUATION & ADVISORY AG) mit der Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung beauftragt.

Er soll sein Gutachten innerhalb von zwei Jahren vorlegen.

Laut dem Beweisbeschluss soll der Sachverständige eine eigenständige Bewertung des Unter-

nehmenswerts der Generali Deutschland Holding AG vornehmen. Soweit der Unternehmenswert von

ihm gemäß IDW S 1 ermittelt wird, soll das Ergebnis nach den Vorgaben des Gerichts mittels eines

marktnahen Verfahrens plausibilisiert werden. Bei der Verwendung des CAPM zur Ermittlung des

Risikozuschlags soll der Sachverständige zusätzlich eine pauschale Risikoeinschätzung vornehmen,

bei der die Risikoeinschätzung auf der Planungsseite berücksichtigt wird. Um dem Gericht die

Sensitivität prozentualer Veränderungen sowie eine Bandbreite möglicher Werte zur Verfügung zu

stellen, soll der Sachverständige zusätzlich Unternehmenswerte mit variierenden Kapitalisierungs-

zinssätzen bzw. Wachstumsabschlägen errechnen.

Die Antragsgegnerin, die Assicurazioni Generali S.p.A., hatte eine Barabfindung in Höhe von EUR

107,77 je Generali Deutschland-Aktie angeboten.

_______________

Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Celesio AG

In dem Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Celesio AG

hat das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 25. September 2015 die eingegangenen

Spruchanträge zu dem führenden Aktenzeichen 31 O 1/15 KfH SpruchG verbunden. Herr Rechts-

anwalt Ulrich Wecker, Stuttgart wurde zum gemeinsamen Vertreter der nicht antragstellenden

Aktionäre bestellt. Der Antragsgegnerin, der McKesson Deutschland GmbH & Co. KGaA, wurde eine

Frist zur Erwiderung auf die Spruchanträge bis zum 20. Januar 2015 gesetzt.

LG Stuttgart, Az. 31 O 1/15 KfH SpruchG NEXBTL - Neue Exklusive Bio Toys Lüllemann GmbH u.a. ./. McKesson Deutschland GmbH & Co. KGaA gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Ulrich Wecker, 70182 Stuttgart Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin: Rechtsanwälte Linklaters LLP, 60325 Frankfurt am Main

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

SpruchZ 2015 Seite 382

Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Homag Group AG

In dem Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Homag

Group AG hat das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 25. September 2015 die eingegangenen

Spruchanträge zu dem führenden Aktenzeichen 31 O 50/15 KfH SpruchG verbunden. Herr

Rechtsanwalt Dr. Peter Maser, Stuttgart wurde zum gemeinsamen Vertreter der nicht

antragstellenden Aktionäre bestellt. Der Antragsgegnerin, der Dürr Technologies GmbH, wurde eine

Frist zur Erwiderung auf die Spruchanträge bis zum 20. Januar 2015 gesetzt.

LG Stuttgart, Az. 31 O 50/15 KfH SpruchG ABS Aktiengesellschaft für Beteiligungen und Serviceleistungen AG u.a. ./. Dürr Technologies GmbH gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Dr. Peter Maser, 70597 Stuttgart Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin: Rechtsanwälte Hengeler Mueller, 60323 Frankfurt am Main

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Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der Sky Deutschland AG

Das Landgericht München I hat die bislang eingegangenen Spruchanträge zu dem führenden Aktenzeichen 5 HK O 16585/15 verbunden. Ein gemeinsamer Vertreter wurde bislang noch nicht bestellt. Der Squeeze-out-Beschluss war am 15. September 2015 im Handelsregister der Gesellschaft (Amtsgericht München) eingetragen und am 16. September 2015 im Registerportal bekannt gemacht worden. Die dreimonatige Antragsfrist endet somit am 16. Dezember 2015. Die Sky German Holdings GmbH hatte eine Barabfindung für die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf EUR 6,68 je Stückaktie festgelegt. LG München I, Az. 5 HK O 16585/15 Coriolix Capital GmbH u.a. ./. Sky German Holdings GmbH

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Spruchverfahren zum verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out bei der Bien-Zenker AG erstinstanzlich ohne Erhöhung

Das Landgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 22. September 2015 die Spruchanträge zu

dem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out bei der Bien-Zenker AG, Schlüchtern, zurückgewiesen.

Es hat die Beschwerde nur bei einem Beschwerdewert in Höhe von mehr als EUR 600,- zugelassen.

Nach Ansicht des Landgerichts sind die Anträge zwar zulässig, aber nicht begründet. Hinsichtlich der

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

SpruchZ 2015 Seite 383

Antragsfrist bei einem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out hat das Landgericht entgegen der

Ansicht der Antragsgegnerin auf die Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister der

übernehmenden Gesellschaft und deren Bekanntmachung abgestellt (S. 11).

Bezüglich der Höhe der Abfindung stellt das LG Frankfurt a.M. - wie bereits in mehreren jüngeren

Entscheidungen - maßgeblich auf den Börsenkurs als "marktorientierte Wertermittlung" und nicht

auf das in Spruchverfahren üblicherweise verwendete Ertragswertverfahren ab (Ermittlung des

Barwerts der künftigen Unternehmenserträge). Der Ertragswert sei im Verhältnis zum Börsenwert

nicht der richtigere oder "wahre" Wert, sondern lediglich ein mithilfe einer andren Methode

gefundener Wert (S. 24). Für die ausgeschiedenen Minderheitsaktionäre gebe es nicht den

Grundsatz der Meistbegünstigung (S. 13). Der Schutz der Minderheitsaktionäre erfordere es auch

nicht, im Spruchverfahren grundsätzlich neben dem gerichtlich bestellten Prüfer einen weiteren

Sachverständigen heranzuziehen (S. 15). Im vorliegenden Fall bringe die von den Antragstellern und

dem gemeinsamen Vertreter gewünschte Neubegutachtung keinen weiteren Erkenntnisgewinn. Zu

einer weiteren Sachaufklärung bestehe keine Veranlassung. Börsenkursen sei tendenziell eine

größere Aussagekraft für den "wahren Wert" des Unternehmens zuzugestehen als Schätzungen von

Sachverständigen (S. 24).

Landgericht Frankfurt am Main, Az. 3-05 O 63/14 Buis ./. Bien Zenker GmbH 53 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Kay-Michael Schanz, 60325 Frankfurt am Main Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Bien-Zenker AG: Rechtsanwälte Gleiss Lutz, 70173 Stuttgart

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Unendliche Geschichte: Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der Rütgers AG

In dem seit mehr als zwölf Jahren beim Landgericht Dortmund laufenden Spruchverfahren zum

Squeeze-out bei der Rütgers AG hatte die Antragsgegnerin eine Aussetzung des Verfahrens

beantragt. Dies hatte das Landgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2015 zurückgewiesen. Dagegen

legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein. Diese ist nunmehr beim OLG Düsseldorf unter dem Az. I-

26 W 14/15 AktE anhängig.

Wann in diesem Verfahren eine Sachentscheidung ergehen wird, ist derzeit nicht absehbar. Mehrere

Antragsteller haben angesichts der überlangen Dauer des Verfahrens Verzögerungsrügen erhoben (§

198 Abs. 3 GVG).

OLG Düsseldorf, Az. I-26 W 14/15 AktE LG Dortmund, Az. 20 O 513/03 Horizont Holding AG u.a. ./. Rütgers GmbH

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Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen

Squeeze-out bei der GFKL Financial Services Aktiengesellschaft

Auf der ao. Hauptversammlung der GFKL Financial Services Aktiengesellschaft am 6. November 2015

soll ein Squeeze-out beschlossen werden:

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, folgenden Beschluss zu fassen:

„Die auf den Inhaber lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der

GFKL Financial Services Aktiengesellschaft werden gemäß dem Verfahren zum Ausschluss von

Minderheitsaktionären (§§ 327a ff. Aktiengesetz) gegen Gewährung einer von der Garfunkel

Holding GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main, eingetragen im Handelsregister des

Amtsgerichts Frankfurt am Main unter der Registernummer HRB 101898 (Hauptaktionärin),

zu zahlenden Barabfindung in Höhe von EUR 23,71 für je eine auf den Inhaber lautende

Stückaktie auf die Garfunkel Holding GmbH übertragen.“

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MeVis Medical Solutions AG: Zustimmung zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der VMS Deutschland Holdings GmbH Corporate News

Bremen, 30. September 2015 - Die gestrige außerordentliche Hauptversammlung der MeVis Medical

Solutions AG hat dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der VMS Deutschland

Holdings GmbH als herrschendem Unternehmen und der MeVis Medical Solutions AG als

beherrschtem Unternehmen zugestimmt. Der Beschlussvorschlag wurde mit einer Mehrheit von

98,40 % der in der Versammlung anwesenden bzw. vertretenen Aktionäre angenommen. Der

Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bedarf zu seiner Wirksamkeit noch der Eintragung ins

Handelsregister.

Marcus Kirchhoff, Vorstandsvorsitzender der MeVis Medical Solutions AG, betont: "Die Zustimmung

zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ist ein wichtiger Meilenstein für die Zukunft der

MeVis. Er ermöglicht eine enge Zusammenarbeit zwischen MeVis und der Varian-Gruppe sowie die

Umsetzung einheitlicher Organisationsstrukturen und Strategien in einem rechtssicheren Rahmen."

Dr. Robert Hannemann, Finanzvorstand, ergänzt: "Für die außenstehenden Aktionäre schafft der

Vertrag ebenfalls besondere Schutzmechanismen wie einen Anspruch auf eine jährliche

Ausgleichszahlung von brutto 1,13 Euro / netto 0,95 Euro je Aktie oder die Möglichkeit, MeVis-Aktien

gegen eine Abfindung von 19,77 Euro an die VMS zu übertragen."

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

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Delisting-Fälle

Deufol SE: Delisting - Kündigung der Einbeziehung in den Entry Standard

Corporate News

Hofheim, den 12. Oktober 2015

Die geschäftsführenden Direktoren haben mit Zustimmung des Verwaltungsrates der Deufol SE (ISIN:

DE000A1R1EE6, WKN: A1R1EE) beschlossen, die Einbeziehung der Aktien der Deufol SE in den Entry

Standard (Freiverkehr) an der Frankfurter Wertpapierbörse gemäß § 23 der Allgemeinen Geschäfts-

bedingungen der Deutsche Börse AG für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse zu

kündigen. Die geschäftsführenden Direktoren haben daher heute ein Kündigungsschreiben an die

Deutsche Börse AG versendet. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen. Mit Ablauf der

Kündigungsfrist wird der Handel von Aktien der Deufol SE im Entry Standard eingestellt. Bis zum

Ablauf der genannten Sechs-Wochen-Frist haben die Aktionäre die Möglichkeit, ihre Aktien im Entry

Standard zu handeln. Die Einbeziehung der Aktien der Deufol SE in den Entry Standard an der

Frankfurter Wertpapierbörse bedeutet einen für die Gesellschaft nicht unerheblichen

Kostenaufwand. Durch die Beendigung der Börsennotierung spart die Gesellschaft erhebliche Kosten

ein.

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Sachsenmilch AG: Widerruf der Zulassung zum Handel im regulierten Markt der Börse Berlin

Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG

Leppersdorf, 14.10.2015

Die Börse Berlin hat mitgeteilt, dass sie dem Antrag der Sachsenmilch AG mit dem Sitz in

Leppersdorf, ISIN DE000A0DRXC4, WKN A0DRXC, vom 01. Oktober 2015 stattgibt und die Zulassung

der Aktien der Sachsenmilch AG zum Handel im regulierten Markt der Börse Berlin mit Wirkung zum

10. Oktober 2015 widerruft.

Der Vorstand

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

SpruchZ 2015 Seite 386

Aufsätze zum Spruchverfahren

Puszkajler/Sekera-Terplan zur Reform des Spruchverfahrens

Puszkajler/Sekera-Terplan, Reform des Spruchverfahrens?, NZG 2015, 1055 ff

Dem sehr interessanten Beitrag der beiden ausgewiesenen Autoren, ein mit Spruchverfahren

befasster Vorsitzender Richter am OLG München a.D. und ein Fachanwalt für Handels- und

Gesellschaftsrecht, liegt eine Untersuchung der im Zeitraum 2002 bis Juni 2015 veröffentlichten

beendeten Spruchverfahren zugrunde. Die Dauer der Spruchverfahren habe sich – mit regionalen

Unterschieden - deutlich verkürzt und die zugesprochenen Zuzahlungen seien – vor allem seit 2011 –

erheblich zurückgegangen.

Die Autoren diskutieren zahlreiche Reformansätze. Das OLG als Eingangsinstanz wird abgelehnt, da

dies keine spürbare Verfahrensbeschleunigung bringe und mit einer Einbuße an materieller

Gerechtigkeit verbunden sei. Sie sprechen sich für eine länderübergreifende Konzentration auf

wenige Gerichtsorte aus, etwa bei den Gerichten an den Börsenplätzen. Begrüßt wird der Vorschlag,

einen Mehrheitsvergleich einzuführen (bei einer Akzeptanzquote von 90% der Antragsteller). Die

Verfahrensdauer sei durch das SpruchG hinreichend verkürzt worden. Angeregt wird lediglich, das

Abhilfeverfahren bei der Beschwerde abzuschaffen. Durch unmittelbare Einlegung der Beschwerde

beim OLG könnten ein bis zwei Monate Zeit gewonnen werden.

Die für die Unternehmensbewertung verwendeten Daten sollten von der Antragsgegnerin in einem

"Datenraum" bereitgestellt werden, auf den ausschließlich das Gericht und ein gerichtlicher

Sachverständiger Zugriff habe. Bei strittigen Bewertungsfragen mit erheblicher Auswirkung auf den

Anteilswert solle ein mit der Bewertung noch nicht vorbefasster gerichtlicher Sachverständiger

hinzuzuziehen sein.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

SpruchZ 2015 Seite 387

Bemerkenswerte Befunde © Prof. Dr. Leonhard Knoll

Bemerkenswerte Befunde - Fall 9:

Beta-Faktor: Blick über den Zaun

Wer die bisherigen Fälle aufmerksam verfolgt hat, wird vielleicht vermuten, dass in deutschen

Spruchverfahren eine ungewöhnliche Dichte bemerkenswerter Befunde zu verzeichnen ist. Ich will

dies weder bestätigen noch dementieren, aber darauf hinweisen, dass zumindest auch andernorts in

vergleichbaren Verfahren Merkwürdigkeiten auftreten, die einen frustrierten Antragsteller hier-

zulande vielleicht ein wenig trösten werden. Dazu sei heute ein Beispiel aus der Schweiz dargestellt.

Dort gibt es seit einem guten Jahrzehnt für bestimmte Strukturmaßnahmen, die dem

umwandlungsrechtlichen Squeeze Out in Deutschland ähneln, für betroffene Minderheitsaktionäre

die Möglichkeit, die Angemessenheit der erhaltenen Abfindung gerichtlich überprüfen zu lassen.

Obwohl sie rechtstechnisch anders konstruiert ist, kann man diese Institution inhaltlich durchaus mit

dem deutschen Spruchverfahren vergleichen.

In einem solchen Gerichtsverfahren betreffend die Festsetzung einer angemessenen Ausgleichs-

zahlung für die zwangsweise ausgeschiedenen Minderheitsaktionäre wurde vom Gerichtsgutachter

hinsichtlich der Festlegung des Risikozuschlags u.a. wie folgt vorgegangen:

Zusätzlich zum Produkt aus Beta-Faktor und Marktrisikoprämie wurde eine Small Size

Premium von 2% in Ansatz gebracht.

Der Beta-Faktor wurde über eine Peer Group ermittelt. Zur Begründung wurde angegeben:

„Das Beta wird in der Praxis aus dem Durchschnitt des Betas vergleichbarer,

börsenkotierter Versicherer abgeleitet.“

Es wurden zwei Peer Groups ermittelt: Eine mit großen Versicherungen mit hoher Börsenliquidität

und eine mit kleineren Versicherungen. Letztlich wurde das höhere Beta der erstgenannten Gruppe

der Bewertung zugrunde gelegt.

Etwas später wurde in dem Gutachten festgehalten:

„Es ist zu beachten, dass lediglich ein Minderheitsanteil der … [Bewertungsobjekt, LK] an der

Börse gehandelt wurde.“

Hierzu beantworte man die folgenden Fragen:

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

SpruchZ 2015 Seite 388

a) Ist es methodisch angemessen, weitere Risikofaktoren zu berücksichtigen, wenn man eine

CAPM-basierte Bewertung durchführt?

b) Ist die Festlegung des Beta-Faktors durch eine Peer Group durch den Verweis auf „die Praxis“

zu rechtfertigen? Falls nein, welche Bedingung müsste für eine Rechtfertigung erfüllte sein?

c) Ist die Wahl des Peer Group-Betas großer Versicherungen konsistent? Welche konsistenten

Alternativen bestehen, wenn man die Verwendung einer Peer Group an sich akzeptieren

würde?

In seinem an Kritik der Klägerseite anschließenden Ergänzungsgutachten hielt der Gerichtsgutachter

zu diesem Themenkomplex u.a. das Folgende fest:

„Im Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass gemäß [schweizerische Rechtschreibung!]

meiner Einschätzung in keinem Fall eine Korrelation zwischen Beta-Faktor und Small Cap

Premium besteht.“

Zu diesem Thema findet sich auf S. 126 des Buchs „Unternehmensbewertung für die Praxis“,

Stuttgart 2009, von Kruschwitz/Löffler/Essler eine interessante Tabelle:

Äußern Sie sich daher noch zur abschließenden Teilaufgabe:

d) Ist die Verwendung einer Small Cap Premium bei gleichzeitigem Ansatz eines Peer Group-

Betas großer Versicherungsgesellschaften durch die nachgeschobene Aussage des

Gutachters zu rechtfertigen?

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

SpruchZ 2015 Seite 389

Lösungen:

a) Das CAPM ist ein 1-Faktor-Modell. Die Verwendung weiterer Faktoren als der Marktrisikoprämie

ist konzeptionell widersprüchlich und daher abzulehnen.

b) Mit der Praxis kann das Verhalten im Rahmen eines theoretisch fundierten Modells nicht

gerechtfertigt werden. Die theoretische Vorgabe für die Verwendung eines Peer Group-Betas für

den Fall, dass das eigene Beta aus noch zu klärenden Gründen nicht zu verwenden ist, lautet

vielmehr: Für alle betroffenen Unternehmen einschließlich dem Bewertungsobjekt muss das

geschätzte Beta derselben Verteilungsfunktion unterliegen, vgl. Ziemer, ZBB 2012, S. 50.

c) Nein, denn entweder hat man eine kleine Gesellschaft mit geringem Handelsvolumen und

kleinem Beta oder aber eine große mit höherem Beta, dann kann man aber über die

konzeptionellen Gründe hinaus erst recht keine SCP ansetzen! Möchte man die beschriebenen

Widersprüche auflösen, wäre zumindest entweder das erheblich geringere Beta der kleineren

Gesellschaften mit geringerem Handelsvolumen zu verwenden oder auf die „Small Cap

Premium“ zu verzichten.

d) Keine Rechtfertigung: Entweder nimmt man das CAPM ernst, dann darf von Hause aus keine SCP

angesetzt werden, oder man betrachtet die Empirie, dann verbietet sich der Ansatz eines Durch-

schnittsbetas großer Gesellschaften für eine bekundetermaßen kleine Gesellschaft (→ die

Tabelle spricht gegen die Aussage des Gutachters)!

Fazit: Nicht nur hinsichtlich aberwitziger Fehler ist die Situation in Deutschland kein Unikat,

sondern auch hinsichtlich deren fehlender Konsequenzen: Das Gericht in der Schweiz störte sich trotz

heftiger Kritik nicht an dem offensichtlichen Widerspruch und wies die Anträge hinsichtlich einer

Erhöhung der Abfindung ab!

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015

SpruchZ 2015 Seite 390

Zeitschrift und Dokumente auf http://de.slideshare.net/SpruchZ

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Zeitschrift

Spruchverfahren aktuell

(SpruchZ)

4. Jahrgang

ISSN 2195-7274

Herausgeber:

Interessengemeinschaft

Spruchverfahren (IG Spruch),

c/o Rechtsanwaltskanzlei

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(presserechtlich verantwortlich),

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Theo Schubert, M.C.L. Univ. Mich.,

Prof. Dr. Leonhard Knoll

(„Bemerkenswerte Befunde“)

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