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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015 SpruchZ 2015 Seite 316 Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten Nr. 16/2015 vom 14. September 2015 ISSN 2195-7274 Inhaltsübersicht Neuregelung des Delistings: Karami/Schuster, Empirische Analyse des Kurs- und Liquiditätseffekts auf die Ankündigung eines Börsenrückzugs im "FRoSTA"-Zeitalter, S. 317 Delisting: Effecten-Spiegel AG warnt vor Ausverkauf der deutschen Wirtschaft, S. 318 Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen S. 319 Swarco Taffic Holding AG, Forst Ebnath AG Abgeschlossene Spruchverfahren S. 321 Bayer Schering Pharma AG (Squeeze-out und Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag) Bemerkenswerte Befundevon Prof. Knoll Fall 6: Ouvertüre zum Beta-Faktor, S. 333 Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ ). Sie erscheint jeweils nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber: [email protected] Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen. Spruchverfahren aktuell

Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 16/2015

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Page 1: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 16/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 316

Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten

Nr. 16/2015 vom 14. September 2015 ISSN 2195-7274

Inhaltsübersicht

Neuregelung des Delistings:

Karami/Schuster, Empirische Analyse des Kurs- und Liquiditätseffekts auf die Ankündigung eines Börsenrückzugs im "FRoSTA"-Zeitalter, S. 317

Delisting: Effecten-Spiegel AG warnt vor Ausverkauf der deutschen Wirtschaft, S. 318

Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen S. 319

Swarco Taffic Holding AG, Forst Ebnath AG

Abgeschlossene Spruchverfahren S. 321

Bayer Schering Pharma AG (Squeeze-out und Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag)

„Bemerkenswerte Befunde“ von Prof. Knoll Fall 6: Ouvertüre zum Beta-Faktor, S. 333

Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt

und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils

nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an

den Herausgeber: [email protected]

Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine

umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen.

Spruchverfahren aktuell

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 317

Neuregelung des Delistings

Karami/Schuster, Empirische Analyse des Kurs- und Liquiditätseffekts auf die Ankündigung eines Börsenrückzugs im "FRoSTA"-Zeitalter

bk - Die rund 67 Seiten umfassende empirische Studie von Karami/Schuster untersucht im Lichte der

umstrittenen „FRoSTA“-Rechtsprechung des BGH - soweit ersichtlich - erstmals auf wissenschaftlich

fundierter Grundlage die Aktienkursreaktion und Liquiditätswirkung bei 70 deutschen Aktien-

gesellschaften, die im Nachgang an die vorgenannte Entscheidung ein (partielles) Delisting oder ein

Downlisting am deutschen Aktienmarkt angekündigt und teilweise bereits vollzogen haben.

Es wird festgestellt, dass die Ankündigungen regelmäßig mit einer negativen Kursreaktion verbunden

sind. Dabei scheint der Streubesitzanteil einen Einfluss auf die Kursreaktion auszuüben. Darüber

hinaus offenbaren die Ergebnisse der Liquiditätsanalyse, dass die analysierten Unternehmen bereits

vor Ankündigung eine vergleichsweise geringe Aktienliquidität aufweisen. Wenngleich sich einzelne

Liquiditätskennzahlen nach Ankündigung verschlechtern, sind die Ergebnisse nicht ausreichend, um

von einem systematischen negativen Einfluss der Ankündigung auf die Aktienliquidität innerhalb des

Zeitraums bis zur Wirksamkeit der Maßnahme (bei einem Downlisting auch darüber hinaus)

auszugehen. Ferner kann belegt werden, dass die Aktienliquidität, operationalisiert durch die relative

Geld-Brief-Spanne, im Vorfeld der Ankündigung vom Anteil der Handelstage, von der

Aktienkursvolatilität sowie vom Streubesitzanteil geprägt wird.

Vor dem Hintergrund der aktuellen rechtspolitischen Diskussion zu diesem Themenkomplex sollte

nach Auffassung der Autoren ein ökonomisch begründeter und ausgewogener Anlegerschutz nicht

lediglich an die Eigenschaft der Börsennotierung i.S.d. § 3 Abs. 2 AktG anknüpfen, sondern auch und

vor allem Unternehmenscharakteristika (z.B. Anteilsbesitzkonzentration) berücksichtigen. Damit

kann einerseits den berechtigten Vermögensinteressen der – ebenfalls im Freiverkehr investierten –

Aktionäre Rechnung getragen werden, andererseits sollten ökonomisch sinnvolle Delisting/

Downlisting (vor allem bei Gesellschaften mit lediglich minimalem Streubesitz und geringer

Aktienliquidität) ohne hohe Austrittskosten zu Lasten der Gesellschaft oder des Hauptaktionärs

möglich sein.

___

Nach Registrierung bei "Bewertung im Recht" ist die Studie abrufbar unter:

http://bewertung-im-recht.de/working-papers/eine-empirische-analyse-des-kurs-und-

liquiditaetseffekts-auf-die-ankuendigung-eines

Page 3: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 16/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 318

Delisting: Effecten-Spiegel AG warnt vor Ausverkauf der deutschen Wirtschaft

Pressemitteilung der Effecten-Spiegel AG

Am 31.08.2015 legte die Große Koalition einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf "zur Umsetzung

der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie" (BT-Drucksachen 18/5010, 18/5272) vor, zu dem

bereits am 07.09.2015 die öffentliche Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages stattfand. Der

völlig überraschend eingebrachte Vorschlag sieht vor, dass für Aktiengesellschaften ein Rückzug von

der Börse (Delisting) nur zulässig ist, wenn gleichzeitig ein Übernahmeangebot zum Erwerb der

außenstehenden Aktien gemacht wird. Als Preis gilt allein der durchschnittliche Börsenkurs der

letzten drei Monate. Eine Unternehmensbewertung auf Grundlage der Ertragswertmethode sowie

die gerichtliche Überprüfung des Abfindungspreises durch ein Spruchverfahren soll es nicht mehr

geben.

Getarnt als scheinbare Verbesserung des Anlegerschutzes entpuppt sich der Regierungsvorschlag bei

genauerem Hinsehen als einer der aggressivsten Angriffe auf die letzten, noch verbliebenen

Minderheitenrechte der Aktionäre.

Während Aktionärsvereinigungen und die SPD harte Kritik an diesem Vorschlag üben, wird er vom

Deutschen Aktieninstitut (DAI) befürwortet. Auf Anfrage der Effecten-Spiegel AG teilte das DAI mit:

"Es ist sinnvoll, den Börsenrückzug wie den Börsengang im Kapitalmarktrecht und nicht im

Aktienrecht zu regeln, da die betroffenen Aktionäre ihre Aktionärsrechte wie z.B. das Recht auf

Dividende auch außerhalb der Börse behalten. Sachgerecht ist es auch, die Abfindungshöhe anhand

des Börsenkurses zu bestimmen. Eine Entschädigung nach dem inneren Wert würde dagegen mit

erheblichen Rechtsunsicherheiten für die Unternehmen einhergehen und lange teure Rechts-

streitigkeiten über die richtige Abfindungshöhe provozieren." Statt die Aktienkultur in Deutschland

zu stärken, lässt sich das Deutsche Aktieninstitut mit dieser Haltung vor den Karren der Lobbyisten

spannen.

Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes würden jedoch nicht nur die Minderheitsaktionäre schutzlos

gestellt, sondern auch die deutsche Wirtschaft. Gerade ausländische Großinvestoren werden in

Zukunft den Druck auf die Minderheitsaktionäre (darunter auch viele Mitarbeiteraktionäre,

Pensionskassen etc.) erhöhen, indem sie bereits im Übernahmeangebot mit einem späteren Delisting

ohne Abfindung drohen. Kleinaktionäre und auch institutionelle Investoren werden so gezwungen,

auch ein unangemessenes Übernahmeangebot anzunehmen und hätten keinerlei Rechtsschutz, eine

wirtschaftlich volle Entschädigung anhand des Ertragswertes zu erhalten. Der Entwurf verstößt damit

gegen das Eigentumsrecht aus Artikel 14 GG. Er ist eine Anleitung dafür, wie künftig Aktionäre billig

aus ertragsstarken deutschen Gesellschaften gedrängt werden können, um diese dann unter Wert zu

übernehmen. In der Konsequenz führt dies zum rabattierten Ausverkauf der deutschen Industrie,

unterstützt vom deutschen Gesetzgeber.

Die Effecten-Spiegel AG hat daher auf ihrer Internetseite www.effecten-spiegel.com ein Muster-

schreiben für Aktionäre eingestellt, um ihren jeweiligen Bundestagsabgeordneten aufzufordern,

gegen diesen Vorschlag zu stimmen.

Page 4: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 16/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 319

Marlis Weidtmann

Vorstand der Effecten-Spiegel AG,

Postfach 102243, 40013 Düsseldorf

Tel. (0211) 683022

Fax (0211) 6912998

E-Mail: [email protected]

_______________

Börsen-Zeitung: "Schwarz-Rot ringt um Delisting"

Zum Bericht: https://www.boersen-zeitung.de/index.php?li=1&artid=2015171003&titel=Schwarz-Rot-ringt-um-Delisting

Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen

Squeeze-out bei der Swarco Traffic Holding AG eingetragen

Die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre auf die Hauptaktionärin, die SWARCO AG mit dem

Sitz in Wattens, Österreich, ist am 8. September 2015 im zuständigen Handelsregister (Amtsgericht

München) eingetragen (und am 9. bzw. 11. September 2015 bekannt gemacht) worden. Die

ordentliche Hauptversammlung der Swarco Traffic Holding AG (früher: M. Tech Technologie und

Beteiligungs AG) hatte am 23. Juli 2015 den Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen eine

Barabfindung in Höhe von EUR 6,66 je Aktie beschlossen. Die Angemessenheit dieses Bar-

abfindungsbetrags wird in einem Spruchverfahren vor dem LG München I überprüft werden.

Der nunmehr von der Hauptaktionärin angebotene Betrag in Höhe von EUR 6,66 liegt deutlich über

dem Übernahmeangebot in Höhe von EUR 4,- im letzten Jahr (siehe hierzu:

http://spruchverfahren.blogspot.de/2014/08/freiwilliges-erwerbsangebot-die.html).

Bereits zuvor war ein Delisting der Swarco Traffic Holding-Aktien beschlossen worden, vgl.

http://spruchverfahren.blogspot.de/2014/04/swarco-traffic-holding-ag-delisting-der.html.

_______________

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 320

Forst Ebnath Aktiengesellschaft: Eintragung des Squeeze out-Beschlusses ins Handelsregister

Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG

Der Beschluss der Hauptversammlung der Forst Ebnath Aktiengesellschaft (nachfolgend: FEAG) vom

4. August 2015 über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre der FEAG auf die

Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Aktiengesellschaft in München (nachfolgend: Munich Re)

als Hauptaktionärin gem. §§ 327a ff. AktG wurde am 14. September 2015 in das Handelsregister der

Gesellschaft eingetragen.

Mit der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister sind kraft Gesetzes alle

Aktien der Minderheitsaktionäre auf Munich Re übergegangen. Einzelheiten zur Auszahlung der

festgesetzten Barabfindung in Höhe von 1.807,00 Euro je auf den Inhaber lautender Stückaktie

werden von Munich Re in Kürze bekannt gegeben; die entsprechende Bekanntmachung wird im

Bundesanzeiger erfolgen.

Die Börsennotierung der Aktien der FEAG wird voraussichtlich in den nächsten Tagen eingestellt

werden. Der bis dahin noch stattfindende Börsenhandel ist ein Handel nur mit den

Barabfindungsansprüchen der Minderheitsaktionäre. Ab der Eintragung des Über-

tragungsbeschlusses in das Handelsregister verbriefen die in den Depots von Minderheitsaktionären

noch verbuchten Aktien der FEAG lediglich die genannten Barabfindungsansprüche.

Ebnath, den 14. September 2015

Der Vorstand

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 321

Abgeschlossene Spruchverfahren

Vergleichsweise Beendigung des Spruchverfahrens zum Squeeze-out bei der

Bayer Schering Pharma Aktiengesellschaft

Landgericht Berlin 102 O 250/08 AktG

V e r g l e i c h

zur Beendigung des Spruchverfahrens im Zusammenhang mit dem Ausschluss

der ehemaligen Minderheitsaktionäre der Schering AG

zwischen

1. - 159. (...)

- Antragsteller -

160. Rechtsanwalt Dr. Christoph Regierer, (…), Berlin

- als Vertreter der außenstehenden Aktionäre -

und

Bayer AG (vormals Bayer Schering GmbH),

(...), Leverkusen

Prozessbevollmächtige:

Rechtsanwälte Hengeler Mueller, (...), Düsseldorf

- Antragsgegnerin -

Die Antragsteller, der gemeinsame Vertreter und die Antragsgegnerin werden gemeinsam als

"Parteien" bezeichnet.

Präambel

Die Dritte BV GmbH, die später in Bayer Schering GmbH umfirmiert und dann auf die Bayer AG

verschmolzen wurde ("Antragsgegnerin"), schloss am 31. Juli 2006 mit der ehemaligen Schering AG

einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Antragsgegnerin als herrschendem

Unternehmen und der Schering AG als abhängiger Gesellschaft. Diesem Vertrag stimmte die

Hauptversammlung der Schering AG am 13. September 2006 zu. Der Zustimmungsbeschluss wurde

am 27. Oktober 2006 in das Handelsregister der Schering AG eingetragen, der Beherrschungs- und

Gewinnabführungsvertrag wurde damit wirksam.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 322

In dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag verpflichtete sich die Antragsgegnerin gemäß

§ 305 AktG, auf Verlangen außenstehender Aktionäre der Schering AG deren Aktien gegen eine

Barabfindung von EUR 89,00 je Stückaktie zu erwerben. Entsprechend dem von der Bundesanstalt für

Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemäß WpÜG-Angebotsverordnung zum 13. September 2006

ermittelten gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der letzten drei Monate vor der

Hauptversammlung erhöhte die Antragsgegnerin die im BGAV festgesetzte Abfindung wenige Tage

nach der Hauptversammlung auf EUR 89,36. Seitdem bietet sie allen ehemaligen außenstehenden

Aktionären der Schering AG an, ihre Aktien gegen eine Barabfindung in Höhe von EUR 89,36 je

Stückaktie zu erwerben ("BGV-Abfindungsangebot"). Das Abfindungsangebot ist nach § 305 Abs. 4

Satz 3 AktG befristet. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin denjenigen Aktionären, die von dem

Abfindungsangebot keinen Gebrauch machen wollten, für die Dauer des Vertrages gemäß § 304 AktG

eine Ausgleichszahlung in Höhe von EUR 4,60 (brutto) und EUR 3,62 (netto) für jedes volle

Geschäftsjahr angeboten.

Am 17. Januar 2007 beschloss die Hauptversammlung der Schering AG die Übertragung der Aktien

der Minderheitsaktionäre der Gesellschaft auf die Bayer AG gemäß §§ 327a ff. AktG gegen

Gewährung einer Barabfindung in Höhe von EUR 98,98 je Stückaktie der Schering AG

("Übertragungsbeschluss"). Der Übertragungsbeschluss wurde am 25. September 2008 in das

Handelsregister der Schering AG eingetragen und damit wirksam.

Ehemalige Minderheitsaktionäre der Schering AG haben ein Spruchverfahren zur Überprüfung der

Angemessenheit der Barabfindung beim Minderheitsausschluss eingeleitet, das beim Landgericht

Berlin (102 O 250/08 AktG) anhängig ist.

Zudem beantragten ehemalige Aktionäre der Schering AG die gerichtliche Überprüfung der

Angemessenheit von Ausgleich und Abfindung im Rahmen des Beherrschungs- und

Gewinnabführungsvertrages. Das Landgericht Berlin (102 O 134/06 AktG) hat mit Beschluss vom

23. April 2013 die Barabfindung nach § 305 AktG auf EUR 124,65 je Stückaktie und den Ausgleich

gemäß § 304 AktG auf EUR 6,49 (brutto), entsprechend einem Nettobetrag von EUR 5,11 zzgl.

Solidaritätszuschlag und Körperschaftsteuer, je Stückaktie festgesetzt. Gegen diesen Beschluss haben

die Antragsgegnerin Beschwerde sowie einige Aktionäre Beschwerde bzw. Anschlussbeschwerde

eingelegt. Diese liegen nunmehr dem Kammergericht Berlin (2 W 127/13) zur Prüfung und Ent-

scheidung vor.

Die Parteien sind übereingekommen, beide Spruchverfahren im Wege des gerichtlichen Vergleichs

einvernehmlich zu beenden.

Dies vorausgeschickt vereinbaren die Parteien – unter Aufrechterhaltung ihrer jeweiligen

Standpunkte in rechtlicher und bewertungsmäßiger Sicht – auf Anraten und Empfehlung des Gerichts

im Einzelnen was folgt:

§ 1 Erhöhung der Barabfindung

(1) Die Antragsgegnerin erhöht die im Rahmen des Minderheitsausschlusses ursprünglich auf

EUR 98,98 je Stückaktie festgesetzte Barabfindung nach § 327b Abs. 1 AktG – im Wege eines echten

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 323

Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) – für alle ehemaligen Minderheitsaktionäre der Schering AG,

die infolge des Wirksamwerdens des Übertragungsbeschlusses aus der Gesellschaft ausgeschieden

sind, um EUR 19,02 je Stückaktie ("Erhöhungsbetrag") auf nunmehr EUR 118,00 je Stückaktie der

Schering AG. Der Erhöhungsbetrag wird ab dem 26. September 2008 (erster Tag des Zinslaufs) gemäß

§ 327b Abs. 2 1. Halbs. AktG gesetzlich verzinst, d.h. bis zum 31. August 2009 mit jährlich

2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins gemäß § 247 BGB und ab dem 1. September 2009

mit jährlich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins gemäß § 247 BGB.

(2) Nach diesem Vergleich sind nur diejenigen ehemaligen Minderheitsaktionäre der Schering AG

anspruchsberechtigt, die infolge des Wirksamwerdens des Übertragungsbeschlusses am

25. September 2008 aus der Gesellschaft ausgeschieden sind. Alle anderen ehemaligen Minder-

heitsaktionäre, die infolge der Annahme des BGV-Abfindungsangebots aus der Gesellschaft

ausgeschieden sind, erhalten eine erhöhte Abfindung ausschließlich nach Maßgabe des Vergleichs im

Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit von Abfindung und Ausgleich im Rahmen des

Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages.

(3) Die Abtretung der Ansprüche aus diesem Vergleich an einen Zessionar, der in einem nach dem

12. November 2013 im Bundesanzeiger veröffentlichten Kaufangebot benannt wurde, ist

ausgeschlossen. Dies gilt nicht, soweit die Abtretung auf einem anderen Grund beruht als einem

nach dem 12. November 2013 veröffentlichten Kaufangebot und die Abtretung spätestens einen

Monat nach Bekanntmachung des Vergleichs gemäß § 3 der Antragsgegnerin schriftlich unter

Vorlage von Unterlagen, die den fehlenden Zusammenhang mit einem öffentlichen Kaufangebot

nach dem 12. November 2013 zweifelsfrei erkennen lassen, angezeigt wird.

(4) Die Ansprüche auf Zahlung des Erhöhungsbetrags erlöschen sechs Monate nach dem Tag, an

dem die Abwicklungshinweise gemäß § 3 bekannt gemacht wurden, soweit die Ansprüche nicht im

Einklang mit Abs. 5 geltend gemacht worden sind. In diesem Fall verjähren die Ansprüche zwölf

Monate nach Bekanntmachung der Abwicklungshinweise gemäß § 3.

(5) Nach Abs. 2 berechtigte Aktionäre, die den Erhöhungsbetrag nicht spätestens drei Monate

nach Bekanntmachung der Abwicklungshinweise gemäß § 3 erhalten haben, werden gebeten, ihren

Anspruch auf Zahlung des Erhöhungsbetrags bei der zentralen Abwicklungsstelle gemäß § 2 Abs. 1

geltend zu machen.

§ 2 Zahlung des Erhöhungsbetrages

(1) Mit der Zahlung des Erhöhungsbetrags wird die Commerzbank AG oder ein anderes von der

Antragsgegnerin zu bestimmendes Kreditinstitut als zentrale Abwicklungsstelle beauftragt ("zentrale

Abwicklungsstelle"). Details zur zentralen Abwicklungsstelle und ihre genaue Postadresse werden in

den Abwicklungshinweisen gemäß § 3 veröffentlicht.

(2) Die im Zusammenhang mit der Zahlung des Erhöhungsbetrages anfallenden Spesen,

Provisionen und Kosten trägt die Antragsgegnerin bis zu einem Betrag von EUR 5,- je berechtigten

Minderheitsaktionär.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 324

(3) Der Erhöhungsbetrag wird drei Monate nach Bekanntmachung der Abwicklungshinweise

gemäß § 3 zur Zahlung fällig und den berechtigten Minderheitsaktionären, soweit möglich, ohne

Weiteres bankmäßig gutgeschrieben.

§ 3 Bekanntmachung

Die Antragsgegnerin verpflichtet sich, diesen Vergleich und Hinweise zu seiner Abwicklung

("Abwicklungshinweise") im Bundesanzeiger, in einem börsentäglich erscheinenden

Börsenpflichtblatt (nicht jedoch im Druckerzeugnis "Frankfurter Allgemeine Zeitung") und auf der

Internetplattform GSC Research AG – auf ihre Kosten – unverzüglich mit Wirksamkeit dieses

Vergleichs zu veröffentlichen.

§ 4 Wirkung des Vergleichs

(1) Mit der Erfüllung dieses Vergleichs sind sämtliche Ansprüche der aus diesem Vergleich

berechtigten Minderheitsaktionäre der Schering AG im Zusammenhang mit dem

Minderheitsausschluss, gleich welcher Art und gleich welchen Rechtsgrundes, – insbesondere auf

Barabfindung – und mit diesem Spruchverfahren insgesamt abgegolten und erledigt. Dies gilt auch

für etwaige Ansprüche auf Verzinsung des Erhöhungsbetrages.

(2) Der Vergleich wird mit seiner gerichtlichen Protokollierung oder Feststellung gemäß § 11

Abs. 4 Satz 2 SpruchG wirksam, aber nur zusammen mit dem Vergleich zur Beendigung des

Spruchverfahrens über die Angemessenheit von Abfindung und Ausgleich im Rahmen des

Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages vor dem Kammergericht Berlin (2 W 127/13).

(3) Mit Wirksamwerden des Vergleichs ist dieses Spruchverfahren beendet. Die Antragsteller, der

gemeinsame Vertreter und die Antragsgegnerin sind sich einig, dass dieser Vergleich hilfsweise als

außergerichtlicher Vergleich wirksam sein soll. Für diesen Fall erklären die Antragsteller und die

Antragsgegnerin das Spruchverfahren hiermit übereinstimmend für erledigt und nehmen vorsorglich

sämtliche Verfahrensanträge zurück. Der gemeinsame Vertreter stimmt den Erledigungserklärungen

durch die Antragsteller und die Antragsgegnerin sowie der vorsorglichen Rücknahme sämtlicher

Verfahrensanträge zu und verzichtet gegenüber dem Gericht unwiderruflich auf das Recht zur

Fortführung des Verfahrens.

§ 5 Kosten

(1) Die Antragsgegnerin trägt neben ihren eigenen außergerichtlichen Kosten die Gerichtskosten,

einschließlich der Kosten des gemeinsamen Vertreters, die außergerichtlichen Kosten sowie die

Kosten dieses Vergleichs nach Maßgabe dieses § 5.

(2) Die Antragsgegnerin erstattet jedem Antragsteller außergerichtliche Kosten abschließend in

Höhe von pauschal EUR 7.500,- zzgl. MwSt, soweit diese anfällt.

(3) Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des gemeinsamen Vertreters erfolgt aus einem

Gegenstandswert von EUR 7,5 Mio. gemäß der gesetzlichen Regelung. Danach erhält der

gemeinsame Vertreter die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum

Page 10: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 16/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 325

RVG), die Terminsgebühr (Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum RVG) sowie die

Einigungsgebühr (Nr. 1003 des Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum RVG). Daneben hat der

gemeinsame Vertreter Anspruch auf den Ersatz seiner Auslagen (Nr. 7000 ff. des

Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum RVG).

(4) Kostenrechnungen der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller und des gemeinsamen

Vertreters sind (mit Angabe der Bankverbindung, einer Erklärung, ob der Antragsteller zum

Vorsteuerabzug berechtigt ist, und ggf. Rechnungsnummer und Umsatzsteuernummer) unter Angabe

der Kostenstelle UI20658020 und der Stichworte "Erstattung außergerichtliche Kosten für Schering-

Vergleichsverfahren" an die Bayer Aktiengesellschaft, Rechtsabteilung (Gebäude Q 26, Raum 1.008),

51368 Leverkusen, zu adressieren. Die nicht anwaltlich vertretenen Antragsteller richten ein

Anforderungsschreiben über die Kostenerstattung an die vorgenannte Stelle.

(5) Die Kostenerstattungsansprüche werden mit Bekanntmachung der Abwicklungshinweise

gemäß § 3 und Zugang der Kostenrechnung bzw. des Anforderungsschreibens gemäß vorstehendem

Absatz 4 bei der Antragsgegnerin fällig. Sie erlöschen innerhalb von sechs Monaten nach

Bekanntmachung der Abwicklungshinweise gemäß § 3, es sei denn, die Kostenrechnung ist innerhalb

dieser Frist und gemäß den Anforderungen des Abs. 4 der Antragsgegnerin zugegangen. In diesem

Fall verjähren die Kostenerstattungsansprüche zwölf Monate nach Bekanntmachung der

Abwicklungshinweise gemäß § 3. Mit der Erfüllung der Kostenerstattungsansprüche gemäß diesem

§ 5 sind alle wechselseitigen Auslagen- und Kostenerstattungsansprüche der Beteiligten erledigt. Mit

Erfüllung der Kostenerstattungsansprüche sind auch alle etwaigen sonstigen Ansprüche der Antrag-

steller und der vom gemeinsamen Vertreter vertretenen Aktionäre aus § 327b Abs. 2, letzter

Halbsatz AktG abgegolten. Die Antragsteller und der gemeinsame Vertreter verzichten auf die

Durchführung eines Kostenfestsetzungsverfahrens.

§ 6 Sonstiges

(1) Die Antragsgegnerin verpflichtet sich, alle ehemaligen Minderheitsaktionäre der Schering AG,

die gemäß § 1 dieses Vergleichs anspruchsberechtigt sind, gleichzustellen, soweit sie außerhalb

dieses Vergleichs zur Erledigung des Spruchverfahrens mit einem Antragsteller oder einem

außenstehenden Aktionär günstigere Bedingungen als in diesem Vergleich vereinbart hat oder

vereinbaren wird.

(2) Änderungen und Ergänzungen dieses Vergleichs einschließlich dieser Klausel bedürfen der

Schriftform.

(3) Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vergleichs ganz oder teilweise unwirksam oder

undurchführbar sein oder werden, oder sollte sich bei Durchführung dieses Vergleichs herausstellen,

dass dieser eine Lücke enthält, so bleibt die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen dieses

Vergleichs hiervon unberührt. Anstelle der unwirksamen, undurchführbaren oder fehlenden

Bestimmung dieses Vergleichs soll eine solche angemessene oder rechtlich gültige Bestimmung

treten, wie sie die Beteiligten vernünftigerweise vereinbart hätten und die wirtschaftlich demjenigen

nahekommt, was die Beteiligten bei Abschluss dieses Vergleichs vereinbart hätten, wenn sie den

nunmehr infrage stehenden Punkt bedacht hätten.

Page 11: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 16/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 326

(4) Der Vergleich und seine Auslegung unterliegen dem Recht der Bundesrepublik Deutschland

unter Ausschluss des internationalen Privatrechts. Für sämtliche Streitigkeiten aus oder im

Zusammenhang mit diesem Vergleich oder seiner Gültigkeit ist ausschließlich das Landgericht Berlin

zuständig, soweit gesetzlich zulässig.

Abwicklungshinweise / Technische Abwicklung der Nachbesserung

Als Zentralabwicklungsstelle für die Auszahlung der Nachbesserung fungiert die Commerzbank

Aktiengesellschaft, Kaiserplatz, 60261 Frankfurt am Main (Anschrift: Commerzbank AG, GSMO 4.1.2,

Events Domestic, 60261 Frankfurt am Main).

Nachbesserungsberechtigte ehemalige Minderheitsaktionäre der Bayer Schering Pharma

Aktiengesellschaft (zuvor firmierend als Schering Aktiengesellschaft, ISIN DE0007172009), die nach

wie vor bei dem Kreditinstitut ein Konto unterhalten, über das seinerzeit die ursprüngliche

Barabfindung im Rahmen der Übertragung der Aktien auf die Bayer Schering GmbH (vormals Dritte

BV GmbH) abgewickelt wurde, brauchen hinsichtlich der Gutschrift der Nachbesserung nichts zu

veranlassen.

Nachbesserungsberechtigte ehemalige Minderheitsaktionäre, die zwischenzeitlich ihre Bankver-

bindung gewechselt oder aus sonstigen Gründen bis drei Monate nach Bekanntmachung gemäß § 3

des vorstehend veröffentlichten Vergleichs keine Nachbesserung erhalten haben, werden gebeten,

sich möglichst umgehend an dasjenige Kreditinstitut zu wenden, über welches seinerzeit die ur-

sprüngliche Gegenleistung im Zusammenhang mit der Übertragung der Aktien der

Minderheitsaktionäre der Bayer Schering Pharma Aktiengesellschaft auf die Bayer Schering GmbH

abgewickelt wurde.

Die Vergütung der Nachbesserung in Höhe von Euro 19,02 je Aktie an die ehemaligen

Minderheitsaktionäre der Bayer Schering Pharma Aktiengesellschaft wird ab dem 26. September

2008 bis zum 31. August 2009 mit jährlich 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach

§ 247 BGB und ab dem 1. September 2009 bis zum Tag der Auszahlung der Nachbesserung mit

jährlich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB verzinst. Die Zinsen

gelangen ohne Abzug von Abschlagsteuern zur Auszahlung, sind jedoch einkommensteuerpflichtig.

Im Hinblick auf die persönliche steuerliche Behandlung wird den berechtigten ehemaligen

Minderheitsaktionären der Bayer Schering Pharma Aktiengesellschaft empfohlen, ihren steuerlichen

Berater zu konsultieren.

Alle Zahlungen im Rahmen der Nachbesserung sind für die nachbesserungsberechtigten ehemaligen

Minderheitsaktionäre der Bayer Schering Pharma Aktiengesellschaft bis zu einem Betrag von EUR 5,-

je berechtigten Minderheitsaktionär kosten- und provisionsfrei.

im September 2015

Bayer Aktiengesellschaft

Der Vorstand

Page 12: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 16/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 327

Vergleichsweise Beendigung des Spruchverfahrens zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Schering AG

Kammergericht Berlin 2 W 127/13

[Landgericht Berlin 102 O 134/06 AktG]

V e r g l e i c h

zur Beendigung des Spruchverfahrens im Zusammenhang mit dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen

der ehemaligen Schering AG und der Bayer AG (vormals Bayer Schering GmbH und Dritte BV GmbH)

zwischen 1. - 127. (...) - Antragsteller und Beschwerdegegner - sowie 128. Rechtsanwalt Christoph Regierer, c/o Röver Brönner Rechtsanwälte, (...), Berlin - als gemeinsamer Vertreter der außenstehenden Aktionäre und 129. Bayer AG (vormals Bayer Schering GmbH und Dritte BV GmbH), (...), Leverkusen Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Hengeler Mueller, (...), Düsseldorf - Antragsgegnerin, Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin - Die Antragsteller, der gemeinsame Vertreter und die Antragsgegnerin werden gemeinsam als

"Parteien" bezeichnet.

Präambel

Die Dritte BV GmbH, die später in Bayer Schering GmbH umfirmiert und dann auf die Bayer AG

verschmolzen wurde ("Antragsgegnerin"), schloss am 31. Juli 2006 mit der ehemaligen Schering AG

einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Antragsgegnerin als herrschendem

Unternehmen und der Schering AG als abhängiger Gesellschaft. Diesem Vertrag stimmte die

Hauptversammlung der Schering AG am 13. September 2006 zu. Der Zustimmungsbeschluss wurde

am 27. Oktober 2006 in das Handelsregister der Schering AG eingetragen, der Beherrschungs- und

Gewinnabführungsvertrag wurde damit wirksam.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

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In dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag verpflichtete sich die Antragsgegnerin gemäß

§ 305 AktG, auf Verlangen außenstehender Aktionäre der Schering AG deren Aktien gegen eine

Barabfindung von EUR 89,00 je Stückaktie zu erwerben. Entsprechend dem von der Bundesanstalt für

Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemäß WpÜG-Angebotsverordnung zum 13. September 2006

ermittelten gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der letzten drei Monate vor der

Hauptversammlung erhöhte die Antragsgegnerin die im BGAV festgesetzte Abfindung wenige Tage

nach der Hauptversammlung auf EUR 89,36. Seitdem bietet sie allen ehemaligen außenstehenden

Aktionären der Schering AG an, ihre Aktien gegen eine Barabfindung in Höhe von EUR 89,36 je

Stückaktie zu erwerben ("BGV-Abfindungsangebot"). Das Abfindungsangebot ist nach § 305 Abs. 4

Satz 3 AktG befristet. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin denjenigen Aktionären, die von dem

Abfindungsangebot keinen Gebrauch machen wollten, für die Dauer des Vertrages gemäß § 304 AktG

eine Ausgleichszahlung in Höhe von EUR 4,60 (brutto) und EUR 3,62 (netto) für jedes volle

Geschäftsjahr angeboten.

Am 17. Januar 2007 beschloss die Hauptversammlung der Schering AG die Übertragung der Aktien

der Minderheitsaktionäre der Gesellschaft auf die Bayer AG gemäß §§ 327a ff. AktG gegen

Gewährung einer Barabfindung in Höhe von EUR 98,98 je Stückaktie der Schering AG

("Übertragungsbeschluss"). Der Übertragungsbeschluss wurde am 25. September 2008 in das

Handelsregister der Schering AG eingetragen und damit wirksam.

Aktionäre der Schering AG haben die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit von Ausgleich

und Abfindung im Rahmen des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages beantragt. Das

Landgericht Berlin (102 O 134/06 AktG) hat mit Beschluss vom 23. April 2013 die Barabfindung nach

§ 305 AktG auf EUR 124,65 je Stückaktie und den Ausgleich gemäß § 304 AktG auf EUR 6,49 (brutto),

entsprechend einem Nettobetrag von EUR 5,11 zzgl. Solidaritätszuschlag und Körperschaftsteuer, je

Stückaktie festgesetzt. Gegen diesen Beschluss haben die Antragsgegnerin Beschwerde sowie einige

Aktionäre Beschwerde bzw. Anschlussbeschwerde eingelegt. Diese liegen nunmehr dem

Kammergericht Berlin (2 W 127/13) zur Prüfung und Entscheidung vor.

Ein weiteres Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung beim

Minderheitsausschluss ist beim Landgericht Berlin (102 O 250/08 AktG) anhängig. Dieses

Spruchverfahren wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Spruchverfahrens zum

Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ausgesetzt.

Die Parteien sind übereingekommen, beide Spruchverfahren im Wege des gerichtlichen Vergleichs

einvernehmlich zu beenden.

Dies vorausgeschickt vereinbaren die Parteien – unter Aufrechterhaltung ihrer jeweiligen Stand-

punkte in rechtlicher und bewertungsmäßiger Sicht – auf Anraten und Empfehlung des Gerichts im

Einzelnen was folgt:

§ 1 Erhöhung der Barabfindung

(1) Die Antragsgegnerin erhöht die im Rahmen des Beherrschungs- und

Gewinnabführungsvertrages auf EUR 89,36 festgesetzte Barabfindung nach § 305 AktG – im Wege

eines echten Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) – für alle außenstehenden Aktionäre, die das

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

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Abfindungsangebot vor Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses am 25. September 2008

angenommen haben, um EUR 28,64 je Stückaktie ("Erhöhungsbetrag") auf nunmehr EUR 118,00 je

Stückaktie der Schering AG. Der Erhöhungsbetrag wird ab dem 26. September 2008 (erster Tag des

Zinslaufs) gemäß § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG gesetzlich verzinst, d. h. bis zum 31. August 2009 mit

jährlich 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins nach § 247 BGB und ab dem 1. September

2009 mit jährlich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins nach § 247 BGB.

(2) Nach diesem Vergleich sind nur diejenigen außenstehenden Aktionäre anspruchsberechtigt,

die das BGV-Abfindungsangebot vor Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses angenommen

haben und damit aus der Gesellschaft ausgeschieden sind. Alle anderen außenstehenden Aktionäre

sind durch Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses aus der Gesellschaft ausgeschieden und

erhalten eine erhöhte Abfindung ausschließlich nach Maßgabe des Vergleichs im Spruchverfahren

zur Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung beim Minderheitsausschluss.

(3) Die Ausgleichszahlung gemäß § 304 AktG wird nicht erhöht.

(4) Die Abtretung der Ansprüche aus diesem Vergleich an einen Zessionar, der in einem nach dem

12. November 2013 im Bundesanzeiger veröffentlichten Kaufangebot benannt wurde, ist

ausgeschlossen. Dies gilt nicht, soweit die Abtretung auf einem anderen Grund beruht als einem

nach dem 12. November 2013 veröffentlichten Kaufangebot und die Abtretung spätestens einen

Monat nach Bekanntmachung des Vergleichs gemäß § 3 der Antragsgegnerin schriftlich unter

Vorlage von Unterlagen, die den fehlenden Zusammenhang mit einem öffentlichen Kaufangebot

nach dem 12. November 2013 zweifelsfrei erkennen lassen, angezeigt wird.

(5) Die Ansprüche auf Zahlung des Erhöhungsbetrags erlöschen sechs Monate nach dem Tag, an

dem die Abwicklungshinweise gemäß § 3 bekannt gemacht wurden, soweit die Ansprüche nicht im

Einklang mit Abs. 6 geltend gemacht worden sind. In diesem Fall verjähren die Ansprüche zwölf

Monate nach Bekanntmachung der Abwicklungshinweise gemäß § 3.

(6) Nach Abs. 2 berechtigte Aktionäre, die den Erhöhungsbetrag nicht spätestens drei Monate

nach Bekanntmachung der Abwicklungshinweise gemäß § 3 erhalten haben, werden gebeten, ihren

Anspruch auf Zahlung des Erhöhungsbetrags bei der zentralen Abwicklungsstelle gemäß § 2 Abs. 1

geltend zu machen.

§ 2 Zahlung des Erhöhungsbetrages

(1) Mit der Zahlung des Erhöhungsbetrages wird die Commerzbank AG oder ein anderes von der

Antragsgegnerin zu bestimmendes Kreditinstitut als zentrale Abwicklungsstelle beauftragt ("zentrale

Abwicklungsstelle"). Details zur zentralen Abwicklungsstelle und ihre genaue Postadresse werden in

den Abwicklungshinweisen gemäß § 3 veröffentlicht.

(2) Die im Zusammenhang mit der Zahlung des Erhöhungsbetrages anfallenden Spesen,

Provisionen und Kosten trägt die Antragsgegnerin bis zu einem Betrag von EUR 15,- je berechtigten

außenstehenden Aktionär.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 330

(3) Der Erhöhungsbetrag wird drei Monate nach Bekanntmachung der Abwicklungshinweise

gemäß § 3 zur Zahlung fällig und berechtigten Aktionären, soweit möglich, ohne Weiteres bankmäßig

gutgeschrieben.

§ 3 Bekanntmachung

Die Antragsgegnerin verpflichtet sich, diesen Vergleich und Hinweise zu seiner Abwicklung

("Abwicklungshinweise") im Bundesanzeiger, in einem börsentäglich erscheinenden

Börsenpflichtblatt (nicht jedoch im Druckerzeugnis "Frankfurter Allgemeine Zeitung") und auf der

Internetplattform GSC Research AG – auf ihre Kosten – unverzüglich mit Wirksamkeit dieses

Vergleichs zu veröffentlichen.

§ 4 Wirkung des Vergleichs

(1) Mit der Erfüllung dieses Vergleichs sind sämtliche Ansprüche der aus diesem Vergleich

berechtigten außenstehenden Aktionäre der Schering AG im Zusammenhang mit dem

Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, gleich welcher Art und gleich welchen

Rechtsgrundes, – insbesondere auf Abfindung und Ausgleich – und mit diesem Spruchverfahren

insgesamt abgegolten und erledigt. Dies gilt auch für etwaige Ansprüche auf Verzinsung des

Erhöhungsbetrages.

(2) Der Vergleich wird mit seiner gerichtlichen Protokollierung oder Feststellung gemäß § 11

Abs. 4 Satz 2 SpruchG wirksam, aber nur zusammen mit dem Vergleich zur Beendigung des

Spruchverfahrens über die Angemessenheit der Barabfindung beim Minderheitsausschluss vor dem

Landgericht Berlin (102 O 250/08 AktG).

(3) Mit Wirksamwerden des Vergleichs ist dieses Spruchverfahren beendet, und die Festsetzung

von Abfindung und Ausgleich durch das Landgericht Berlin im Beschluss vom 23. April 2013 ist

gegenstandslos. Die Antragsteller, der gemeinsame Vertreter und die Antragsgegnerin sind sich einig,

dass dieser Vergleich hilfsweise als außergerichtlicher Vergleich wirksam sein soll. Für diesen Fall

erklären die Antragsteller und die Antragsgegnerin das Spruchverfahren hiermit übereinstimmend

für erledigt und nehmen vorsorglich sämtliche Verfahrensanträge zurück. Der gemeinsame Vertreter

stimmt den Erledigungserklärungen durch die Antragsteller und die Antragsgegnerin sowie der

vorsorglichen Rücknahme sämtlicher Verfahrensanträge zu und verzichtet gegenüber dem Gericht

unwiderruflich auf das Recht zur Fortführung des Verfahrens.

§ 5 Kosten

(1) Die Antragsgegnerin trägt neben ihren eigenen außergerichtlichen Kosten die Gerichtskosten

einschließlich der Kosten des gerichtlich bestellten Sachverständigen und des gemeinsamen

Vertreters, die außergerichtlichen Kosten sowie die Kosten dieses Vergleichs nach Maßgabe dieses

§ 5.

(2) Die Antragsgegnerin erstattet jedem Antragsteller außergerichtliche Kosten abschließend in

Höhe von pauschal EUR 7.500,- zzgl. MwSt, soweit diese anfällt.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

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(3) Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des gemeinsamen Vertreters erfolgt aus einem

Gegenstandswert von EUR 7,5 Mio. gemäß der gesetzlichen Regelung. Danach erhält der

gemeinsame Vertreter für die erste Instanz die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 des

Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum RVG) und die Terminsgebühr (Nr. 3104 des Vergütungs-

verzeichnisses, Anlage 1 zum RVG). Für die zweite Instanz (Beschwerdeverfahren) erhält der

gemeinsame Vertreter die Verfahrensgebühr (Nr. 3500 des Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum

RVG), die Terminsgebühr (Nr. 3513 des Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum RVG) sowie die

Einigungsgebühr (Nr. 1003 des Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum RVG). Daneben hat der ge-

meinsame Vertreter Anspruch auf den Ersatz seiner Auslagen (Nr. 7000 ff. des Vergütungs-

verzeichnisses, Anlage 1 zum RVG).

(4) Kostenrechnungen der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller und des gemeinsamen

Vertreters sind (mit Angabe der Bankverbindung, einer Erklärung, ob der Antragsteller zum

Vorsteuerabzug berechtigt ist, und ggf. Rechnungsnummer und Umsatzsteuernummer) unter Angabe

der Kostenstelle UI20658020 und der Stichworte "Erstattung außergerichtliche Kosten für Schering-

Vergleichsverfahren" an die Bayer Aktiengesellschaft, Rechtsabteilung (Gebäude Q 26, Raum 1.008),

51368 Leverkusen, zu adressieren. Die nicht anwaltlich vertretenen Antragsteller richten ein

Anforderungsschreiben über die Kostenerstattung an die vorgenannte Stelle.

(5) Die Kostenerstattungsansprüche werden mit Bekanntmachung der Abwicklungshinweise

gemäß § 3 und Zugang der Kostenrechnung bzw. des Anforderungsschreibens gemäß vorstehendem

Absatz 4 bei der Antragsgegnerin fällig. Sie erlöschen innerhalb von sechs Monaten nach

Bekanntmachung der Abwicklungshinweise gemäß § 3, es sei denn, die Kostenrechnung ist innerhalb

dieser Frist und gemäß den Anforderungen des Abs. 4 der Antragsgegnerin zugegangen. In diesem

Fall verjähren die Kostenerstattungsansprüche zwölf Monate nach Bekanntmachung der

Abwicklungshinweise gemäß § 3. Mit der Erfüllung der Kostenerstattungsansprüche gemäß diesem

§ 5 sind alle wechselseitigen Auslagen- und Kostenerstattungsansprüche der Beteiligten erledigt. Mit

Erfüllung der Kostenerstattungsansprüche sind auch alle etwaigen sonstigen Ansprüche der

Antragsteller und der vom gemeinsamen Vertreter vertretenen Aktionäre aus § 327b Abs. 2, letzter

Halbsatz AktG abgegolten. Die Antragsteller und der gemeinsame Vertreter verzichten auf die

Durchführung eines Kostenfestsetzungsverfahrens.

§ 6 Sonstiges

(1) Die Antragsgegnerin verpflichtet sich, alle ehemaligen außenstehenden Aktionäre der Schering

AG, die gemäß § 1 dieses Vergleichs anspruchsberechtigt sind, gleichzustellen, soweit sie außerhalb

dieses Vergleichs zur Erledigung des Spruchverfahrens mit einem Antragsteller oder einem

außenstehenden Aktionär günstigere Bedingungen als in diesem Vergleich vereinbart hat oder

vereinbaren wird.

(2) Änderungen und Ergänzungen dieses Vergleichs einschließlich dieser Klausel bedürfen der

Schriftform.

(3) Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vergleichs ganz oder teilweise unwirksam oder

undurchführbar sein oder werden, oder sollte sich bei Durchführung dieses Vergleichs herausstellen,

dass dieser eine Lücke enthält, so bleibt die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen dieses

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 332

Vergleichs hiervon unberührt. Anstelle der unwirksamen, undurchführbaren oder fehlenden

Bestimmung dieses Vergleichs soll eine solche angemessene oder rechtlich gültige Bestimmung

treten, wie sie die Beteiligten vernünftigerweise vereinbart hätten und die wirtschaftlich demjenigen

nahekommt, was die Beteiligten bei Abschluss dieses Vergleichs vereinbart hätten, wenn sie den

nunmehr infrage stehenden Punkt bedacht hätten.

(4) Der Vergleich und seine Auslegung unterliegen dem Recht der Bundesrepublik Deutschland

unter Ausschluss des internationalen Privatrechts. Für sämtliche Streitigkeiten aus oder im

Zusammenhang mit diesem Vergleich oder seiner Gültigkeit ist ausschließlich das Landgericht Berlin

zuständig, soweit gesetzlich zulässig.

Abwicklungshinweise / Technische Abwicklung der Nachbesserung

Als Zentralabwicklungsstelle für die Auszahlung der Nachbesserung fungiert die Commerzbank

Aktiengesellschaft, Kaiserplatz, 60261 Frankfurt am Main (Anschrift: Commerzbank AG, GSMO 4.1.2,

Events Domestic, 60261 Frankfurt am Main).

Nachbesserungsberechtigte ehemalige Aktionäre der Schering Aktiengesellschaft (ISIN

DE0007172009), die nach wie vor bei dem Kreditinstitut ein Konto unterhalten, über das seinerzeit

die ursprüngliche Barabfindung im Rahmen des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages der

Bayer Schering GmbH (vormals Dritte BV GmbH) mit der Schering Aktiengesellschaft („BGAV“)

abgewickelt wurde, brauchen hinsichtlich der Gutschrift der Nachbesserung nichts zu veranlassen.

Nachbesserungsberechtigte ehemalige Aktionäre, die zwischenzeitlich ihre Bankverbindung

gewechselt oder aus sonstigen Gründen bis drei Monate nach Bekanntmachung gemäß § 3 des

vorstehend veröffentlichten Vergleichs keine Nachbesserung erhalten haben, werden gebeten, sich

möglichst umgehend an dasjenige Kreditinstitut zu wenden, über welches seinerzeit die

ursprüngliche Barabfindung im Zusammenhang mit dem BGAV abgewickelt wurde.

Die Vergütung der Nachbesserung in Höhe von Euro 28,64 je Schering AG-Aktie an die ehemaligen

Aktionäre der Schering Aktiengesellschaft wird ab dem 26. September 2008 bis zum 31. August 2009

mit jährlich 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB und ab dem

1. September 2009 bis zum Tag der Auszahlung der Nachbesserung mit jährlich 5 Prozentpunkten

über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB verzinst. Die Zinsen gelangen ohne Abzug von

Abschlagsteuern zur Auszahlung, sind jedoch einkommensteuerpflichtig. Im Hinblick auf die

persönliche steuerliche Behandlung wird den berechtigten ehemaligen Aktionären der Schering

Aktiengesellschaft empfohlen, ihren steuerlichen Berater zu konsultieren.

Alle Zahlungen im Rahmen der Nachbesserung sind für die nachbesserungsberechtigten ehemaligen

Aktionäre der Schering Aktiengesellschaft bis zu einem Betrag von EUR 15,- je berechtigten

außenstehenden Aktionär kosten- und provisionsfrei.

im September 2015

Bayer Aktiengesellschaft

Der Vorstand

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 333

Bemerkenswerte Befunde © Prof. Dr. Leonhard Knoll

Bemerkenswerte Befunde - Fall 6:

Ouvertüre zum Beta-Faktor

Bei den letzten Fällen haben wir gesehen, dass eine theoriegeleitete Bewertung ungeahnte

Fallstricke aufweisen kann. Wer dies als mathematische Spitzfindigkeit abtun wollte, würde

übersehen, dass es hier eben nicht um Spitzfindigkeiten, sondern um die Basis der Werkzeuge geht,

mit denen man arbeitet: Man kann keinen Düsenjet mit Heizöl fliegen! Im Gegensatz zur Fliegerei

bleibt man in der Unternehmensbewertung indessen nicht einfach liegen, wenn man sich

vergleichbar verhält, sondern kann immer noch „abheben“, weil der Erfolg von Bewertungen nicht

durch anonyme Naturgesetze, sondern durch die Akzeptanz bei Personen bzw. von Personen be-

setzten Institutionen bestimmt ist.

„Schäden“ in Form von Bewertungsfehlern sind dann natürlich unvermeidlich. Nun könnte man

einwenden, dass dabei ein Nullsummenspiel hinsichtlich der Bewertungsadressaten vorliegt, so dass

die Sache wenig Bedeutung hat, aber warum steckt man dann überhaupt so viel Mühe in die

Unternehmensbewertung? Dazu ließe sich Einiges sagen, aber diese Zeitschrift befasst sich mit

Spruchverfahren und hier sind nicht nur die Schäden an sich bedenklich, sondern noch mehr ist es

die Verteilung ihrer Konsequenzen: Fast immer kommt es zu Unterbewertungen und diese

systematische Tendenz wird in ihrer Bedeutung nur noch darin übertroffen, dass mittlerweile eine

Reihe von Stimmen fordert, überhaupt keine Fundamentalbewertung mehr vorzunehmen, sondern

Minderheitsaktionäre einfach auf der Basis eines WpÜG-Kurses vorzunehmen.

Aber lassen wir das und kommen zu unserer heutigen Aufgabenstellung: Die meisten Fälle

methodischer Inkonsistenz findet man bei der Ermittlung des Beta-Faktors. Um dies zu verdeutlichen,

wird in diesem Fall 6 quasi als Ouvertüre exemplarisch auf zwei Bewertungen Bezug genommen, die

beinahe idealtypisch zeigen, welche Absurditäten in diesem Bereich gar nicht so selten vorkommen.

Im Rahmen eines Spruchverfahrens stellte der Gerichtssachverständige in der ersten Instanz u.a. fol-

gende Befunde schriftlich dar:

Peer Group von … Index Raw Beta R2 t-Test

95% / 99%

K… AG C-DAX -0,25 -0,22 + / -

R… AG C-DAX 0,10 0,09 - / -

Daran anschließend bemerkt er:

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

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„Es zeigt sich, dass die ermittelten Betafaktoren der Vergleichsunternehmen der Peer Group

von … (von der Antragsgegnerin beauftragter Bewerter; LK) für die relevante Vergleichs-

periode sämtlich statistisch nicht signifikant sind.“

Zu ergänzen ist dabei, dass die Beta-Ermittlung auf der Basis einer 2-jährigen Referenzperiode und

wöchentlicher Kursintervalle vorgenommen wurde.

a) Kommentieren Sie diese Aussage sowie die für sie angegebenen Befunde des obigen

Tabellenauszugs im Lichte allgemeiner mathematisch-statistischer Zusammenhänge sowie der

folgenden Tabelle, welche die Mindestbestimmtheitsmaße bei einseitigen Tests in Abhängigkeit

von Stichprobengröße und (entsprechend einseitig kalibrierter) Sicherheitswahrscheinlichkeit

zeigt:

n \ Sich.-W. 90,00% 95,00% 97,50% 99,00% 99,50%

52 0,0326 0,0532 0,0747 0,1035 0,1254

104 0,0161 0,0263 0,0372 0,0519 0,0633

Gehen Sie dabei insbesondere darauf ein, inwiefern die Messungsergebnisse des Sachverständigen

zutreffen können und inwiefern er die potenziell zutreffenden Befunde richtig interpretiert.

Als Variation zu diesem Befund wird nachfolgend ein Zitat aus dem Bewertungsgutachten im Rahmen

eines aktuellen österreichischen Squeeze Out hinterfragt. Dort liest man u.a.:

„Als letzten (sic!) Analyseschritt wurde überprüft, ob die statistische Signifikanz (r2;

Bestimmtheitsmaß) bei einem Beobachtungszeitraum von 2 Jahren und der Regression

wöchentlicher Renditen gegen den größten lokalen Index über 20% liegt.“

b) Kommentieren Sie dieses Zitat im Hinblick auf die verwendeten statistischen Begriffe sowie

Daten und zeigen Sie – auch unter Verwendung der Tabelle aus Teil a) – die Konsequenz auf, die

sich aus einer Forderung eines r2 von mehr als 20% ergibt.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

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Lösungen:

a) Ein negatives R2 ist unmöglich, weshalb sich für das Beta der K… AG jeder weitere Kommentar

erübrigt.

Der Betafaktor der R… AG ist hinsichtlich des R2 dagegen durchaus möglich, allerdings widerspricht

die Signifikanzaussage der abgedruckten Tabelle der Aufgabenstellung. Selbst wenn man

unangemessener Weise anstatt des einseitigen den zweiseitigen t-Test vornehmen würde und dann

wegen der Symmetrieeigenschaft der t-Verteilung für das 95%-Niveau den abgedruckten Wert für

97,5% heranziehen müsste sowie für das 99%-Niveau den Wert für 99,5%, wären bei 104

Wochenrenditen für die zwei Jahre 0,09 noch deutlich über den geforderten 0,0633.

Was schließlich die durchgängig fehlende Signifikanz trotz des „+“-Zeichens betrifft, kann sich der

Sachverständige allenfalls auf die Irrelevanz dieses Befunds wegen des monierten negativen R2

berufen, um den inneren Widerspruch zu umgehen!

b) „Statistische Signifikanz“ betrifft das Irrtums- bzw. komplementär formuliert Sicherheitsniveau,

mit dem induktiv statistische Aussagen getroffen werden können. Das Signifikanzniveau be-

zeichnet dabei die Irrtumswahrscheinlichkeit (regelmäßig 1% oder 5%, seltener 0,5% oder 10%)

bzw. die Sicherheitswahrscheinlichkeit (korrespondierend 99% oder 95%, seltener 99,5% oder

90%), unter der diese Aussagen gemacht werden. Die Größenordnung von 20% stellt jedenfalls

kein übliches Signifikanzniveau dar.

Vermutlich ist der Wert auch nicht so gemeint, denn nach „Signifikanz“ stehen in der Klammer zwei

weitere Bezeichnungen für einen Begriff, der eine induktiv-statistische Bedeutung aufweist. Das

Bestimmtheitsmaß oder r2 (meistens jedoch R2 wie im ersten Teil der Aufgabe) bezeichnet bei einer

Regression den Teil der Varianz, der durch das verwendete Modell erklärt werden kann. Er liegt

zwischen 0 und 1 bzw. 0% und 100%. Bei der Standardschätzung des Beta-Faktors kommt nun eine

univariate Regression zum Einsatz, für die natürlich auch immer ein Bestimmtheitsmaß ermittelt

wird. Insofern könnte bezüglich dieser Größe ein Mindestwert von 20% gemeint sein.

Eine solche Festlegung wäre indessen gerade unter dem proklamierten Aspekt der statistischen

Signifikanz völlig unsinnig. Bei einer univariaten Regression besteht nämlich zwischen der Signifikanz

des Steigungsparameters, hier also des Schätzwerts für den Beta-Faktor, und dem Bestimmtheitsmaß

ein elementarer mathematischer Zusammenhang; vgl. Knoll/Ehrhardt/Bohnet, CFO aktuell 2007, S.

201 ff. Wenn man nun – wie im Zitat betont – wöchentliche Renditen über einen zweijährigen

Zeitraum regressiert, bedeutet eine Vorgabe von 20% für das Bestimmtheitsmaß r2 für die Testgröße

t der statistischen Signifikanz

521042,01

2,02

1 2

n

r

rt

mit n = Zahl der Wochenrenditen.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 336

Ein Wert von mehr als 5 bei einem dreistelligen Stichprobenumfang korrespondiert mit einer Irrtums-

bzw. Sicherheitswahrscheinlichkeit, die in einschlägigen Tabellierungen regelmäßig nicht mehr er-

fasst wird. In der abgedruckten Tabelle erkennt man dies daran, dass beim Signifikanzniveau von

99,5% Sicherheitswahrscheinlichkeit für den einseitigen Test gerade einmal ein Bestimmtheitsmaß

von 0,0633 oder 6,33% vorliegen muss. Wollte man die Vorgabe des Zitats zum Standard erheben,

könnten in vielen Bereichen induktiv-statistischer Untersuchungen keine signifikanten Aussagen

getroffen werden. Dass gerade bei hohen Beta-Faktoren teilweise noch höhere Bestimmtheitsmaße

resultieren, schränkt die allgemeine Bedeutung dieses Befunds u.a. wegen des mathematischen

Zusammenhangs zwischen dem Beta-Faktor und dem Bestimmtheitsmaß, vgl. nochmals

Knoll/Bohnet/Ehrhardt, a.a.O., nicht ein. Vielmehr gilt: Wenn man einzelne Peers aufgrund fehlender

Signifikanz ausschließt und deren Aktien aufgrund dieses mathematischen Zusammenhangs ein

unterdurchschnittliches Beta aufweisen, resultiert eine Verzerrung des gesamten Schätzwerts nach

oben, vgl. Ziemer, ZBB 2012, S. 50 ff., und mithin eine Quelle für systematische Unterbewertungen.

Kurzum: Die im Zitat zum Ausdruck kommende methodische Programmatik ist nicht nur begrifflich

wirr, sondern auch inhaltlich völlig abwegig.

Fazit: Die Beispiele belegen, dass die Beta-Ermittlung nicht nur in Deutschland einen Fundus für

methodische Stilblüten bietet. Inwieweit solche Stilblüten bewusst kreiert werden, lässt sich aus

verständlichen Gründen höchstens in Ausnahmefällen nachweisen. Immerhin ergeben sich in diesem

Bereich damit aber auch noch weitere „Fälle“, von denen einige in den nächsten SpruchZ-Ausgaben

näher beleuchtet werden.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 16/2015

SpruchZ 2015 Seite 337

XING-Gruppe "Unternehmensbewertung & Spruchverfahren"

In dieser XING-Gruppe kann über aktuelle Fragen

bei Spruchverfahren diskutiert werden.

https://www.xing.com/communities/groups/unternehmensbewertung-and-spruchverfahren-1928-1077308

Zeitschrift und Dokumente auf http://de.slideshare.net/SpruchZ

Impressum

______________________

Zeitschrift

Spruchverfahren aktuell

(SpruchZ)

4. Jahrgang

ISSN 2195-7274

Herausgeber:

Interessengemeinschaft

Spruchverfahren (IG Spruch),

c/o Rechtsanwaltskanzlei

ARENDTS ANWÄLTE,

Perlacher Str. 68,

D - 82031 Grünwald

(bei München)

Bestellungen bitte an die E-Mail-

Adresse: [email protected]

Redaktion/Mitarbeiter: [email protected]

RA Martin Arendts, M.B.L.-HSG

(presserechtlich verantwortlich),

RA Dr. Peter Dreier, RA/StB Dr.

Theo Schubert, M.C.L. Univ. Mich.,

Prof. Dr. Leonhard Knoll

(„Bemerkenswerte Befunde“)

c/o ARENDTS ANWÄLTE, Perlacher Str. 68, D - 82031 Grünwald

© 2015 für eigene Beiträge bei den

Autoren.