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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015 SpruchZ 2015 Seite 103 Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten Nr. 5/2015 vom 9. April 2015 ISSN 2195-7274 Inhaltsübersicht Gesetzgebung: Aktienrechtsnovelle 2014: Bundesrat regt gesetzliche Regelung für Delisting-Fälle an, S. 104 Rechtsprechung zu Spruchverfahren: Auch OLG Stuttgart hält Delisting-Spruchverfahren für nicht mehr zulässig, S. 106 Laufende Spruchverfahren: Mannheimer Aktiengesellschaft Holding, P&I Personal & Informatik AG u.a., S. 122 Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ ). Sie erscheint jeweils nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber: [email protected] Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen. Spruchverfahren aktuell

Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 5/2015

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 103

Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten

Nr. 5/2015 vom 9. April 2015 ISSN 2195-7274

Inhaltsübersicht

Gesetzgebung: Aktienrechtsnovelle 2014: Bundesrat regt gesetzliche Regelung für Delisting-Fälle an, S.

104

Rechtsprechung zu Spruchverfahren:

Auch OLG Stuttgart hält Delisting-Spruchverfahren für nicht mehr zulässig, S. 106

Laufende Spruchverfahren:

Mannheimer Aktiengesellschaft Holding, P&I Personal & Informatik AG u.a., S. 122

Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt

und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils

nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an

den Herausgeber: [email protected]

Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine

umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen.

Spruchverfahren aktuell

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Gesetzgebung

Aktienrechtsnovelle 2014: Bundesrat regt gesetzliche Regelung für Delisting-

Fälle an

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Der Bundesrat regt in seiner aktuellen Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des

Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) – die Begründung ist nachfolgend abgedruckt – eine

gesetzliche Regelung für Delisting-Fälle an, nachdem der Bundesgerichtshof in seiner Frosta-

Entscheidung die einschlägige Rechtsfortbildung aufgrund der sog. Macrotron-Rechtsprechung

(Macrotron-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2002: BGH, Urteil vom 25. November 2002 - II ZR

133/01) zurückgenommen hatte. Für die Minderheitsaktionäre von einem Delisting betroffener

Aktiengesellschaften bestehe die „Gefahr, ab Zeitpunkt der Antragstellung den Börsenwert ihrer

Stimmrechte nahezu gänzlich zu verlieren“. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf

den bisherigen Schutz durch ein nach der Macrotron-Rechtsprechung erforderlichen Ab-

findungsangebot, so dass es während der Geltung dieser Rechtsfortbildung keine Kurseinbrüche gab

(womit der BGH in einem klassischen Zirkelschluss ohne hinreichende Tatsachenbasis die Änderung

seiner Rechtsprechung begründete; zu dieser Problematik siehe Karami/Cserna/Schuster , Wie frostig

ist die FRoSTA-Entscheidung des BGH? - Kurseffekte von Delisting-Ankündigungen, vgl. nachfolgend

S. 129).

Im Falle eines Delistings müssten die wirtschaftlichen Interessen von Minderheitsaktionären

ausreichend geschützt werden, da der jahrelange Schutz durch die „richterliche Rechtsfortbildung“

nunmehr fortgefallen sei. Eine entsprechende zivilrechtliche Regelung solle im Aktiengesetz oder im

Umwandlungsgesetz getroffen werden. Nur so könne ein „bundeseinheitlicher Schutz der Interessen

von Minderheitsaktionären“ gewährleistet werden. Ein öffentlich-rechtlicher/verwaltungsrechtlicher

Schutz über das Börsengesetz (§ 39 Abs. 2 BörsG), auf den der BGH in seiner Frosta-Entscheidung

abgestellt hatte, in Verbindung mit der Börsenordnung der jeweiligen Börse sei insoweit nicht

ausreichend. Auch sei eine Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte systemwidrig.

Auszug aus der Stellungnahme des Bundesrats (Bundesrat-Drucksache 22/15, S. 7 f.):

„Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, durch welche zivilrechtliche

Regelung sichergestellt werden kann, dass die wirtschaftlichen Interessen von Minderheitsaktionären

von Aktiengesellschaften, deren Aktien zum Handel an einer Börse zugelassen sind, im Falle eines

Rückzuges der Gesellschaft von der Börse ausreichend geschützt werden.

Begründung:

In einer richtungsweisenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2002

zunächst festgelegt, dass für das Delisting einer Aktiengesellschaft von der Börse ein

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Hauptversammlungsbeschluss notwendig sei und die Aktiengesellschaft den Aktionären ein

Abfindungsangebot für die Aktien machen müsse (Macrotron-Urteil).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied im Jahr 2012, dass ein Delisting grund-

sätzlich nicht den Schutzbereich des Eigentumsrechts eines Aktionärs (Artikel 14 Absatz 1 des

Grundgesetzes) berühre. Diese Rechtsprechung des BVerfG nahm der BGH nun auf und stellte

fest, dass der Grundrechtsschutz nicht mehr als Argument für die Erfordernisse einer

Hauptversammlungsentscheidung sowie eines Abfindungsangebots angeführt werden

könne.1 Auch andere Vorschriften, insbesondere das Aktiengesetz selbst, könnten nicht als

Rechtsgrundlage für die Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses dienen.

Durch diesen Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlieren die Aktionäre von

an der Börse zum Handel zugelassenen Aktiengesellschaften den Schutz, den die richterliche

Rechtsfortbildung jahrelang gewährleistet hat. Ferner wird durch die Meinungsänderung der

obersten Gerichte deutlich, dass die Abwägung der Eigentumsrechte der Aktionäre gegen die

Interessen der Aktiengesellschaften sich in einem engen Grenzbereich bewegt. Minder-

heitsaktionäre laufen im Falle eines Antrags auf Widerruf der Zulassung der von ihnen

gehaltenen Aktien allerdings Gefahr, ab Zeitpunkt der Antragstellung den Börsenwert ihrer

Stimmrechte nahezu gänzlich zu verlieren. Denn die Nachfrage nach Aktien, die in Kürze nicht

mehr börslich handelbar sind, wird regelmäßig einbrechen. Vor Änderung der Rechtsprechung

des BGH geschah dies zwar nicht, dies beruhte aber auf dem Umstand, dass in der

Vergangenheit den Minderheitsaktionären ein Abfindungsangebot zu machen war.

Zwar darf nach § 39 Absatz 2 BörsG der Widerruf der Zulassung eines Wertpapiers auf Antrag

des Emittenten nicht dem Schutz der Anleger widersprechen, wobei das Nähere durch die

Börsenordnung der jeweiligen Börse zu regeln ist. Dies stellt jedoch keine hinreichende

Alternative zu einer zivilrechtlichen Regelung z.B. im Aktiengesetz oder im Um-

wandlungsgesetz dar. Denn zum einen liegt die Ausgestaltung in der Börsenordnung

grundsätzlich in der Entscheidungszuständigkeit des Börsenrates der jeweiligen Börse, so dass

ein bundeseinheitlicher Schutz der Interessen von Minderheitsaktionären hierüber nicht zu

gewährleisten ist. Im Übrigen betreffen das eventuelle Erfordernis eines Hauptversammlungs-

beschlusses sowie eventuelle Entschädigungsregelungen die internen Vorgänge innerhalb

einer Aktiengesellschaft beziehungsweise das Verhältnis der Aktionäre zu der Gesellschaft.

Diese sind umfassend zivilrechtlich ausgestaltet. Durch eine börsenrechtliche Bestimmung

würden diese öffentlichrechtlich ausgestaltet und damit systemwidrig gegebenenfalls der

Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterworfen.

Die Entscheidung, wie weit der Schutz der Aktionäre im Fall eines Delistings geht, sollte daher

vom Gesetzgeber zivilrechtlich z.B. im Aktiengesetz oder im Umwandlungsgesetz getroffen

werden.“

1 Anmerkung des Autors: Die Rechtsprechung hatte das Institut des Delisting-Spruchverfahrens dogmatisch aus

einer Gesamtanalogie zu den §§ 305, 320b, 327b AktG, §§ 29, 207 UmwG hergeleitet (und keineswegs ausschließlich auf die Säule des Art. 14 GG gestützt).

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Rechtsprechung zu Spruchverfahren

Auch OLG Stuttgart hält Delisting-Spruchverfahren für nicht mehr zulässig

OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. Februar 2015, Az.20 W 8/14 - VARTA AG

Leitsätze:

1. Auch nach der Neuregelung des Spruchverfahrensrechts durch das FGG-Reformgesetz

ist eine Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit des Spruchverfahrens analog § 280

ZPO zulässig.

2. Gegen eine erstinstanzliche Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit des Spruch-

verfahrens ist die Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft.

3. Ein Spruchverfahren zur gerichtlichen Überprüfung eines im Rahmen eines Delistings

abgegebenen Abfindungsangebots ist nicht statthaft.

4. Dies gilt auch für vor der Frosta-Entscheidung des BGH (SpruchZ 2013, 153 - Frosta)

eingeleitete Altverfahren. Anträge auf Durchführung eines derartigen Spruchverfahrens

sind deshalb auch dann als unzulässig zu verwerfen, wenn die Anträge vor der Frosta-

Entscheidung gestellt wurden.

Zu den Delisting-Fällen VARTA und MWG, über die wir berichtet hatten (SpruchZ 2014,3 und SpruchZ

2014, 18), liegen nunmehr die Beschwerdeentscheidungen der Oberlandesgerichte Stuttgart bzw.

München vor, in denen die Spruchverfahren nach dem Frosta-Urteil des BGH als nunmehr nicht mehr

statthaft beurteilt wurden. Das Landgericht Stuttgart hatte dagegen ausgeführt, dass der BGH "keine

ausdrückliche Aussage zum Problem des Wirkungszeitpunkts dieser geänderten Rechtsprechung" auf

laufende Verfahren getroffen habe. Auch läge der Frosta-Entscheidung ein Fall des sog.

Downgradings zugrunde, bei dem die Obergerichte schon bislang keine Erfordernis eines

Barangebots gesehen hätten, nicht wie im Fall VARTA ein reguläres Delisting (vom Regulierten Markt

der Frankfurter Wertpapierbörse).

Wie das OLG München (Beschluss vom 28. Januar 2015, Az. 31 Wx 292/14 - Delisting MWG Biotech

AG) hält nunmehr auch das OLG Stuttgart vor der Frosta-Entscheidung eingeleitete „Altverfahren“ für

nicht mehr statthaft. Das OLG München hatte (entgegen der Ansicht des LG Stuttgart in den hiermit

vom OLG Stuttgart aufgehobenen Beschluss vom 20. Oktober 2014, Az. 31 O 84/07 KfH AktG)

entschieden, dass ein Spruchverfahren nunmehr auch dann unstatthaft ist, wenn ein

Abfindungsangebot unterbreitet und ein Spruchverfahren bereits vor der Frosta-Entscheidung des

BGH eingeleitet worden war. Auch der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gebiete es nicht, ein

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bereits anhängiges Spruchverfahren fortzuführen und eine Sachentscheidung zu treffen. Die

Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sei unter dem Gesichtspunkt des

Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie „nicht hinreichend verfestigt“ sei und

sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung halte (worüber man allerdings diskutieren

müsste). Die Macrotron-Entscheidung des BGH stelle keine gefestigte höchstrichterliche

Rechtsprechung dar, auf die sich ein schützenswertes Vertrauen der Aktionäre hinsichtlich der ihnen

bei einem regulären Delisting zustehenden Ansprüche hätte gründen können. Aus welcher materiell

rechtlichen Rechtsgrundlage der Anspruch auf Barabfindung beim regulären Delisting herzuleiten sei,

lasse sich der Macrotron-Entscheidung nicht entnehmen. Ebenso wenig könne man ihr Vorgaben zu

wesentlichen verfahrensrechtlichen Fragen wie Antragsberechtigung, Antragsfrist, Antrags-

begründung und Antragsgegner entnehmen. Die Macrotron-Entscheidung habe somit weder die zu

prüfende materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für die Barabfindung vorgegeben noch die

wesentlichen Bestimmungen für das Verfahren zur Prüfung deren Angemessenheit. Beides hätten in

der Folge die Instanzgerichte entwickelt.

Aus den Entscheidungsgründen des OLG Stuttgart

(Zwischenüberschriften und Hervorhebungen durch die Redaktion):

„a) Die Antragsteller des Spruchverfahrens begehren als Minderheitsaktionäre der VARTA AG,

Ellwangen, die Festsetzung einer angemessenen Barabfindung wegen Verlustes der Börsenzulassung

der Aktien am regulierten Markt (Delisting). Die Y Beteiligungsgesellschaft mbH (zwischenzeitlich

verschmolzen auf die VARTA AG) als Mehrheitsaktionärin hatte den Aktionären im Anhang der

Einladung zu der Hauptversammlung vom 21.05.2012, bei der über den Rückzug der Gesellschaft von

der Börse entschieden werden sollte, ein Angebot zum Kauf ihrer Aktien an der VARTA AG zum Preis

von 5,36 Euro je Aktie mit einer Annahmefrist von zwei Monaten ab Veröffentlichung des Widerrufs

unterbreitet (Anlage AG 2, Bl. 222). Die Hauptversammlung der X AG beschloss am 21.05.2012, dass

ihr Vorstand ermächtigt wird, den Antrag auf Widerruf der Zulassung der Aktien der Gesellschaft zum

regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse zu stellen. Der Widerruf wurde am 06.09.2012

wirksam.

Einleitung des Spruchverfahrens vor der Frosta-Entscheidung des BGH

Der erste Antrag in dem Spruchverfahren ging am 04.07.2012 ein. Das Spruchverfahren richtet sich

gegen die GOPLA Beteiligungsgesellschaft mbH, die zwischenzeitlich auf die VARTA AG verschmolzen

wurde, weshalb das Rubrum entsprechend zu berichtigen war. Am 08.10.2013 entschied der

Bundesgerichtshof unter Aufgabe der Grundsätze der Macrotron-Entscheidung vom 25.11.2002 (II ZR

133/01, ZIP 2003, 387), dass die Aktionäre bei einem Widerruf der Zulassung einer Aktie zum Handel

im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft keinen Anspruch auf eine Barabfindung

haben (II ZB 26/12, ZIP 2013, 2254 – Frosta).

Die Parteien streiten um die Frage, ob das Spruchverfahren durch diese Entscheidung des

Bundesgerichtshofs unzulässig geworden ist.

Argumentationslinie des LG Stuttgart in seiner VARTA-Entscheidung (SpruchZ 2014, 18)

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Das Landgericht Stuttgart hat mit Zwischenbeschluss vom 20.10.2014, Az. 31 O 27/13 KfH SpruchG,

entschieden, dass das Spruchverfahren zulässig sei.

Die Entscheidung des BGH vom 08.10.2013 habe keine rückwirkende Kraft. Für das laufende Spruch-

verfahren gelte weiterhin die Macrotron-Entscheidung des BGH. Der BGH habe seine Rechtsprechung

in Form einer richterlichen Rechtsfortbildung geändert. In der Macrotron-Entscheidung habe der BGH

im Wege richterlicher Rechtsfortbildung die Pflicht zur Abgabe eines Erwerbsangebots einschließlich

dessen Überprüfung im Spruchverfahren statuiert. Dieser Rechtsfortbildung sei nach Auffassung des

BGH durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.2012 die Grundlage entzogen

worden, weshalb der BGH sie aufgegeben habe. Hierdurch sei die durch Richterrecht geschaffene

Pflicht zur Abgabe eines Erwerbsangebots entfallen. Es könne dahinstehen, ob eine echte oder eine

unechte Rückwirkung vorliege, denn in beiden Fällen sprächen überwiegende Gründe des

Vertrauensschutzes der antragstellenden Minderheitsaktionäre gegen eine Rückwirkung. Die

Antragsteller hätten im Vertrauen auf den Fortbestand der Macrotron-Entscheidung den Weg der

Nichtannahme des Pflichtangebots gewählt, weil sie davon ausgegangen seien, das Barangebot auf

seine Angemessenheit durch ein gerichtliches Spruchverfahren überprüfen lassen zu können. Dem

gegenüber hätten die X AG und die Antragsgegnerin kein schutzwürdiges Vertrauen darin, dass die

Macrotron-Rechtsprechung aufgehoben würde. Die Interessen der Antragsteller würden deshalb

überwiegen. Auch öffentliche Interessen würden keine Rückwirkung gebieten. Die Kammer räume

deshalb der Rechtssicherheit den gewichtigeren Rang ein als der Einzelfallgerechtigkeit.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss des Landgerichts verwiesen.

Gegen die Zwischenentscheidung wendet sich die Antragsgegnerin, die hiergegen entsprechend der

dem Beschluss angefügten Rechtsmittelbelehrung sofortige Beschwerde eingelegt hat.

Das Landgericht übersehe, dass die Frosta-Entscheidung des Bundesgerichtshofs bereits den Ver-

trauensschutz verneine. Der Bundesgerichtshof habe in der Entscheidung festgestellt, dass die

Antragsteller in Spruchverfahren nicht auf die Macrotron-Entscheidung vertrauen dürften. Er habe

den Antragstellern in dem von ihm entschiedenen Verfahren gerade keinen Vertrauensschutz gewährt

und die Wirkung der Entscheidung gerade nicht auf künftige Spruchverfahren beschränkt. Dem

entsprechend könne auch hier kein Vertrauensschutz gewährt werden, weil dies zu einem

willkürlichen Ergebnis – kein Vertrauensschutz im Frosta-Verfahren, Vertrauensschutz dagegen im

vorliegenden Verfahren – führen würde.

Zutreffend habe das Landgericht München I mit Beschluss vom 28.05.2014 einen Vertrauensschutz

verneint. Die im angegriffenen Beschluss vorgebrachten Überlegungen zu einem Vertrauensschutz

griffen dagegen nicht durch. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Zulässigkeits-

voraussetzungen sei ausschließlich der Schluss der mündlichen Verhandlung. Da eine analoge

Anwendung des Spruchverfahrensgesetzes in Delisting-Fällen nicht mehr in Betracht komme, sei das

Spruchverfahren kein statthafter Rechtsbehelf mehr.

Unzutreffend gehe das Landgericht davon aus, dass die Frage der Rückwirkung einer

Rechtsprechungsänderung sich grundsätzlich nach den Regeln der Rückwirkung für Gesetze richte.

Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof stellten dagegen Gesetzes- und Rechtsprechungs-

änderungen gerade nicht gleich. Rechtsprechungsänderungen wirkten vielmehr grundsätzlich ab

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sofort. Eine geänderte Rechtsprechung sei grundsätzlich auf alle zur Entscheidung anstehenden Fälle

anzuwenden, sofern das erkennende Gericht nicht ausnahmsweise eine Übergangslösung wähle. Die

deutlich geringeren Anforderungen gegenüber Gesetzesrückwirkungen ergäben sich daraus, dass

höchstrichterliche Rechtsprechung – auch richterliche Rechtsfortbildung – kein Gesetzesrecht sei.

Prozessbeteiligte könnten deshalb von vornherein nicht darauf vertrauen, dass ein Gericht eine

bestimmte Rechtsauffassung vertrete und stets an ihr festgehalten werde. Ein Verstoß gegen Art. 3

Abs. 1 GG komme nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur in Betracht, wenn die

Änderung der Rechtsprechung willkürlich sei. Nur dann seien Vertrauensschutzgesichtspunkte

überhaupt zu prüfen. Hier liege schon keine willkürliche Rechtsprechungsänderung vor. Zudem sei

kein relevanter Vertrauenstatbestand entstanden. Die Macrotron-Rechtsprechung sei keine

besonders gefestigte und langjährige Rechtsprechung. Ein besonderer Vertrauensschutz der

Antragsteller, denen es um eine mögliche Optimierung ihrer Finanzen, nicht aber um eine

Existenzbedrohung ging, sei nicht geboten.

Die Antragsteller halten dem gegenüber die Beschwerde teilweise bereits für unzulässig, jedenfalls

aber für unbegründet und die Entscheidung des Landgerichts für zutreffend. Sie verweisen

überwiegend zur Begründung auf die Gründe der landgerichtlichen Entscheidung. Mehrere

Antragsteller sind der Auffassung, dass das Spruchverfahren im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG

iVm § 46 BörsO der Frankfurter Wertpapierbörse statthaft sein müsse, weil auf Grund der Verkürzung

der Widerrufsfrist von 6 Monaten auf 3 Monate (Bl. 1434) der Schutz der Aktionäre nur durch ein

Spruchverfahren gewahrt sei. Der Bundesgerichtshof habe in der Frosta-Entscheidung ausgeführt,

dass der Schutz der Anleger dann nicht hinter dem Schutz durch ein Barabfindungsangebot

zurückbleibe, wenn der in § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG vorgesehene Schutz eingehalten werde. Der BGH

stelle damit insbesondere auf die den Anlegern zur Verfügung stehende Zeit von sechs Monaten für

die Entscheidung über eine Deinvestition ab. Die Frankfurter Wertpapierbörse habe dem

entsprechend nach § 46 Abs. 2, 3 BörsO angeordnet, dass die Fristverkürzung nur unter der Maßgabe

erfolge, dass die Höhe der Barabfindung im Spruchverfahren überprüft werde. Die Aktionäre hätten

mit Einräumung einer Abfindung, die ausdrücklich unter das Diktat eines Spruchverfahrens gestellt

worden sei, ein vollständiges Recht erworben, das ihnen nicht rückwirkend entzogen werde könne.

Zwei Antragsteller machen zudem geltend, dass auch die Antragsgegnerin immer von der

Statthaftigkeit des Spruchverfahrens ausgegangen sei und erstmals mit Schriftsatz vom 15.11.2013,

also über ein Jahr nach Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine

angebliche Unzulässigkeit gerügt habe. Einige Antragsteller verweisen darauf, dass der Gesetzgeber

den Anwendungsbereich des Spruchverfahrensgesetzes nur deshalb nicht auf das Delisting erweitert

habe, weil dieses bereits gerichtlich so entschieden worden sei. Eine vom Gesetzgeber ausdrücklich

bestätigte, gefestigte Rechtsprechung könne nicht mit Wirkung in die Vergangenheit widerrufen

werden.

Der gemeinsame Vertreter hält die Entscheidung des Landgerichts für zutreffend. Er äußert zudem

erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Jedenfalls sprächen

überwiegende Gründe des Vertrauensschutzes für die Zulässigkeit der bereits eingeleiteten

Spruchverfahren. Eine Vielzahl von Aktionären habe das Angebot nicht angenommen in dem

Vertrauen, den Abfindungsbetrag gerichtlich überprüfen zu können. Zwischenzeitlich sei das

Kaufangebot abgelaufen und die Aktionäre hätten keine Möglichkeit mehr, das Angebot

anzunehmen. Der Sachverhalt sei mit dem Ablauf der Drei-Monats-Frist für die Aktionäre, die das

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Angebot nicht angenommen haben, abgeschlossen. Die Anwendung der geänderten Rechtsprechung

stelle eine echte Rückwirkung dar, die verfassungsrechtlich unzulässig sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig (hierzu unter 1.) und begründet (hierzu unter 2.).

Zulässigkeit der Beschwerde der Antragsgegnerin: analoge Anwendung des § 280 ZPO auf das

Spruchverfahren

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist als einfache Beschwerde zu behandeln und als solche

zulässig.

Nach überwiegender Ansicht ist jedenfalls in Spruchverfahren auch nach der Neuregelung des

Verfahrensrechts durch das FGG-Reformgesetz (BGBl. I S. 2586, 2587) weiterhin eine Zwischen-

entscheidung über die Zulässigkeit des Spruchverfahrens zulässig und hiergegen die Beschwerde

nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft (vgl. Spindler/Stilz/Drescher, AktG, 2. Aufl., § 12 SpruchG Rn. 25;

Bürgers/Körber/Ederle/Theusinger, AktG, 3. Aufl., § 12 SpruchG Rn. 1; Kölner KommAktG/Wilske, 3.

Aufl., § 12 SpruchG Rn. 14; Schmidt/Lutter/Klöcker, AktG, 2. Aufl., § 12 SpruchG Rn. 3;

Lutter/Mennicke, UmwG, 5. Aufl., § 12 SpruchG Rn. 5; Preuß, NZG 2009, 961, 965; Heidel/Krenek,

AktG, 1. Aufl., § 11 SpruchG Rn. 7, der allerdings die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO für

statthaft hält; a. A.: Kölner KommAktG/Puskajler, 3. Aufl., § 11 SpruchG Rn. 8; zögerlich

Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl., § 3 SpruchG Rn. 2a).

Der Senat teilt die Auffassung der überwiegenden Ansicht und hält jedenfalls in Spruchverfahren

weiterhin die analoge Anwendung von § 280 ZPO für zutreffend. Die erstinstanzliche

Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit des Spruchverfahrens ist analog § 280 Abs. 2 ZPO in

Betreff der Rechtsmittel als Endentscheidung anzusehen, so dass hiergegen die Beschwerde nach § 58

Abs. 1 FamFG statthaft ist.

Eine analoge Anwendung des § 280 ZPO auf das Spruchverfahren ist auch nach der Neuregelung des

Verfahrensrechts durch das FGG-Reformgesetz zulässig und sachgerecht. Es liegen sowohl eine

planwidrige Regelungslücke als auch eine vergleichbare Interessenlage vor:

Bis zum Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes am 1. September 2009 fand gegen Verfügungen des

Gerichts erster Instanz nach § 19 Abs. 1 FGG a.F. die einfache Beschwerde statt. Als Verfügung im

Sinne von § 19 Abs. 1 FGG a.F. wurden insbesondere auch Zwischenentscheidungen über die

Zulässigkeit des Spruchverfahrens angesehen, die demnach nach allgemeiner Auffassung mit der

einfachen Beschwerde nach § 19 Abs. 1 FGG a.F. anfechtbar waren (vgl. Spindler/Stilz//Drescher,

AktG, 2. Aufl., § 12 SpruchG Rn. 23 mN zur Rechtsprechung in FN 81; Simon/Simon, SpruchG, 1. Aufl.,

§ 12 Rn. 5). Eine sofortige Beschwerde nach § 12 SpruchG a.F. war dagegen nur gegen die

Endentscheidungen nach § 11 SpruchG, also die die Instanz abschließenden Entscheidungen über das

Spruchverfahren, statthaft.

Durch das FGG-Reformgesetz wurde § 12 SpruchG dahingehend geändert, dass nunmehr die

Beschwerde, nicht mehr die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidungen nach § 11 SpruchG

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gegeben ist. Weiterhin bezieht sich § 12 SpruchG grundsätzlich nur auf die Anfechtung der

Endentscheidung nach § 11 SpruchG, nicht also auf Zwischenentscheidungen (allg. Ansicht, vgl. nur

Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 305 Anh. § 12 SpruchG Rn. 1). Die über § 17 FamFG anwendbare

allgemeine Vorschrift über Beschwerden im FamFG, § 58 FamFG, regelt nunmehr, dass die

Beschwerde nur gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen statthaft ist, sofern

durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Nach § 58 Abs. 2 FamFG unterliegen auch die nicht

selbständig anfechtbaren Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgegangen sind, der

Beurteilung durch das Beschwerdegericht.

Das FamFG enthält an verschiedenen Stellen Sondervorschriften für Zwischenentscheidungen, die mit

der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind (vgl. mit entsprechender Auflistung der geregelten Fälle:

Musielak/Borth, FamFG, 4. Aufl., § 58 Rn. 2; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 18. Aufl. § 58 Rn. 93).

Grundsätzlich kann eine Zwischenentscheidung nach der Intention des Gesetzgebers in anderen als

diesen ausdrücklich geregelten Fällen nicht isoliert angefochten werden (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S.

203). Sinn der Regelung ist es insbesondere, ein geordnetes und zügiges Verfahren bis zur

Hauptsachenentscheidung zu ermöglichen, was durch die Möglichkeit, jede Zwischenentscheidung,

die nur der Vorbereitung dieser Hauptsachentscheidung dient, anzufechten, verhindert würde (vgl.

MünchKomm FamFG/Fischer, 2. Aufl., § 58 Rn. 49). Dem entsprechend wurden in der Rechtsprechung

seit Inkrafttreten des FamFG Beschwerden in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gegen

Zwischenentscheidungen für unzulässig gehalten, weil sie nicht ausdrücklich zugelassen waren (vgl.

BGH XII ZB 227/10, NJW-RR 2011, 577 für die Abgabeentscheidung nach §§ 4 S. 1, 273 S. 1 FamFG;

OLG Frankfurt 21 W 29/11, AG 2012, 42 für die Entscheidung über die Bestellung eines gemeinsamen

Vertreters nach § 6 Abs. 1 SpruchG; OLG Düsseldorf I-26 W 19/12 (AktE), 26 W 19/12 (AktE), AG 2013,

226 für einen Beweisbeschluss und die Vorschussanforderung in Spruchverfahren). Für zulässig

erachtet wurde dagegen auf Grund der Besonderheiten der Entscheidung über die internationale

Zuständigkeit die Beschwerde gegen eine Zwischenentscheidung über die internationale

Zuständigkeit in einer Familiensache (OLG Stuttgart 17 UF 60/14, BeckRS 2014, 09719).

Für Zwischenentscheidungen über die Zulässigkeit enthält das FamFG keine gesonderte Regelung.

Nach allgemeiner Ansicht ist in Familienstreitsachen über die allgemeine Verweisung in § 113 Abs. 1

FamFG die Regelung des § 280 Abs. 2 ZPO analog anwendbar (vgl. OLG Oldenburg 4 WF 82/12,

BeckRS 2012, 19151). Eine derartige allgemeine Verweisungsnorm fehlt für den sonstigen

Anwendungsbereich des FamFG, insbesondere auch für Spruchverfahren. Dies schließt aber jedenfalls

für Spruchverfahren eine analoge Anwendung von § 280 Abs. 2 ZPO nicht aus. Die Neuregelung des

Verfahrensrechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit steht nicht grundsätzlich einer analogen

Heranziehung von Vorschriften des ZPO entgegen, vielmehr können die Vorschriften der ZPO

insbesondere in echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit wie dem Spruchverfahren auch

weiterhin zur Schließung bestehender Regelungslücken herangezogen werden, sofern das FamFG

bzw. die speziellen Verfahrensvorschriften wie das SpruchG keine Regelung enthalten und die

Grundsätze des Verfahrensrechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem nicht entgegenstehen (vgl.

Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 1 Rn. 36; MünchKomm FamFG/Ulrici, 2. Aufl., Vorbemerkung zu §§

23 ff. Rn. 4; für das Spruchverfahren: Spindler/Stilz/Drescher, AktG, 2. Aufl., § 17 SpruchG Rn. 2;

Preuß, NZG 2009, 961).

Diese Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 280 ZPO liegen jedenfalls für das

Spruchverfahren vor. Weder besteht eine ausdrückliche Regelung diesbezüglich in FamFG oder

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

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Spruchverfahrensgesetz, noch sind die Regelungen des FamFG und des Spruchverfahrensgesetzes

insoweit abschließend und schließen nach ihren Grundsätzen eine derartige Analogie aus. Im

Gegenteil ergibt sich aus der Begründung des Gesetzgebers zur Neuregelung des § 58 FamFG, dass

der Gesetzgeber die bisherige Anfechtbarkeit von Zwischen- und Nebenentscheidungen entsprechend

dem damals geltenden Recht regeln wollte und durch die Neuregelungen einen Beitrag zur

Vereinheitlichung der Prozessordnungen leisten wollte (BT-Drucks. 16/6308, S. 166 und S. 203). Die

Änderungen des Beschwerderechts im Spruchverfahren werden in der Gesetzesbegründung nur als

Folgeänderungen bezeichnet (BT-Drucks. 16/6308, S. 330). Dafür, dass der Gesetzgeber die bisherige

unstreitige Zulässigkeit einer Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit eines Spruchverfahrens und

die bisher unstreitig statthafte Beschwerde hiergegen ändern wollte, bestehen demnach keine

Anhaltspunkte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass insoweit gerade keine Änderung der

bestehenden Rechtslage bewirkt werden sollte. Anders als bei den sonstigen

Zwischenentscheidungen, die aus Gründen der Verfahrensökonomie nicht selbständig anfechtbar sein

sollen, hat die Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit einen eigenen Regelungsgehalt im Hinblick

auf die Hauptsache, indem über einen Teil des Verfahrens mit Auswirkung auf die

Hauptsachentscheidung abschließend, wenn auch nicht verfahrensabschließend, entschieden wird.

Insoweit kommen die Argumente, die einen Ausschluss der Beschwerde gegen

Zwischenentscheidungen stützen, hier nicht zum Tragen. Deshalb wird auch für echte Streitsachen der

freiwilligen Gerichtsbarkeit insgesamt eine analoge Anwendung von § 280 ZPO befürwortet (vgl.

Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 18. Aufl., § 38 Rn. 7; Bork/Jakoby/Schwab/Elzer, FamFG, 2. Aufl., § 38 Rn.

3.), jedenfalls aber für das Spruchverfahren, das als Randgebiet nicht im Fokus des Gesetzgebers des

FGG-Reformgesetzes stand (ebenso Preuß, NZG 2009, 961; KölnerKommAktG/Wilske, 3. Aufl., § 12

SpruchG Rn. 14).

Auch die für eine Analogiebildung erforderliche vergleichbare Interessenlage liegt vor. Ebenso wie im

Zivilprozess besteht auch in Spruchverfahren als echten Streitverfahren der freiwilligen

Gerichtsbarkeit ein Bedürfnis für Zwischenentscheidungen über die Zulässigkeit. Die Streitigkeit über

Zulässigkeitsfragen, insbesondere auch über die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens, ist mit den

entsprechenden Streitigkeiten in Zivilprozessen vergleichbar. Gerade die Prüfung der Begründetheit

von Spruchverfahren sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Begründetheit sind

häufig zeit- und kostenintensiv und in vielen Fällen mit Kosten eines Sachverständigen oder zumindest

des sachverständigen Prüfers verbunden. Es wäre deshalb auch in Spruchverfahren nicht

prozessökonomisch, erst eine Entscheidungsreife bezüglich der Begründetheit herbeizuführen, um

dann im Beschwerdeverfahren auch über die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens zu entscheiden,

ggf. mit dem Ergebnis, dass das Spruchverfahren bereits unzulässig ist.

§ 280 ZPO ist mithin analog anwendbar. Dies führt dazu, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit

in Betreff auf Rechtsmittel als Endentscheidung anzusehen ist und somit die Beschwerde nach §§ 58

ff. FamFG statthaft ist. Eine Anwendung der Regelungen über die sofortige Beschwerde nach §§ 567

ff. ZPO scheidet dagegen aus, auch wenn das FamFG bei den Vorschriften, die ausnahmsweise ein

Rechtsmittel gegen Zwischenentscheidungen vorsehen, auf diese Vorschriften über die sofortige

Beschwerde verweist. Die Zivilprozessordnung orientiert sich für Zwischenentscheidungen über die

Zulässigkeit an den Rechtsmitteln, die gegen die Endentscheidung statthaft sind. Diese Wertung gilt

mithin auch bei einer analogen Heranziehung des § 280 ZPO (ebenso: Spindler/Stilz/Drescher, AktG, 2.

Aufl., § 12 SpruchG Rn. 25; Bürgers/Körber/Ederle/Theusinger, AktG, 3. Aufl., § 12 SpruchG Rn. 1;

Kölner KommAktG/Wilske, 3. Aufl., § 12 SpruchG Rn. 14; Schmidt/Lutter/Klöcker, AktG, 2. Aufl., § 12

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SpruchG Rn. 3; Lutter/Mennicke, UmwG, 5. Aufl., § 12 SpruchG Rn. 5; Preuß, NZG 2009, 961, 965; a.

A. Heidel/Krenek, AktG, 1. Aufl., § 11 SpruchG Rn. 7, der die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO

für statthaft hält).

Die – entsprechend der Rechtsmittelbelehrung – eingelegte sofortige Beschwerde der Antrags-

gegnerin kann als einfache Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG ausgelegt werden, da davon

auszugehen ist, dass die Antragstellerin das statthafte Rechtsmittel einlegen wollte und zudem für die

einfache Beschwerde eine längere Frist von 1 Monat gilt, die die Antragsgegnerin mit Einlegung ihrer

sofortigen Beschwerde eingehalten hat.

2. Die Beschwerde ist begründet.

Delisting-Spruchverfahren nicht mehr statthaft

Die Anträge der Antragsteller auf Durchführung eines Spruchverfahrens im Hinblick auf das

Abfindungsangebot der Antragsgegnerin an die Aktionäre der VARTA Aktiengesellschaft vom

10.04.2012 (AG 2) sind unzulässig und deshalb zu verwerfen.

Ein Spruchverfahren betreffend dieses im Rahmen eines Delisting abgegebene Abfindungsangebot

ist nicht statthaft. In Übereinstimmung mit der ganz überwiegend vertretenen Auffassung hält der

Senat die Heranziehung der Frosta-Rechtsprechung auch für laufende Spruchverfahren für zulässig

und geboten (vgl. OLG München 31 Wx 292/14, ZIP 2015, 270; OLG Düsseldorf I-26 W 20/12, ZIP

2015, 123; LG München I 5 HK O 19239/07, ZIP 2014, 1429; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 305 Anh. §

1 SpruchG Rn. 7; Glienke/Röder, BB 2014, 899, 905; Roßkopf, ZGR 2014, 487, 502; Arnold/

Rothenburg, DStR 2014, 150, 155; Schockenhoff, ZIP 2013, 2429; Linnerz, EWiR 2014, 709;

Paschos/Klaaßen, AG 2014, 33; Bungert/Wettich, EWiR 2014, 3; Wieneke, NZG 2014, 22; a. A.

Lochner/Schmitz, AG 2014, 489, 491 f.)

a. Die Zulässigkeit des Antrags auf Durchführung eines Spruchverfahrens ist von Amts wegen und

in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (vgl. OLG München 31 Wx 292/14, ZIP 2015, 270;

Spindler/Stilz/Drescher, AktG, 2. Aufl., § 10 SpruchG Rn. 5; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 305 Anh. §

10 SpruchG Rn. 8). Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind nach allgemeinen prozessualen

Grundsätzen nach dem Stand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. bei Verfahren

ohne mündliche Verhandlung im Zeitpunkt der Entscheidung zu beurteilen (vgl. für alle MünchKomm

ZPO/Becker-Eberhard, 4. Aufl., vor § 253 Rn. 16; für das Spruchverfahren: OLG München 31 Wx

292/14, ZIP 2015, 270; Glienke/Röder, BB 2014, 899, 904). Vor diesem Hintergrund greift auch der

Einwand von Antragstellerseite, die Zulässigkeitsrüge sei nach §§ 7 Abs. 2, 9 Abs. 3 SpruchG

präkludiert, nicht.

Unter Berücksichtigung der nach Verfahrenseinleitung ergangenen Entscheidung des

Bundesgerichtshofs vom 08.10.2013 (II ZB 26/12, ZIP 2013, 2254 – Frosta), der der Senat folgt, ist das

Spruchverfahren im Hinblick auf das Abfindungsangebot der Antragsgegnerin wegen des Delisting der

VARTA AG nicht statthaft.

Gesetzlich geregelt ist die Anwendung des Spruchverfahrensrechts für die Fälle des Delisting nicht. § 1

SpruchG zählt das Delisting nicht als mögliche Anwendungsfallgruppe auf und es existiert keine

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normative Grundlage, die für das Delisting auf das Spruchverfahrensgesetz verweist. Über die

gesetzlich geregelten Anwendungsfälle hinaus kommt allerdings die analoge Anwendung der

Bestimmungen über das Spruchverfahren in Betracht (vgl. Kölner KommAktG/Wasmann, 3. Aufl., § 1

SpruchG Rn. 16 f. mN; Hoffmann, Festschrift für Stilz, 2014, S. 267, 268 ff.). Die entsprechende

Anwendung des Spruchverfahrensgesetzes auf die Fälle des Delisting hatte der Bundesgerichtshof in

der Macrotron-Entscheidung (II ZR 133/01, ZIP 2003, 387) bejaht vor dem Hintergrund, dass nach

dieser Entscheidung den Minderheitsaktionären mit dem Beschlussantrag über ein Delisting ein

Pflichtangebot über den Kauf ihrer Aktien zum Anteilswert vorgelegt werden musste. Die analoge

Anwendung des Spruchverfahrensgesetzes war die konsequente Folge hieraus, dient das

Spruchverfahren doch gerade der Überprüfung eines Pflichtangebots auf Abfindung oder Ausgleich

auf dessen Angemessenheit.

Die Grundlage für die analoge Anwendung des Spruchverfahrensrechts auf das Delisting ist bei

Zugrundelegung der Frosta-Rechtsprechung entfallen. Der Senat folgt dieser Entscheidung und deren

Begründung. Bedarf ein Delisting hiernach weder eines Hauptversammlungsbeschlusses noch eines

Pflichtangebots an die außenstehenden Aktionäre, besteht auch kein Angebot mehr, das im Wege des

Spruchverfahrens zu überprüfen ist, so dass keine eine Analogie rechtfertigende vergleichbare

Sachlage zu den sonstigen Strukturmaßnahmen, auf die das Spruchverfahren Anwendung findet,

gegeben ist.

Auch keine Überprüfung des Barabfindungsangebots der Hauptaktionärin für Altfälle

b. Auch die Überprüfung des von der Antragsgegnerin bereits vor Aufgabe der Macrotron-

Entscheidung abgegebenen Angebots im Spruchverfahren scheidet aus. Das Angebot wurde – wie sich

aus der Angebotsunterlage (AG 2) ergibt – zwar im Hinblick auf die Macrotron-Rechtsprechung des

Bundesgerichtshofs abgegeben. Auf diese Rechtsprechung und das dort aufgestellte Erfordernis eines

Pflichtangebots wird auf Seite 2 des Abfindungsangebots hingewiesen und ausgeführt, dass es sich

um ein solches Angebot handelt. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich

der Senat anschließt, war das Angebot schon von vornherein nicht erforderlich. Dies ist auch für die

Beurteilung der vergangenen Sachverhalte heranzuziehen mit der Folge, dass die noch unter Geltung

der ursprünglichen Rechtsprechung abgegebenen Pflichtangebote als freiwillige Angebote zu

behandeln sind (vgl. Roßkopf, ZGR 2014, 488, 502).

Wird die in der Frosta-Entscheidung vertretene Auffassung – wie von dem Senat – geteilt, so ist sie

auf alle nicht abgeschlossenen Fälle anzuwenden. Es handelt sich bei der Frosta-Entscheidung nicht

um eine Gesetzesänderung für die Zukunft, sondern um eine Rechtsprechungsänderung. Entgegen

der von Antragstellerseite vorgetragenen Auffassung läge auch dann kein Gesetzesrecht vor, wenn

der Gesetzgeber die bisherige Rechtsprechung ausdrücklich gebilligt haben sollte. Abgesehen davon

ergibt sich aus dem Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des Umwandlungsgesetzes, dass der

Gesetzgeber im Hinblick auf die noch offene Diskussion zum Delisting gerade keine gesetzliche

Regelung hierzu treffen wollte: In dem Gesetzgebungsverfahren wurde eine Erweiterung des § 1

SpruchG um das Delisting abgelehnt, weil der Gesetzgeber keine vorschnelle Antwort auf die noch

nicht abgeschlossene Diskussion in Wissenschaft und Praxis über die Voraussetzungen und

Rechtsfolgen des Delisting geben wollte (BT-Drucks. 16/2919, S. 28).

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Verfassungsrechtliche Gründe und Vertrauensschutzgesichtspunkte auf Seiten der Antragsteller

stehen der Heranziehung der Frosta-Rechtsprechung für den vorliegenden Fall nicht entgegen.

Auch wenn der Entscheidung des BGH selbst – entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin – für die

Frage ihrer rückwirkenden Anwendung auf Delisting-Fälle keine Aussage entnommen werden kann,

weil die Entscheidung zu einem Downgrading und gerade nicht zu einem Delisting erging, ergibt sich

die Anwendbarkeit der Entscheidung auf laufende Spruchverfahren aus den allgemeinen

Rechtsgrundsätzen.

Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht und erzeugt damit keine vergleichbare

Rechtsbindung. Das Abweichen der Rechtsprechung von einer früher vertretenen Rechtsauffassung

verstößt grundsätzlich nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Es bedarf nicht des Nachweises, dass sich

tatsächliche Verhältnisse oder allgemeine Anschauungen in einer bestimmten Weise geändert hätten.

Gerichtliche Entscheidungen wirken regelmäßig auf einen in der Vergangenheit liegenden, noch nicht

abgeschlossenen Sachverhalt ein. Diese sogenannte unechte Rückwirkung ist grundsätzlich rechtlich

unbedenklich. Die Regeln über die Begrenzung rückwirkender Änderungen von Gesetzen können auf

die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht ohne weiteres übertragen werden (BGH IX ZR 153/95,

juris Rn. 25 mN zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. BVerfG 2 BvR 2044/07, juris

Rn. 85 – Rügeverkrümmung; BVerfG 1 BvR 1557/01, juris Rn. 9 – Diplomchemiker jeweils mwN). Die

Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch unter dem Gesichtspunkt des

Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im

Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält (BVerfG 2 BvR 2044/07, juris Rn. 85 mwN).

Schranken der Rückwirkung können sich allenfalls aus Vertrauensschutzgesichtspunkten bei

gefestigter langjähriger Rechtsprechung ergeben (vgl. BVerfGE 126, 369, juris Rn. 79 mwN), wenn die

von der Rückwirkung betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen durfte

und dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen der Gegenpartei und den Anliegen der

Allgemeinheit vorrangig ist. Bei der hiernach zu treffenden Abwägung ist zu beachten, dass die

materielle Gerechtigkeit einen dem Grundsatz der Rechtssicherheit mindestens ebenbürtigen

Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips begründet (BGH IX ZR 153/95, juris Rn. 26 mN zur

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; BVerfG 1 BvR 2378/10, juris Rn. 50: Unechte

Rückwirkung nur ausnahmsweise unzulässig, wenn kein angemessener Ausgleich zwischen dem

Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage, der Bedeutung des gesetzgeberischen

Anliegens für die Allgemeinheit und der grundrechtsgemäßen Ausgewogenheit zwischen den

Beteiligten des Arbeitsverhältnisses erfolgt). In privatrechtlichen Streitigkeiten hat eine Partei

grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass das Gericht nach dem geltenden materiellen Recht

entscheidet und ihr ist es nur dann zuzumuten, ein ihr ungünstiges Urteil hinzunehmen, obwohl sie

nach gegenwärtiger höchstrichterlicher Erkenntnis das Recht auf ihrer Seite hat, wenn die daraus für

den Gegner erwachsenden Folgen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu unbilligen, ihm

nicht zumutbaren Härten führen würden (BGH, IX ZR 153/95, juris Rn. 27). Die unechte Rückwirkung

durch eine Rechtsprechungsänderung wurde demnach in der Regel nur in Fällen eingeschränkt, wo es

um den Fortbestand eines Dauerschuldverhältnisses ging und die Rückwirkung für den davon

Betroffenen möglicherweise existenzbedrohende Auswirkungen hatte (so BGH, IX ZR 153/95, juris Rn.

28 mit Verweis u.a. auf BVerfGE 74, 129, juris Rn. 76 ff.; BGHZ 114, 127, 136 f.). Im Rahmen der

Abwägung zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit ist allerdings zu beachten, dass

die durch Rechtsfortbildung aufgestellten Grundsätze dem Gesetzesrecht näher liegen als die reine

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

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Gesetzesanwendung, so dass bei einer rechtsfortbildenden Rechtsprechung dem Gedanken der

Rechtssicherheit größeres Gewicht zukommt als bei einer rein rechtsanwendenden Rechtsprechung

(vgl. Goette, Festschrift für Stilz, 2014, S. 159, 167).

Die Anwendung dieser Grundsätze führt in der vorliegenden Konstellation dazu, dass die aus Sicht des

Senats zutreffende geänderte Rechtsauffassung zu den Voraussetzungen eines Delisting rückwirkend

auch in den Fällen anzuwenden ist, in denen zwar über das Delisting bereits durch die

Hauptversammlung beschlossen und dieses bereits durchgeführt wurde unter Abgabe eines

Abfindungsangebots für die Aktien der Minderheitsaktionäre, das Verfahren insoweit aber noch nicht

abgeschlossen ist, als ein Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Höhe der

Abfindung anhängig ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Macrotron-

Entscheidung die Voraussetzungen für das Delisting nicht in Auslegung bestehenden

Gesetzesrechts, sondern rechtsfortbildend aufstellte (vgl. Goette, Festschrift für Stilz, 2014, S. 159).

Nur unechte Rückwirkung der Rechtsprechungsänderung

Entgegen der Auffassung einiger Antragsteller liegt keine echte Rückwirkung vor, sondern allenfalls

eine zulässige unechte Rückwirkung (ebenso OLG München 31 Wx 292/14, ZIP 2015, 270). Die

Anwendung der geänderten Rechtsprechung führt nicht dazu, dass ein bereits entstandener Anspruch

der Antragsteller rückwirkend aufgehoben würde (a. A. mit nicht überzeugender Argumentation

Lochner/Schmitz, AG 2014, 489, 491). Ein Anspruch der Aktionäre auf Zahlung der angebotenen

Abfindung entsteht erst mit der Annahme des Abfindungsangebots. Soweit Aktionäre das

Abfindungsangebot bereits angenommen haben, ist ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen der

Antragsgegnerin und diesen Aktionären zu Stande gekommen, dessen Wirksamkeit durch die

geänderte Rechtsprechung nicht berührt wird (vgl. Arnold/Rothenburg, DStR 2014, 150, 154;

Roßkopf, ZGR 2014, 487, 501 f. jeweils auch zutreffend mit Ablehnung eines Wegfalls der

Geschäftsgrundlage). Soweit Aktionäre aber – wie die Antragsteller – das Angebot nicht

angenommen haben, ist auch kein Anspruch dieser Aktionäre gegen die Antragsgegnerin auf

Übernahme ihrer Aktien gegen Zahlung des angebotenen Betrags entstanden, so dass kein bereits

entstandener Anspruch berührt wird. Vielmehr war im Zeitpunkt der Rechtsprechungsänderung durch

die Einleitung des Spruchverfahrens der Sachverhalt insoweit noch nicht abgeschlossen, als die

Angemessenheit der Abfindung noch zu überprüfen und daraufhin die Entscheidung über die

Annahme des ggf. erhöhten Abfindungsangebots zu treffen war.

Die Anwendung der neuen Rechtsprechung führt nunmehr dazu, dass das Angebot der

Antragsgegnerin als freiwilliges Angebot zu werten ist, das mit Ablauf der Angebotsfrist entfiel, so

dass die Antragsteller keine Möglichkeit mehr haben, die Angemessenheit der Abfindung überprüfen

zu lassen. Ihnen wird die Chance auf eine Erhöhung des Angebots durch Entscheidung des Gerichts

und auf ein Ausscheiden gegen die möglicherweise erhöhte Abfindung genommen. Die Antragsgegner

bleiben vielmehr Aktionäre der VARTA AG.

Eine echte Rückwirkung liegt – entgegen dem Vorbringen von Antragstellerseite und des

gemeinsamen Vertreters – auch nicht deshalb vor, weil das Delisting mit dem Widerruf der Zulassung

abgeschlossen ist und die Antragsteller das Angebot der Antragsgegnerin nicht mehr annehmen

können. Die Änderung der Rechtsprechung wirkt sich auf die Wirksamkeit des abgeschlossenen

Delisting nicht aus. Der Widerruf der Zulassung und dessen Wirksamkeit bleiben hiervon unberührt.

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Keine Veränderung ergibt sich auch insoweit, als das ursprüngliche Angebot der Antragsgegnerin von

den Antragstellern nicht mehr angenommen werden kann, da dessen Annahmefrist abgelaufen ist.

Auch insoweit wirkt die Rechtsprechungsänderung nicht rückwirkend auf einen abgeschlossenen

Sachverhalt ein. Auswirkungen hat die Entscheidung aber insoweit, als den Antragstellern die Chance

genommen wird, eine höhere Abfindung im Wege des Spruchverfahrens zu erreichen, und als ihnen

möglicherweise auch die Möglichkeit genommen wird, das ursprüngliche Angebot nach Entscheidung

über das Spruchverfahren doch noch anzunehmen. Dies greift aber gerade nicht in einen

abgeschlossenen vergangenen Sachverhalt ein, sondern bezieht sich auf den durch die Einleitung des

Spruchverfahrens offen gehaltenen Sachverhalt. Den Antragstellern werden ansonsten noch offene

Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten genommen, was bei der Prüfung der Zulässigkeit einer

unechten Rückwirkung im Rahmen der Abwägung (hierzu unter cc) zu berücksichtigen ist.

Diese Folgen sind für die Antragssteller allerdings hinnehmbar und nicht unter

Vertrauensschutzgesichtspunkten zu korrigieren. Die Voraussetzungen, unter denen eine Heran-

ziehung der Rechtsprechungsänderung für laufende Verfahren abgelehnt werden könnte, liegen nicht

vor. Es fehlt angesichts der bestehenden Diskussion zum Delisting und dessen Voraussetzungen

bereits ein schützenswertes Vertrauen auf eine fortbestehende gefestigte Rechtsprechung (hierzu

unter aa). Zudem war die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sachlich gerechtfertigt, auf Grund der

vorangegangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folgerichtig und stellte keine

willkürliche Rechtsprechungsänderung dar (hierzu unter bb). Letztlich entsteht den Antragstellern

auch kein unzumutbarer Nachteil, der es rechtfertigen würde, von der Anwendung des nunmehr

geltenden Rechts abzusehen (hierzu unter cc).

aa. Es fehlt bereits ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der Macrotron-Rechtsprechung.

Die Macrotron-Rechtsprechung stellt keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung dar, auf

die sich ein schützenswertes Vertrauen hätte gründen können (ebenso OLG München 31 Wx 292/14,

ZIP 2015, 270).

Jedenfalls wenn eine Rechtsprechungslösung – nicht nur vereinzelt – angegriffen wird und umstritten

ist und bleibt, kann sich kein schutzwürdiges Vertrauen in deren Fortbestand ergeben, da damit

gerechnet werden muss, dass die Rechtsprechungslinie auf Grund dieser Kritik von dem

Bundesgerichtshof überdacht wird (vgl. Goette, Festschrift für Stilz, 2014, S. 159, 168).

Dies ist hier der Fall. Die Macrotron-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war von vornherein

umstritten (vgl. jeweils mit ausführlichen Nachweisen Kölner KommAktG/Wasmann, 1. Aufl., § 1

SpruchG Rn. 27 ff.; Roßkopf, ZGR 2014, 487, 493; Arnold/Rothenburg, DStR 2014, 150, 155). Der

Bundesgerichtshof hatte in der Macrotron-Entscheidung in einem obiter dictum erklärt, dass die

gravierenden wirtschaftlichen Nachteile durch den Wegfall des Marktes auch nicht durch die

Einbeziehung der Aktien in den Freihandel ausgeglichen werden können (vgl. BGH II ZR 133/01, juris

Rn. 24), was dafür spricht, dass nach seinen Vorstellungen auch das Downgrading denselben

Voraussetzungen unterliegen sollte. Diese Rechtsprechung wurde durch die Oberlandesgerichte

überwiegend insoweit nicht fortgesetzt, als diese eine Anwendung der Macrotron-Grundsätze für ein

Downgrading in den Bereich der Qualitätssegmente des Freihandels, die allerdings erst nach der

Macrotron-Entscheidung entstanden, verneinten (vgl. OLG München 31 Wx 62/07, BB 2008, 1303; KG

2 W 119/08, BB 2009, 1496; OLG Bremen 2 W 25/12, NZG 2013, 749; OLG Frankfurt 21 W 8/11, ZIP

2012, 371: obiter dictum). Diese Entscheidungen zeigten auf, dass die Macrotron-Rechtsprechung

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jedenfalls nicht für alle Fälle des Rückzugs von dem geregelten Markt Geltung hat und die gesamte

Rechtsentwicklung im Bereich Delisting und Downgrading noch im Fluss war.

Der Gesetzgeber lehnte im Zuge der Novellierung des Umwandlungsgesetzes eine Erweiterung des § 1

SpruchG um das Delisting ab, weil er keine vorschnelle Antwort auf die noch nicht abgeschlossene

Diskussion in Wissenschaft und Praxis über die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Delisting

geben wolle (BT-Drucks. 16/2919, S. 28).

Die Rechtslage zu Delisting und Downgrading war demnach seit der Macrotron-Rechtsprechung nicht

gefestigt, wenn sich auch die Praxis und die Instanzgerichte für den Bereich des Delisting hieran

orientierten. Die Entwicklung war aber im Fluss und offensichtlich noch nicht abgeschlossen, so dass

eine gefestigte Rechtsprechung, von deren dauerhaftem Fortbestand ausgegangen werden konnte

und die ein schützenswertes Vertrauen erwecken konnte, nicht anzunehmen ist (ebenso OLG

München 31 Wx 292/14, ZIP 2015, 270; Glienke/Röder, BB 2014, 899, 905; Roßkopf, ZGR 2014, 487,

502; Arnold/Rothenburg, DStR 2014, 150, 155; a. A. Lochner/Schmitz, AG 2014, 489, 491 f.). Schon

deshalb bestehen gegen die Heranziehung der Frosta-Entscheidung für laufende Spruchverfahren

keine Bedenken, vielmehr scheint diese geboten.

Die weitere Entwicklung bestätigt die fehlende Verfestigung der Macrotron-Rechtsprechung, ohne

dass dies hier noch entscheidungserheblich wäre. So befasste sich das Bundesverfassungsgericht auf

eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des OLG München (31 Wx 62/07) mit dem

Downgrading in den qualifizierten Freiverkehr und auf eine Verfassungsbeschwerde gegen die

Entscheidung des KG (2 W 14/06) mit dem Delisting, was allgemein bekannt und auch im Rahmen

einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 16.12.2011 (PM Nr. 79/20119), in dem die

mündliche Verhandlung angekündigt wurde, publik gemacht wurde. In diesen Verfahren ging es

entscheidend um die Eigentumsverletzung durch den Rückzug von dem geregelten Markt und damit

um die Grundlage der Macrotron-Rechtsprechung. Die Entscheidung über die Verfassungs-

beschwerden erging am 11.07.2012 und war maßgeblicher Grund für die Änderung der

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in dieser

Entscheidung die Rechtsfortbildung hinsichtlich der Voraussetzungen des Delisting für zulässig

gehalten hat, hat es mit der Entscheidung, dass das Delisting keine Eigentumsverletzung darstelle, der

Argumentation der Macrotron-Entscheidung die Grundlage entzogen.

bb. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs war zudem sachlich gerechtfertigt sowie auf Grund der

vorangegangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folgerichtig und stellte keine

willkürliche Rechtsprechungsänderung dar.

Die Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gründet in der Entscheidung des

Bundesverfassungsgerichts zum Delisting (1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, BVerfGE 132, 99), wonach

der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt auf Antrag des Emittenten den

Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts nicht berührt. Hierdurch wurde der Macrotron-

Rechtsprechung die Grundlage entzogen, da sich diese maßgeblich auf den verfassungsrechtlichen

Schutz des Aktieneigentums stützte. Der Bundesgerichtshof begründet seine Recht-

sprechungsänderung deshalb folgerichtig mit Bezug auf die Entscheidung des Bundes-

verfassungsgerichts (BGH II ZB 26/12, juris Rn. 3). Eine willkürliche, den gebotenen Vertrauensschutz

verletzende Rechtsprechungsänderung liegt somit nicht vor.

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cc. Schon auf Grund des fehlenden schutzwürdigen Vertrauens, zudem auch auf Grund der

Willkürfreiheit der Rechtsprechungsänderung ist die Heranziehung der Frosta-Rechtsprechung für

laufende Spruchverfahren bedenkenfrei. Auf eine Interessenabwägung kommt es somit nicht an. Nur

ergänzend sei deshalb angemerkt, dass das Interesse der Antragsteller bei einer Abwägung mit den

Belangen der Gegenpartei und den Anliegen der Allgemeinheit nicht überwiegen würde. Die aus der

Anwendung der Rechtsprechungsänderung für die Antragsteller erwachsenden Folgen führen nicht zu

unbilligen, ihnen nicht zumutbaren Härten.

Folge der rückwirkenden Anwendung der Rechtsprechungsänderung ist, dass die Antragsteller die

Chance verlieren, die angebotene Abfindung gerichtlich überprüfen zu lassen und möglicherweise

gegen eine höhere Abfindung als ursprünglich angeboten aus der Gesellschaft auszuscheiden. Der

Verlust dieser Chance stellt keine unzumutbare Beeinträchtigung der Antragsteller dar, die im

Verhältnis zu dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit und dem berechtigten Interesse der

Antragsgegnerin, dem geltenden Recht entsprechend behandelt zu werden, überwiegen würde. Im

Gegenteil beeinträchtigt der Wegfall der Chance zur Überprüfung des Angebots die Antragsteller

nicht in geschützten Rechtspositionen, insbesondere nicht in ihrem Eigentumsrecht.

Folge der rückwirkenden Anwendung der Rechtsprechungsregeln ist weiter, dass die Antragsteller, die

das nunmehr als freiwillig zu wertende Angebot auf Abfindung nicht angenommen haben, Aktionäre

der VARTA AG geblieben sind. Auch insoweit sind sie aber nicht gravierend in ihren Rechten verletzt.

Ihnen ist die Rechtsposition verblieben, die sie vor Einleitung des Spruchverfahrens und auch vor dem

Delisting hatten. Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, beeinträchtigt der Wegfall der

Zulassung zum regulierten Markt das Eigentumsrecht der Antragsteller nicht (vgl. 1 BvR 3142/07, 1

BvR 1569/08, BVerfGE132, 99). Eine grundrechtlich relevante Rechtsverletzung entsteht somit durch

die rückwirkende Anwendung der Rechtsprechungsänderung nicht. Vielmehr bleibt ihnen ihr

Eigentum in vollem Umfang erhalten, in Form der von ihnen selbst erworbenen Aktien. Keine für die

aufgeworfene Frage entscheidende Beeinträchtigung stellt es dar, dass sie auf Grund der

Rechtsprechungsänderung und der damit verbundenen Unzulässigkeit des Spruchverfahrens nicht

mehr in der Lage sein dürften, das Angebot anzunehmen (hierzu LG Frankfurt 3-05 O 212/13, ZIP

2014, 320), während bei Statthaftigkeit des Spruchverfahrens auch ohne dessen Erfolg nach der

Entscheidung über das Spruchverfahren noch Gelegenheit gewesen wäre, auch gegen Abfindung in

ursprünglich angebotener Höhe aus der Gesellschaft auszuscheiden (zur Rechtskonstruktion

diesbezüglich vgl. OLG Frankfurt 15 U 125/08, juris Rn. 23 ff.). Die Antragsteller hielten die

angebotene Abfindung offensichtlich für zu niedrig, da sie diese ansonsten angenommen hätten. Ein

Interesse ihrerseits an der Annahme dieses Angebots bestand somit grundsätzlich nicht, da sie – wie

die Einleitung des Spruchverfahrens zeigt – der Auffassung waren, dass die angebotene Abfindung

dem Wert ihrer Aktien nicht entspricht. Es beeinträchtigt die Antragsteller deshalb auch nicht in einer

den geltend gemachten Vertrauensschutz rechtfertigenden Weise, wenn sie durch die

Rechtsprechungsänderung nicht mehr in der Lage sind, dieses von ihnen für unangemessen gehaltene

Angebot anzunehmen. Wäre es ihnen entscheidend darauf angekommen, aus der Gesellschaft

auszuscheiden, und hätte dies ihrem Willen auch im Falle der Nichterhöhung durch das

Spruchverfahren entsprochen, hätten sie dies sichern können, indem sie das Angebot nach

Antragstellung im Spruchverfahren annahmen oder jedenfalls für alle Aktien bis auf eine Aktie

annahmen. Hierdurch wären ihnen sowohl die Durchführung des Spruchverfahrens und die Teilhabe

an einer eventuellen erhöhten Abfindung gesichert gewesen als auch das Ausscheiden aus der

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 120

Gesellschaft jedenfalls zu dem angebotenen Betrag. Das Unterlassen dieser Sicherung zeigt auf, dass

die Annahme des Angebots zu dem angebotenen Preis für die Antragsteller jedenfalls nicht

entscheidend war.

Auch die Tatsache, dass die sechsmonatige Frist des § 45 Abs. 2 S. 3 der Börsenordnung der

Frankfurter Wertpapierbörse für die Wirksamkeit des Widerrufs der Zulassung auf drei Monate

verkürzt wurde, führt nicht zu einem überwiegenden Vertrauensschutz, der die Heranziehung der

neuen Rechtsprechung für den vorliegenden Fall unzulässig machen würde. Zwar war Voraussetzung

dieser Verkürzung nach § 45 Abs. 3 der Börsenordnung, dass den Aktionären ein Kaufangebot

unterbreitet wird, dessen Höhe im Wege eines gesonderten Verfahrens (z.B. Spruchverfahren)

überprüft werden kann. § 45 Abs. 3 der Börsenordnung der ... Wertpapierbörse greift damit

offensichtlich die bisherige Macrotron-Rechtsprechung auf und hält eine kürzere Frist für die

Wirksamkeit des Widerrufs für ausreichend, wenn die Aktionäre die Möglichkeit haben, die Aktien an

die Emittentin bzw. den Großaktionär zu verkaufen und das Angebot auf Angemessenheit überprüft

werden kann. Diese Voraussetzung ist bei Anwendung der geänderten Rechtsprechung insoweit nicht

mehr gegeben, als das Kaufangebot nicht mehr im Wege des Spruchverfahren überprüft werden

kann. Wäre dies bereits im Zeitpunkt des Widerrufs bekannt gewesen, wäre der Widerruf erst nach

sechs Monaten wirksam geworden; die Antragsteller hätten demnach sechs Monate Zeit gehabt, über

eine freiwillige Deinvestition zu entscheiden. Allerdings kann dabei auch nicht außer Acht gelassen

werden, dass dann schon kein Kaufangebot seitens der Antragsgegnerin unterbreitet worden wäre,

die Antragsgegnerin also von vornherein nur die Möglichkeit gehabt hätten, die Aktien binnen sechs

Monaten – bis zur Wirksamkeit des Widerrufs – zu veräußern oder zu behalten. Durch das im

Nachhinein betrachtet überobligatorische Angebot hatten die Aktionäre dagegen die Möglichkeit, das

Angebot entsprechend der in der Angebotsunterlage angegebenen Frist bis zwei Monate nach

Veröffentlichung der Widerrufsentscheidung anzunehmen (vgl. Angebotsunterlage AG 2) und damit

als Verkaufspreis den nach Umsätzen gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs der letzten drei

Monate vor Bekanntgabe der Widerrufsabsicht zu erhalten (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Wertes für

das konkrete Angebot Angebotsunterlage AG 2, Seite 6). Sie hatten aber auch die Möglichkeit, binnen

drei Monaten nach Veröffentlichung der Widerrufsentscheidung – also bis zum Wirksamwerden des

Widerrufs - die Aktien über die Börse zu verkaufen. Indem die Antragsteller keine dieser Optionen

wahrnahmen, zeigten sie, dass der Verkauf der Aktien zum Börsenkurs oder dem durchschnittlichen

gewichteten Börsenkurs der vergangenen drei Monate für sie keine Option darstellte, sie vielmehr den

Wert der Aktien höher schätzten als den erzielbaren Verkaufspreis. Die Beeinträchtigung der

Antragsteller dadurch, dass sie auf Grund der im Nachhinein nicht mehr erfüllten Anforderungen des

§ 45 Abs. 3 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse nur drei und nicht sechs Monate

Zeit hatten, über die freiwillige Deinvestition durch Verkauf über die Börse nachzudenken, stellt

angesichts dessen keine gravierende Beeinträchtigung dar.

Sind demnach schon keine gewichtigen Interessen der Antragsteller berührt, die eine Rückwirkung für

die Antragsteller als unzumutbar oder auch nur erheblich beeinträchtigend erscheinen lassen, führt

dies zu einem Überwiegen der materiellen Gerechtigkeit und des Interesses der Antragsgegnerin,

nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Recht behandelt zu werden.

c. Ein vertraglicher Anspruch auf Durchführung eines Spruchverfahrens besteht nicht. Die Frage, ob

ein Spruchverfahren statthaft ist, steht nicht zur Disposition der Parteien, sondern richtet sich nach

den gesetzlichen Vorschriften über die Statthaftigkeit von Spruchverfahren (vgl. Spindler/Stilz/

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 121

Drescher, AktG, 2. Aufl., § 1 SpruchG Rn. 30). Die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens ergibt sich

deshalb – entgegen der Auffassung einiger Antragsteller – weder daraus, dass die Antragsgegnerin

selbst in ihrem Angebot auf das Spruchverfahren verwiesen hat, noch daraus, dass die X AG nach dem

Vortrag einiger Antragsteller bei der Wertpapierbörse ... die Verkürzung der Frist für die Wirksamkeit

des Widerrufs nach § 46 Abs. 3 der Börsenordnung für die ... Wertpapierbörse beantragt hat im

Hinblick auf die Überprüfbarkeit des Angebots in einem Spruchverfahren. Da die Statthaftigkeit des

Spruchverfahrens von Amts wegen zu prüfen ist, kann der Antragsgegnerin entgegen der Auffassung

einiger Antragsteller auch nicht der Vorwurf des „venire contra factum proprium“ gemacht werden.

3. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. (…)

4. Die Anträge der Antragsteller auf Durchführung eines Spruchverfahrens sind mithin unzulässig. Die

Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Die Anträge sind als unzulässig zu verwerfen (vgl. BGH

NJW 2008, 373, juris Rn. 17; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 280 Rn. 8).

Kostenregelung

5. Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten des Spruchverfahrens in beiden Instanzen zu tragen (§

15 Abs. 2 Satz 1 SpruchG a.F. für das erstinstanzliche Verfahren und § 23 Nr. 14 GNotKG für das

Beschwerdeverfahren; zur Übergangsvorschrift vgl. § 134 GNotKG). Eine Billigkeitsentscheidung

gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 SpruchG a.F. bzw. § 15 Abs. 1 SpruchG n.F. zulasten der Antragsteller

kommt nicht in Betracht. Hiernach können zwar die Gerichtskosten einem Antragsteller

ausnahmsweise auferlegt werden, wenn sein Antrag bei einer Beurteilung ex ante offensichtlich von

vornherein ohne Erfolgsaussichten war (vgl. BGH NZG 2012, 191, juris Rn. 23). Diese Voraussetzungen

liegen aber nicht vor. Im Zeitpunkt der Antragstellung konnten die Antragsteller noch von der

Zulässigkeit eines Spruchverfahrens ausgehen, so dass es nicht der Billigkeit entspräche, den

Antragstellern die Kosten aufzuerlegen (so auch BGH, II ZB 26/12 – Frosta, juris Rn. 17).

Nach § 15 Abs. 4 SpruchG a.F. bzw. § 15 Abs. 2 SpruchG n.F. tragen die Antragsteller ihre

außergerichtlichen Kosten grundsätzlich selbst, sofern nicht die Kostentragungspflicht des

Antragsgegners der Billigkeit entspricht (vgl. Spindler/Stilz/Drescher, AktG, 2. Aufl., § 15 SpruchG Rn.

20). Der Senat hält es nicht für angezeigt, der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten der

Antragsteller aufzuerlegen. Die Antragsgegnerin hat in dem Verfahren Erfolg. Allein die Tatsache,

dass dies auf einer Änderung der Rechtsprechung beruht, führt nicht dazu, dass sie die Kosten zu

tragen hätte. Ob und inwieweit das Verfahren ohne die Rechtsprechungsänderung erfolgreich

gewesen wäre, ist nicht absehbar. Angesichts dessen verbleibt es bei der grundsätzlichen

Kostentragungspflicht der Antragssteller für ihre eigenen Kosten (so auch die Kostenentscheidung in

BGH, II ZB 26/12 – Frosta).

Die entstandenen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin können den Antragstellern nicht

auferlegt werden, da eine Erstattung der Kosten des Antragsgegners in § 15 SpruchG nicht

vorgesehen ist und § 15 SpruchG die Kostenerstattung für die außergerichtlichen Kosten abschließend

regelt (vgl. BGH, NZG 2012, 191, juris Rn. 11 ff.).“

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 122

Laufende Spruchverfahren

Beweisbeschluss im Spruchverfahren Mannheimer Aktiengesellschaft Holding In dem Spruchverfahren zu dem auf der außerordentliche Hauptversammlung der Mannheimer

Aktiengesellschaft Holding am 18. Dezember 2012 beschlossenen verschmelzungsrechtlichen

Squeeze-Out hat das LG Mannheim einen Beweisbeschluss gefasst (Beschluss vom 27. März 2015).

Der mit ergänzendem Beschluss vom 1. April 2015 bestellte Sachverständige, Herr WP Ulrich Frizlen,

c/o Bansbach GmbH, soll demnach zu mehreren Kritikpunkten an der Unternehmensbewertung

Stellung nehmen, u.a. zur Ermittlung des Börsenkurses (Ziff. 2) und zur Unternehmensbewertung

nach der Ertragswertmethode (Ziff. 3). Ausdrücklich verweist das Gericht darauf, dass die

Empfehlung des FAUB vom September 2012, die Marktrisikoprämie auf 5,5 % anzuheben. nicht

überzeugt. Da die bedeutenden Notenbanken große Geldmengen bereit stellten, könne man nicht

die These aufstellen, der Geldanleger könne erhöhte Risikoprämien fordern (S. 10).

LG Mannheim, Az. 24 AktE 2/13

SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. u.a. ./. deutsche internet versicherung aktiengesellschaft 72 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: RA Fleck, c/o Rechtsanwälte Müller, Kornblum und Teichmann, 68165 Mannheim Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin: Rechtsanwälte Hengeler Mueller

_______________

Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der P&I Personal & Informatik Aktiengesellschaft Die Spruchanträge zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre bei der P&I Personal & Informatik AG

hat das Landgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 19. März 2015 verbunden. Gleichzeitig

wurde Herr Rechtsanwalt Dr. Peter Dreier (wie bereits in dem BuG-Spruchverfahren) zum

gemeinsamen Vertreter bestellt.

In dem früheren Spruchverfahren zu dem 2011 abgeschlossenen Beherrschungs- und

Gewinnabführungsvertrag (BuG) hatte das LG Frankfurt am Main kürzlich den angemessenen

Ausgleich gem. § 304 AktG auf netto EUR 1,68 zzgl. Körperschaftssteuerbelastung und

Solidaritätszuschlag und somit brutto EUR 1,93 festgesetzt, aber hinsichtlich der Abfindung (EUR

25,01 je P&I-Aktie) wegen "Geringfügigkeit" keine Anhebung für erforderlich gehalten. Diese

Entscheidung wird vom OLG Frankfurt am Main überprüft werden, da mehrere Antragsteller

Beschwerden eingereicht haben.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 123

Bei der P&I Personal & Informatik AG war dann im Herbst 2014 auf Verlangen der Argon GmbH der

nunmehr verfahrensgegenständliche Squeeze-out durchgeführt worden (mit einem im Vergleich zum

BuG-Spruchverfahren deutlich höheren Barabfindungsangebot in Höhe von EUR 70,66 je P&I-Aktie),

siehe http://spruchverfahren.blogspot.de/2014/10/squeeze-out-bei-der-p-personal.html.

LG Frankfurt am Main, Az. 3-05 O 127/14

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24. Februar 2015, Az. 3-05 O 64/11 (Beherrschungs- und

Gewinnabführungsvertrag)

Eckert ./. Argon GmbH

82 Antragsteller

gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Peter Dreier, 40213 Düsseldorf

Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Argon GmbH:

Rechtsanwälte Morrison & Foerster

_______________

Spruchverfahren Bosch Solar Energy AG (vormals: ersol Solar Energy AG): LG Erfurt ordnet Vorlage der Planungsunterlagen an

In dem Spruchverfahren zu dem auf der Hauptversammlung der Bosch Solar Energy AG (vormals:

ersol Solar Energy AG) am 23. Juli 2009 beschlossenen Übertragung der Aktien der übrigen

Aktionäre auf die Robert Bosch GmbH hat das Landgericht Erfurt mit Verfügung vom 18. März 2015

die zeitnahe Vorlage umfangreicher Planungsunterlagen durch die Antragsgegnerin angeordnet. Die

Unterlagen seien wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör den Beteiligten bekannt zu machen.

Die von der Kanzlei Hengeler Mueller vertretene Antragsgegnerin hatte dagegen argumentiert, dass

es sich um eine nicht entscheidungserhebliche "Altplanung" handele, und eine Abänderung der

bereits mit Beschluss vom 3. April 2014 angeordneten Vorlage angeregt.

Vorzulegen sind von der Antragsgegnerin entsprechend dem Beschluss vom 3. April 2014 die

ursprüngliche 5-Jahresplanung der Gesellschaft (2008 - 2012) sowie der im Herbst 2008 erstellten 5-

Jahresplan und dessen Fortentwicklung bis zum Jahr 2018 (vor der Aktualisierung im Mai 2009).

LG Erfurt, Az. 1 HK O 183/09

Alexandra Arendts u.a. ./. Robert Bosch GmbH

93 Antragsteller

gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Wolfgang Hahn, 90421 Nürnberg

Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Robert Bosch GmbH:

Rechtsanwälte Hengeler Mueller, 40019 Düsseldorf

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 124

Spruchverfahren zum Beherrschungsvertrag mit der Design Hotels AG

Das Landgericht Berlin hat die Spruchanträge zum Beherrschungsvertrag der Starwood Hotels &

Resorts Worldwide, Inc. mit der Design Hotels AG als beherrschter Gesellschaft unter dem

Aktenzeichen 102 O 46/14.SpruchG verbunden. Mit Beschluss vom 27. Januar 2015 wurde

Rechtsanwalt Dr. Christoph Regierer zum gemeinsamen Vertreter bestellt. Der Antragsgegner wurde

aufgegeben, bis zum 30. April 2015 zu den Spruchanträgen Stellung zu nehmen.

Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen

HOMAG-Aktionäre stimmen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit Dürr zu

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Auf der außerordentlichen Hauptversammlung am 5. März 2015 haben die Aktionäre der HOMAG

Group AG dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen dem Holzbearbeitungs-

maschinenhersteller und der Dürr Technologies GmbH, eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der Dürr

AG, zugestimmt. An der Hauptversammlung hatten ca. 170 Anteilseigner teilgenommen. Damit

wurde eine Präsenz von ca. 85 % des Grundkapitals erreicht.

Mit dem Unternehmensvertrag unterstellt die HOMAG Group AG die Leitung ihrer Gesellschaft der

Dürr Technologies GmbH. Diese hat aufgrund dieser Strukturmaßnahme das Recht, dem Vorstand

der HOMAG hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Der Vorstand der

HOMAG ist verpflichtet, den Weisungen der Dürr Technologies GmbH Folge zu leisten. Die HOMAG

verpflichtet sich darüber hinaus, ihren gesamten nach Maßgabe der handelsrechtlichen Vorschriften

ermittelten Gewinn an die Dürr Technologies GmbH abzuführen.

Der Unternehmensvertrag ist zwischenzeitlich mit seiner Eintragung in das Handelsregister der

HOMAG Group AG (HRB 440649) beim Amtsgericht Stuttgart am 17. März 2015 wirksam geworden.

Die Bekanntmachung erfolgte am gleichen Tag (Beginn der dreimonatigen Frist für die Stellung von

Spruchanträgen).

HOMAG ist ein weltweit führender Hersteller von Maschinen und Anlagen für die holzverarbeitende

Industrie. Die Gesellschaft ist weltweit aktiv und hat nach eigenen Angaben einen geschätzten

Weltmarktanteil von 28%.

Im Juli 2014 war der Einstieg des ebenfalls weltweit aktiven Maschinen- und Anlagenbaukonzern

Dürr bei HOMAG verkündet worden, siehe http://spruchverfahren.blogspot.de/2014/07/die-durr-ag-

sichert-sich-758-der.html. Demnach hatte Dürr mit verschiedenen Großaktionären Vereinbarungen

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 125

zum Erwerb von insgesamt 53,7% der HOMAG-Aktien getroffen (mit mehr als 75% der Stimmrechte

durch Beitritt zu einem Poolvertrag). Diesbezüglich wurde auf Kaufverträge mit der Deutschen

Beteiligungs AG (39,5 % der Aktien), dem Aktienpool Schuler/Klessmann (3 %) und zwei weiteren

Aktionären (rund 11%) verwiesen. Als Kaufpreis für die 53,7 % der HOMAG-Aktien wurde ein Betrag

von EUR 219 Mio. genannt. Nach der Meldung war mit der Familie Schuler und der Klessmann-

Stiftung, die zuvor im Rahmen eines Aktienpools 25,1 % an HOMAG gehalten hatten, ein Beitritt von

Dürr zum Pool vereinbart worden.

Im Anschluss an diese Kaufverträge hatte Dürr ein öffentliches Übernahmeangebot in Höhe von EUR

26,35 je HOMAG-Aktie gemacht, das allerdings - trotz einer Verlängerung der Annahmefrist, siehe

http://spruchverfahren.blogspot.de/2014/09/verlangerung-des-ubernahmeangebots-fur.html - auf

wenig Resonanz stieß.

Die Dürr Technologies GmbH hält seit Mitte Oktober 2014 etwa 55,9 % der HOMAG-Aktien. Mitte

November waren daraufhin Verhandlungen über einen Beherrschungsvertrag aufgenommen

worden, der später noch um einen Gewinnabführungsvertrag ergänzt wurde. Mit dem Abschluss des

Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags wurde den restlichen Aktionäre im Gegenzug eine

Barabfindung in Höhe von zunächst EUR 29,47 je Homag-Aktie sowie einen Ausgleich

("Garantiedividende") in Höhe von brutto EUR 1,27 je Aktie angeboten. Kurz vor der

Hauptversammlung war der Ausgleich wegen des anzusetzenden niedrigeren Basiszinssatzes auf

brutto EUR 1,18 (netto, nach Abzug von Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag: EUR 1,01) je

HOMAG-Aktie (und damit etwas niedriger) festgesetzt und die Abfindung auf EUR 31,56 je HOMAG-

Aktie erhöht worden, vgl. http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/03/homag-group-ag-hohe-von-

ausgleich-und.html.

Die Höhe von Abfindung und Ausgleich wird in einem Spruchverfahren überprüft werden.

_______________

Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out bei der EHLEBRACHT AG

Unternehmensmitteilung nach Entry Standard-Bedingungen (Quasi Ad hoc)

EHLEBRACHT AG: Mitteilung über die Absicht einer Konzernverschmelzung der EHLEBRACHT AG

auf die E & Funktionstechnik Holding AG und eines Ausschlusses der Minderheitsaktionäre der

EHLEBRACHT AG im Zusammenhang mit der Verschmelzung (umwandlungsrechtlicher Squeeze-

Out)

Enger, 27. Februar 2015 - Die E & Funktionstechnik Holding AG, Köln hat der EHLEBRACHT AG, Enger

mitgeteilt, in Verhandlungen über den Abschluss eines Verschmelzungsvertrags zwischen der

EHLEBRACHT AG als übertragende Gesellschaft und der E & Funktionstechnik Holding AG als

übernehmende Gesellschaft eintreten zu wollen, und den Entwurf eines Verschmelzungsvertrags

übersandt.

Page 24: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 5/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 126

Die E & Funktionstechnik Holding AG ist derzeit unmittelbar mit ca. 90,0832 Prozent an der

EHLEBRACHT AG beteiligt. Der Entwurf des Verschmelzungsvertrags enthält den Hinweis, dass die

übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der EHLEBRACHT AG im Zusammenhang mit der

Verschmelzung nach § 62 Abs. 5 Satz 1 UmwG i.V.m. §§ 327a ff. AktG gegen Gewährung einer

angemessenen Barabfindung ausgeschlossen werden sollen.

Der Vorstand der EHLEBRACHT AG beabsichtigt mit dem Vorstand der E & Funktionstechnik Holding

AG über den Abschluss des von der E & Funktionstechnik Holding AG übersandten Entwurfs eines

Verschmelzungsvertrags zu verhandeln.

Abgeschlossene Spruchverfahren

Abschluss des Spruchverfahrens zu dem mit der VOGT electronic AG (jetzt: SUMIDA AG)

abgeschlossenen Beherrschungsvertrag

http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/03/bekanntmachung-der-sumida-ag-und-der.html

Delisting-Fälle

MME MOVIEMENT AG: Delisting mit Ablauf des 27. August 2015 wirksam

Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG

Berlin, den 27. Februar 2015 - Die Frankfurter Wertpapierbörse hat dem Antrag der MME

MOVIEMENT AG mit Sitz in Berlin, ISIN DE0005761159, (MME) auf Widerruf der Zulassung der MME-

Aktien zum Handel im regulierten Markt (General Standard) der Frankfurter Wertpapierbörse

stattgegeben und die Entscheidung heute auf der Internetseite der Frankfurter Wertpapierbörse

veröffentlicht. Der Widerruf wird mit Ablauf des 27. August 2015 wirksam werden. Ab diesem

Zeitpunkt werden die Aktien der MME daher nicht mehr in einem regulierten Markt gehandelt

werden.

Page 25: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 5/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 127

Neuerscheinungen: Literatur zu Spruchverfahren

Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim „Squeeze out"

Behzad Karami, Unternehmensbewertung in Spruchverfahren beim „Squeeze out" - Der Zeitaspekt

in Gesetz, Rechtsprechung und Gutachterpraxis aus funktionaler Sicht, 2014,

Reihe: Finanzwirtschaft, Unternehmensbewertung & Revisionswesen

http://www.springer.com/gp/book/9783658048143

Verlagstext: Nach einem „Squeeze out“ haben Minderheitsaktionäre einen Rechtsanspruch auf eine

Barabfindung, deren Angemessenheit gewöhnlich in einem Spruchverfahren überprüft wird. Solche

Überprüfungen sind komplex und langwierig, weil regelmäßig Unternehmensbewertungsgutachten

erforderlich sind. Obwohl die mehrjährigen Spruch-verfahren ein reales Problem darstellen, wird der

Zeitaspekt im Schrifttum selten berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund untersucht Behzad Karami

den Zeitaspekt aus Sicht der funktionalen Unternehmensbewertungslehre. Der Autor verdeutlicht die

Gründe für die Beachtung des Zeitaspekts in der Gutachter- und in der Spruchpraxis und generiert

zweckadäquate Lösungsvorschläge.

_______________

Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze Out Frederik Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung

beim aktienrechtlichen Squeeze Out - Ein Vergleich der Preise von privaten und an der Börse

notierten Unternehmen anhand von Multiplikatoren , 1. Auflage 2014,

Reihe: Finanz- und Rechnungswesen, Bd. 14

http://www.nomos-shop.de/Ruthardt-Normzweckkonforme-Unternehmensbewertung-

Abfindungsbemessung-aktienrechtlichen-Squeeze-Out/productview.aspx?product=23022

Verlagstext: Minderheitsaktionäre können gegen Gewähr einer „angemessenen“ Barabfindung aus

einer Aktiengesellschaft ausgeschlossen werden (Squeeze Out). Wie muss die Barabfindung ermittelt

werden, um das rechtliche Prädikat der „Angemessenheit“ zu erfüllen? Diese Fragestellung wird

durch die Entwicklung einer normzweckkonformen, mit der betriebswirtschaftlichen Theorie der

Unternehmensbewertung zu vereinbarende und praktisch umsetzbare Vorgehensweise zur

Ermittlung der angemessenen Barabfindung beantwortet. Das „interdisziplinäre Spannungsfeld“ aus

rechtlichen Vorgaben, betriebswirtschaftlicher Theorie der Unternehmensbewertung und

Bewertungspraxis wird aufgelöst.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 128

"Spruchverfahren nach Squeeze-out" - Neues Buch zeigt: Abfindung für Aktionäre in den meisten Fällen zu gering

Martin Weimann, Spruchverfahren nach Squeeze-out, 2015

http://www.degruyter.com/view/product/447889?format=EPUB

Pressemitteilung

Rechtsanwalt und Aktionärsschützer Dr. Martin Weimann stellt zusammen mit der Verbraucher-zentrale für Kapitalanleger e.V. (VzfK) das bislang umfassendste Nachschlagewerk zum Thema aktienrechtliche Spruchverfahren vor. - Detaillierte Analyse von mehr als 400 Spruchverfahren in Deutschland unter Angabe von bis zu

125 Daten je Verfahren

- Systematische und übersichtliche Darstellung

- Aufstellung aller von Wirtschaftsprüfern und Gerichten verwendeten Zinssätze

- Erfassung der Daten nach Branchen

- Zahlreiche Praxistipps von Profis für Profis

- Ideales Nachschlagewerk für Rechtsanwälte, Richter, Wirtschaftsprüfer, Rechtsabteilungen,

Investoren und Forschende (Jura/BWL/VWL)

Berlin, 17. Februar 2015. Nach dem Ausschluss von Minderheitsaktionären einer börsennotierten

Gesellschaft im Wege eines Squeeze-outs kommt es in rund neun von zehn Fällen zum so genannten

Spruchverfahren. In dem Verfahren wird gerichtlich festgestellt, ob die den Minderheitsaktionären

offerierte und gesetzlich vorgeschriebene Barabfindung für den Verlust ihrer Aktien angemessen ist.

In der Mehrzahl der Fälle, so zeigt es die Auswertung einer inzwischen deutlich dreistelligen Zahl von

Verfahren, ist sie es nicht.

Dies ist nur eine Erkenntnis, die Dr. Martin Weimann, Rechtsanwalt und Vorstand des VzfK, in seinem

neuen Buch "Spruchverfahren nach Squeeze-out" präsentiert. Mehr als 400 Spruchverfahren

zwischen 2002 und 2013 hat der Autor detailliert untersucht. Das Buch schafft endlich die

Transparenz, die sich Richter, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Investoren und Forscher seit langem

wünschen. Bewerten heißt Vergleichen: Ohne empirische Daten, wie zum Beispiel zu Zinssätzen, die

den Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen erlauben, ist eine angemessene Bewertung oft nur

schwer möglich.

Gesamtnachzahlung zwischen 2002 und 2013: rund 600 Millionen Euro

Die Auswertung der von Weimann analysierten Daten fördert Erstaunliches zutage: So wurden etwa

bis zum 31. Dezember 2013 nicht nur in fast 70 Prozent aller erstinstanzlich beendeten Verfahren die

Barabfindungen für die Minderheitsaktionäre nachträglich angehoben. Auch dort, wo es nach dem

wirksamen Squeeze-out-Beschluss zunächst zu einer konsensualen Erhöhung des Abfindungs-

angebots gekommen war, wurde die Abfindung im anschließenden Spruchverfahren in mehr als 40

Prozent der Fälle durch das zuständige Gericht nochmals angehoben. Die Summe, die Aktionären im

Nachgang eines Squeeze-outs in den Jahren 2002 bis 2013 über die bereits gezahlte Abfindung

hinaus zugeflossen ist, beläuft sich auf rund 600 Millionen Euro.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 129

Eindeutig ist die Analyse auch in Bezug auf die Ergebnisse der gesetzlich vorgeschriebenen

sachverständigen Prüfer, die im Zuge des Squeeze-outs die Angemessenheit der vom Hauptaktionär

festgelegten Barabfindung zu beurteilen haben. Die Prüfer kamen, in diametralem Gegensatz zur

späteren Einschätzung der Gerichte, in weniger als einem Prozent der Fälle zu dem Ergebnis, dass die

Abfindung nicht angemessen ist.

Auf 460 Seiten widmet sich "Spruchverfahren nach Squeeze-out" diesem und weiteren Themen und

stellt damit ein unverzichtbares Werkzeug für alle dar, die sich beruflich mit den Themen Squeeze-

out und Spruchverfahren beschäftigen.

Das Buch "Spruchverfahren nach Squeeze-out" ist ab sofort für EUR 119,95 im Buchhandel oder

direkt beim Verlag De Gruyter ([email protected]) wahlweise gebunden (ISBN 978-3-11-

040250-6), als PDF-eBook (ISBN 978-3-11-040256-8) oder als eBook im EPUB Format (ISBN 978-3-11-

040262-9) erhältlich.

Aufsatzübersicht

Wie frostig ist die FRoSTA-Entscheidung des BGH? - Kurseffekte von Delisting-Ankündigungen

In dem "Working Paper" unter dem Titel

"Wie frostig ist die „FRoSTA“-Entscheidung des BGH in der Rechtsrealität? -

Kurseffekte bei Delisting-Ankündigungen im Lichte der aktuellen Medienberichterstattung –

(Teil)Ergebnisse einer empirisch-ökonomischen Untersuchung"

wollen Karami/Cserna/Schuster Kursauswirkungen von Delistingankündigungen nach Revidierung der

Macrotron-Rechtsfortbildung wissenschaftlich fundiert untersuchen. In Gang der Untersuchung

weisen die Autoren auf Mängel der DAI- und Solventis-Studien hin (erstere - von den Autoren als

"ökonomisch fragwürdig" beurteilt - war Basis der Rechtsprechungsänderung der BGH, zu letzterer

siehe SpruchZ 2015, 100 bzw. http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/03/delisting-nach-frosta-

investoren-borsen.html).

Das Paper ist abrufbar unter: http://bewertung-im-recht.de/working-papers/wie-frostig-ist-die-

frosta-entscheidung-des-bgh-der-rechtsrealitaet-kurseffekte-bei

Summary: Der Beitrag von Karami/Cserna/Schuster untersucht vor dem Hintergrund der stark

umstrittenen „FRoSTA“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 8. Oktober 2013 (II ZB

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 5/2015

SpruchZ 2015 Seite 130

26/12) die Aktienkursreaktion bei Delisting-Ankün-

digungen am deutschen Kapitalmarkt auf der

Grundlage einer Ereignisstudie. Schließlich ist seit

„FRoSTA“ nachweislich ein Trend zu beobachten,

dass sich immer mehr börsennotierte Gesellschaften

i. S. des § 3 Abs. 2 AktG vom regulierten Markt

zurückziehen. Unter dieser allgemein als „Delisting“

bekannten Maßnahme wird im Regelfall sowohl der

vollständige Rückzug von allen Handelsplätzen im

In- und Ausland („Total-Delisting“) als auch der

Wechsel in den privatrechtlich organisierten

Freiverkehr („Downlisting“) verstanden. Die Ereignis-

studie verdeutlicht, dass der Kapitalmarkt ins-

besondere auf eine Rückzugsabsicht aus dem

qualifizierten Freiverkehr mit einer statistisch

signifikanten negativen Kursreaktion reagiert.

Weiterhin bleibt festzuhalten, dass – anders als im

Schrifttum gewöhnlich vermutet wird – der

Kapitalmarkt auf ein „echtes“ Delisting aus dem

regulierten Markt nicht mit signifikant fallenden

Aktienkursen reagiert. Einen signifikanten Einfluss

auf die Höhe der ermittelten kumulierten

durchschnittlichen abnormalen Renditen scheint vor

allem auch der Streubesitz auszuüben.

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