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Spruchverfahren aktuell - Nr. 9/2013 SpruchZ 2013 Seite 151 Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten Nr. 9/2013 vom 23. November 2013 ISSN 2195-7274 Inhaltsübersicht Schwerpunkt: Delisting-Entscheidung des BGH Entscheidungen zu Spruchverfahren: Delisting-Entscheidung des BGH: Aufgabe der Macrotron-Rechtsprechung, S. 153 Reaktionen zur Delisting-Entscheidung des BGH: SdK: Aktionäre unerwünscht!, S. 161 und weitere Kommentare im Handelsblatt, der WirtschaftsWoche etc. Laufende Spruchverfahren: Spruchverfahren Squeeze-out Degussa AG: Antragsgegnerin verfolgt Befangenheitsantrag weiter, S. 165 Literaturübersicht: "OLG-Studie" der SdK beklagt "Nullnummer für Minderheitsaktionäre", S. 167 Die Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ ). Sie erscheint jeweils nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber: [email protected] Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende rechtliche Beratung nicht ersetzen. Spruchverfahren aktuell

Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 9/2013

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Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 9/2013

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Page 1: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 9/2013

Spruchverfahren aktuell - Nr. 9/2013

SpruchZ 2013 Seite 151

Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting,

Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten

Nr. 9/2013 vom 23. November 2013 ISSN 2195-7274

Inhaltsübersicht

Schwerpunkt: Delisting-Entscheidung des BGH Entscheidungen zu Spruchverfahren:

Delisting-Entscheidung des BGH: Aufgabe der Macrotron-Rechtsprechung, S. 153

Reaktionen zur Delisting-Entscheidung des BGH: SdK: Aktionäre unerwünscht!, S. 161 und weitere Kommentare im Handelsblatt, der WirtschaftsWoche etc. Laufende Spruchverfahren:

Spruchverfahren Squeeze-out Degussa AG: Antragsgegnerin verfolgt Befangenheitsantrag weiter, S. 165

Literaturübersicht:

"OLG-Studie" der SdK beklagt "Nullnummer für Minderheitsaktionäre", S. 167

Die Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt und online verfügbar

archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils nach Bedarf. Der Bezug

ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber:

[email protected]

Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende

rechtliche Beratung nicht ersetzen.

Spruchverfahren aktuell

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 9/2013

SpruchZ 2013 Seite 152

Vorwort

Liebe Leser,

die vorliegende Ausgabe beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der ganz aktuellen Delisting-Entscheidung des BGH, mit der dieser seine seit über einem Jahrzehnt in ständiger Rechtsprechung vertretene sog. Macrotron-Rechtsprechung gekippt hat. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Jahr zum Delisting wäre die Begründung eines Barabfindungsangebots mittels einer Gesamtanalogie entsprechend der bisherigen Rechtsprechung durchaus möglich gewesen. Dies hat der BGH ausdrücklich abgelehnt und auf den (in der Praxis unzureichenden) Schutz durch das Börsengesetz verwiesen. Der Minderheitsaktionär müsse halt gegen den Widerruf der Zulassung klagen oder verkaufen. Wir dokumentieren nicht nur – für einen ersten Überblick – die offizielle Pressemitteilung des BGH (S. 153), sondern auch – für eine genauere Analyse der Argumentationslinie - die nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründe (S. 154) sowie die ersten und - wie nicht anders zu erwarten – je nach Perspektive unter-schiedlichen Reaktionen (S. 161). Offen sind die Folgen für laufende Delisting-Spruchverfahren. Offen ist auch, ob und wie der Gesetzgeber die durch die komplette Rechtsprechungsänderung des BGH verschärfte Regelungslücke schließen wird. Die Redaktion

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Entscheidungen zu Spruchverfahren

Delisting-Entscheidung des BGH: Aufgabe der Macrotron-Rechtsprechung

Keine Abfindung für Minderheitsaktionäre beim Wechsel vom regulierten Markt in den qualifizierten Freihandel („FRoSTA“)

Leitsatz (amtlich):

Bei einem Widerruf der Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft haben die Aktionäre keinen Anspruch auf eine Barabfindung. Es bedarf weder eines Beschlusses der Hauptversammlung noch eines Pflichtangebotes (Aufgabe von BGH, Urteil vom 25. November 2002, II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 53 ff.).

BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2013, Az. II ZB 26/12 Vorinstanzen: OLG Bremen, Beschluss vom 12. Oktober 2012 – 2 W 25/12; LG Bremen, Beschluss vom 6. Januar 2012 - 13 O 128/11 Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof erleichtert Rückzug von der Börse

Der für Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass den Aktionären beim Rückzug von der Börse kein Barabfindungsangebot für ihre Aktien gemacht werden muss. Mit einer Ad-hoc-Meldung vom 11. Februar 2011 gab die Antragsgegnerin, eine Aktiengesellschaft, den vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschlossenen Wechsel vom regulierten Markt der Wertpapierbörse in Berlin in den Entry Standard des Freiverkehrs (Open Market) der Frankfurter Wertpapierbörse bekannt. Am 16. Februar 2011 wurde der Widerruf der Zulassung am regulierten Markt wirksam; seither sind die Aktien der Antragsgegnerin in den Entry Standard einbezogen. Die Antragsteller, Aktionäre der Antragsgegnerin, haben die Durchführung eines Spruchverfahrens zur Festsetzung einer angemessenen Barabfindung für die Aktien der Antragsgegnerin beantragt. Das Landgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerde der Antragsteller vor dem Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg. Im Fall eines Wechsels vom regulierten Markt in den qualifizierten Freihandel bedürfe es keines Barabfindungsangebots, so dass auch kein Spruchverfahren stattfinde. Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsbeschwerden der Antragsteller zurückgewiesen. In einer Entscheidung im Jahr 2002 war er davon ausgegangen, dass der Widerruf der Zulassung zum Handel der Aktie im geregelten Markt einer Börse auf Antrag des Emittenten, das sogenannte reguläre Delisting, wegen der damit verbundenen erheblichen Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien das Aktieneigentum beeinträchtige und eines Beschlusses der Hauptversammlung sowie eines

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Pflichtangebotes der Aktiengesellschaft oder des Großaktionärs über den Kauf der Aktien der Minderheitsaktionäre bedürfe (BGH, Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 53 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat am 11. Juli 2012 entschieden, dass der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt grundsätzlich nicht den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs berührt und das für den Fall eines vollständigen Rückzugs von der Börse von den Fachgerichten im Wege einer Gesamtanalogie verlangte, gerichtlich überprüfbare Pflichtangebot der Gesellschaft oder ihres Hauptaktionärs an die übrigen Aktionäre, deren Aktien zu erwerben, daher von Verfassungs wegen zwar nicht geboten ist, die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung aber auch nicht überschreitet. Es hat es der weiteren Rechtsprechung der Fachgerichte überlassen, auf der Grundlage der mittlerweile gegebenen Verhältnisse im Aktienhandel zu prüfen, ob die bisherige Spruchpraxis Bestand hat, und zu beurteilen, wie der Wechsel vom regulierten Markt in den qualifizierten Freiverkehr in diesem Zusammenhang zu bewerten ist (BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2002 - 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08). Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung, dass das reguläre Delisting eines Beschlusses der Hauptversammlung und eines Pflichtangebots über den Kauf der Aktien bedarf, aufgrund der danach gebotenen Überprüfung aufgegeben.

_________________

Aus den Entscheidungsgründen:

(Zwischenüberschriften und Hervorhebungen durch die Redaktion)

Hintergrund: Wechsel der FRoSTA-Aktien vom regulierten Markt in den Freiverkehr

1

Die Antragsteller sind Aktionäre der Antragsgegnerin, einer Aktiengesellschaft. Mit einer Ad-hoc-Meldung vom 11. Februar 2011 gab die Antragsgegnerin den vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschlossenen Wechsel vom regulierten Markt der Wertpapierbörse in Berlin in den Entry Standard des Freiverkehrs (Open Market) der Frankfurter Wertpapierbörse bekannt. Am 16. Februar 2011 wurde der Widerruf der Zulassung am regulierten Markt wirksam; seither sind die Aktien der Antragsgegnerin in den Entry Standard einbezogen. Mit ihren am 9. Mai 2011 bzw. 16. Mai 2011 eingegangenen Anträgen haben die Antragsteller ein Spruchverfahren zur Festlegung einer angemessenen Barabfindung beantragt. Das Landgericht hat die Anträge als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerden der Antragsteller sind ohne Erfolg geblieben. Dagegen richten sich die Rechtsbeschwerden der Antragsteller.

II.

2

Die Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg. Es ist kein Spruchverfahren zur Ermittlung einer Barabfindung durchzuführen. Bei einem Widerruf der Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft haben die Aktionäre keinen Anspruch auf eine Barabfindung. Es bedarf weder eines Beschlusses der Hauptversammlung noch eines Pflichtangebotes.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 9/2013

SpruchZ 2013 Seite 155

Kein Eingriff in die mitgliedschaftsrechtlichen und vermögensrechtlichen Elemente des Aktieneigentums: kein Schutz durch Art. 14 Grundgesetz (Eigentumsgrundrecht)

3

1. Der Widerruf der Zulassung zum Handel im regulierten Markt nach § 39 Abs. 2 BörsenG auf Antrag der Gesellschaft führt nicht zu einer Beeinträchtigung des Aktieneigentums. Der Bundesgerichtshof ist allerdings davon ausgegangen, dass für die Minderheits- und Kleinaktionäre, deren Engagement bei einer Aktiengesellschaft allein in der Wahrnehmung von Anlageinteressen besteht, der Wegfall des Handels im regulierten Markt wirtschaftlich gravierende Nachteile mit sich bringt, die auch nicht durch die Einbeziehung der Aktien in den Freihandel ausgeglichen werden können, und dass daher der verfassungsrechtliche Schutz des Aktieneigentums der Minderheitsaktionäre gebietet, dass ihnen mit dem Beschlussantrag an die Hauptversammlung, die über den Widerruf der Börsenzulassung zu entscheiden hat, ein Pflichtangebot über den Kauf ihrer Aktien durch die Gesellschaft oder ihren Großaktionär vorzulegen ist (BGH, Urteil vom 25. November 2002 - II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 53 ff.). Dieser Rechtsprechung ist durch die Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts, nach der der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs nicht berührt (BVerfG, ZIP 2012, 1402), die Grundlage entzogen. Der Widerruf der Börsenzulassung nimmt danach dem Aktionär keine Rechtspositionen, die ihm von der Rechtsordnung als privatnützig und für ihn verfügbar zugeordnet sind; er lässt die Substanz des Anteilseigentums in seinem mitgliedschaftsrechtlichen und seinem vermögensrechtlichen Element unbeeinträchtigt. Zu dem von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Bestand zählt nur die rechtliche Verkehrsfähigkeit, während die tatsächliche Verkehrsfähigkeit eine schlichte Ertrags- und Handelschance ist.

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Die mitgliedschaftsrechtliche Stellung des Aktionärs wird durch den Rückzug von der Börse nicht wie bei einer Mediatisierung seiner Mitwirkungsrechte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. Februar 1982 - II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 136 ff.; Urteil vom 26. April 2004 - II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 37 ff.) geschwächt (BGH, Urteil vom 25. November 2002 - II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 54).

Keine Rechtsgrundlage für ein Barabfindungsangebot: Keine entsprechende Anwendung der Regelung zum Formwechsel (§ 207 UmwG)

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2. Ein Barabfindungsangebot ist nicht in entsprechender Anwendung von § 207 UmwG1 erforderlich. Teilweise wird zwar vertreten, dass wegen einer Ähnlichkeit des Verlustes der Börsennotierung mit einem Formwechsel die umwandlungsrechtlichen Vorschriften über den Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) entsprechend anwendbar seien (Drygala/Staake, ZIP 2013, 905, 912; aA Wackerbarth, WM

1 Anm. der Red.: § 207 Abs. 1 UmwG lautet:

„Der formwechselnde Rechtsträger hat jedem Anteilsinhaber, der gegen den Umwandlungsbeschluß Widerspruch zur Niederschrift erklärt, den Erwerb seiner umgewandelten Anteile oder Mitgliedschaften gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten; § 71 Abs. 4 Satz 2 des Aktiengesetzes ist insoweit nicht anzuwenden. Kann der Rechtsträger auf Grund seiner neuen Rechtsform eigene Anteile oder Mitgliedschaften nicht erwerben, so ist die Barabfindung für den Fall anzubieten, daß der Anteilsinhaber sein Ausscheiden aus „Der formwechselnde Rechtsträger hat jedem Anteilsinhaber, der gegen den Umwandlungsbeschluß Widerspruch zur Niederschrift erklärt, den Erwerb seiner umgewandelten Anteile oder Mitgliedschaften gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten; § 71 Abs. 4 Satz 2 des Aktiengesetzes ist insoweit nicht anzuwenden. Kann der Rechtsträger auf Grund seiner neuen Rechtsform eigene Anteile oder Mitgliedschaften nicht erwerben, so ist die Barabfindung für den Fall anzubieten, daß der Anteilsinhaber sein Ausscheiden aus dem Rechtsträger erklärt. Der Rechtsträger hat die Kosten für eine Übertragung zu tragen.“

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2012, 2077, 2078; Kiefner/Gillessen, AG 2012, 645, 653). Dagegen spricht aber schon, dass ein Formwechsel bei einer Aktiengesellschaft nicht immer zu einer Barabfindung führt. Nach § 250 UmwG ist § 207 UmwG auf den Formwechsel einer Aktiengesellschaft in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien oder den umgekehrten Fall nicht anwendbar.

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Die Unterschiede zwischen einer börsennotierten und einer nicht börsennotierten Aktien-gesellschaft kommen einem Formwechsel auch nicht gleich, weil die Vorschriften, die eine Börsennotierung voraussetzen, weder die Organisationsstruktur noch die Beteiligungs-struktur der Gesellschaft entscheidend verändern. Zwar knüpfen zahlreiche Vorschriften des Aktienrechts an die Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt (§ 32 Abs. 1 BörsenG) an (§ 67 Abs. 6 Satz 2, § 87 Abs. 1 Satz 2, § 93 Abs. 6, § 100 Abs. 2 Nr. 4, § 110 Abs. 3, § 120 Abs. 4 Satz 1, § 121 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4a und Abs. 7, § 122 Abs. 2 Satz 3, § 123 Abs. 3 Satz 3, § 124 Abs. 1 Satz 2, § 124a Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 3, § 126 Abs. 1 Satz 3, § 130 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 6, § 134 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Sätze 3 und 4, § 135 Abs. 5 Satz 4, § 149 Abs. 1, § 161 Abs. 1 Satz 1, § 171 Abs. 2 Satz 2, § 175 Abs. 2 Satz 1, § 176 Abs. 1 Satz 1, § 248a Satz 1, § 328 Abs. 3 und § 404 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AktG über die Legaldefinition in § 3 Abs. 2 AktG, § 20 Abs. 8 AktG und § 21 Abs. 5 AktG über § 21 Abs. 2 WpHG, der im Inland ebenfalls nur die Zulassung im regulierten Markt betrifft [vgl. § 2 Abs. 5 WpHG, MünchKommAktG/Bayer, 3. Aufl., Anh. § 22, § 21 WpHG Rn. 12]). Weder die Börsenzulassung noch ihr Widerruf erfordern aber nach den genannten aktienrechtlichen Vorschriften in jedem Fall eine Satzungsänderung. Die grundlegende Organisationsstruktur der Aktiengesellschaft oder die Beteiligungsrechte sind von den genannten Vorschriften nicht betroffen. Die Zulassung zum Handel im regulierten Markt kann schließlich auch ohne Antrag der Gesellschaft, etwa wegen eines geringen Handelsumsatzes, widerrufen werden (§ 39 Abs. 1 BörsenG). Wenn der Widerruf der Zulassung einem Formwechsel gleichkommen soll, müsste auch für diesen Fall ein Formwechsel angenommen werden. Regelungen für einen zwangsweisen Formwechsel enthalten die §§ 190 ff. UmwG jedoch nicht.

Auch keine Anwendung der Reglung zum Sondervorteil für einen Großaktionär (§ 243 Abs. 2 Satz 2 AktG)

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3. Das Erfordernis eines Pflichtangebots folgt auch nicht aus § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG. Teilweise wird vertreten, dass der Vorstand einen Beschluss der Hauptversammlung herbeiführen müsse, weil er nicht selbst über die rechtlichen Bedingungen entscheiden dürfe, unter denen er für die Gesellschaft unternehmerische Entscheidungen treffe, und bei Vorhandensein eines Großaktionärs dieser einen ihm durch das Delisting bzw. Downlisting entstehenden Sondervorteil durch ein Abfindungsangebot nach § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG2 ausgleichen müsse (Wackerbarth, WM 2012, 2077, 2079 f.). Dagegen spricht schon, dass aktienrechtlich eine Beteiligung der Hauptversammlung nicht vorgeschrieben ist (§ 119 Abs. 1 AktG). Sie kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass der Vorstand nicht über die Regeln für seine eigene Vergütung (§ 87 Abs. 1 Satz 2 AktG) mitbestimmen, Berichtspflichten abschaffen (§ 176 Abs. 1 AktG), die Verjährung seiner Haftung bei Pflichtverletzungen verkürzen (§ 93 Abs. 6 AktG), seine Strafbarkeit verringern (§ 404 Abs. 1 AktG) oder über das Stimmrecht von Aktionären entscheiden (§ 328 Abs. 3 AktG) soll. Dass eine Geschäftsführungsmaßnahme auch günstige Auswirkungen auf den Vorstand hat, nimmt ihm nicht die Geschäftsführungsbefugnis. Wenn

2 Anm. der Red.: § 243 Abs. 2 AktG lautet:

„Die Anfechtung kann auch darauf gestützt werden, daß ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts für sich oder einen Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre zu erlangen suchte und der Beschluß geeignet ist, diesem Zweck zu dienen. Dies gilt nicht, wenn der Beschluß den anderen Aktionären einen angemessenen Ausgleich für ihren Schaden gewährt.“

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der Vorstand Geschäftsführungs-maßnahmen nicht alleine verantworten soll, ist in erster Linie der Aufsichtsrat und nicht die Hauptversammlung zur Mitwirkung berufen (§ 111 Abs. 1 und 4 AktG). Abgesehen davon passt die Regelung in § 243 Abs. 2 AktG auf das Delisting nicht. Der Börsenrückzug ist nicht immer ein Sondervorteil, den ein Großaktionär gesucht hat. In § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG ist ein angemessener Ausgleich und keine Abfindung für die anderen Aktionäre vorgesehen, und das Fehlen eines angemessenen Ausgleichs führt nicht zu einem Spruchverfahren, sondern zur Nichtigerklärung des Beschlusses (§ 243 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AktG).

Keine entsprechende Anwendung der Regelung zur Verschmelzung einer börsennotierten auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft („kaltes“ Delisting)

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4. Auf den Rückzug von der Börse ist auch nicht § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG entsprechend anzuwenden (aA Klöhn, NZG 2012, 1041, 1045; Habersack, ZHR 176 [2012], 463, 464 f.). Allerdings ist die Vorschrift eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die formwahrende Verschmelzung grundsätzlich abfindungsfrei ist. Wenn dennoch bei der Verschmelzung einer börsennotierten auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft ein Abfindungsangebot zu machen ist, beruht dies auf dem Wechsel aus dem regulierten Markt. Daraus kann aber nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber mit § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG einen allgemeinen Grundsatz anerkennen wollte, dass der Wechsel aus dem regulierten Markt in jedem Fall zu einer Abfindung führt. Dem Anerkenntnis eines solchen allgemeinen Grundsatzes steht entgegen, dass für andere Fälle des „kalten“ Delistings, in denen Maßnahmen auf indirektem Weg zur Beendigung der Zulassung führen können, wie bei der Eingliederung in eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, keine Barabfindung vorgesehen ist (§ 320b Abs. 1 Satz 2 AktG). Die Gesetzesbegründung verweist auch nicht auf einen allgemeinen Grundsatz, sondern sieht nur in der faktischen Erschwernis der Veräußerbarkeit der Aktien einen Grund zur Gleichbehandlung mit der Verschmelzung auf einen nicht börsenfähigen Rechtsträger (Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, BT-Drucks. 16/2919 S. 13). Bis zur Einfügung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG waren die Aktionäre vor einer Beeinträchtigung durch das „kalte“ Delisting bei der Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nichtbörsennotierte Aktiengesellschaft nicht geschützt. Für das reguläre Delisting enthält dagegen bereits § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG eine Regelung, wonach der Widerruf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf.

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Dass nur der spezielle Fall des sogenannten „kalten“ Delistings bei der Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft geregelt werden sollte und § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG nicht Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist, nach dem der Rückzug von der Börse mit einem Barabfindungsangebot einhergehen muss, folgt auch aus der Gesetzgebungsgeschichte des zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes. Der Bundesrat hatte unter Berufung auf das Urteil des Senats vom 25. November 2002 (II ZR 133/01, BGHZ 153, 47) darum gebeten, die Aufzählung der dem Spruchverfahrensgesetz unterliegenden Verfahren in § 1 SpruchG um das Delisting zu erweitern (Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 548/06 S. 10). Die Bundesregierung hat dies in ihrer Gegenäußerung (BT-Drucks. 16/2919 S. 28) abgelehnt, weil die Diskussion in Wissenschaft und Praxis über die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Delistings andauere und der Gesetzgeber keine vorschnelle Antwort geben solle.

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Auch keine Gesamtanalogie der Regelungen anderer gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen

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5. Eine Pflicht zu einem Barabfindungsangebot besteht auch nicht aufgrund einer nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, ZIP 2012, 1402, 1406) zulässigen Gesamtanalogie zu gesetzlichen Regelungen anderer gesellschaftsrechtlicher Struktur-maßnahmen (§§ 305, 320b, 327b AktG, §§ 29, 207 UmwG) (im Ergebnis ebenso Wasmann in KK-AktG, 3. Aufl., § 1 SpruchG Rn. 25; Bungert/Wettich, DB 2012, 2265, 2268 f.; Goetz, BB 2012, 2767, 2773; Kiefner/Gillessen, AG 2012, 645, 651 f.). Da keine Gesamtanalogie zu diesen Vorschriften zu bilden ist und der Rückzug von der Börse auch nicht unter den Fällen genannt ist, in denen nach § 119 Abs. 1 AktG die Hauptversammlung beschließt, besteht auch keine aktienrechtliche Pflicht, einen Hauptversammlungsbeschluss herbeizuführen.

Delisting keine Strukturmaßnahme

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a) Der Widerruf der Börsenzulassung ist keine Strukturmaßnahme und ähnelt ihr nicht. Die Binnenstruktur der Gesellschaft erfährt dadurch, dass sie sich aus dem regulierten Markt der Börse zurückzieht, keine Veränderung(Kiefner/Gillessen, AG 2012, 645, 651 f.; Wackerbarth, WM 2012, 2077, 2078). Die aktienrechtlichen Vorschriften, die auf die Börsennotierung abstellen, dienen nur mittelbar den Vermögens- und Mitgliedsinteressen des einzelnen Aktionärs (BVerfG, ZIP 2012, 1402, 1405 f.). Sie berühren die Interessen des Aktionärs - wie etwa die Besonderheiten bei der Vorstandsvergütung oder der Vorstandshaftung - kaum oder führen - wie etwa die Veränderung der Informationspflichten im Zusammenhang mit der Einberufung der Hauptversammlung - nicht zu einer Veränderung der Rahmen-bedingungen der Beteiligung in einem Ausmaß, das einer Strukturänderung gleichkommt und eines entsprechenden Schutzmechanismus bedarf.

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b) Auch die bedeutenderen Auswirkungen des Rückzugs aus dem regulierten Markt im Kapitalmarktrecht auf die Interessen der Anleger rechtfertigen eine analoge Anwendung der Vorschriften über Strukturmaßnahmen nicht. Die Meldepflichten für einen Beteiligungserwerb sind nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG bei börsennotierten Gesellschaften differenzierter als in § 20 Abs. 1 und 4 AktG; ein Kontrollwechsel kann aber grundsätzlich auch bei nicht börsennotierten Gesellschaften nicht unbemerkt stattfinden. Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass bei einer nicht börsennotierten Gesellschaft kein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG gemacht werden muss. Allerdings genießen auch die Aktionäre einer börsennotierten Gesellschaft keinen vollständigen Schutz durch ein Barabfindungsangebot nach dem Kontrollerwerb. Die einzelnen Aktionäre haben keinen Anspruch auf eine Gegenleistung, wenn entgegen § 35 Abs. 2 WpÜG kein Pflichtangebot veröffentlicht wird (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 - II ZR 80/12, WM 2013, 1511 Rn. 11 ff.); vielmehr ist eine Kontrolle öffentlich-rechtlich durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht organisiert. Die Verbote bei Insidergeschäften (§ 14 WpHG) und das Marktmanipulationsverbot (§ 20a WpHG) gelten auch für nicht börsennotierte Gesellschaften, solange sie in den Freiverkehr einbezogen sind (§ 12 Satz 1 Nr. 1 WpHG). Lediglich die Ad-hoc-Publizitätspflicht gemäß § 15 WpHG trifft nach § 2 Abs. 7 WpHG nur Gesellschaften, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind oder die einen Antrag auf Zulassung gestellt haben (§ 15 Abs. 1 Satz 2 WpHG). Der Verlust solcher Informationspflichten rechtfertigt aber keine gesellschaftsrechtlichen, sondern allenfalls kapitalmarktrechtliche Maßnahmen.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 9/2013

SpruchZ 2013 Seite 159

Schutz der Aktionäre durch das Börsengesetz ausreichend …

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c) Der Schutz der Anleger ist in § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG3 geregelt. Dass dieser Schutz vor den tatsächlichen Beeinträchtigungen der Verkehrsfähigkeit durch den vollständigen Rückzug von der Börse oder den Wechsel in andere Börsensegmente durch das Börsengesetz unzureichend und darüber hinaus gesellschaftsrechtlich ein Barabfindungsangebot erforderlich ist, lässt sich entgegen der früheren Annahme des Senats (BGH, Urteil vom 25. November 2002 - II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 54), die allerdings den grundrechtlichen Schutz des Aktieneigentums im Blick hatte, nicht feststellen.

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§ 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG verlangt, dass der Widerruf der Zulassung zum Handel im regulierten Markt nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf. Soweit die Börsenordnungen vorsehen, dass nach der Bekanntgabe der Widerrufsentscheidung den Anlegern ausreichend Zeit verbleiben muss, die vom Widerruf betroffenen Wertpapiere im regulierten Markt zu veräußern, und dazu die Wirksamkeit des Widerrufs bis zu sechs Monate hinausschieben, wenn den Aktionären nicht gleichzeitig ein Kaufangebot unterbreitet wird (z.B. § 40 Abs. 2 der Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse), bleibt der Schutz der Anleger hinter dem Schutz durch ein Barabfindungsangebot nicht zurück. Der Aktionär kann sich damit selbst für eine Deinvestition entscheiden, wenn er Vermögensnachteile aus dem Börsenrückzug und der Veränderung der Rahmenbedingungen für seine Investition befürchtet. Dass schon die Ankündigung des Börsenrückzugs regelmäßig zu einem Kursverlust führt, lässt sich nicht feststellen (Heldt/Royé, AG 2012, 660, 667 f.). Wenn der Anleger sich unter diesen Voraussetzungen selbst für eine Deinvestition zum aktuellen Börsenkurs entscheidet, steht er im wirtschaftlichen Ergebnis nicht anders als bei einem Barabfindungsangebot. Auch bei einem Barabfindungsangebot muss sich der Anleger zeitnah entscheiden, ob er es annimmt. Er kann nicht die weitere Kursentwicklung abwarten und darf nicht zu Lasten der Gesellschaft oder ihres Großaktionärs spekulieren.

… auch wenn der Anlegerschutz in der Praxis nicht beachtet wird.

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Auch wenn die Geschäftsführungen der Börse die sofortige Wirksamkeit des Widerrufs ohne ein Kaufangebot an die Anleger zulassen, wie hier offensichtlich die Berliner Börse im Fall des Wechsels in den Freiverkehr der Frankfurter Börse, muss dies nicht notwendig dem in § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG verlangten Schutz der Anleger widersprechen. Die plötzliche Veränderung der Grundlagen der Beteiligung ist nach der Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts keine Eigentumsbeeinträchtigung. Eine Beeinträchtigung der Liquidität der Beteiligung und des Veräußerungswerts muss mit dem Wechsel, etwa vom regulierten Markt einer kleinen Börse in ein gesuchtes Segment des Freiverkehrs einer großen Börse, nicht zwangsläufig verbunden sein. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kurswert der Aktie infolge des Wechsels in den (qualifizierten) Freiverkehr grundsätzlich sinkt (Heldt/Royé, AG 2012, 660, 667 f.). Das war auch im Fall des Downlisting der Aktien der Antragsgegnerin nicht anders. Soweit die Rechtsbeschwerdeführer einen Kursverlust von 10% zwischen Veröffentlichung des Widerrufs und Beschwerdeeinlegung beklagt

3 Anm. der Red.: § 39 Abs. 2 BörsenG lautet: „Die Geschäftsführung kann die Zulassung im Sinne des Absatzes 1

auch auf Antrag des Emittenten widerrufen. Der Widerruf darf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen. Die Geschäftführung hat einen solchen Widerruf unverzüglich im Internet zu veröffentlichen. Der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung und der Wirksamkeit des Widerrufs darf zwei Jahre nicht überschreiten. Nähere Bestimmungen über den Widerruf sind in der Börsenordnung zu treffen.“

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haben, hat dem die Antragsgegnerin unwidersprochen entgegengehalten, dass der Kursverlust der allgemeinen Kursentwicklung entsprochen habe.

… dann muss der Minderheitsaktionär eben gegen den Widerruf der Börsenzulassung klagen.

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Wenn die Anleger in der Verwaltungspraxis nicht ausreichend geschützt werden, ist einer unzutreffenden Anwendung von § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG mit den verwaltungsrechtlichen, auch aufsichtsrechtlichen Mitteln zu begegnen. § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG bietet, wie der 8. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Stellungnahme zu den Verfassungs-beschwerden, die zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2012 geführt haben, betont hat (1 BvR 3142/07, juris Rn. 35), ausreichende Ansatzpunkte für einen angemessenen, mit Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Zulassung durchsetzbaren Schutz der betroffenen Aktionäre. Hierdurch kann ein effektiver Rechtsschutz auch unabhängig von einer Erstreckung der grundrechtlichen Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG auf die durch eine Börseneinführung gesteigerte Verkehrsfähigkeit der Aktien gewährleistet werden. Soweit der Gesetzgeber im Kapitalmarktrecht den Anlegerschutz allein öffentlich-rechtlich ausgestaltet hat, ist eine Ergänzung durch einen zivilrechtlichen Anspruch der Anleger nicht schon deshalb veranlasst, weil ein individuell durchsetzbarer Anspruch für sinnvoll oder effektiver gehalten wird.

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Reaktionen zur Delisting-Entscheidung des BGH

Pressemitteilung der Aktionärsvereinigung SdK: Aktionäre unerwünscht!

BGH hält Börsennotiz für entbehrlich - Folgen für den IPO-Markt und die Eigenkapitalversorgung des Mittelstandes nicht absehbar - Weitere Enteignungswellen von Minderheitsaktionären zu befürchten Mit seinem Beschluss vom 8.10.2013 (II ZB 26/12) hat der Bundesgerichtshof (BGH) nunmehr mit weitreichenden Folgen entschieden, dass seine Macrotron-Rechtsprechung vom 25.11.2002 (II ZR 133/01) aufgrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.2012 (1 BvR 3142/07 sowie 1 BvR 1569/08) keinerlei Geltung mehr hat. Dies bedeutet in der Praxis, dass nicht nur der Segmentwechsel in ein Segment mit geringeren Anforderungen (= Downgrading) - regelmäßig vom geregelten Markt in den Freiverkehr - sondern auch der vollständige Rückzug von der Börse (= Delisting) weder eines HV-Beschlusses noch eines gerichtlich überprüfbaren Abfindungsangebotes bedarf und somit ausschließlich und für den Streubesitzaktionär kompensationslos im Ermessen von Vorstand und Aufsichtsrat der einzelnen Gesellschaft liegen. Nun ist nach Ansicht der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. der Gesetzgeber zum Schutz der Aktionäre gefordert. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner vorbenannten Entscheidung dem Bundesgerichthof die Möglichkeit offen gelassen hätte, die Macrotron-Rechtsprechung nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern auch zumindest auch auf jene Fälle anzuwenden, in denen ein Delisting aus einem anderen Segment als dem geregelten Markt (regelmäßig aus dem Freiverkehr) heraus erfolgt, hat es der Bundesgerichtshof präferiert, die Fungibilität der Aktie nicht aus einer technischen, sondern aus einer reinen rechtlichen Sicht zu definieren. Demzufolge reicht es laut Bundesgerichtshof aus, wenn jeder Aktionär seine Aktie verkaufen darf. Ob dieses in der Realität möglich ist, ist aus Sicht des praxisfernen BGH-Urteils allerdings irrelevant. Ist der Streubesitz und damit auch die Börsennotiz also beim Börsengang zur Kapitalbeschaffung für das operative Geschäft umworben und willkommen, so kann die neue Rechtsprechung nun von Großaktionären im Verbund mit der Verwaltung dazu genutzt werden, den Streubesitz Stück für Stück um seinen Anteil am Erfolg und um sein Miteigentum zu bringen. Final muss der Minderheitsaktionär vor allem bei einem Delisting mangels Handelbarkeit an der Börse seine Anteile sodann zu vom Großaktionär festgesetzten Preisen an diesen abgeben. Wahrlich keine freie Desinvestitionsentscheidung! Ebenso katastrophal werden die Auswirkungen auf die Squeeze-out-Politik sein. Um den Börsenpreis als Untergrenze für die Abfindung zu eliminieren, dürfte vor einem Squeeze out zukünftig das Delisting stehen. Mangels Börsenhandels gibt es keinen Börsenpreis und somit keinen vom Markt festgelegten Preis mehr als Preisuntergrenze. Es verbleibt die Wertermittlung ausschließlich auf Basis eines Gutachtens, dem kein Börsenpreis als Verprobungskriterium entgegengesetzt werden kann. Welche Auswirkungen dies auf künftige Börsengänge und den Zugang zu Eigenkapitalinstrumenten im Mittelstand zu haben vermag, kann gegenwärtig nicht beurteilt werden. Es kann allerdings nur

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jedem Anlageinteressenten dringend empfohlen werden, sehr sorgfältig abzuwägen, ob unter diesen Voraussetzungen ein Investment in Aktien insgesamt noch sinnvoll sein kann. Die SdK fordert den Gesetzgeber auf, für den Schutz der Realisierbarkeit des Gegenwerts der Aktie über die freie Desinvestitionsmöglichkeit über die Börse zu sorgen und feste Regeln für den Entzug dieses Marktplatzes zu erlassen. Dieses ist im Interesse der mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur des Standortes Deutschland, zur Förderung der ohnehin nur gering ausgeprägten Aktienkultur und des Anlegerschutzes unerlässlich. Unter anderem fordert die SdK vom Gesetzgeber folgendes:

- Gesetzliche Verankerung eines doppelt qualifizierten HV-Beschlusses (qualifizierte Stimmen- und Kapitalmehrheit). - Verpflichtung zu einem gerichtlich nachprüfbaren Abfindungsangebot zumindest beim Delisting. - Anwendbarkeit der gesamten Vorschriften des WpHG und WpÜG auf Unternehmen, die ein - auch mehrfach gestuftes - Downgrading vom geregelten Markt vornehmen.

München, 18. November 2013 SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.

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Kommentar von Rechtsanwalt Dr. Cornelius Götze

Zu den Auswirkungen des Delisting-Beschlusses des BGH vom 8. Oktober 2013 insbesondere auf laufende Spruchverfahren hat sich in einem Gastkommentar Rechtsanwalt Dr. Cornelius Götze von der (in Spruchverfahren die Antragsgegnerseite vertretenden) Kanzlei Gleiss Lutz im Handelsblatt geäußert. So sei spekuliert worden, ob die Macrotron-Rechtsprechung nunmehr nur auf das vollständige Delisting oder auch auf ein Downgrading (Wechsel vom regulierten Markt in den qualifizierten Freihandel) anzuwenden sein (oder nach dem Delisting-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Jahr eben nicht mehr). Der BGH habe sich zu einer "Generalbereinigung" entschlossen:

"Diese Spekulationen hat der BGH nun in erfreulich klaren Worten beendet. Dass er dabei die Notwendigkeit eines Pflichtangebots nicht nur (wie es der Fall FRoSTA AG an sich erlaubt hätte) für den Fall des Downgrading, sondern – quasi „überschießend“ – auch für den Fall des vollständigen Börsenrückzugs verneint hat, zeigt, dass dem Gericht an einer „Generalbereinigung“ der Rechtslage gelegen war. Das ist sehr zu begrüßen, weil damit gerade für kleinere und mittelgroße Unternehmen Rechtssicherheit herrscht, die sich seit einigen Jahren (vornehmlich aus Kostengründen) verstärkt vor die Frage gestellt sehen, ob sie den Widerruf der Börsenzulassung beantragen sollen."

Nach Ansicht von Dr. Götze sei die Änderung der bisherigen (anerkannten und gefestigten) Rechtsprechung auch auf bereits laufende Spruchverfahren anwendbar:

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"Der Beschluss des BGH hat aber nicht nur Bedeutung für die Zukunft. Er ist vielmehr auch für laufende Spruchverfahren zur Überprüfung bereits unterbreiteter Pflichtangebote im Rahmen eines Delisting von Belang. Diese Verfahren dürften nicht mehr zum Erfolg führen können."

Zu dem Gastkommentar im Handelsblatt: http://blog.handelsblatt.com/rechtsboard/2013/11/18/keine-barabfindung-beim-delisting-bgh-andert-rechtsprechung/

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JUVE zur Delisting-Entscheidung des BGH

JUVE, ein Medium für den "Wirtschaftsanwaltsmarkt", berichtet ebenfalls über die Delisting-Entscheidung des BGH, die es als "Kehrwendung des BGH" bezeichnet. Es sieht folgende Auswirkungen dieser Rechtsprechungsänderung:

"Für sogenannte Berufskläger wird es künftig schwerer, Geld zu erstreiten, umgekehrt dürften mehr Unternehmen die Möglichkeit zu einem Börsenrückzug wagen. Dies gilt vor allem für Firmen, die kurz vor einem möglichen Squeeze-out stehen."

Zum Bericht: http://www.juve.de/nachrichten/verfahren/2013/11/kehrtwende-des-bgh-frosta-erkampft-mit-mayrhofer-einfacheren-ruckzug-von-der-borse

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Boerse-express.com kritisiert Delisting-Entscheidung des BGH

Boerse-express.com kritisiert die Delisting-Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Schädigung der deutschen Aktienkultur. Es handele sich um einen weiteren Schritt, Aktien noch unattraktiver zu machen. Die Minderheitsaktionäre seien nun der "Unternehmenswillkür" ausgeliefert. Die tragenden Entscheidungsgründe werden als "praxisfremd" kritisiert:

"Bisher konnten Kleinaktionäre meist auf eine – oft großzügig ausfallende Entschädigung – bei einem Delisting ihrer Aktien von der Börse hoffen, da Unternehmen privatrechtliche gerichtliche Auseinandersetzungen häufig lieber mieden. Damit dürfte es nun allerdings vorbei sein. Denn mit einer völlig praxisfremden Begründung, nämlich dass die Börsennotiz für den Aktionär kein Wert an sich sei und insbesondere sein Eigentumsrecht nicht beeinträchtige, hat der Zweite Zivilsenat in Karlsruhe (Az. II ZB 26/12) eine Abfindung für unnötig befunden: Die Notiz eines Unternehmen an der Börse, sei für den Anleger nichts weiteres als „eine schlichte Ertrags- und Handelschance“, die nicht rechtlich geschützt sei. Praxisfremd wird weiter argumentiert, dass es nicht erwiesen sei, dass der Aktienkurs bei einem angekündigten Delisting abstürze und somit bei der üblichen Frist für ein Delisting von

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3 bis 6 Monaten der Aktionär ausreichend Zeit habe, sich von der Aktie ohne Verluste zu trennen. Eine, wie jeder Aktionär wissen dürfte, völlig absurde Annahme!"

Zu dem Kommentar: http://www.boerse-express.com/pagesfoonds/28974

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Kommentar der WirtschaftsWoche

Unter der Überschrift "Verlust droht" kritisiert die WirtschaftsWoche in ihrer aktuellen Ausgabe Nr. 48/2013 heftig die Aufgabe der Macrotron-Rechtsprechung durch den BGH. Annina Reimann macht in ihrem Kommentar keinen Hehl daraus, dass sie von der Entscheidung des BGH, die sie als "Rolle rückwärts" bezeichnet, wenig hält:

"Die Entscheidung ist skandalös. Ausgerechnet Deutschlands höchste Zivilrichter haben der faktischen Enteignung von Anlegern Tür und Tor geöffnet. Das Problem: Fehlt der Marktplatz, können Aktionäre ihre Papiere kaum mehr verkaufen. Das macht kleine Anleger anfällig für die lausigen Angebote von übernahmewilligen Großaktionären. Dass deren Angebote, wenn sie andere Aktionäre loswerden wollen, zu einem fairen Preis kommen, darf getrost bezweifelt werden."

Für die Aktienkultur sei die Entscheidung auch deswegen schädlich, da ein nachfolgender Squeeze-out leichter werde:

"Dank des neuen Urteils werden Squeeze-outs, bei denen verbliebene Kleinaktionäre herausgedrängt werden, für Großaktionäre zum Selbstläufer. Künftig dürfte es so laufen: Erst wird delistet, dann geschröpft."

Der Kommentar endet mit einem Appell an den Gesetzgeber zu einer Neuregelung des Delisting: "Neue Bundesregierung, bitte übernehmen Sie!"

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Laufende Spruchverfahren

Spruchverfahren Squeeze-out Degussa AG: Antragsgegnerin verfolgt Befangenheitsantrag weiter

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Mit viel liebevoller Bösartigkeit hatte die Antragsgegnerseite versucht, den in dem bereits seit 2006

laufenden Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der Degussa AG, Düsseldorf, gerichtlich bestellten

Sachverständigen, Herrn Wirtschaftsprüfer Dr. Lars Franken (IVC Independent Valuation &

Consulting), als befangen erklären zu lassen, vgl. unseren früheren Bericht unter

http://spruchverfahren.blogspot.de/2013/08/spruchverfahren-squeeze-out-degussa-ag.html .

Das Landgericht Düsseldorf hat dieses Unterfangen mit Beschluss vom 20. August 2013

zurückgewiesen. Dagegen hat die Kanzlei Allen & Overy für die Evonik Industries AG sofortige

Beschwerde eingelegt, die nunmehr beim OLG Düsseldorf unter dem Aktenzeichen I-26 W 16/13

AktE anhängig ist.

In der sehr polemischen Beschwerdeschrift vom 24. September 2013 unterstellt Allen & Overy dem

Sachverständigen, "seine Gutachtertätigkeit auf Kosten der Beschwerdeführerin für die Propagierung

einer von ihm erdachten bewertungstechnischen Einzelmeinung" zu nutzen. Die Antragsgegnerseite

bemängelt, dass der Gutachter zu einem "drastisch erhöhten Unternehmenswert der Degussa AG"

gekommen sei (S. 8). Statt einem Peer-Group-Betafaktor (mit in der Regel lustig zusammen gestellten

angeblichen Vergleichsunternehmen) habe der Sachverständige doch tatsächlich den

unternehmenseigenen Betafaktor der Degussa AG verwendet. Die damit bewirkte Absenkung des

Risikozuschlags lasse den Unternehmenswert der Degussa AG im Vergleich zur Ausgangsbewertung

um EUR 2,79 Mrd. ansteigen.

Gegen diese aus Sicht der Antragsgegnerin völlig überhöhte Unternehmensbewertung hatte diese

eine Auftragsgutachten erstellten lassen. Nachdem der Sachverständige vom Gericht um eine

Ergänzung seines Gutachtens "unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten"

gebeten worden war, merkte er u.a. an, "methodische und materielle Mängel" dieses

Privatgutachtens aufarbeiten zu wollen. Daraus schloss die Antragsgegnerseite, dass es Herrn

Franken alleine um die Zurückweisung gegen sein Sachverständigengutachten gerichteter

Einwendungen gehe.

Zu einer weiteren Stellungnahme des Sachverständigen merkte Allen & Overy schön metaphorisch

an, dass er "wie der Wolf in Grimms Märchen" rede, "der mit kreidezarter Stimme spricht, um seinen

eigentlichen Plan nicht offenbar werden zu lassen." Nun ja, Bösartigkeiten sind den Parteien und

deren Vertretern erlaubt.

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Mit ihrem Vorgehen erreicht die Antragsgegnerseite prozessual eine erhebliche Verzögerung des

Verfahrens (und zerschlägt dabei viel Porzellan). Ob das wirtschaftlich wirklich sinnvoll ist, wird sich

zeigen. Seit dem 1. September 2009 beträgt der Zinsanspruch gemäß § 327b Abs. 2 AktG 5

Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (so dass eine Verzögerung des Spruchverfahrens durch die

Antragsgegnerseite wirtschaftlich nicht mehr so interessant sein dürfte).

Im Übrigen erreicht die Antragsgegnerseite mit der Beschwerde, dass die "zeitlich konfligierende

Tätigkeit" des Sachverständigen (wie berichtet im Kirch-Großverfahren gegen die Deutsche Bank), die

von ihr zur Begründung des Befangenheitsantrags nachgeschoben worden war, keine Rolle mehr

spielen dürfte.

LG Düsseldorf, Az. 31 O 89/06

OLG Düsseldorf, Az. I-26 W 16/13 AktE (Beschwerde Befangenheitsantrag)

Scholz u.a. ./. Evonik Industries AG (früher: RAG Projektgesellschaft mbH)

Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin: Rechtsanwälte Allen & Overy LLP, 68163

Mannheim

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Aufsatzübersicht zu Spruchverfahren

"OLG-Studie" der SdK beklagt "Nullnummer für Minderheitsaktionäre"

Nullnummer für Minderheitsaktionäre, AnlegerLand 2013, S. 104 – 106 (Sonderheft von AnlegerPlus)

Die Aktionärsvereinigung SdK (Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.) kommt in ihrer im Sonderteil „Schwarzbuch Börse“ dargestellten „OLG-Studie“ zu einem „schwarzen“, sehr pessimistischen Fazit: „Spruchverfahren vor den OLG Stuttgart und Frankfurt stellen sich zunehmend als reine Farce dar.“ Von einer unparteilichen Rechtsprechung könne nicht mehr die Rede sein. Ermessensentscheidungen bei Schätzungen von Abfindungen würden tendenziös ausgeübt. Bereits der Prüfungsbericht sei aufgrund der Parallelprüfung aussageleer (wobei als positives Gegenbeispiel der aufgrund detaillierter Vorgaben enthaltende Bestellungsbeschluss im Spruchverfahren Deutsche Immobilien Holding AG entstandene Prüfungsbericht zitiert wird). Kritisiert wird, dass im Bereich der OLG Stuttgart und Frankfurt im Rahmen von Spruchverfahren in letzter Zeit keine gerichtlichen Gutachter mehr bestellt würden. Durch das „Vertretbarkeitspostulat“ werde nicht mehr konsequent anhand von Tatsachen geprüft, wozu die Hinzuziehung eines gerichtlichen Sachverständigen erforderlich sei. Dies ergebe einerseits interessenbezogene Unternehmensbewertungen mit niedrigen Unternehmenswerten bei Abfindungsfällen und andererseits einen unrealistisch hohen Unternehmenswert in Verschmelzungsfällen (wobei als abschreckendes Beispiel die Entscheidung des OLG Stuttgart zur Verschmelzung IWKA/Ex-Cell-O genannt wird). Die niedrigen Unternehmenswerte ließen sich vor allem auf die verwendete Marktrisikoprämie und den angesetzten Wachstumsabschlag zurückführen. Die von den OLG auf 5,5% geschätzte Marktrisikoprämie beruhe auf einer Studie von Stehle für einen einzigen Zeitraum (1955 – 2003). Alle Annahmen der Studie von Stehle seien jedoch falsifiziert, was von den Antragstellern auch vorgetragen worden sei. Beim Wachstumsabschlag sei das OLG Stuttgart von höchstens 1 % ausgegangen, das OLG Frankfurt von 0,5 % bis 1,5 %, wobei jeweils davon ausgegangen worden sei, dass die Wachstumsrate unter der geschätzten Inflationsrate liege. Diese Annahme der unvollständigen Überwälzung von Preissteigerungen stützte sich ebenfalls nur auf eine interessenbezogene Untersuchung, die von aktuellen empirischen Untersuchungen als für kapitalmarktorientierte Unternehmen nicht zutreffend widerlegt werde. Auch sei das Gewinnwachstum branchenbezogen völlig unterschiedlich. Der Umstand, dass die OLG die Richtigkeit im Sinne einer Vertretbarkeit nicht aus den empirischen Ergebnissen der Wirtschaftswissenschaft ableiteten, sondern aus ihren früheren Urteile, sei eine „Fehlerfortpflanzung“. Die Ergebnisse einer Unternehmensbewertung nach dem Ertragswertverfahren könnten nur dann akzeptiert werden, wenn diese konsistent zu anderen Methoden der Unternehmensbewertung seien (vgl. „Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung“). In keiner der untersuchten OLG-Entscheidungen habe sich das Gericht mit alternativen Verfahren, wie etwa mulitiplikatorbasierte Verfahren (Kaufpreise vergleichbarer Transaktionen) auseinandergesetzt, obwohl von Antragstellern darauf hingewiesen.

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In die Plausibilitätsbeurteilung sei auch die Verfassung des Kapitalmarktes nicht eingeflossen (8 der 16 untersuchten Spruchverfahren betrafen den Zeitraum 2002 bis 2004 mit besonders niedrigen Kursen). Im verfahren Carl Schenck AG habe das OLG eine Erhöhung des Wachstumsabschlags auf 1,75 % als nicht plausibel abgelehnt, weil dann der Ertragwert um 50% über dem Börsenkurs gelegen hätte. Andererseits würden geringfügige Abweichungen (laut OLG Stuttgart bis zu 10 %) keine Unangemessenheit begründen, so dass es unter dem Vertretbarkeitspostulat so gut wie nie eine Erhöhung geben könne: Entweder sei die Abweichung zu gering oder würde bei größeren Abweichungen als nicht plausibel angesehen.

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