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Lasst Euch nicht erpressen! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juni 2012 Am 18. Mai 2012 trat das grie- chische Parlament in Athen zu- sammen, um seine Gremien zu wählen. Einen Tag später wur- de das Parlament aufgelöst, um Neuwahlen zu ermögli- chen. Chaos in Griechenland? Als wir letzte Woche in der GUENGL-Fraktion die Wahlen auswerteten, waren sich alle einig: Griechinnen und Grie- chen haben nicht aus Verse- hen den beiden großen Partei- en Nea Dimokratia und Pasok ihre Stimme versagt, sondern diese bewusst abgestraft, weil deren Politik die Gesellschaft an den Rand des Zusammen- bruchs schleuderte. Die konservative Nea Dimo- kratia fiel von 33,5 Prozent auf 18,85 Prozent zurück, die sozialistische Pasok von 43,9 Prozent auf 13,18 Prozent. Zu- legen konnten die kleineren Parteien. Zweitstärkste Kraft wurde das linke Wählerbündnis Sy- riza, das von 4,6 Prozent auf 16,78 Prozent aufstieg, aber auch die kommunistische KKE und die Demokratische Linke erhielten Zuwächse. Erstmalig nach dem 2. Weltkrieg wurden Faschisten im griechischen Parlament vereidigt. Im militä- rischen Gleichschritt und mit Hitlergruß zogen sie ins Parla- ment ein. Der katastrophale Sozialab- sturz ganzer Bevölkerungs- gruppen hat das Land im Kern erschüttert. Binnen weniger Monate wur- den Gehälter dreimal drastisch gekürzt, ebenso Renten, Sozi- alleistungen. Kinder sind be- sonders betroffen. Statt be- dürftigen Kindern zu helfen, müssen neuerdings Behörden informiert werden, wenn Kin- der im Unterricht wegen Hun- ger umfallen. Was unter der großzügigen Hilfe »Europas« für Griechenland firmiert, war von Anfang an nichts weiter als Hilfe für Banken, die durch ihre Zinspolitik ihren elitären Beitrag zur Verschuldung Grie- chenlands leisteten. Griechen- lands Bürgerinnen und Bürger erhielten de facto keinen einzi- gen Cent. Nun wirdein linkes Wahlbündnis verteufelt, weil Syriza-Chef Tsipras nicht den Kotau vor der Großzügigkeit »Europas« macht. Täglich folgt ein Horrorszenario dem ande- ren, der Untergang Griechen- lands wird prophezeit. »Not- fallpläne« für den Austritt aus dem Euro, ja sogar aus der EU werden durchgespielt. Fakt ist jedoch, dass weder Nea De- mokratia noch Pasok zu einem Politikwechsel bereit ist. Wenn Syriza mit ihnen in die Regie- rung gegangen wäre, hätte sie alle ihre Wahlversprechen brechen müssen. Eine solche Regierungspolitik würde die Linken in Griechenland an die Wand fahren. Syriza vertritt klare Ziele: 1. Sofortige Annullierung aller antisozialen Forderungen, Rücknahme der Kürzungen der Gehälter und Pensionen (Renten). 2. Annullierung der- jenigen Gesetze, die das Ar- beitsrecht demontieren und die Kollektivverträge außer Kraft setzen. 3. Einführung des Verhältniswahlrechts und gesetzliche Neuregelung des bisherigen ministeriellen Ver- antwortungsbereiches. 4. Öf- fentliche Überprüfung der Banken, Umwandlung der Ban- ken in ein Instrument der wirt- schaftlichen Entwicklung und Stärkung der kleinen und mit- telständischen Unternehmen. Und 5. Einrichtung eines inter- nationalen Ausschusses zur Überprüfung und Neubewer- tung der Staatschulden und ein Schuldenmoratorium. Diese Ziele widerspiegeln den Willen der Mehrheit der Bevöl- kerung in Griechenland. Neu- wahlen können, sofern die lin- ken Parteien gestärkt daraus hervorgehen, eine Chance sein. Dazu muss aber auch de- ren Bereitschaft da sein, zu kooperieren und Befindlich- keiten beiseite zu schieben. Insofern haben die seit Jahren zerstrittenenlinken Parteien Griechenlands eine einmalige historische Chance. Auch von der Glaubwürdigkeit und Kraft der Linken in Grie- chenland wird abhängen, ob Faschisten und andere rechte Kräfte erneut erstarken kön- nen. Griechenland braucht ei- ne demokratische Alternative zur jetzigen Situation! Deshalb gilt den linken Kräften in Grie- chenland unsere Solidarität und Hilfe. Lasst Euch nicht er- pressen! Die Menschen in Griechenland haben eine bes- sere Zukunft verdient! Ohne die Linken ist das nicht mög- lich.

Links! Ausgabe 06/2012

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Ausgabe Juni 2012 inklusive aller Beilagen.

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Page 1: Links! Ausgabe 06/2012

Lasst Euch nicht erpressen!

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juni 2012

Am 18. Mai 2012 trat das grie-chische Parlament in Athen zu-sammen, um seine Gremien zu wählen. Einen Tag später wur-de das Parlament aufgelöst, um Neuwahlen zu ermögli-chen. Chaos in Griechenland?Als wir letzte Woche in der GUENGL-Fraktion die Wahlen auswerteten, waren sich alle einig: Griechinnen und Grie-chen haben nicht aus Verse-hen den beiden großen Partei-en Nea Dimokratia und Pasok ihre Stimme versagt, sondern diese bewusst abgestraft, weil deren Politik die Gesellschaft an den Rand des Zusammen-bruchs schleuderte.Die konservative Nea Dimo-kratia fiel von 33,5 Prozentauf 18,85 Prozent zurück, die sozialistische Pasok von 43,9 Prozent auf 13,18 Prozent. Zu-legen konnten die kleineren Parteien.Zweitstärkste Kraft wurdedas linke Wählerbündnis Sy-riza, das von 4,6 Prozent auf 16,78 Prozent aufstieg, aberauch die kommunistische KKEund die Demokratische Linkeerhielten Zuwächse. Erstmalignach dem 2. Weltkrieg wurdenFaschisten im griechischenParlament vereidigt. Im militä-rischen Gleichschritt und mitHitlergruß zogen sie ins Parla-ment ein.Der katastrophale Sozialab-sturz ganzer Bevölkerungs-gruppen hat das Land im Kern erschüttert.Binnen weniger Monate wur-den Gehälter dreimal drastischgekürzt, ebenso Renten, Sozi-alleistungen. Kinder sind be-sonders betroffen. Statt be-dürftigen Kindern zu helfen,müssen neuerdings Behördeninformiert werden, wenn Kin-der im Unterricht wegen Hun-ger umfallen. Was unter dergroßzügigen Hilfe »Europas«für Griechenland firmiert, warvon Anfang an nichts weiterals Hilfe für Banken, die durchihre Zinspolitik ihren elitärenBeitrag zur Verschuldung Grie-chenlands leisteten. Griechen-lands Bürgerinnen und Bürgererhielten de facto keinen einzi-gen Cent. Nun wirdein linkesWahlbündnis verteufelt, weilSyriza-Chef Tsipras nicht denKotau vor der Großzügigkeit

»Europas« macht. Täglich folgtein Horrorszenario dem ande-ren, der Untergang Griechen-lands wird prophezeit. »Not-fallpläne« für den Austritt aus dem Euro, ja sogar aus der EU werden durchgespielt. Fakt ist jedoch, dass weder Nea De-mokratia noch Pasok zu einem Politikwechsel bereit ist. Wenn Syriza mit ihnen in die Regie-rung gegangen wäre, hätte sie alle ihre Wahlversprechen brechen müssen. Eine solche Regierungspolitik würde die Linken in Griechenland an die Wand fahren.Syriza vertritt klare Ziele: 1. Sofortige Annullierung allerantisozialen Forderungen,Rücknahme der Kürzungender Gehälter und Pensionen(Renten). 2. Annullierung der-jenigen Gesetze, die das Ar-beitsrecht demontieren unddie Kollektivverträge außerKraft setzen. 3. Einführungdes Verhältniswahlrechts undgesetzliche Neuregelung desbisherigen ministeriellen Ver-antwortungsbereiches. 4. Öf-fentliche Überprüfung derBanken, Umwandlung der Ban-ken in ein Instrument der wirt-schaftlichen Entwicklung undStärkung der kleinen und mit-telständischen Unternehmen.Und 5. Einrichtung eines inter-nationalen Ausschusses zur Überprüfung und Neubewer-tung der Staatschulden und ein Schuldenmoratorium.Diese Ziele widerspiegeln denWillen der Mehrheit der Bevöl-kerung in Griechenland. Neu-wahlen können, sofern die lin-ken Parteien gestärkt daraushervorgehen, eine Chancesein. Dazu muss aber auch de-ren Bereitschaft da sein, zu kooperieren und Befindlich-keiten beiseite zu schieben. Insofern haben die seit Jahren zerstrittenenlinken Parteien Griechenlands eine einmaligehistorische Chance.Auch von der Glaubwürdigkeitund Kraft der Linken in Grie-chenland wird abhängen, ob Faschisten und andere rechte Kräfte erneut erstarken kön-nen. Griechenland braucht ei-ne demokratische Alternativezur jetzigen Situation! Deshalbgilt den linken Kräften in Grie-chenland unsere Solidarität und Hilfe. Lasst Euch nicht er-pressen! Die Menschen inGriechenland haben eine bes-sere Zukunft verdient! Ohnedie Linken ist das nicht mög-lich.

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»Zum Erfolg kann man sich nur selbst führen«

Links! im Gespräch

»Empört euch!«, forderte Sté-phane Hessel weit vernehm-bar nicht nur für die europäi-sche Linke, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt – ein Aufruf, der angesichts der ständigen Finanz- und Demo-kratiekrise aktueller nicht sein könnte. Aus Empörung muss jedoch Handeln werden. Der politische Streik, in Deutsch-land faktisch nicht legal, da-für aber umso legitimer, ist ein unverzichtbares Kampfmit-tel. »Links!« sprach darüber mit Veit Wilhelmy, Gewerk-schaftssekretär der IG Bau.

Du bist einer der Initiato-ren des »Wiesbadener Ap-pells« für den poltischen Streik. Warum braucht Deutschland überhaupt po-litische Streiks?Ich antworte mit einer Gegen-frage: Warum nicht? In allen anderen Ländern um uns he-rum gibt es dieses Recht, nur in der BRD ist es durch ein aus den 50er Jahren stammendes rückständiges Richterrecht il-legalisiert worden. Gerade weil die Politik immer stärker in wirtschaftspolitische und sozialpolitische Zusammen-hänge eingreift und man das mit der normalen Tarifpolitik gar nicht mehr ausgleichen kann, muss es möglich sein, für politische Ziele Arbeitsnie-derlegungen zu organisieren.

Was wären denkbare poli-tische Ziele, die mit einem Streik erreicht werden könnten?Politische Streiks sind in aller-erster Linie Abwehrkämpfe. Ein Thema, das sich geeignet hätte, war der Beschluss zur Rente mit 67. Ein Großteil der Bevölkerung, nicht nur die Ge-werkschaften, ist gegen die-se Rentenkürzung. Ein umfas-sender politischer Streik oder ein Generalstreik wäre wün-schenswert gewesen, um sie zu verhindern. Punktuell hat die IG Metall politisch dagegen gestreikt, aber nur punktuell, in wenigen Betrieben. Das hat aber wesentlich mehr Wirkung gezeigt als Demonstrationen am Samstag oder ein Kreuz-chen bei der Bundestagswahl. Ich trete seit Jahren dafür ein, dass die Gewerkschaften sich dieses Recht, das sie ja einmal hatten, wieder nehmen. In der Geschichte der deutschen Ar-beiterbewegung ist das politi-sche Streikrecht immer wieder verloren gegangen.

Zum Beispiel in den 50er Jahren...

In den 1950er Jahren ging es um die Ausgestaltung des Be-triebsverfassungsgesetzes, und die damalige Regierung hat entgegen den vorherigen Absprachen einen verschlech-terten Entwurf als Gesetzes-grundlage vorgestellt. Dage-gen hat damals die IG Druck und Papier den legendären zweitägigen Zeitungsstreik ini-tiiert, da ist bundesweit so gut wie keine Zeitung erschienen. Das ist von Politik und Justiz als politischer Streik gebrand-markt worden. Verkürzt ge-sagt hat das damals neu einge-richtete Bundesarbeitsgericht, in Person seines Präsidenten Nipperdey, der auch schon un-ter Hitler tätig war, diese ver-heerende Rechtssprechung auf den Weg gebracht. Damit war zwar im Grunde genom-men juristisch kein Verbot er-lassen, aber begründet, dass ein Arbeitgeber bei der Aus-übung seines Gewerbes nicht behindert werden darf. Wenn das durch einen politischen Streik geschieht, kann er ge-genüber der Gewerkschaft gerichtlich einen Schadens-ersatzanspruch geltend ma-chen. Das ist zwar rein formal kein Verbot, wirkt aber wie ein solches. Daran wird bis heute festgehalten.

Welche Veränderungen am Streikrecht wären not-wendig, damit politische Streiks möglich würden?Die Gewerkschaften und Par-teien müssen diese Forderung immer wieder aufstellen, aber ich betrachte es in der gegen-wärtigen politischen Situation als Illusion, dass irgendeine Regierungspartei den Gewerk-schaften gönnerhaft das po-litische Streikrecht schenken

würde. Der politische Streik muss erkämpft werden, durch sogenannte kontrollierte Re-gelverletzungen, wie es die Arbeiterbewegung im Grunde genommen immer gemacht hat. Ein ganz wichtiger Ansatz ist zudem, diese Regelungen in den Tarifverträgen abzusi-chern. Das haben die deut-schen Gewerkschaften seit den 50er Jahren vollkommen verschlafen. Dieser Ansatz gefällt mir deswegen so gut, weil man die Politik dazu nicht braucht. Man kann es aus ei-gener Kraft schaffen, indem man es in die Tarifverträge hi-neinstreitet, notfalls auch hin-einstreikt.

Wie ist die Stimmung in den Gewerkschaften, so-wohl im DGB als auch in den Tochtergewerkschaf-ten? Wie positioniert man sich zum Wiesbadener Ap-pell?Mich hat es nicht gewundert, dass von den Vorständen der DGB-Gewerkschaften bislang keinerlei Reaktion kam. Das ist aber normal, leider. Aber von Untergliederungen und Einzel-personen aus Gewerkschaf-ten gibt es jede Menge Reakti-onen. Natürlich kann es nicht dabei bleiben, nur darüber zu sprechen, aber das ist die erste Stufe, damit das Thema auch in der Bevölkerung auf die Agenda kommt, damit die Funktionäre sich damit aus-einandersetzen und das The-ma breit in die Mitgliedschaft tragen. Zum Beispiel steht ja die Frage im Raum, wie lan-ge wir noch auf einen gesetz-lichen Mindestlohn warten wollen? Wenn ein paar Millio-nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ein bis zwei

Tage die Arbeit einstellen wür-den, verknüpft mit der Forde-rung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, kann man sich vorstellen, wie schnell die Re-gierung reagieren würde. Ich würde sogar noch weiter ge-hen: Sogar eine Drohung mit einem politischen Streik könn-te unter Umständen schon po-litische Auswirkungen haben.

Dazu müssten die Gewerk-schaften aber in der Lage sein, auch nichtorganisier-te Beschäftigte zu mobili-sieren. Eine politische Streikbewe-gung, die mit einem konkre-ten Thema verknüpft ist, kann auch weitere Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer und Gesellschaftsschichten dazu bewegen, sich dem Protest an-zuschließen. Durch die Aus-weitung der Kampfmittel wür-den die Gewerkschaften auch im politischen Raum erfolgrei-cher sein. Und sie hätten es leichter, neue Mitglieder zu ge-winnen – Erfolg macht schließ-lich sexy. Die nichtorganisier-ten Beschäftigten würden sehen, dass nicht nur z.B. eine dreiprozentige Lohnerhöhung erstreikt werden kann, die von der Inflation meist wieder auf-gefressen wird, sondern dass die Gewerkschaften beispiels-weise einen gesetzlichen Min-destlohn durchsetzen können, in Ergänzung zu tariflichen Mindestlöhnen.

Das kann man sich gut vor-stellen. Wenngleich die deutsche Streikkultur – etwa im Vergleich mit der französischen – die Frage aufwirft, ob die deutschen Beschäftigten angesichts des allgegenwärtigen Fata-

lismus überhaupt dazu ani-miert werden könnten.Das sind Schutzbehauptun-gen, um dieses Thema nicht angehen zu müssen. Dreh- und Angelpunkt ist es, mit den Gewerkschaftsmitgliedern solche Themen zu diskutie-ren, sie von der Notwendig-keit zu überzeugen und sie Schritt für Schritt durch Bil-dungsmaßnahmen in diese Richtung zu »führen«. Es wirkt zwar nach außen immer so, als ob die Deutschen nichts machen, aber das liegt dar-an, dass niemand nach vorne geht und sich ernsthaft dar-um kümmert. Schließlich gibt es Beispiele für erfolgreiche Kämpfe.

Welche?Die französische Regierung wollte den Kündigungsschutz von Jugendlichen massiv ver-schlechtern, woraufhin es in Frankreich einen mehrtägigen Generalstreik gab. Daran ha-ben sich nicht nur die Gewerk-schaften und ihre Mitglieder beteiligt, sondern große Teile der Beschäftigten im ganzen Land. Dadurch wurde der ge-sellschaftspolitische Druck so groß, dass die Regierung ihr Vorhaben ersatzlos zurückge-nommen hat. Ein zweites Bei-spiel ist die Streikbewegung Mitte der 80er Jahre in Polen, Solidarnosc, da haben sich insbesondere Westdeutsche vor den Fernsehschirmen be-fürwortend auf die Schenkel geklopft. Zumindest die west-lichen Staaten, die Presse, die Bevölkerung, haben das alle bejubelt. Wenn man heu-te in der BRD das Wort Gene-ralstreik in den Mund nimmt, läuft man Gefahr, vom Verfas-sungsschutz beobachtet oder als Kommunist bezeichnet zu werden. So schräg ist das.

Wäre es vorstellbar, dass ein Machtwechsel auf Bundesebene – etwa eine rot-rot-grüne Koalition – das Recht auf politischen Streik durchsetzen könn-te?Da bin ich sehr skeptisch, selbst dann, wenn ein solches Bündnis zustande käme. Grö-ßere Teile in der Sozialdemo-kratie, der Partei der ich ja auch 30 Jahre lang angehört habe, und noch größere Teile der Grünen stehen dieser For-derung skeptisch gegenüber. Deshalb ist mein Rat an die Gewerkschaften, sich dieses Recht selbst zu erstreiten und trotzdem die Forderung an die Politik immer wieder zu formu-lieren. Zum Erfolg kann man sich wahrscheinlich nur selbst führen.

Die Fragen stellten Rico Schu-bert und Kevin Reißig. Das komplette Interview fin-det sich auf www.links-sach-sen.de.

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Merkel - zweimal klingeln.Fast sah es ja nach den Wah-

len in Frankreich und in Grie-chenland und nach Unruhen in Spanien oder Italien schon so aus, dass ich »Merkel allein zu Haus« hätte titeln müssen. Aber wenigstens der französi-sche Präsident hat schon mal geklingelt; einmal zunächst, doch der wird noch öfter vor der Türe stehen und Einlass begehren. Ob er irgendwann so willkommen sein wird wie sein Vorgänger, wissen wir noch nicht. Gut Ding wird wohl Weile brauchen. Er löffelt nicht jede Suppe aus, die man ihm vorsetzt, sondern stellt Forde-rungen. Die sparsame Haus-frau, die einem großen Teil Eu-ropas die schmale Kost von Tütensuppen verordnet hat,

soll das Mahl wieder opulen-ter gestalten, damit die halb verhungerten Esser erstarken. Das klingt doch vernünftig. Nur kräftige Menschen kön-nen arbeiten und neue Werte schaffen. Der Suppenkasper war am siebenten Tage tot. Die Merkeln jedoch lässt klingeln und um Essen betteln. Den Sparwahn will sie nicht aufgeben, bessere Kost gibt es nur, wenn das Geld dafür nicht geborgt, sondern ... ja was, sondern? »Borgen bringt Sorgen«. »Borgen und Schmausen endet mit Grau-sen.« Das mag ja sein. Aber nichts borgen, bringt offen-sichtlich auch Sorgen, größere vielleicht noch als das Borgen. Hierin schlummert der Grund-widerspruch kapitalistischer Geldwirtschaft, in der Geld selbst zur Ware wird. Sie lebt vom Borgen und Verborgen. Borgen ist jedoch die Erstge-burt der Armut. Die Alternati-ve zur Armut ist Verhungern. Auf der Straße liegt kein Geld mehr. Das hat der Exportwelt-meister Deutschland längst

eingesammelt. Jetzt klingeln jene, die einst als Käufer auf Pump vor der Tür standen, als Bettler und die EU verkommt zur Suppenküche. Die Köchin freilich wird dick und fett. Es bewahrheitet sich nämlich die finnische Weisheit: »Borgst Du

Dir Spreu von einem Reichen, musst Du ihm Weizen zurück-geben.«Der Titel übrigens, »Merkel - zweimal klingen«, ist bis auf die Merkel geklaut. Die Älte-ren unter den Leserinnen und Lesern oder vielleicht auch nur mehr die ganz Alten wer-den das schon gemerkt haben. »Neumann - zweimal klingeln« war der Sonntagsrenner bei Radio DDR in den sechziger Jahren. Warum musste man ei-gentlich bei Neumanns zwei-mal klingeln? Nun, in der DDR waren große Wohnungen oft geteilt in zwei oder mehrere

»Teilhauptmieten«. Das wa-ren nach heutiger Diktion so etwas wie WGs. Klingel gab es und gibt es da oft nur eine. Das alles hat Frau Merkel wohl vergessen. Sie wohnte ja auch allein mit ihren Eltern im Pas-torenhaus. Jetzt hält sie Euro-

pa für ihr Haus und teilt es nur mit dem Haus-meister Schäuble. Der hat einen Schlüssel zum Haus, zu Küche, Kam-mer und Haushaltskas-se. Der braucht nicht

zu klingeln. Alle anderen je-doch, die eigentlich auch ins Haus gehörten, sollen dies, wenn sie hinein wollen. Die Hausfrau will dann entschei-den, ob sie das zulässt oder ob man wen im Regen stehen lässt. Sie hat vergessen, dass auch sie nur Teilhauptmieterin ist. Irgendwann werden da die Durchgeweichten Sturm klin-geln. Einmal, vielleicht auch noch zwei- oder dreimal. Ir-gendwann wird aber auch ihre Geduld zu Ende sein. Der fran-zösische Präsident geht noch gesittet voran und klingelt brav bei Neum ..., pardon, Mer-

kel. Andere werden wütender. Die Polizei wird sie auf Dauer nicht daran hindern können, das zu besetzen, was aus ih-ren rausgepresst wurde, sich den angehäuften Reichtum verfügbar zu machen, der ih-re aktuelle Armut verursacht. »Occupy«, »Blockupy« das sind die Stichworte für die neuen Volksweisheiten. Die predigen nicht Gewalt, sondern tätige Demokratie. Die Gewalt geht von den »Hausbesetzern« der Wall-Street oder des Frank-furter Bankenviertels aus, die in ihren Quartieren ruhig, dick und fett auf der Bank sitzen wollen. Gewalt geht von jenen aus, die meinen, es gäbe zu viele »Kleine« in den Parlamen-ten, was nur die Demokratie störe. Spätestens jetzt sollte es bei uns allen mehr als zwei-mal klingeln. So einer meint gar nicht Demokratie, er meint Plutokratie. Das ist nach DU-DEN, Universalwörterbuch die »Staatsform, in der die Besit-zenden, die Reichen die politi-sche Herrschaft ausüben«. Peter Porsch

So beschrieb Veit Wilhelmy im April 2012 in einer Podi-umsveranstaltung der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung, die auch von attac-Dresden mit-getragen wurde, die aktuelle Diskussion zum politischen Streik. Vor etwa 30 Teilneh-mern begründete der Gewerk-schaftssekretär aus Wiesba-den, dass diese Kampfform erforderlich ist, um mehr als nur wirtschaftliche oder tarif-politische Ziele durchzuset-zen.Wenig später, am 10. Mai, streikten in Großbritannien 400.000 Beschäftigte im öf-fentlichen Dienst gegen ge-plante Verschlechterungen ihrer Altersrente. Wäre ein solcher Streik in Deutschland denkbar? Sicher nicht. Und er wäre auch nicht erlaubt, weil damit keine unmittelbaren wirtschaftlichen Ziele und In-teressen verfolgt würden. Po-litiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler fordern des-halb in einer Initiative, dem »Wiesbadener Appell«, eine Ausweitung des Streikrechts. Deutschland ist eines der streikärmsten Länder in der Welt. Eine Ursache liegt auch darin, dass politische Streiks als unzulässig gelten. Damit ist ein Grundrecht, wie es im Grundgesetz verankert ist, faktisch außer Kraft gesetzt. Dies zu ändern, braucht einen

beständigen Druck von unten, um in den DGB-Gewerkschaf-ten zu neuen Beschlüssen für ein Recht auf politische Streiks und auf den General-streik zu kommen. In seinem Vortrag zeigte Veit Wilhelmy, gestützt auf eigene Buchver-öffentlichungen, die histori-schen und heutigen Zusam-menhänge des Themas. Die Gewerkschaften müssen wie-der stärker zu Kampforgani-sationen werden und dabei das auch in der Europäischen

Sozialcharta verbriefte Recht auf politischen Streik wahr-nehmen.In der lebhaften, teilweise kontroversen Diskussion be-stand beinahe die Gefahr, es könnten Gräben zwischen den »Reformern« und den »Klassenkämpfern« aufrei-ßen. Die einen verwiesen auf die in den Betrieben fehlende Bereitschaft zur politischen Aktion. Die anderen führten an Hand prekärer Lebenssi-tuationen vor, wie dringend

grundlegende Veränderungen notwendig sind. Auf dem Po-dium argumentierten die Be-triebsräte Holm Theinert und Bernhard Fischer von Infine-on am Beispiel von Qimonda im Jahr 2008, wie schwierig sich die betrieblichen Ausei-nandersetzungen gestalten. Dies ist nicht zuletzt durch den geringen gewerkschaft-lichen Organisationsgrad der Belegschaften bedingt. Der Landtagsabgeordnete Klaus Tischendorf, Sprecher der AG

betrieb&gewerkschaft der LINKEN in Sachsen, bestä-tigte, dass die Streikbereit-schaft hier niedriger ist als im Westen, verwies aber zu-gleich auf positive Verände-rungen in den letzten Jahren. Ralf Hron, DGB-Vorsitzen-der Dresden-Oberes Elbtal meinte, nur wenige Gewerk-schaftsmitglieder wollten po-litischen Streik als Kampf-form nutzen. Ihm ist deshalb die Bewahrung des DGB als Einheitsgewerkschaft wichti-ger. Ein »Bruderkrieg« müsse unbedingt vermieden werden. Entscheidend seien nicht die Formen der Auseinanderset-zungen, sondern die Ergeb-nisse. Inzwischen fand am 5. Mai 2012 in Berlin die internati-onale Konferenz »Politische Streiks im Europa der Krise« statt. Die Veranstalter von der Rosa-Luxemburg-Stiftung konnten an die europäischen Erfahrungen von 24 Gene-ralstreiks allein aus den letz-ten beiden Jahren anknüpfen. Bleibt zu hoffen, dass diese Diskussion in den deutschen Gewerkschaften weiter ge-führt wird. Unter www.politi-scher-streik.de kann sich je-der über den Wiesbadener Appell informieren und diesen unterstützen. Wilfried Trompelt

Es tut sich was: Politisches Streikrecht ausweiten!

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Lehrermangel: Staatsregierung versagt weiter

Hintergrund

Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres hatten die sächsischen Regierungs- und Koalitionsspitzen eilends eine Pressekonferenz einbe-rufen, auf der sie das soge-nannte »Bildungspaket 2020« vorstellten. Das Problem des Lehrermangels, das erheb-lichen Unmut unter Lehrer- und Elternschaft verursacht hatte, sei damit gelöst, er-klärten der Finanz- und der Kultusminister sowie die Fraktionsvorsitzenden von CDU und FDP. Die öffentlich demonstrierte Selbstzufrie-denheit währte jedoch nicht lange. Drei Monate später be-fand sich das Regierungska-binett in einer schweren Krise und war von einer Lösung des Lehrkräfteproblems weiter entfernt denn je. Mittlerwei-le hatte, für viele völlig über-raschend, der Kultusminister seine Meinung über das »Bil-dungspaket 2020« geändert. Nach den Berechnungen sei-nes Hauses werde Sachsen seine Spitzenposition in der Bildung verlieren, wenn nicht energisch gegen den Lehrer-mangel vorgegangen werde. Demnach gehen bis zum Jahr 2030 82,8 % aller am 01. Au-gust 2011 unter Vertrag ste-henden Beschäftigten in Ren-te. Insgesamt sind das 26.959 Personen. Es besteht folglich akuter Handlungsbedarf, um den Unterricht in Zukunft auch nur annähernd sichern zu können. Jährlich müssten etwa 1.600 Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden, um die ausscheidenden Lehr-kräfte zu kompensieren. Den-noch sah das »Bildungspaket 2020« einen weiteren Stel-lenabbau im Schulbereich vor, und zwar von derzeit 27.600 auf 25.400 bis 2021.

Nach dem Rücktritt Roland Wöllers konzentriert sich die neue Kultusministerin Brun-hild Kurth ganz auf die Vor-bereitung des kommenden Schuljahres, insbesondere auf die Absicherung des Un-terrichts. Auch sie hat zu dem Zweck ein »Bildungspaket« vorgelegt. Es sieht mehr Ein-stellungen vor, die Rückkehr von Lehrern aus der Verwal-tung und aus dem Ganztags-bereich in den Unterricht sowie ein »Programm Unter-richtsgarantie«. Letzteres soll es den Schulen ermöglichen, schnell und flexibel auf Un-terrichtsausfall zu reagieren. Insgesamt rechnet die Minis-

terin mit 1.011 Stellen bzw. Personen und Kosten in Hö-he von 23,5 Millionen Euro. Auch diese Maßnahmen rei-chen nicht aus, um den Leh-rermangel zu kompensieren. Zudem konzentriert sich die Ministerin ausschließlich auf den Unterricht. Schule ist je-doch mehr als das: Was wird zum Beispiel aus den Ganz-tagsangeboten, wenn die Pä-dagogen daraus abgezogen und durch Honorarkräfte er-setzt werden? Zur Absicherung des außer-ordentlich hohen Bedarfs an Lehrkräften im Freistaat Sachsen sollte die Staatsre-gierung ein Sofortprogramm

zur Gewinnung von qualifizier-ten Lehrerinnen und Lehrern auflegen. Die Ausbildungska-pazitäten in den Lehramts-studiengängen an der TU Dresden und der Universität Leipzig sollten erhöht und das Lehramtsstudium an der TU Chemnitz wieder eingerichtet werden. Die Kapazitäten den Vorbereitungsdienst und die Zweite Staatsprüfung müs-sen deutlich angehoben wer-den. Für erfolgreiche Alum-ni eines Lehramtsstudiums an sächsischen Hochschulen muss es eine rechtsverbindli-che Einstellungsgarantie ge-ben, im Ausland erworbene Abschlüsse und Qualifikatio-

nen sind unbürokratisch an-zuerkennen. Der altersge-rechte Übergang für aus dem Schuldienst ausscheidende Pädagogen, einschließlich Altersteilzeit, muss geregelt werden. Für all dies sind die nötigen finanziellen Mittel aus dem Landeshaushalt be-reitzustellen.Vorschläge dieser Art sind vom Kultusministerium und von den Koalitionsfraktio-nen stets abgelehnt worden. Das erlaubt keinen anderen Schluss, als dass Regierung und Koalition den Lehrerman-gel in Sachsen schlichtweg ignoriert haben. Jochen Mattern

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Der diese Zeitung tragen-de Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. veranstaltet nach dem großen Erfolg vom letzten Jahr die 2. Linke Sommerakademie vom 6. bis 8. Juli 2012 in Krögis bei Meißen. Im Mittelpunkt steht das The-ma Kommunikation und damit verbunden die Weiterbildun-gen und Qualifikation derer, die sich in linken Strukturen und Zusammenhängen enga-gieren oder dies vorhaben. In erster Linie geht es um Fä-higkeitsvermittlung, wie man sich in Parteien, Vereinen, Ini-tiativen und/oder Bündnissen

sinnvoll einbringen kann. Während der Sommeraka-demie gibt es neben qualita-tiv hochwertigen Seminaren auch genügend Raum, um sich gegenseitig zu vernet-zen, miteinander zu diskutie-ren und einander zuzuhören. UnterstützerInnen sind die Rosa-Luxemburg-Stif-tung, DIE LINKE. Sachsen, Bereich politische Bil-dung der LINKEN und Abgeordnete der Fraktion im DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Weitere Informati-onen über gebotene Inhalte, Anmeldung und Preise unter www.linke-bildung-kultur.de

Ab sofort kann man sich an-melden! Da die Plätze begrenzt sind, ist es sinnvoll, ein Votum ei-ner linken Struktur zu haben. Natürlich kann sich aber auch direkt bei uns, dem ausrich-tenden Verein Linke Bildung & Kultur für Sachsen per Mail [email protected] oder telefo-nisch 0351 84389773 ange-meldet werden.Der TeilnehmerInnenbeitrag liegt bei 35 Euro für Delegier-te aus Organisationen, ohne Delegierung kostet es 95 Eu-ro.

2. Linke Sommerakademie Sachsen schafft Verbindung

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Fünf Jahre die LINKE! Tom Strohschneider gibt auf Seite 3 einen Rückblick. Nicht nur nneues Spitzenpersonal, son-dern eine „neu Erzäh-lung“ sind notwendig, um die Partei „wieder in die Offensive zu bringen“.Cornelia Falken stellt die neu erarbeiteten Bildungspolitischen

Leitlinien vor, die in der nächsten Ausga-be komplett abge-druckt werden. Enrio Stange und Tilo Wirtz beginnen eine neue Serie zum The-ma „Wohnen in Sach-sen“. Auf Seite 4.

Und Dr. Axel Troost zeigt auf Seite 7, dass der schwarz-gelben Koalition mit dem Fis-kalpakt jedes Ver-ständnis pragmati-scher Politik abgeht.

BildungspolitikDie Leitlinien in der nächsten Ausgabe

SachsensLinke

Juni 2012

Der 4. Juni

Die Partei als Ort des gemeinsamen HandelnsÜberlegungen für einen Aufbruch weg vom Lagerdenken, hin zu einer neue Linken

Für eine Gesellschaft oh-ne Angst!

Die gegenwärtige Wirtschafts-krise äußert sich in Deutsch-land anders als in Griechen-land. Und sie wird von den Bürger_innen anders erlebt. Die Krise besteht in einer zu-nehmenden Prekarisierung der Lebens- und Arbeitswelt, in zunehmenden Druck und steigender Angst. Diese Pre-karisierung hat verschiede-ne Gesichter. Beispielwei-se Stress im Job, das Gefühl, in immer kürzerer Zeit immer mehr schaffen zu müssen, Angst vorm Verlust des Jobs, und sei er noch so schlecht bezahlt, oder in dem Gefühl, als Angst vor Hartz-IV-Sankti-onen oder dem Gefühl als Er-werbslose auf dem Amt nicht als Bürgerin zu gelten und an-deren Demütigungserfahrun-gen. Die Herrschenden versu-

chen nun die verschiedenen Gruppen gegeneinander aus-zuspielen, z.B. den Arbeiter der Stammbelegschaft gegen die Leiharbeiterin, die Verkäu-ferin mit Dumpinglohn gegen den Erwerbslosen oder den Migrant gegen die »Deutsche«. Linke Politik muss die gemein-samen Interessenslagen, die zwischen den verschiedenen Gruppen der Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Pre-karisierten – sowohl derje-nigen, die am Laptop arbei-ten als auch derjenigen, die den Wischmopp schwingen, herausarbeiten und eine ge-meinsame Sprache finden. In-sofern halten wir es mit dem Slogan: Prekarisierte aller Le-benslagen, vereinigt Euch! Für eine Gesellschaft ohne Angst.

Für eine Offensive fürs Öf-fentliche!Jahrelang führten die Eliten in Wirtschaft und Politik einen Feldzug gegen das Öffentliche und für Privatisierungen. Dem Ausverkauf der Gemeingüter setzen unzählige lokale Initia-tiven erfolgreich die Überzeu-gung entgegen: Privatisierung ist Diebstahl öffentlichen Ei-gentums. So manches Bür-gerbegehren konnte die Pri-

vatisierung der kommunalen Stadtwerke oder Krankenhäu-ser verhindern. Dies war auch ein Erfolg unserer Partei. Ei-ne Offensive fürs Öffentliche kann daran anknüpfen, sollte aber nicht bei reinen Abwehr-kämpfen stehen bleiben. So-zialistische Politik heißt eben auch, Wirtschaftsdemokra-tie voranzutreiben sowie For-men solidarischer Ökonomie, wie Genossenschaften oder Kooperativen und Rekommu-nalisierungen zu befördern. In diesem Zusammenhang ist auch das Konzept eines Infra-struktursozialismus einzuord-nen. Dieses zielt darauf ab, elementare gesellschaftliche Aufgaben wie Mobilität, Kul-tur, Kommunikation und Ge-sundheit der Warenförmigkeit zu entziehen. Übersetzt auf Landes- und Kommunalpolitik könnte dieses bedeuten, sich für kostenloses WLAN für al-le oder kostenfreien Bus- und Bahnverkehr einzusetzen.

Gegen den Fiskalpakt, die Schuldenbremse und die Verarmung der öffentli-chen Hand!Das in Deutschland hegemo-niale Erklärungsmuster zur Krise ist so einfach wie falsch.

Die Krise ist nicht entstanden, weil einige Länder über ihre Kosten gelebt haben. Die fal-sche Diagnose durch Merkel und Co. führt dazu, dass ganz Europa das falsche, ja kontra-produktive Medikament der sogenannten Schuldenbrem-se zwangsverschrieben wird. Tatsächlich handelt es sich jedoch um etwas anders: ein Kreditverbot bzw. eine Inves-titionsbremse. Die sogenann-ten Schuldenbremse bedeu-tet letztlich, dass notwendige Investitionen im Bildungs-bereich verboten sind und dass Mittel für das Stadtthe-ater oder den Jugendclub ge-kürzt werden müssen. Schuld an der Krise sind die drei Us: Unterregulierung der Finanz-märkte, Ungleichgewichte in der Außenhandelsbilanz und Ungleichgewichte in der Einkommensverteilung. Ei-ne wirksame Krisenbekämp-fung muss genau da ansetzen. Das heißt: es bedarf Maß-nahmen zur Umverteilung von oben nach unten, höhe-re Löhne in Deutschland zur Reduktion des Leistungsbi-lanzüberschusses und eine couragierte Regulierung der Finanzmärkte z.B. eine Verbot der Hedgefonds.

Der Souverän hat entschieden und einen neuen Parteivor-stand gewählt. Wahrscheinlich werde ich nicht vollständig zu-frieden sein mit dem Ergebnis, und das ist auch gut so. Jedoch werde ich die Entscheidung des Parteitages von Göttingen akzeptieren. Was ich vom Parteitag und der neuen Parteispitze erwarte? Dass von Göttingen ein Signal der Gemeinsamkeit ausgeht, verbunden mit einem prakti-schen Verständnis von Plura-lität als Stärke unserer Partei. Dass die Parteitagsbeschlüs-se auf das alltägliche Handeln unserer Partei abzielen und unsere Fähigkeit verbessern, auf aktuelle Entwicklungen für die Menschen nachvollziehbar und klar zu reagieren. Vor al-lem erwarte ich von allen Ge-wählten für Parteivorsitz und Parteivorstand, dass sie wil-lens sind, in ihrer Vorstandstä-tigkeit Solidarität und Toleranz im Umgang mit unterschiedli-chen Positionen zur Grundlage ihres Handelns zu machen. Was voraussetzt, dass die De-legierten des Parteitages ih-re Fähigkeit nutzen, in ihrem Wahlverhalten die Vielfältigkeit unserer LINKEN abzubilden, nicht auszugrenzen, und sich von der Maxime leiten lassen, dass in einem Parteivorstand vor allem Menschen tätig sein sollen, die im Austausch mitein-ander Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellen und auf diesem Wege DIE LINKE nach vorn bringen. Je mehr dies alles gelingt, desto besser können wir die Geschichte der LINKEN weiterschreiben. Im Übrigen: Der 4. Juni ist ein ganz norma-ler Montag im Jahr 2012.

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Seite 2Sachsens Linke! 6/2012

Meinungen So gesehen

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in SachsenHerausgeber: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 17000 Exp. ge-druckt.Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Ant-je Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teich-mann, Ralf Richter, Stathis SoudiasBildnachweise, wenn nicht ge-sondert vermerkt:Archiv, iStockphoto, pixelio

Internet unter www.sachsens-linke.deKontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 25.5.2012Die nächste Ausgabe er-scheint am 28.6. 2012.

In Göttingen an die Leine legen!Von Uwe Schaarschmidt

Uwe Schnabel aus Coswig zu »(Atom)streit mit Tehe-ran« (Links! 5/2012, S.4) Ich unterstütze die Forde-rung von Cornelia Ernst nach einem Dialog auf Augenhöhe. Dazu gehört für mich aber auch, dass nicht Verdächti-gungen und Verleumdungen einfach weiterverbreitet wer-den. So haben israelische Regierungsvertreter schon öfters dem Iran mit einem Erstschlag gedroht. Von ei-ner analogen Erstschlags-drohung des Iran wurde noch nicht berichtet. Nach ver-schiedenen Berichten geht es der jüdischen Bevölke-rung im Iran besser als den Palästinenser(inne)n in Is-rael. Im Gegensatz zu Israel und der NATO hat in den ver-gangenen Jahrzehnten der Iran kein anderes Land an-gegriffen. Die iranische Re-gierung ist nicht antisemi-tisch. Sie fragt nur, warum die Palästinenser(innen) da-runter leiden müssen, dass in Europa der Holocaust stattgefunden hatte. Aber, wie Cornelia Ernst feststell-te, um Menschenrechte und

Für eine andere Zeitpoli-tik!Zu den Verteilungsungerech-tigkeiten dieser Gesellschaft gehört, die für alle Beteiligten nachteilige Verteilung der ver-schiedenen Tätigkeiten. Die einen sind gestresst, weil sie zunehmend mehr Überstun-den in Kauf nehmen. Ande-re wiederum sind gestresst, weil allen Bewerbungen und Weiterbildungen zum Trotz sich kein guter Arbeitsplatz finden lässt. Ungleich verteilt sind auch die Aufgaben zwi-schen den Geschlechtern. Im-mer noch tragen die Frauen ei-nen Großteil der Familien- und Sorgearbeit weg, während die einflussreichen Spitzenjobs vorrangig in Männerhänden liegen. Hier gilt es umzuver-teilen. Arbeitszeitverkürzung, und zwar sowohl als kollektive Regelungen in Tarifverträgen als auch selbstbestimmte For-men wie z.B. Sabbatjahre oder Auszeiten für Weiterbildun-gen etc. können dem gesell-schaftlichen Burn-Out entge-

genwirken und eine gerechte Verteilung der notwendigen Erwerbsarbeiten befördern.

Für eine LINKE als lernen-de ParteiGeteilte Gewissheiten, ge-meinsame Standpunkte und klare Ziele sind der Kit, der die verschiedenen Mitglieder einer Partei zusammenhält. Doch neben all den Gewiss-heiten gibt es auch immer wie-der Fragen, auf die wir keine definitive Antwort haben und dazu können wir auch stehen. »Preguntando Caminamos« – Fragend schreiten wir voran! sagen die mexikanischen Za-patistas. Die globalisierungs-kritische Bewegung hat die-sen Slogan aufgegriffen. Hier kann die LINKE von der Be-wegung lernen. Offene Diffe-renzen und ungeklärte Fragen müssen nicht durch knappe Mehrheitsbeschlüsse oder durch Lautstäke übertüncht werden. Vielmehr sollten wir neben unseren Überzeugun-gen auch zu unseren Unge-

wissheiten stehen.

Für eine Partei ,in der die Lust größer ist als der FrustAuf einer Regionalkonferenz meinte eine Genossin, sie ver-bringe einen großen Teil ihrer knappen Freizeit in der Partei und sie habe ein Recht dar-auf, diese Zeit nicht als Zumu-tung zu erleben. Recht hat sie. Doch leider werden unsere Veranstaltungen und Sitzun-gen diese Forderung wahrlich nicht immer gerecht. Wenn wir die Verhältnisse zum Tan-zen bringen wollen, darf die Freude an der Politik nicht auf der Strecke bleiben.Die Machtfrage stellen, die Gesellschaft verändern!Viel wird über unser Verhält-nis zu anderen Parteien dis-kutiert. Wir sind aber eine ei-genständige Partei und das sollte im Mittelpunkt unse-rer Politik stehen. Wir wollen die Gesellschaft verändern. Und das Programm sowie die darin enthaltenden Haltelini-

en geben hier unseren Hand-lungsrahmen vor: Wenn wir gemeinsam mit anderen ei-ner sozialen und demokrati-schen Politik zum Durchbruch verhelfen können, dann sind wir dabei. Ob auf der Stra-ße, in Bürgerinitiativen oder eben auch in den Parlamen-ten. Für uns sind dabei stets zwei Punkte zentral: 1. Das Er-reichen von Macht- und Ent-scheidungspositionen ist kein Selbstzweck. Sie muss sich daran messen lassen, ob sie sozialen und demokratischen Fortschritt voranbringt. 2. Die Macht linker Politik besteht in der Handlungsmacht der Vie-len. Sie entsteht in der Gesell-schaft, im Alltag, dort wo Men-schen arbeiten und leben.Wir gehen dahin, wo sich, was tut. Wir wollen wieder Mut ma-chen, die Gesellschaft zu ver-ändern. Raus aus den Gräben und rein in die Veränderung – so stellt die LINKE die Macht-frage. Katja Kipping(gekürzt)

mögliche Atomwaffen im Iran geht es der USA und der EU nicht. Sie stört, dass die ira-nische Regierung selbstbe-stimmt agiert und sich nicht dem Westen unterwirft. Des-halb werden vom Westen alle Verhandlungsangebo-te des Irans abgelehnt. Aus diesem Grund will der Iran bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie unabhän-gig sein. Das Streben nach Atomwaffen wird aber aus-drücklich abgelehnt. Es gibt auch keinerlei Beweise für das Gegenteil. Und die Staa-ten, die den Iran kritisieren, haben nicht nur selbst Atom-anlagen, sondern sogar (teil-weise im Rahmen der nukle-aren Teilhabe) Atomwaffen. Wir sollten uns gemeinsam gegen diese Regierungen wehren, die nicht nur den Iran bedrohen.

Was bemüht man noch, als sprachliches Abbild für das, was momentan in Deutsch-lands Linkspartei abläuft? Ist nicht alles schon bemüht? Das Leben des Brian, Fuchs und Elster, Ekel Alfred, Dinner for One, Hempels Sofa...? Haben die Medien nicht schon alle Überschriften ebenso durch-probiert, wie alle Untergangs-szenarien? Ist der innerpar-teiliche Phrasen-Generator nicht schon so heiß gelaufen, dass er statt Phrasen nur noch Schlagwörter im Staccato ausspuckt? Und ist der »Richtungskampf« in der Partei nicht vielmehr ein Kampf ihrer Funktionäre und Abgeordneten, für den je-ne allerdings einmal mehr die »Stimmung an der Basis« be-mühen, ohne diese Stimmung auch nur im Ansatz wahrge-nommen zu haben, was jetzt flugs gegenteilig behauptet wird: »Viele Leute haben mich angesprochen«, »Ich wurde von Vielen gefragt« »Oft bin ich in den letzten Wochen ge-beten worden«...Bemerkenswert, wenn auch nicht wirklich neu ist, wie zwei völlig unschuldige Mengen-wörter dabei mit Inbrunst in wertende Haftung genommen werden. Merke: »Viele« sind immer die Guten, während »Ei-nige« stets die finsteren Ge-sellen verkörpern. »Und wenn hier Einige meinen, denken, glauben, sagen zu müssen....« Bolschewiki und Menschewiki – man kennt das.Und die armen Kandidaten! Sie liegen herum (Kandidaten-lage), drehen sich im Kreis (auf dem Kandidatenkarussell), führen Kriege (Kampfkandida-turen), Friedensverhandlun-gen (Kompromisskandidaten) – allein vom Kandi-Daten-schutz ist nichts zu spüren, in der zukünftigen Internetpartei Deutschlands. So viel Kalauer muss sein, auch wenn es Eini-gen nicht passt.Nun – bald haben wir es hin-ter uns. Vielleicht schaffen wir es ja noch einmal, uns zusam-menzu raufen, statt nur zu-sammen zu raufen. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht schaffen wir es auch nur, da-mit wenigstens etwas von uns bleibt, den kommenden Gene-rationen ein neues Synonym für Chaos zu schenken: »Zu-stände wie in Göttingen!«

Im Mai haben drei Frauen des Landesvorstandes ein sportliches Projekt in An-griff genommen. Die Lauf-begeisterten haben sich dem Wettkampf gestellt und am Frauenlauf in Leip-zig teilgenommen.Ausgerüstet mit entsprechen-den LINKE-Shirts im Glitzer-style (wir sind angetreten als die Glitzergirls der LINKEN, ganz zeitgemäß zu den tollen Postkarten des Landesver-bands) einem phantastischen Fanblock und entsprechen-den „isotonischen Getränken“

sind wir zu Bestleistungen auf-gelaufen und haben dabei be-wiesen, dass DIE LINKE genug Puste hat. Nun, uns hat der Tag sehr viel Spaß gemacht und wir würden das auch ger-ne woanders wiederholen. In den Landkreisen, bei Volks-läufen und so weiter. Um es also kurz zu machen: Schickt uns eine Mail wann und wo die Läufe stattfinden oder wann ihr ggf. lauft, bringt ein paar Leute mit zum anfeuern und bejubeln und wir kommen und laufen mit.

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Seite 3 6/2012 Sachsens Linke!

Eine geteilte GeschichteFünf Jahre »Die Linke« zwischen Aufstieg und Krise»Was könnten unsere Proble-me sein?«, fragte Gregor Gysi zur Eröffnung des Gründungs-parteitags der LINKEN im Ju-ni 2007 in den Saal. Und gab in Berlin gleich eine doppel-te Antworten: Es gebe »zwei Möglichkeiten«, mit der unter-schiedlichen Geschichte und den unterschiedlichen Biogra-fien in der vereinigten Partei umzugehen. »Die eine besteht darin, dass wir das alle als ein großes Problem wahrnehmen, realisieren und uns täglich da-rüber den Kopf zerbrechen. Und die andere Möglichkeit ist, dass wir letzteres auch tun, uns den Kopf zerbrechen, aber dass wir das als Chance ansehen und sagen, wir sind und bleiben neugierig aufein-ander. Dann kann das Ganze ein Gewinn werden.«Fünf Jahre später muss man sagen: Maßgebliche Teile in der LINKEN haben sich of-fenbar für die erste Variante entschieden. Zumindest die zweite Hälfte der noch jun-gen Parteigeschichte präg-te ein enervierender Konflikt ums Personal, um machtpoli-tische Ressourcen in Fraktion und Partei das Bild. Medial an-gefeuert zeigte sich eine De-battenkultur, die selbst wohl-meinende Beobachter abschreckte. Von einer exis-tenziellen Krise der Linkspar-tei war die Rede - wenigstens in dieser Frage herrschte flü-gelübergreifender Konsens.Dabei hatte doch alles so vielversprechend begon-nen. Seit 2005 war die Partei von einem Erfolg zum nächs-ten marschiert. Bei 16 von 19 bundes- und landesweiten Ur-nengängen konnte DIE LIN-KE ihr prozentuales Ergebnis verbessern; sie zog in sechs westdeutsche Landtage ein, sie steigerte bei den Bundes-tagswahlen 2009 ihr Ergeb-nis deutlich - und zog mit einer von 54 auf 76 Abgeordneten vergrößerten Fraktion aber-mals ins Parlament ein.Das war das eine. Das andere war: Die Linkspartei veränder-te die politische Landschaft. Allein ihre Existenz in Parla-menten zwang die Konkurrenz zu inhaltlichen und strategi-schen Korrekturen. Vor allem in den ersten Jahren vermoch-te die Linke es, Themen auf die Agenda zu setzen - vom Min-destlohn über die Forderung nach Aussetzung von Hartz-Sanktionen bis zur Finanz-transaktionssteuer. »Wir wollen Politik verän-

dern. Darin rechnen wir Erfolg - nicht in Prozenten«, hat Os-kar Lafontaine einmal gesagt. Nun sind weder der flächende-ckende gesetzliche Mindest-lohn durchgesetzt, noch sieht es danach aus, dass SPD und Grüne, die am stärksten auf DIE LINKE reagierten, 2013 ei-nen Politikwechsel in Angriff nehmen würden, der diesen

Namen auch verdiente. Vie-les von dem, was die Linke auf die Tagesordnung gesetzt hat, wurde von anderen Par-teien lediglich rhetorisch ab-sorbiert. Und doch liegt hier einer der wesentlichen Gründe dafür, dass DIE LINKE seit 2009 in die Defensive gedrängt ist: Mit dem »links blinken« von SPD und Grünen in der Op-position ist es für die Partei schwerer geworden, Allein-stellungsmerkmale für sich zu reklamieren. Gesellschaftli-che Konflikte wie der um Hartz oder den Afghanistaneinsatz sind zudem in den Hintergrund getreten. Mit der »Begrünung« des öffentlichen Diskurses nach dem Atom-Unfall von Fu-kushima, mit der von Stuttgar-ter »Wutbürgern« entfachten neuen Attraktivität von Betei-ligung jenseits der Parteien-politik, und mit dem Aufkom-men der Piraten, die vor allem als Alternative des Verfahrens - Basisdemokratie, Liquid De-mocrcy etc. - betrachtet wer-den, wurden dem Wachstum der LINKEN Grenzen gesetzt. Zudem geriet die Partei in ei-ne defensive Bündnisposition, nachdem sich SPD und Grüne seit Herbst 2009 in mehreren Ländern gegen eine rechne-risch denkbare Zusammenar-beit mit ihr entschieden hat-ten.Steine legte sich die Partei aber auch selbst in den Weg. Nach einem als Machtkampf bezeichneten Vorgang muss-te Anfang 2010 der bisheri-

ge Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch von diesem Posten Abstand nehmen. Die Aufstellung eines neuen Per-sonaltableaus für die Partei-spitze geriet den Beteiligten zum »Blick in den Abgrund« und brachte eine Doppelspit-ze hervor, der wichtige Kräf-te innerhalb der Linken kein Vertrauen entgegenbrach-

ten, der die Integrationsfähig-keit ihrer Vorgänger fehlte und die alsbald wegen ihrer Amts-führung in die Kritik gerieten. Zwischen strategischer Posi-tionierung und öffentlichem Agieren begannen immer grö-ßere Widersprüche zu klaffen. Mitgliederzahlen mussten nach unten korrigiert werden, die Grenzen des Parteiaufbaus im Westen wurden in zahllo-sen Kleinkonflikten ebenso sichtbar wie die organisatori-schen Probleme einer überal-terten Partei im Osten. Medi-al angefeuerte Diskussionen etwa über den Mauerbau, das Kuba-Bild, die Almhütte des LINKEN-Chefs Klaus Ernst und den »Kommunismus«-Text der Co-Vorsitzenden Ge-sine Lötzsch gaben tiefer lie-

genden und schon länger bestehen Konflikten eine Aus-drucksform. Und vor allem: die Wahlerfol-ge blieben aus. Der Sprung über die Fünfprozent-Hürde in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 markierte den letzten wirklichen Wachstumserfolg der Partei. Danach begann eine Phase der Stagnation,

bald drehten die Ergebnisse ins Minus und schließlich flog DIE LINKE aus ersten Land-tagen im Westen wieder her-aus. Die Serie schlechten Ab-schneidens wiederum wirkte auf die inneren Klärungspro-zesse zurück: Als Treibstoff von Konflikten zwischen den Strömungen, zwischen un-terschiedlichen Auffassun-gen, was eine linke Partei aus-macht, wohin sie geht, mit wem sie das tut. Die Diskussi-onen vor dem Göttinger Partei-tag gerieten zum vorläufigen Höhepunkt dieser Auseinan-dersetzung. Und nun?Kurz nach dem Gründungs-parteitag im Sommer 2007 stand DIE LINKE in Umfragen bei 14 Prozent. Fünf Jahre spä-ter nähert sie sich bundes-

politisch wieder der Fünfpro-zent-Hürde. Ist das nur eine vorübergehende Delle oder zeichnet sich hierin ein Trend ab, an dessen Ende DIE LINKE als gesamtdeutsches Samm-lungsprojekt gescheitert ist? Georg Fülberth hat die Links-partei einmal als den »Aus-druck einer bestimmten, ge-genüber den Jahrzehnten 1945 bis 1989 gewandelten, Wirtschafts- und Sozialstruk-tur« bezeichnet. So etwas ver-schwindet nicht über Nacht. Auch die parteipolitische Re-präsentationslücke links der Sozialdemokratie ist nicht viel kleiner geworden; das Bedürf-nis nach sozialer Gerechtig-keit ist groß, die Skepsis ge-genüber dem Kapitalismus in den vergangenen Jahren der Krise gewachsen. Ein Garant für neue Erfolge einer Linken ist, der bloß mit kämpferischen Reden akti-viert werden müsste, ist das aber ebenso wenig, wie allein neues Spitzenpersonal die Partei wieder in die Offensive bringen wird. Dafür ist mehr nötig. Wenn es der LINKEN ge-lingt, mit einer neuen Erzäh-lung wieder mehr Menschen zu bewegen, ihnen Lust auf Utopie in der Zukunft und den Kampf um bessere Lebensver-hältnisse im Jetzt zu machen; wenn sie es schafft, die so-zialen Interessen von unter-schiedlichen Milieus in einer gemeinsamen Idee der Ver-änderung zu bündeln, wenn sie wieder lernt, miteinander ohne Diffamierung zu strei-ten, wenn sie die Potenziale ihrer Mitglieder anders nutzt und die Widersprüche plu-ralistischer Politik nicht als Hindernisse, sondern als Ge-legenheit begreift, über sie hi-nauszudenken - dann hat sie auch eine Zukunft.Tom Strohschneider

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Seite 4Sachsens Linke! 6/2012

Nicht nur PersonalproblemeDer Landesvorstand hat sich am 11.Mai 2012 mit dem Ent-wurf der neuen »Bildungspoli-tischen Leitlinien« befasst und beschlossen, das Papier zur innerparteilichen und öffentli-chen Diskussion zu stellen.Was hat es mit diesem Ent-wurf auf sich? Im Leitantrag zum 4. Landesparteitag 2009 entstand der Auftrag, ein neu-es Landesentwicklungskon-zept der LINKEN Sachsen zu erarbeiten, das die Zielrich-tung linker Politik bis zum Jahr 2020 beschreibt. Diese Schwerpunkte sollten formu-liert und ausgestaltet werden:»Sachsen ohne Armut« zu ei-ner wirkungsvollen Armutsbe-kämpfung aus Landesebene ,»Plan Demokratisches Sach-sen«, u.a. die Vereinfachung von Volksbegehren und wei-tere Formen demokratischer Beteiligung, »Aufbruch in ein sozial ökolo-gisches Sachsen« mit Gestal-tungsvorschläge für linke öko-logische Politik,»Bildung, Kunst, Kultur für al-le« zur Bündelung unserer bil-dungs- und kulturpolitischen Kompetenz und»Sachsen 2020« als integrier-tes Landesentwicklungs- und Wirtschaftskonzept.Nunmehr liegt der Entwurf des Konzeptes für die Bil-dungs- und Kulturpolitik (wie

auch der entsprechende Ent-wurf für die sozialpolitischen Leitlinien) vor und kann und soll – auch als Beitrag zur Vor-bereitung des Landesparteita-ges im Oktober 2012 – inner-parteilich und durchaus auch öffentlich diskutiert werden.Politiker aller Parteien beto-nen, dass die Zukunft Sach-sens davon abhängt, dass der hohe Bildungsstand seiner Bevölkerung auch in den kom-menden Generationen erhal-ten bleibt. Das ist kein Selbst-läufer, man muss etwas tun. Aber was? Hier endet die Ei-nigkeit. Unser Bildungskonzept be-schreibt Ziele, Forderungen und Ausgestaltung von der frühkindlichen Bildung über schulische und berufsbilden-de Bildung und Erziehung bis zur Hochschulpolitik sowie die Notwendigkeit und Mög-lichkeiten zur Steuerung und Förderung der Weiterbildung. Auch Kultur und Sport ge-hören zur Bildung (oder sind Sport und Bildung Formen un-serer Kultur?) Tatsache ist, Bil-dung und Kultur bedingen ei-nander, und deshalb werden auch Sportförderung und an-dere kulturelle Aspekte in das Gesamtkonzept einbezogen.Bildung versteht DIE LINKE als Menschenrecht. Im Ent-wurf der bildungspolitischen

Leitlinien steht wörtlich: »Bil-dung als Menschenrecht heißt Bildung für alle, heißt diskri-minierungsfreier Zugang zu Bildungseinrichtungen unab-hängig von Geschlecht, von ethnischer, kultureller, sozia-ler Herkunft, von individuellen Fähigkeiten und Beeinträchti-gungen«. Die bildungspolitischen Leitli-nien der sächsischen LINKEN erhalten besondere aktuelle Brisanz, weil in den vergange-nen Monaten deutlich wurde, wie die CDU-geführte Staats-regierung in Sachen Bildungs-

politik versagt hat. Nur ein Beispiel: Wegen der restrik-tiven Einstellungspolitik sind in Sachsen lediglich 11 Pro-zent der Lehrerinnen und Leh-rer unter 40 Jahre alt, der Bun-dessdurchschnitt liegt bei 31 Prozent. So ist seit langem vorhersehbar, in welchen Jah-ren tausende Lehrerinnen und Lehrer altersbedingt aus dem Dienst ausscheiden werden. Andererseits steigen im sel-ben Zeitraum die Schülerzah-len deutlich, nach Angaben aus dem Kultusministerium al-lein bis 2020 um 15.000. Noch

ein Fakt: Die Zahl der Abituri-enten wird in den kommenden Jahren sinken, gleichwohl wird nicht ein Viertel der kommen-den Abiturientenjahrgänge Lehrerin oder Lehrer werden wollen. Wir brauchen aber, um die Katastrophe noch zu verhindern, mindestens 1700 neue Lehrerinnen und Lehrer – jährlich! Mit den Leitlinien möchten wir LINKE Positionen und Lösun-gen, nicht nur zu den Perso-nalproblemen, zeigen.Cornelia Falken

»Wohnst Du noch, oder lebst Du schon?«, so hat ein schwe-disches Möbelhaus einen Slogan entworfen, der sich vielerlei semantischer Umfor-mungen unterziehen musste. Manche zielten auf die Unab-hängigkeit von Marktentwick-lungen in den »eigenen vier Wänden«.In Sachsen hat es seit 1990 eine erhebliche Wohneigen-tumsförderung gegeben. Doch die meisten Menschen in Sachsen wohnen zur Miete. Von den knapp 2,28 Mio. Woh-nungen in Sachsen befinden sich 420.171 in Ein-, 318.626 in Zwei- und 1.540.180 in Drei- und Mehrfamilienhäu-sern. Dabei findet Wohnen in Ein- und Zweifamilienhäusern ebenso zur Miete statt, und Mieteigentum befindet sich in Drei- und Mehrfamilienhäu-sern. Etwa ein knappes Drit-tel wohnt in den »eigenen vier Wänden«.Wohnen ist eine zentrale Säu-le des Zusammenlebens un-abhängig davon, ob es in der Stadt oder auf dem Dorf ist. Nach einer Studie des Immo-bilienverbandes Deutschland aus dem Jahre 2008 müs-

sen durchschnittlich 35 Pro-zent des monatlichen Netto-einkommens für das Wohnen einschließlich »Nebenkosten« aufgewendet werden. Seit-dem sind vor allem die Be-triebskosten weiter gestie-gen. Rechnet man alle Kosten für das Wohnen inklusive der Energiekosten hinzu, wird schnell ein Durchschnittswert von über 40 Prozent erreicht. Damit ist ersichtlich, welche Bedeutung Veränderungen des Wohnungsmarktes für die Lebensbedingungen des Ein-zelnen haben können.Der Dresdner Wohnungs-markt hatte sich in 2006 mit dem WOBA-Totalverkauf mit gut 48.000 Wohnungen an die Fortress-eigene Gagfah schlagartig verändert. Es gab danach keinerlei Wohnungen in kommunaler Hand. Aber in Zusammenarbeit mit den grossen kommunalen Woh-nungsgesellschaften sowie den Genossenschaften ge-stalten die Kommunen die Stadtentwicklung. So lastet nun für die Landeshauptstadt die Verantwortung für den so-zialen Wohnungsbau sowie die Verpflichtung, ausreichend

bezahlbaren Wohnraum für Sozialtransferempfänger und nur sehr gering leistungsfähi-ge Mieterinnen vorzuhalten, erheblich schwerer.Mit dem Dresdner Coup sind knapp 16 Prozent aller Dresd-ner Wohnungen an die Gagfah gegangen. Zum Schutze der Mieter und zur Sicherung der kommunalen Handlungsfähig-keit wurde eine Sozialcharta vereinbart. Doch bald wurde

klar, dass einige Vereinbarun-gen hinter geltendem Recht zurück blieben oder geltendes Recht waren. So das lebens-lange Mietrecht für ältere Mie-ter: durch die bisherige Miet-dauer waren sie meist schon nicht mehr kündbar. Auch die vereinbarte Erhöhung der Mindestinstandhaltungsin-vestition von 5 auf 7,56 Euro/qm pro Jahr ist bemerkens-wert. In der Wohnungswirt-

schaft gelten knapp 7,80 Euro als unterste Grenze. Darunter ist laut Kennzahlen des GdW keine seriöse Instandhaltung möglich. Im Umkehrschluss heisst das also, dass die WO-BA-Töchter in Dresden de fac-to nach 2006 keinerlei ernst-hafte Instandhaltung mehr durchgeführt oder diese ein-gestellt haben.Dresden hat mit dem WOBA-Verkauf nur bedingt Zugriff auf Wohnungen, keinen Einfluss auf den Mietpreis und keinen Durchgriff zur Mitwirkung an der Stadtentwicklung. Dres-dens Schuldenfreiheit und -verbot auf dem Papier ste-hen eine andauernde Unterfi-nanzierung der Stadt und ein Investitionsstau von 1,5 Mrd. Euro bei Schul-, Kulturstätten, Verkehrsanlagen und Neben-straßen gegenüber.In loser Folge werden die Au-toren Wohnungsunterneh-men, Stadtentwicklung und die Entwicklung des Wohnens in mehreren sächsischen Städten näher beleuchten. Auftakt wird in der kommen-den Ausgabe Dresden mit den Vorgängen um die WOBA sein.Enrico Stange und Tilo Wirtz

Wohnen und Wohnungswirtschaft in Sachsen

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Page 9: Links! Ausgabe 06/2012

Kommunal-Info 5-2012

Sparkassen 1Sächsische Sparkassenlanschaft bleibt weiter gespalten

Seite 2

Sparkassen 2In Krisenzeiten haben sich Sparkassen als Stabilitätsanker bewährt

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Neue VorsitzendeSimone Luedtke wurde zur neuen Vorsitzenden des KFS gewählt

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VeranstaltungenPrivatisierung & RekommunalisierungEnergiewende in Kommunen

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K o m m u n a l p o l i t i s c h e s F o r u m S a c h s e n e . V .K F S

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

30. Mai 2012

„Kommunale Daseinsvorsorge zwi-schen Privatisierung und Rekommu-nalisierung“ lautet das Thema der Kommunalpolitischen Konferenz am 30. Juni in Dresden. Passend zu die-sem Thema bringen wir hier einen Auszug aus einem Papier1 des Deut-schen Instituts für Urbanistik (DIfU), das Jens Libbe federführend erarbeitet hat, der auch auf unserer Kommunal-politischen Konferenz auftreten wird.

Die Frage, ob Dienstleistungen auch durch kommunale, sprich öffentliche Unternehmen zu erbringen sind oder ob sie privaten Akteuren am Markt überlassen werden sollten, ist keines-wegs neu. Über die letzten 150 Jahre betrachtet unterlagen Aufbau und Or-ganisationsformen von öffentlichen Infrastrukturen in den einzelnen Be-reichen im Zeitverlauf mal stärker pri-vater, mal vermehrt öffentlicher Leis-tungserbringung. Je nach finanzieller und organisatorischer Handlungskraft der öffentlichen Hand, technischen Entwicklungen oder vorliegenden Er-fahrungen mit unterschiedlichen For-men der Leistungserbringung schlug das Pendel mal in die eine, mal in die andere Richtung aus.

Frühes MarktversagenPrivate Unternehmen spielten zu Be-

ginn des Aufbaus von Infrastrukturen der sogenannten Daseinsvorsorge eine wichtige Rolle, wenngleich es bereits damals eine Trägervielfalt gab. Ange-sichts unübersehbarer Defizite in Hin-blick auf Qualität und Quantität der Versorgung - hier kann auch von einer frühen Form des Marktversagens ge-sprochen werden - nahm die Bedeu-tung staatlicher und kommunaler Un-ternehmen in der Leistungserbringung im Laufe der Zeit zu. Später - in der Bundesrepublik der Nachkriegsjahr-

zehnte wurden die öffentlichen Unter-nehmen ein wichtiger Bestandteil des wohlfahrtsstaatlichen Modells. Über sie wurde die weitgehend flächende-ckende Versorgung mit zahlreichen grundlegenden Dienstleistungen si-chergestellt.

Bruch in 80er JahrenGebrochen wurde diese Entwick-

lung spätestens Ende der 1980er-Jah-re. Mangelhafte Kundenorientierung sowie partei- und gewerkschaftspoliti-sche „Gefangennahme“ der Unterneh-men führten zu vielfältiger Kritik am System der öffentlichen Wirtschaft, was sich in Begriffen wie Staatsversa-gen, Ineffizienz oder Patronagesystem ausdrückte. Teilweise wurden Forde-rungen nach mehr bürgerschaftlicher Einflussnahme auf die öffentlichen Unternehmen (hier insbesondere auf die Stadtwerke) laut - eine Debatte um Rekommunalisierung jenseits der Ei-gentumsfrage.

Die Frage, ob öffentliche Dienstleis-tungen besser in öffentlicher und insbe-sondere kommunaler Hand oder durch private Akteure unter Marktbedingun-gen erbracht werden sollten, ist insofern kein Phänomen nur der letzten Jahre, aber durchaus normativ hoch aufgela-den. Es gab auch nie einen eigentums-rechtlichen Monismus. Gleichwohl ist unübersehbar, dass sich Organisations- und Aufgabenstrukturen der deutschen Kommunen in den vergangenen knapp 20 Jahren gravierend verändert haben. Das traditionelle Bild kommunaler Selbstverwaltung - demnach erledigen Städte und Kreise gestützt auf Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes die „Angele-genheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung“ selbst, d.h. mit eigenen Einheiten der Leistungser-bringung - hat deutliche Risse bekom-

Daseinsvorsorge-privat oder kommunal?men. Die kommunale Aufgabenwahr-nehmung hat sich infolge erheblicher Auslagerungen von Aufgaben und Leis-tungen auf privatisierte Einheiten oder rein private Unternehmen als „kom-munale Erfüllungsgehilfen“ erheblich verändert. Ob nun Versorgungs- und Verkehrsbetriebe oder auch Kinderta-gesstätten und Krankenhäuser - heute werden Aufgaben von Privaten erle-digt, die bis vor kurzem noch selbst-verständlich zum Kernbereich kom-munaler Aufgabenerledigung zählten. Infolge dieser Entwicklung ist - darauf hat das Deutsche Institut für Urbanis-tik bereits vor einigen Jahren hinge-wiesen - ein institutioneller Wandel der kommunalen Aufgabenwahrnehmung zu konstatieren. Dieser institutionel-le Wandel drückt sich insbesondere in einer Ausdifferenzierung der Formen der Aufgabenwahrnehmung aus. Ne-ben der Aufgabenwahrnehmung in den öffentlich-rechtlichen Formen von Re-gie- und Eigenbetrieb steht eine Fülle von privaten und privatisierten Orga-nisationsformen: In der Empirie fin-den sich neben kommunalen Eigenge-sellschaften, die zu 100 Prozent in der Hand der Kommune sind, gemischt-wirtschaftliche Kooperationsgesell-schaften mit variierenden kommunalen Mehrheits- oder Minderheitsanteilen. Und schließlich können Kommunen auch sogenannte Erfüllungsgehilfen in ihre Aufgabenwahrnehmung einschal-ten, in der Regel Private, die im Auf-trag der Kommune operativ die Dienst-leistung erstellen.

Ursachen für PrivatisierungFür diese Entwicklung gibt es zwei

Ursachen: zum einen die Verwaltungs-modernisierung, verbunden mit der Übernahme von Managementkonzep-ten aus der privaten Wirtschaft und mit

der Ausgliederung von Aufgaben auf selbständige Organisationseinheiten; zum anderen die lang andauernde Fi-nanzkrise der Kommunen, die vieler-orts zum Verkauf von Beteiligungen oder zur Einbindung privater Partner geführt hat. Ein weiterer maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung sind Libe-ralisierungs- und Privatisierungspoliti-ken auf europäischer Ebene. Sie unter-stellen traditionell öffentliche Bereiche einem Wettbewerbsregime. Es handelt sich also um eine gleichermaßen bin-nengetriebene wie durch externe Ursa-chen forderte Entwicklung. Einzelfall-entscheidungen erzeugen dabei immer wieder große Aufmerksamkeit, wie et-wa der Teilverkauf der Berliner Was-serbetriebe oder der Verkauf der Dres-dener Wohnungsbaugesellschaft. Das potenzielle Reservoir für Privatisie-rungsvorhaben ist jedenfalls erheblich: So befinden sich in Deutschland et-wa 900 Energieversorgungsunterneh-men, etwa 7000 Wasserver- und Ab-wasserentsorgungsunternehmen, über 700 Krankenhäuser und etwa 400 Ver-kehrsunternehmen ganz oder überwie-gend in kommunalem Besitz.

Enttäuschte ErwartungenIn nicht wenigen Fällen wurden die

Erwartungen, die ursprünglich an die Entscheidung pro Privatisierung ge-knüpft wurden, nicht erfüllt. Zurückzu-führen ist dies zum einen auf eine nicht selten unzureichende Abwägung von Privatisierungsentscheidungen seitens der Politik, zum anderen auf Enttäu-schungen hinsichtlich der Entwicklung von Qualität und Preisen. Politikversa-gen ist gleichermaßen festzustellen wie regionales Marktversagen. In nicht we-nigen Gemeinden und Landkreisen hat

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Seite 2Kommunal-Info 5/2012

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.de

V.i.S.d.P.: A. Grunke

Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefödert.

sich die Kommunalwirtschaft durch eine Neuausrichtung der unternehme-rischen Strategien aber auch neu auf-gestellt. Sie erschließt - zum Beispiel durch eine vermehrte regionale Koo-peration in Form von Gemeinschafts-unternehmen - vorhandene Wirtschaft-lichkeitspotenziale und schafft damit auch die Voraussetzung für (Re-) Kom-munalisierungsmaßnahmen.

Triebkräfte für Rekommunalisierung

In Regionen mit einer ohnehin schwa-chen Wirtschaftsstruktur werden öf-fentliche Unternehmen wieder ver-mehrt als ein Instrument angesehen, mit dem sich der regionale Arbeits-markt und die lokale Wirtschaft durch Vermeidung von Lohndumping stär-ken lassen. Andernorts wird der Wil-le, politischen Einfluss auf die Qualität und Sicherung der Leistungserstellung

Fortsetzung von Seite 1...privat oder kommunal?

zurückzugewinnen, ausdrücklich be-tont. Dies ist vor allem dort der Fall, wo in den vergangenen Jahren der Unmut der Bürgerinnen und Bürger gestiegen ist. Auch Ökologie- und Ressourcenar-gumente werden angeführt, etwa der Wunsch, atom- und kohlekraftfreien Strom zu handeln und zu produzieren oder perspektivisch getrennte Infra-strukturbereiche stärker zu integrieren. Vor allem aber geht es darum, die stra-tegische Position der Kommunalwirt-schaft gerade dort zu stärken, wo die Liberalisierung des Marktes weit vor-angeschritten ist.

Ein weiterer maßgeblicher Treiber der Rekommunalisierung ist das Wett-bewerbsrecht, insbesondere das Ver-gabe- und Beihilferecht, mit der dazu ergangenen Rechtsprechung des Euro-päischen Gerichtshofs (EUGH). Hinzu tritt, dass die Bedingungen für einen Ausschreibungswettbewerb vorausset-zungsvoll und nicht in allen Sektoren gegeben sind, sodass allein aufgrund des Fehlens eines Marktes die Eige-

nerstellung angebracht ist. Und selbst wenn Ausschreibungen es erleichtern, den kostengünstigsten Anbieter zu finden, so ist dieser nicht zwangsläu-fig derjenige, der die Leistung in der bestmöglichen Qualität anbietet. Au-ßerdem erfordert ein Ausschreibungs-wettbewerb ein effizientes Ausschrei-bungsmanagement in den Kommunen. Anders formuliert: Koordination und Kontrolle der Leistungserbringung werden komplexer und komplizierter, was gerade kleinere Kommunen vor Probleme stellt. Tendenziell verstärkt die Komplexität des Vergaberechts zu-dem die ohnehin bestehenden Infor-mations- und Kompetenzasymmetrien zwischen Rat und Verwaltung, Kom-munen werden stärker von externer Be-ratung abhängig und die lokale Demo-kratie geschwächt.

1 Rekommunalisierung – eine Bestands-aufnahme, Dt. Institut für Urbanistik, August 2011.

Am 10. Mai hat der Sächsische Land-tag das „Gesetz zur Änderung des Ge-setzes über die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute im Freistaat Sachsen und die Sachsen-Finanzgruppe“ be-schlossen. Zum Gesetzentwurf hatte es noch im Haushalts- und Finanzaus-schusses des Sächsischen Landtags am 21. März eine öffentliche Anhörung gegeben, in deren Folge es jedoch nicht mehr zu nennenswerten Änderungen am Gesetzentwurf kam.

Wie nach dem Entschwinden der Sachsen-LB von manchen vielleicht er-wartet, wurde mit dem Gesetz nicht die Auflösung der Sachsen-Finanzgruppe (SFG) verfügt, sondern es wurde der SFG überlassen, sich in der Zukunft weiter zu entwickeln oder sich selbst aufzulösen.

Gespaltene SparkassenlandschaftFazit bleibt also: vorerst wird es wei-

terhin in Sachsen eine gespaltene Spar-kassenlandschaft geben, die sich zum Teil sogar quer durch die Landkreise zieht. Zur SFG gehören:

die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig,die Sparkasse Mittelsachsen,die Sparkasse Vogtland,die Erzgebirgssparkasse und die Ostsächsische Sparkasse Dresden.

Eigenständig in kommunaler Träger-schaft geblieben sind:

die Sparkasse Muldental,die Kreissparkasse Döbeln,die im Sparkassenzweckverband ver-

einten Sparkassen der Stadt Chemnitz und des Landkreises Zwickau,

die Sparkasse Zwickau, getragen von der Stadt und dem Landkreis Zwickau,

die Sparkasse Meißen,die Kreissparkasse Bautzen und der Sparkassenzweckverband Ober-

lausitz-Niederschlesien, bestehend aus der Stadt Görlitz und dem Landkreis Görlitz.

Mehrere OptionenDas Gesetz lässt nun verschiedene

Optionen offen, ohne die Auflösung

der SFG zu einem Zeitpunkt X zu be-stimmen:

Der SFG werden mit dem Gesetz weitere Entwicklungs- und Konsolidie-rungsmöglichkeiten eingeräumt.

Rein theoretisch wäre es sogar mög-lich, dass die bisher eigenständigen Sparkassen der SFG beitreten und so auf diesem Wege eine einheitliche Sparkassenlandschaft wieder herge-stellt würde.

Und schließlich, was bisher nicht möglich war: das Gesetz macht auch den Weg frei für den Austritt aus der SFG und für die Auflösung der SFG. Für den Rückkauf der Anteile wären jedoch von den betreffenden kommu-nalen Trägern insgesamt 215 Millionen Euro aufzubringen.

Stärkung der SFGIn Stellungnahmen von Sachverstän-

digen in der öffentlichen Anhörung wurde das Gesetz als ein gelungener Kompromiss gesehen, mit dem es ge-glückt sei, einerseits das vereinbarte Konzept zur Herauslösung des Frei-staates aus der Sachsen-Finanzgrup-pe und andererseits die „Erweiterung der Handlungsoption in Bezug auf die

Sachsen-Finanzgruppe“ sachgerecht und ausgewogen zu gestalten.

Zugunsten einer Stärkung der SFG wurde in die Waagschale geworfen, „dass die Sparkassen durch eine ver-stärkte Bündelung der Kräfte die feh-lende Landesbank ersetzen können bzw. müssen oder auch sollten.“ Um dies zu erreichen, sei die im Gesetzent-wurf „vorgesehene Regelung zur Wei-terentwicklung der Sachsen-Finanz-gruppe“ zu begrüßen.

Und auch aus betriebswirtschaftli-cher Sicht sei die SFG „im Vergleich der verschiedenen Kooperationsfor-men innerhalb der Sparkassenorgani-sation eine innovative Zukunftsopti-on“, sie sei eine sinnvolle Lösung, „um die Sparkassen dabei zu unterstützen, die erheblichen Effizienzsteigerungen, die notwendig sind, zu erreichen.“

Rückkehr zu den WurzelnDem wurde entgegengehalten, dass

die SFG wie ihr Vorgänger, der „Sach-sen-Finanz-Verbund“ aus rein poli-tischen Motiven gegründet wurde. Gründungsgedanke sei gewesen, eine langfristig leistungsfähige, effiziente und gemeinsame Sparkassenstruktur

im Freistaat Sachsen zu schaffen, ei-nen dauerhaften Ertrag und die Teilha-be aller Verbundinstitute am Gesamt-gewinn der Gruppe zu gewährleisten. Heute müsse festgestellt werden, dass die angestrebten Ziele nicht erreicht wurden.

Die politisch gewollte Gründung der SFG habe die wirtschaftliche Recht-fertigung dazu nie erbracht. Overhead-kosten haben z.B. das negative Jah-resergebnis der SFG in Höhe von 4,47 Millionen Euro im Jahre 2010 maß-geblich beeinflusst. Eine Besserung sei nicht erkennbar.

Deshalb müsste vom Gesetzgeber jetzt ebenso konsequent eine politische Entscheidung getroffen werden und die Auflösung der SFG als Ziel im Gesetz zum Beispiel zum 31.12.2017 festge-schrieben werden. Das Ziel müsse sein, ein einheitliches Sparkassenwesen in Sachsen wieder herzustellen. Das kön-ne nur geschehen, indem wieder zu den eigentlichen Wurzeln zurückgegangen werde und eine Rückkehr zu kommu-nal verankerten Sparkassen erfolgen würde.

Auch die mit der SFG verheißenen Synergieeffekte seien ausgeblieben. Die Zusammenarbeit der Sparkassen unter dem Dach des OSV habe vorher gut funktioniert und tue dies immer noch. Synergien ergaben sich allenfalls in fusionierten SFG-Sparkassen. Diese seien jedoch nicht mit der SFG zu be-gründen, sondern den Instituten selbst zuzurechnen.

Auch betriebswirtschaftlich hätten die Sparkassen der Sachsen-Finanz-gruppe in der Vergangenheit keine si-gnifikanten Vorteile im Vergleich zu anderen Sparkassen außerhalb der Gruppe erreichen können. Inwieweit dies bei einer Stärkung der SFG und der Schaffung konzernähnlicher Struk-turen dann möglich sein solle, bliebe abzuwarten. Auch innerhalb des OSV und auch bundesweit können seien kei-ne Belege dafür zu finden, dass große Sparkassen besser aufgestellt sein müs-sen als kleinere.

Ebenfalls gäbe es keine Befunde da-für, dass die eigenständigen kommuna-len Sparkassen nicht in der Lage wä-ren, den Mittelstand ausreichend mit Krediten zu bedienen und es dafür der SFG bedürfte.

AG

Sparkassen in Sachsen gespalten

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Seite 3 Kommunal-Info 5/2012

Die Sparkassen – ein Geschäftsmo-dell mit Zukunft.In Krisenzeiten haben sich Sparkas-sen als Stabilitätsanker bewährt

Das Geschäftsmodell der Sparkassen hat sich in den vergangenen 200 Jah-ren als erstaunlich robust und stabil er-wiesen. Dabei sind Sparkassen immer dann von besonderer Bedeutung ge-wesen, wenn große gesellschaftliche Umbrüche zu bewältigen waren. Dies begann schon in der Zeit der ersten Sparkassen-Gründungen in Deutsch-land. Im ausgehenden 18. Jahrhundert setzte der über ein Jahrhundert wäh-rende Wandlungsprozess ein, durch den Deutschland zu einem führenden Industriestaat wurde. Im Zuge dieser „Industriellen Revolution“ durchlit-ten die Menschen vieles, was wir heu-te aus Entwicklungsländern kennen: Überbevölkerung, Massenarmut, Hun-ger, Landflucht, Ausbeutung, Kinder-arbeit. Verschärft wurden die Proble-me dadurch, dass sich gleichzeitig die ständische Gesellschaftsstruktur auf-löste und mit ihr zahlreiche traditionel-le Vor- und Fürsorgeeinrichtungen ver-schwanden.

Die ersten Sparkassen wurden denn auch aus dem Gedanken der Vorsorge gegründet. Es ging darum, dass auch Personen mit geringem Einkommen und Vermögen die Chance bekommen sollten, geringe Geldbeträge sicher und verzinslich anzulegen, damit sie Rück-lagen für Notzeiten bilden oder einen Kapitalstock für die Existenzgründung sammeln konnten.

Hilfe zur Selbsthilfe und Erziehung zur Selbstverantwortung – so lassen sich die Motive der ersten Sparkassen-gründungen zusammenfassen. Im Jahr 1801 kam es in Göttingen zur Grün-dung der ersten Sparkasse, für deren Verbindlichkeiten die Stadtgemein-de eine Garantie übernahm. Die Spar-kasse in kommunaler Trägerschaft, die heute in Deutschland dominiert, war damit geboren.

Vielfalt des Angebots als StärkeDie Sparkassen-Idee hat seitdem ei-

nige Kriege und Wirtschaftskrisen überstanden. Dies war letztlich mög-lich, weil Sparkassen eben kein Selbst-zweck, sondern eng eingebunden in das wirtschaftliche, soziale und gesell-schaftliche Umfeld ihrer Region sind. Dabei sind die zentralen Pfeiler der Ar-beit der Sparkassen seit 200 Jahren ein kreditwirtschaftliches Angebot, dass sich an alle gesellschaftlichen Grup-pen richtet, die Finanzierung des Mit-telstandes sowie regionale Ausrich-tung und kommunale Bindung. Dieses Geschäftsmodell hat sich auch in der Finanzmarktkrise eindrucksvoll be-währt.

Das an der Realwirtschaft ausgerich-tete und kundenorientierte Geschäft der Sparkassen hat die Krise nicht ver-ursacht und ist von ihr nicht beeinträch-tigt worden. Im Gegenteil: Aufgrund der robusten Geschäftsentwicklung waren die Sparkassen der Stabilitäts-anker für die deutsche Wirtschaft. Sie sind auch in den schwierigen Jahren 2008/2009 in der Lage gewesen, Mit-telstand und Kommunen weiter zuver-

lässig mit Finanzmitteln zu versorgen. Und mit den Sparkassen konnte dann der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland finanziert werden.

Schon das Jahr 2010 war im Unter-nehmenskreditgeschäft für die Insti-tute ein Rekordjahr. Und auch in 2011 verzeichneten die Sparkassen eine un-gebremste Kreditdynamik. So wurden im vergangenen Jahr von den Sparkas-sen insgesamt 66,7 Milliarden Euro an Krediten für Unternehmen und Selb-ständige zugesagt. Dies bedeutet ge-genüber 2010 noch einmal ein Plus von

knapp vier Prozent (+2,5 Milliarden Euro). Ausgezahlt wurden 59,7 Milli-arden Euro. Das entspricht einem Zu-wachs von gut sechs Prozent bzw. 3,4 Milliarden Euro. Eine Kreditklem-me, wie sie der ein oder andere schon wieder heraufbeschwören möchte, ist vom Markt her absolut nicht in Sicht. Und auch Rezessionsängste sind der-zeit unbegründet. Denn in den meis-ten Branchen der Wirtschaft sind Lage, Kapazitätsauslastung und Geschäfts-erwartungen gut. Und die typischen Begleiterscheinungen einer Rezessi-on, wie steigende Arbeitslosenzahlen, Druck auf die Ertragslage der Unter-nehmen und andere Schwächezeichen fehlen völlig.

Aber auch wenn die deutsche Wirt-schaft sich im Augenblick sehr sta-bil und krisenresistent zeigt, wird sich Deutschland nicht dauerhaft den Aus-wirkungen der Staatsschuldenkrise entziehen können. Dabei ist die Ein-sicht entscheidend, dass die Schulden-berge überall in Europa – egal auf wel-cher staatlichen Ebene sie entstanden sind – schrittweise abgebaut werden müssen. Dies wird ein langwieriger Prozess werden, für den Konsolidie-rungsprogramme und das Instrument der Schuldenbremse dringend erfor-derlich sind.

Es ist richtig, dass die EU-Staaten auf dem jüngsten Gipfel diesen Weg mit ih-ren Beschlüssen eingeschlagen haben. Wir dürfen es nämlich nicht zulassen, dass eine Schuldenkrise nur mit neuen Krediten bekämpft werden soll.

Die USA etwa haben eine andere, nicht auf Stabilität, sondern kurzfristi-ge Stimulation ausgerichtete Tradition. Hingegen müssen wir in Europa auf der richtigen Balance von Solidität und So-lidarität bestehen.

Ein zweiter wichtiger Punkt zur

Überwindung der Krise liegt in der notwendigen Umkehr großer Teile der Finanzwirtschaft hin zu einer Wie-derannäherung an die Realwirtschaft. Hochspekulative Geschäfte von auf in-ternationalen Finanzmärkten agieren-den Finanzkonzernen dürfen die Sta-bilität ganzer Volkswirtschaften nicht länger gefährden. Ausgehend vom G 20 Gipfel im September 2009 wurde das Signal gesendet, dass kein Produkt, kein Markt und kein Marktteilnehmer der Finanzwirtschaft mehr unreguliert bleiben solle.

Zweieinhalb Jahre später müssen wir aber konstatieren, dass dieses Ziel bis-lang nicht nur deutlich verfehlt wurde, sondern dass vielmehr die noch stabi-len Teile der Finanzwirtschaft durch die Regulierungsmaßnahmen drohen, in Gefahr zu geraten. Mit Regulierung überzogen wurde bislang nur das klassi-sche, vergleichsweise risikoarme Bank-geschäft von Banken und Sparkassen. Hedgefonds und andere Finanzinstitu-tionen können weiterhin in erheblicher und zum Teil systemgefährdender Grö-ßenordnung hochspekulative Geschäf-te machen. Dies geschieht auch jenseits von Börsen oder anderen zentralen Ab-wicklungsplattformen und somit ohne jedwede Markttransparenz.

Es gibt schon jetzt ein erhebliches Ungleichgewicht zu ungunsten klassi-scher Finanzprodukte.

Kritische Haltung zu Basel IIINatürlich setzen die Sparkassen ih-

re Geschäftsergebnisse für Zwecke des Gemeinwohls ein. Sie müssen ihr Geld aber auch im Markt verdienen kön-nen. Man darf sie nicht überfordern, wenn man ihre Stabilität und ihre Rol-le als verlässliche Kreditgeber erhalten möchte. Vor diesem Hintergrund ist auch unsere kritische Haltung zu Ba-sel III zu verstehen. Neben den Mittel-standskrediten ist dabei insbesondere auch der Kommunalkredit massiv von den geplanten aufsichtsrechtlichen Ei-genkapital-Anforderungen betroffen, da er künftig mit erheblich mehr Eigen-kapital unterlegt werden müsste. Basel III in der jetzt vorliegenden Form wür-de die Rolle der Sparkassen als Kredit-geber vor Ort ohne zwingenden Grund erschweren.

Es zeigt sich, dass Regelungen, die ursprünglich für international tätige Großbanken erarbeitet wurden, nicht

eins zu eins auf regional agierende Kreditinstitute umgesetzt werden kön-nen. Gleiches gleich, Ungleiches aber auch ungleich zu behandeln – das ist nicht nur eine verfassungsrechtliche Vorgabe, sondern ein kluges Verhal-ten, wenn man unterschiedlichen Ver-hältnissen und Anforderungen gerecht werden will. Deshalb setzen wir jetzt darauf, dass die Bundesregierung, so wie sie es im Jahreswirtschaftsbericht auch angekündigt hat, zumindest für eine differenzierte Einführung von Ba-sel III eintreten wird.

Auch die Mitglieder des Deutschen Städtetages setzen sich seit langem mit Nachdruck dafür ein, dass die kommu-nal getragenen Sparkassen nicht durch falsch verstandene Regulierung wei-ter belastet werden. Dies geschieht aus dem Wissen heraus, dass die Sparkas-sen nicht nur eine wichtige finanzpoli-tische Aufgabe in den einzelnen Regio-nen Deutschlands haben, sondern dass sie auch von eminenter Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben in einer örtlichen Gemeinschaft sind.

Dieser Verantwortung sind die Ins-titute auch im vergangenen Jahr nach-gekommen. Wir gehen davon aus, dass in 2011 operativ ein gutes Ergebnis mit weitgehend stabiler Zinsspanne und leicht steigenden Provisionserträ-gen erzielt werden konnte. Dabei kam den Instituten natürlich auch die robus-te Wirtschaftsentwicklung zu Gute, so dass wir nicht mit größeren Belastun-gen für die Risikovorsorge im Kredit-geschäft rechnen. Natürlich werden die Unsicherheiten an den Finanzmärkten im Rahmen der aktuellen Staatschul-denkrise auch Auswirkungen auf die Depot A-Bewertungen der Sparkassen haben. Dies wird sich aber voraussicht-lich nur in einem überschaubaren Aus-maß in den Jahresabschlüssen der Häu-ser niederschlagen.

Daraus folgt, dass die Sparkassen im Ergebnis weiterhin im erforderli-chen Maße Eigenkapital und Vorsor-gereserven aufstocken können, um den steigenden Eigenkapitalanforderungen im Rahmen von Basel III gerecht wer-den zu können. Die Sparkassen haben also rechtzeitig begonnen, sich auf ein geändertes Marktumfeld einzustellen. Auch dies ist eine wichtige Vorausset-zung, um langfristig im Markt erfolg-reich zu sein. Die Sparkassen sind seit über 200 Jahren der verlässliche Part-ner rund um alle Fragen der Finanzie-rung. Diese vertrauensvolle Zusam-menarbeit mit Städten und Kommunen wollen die Institute auch in Zukunft uneingeschränkt fortsetzen.

HEINRICH HAASIS

PRÄSIDENT DES SPARKASSEN- UND GIROVERBANDES

Aus: Städtetag aktuell 2/2012

Geschäftsmodell Sparkassen stabil

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Seite 4Kommunal-Info 5/2012

Veranstaltungen des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V.

Energiewende in den KommunenPotentiale in den Kommunen bei der Nutzung erneuerbarer Energie

16. Juni 2012, Sonnabend, 10 bis 13 Uhrin Freiberg

„Alte Mensa“ - Großer Saal, Petersstraße 5

Grußwort und Vortrag Prof. Dr.-Ing.habil. Ulrich Gross, Lehrstuhl für Technische Thermodynamik der TU Bergakademie Freiberg Vortrag Tobias Jaster, Stadtverwaltung Freiberg, EnergiebeauftragterVortrag Axel Schneegans, Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Freiberg AGVortrag Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld, Honorarprofessor an der TH Zwickau und Firmeninhaber

Zur Erreichung der Energiewende bedarf es neben einer Aufstockung der öffentlichen Fördermittel zur Ge-bäudesanierung des Ausbaus innovativer Umwelttechnologien sowie einer besseren Energieeinsparung und einer höheren Energieeffizienz. In ihren einführenden Vorträgen und im Podiumsgespräch werden die einge-ladenen Gesprächspartner Hinweise und Anregungen aus ihrer jeweiligen Sicht geben, wie Möglichkeiten zur Umsetzung der Energiewende ausgeschöpft werden können.

Bürger/in und Kommune im Dialog?Möglichkeiten & Grenzen digitaler Bürgerhaushalte. Fachkonferenz

- gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen -23. Juni 2012, Sonnabend, 11.00 - 17.30 Uhr

in Dresden, Rathaus, Dr.-Külz-Ring 19

Demokratie und Haushalt – Bürgerhaushalte als Weg der Überwindung eines Widerspruchs Dr. Lutz Brangsch (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin)Überblick über existierende Bürgerhaushalte in Deutschland Dr. Oliver Märker (Bundeszentrale für politische Bildung, Köln)

Moderation: Benjamin Winkler (digitaledemokratie.de, Leipzig)Diskussion: Gibt es das „ideale“ Modell eines Bürgerhaushaltes? Vorstellung bereits existierender Bürgerhaushalte in Deutschland

Berlin-Lichtenberg: CHRISTINA EMMRICH (stellv. Bezirksbürgermeisterin)Leipzig: MARKUS HEIDE (Stadtbezirksbeirat Leipzig)

Workshop: Wie sieht ein Onlinetool eines Bürgerhaushaltes aus?Einführung und praktische ÜbungenDr. Oliver Märker (Bundeszentrale für politische Bildung, Köln)

Abschlusspodium: Welche Möglichkeiten gibt es in Deutschland und besonders in Sachsen Bürgerhaushalte aus-zubauen und weiterzuentwickeln?

Teilnehmerbeitrag: 10 EUR (ermäßigt 5 EUR)

Kommunalpolitische Konferenz 2012 zum Thema:

Kommunale Daseinsvorsorge zwischen Privatisierung und Rekommunalisierung

30. Juni 2012, Sonnabend, 10 bis ca. 15 Uhrin Dresden

Haus der Gewerkschaften, Schützenplatz 14

Vorträge:Privatisierung der kommunalen Daseinsvorsorge in Deutschland – eine Bilanz (Prof. Dr. Gerstlberger, Univ. von Süddänemark / Integrierte Management- und Kommunalberatung Kassel)PPP in deutschen Kommunen – Bilanz und Erfahrungen (Dr. Karsten Schneider, DGB-Bundesvorstand)Rekommunalisierung: Ursachen und Motive, Varianten, reale Möglichkeiten (Jens Libbe, Dt. Institut für Urbanistik Berlin)Rekommunalisierung in der Praxis - Erfahrungen aus Bereichen der Ver- und Entsorgung (Erhard Ott, Bundesvorstandsmitglied der Gewekschaft ver.di, Fachbereichsleiter Ver- und Entsorgung)Sicherung kommunaler Daseinsvorsorge durch bürgerschaftliche Selbsthilfe und Genossenschaften (Dr. Herbert Klemisch, Klaus Novy Institut e.V. Köln)

Teilnehmerbeitrag: 5 EUR (Mitglieder des KFS: 2,50 EUR)

ANMELDUNGEN zu allen Veranstaltungen bitte an:Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 9901127 DresdenFon 0351-4827944 / 4827945Fax 0351-7952453E-Mail: [email protected]

Herzlichen Dank, lieber Michael!

Das Kommunalpolitische Forum Sach-sen (KFS) war am 28. April zu seiner jährlichen Mitgliederversammlung zusammengekommen. Auf der Tages-ordnung stand auch die Wahl des Vor-stands.

Nach langjährigem Wirken schied Dr. Michael Friedrich (im Bild oben links) aus dem Vorstand des KFS aus. Fast von Beginn an hatte er dem Vor-stand angehört und war seit Mitte der 90er Jahre dessen stellvertretender Vorsitzender.

Seit 1. Dezember 2001 hat er als Vor-sitzender sehr maßgebend zur weite-ren Entwicklung des KFS beigetragen. Durch seinen immensen Fundus an kommunalpolitischen Wissen und Er-fahrungen hat er das inhaltliche Profil des KFS nachhaltig mit beeinflusst.

Wenn in Sachsen in Verbindung mit linker Kommunalpolitik Namen zu nennen wären, dann stände Michael Friedrich mit an vorderster Stelle.

Nach kurzem Intermezzo in der letz-ten DDR-Volkskammer zog er 1990 in den Sächsischen Landtag ein und war bis zu seinem Ausscheiden im Herbst 2009 kommunalpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Seit 1990 bis heute sitzt er außerdem im Kreistag und seit 1999 auch noch im Gemeinderat. Mi-chael Friedrich wird uns als erfahrener Ratgeber in Sachsen Kommunalpolitik erhalten bleiben.

Für sein verdienstvolles Wirken im KFS sei ihm herzlich gedankt!

Zur neuen Vorsitzenden des KFS wurde Simone Luedtke (im Bild un-ten), Oberbürgermeisterin der Kreis-stadt Borna gewählt. Sie gehörte schon einmal dem Vorstand des KFS von 2006 bis 2008 an.

Weiterhin wurden in den Vorstand wiedergewählt: Marion Junge, Patrick Pritscha, Klaus Tischendorf und Jens Matthis.

Herzlichen Glückwunsch zur Wahl, liebe Simone!

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ParlamentsrePort

Liebe Leserinnen und Leser!

Sachsens Ministerpräsident hat sein monatelanges Schweigen gegenüber dem Landtag zum sich verschärfenden Lehrernotstand und Unterrichtsausfall an den Schulen im Freistaat unterbrochen: für genau 41 Sekunden. In dieser Zeit warf er der Opposition „Krawall“ vor, was vor allem eine Beleidigung Tausender Schüler/innen ist, die mit einem Aktionstag und einer Demonstra-tion zum sächsischen Parlament ihren berechtigten Unmut über die selbstverschuldete Personalmisere in Sachsens Bildungswesen zum Ausdruck gebracht haben. Und das gemeinsam mit Studierenden, die an den Hochschulen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.

Eigentlich wollte unsere bildungspo-litische Sprecherin Cornelia Falken nur von der neuen Kultusministerin wissen, woher die 23 Millionen Euro genommen werden, die die Regie-rung nun für ihre verspätete wie unzureichende Notoperation zur Gewinnung von mehr Lehrernach-wuchs einzusetzen gedenkt. Ganz davon abgesehen, dass in der Demokratie das Parlament über die Verwendung von Steuergeldern ent-scheidet, weshalb bei der Haushalts-aufstellung vom „Königsrecht“ der Abgeordneten die Rede ist. Antwort des Ministerpräsidenten: Aus dem Landeshaushalt. Woher auch sonst? Offenbar hat Herr Tillich den Über-blick über die Kernaufgaben einer Landesregierung – und dazu gehört die Verantwortung für Schulen – verloren.

Die Beratungen über den kommen-den Doppelhaushalt im Herbst wer-den fürs Kabinett Tillich zur Stunde der Wahrheit.

Dr. André HahnFraktionsvorsitzender

Mai 2012 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Landkreisen verlässliche Kriterien für ihre Vergabeentscheidungen. Zugleich erhalten die Bieter Rechts-sicherheit, da sie ihre Angebote an feststehenden gesetzlichen Rege-lungen ausrichten können“, so der LINKE Wirtschaftsexperte Karl-Friedrich Zais. Der Gesetzentwurf wurde zur Weiterbehandlung in die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

Ausmaßen sind auszuschließen. Wir wollen einen fairen Wettbewerb, der über die Qualität läuft und nicht über den Missbrauch von Billig-Jobs, Leih-arbeit und schlechten Arbeitsbedin-gungen. Die öffentliche Hand muss hier Vorreiter sein. Unser Gesetzent-wurf verbietet die staatliche Unter-stützung von Billiganbietern und offeriert Städten, Gemeinden und

Bereits 2010 sprachen sich sämtliche Sachverständige in der Anhörung des Vergabeberichts für eine grundle-gende Reform des sächsischen Ver-gaberechts aus. Bei den Fraktionen DIE LINKE und SPD rannten sie damit offene Türen ein, im Schulterschluss mit dem DGB erarbeiteten sie einen Gesetzentwurf, der Tariftreue- und Mindestentgeltregelungen einführt, den sächsischen Mittelstand fördert, eine umweltgerechte Beschaffung befördert, Gleichstellung und Behin-derte begünstigt sowie den Rechts-schutz auch im Bereich unterhalb der gesetzlichen Schwellenwerte gewährt.

Am 10. Mai 2012 stand der Entwurf „Gesetz zur Neufassung des Vergabe-rechts im Freistaat Sachsen und zur Änderung weiterer Vorschriften“ (Drs 5/9013) zur 1. Lesung auf der Agenda der 56. Plenartagung. „Dieses Gesetz verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele. Erstens: Von seiner Händearbeit muss man ohne staatliche Hilfe leben kön-nen und zweitens: Mit Steuergeldern ist sparsam umzugehen, Nachträge, Nachforderungen in den gewohnten

Billig: Kommt teuer! – LINKE und SPD für Reform des Vergaberechts

67. Jahrestag der BefreiungAm Ende waren es über 100 Men-schen, die sich Anfang Mai am Ehren-hain der Roten Armee auf dem Leip-ziger Ostfriedhof versammelt hatten, um der 67. Wiederkehr der Befreiung vom Hitlerfaschismus zu gedenken. Sie waren der Einladung der Land-tagsfraktion DIE LINKE, der Leipziger LINKEN Stadtfraktion, des Deutsch-Russischen Zentrums Sachsen e.V. (DRZ) und deren AG „Renaissance Judentum in Sachsen“ gefolgt. Meh-

rere Redner ergriffen das Wort, dar-unter Leipzigs Bürgermeister Heiko Rosenthal, die MdL Dr. Volker Külow Dr. Dietmar Pellmann sowie der DRZ-Vorsitzende Herbert Schmidt, der in einer Rede neben den gefallenen Sowjet-Soldaten auch an die West-Alliierten und deutschen Antifaschis-ten erinnerte, die im innerdeutschen Widerstand aktiv waren. Külow skiz-zierte den unbefriedigenden Umgang mit dem „Tag der Befreiung“ in Sach-

sen und Deutschland und mahnte, dass alles dafür getan werden müsse, damit Zeit faschistischer Barbarei nicht in Vergessenheit gerät.

Die Kranzniederlegung bestritten der Erzpriester der Russisch-Orthodoxen Gedächtniskirche zu Leipzig, Alexej Tomjuk, und Zsolt Balla, Rabbiner der Israelischen Religionsbereitschaft zu Leipzig, gemeinsam und spra-chen jeweils ein Gebet in russischer und hebräischer Sprache. Kultu-rell wurde die Gedenkveranstaltung durch Beiträge des Kreisverbandes des Bundes der Vertriebenen und der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland im Bund der Vertriebe-nen, die im DRZ organisatorisch eine neue Heimat fanden, bereichert. An der Kranzniederlegung nahmen auch zahlreichen Veteranen des II. Welt-krieges teil. Am Abend gedachten die Anwesenden auf dem Gelände des Sommerbades Ost gemeinsam mit Iossif Iolych vom Jüdischen Forum beim DRZ der sowjetischen Soldatin-nen und Soldaten, die ihr Leben im Kampf gegen den deutschen Faschis-mus verloren haben.

Text und Bild: Jens Wodrich

Ziehen beim Vergaberecht an einem Strang: Mitglieder des DGB, der LINKEN und der SPD

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Page 14: Links! Ausgabe 06/2012

PARLAMENTSREPORTSeite 2 Mai 2012

Nein zur „Herdprämie“, Ja zum Kita-Ausbau!„Die CDU missachtet die wirk-lichen Wünsche der Eltern“, ist Heike Werner überzeugt. Die fami-lienpolitische Sprecherin der Linksfraktion fordert statt des Betreuungsgeldes mehr Krip-penplätze einzurichten.

„Nein zum Betreuungsgeld – Ja zum Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz“ war der Antrag der Fraktion DIE LINKE überschrieben, den sie im Mai-Plenum zur Abstimmung stellte und über den die Landesregie-rung aufgefordert wird, sich auf Bundesebene für den Verzicht auf das Betreuungsgeld einzu-setzen und stattdessen den Ausbau von Krippenplät-zen und die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf

qualitativ hochwertige, ganztägige Betreuung für unter Dreijährige vor-

anzutreiben. „Es besteht die Gefahr, dass positive Entwicklungen der letz-

ten Jahre durch das von der CSU und kleinen Teilen der CDU gewollte

B e t r e u u n g s g e l d konterkariert werden“, so

Werner, die den LINKE-Antrag vom Parlament begründete und auf die bisherige Entwicklung verwies: „Selbst Teile der CDU hatten sich für den Ausbau der Kinderbetreuung, für Ganztagsschulen, den Rechtsanspruch auf

Kita für unter Dreijährige

und für bessere Bildung insgesamt ausgesprochen. Diese Ansätze der Familienpolitik wurden von einem großen gesellschaftlichen Konsens getragen. Mit dem Betreuungsgeld könnte viel wieder kaputt gemacht werden.“

Werner nannte es „seltsam“, dass Eltern mit dem Betreuungsgeld eine finanzielle Leistung erhalten, weil sie ein öffentliches staatliches Ange-bot nicht nutzen, auf das sie einen Rechtsanspruch hätten: „Begrün-det wird das mit Anerkennung und Wahlfreiheit. Dabei treffen Eltern eine solche Entscheidung nicht wegen 150 Euro! Wirkliche Anerken-nung für Eltern nimmt Familien und deren Ansprüche wirklich wahr und berücksichtigt deren Lebenswelt, um damit ein gedeihliches Entwi-

ckeln aller Familienmitglieder zu ermöglichen.“

Als besonders perfide kritisiert DIE LINKE, dass Eltern, die Hartz IV beziehen (und ihr Elterngeld bereits auf Hartz IV angerechnet bekom-men!), kein Betreuungsgeld erhalten sollen. „Damit wird doch de facto behauptet, dass ihre Erziehungsleis-tung weniger wert ist, dass es Eltern erster und zweiter Klasse gibt. Das ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich!“, so Heike Werner. Was Eltern wirklich wollen, darüber gibt eine Elternbefragung in Dresden Auskunft: Qualifizierte Kita-Betreu-ung und flexible und bedarfsge-rechte Öffnungszeiten! Ungeachtet dessen wurde der Antrag der LIN-KEN mit schwarz-gelber Landtags-mehrheit abgelehnt.

Kaum ein Politikfeld eint die Frak-tionen von DIE LINKE, SPD und GRÜNE mehr als die Bildung. Kein Wunder also, dass die drei Frakti-onen im Mai einen gemeinsamen Antrag in den Landtag einbrach-ten, der auf die Sicherung und Weiterentwicklung der Bildungs-landschaft in Sachsen zielt. Wäh-rend im Plenarsaal über Lehrer- und Dozenten-Notstand gestritten wurde, machten ca. zweieinhalbtau-send Studierende, Schüler/innen, Eltern und Lehrkräfte vorm Landtag auf die Misere aufmerksam und for-derten die Rücknahme der Stellen-kürzungen an den Hochschulen und ausreichend schulische Lehrkräfte.

Wie dringend das ist, rechnete der wissenschafts- und hochschul-politische Sprecher der LINKEN, Prof. Dr. Gerhard Besier vor: „Im Oktober 2008 vereinbarten Bund und Länder u.a. folgende Ziele: Steigerung der Bildungsausgaben auf zehn Prozent des Bruttoinlands-

produkts bis 2015, Halbierung der Quote der Schulabgänger ohne Abschluss auf vier Prozent; Erhö-hung der Quote der Studienanfän-ger auf 40 Prozent eines Altersjahr-gangs.

Und hier ist Sachsens Bilanz: Das Zehn-Prozent-Ziel der Bildungsfi-nanzierung liegt in weiter Ferne. Der Anteil der Forschung am BIP beträgt 2,59 Prozent; der Anteil der Bildung bei rund vier Prozent. Die Halbierung der Quote der Absol-venten allgemein bildender Schu-len ohne Hauptschulabschluss ist bei derzeit elf Prozent nicht einmal ansatzweise erkennbar. Die Anhe-bung der Zahl der Studienanfänger ist nicht erreicht.“

Das Resultat der verfehlten Per-sonalpolitik fasst die LINKE Bil-dungsexpertin Cornelia Falken zusammen: „An den Schulen fällt massiv Unterricht aus, Klassen werden zusammengelegt, weil

Lehrer fehlen. Ein weiteres gro-ßes Problem zeichnet sich ab: Wir werden bereits im kommenden

Schuljahr den Fachunterricht nicht mehr überall mit Fachlehrern aus-statten können. Dem Rückgang an Lehrkräften steht ein Anwach-sen der Schülerzahlen gegenüber. Dresden bspw. rechnet bis 2020 mit einem Plus an 20.000 Schüle-rinnen und Schülern, Leipzig mit ca. 17.000.

Auch die Hochschulen bekommen mehr Studierende als prognos-tiziert, dennoch sollen bis 2020 über 1.040 Stellen gestrichen wer-den. Was folgt ist eine schlechte Betreuungsrelation und mangelnde Studienqualität. Statt weiterer Per-sonalkürzungen brauchen wir min-destens 1.600 Neueinstellungen pro Jahr und eine am wachsenden Bedarf orientierte Finanzierung von Schule, Hochschule und For-schung, denn Investitionen in Bil-dung und Wissenschaft sind Inves-titionen in die Zukunftsfähigkeit des Freistaates Sachsen!“

Sachsens Bildungslandschaft – es brennt an allen Ecken!

Am Rande der Großkundgebung am 10. Mai 2012 übergab eine Schüler-Abordnung Rote Karten an Kultusministerin Brunhild Kurth (re.).

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PARLAMENTSREPORTMai 2012 Seite 3

Drei Fragen + drei Antworten = 1 Buchtipp

PlenarspiegelMai 2012Am 9. und 10. Mai 2012 fand die 55. und 56. Sitzung des Sächsi-schen Landtags statt. Folgende parlamentarische Initiativen wurden von bzw. mit der Frak-tion DIE LINKE eingebracht:

Aktuelle Debatte:„Landesentwicklungsplan ‚übersieht‘ Barrieren – Staats-regierung muss nachbessern!“

GesetzentwürfeFraktionen DIE LINKE und SPD: „Gesetz zur Neufassung des Vergaberechts im Freistaat Sachsen und zur Änderung wei-terer Vorschriften“ (Drs 5/9013)„Gesetz über die Öffentlichkeit der Verwaltung und die Freiheit des Informationszugangs im Freistaat Sachsen [Sächsisches Verwaltungstransparenzgesetz] (Drs 5/9012)

Gemeinsamer Antrag der Frakti-onen DIE LINKE, SPD und Grüne:„Bildungslandschaft Sachsen sichern und weiterentwickeln“ (Drs 5/8987)

Änderungsanträge– zum Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Neurege-lung des Jagdrechts im Freistaat Sachsen; (Drs 5/9075)– zum Gesetzentwurf der Staats-regierung zur „Änderung des Gesetzes über die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute im Freistaat Sachsen und die Sach-sen-Finanzgruppe“; (Drs 5/9074)– zum Antrag der Fraktion GRÜNE zur „Quantifizierung des kommunalen Investitionsbedar-fes“; (Drs 5/9088)

Entschließungsantragzur Fachregierungserklärung von Innenminister Markus Ulbig (CDU) zum Thema: „Bewahren. Erneuern. Gestalten. – Stadtent-wicklung im Freistaat Sachsen.“ (Drs 5/9068)

Antrag:„Nein zum Betreuungsgeld – Ja zum Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz“ (Drs 5/9001)

Drucksachen (Drs) und Rede beiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de

MdL Kerstin Köditz, Spreche-rin für antifaschistische Politik der Fraktion DIE LINKE im Säch-sischen Landtag und Mitautorin des Buches „Made in Thüringen? Naziterror und Verfassungsschutz-skandal“ berichtet über Motiv, Inhalt und Wirkung des Buches:

Wie kam es dazu, dieses Buch aufzulegen? Wer hatte die Idee und warum?

Die Idee entstand bei einem gemeinsamen Treffen der Innen- bzw. Rechtspolitiker und –politi-kerinnen der Linksfraktionen aus Thüringen und Sachsen in Erfurt. Wir haben zur Aufklärung der Vor-gänge um den „Nationalsozialisti-schen Untergrund“ (NSU), mögliche Behördenkumpanei und Behörden-versagen in Zusammenhang damit von Anfang an eng zusammengear-beitet. Wir tun dies selbstverständ-lich auch heute noch. Ursprünglich war eine gemeinsame Herausge-berschaft durch beide Frak-tionen geplant, doch ließ sich dies nicht durch-führen. Also hat dies Bodo Ramelow übernommen, der tatsächlich als F r ak t i o nsvo r s i t -zender in Thüringen auch die treibende Kraft bei dem Pro-jekt war. Festzu-halten bleibt, dass wir gemein-sam Recherche betrieben haben.

Das hat uns in beiden Bundeslän-dern genützt, das hat auch der Auf-klärung insgesamt genützt.

Wir wollten von Anfang an das Buch am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, präsentieren. Das haben wir geschafft. Es ist ein pas-sendes Datum für eine solche Ver-öffentlichung. Damit sind wir deut-lich schneller gewesen als das erste offizielle Dokument, das Schäfer-Gutachten aus Thüringen. Immer-hin haben die etwas vorgelegt. Das sächsische Innenministerium dage-gen betreibt Vogel-Strauß-Politik und tut in aller Regel so, als wisse es noch nicht einmal, dass es so etwas wie den NSU überhaupt gegeben hat. Und Fehler haben sächsische Behörden selbstverständlich nicht begangen!

Warum schreibt eine so große Autorengruppe und an wen kon-kret richtet sich das Buch?

Ganz einfach: Wir wollten eine sinnvolle Mischung aus Vertretern

der Opfergruppen, die noch immer zu selten gehört wer-den, aus sachverständigen Journalistinnen und Journa-listen sowie linken Politike-rinnen und Politikern. Da die Behörden, besonders

hier in Sachsen, die Aufklä-

rung behindern, muss öffentlicher Druck aufgebaut werden. Unsere Zielgruppe sind nicht Fachleute, sondern allgemein politisch inter-essierte Menschen, die sich Sor-gen wegen der Neonazis und ihrer Gewalt machen. Denen wollen wir fundierte Argumente an die Hand liefern.

Wie ist die Resonanz auf das Buch, was wird bei Podiumsdis-kussionen nachgefragt und gibt es da Unterschiede in den Bun-desländern?

Ich habe inzwischen eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema gemacht: von Strausberg über Bad Oldesloe bis zu diversen Abenden in NRW. Allgemein herrscht sehr großes Misstrauen gegenüber dem Geheimdienst. Natürlich mit Recht. Im Westen machte man sich häufig Vorwürfe, dass die Zusammenarbeit mit den Migrantenorganisationen in den letzten Jahren vernachlässigt wurde und deren Hinweise, dass es sich um eine rassistische Mord-serie handelt, nicht ernst genug genommen wurden. Solche Selbst-reflexion ist im Osten eher selten gewesen. Allgemein war das Lob für uns als LINKE von Menschen außer-halb der Partei für unsere gute Auf-klärungsarbeit und Hartnäckigkeit. Das spornt natürlich an. Diese Kraft brauchen wir auch. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Am 8. Mai 2012 erschien das Buch „Made in Thüringen? Naziterror und Verfassungsschutzskandal“, herausgegeben von Bodo Ramelow. Auf reichlich 200 Seiten beleuchtet eine Autoren-gruppe Hintergründe, Motive und das politisch-soziale Klima, vor dem der „Nationalsozialistische Untergrund“ 13 Jahre lang nahezu ungestört morden und rauben konnte. „Der Staat hat bei der Bekämpfung dieser Strukturen versagt – war er auf dem rechten Auge blind?“, fragt der Klappentext. Neben der Antifa-schismusexpertin der LINKEN Landtagsfraktion in Sachsen, Kerstin Köditz, schreiben Frauke Büttner, Steffen Dittes, Michael Ebenau, Katharina König, Felix Korsch, Aiman A. Mayzek, Wolfgang Nossen, Petra Pau, Martina Renner, Andrea Röpcke, Romani Rose, Paul Wellsow, Gerd Wiegel, Volkmar Wölk, Stefan Wogawa u.a.m.

„Made in Thüringen? Naziterror und Verfassungsschutzskandal“EUR 12,80 VSA: Verlag; E-Mail: [email protected] 978-3-89965-521-6

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PARLAMENTSREPORTSeite 4 Mai 2012

Der 26. April 2012 war für Hannah Brandt (12, re.) und Charlotte Kaiser (13, li.) der Tag, an dem sie sich konkret mit Sachsens Landesparlament befassen sollten. Als Gäste der Fraktion DIE LINKE bekamen die Schülerinnen des Evange-lischen Kreuzgymnasiums eine exklu-sive Führung durch das „Hohe Haus“ am Elbufer und durften LINKEN Abgeord-neten und Mitarbeiter/innen in Frage-Antwort-Runden „auf den Zahn fühlen“. Hannah und Charlottes Tagesbilanz fiel positiv aus: „Wir würden jedem empfeh-len, mal den Landtag zu besuchen, auch weil man dort mal etwas anderes hört und viel über Perspektiven von Frauen und Mädchen erfahren kann.“ Spannend fanden die Mädchen auch den Vortrag von MdL Heiderose Gläß über „Frauen & Politik“ und erfrischend-erfreulich die schon obligatorische Portion Eis als sahnigen Abschluss des Girls’ Day 2012 bei den Landtags-LINKEN.

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon: 0351/493-5800

Fax: 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

www.linksfraktion-sachsen.de

V.i.S.d.P.: Marcel Braumann

Redaktion: Elke Fahr

Gut besucht war auch in diesem Jahr wieder der Frühlingsempfang der Fraktion DIE LINKE, den sie heuer direkt im Landtag gab - aller-dings nicht im Plenarsaal, sondern mit direktem Elb-Blick im Landtags-Restaurant Chiaveri. Bei Häppchen und Wein ließ sich in lockerer Atmo-sphäre gut plauschen und über all das reden, was bewegt. Für den kul-turellen Rahmen sorgten die Musi-kerinnen vom Duo „CELLcanto“ (Bild rechts) und der Schauspieler Franz Sodann, der „kulturpolitische Kabi-nettstückchen“ präsentierte. (Bild links, 2. V. li. im Gespräch mit Frakti-onschef Dr. André Hahn)

„Gläserne Ministerien“ – Verwaltungstransparenz in die Verfassung!Über Behörden-Transparenz wird oft gesprochen, an praktikablen Wegen, diese zu erreichen aber fehlt es. Die Fraktion DIE LINKE will dem mit einem „Sächsischen Ver-waltungstransparenzgesetz“ abhel-fen. Im Maiplenum wurde es prä-sentiert.

„Unser Gesetz bringt die Bürger/innen auf Augenhöhe mit der Ver-waltung, denn was die Verwaltung weiß, soll auch die Allgemeinheit wissen können. Dabei denken wir bspw. an Gutachten, Stellungnah-men, Kontrollergebnisse oder Ver-träge. Schließlich wurden diese ja auch auf Kosten der Allgemeinheit beschafft, folglich hat die Allge-meinheit auch das Recht, darüber zu erfahren“, so Julia Bonk, Spreche-rin für Daten- und Verbraucher-schutz und neue Medien.

Dem Gesetzentwurf nach soll die Informationsfreiheit in der Verfas-sung verankert werden, die Kont-rolle übernähme der Datenschutz-beauftragte. Zur Nutzung der Informationsfreiheit ist auf lizen-zierte Software zu verzichten, müs-sen die Dokumente nutzerfreund-

lich aufbereitet sein und dürfen die Bürger/innen für abgefragte Ver-waltungs-Informationen nicht zur Kasse gebeten werden.

Für Klaus Bartl, Sprecher für Verfassungs- und Rechtspoli-tik, ist die Durchsetzung der Infor-mationsfreiheit überfällig: „Die Freiheit des Zugangs zu Informati-onen hat das Bundesverfassungs-

gericht bereits 1983 in seinem so genannten Volkszählungsurteil als ‚elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bür-ger begründeten demokratischen Gemeinwesens‘ bezeichnet. Diesem Anspruch hinken Verfassungslage und Lebensrealität in Sachsen hin-terher. Wir wollen erreichen, dass als Pendant zum Datenschutz künf-

tig auch jeder und jede einen unbü-rokratischen Anspruch auf Infor-mationszugang gegenüber allen öffentlichen Stellen im Land hat. Unser Gesetzentwurf soll helfen, den Beschluss der 23. Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten Deutschlands vom November 2011 für Sachsen umzusetzen: „Informa-tionsfreiheit in das Grundgesetz und in die Länderverfassungen!“

Charlotte Kaiser und Hannah Brandt beim Girls’ Day 2012 in der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

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Seite 5 6/2012 Sachsens Linke!

Sehr ge-ehrte Frau Kestner,mir geht es um die Kos-ten, die die Schu-

le meiner Tochter geltend macht. Mal sind es Kopien für den Unterricht, die zu zahlen sind, mal bekom-me ich Abrechnungen für andere Lernmittel. Ich fin-de, dass es langsam reicht. Weiter wollte ich einmal fragen, wie das mit der Fi-nanzierung von Klassen-fahrten aussieht. Ich ha-be gehört, dass die Kosten vom Jobcenter zumindest zu einem Teil übernommen werden. Da ich Leistungen vom Jobcenter Görlitz be-ziehe und schon von Freun-den sehr Widersprüchli-ches gehört habe, würde ich gern wissen, wie die Rechtslage in dieser Fra-ge ist.Mit freundlichen GrüßenYvonne K. (Görlitz)

Sehr geehrte Frau K.,nach Auffassung des Sächsi-schen Oberverwaltungsgerichts (OVG) besteht für einen Zah-lungsanspruch des öffentlichen Schulträgers für die von Ihnen benannten Kosten keine Rechts-grundlage. Das Schulgesetz stellt hierfür keine Anspruchs-grundlage zur Verfügung. Auch auf allgemeine Erstattungsan-sprüche kann die Gemeinde als Schulträgerin sich nicht berufen. Im Fall ging es (auch) um Kosten für Kopien. Es obliegt hier der Schulträgerin, die sachlichen Kosten für den Schulbetrieb, zu denen auch die Lernmittel gehö-ren, zu tragen. Auch Unterrichts-kopien sind Lernmittel. Das Ge-richt bestätigte mit dem Urteil (Az: 2 A 520/11) eine Entschei-dung des Dresdner Verwaltungs-gerichtes aus dem Vorjahr.Zum Thema „Klassenfahrt“ hat das Bundessozialgericht ent-scheiden, dass die vollen Kos-ten durch das Amt zu überneh-men sind. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um mehrtägige Auslandsfahrten handelt, solan-ge die schulrechtlichen Bestim-mungen eingehalten wurden. Wenn das Amt dennoch nur ei-ne Pauschale übernehmen will – die in diesen Fällen natürlich nicht reicht – stehen die rechtli-chen Chancen also sehr gut.Mit freundlichen GrüßenMarlen Kestner, Rechtsanwältin

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Leinen los für den TankerBundesausschuss fasst Beschluss zu Mitglieder-magazinAm 5. Februar 2012 hat-te der Bundesausschuss be-schlossen, die Mittel für das Mitgliedermagazin zunächst einzufrieren, bis durch die zeitgleich gebildete ad-hoc-Gruppe verschiedene Fragen aus der Diskussion geklärt sind. Seither ist viel passiert, Fragen wurden geklärt, neue tauchten auf. Am Ende der Ar-beit der ad-hoc-Gruppe stand ein Beschlussvorschlag an den Bundesausschuss, der die Erstellung des Piloten mit 20 Seiten zum Bundesparteitag vorsieht. Gleichzeitig wird der Parteivorstand beauftragt, die bisherigen Durchschnittlichen Einlagen in den Wahlkampf-fond sicherzustellen und bis 30. September 2012 ein Ein-nahmekonzept für das Mitglie-dermagazin zu erarbeiten. Am 27. April 2012 tagte nun erneut der Bundesausschuss zu seiner regulären Sitzung in Lübeck (Schleswig-Hol-stein). Neben der Wahl des Präsidiums, dem Birgit Klau-ber (Thüringen), Barbara Bor-chert (BAG Betrieb und Ge-werkschaft), Anita Friedetzky (Hamburg), Angela Mai (Ber-lin), Michael Bruns (NRW), Falk Neubert (Sachsen) – an dieser Stelle allen Gewähl-ten unseren herzlichen Glück-wunsch und alles Gute für die Arbeit – stand auch der Be-

schluss zum Mitgliedermaga-zin auf der Tagesordnung. Die Debatte dauerte insgesamt rund vier Stunden, zu unter-schiedlich waren die Positi-onen für und gegen das Mit-gliedermagazin. Insbesondere die Frage der Finanzierbar-keit warf immer wieder Fra-gen auf und sorgte für Bauch-schmerzen. Am Ende dieser langen Debatte, die trotz der teils gegensätzlichen Positio-nen von einer beeindrucken-den Diskussionskultur getra-gen wurde – beispielhaft für die Gesamtpartei – stand der Beschluss: Der Pilot zum Mit-gliedermagazin wird in voller Auflage zum Parteitag produ-ziert. Gleichzeitig werden Par-teivorstand sowie Vertreter der Roten Reporter, des Bun-desausschuss und des Finanz-beirates bis 30. September diesen Jahres die Weichen für Einnahmen stellen. Letztlich liegt es nun in unse-rer aller Verantwortung, das Mitgliedermagazin zu unserem Magazin zu machen. Es mit un-seren Beiträgen, Geschichten und Wortmeldungen zu bestü-cken und zu bereichern und so unsere Erfahrungen mit den Genossinnen und Genossen in den anderen Bundesländern zu teilen. Kurz: Machen wir das Mitgliedermagazin zu ei-nem Tanker, der Informationen transportiert und Anregungen für unsere tägliche politische Arbeit bringt! In diesem Sin-ne Leinen los und allzeit gute Fahrt!Ralf Fiebelkorn und Simone Hock, RoRe

Wie immer, so war auch die Tagesordnung für den 12. Mai 2012, gut gefüllt. Zunächst jedoch ein kleiner Nachtrag zum 21. April, als der Landes-rat seinen neuen Sprecherrat wählte. Diesem gehören Luise Neuhaus-Wartenberg, Simo-ne Hock, Michael Lauter und Holger Weidauer an.Zur Sitzung am 12. Mai hatte der Sprecherrat Heinz Pingel für den Bericht zum Arbeits-stand der AG Finanzkonsoli-dierung eingeladen. Zunächst gab es einen kleinen Einblick über die Einnahmen- und Aus-gabenstruktur. Hier machte Heinz deutlich, dass seit der Euro-Umstellung die regelmä-ßige Anpassung der Beiträge zu wünschen übrig lässt. Er verwies darauf, dass die Aus-gaben für die Landesweiten Zusammenschlüsse in Höhe von 20.000 bis 25.000 € die zum größten Teil als Reisekos-ten anfallen. Zur Kostensen-

kung sollte hier vermehrt auf Telefon- und Emailkontakte sowie die Möglichkeiten der gleichzeitigen Dokumenten-bearbeitung im Internet zu-rückgegriffen werden. Eine weitere Möglichkeit zur Sen-kung der Reisekosten sei die vermehrte Nutzung der übri-gen Geschäftsstellen als Ta-gungsort. Nicht alle Sitzungen müssen in Dresden stattfin-den. Heinz machte aber auch deutlich, dass Einsparungen bei den Pflichtaufgaben (Wahl des Landesvorstandes alle zwei Jahre per Landespartei-tag usw.) nicht möglich sind. Bei allen Ansätzen – ein Kon-zept der AG zur Konsolidie-rung fehlt noch!Sehr rege, aber immer res-pektvoll verlief die Diskussi-on zu den Kriterien der Listen-aufstellung zu Bundes- und Landtagswahl, obgleich die Standpunkte zum Teil sehr gegensätzlich waren. Einig-

keit konnte jedoch in zwei Punkten erzielt werden: Die Mandatszeit sollte begrenzt werden. Und es sollte abre-chenbare Vereinbarungen mit den Abgeordneten getroffen werden bezüglich ihrer per-sönlichen Weiterbildung und Entwicklung sowie ihre Arbeit im Wahlkreis. Darüber hinaus endete dieser Tagesordnungs-punkt mit einem Auftrag an die Mitglieder des Landesra-tes. In Vorbereitung der Lan-desratssitzung im Juli sollen sie zwei Fragen in ihren Basis-organisationen diskutieren: 1. Brauchen wir Kriterien für die Listenaufstellung? 2. Welche Kriterien sollen das sein?Weiterer Schwerpunkt wa-ren die „Chancen einer Regie-rungsbeteiligung 2014“. Hier-zu erläuterte Rico Gebhardt die Notwendigkeit, bereits jetzt Gespräche zu führen und mögliche gemeinsame Anknüpfungspunkte heraus-

zufinden. Die Diskussion war geprägt von zwei wesentli-chen Aussagen: Es ist not-wendig mit anderen zu reden! In bzw. für eine mögliche Koa-lition dürfen wir nicht unser ei-genes Profil verlieren! Sollten sich mögliche Koalitionspart-ner einigen, wäre dafür das öffentliche Bekenntnis aller Partner zur Koalition vor der nächsten Wahl eine Prämis-se für uns. Wichtig ist es den Wählerinnen und Wählern zu vermitteln, dass unsere Ziele im Wahlprogramm langfristige Ziele sind, die wir nur umset-zen können, wenn wir alleine Regieren. Bis dahin versuchen wir über kleine Schritte und im Bündnis mit anderen diesem Ziel näher zu kommen!Weitere Details können nach dem 16. Juni im Protokoll auf unserer Homepage nachgele-sen werden.

Sprecherrat

Neues aus dem Landesrat

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Seite 6Sachsens Linke! 6/2012 Jugend

LAK-Gender startet Kampagne »Freies L(i)eben mit allen?!«Wir, der Landesarbeitskreis Gender der linksjugend [so-lid‘] Sachsen wollen mit Ver-anstaltungen, Aufklebern und Flyern eingerostete Weltbil-der über Geschlechter(rollen) brechen. Dazu zeigen wir die Definitionen von bestimmten Begriffen auf, die oft im ge-sellschaftlichen Diskurs fal-len oder gelebt werden. So ha-ben wir sieben verschiedene Aufklebermotive kreiert, die eine Definition von folgenden Begriffen in den öffentlichen Raum stellen: Feminismus, Transphobie, Gender, Homo-phobie, Sexismus, Patriarchat und Heteronormativität. Die Idee ist, dass durch die Prä-senz dieser Begriffe und einer dazugehörigen Beschreibung Menschen angeregt werden, über diese nachzudenken. Die Begriffe werden neutral be-schrieben und sind keine po-litischen Forderungen. Genau das wollen wir auch, denn wir finden durch eine Definition werden Menschen eher an-geregt, über diese Begriffe nachzudenken: Ist dies wirk-

lich richtig? Kommt das nicht zu kurz? Oder verstehe ich da-runter was vollkommen an-deres? Wenn sich diese oder andere Fragen bei den Leser_innen stellen, haben wir schon das erreicht, was wir wollen. Denn das Nachdenken und Bewusstmachen über Proble-me und Formen des L(i)ebens, ist der erste Schritt um die un-terschiedlichen Formen auch zu verstehen und zu akzeptie-ren. Auf unserer Homepage und unserem Flyer findet man dann aber doch auch unsere Positionen zu diesem Thema. Um inhaltliche Akzente zu set-zen, veranstalteten wir Semi-nare in Leipzig und Dresden. Folgende wird es noch geben:Workshop »Pornographie« am 1.06.2012 um 18:00 Uhr in der Wir AG Dresden.»Queer-Feministische Par-ty »F*ck You Gender« am 2.06. um 20:00 Uhr im Ju-gendhaus Roter Baum Dres-den, Seminar »Das Patriarchat ist tot, es lebe das Patriar-chat?!« am 30.06 um 18 Uhr im Jugendhaus Roten Baum

Dresden und am 07.07 im linXXnet in Leipzig Vortrag »Von der Menschwerdung der Frau« am 8.7 im linXXnet in Leipzig,Seminar »Entwicklung des CSDs und die Kritik daran« (Arbeitstitel) am 11.07 im Hausprojekt B12 (Braustraße 20) in Leipzig.Außerdem sind wir mit einem eigenen Wagen bei der CSD-Parade am 14.07 in Leipzig vertreten. Weitere Veranstaltungster-mine, ausführlichere Defini-tionen, Aufklebermotive und politische Forderungen un-ter: www.gender.linksjugend-sachsen.de Die Aufkleber findet ihr in den Geschäftsstellen oder Abge-ordnetenbüros eures Vertrau-ens.Wenn du bei uns mitma-chen möchtest, dann schreib uns doch per E-Mail an lak-gender[at]lists.linksjugend-sachsen.de oder komm zu ei-nen unserer Treffen, die auf der Homepage veröffentlicht werden. Marco Böhme

Die Regierungspolitik in Sach-sen vernachlässigt zunehmend eine moderne Gleichstellungs-politik. Wir brauchen den Poli-tikwechsel und fragen uns: Wo drückt uns der linke Schuh in der Frauenpolitik und welche Alternativen sehen linke Frau-en? Daher ist uns die Meinung unserer Frauen wichtig!Wir wollen alle Genossinnen und möglichst viele Sympathi-santinnen erreichen und aktiv einbeziehen, genau diese Fra-gen zu besprechen, Ideen aus-zutauschen und Aktionen zu planen. Dafür brauchen wir eine neue Organisationsform, die es uns ermöglicht, die zahlreichen Frauen unseres Landesverban-des aktiv beteiligen zu können.Um mit euch genau diese neue Form zu diskutieren, laden wir alle Genossinnen und Sym-pathisantinnen für den 9. Juni 2012 ab 10 Uhr nach Chemnitz ins AJZ ein.Anlässlich der sächsischen Landesfrauenkonferenz 2012 wollen wir den Landesrat Linke Frauen Sachsen als Koordinie-rungsinstrument ins Leben ru-fen und uns über seine Grund-sätze und Ziele verständigen. Dazu gehört unter anderem der Austausch über folgende Fra-gen: Welche Ziele verfolgen wir mit den neuen Formen der Zu-sammenarbeit?

Welche Rechte und Pflichten haben Genossinnen als Mitwir-kende? Was passiert mit den bisher vorhandenen Frauen-strukturen innerhalb der LIN-KEN (z. B. LAG LISA)?Welche Rechte räumen wir Gästen und Sympathisantinnen ein? Wie wollen wir in die Par-tei und die Gesellschaft wirken? Welche Netzwerke wollen wir aufbauen oder aktivieren?Dies sind Fragen, die wir gern mit euch diskutieren wollen. Weiterhin werden wir zusam-men mit Prof. Peter Porsch über den Sinn und Unsinn des Gen-derns streiten. Der Veranstaltungsort ist das AJZ Chemnitz e.V., Chemnitz-talstraße 54. Ihr könnt bequem per Bahn und ÖPNV anreisen (Infos gibt es unter www.cvag.de) oder per Auto (Abfahrt A4 Chemnitz-Glösa – Chemnitz-talstraße Richtung Zentrum). Parkplätze sind vorhanden.Wir sind überzeugt, dass die neue Organisationsstruktur da-zu beitragen wird, frauenpoliti-schen Inhalten mehr Gewicht im Parteileben und in der Öf-fentlichkeit zu verleihen. Wir hoffen auf diesem Weg, immer mehr Frauen zu motivieren, Po-litik mitzugestalten.Zur Bildung des Landesrates werden alle Frauen der Partei DIE LINKE Sachsen erfasst, sie

haben in den letzten Tagen ei-nen Brief bzw. eine Mail erhal-ten und sind damit Teil der neu-en Struktur. Nach der Gründung des Lan-desrates Linke Frauen Sachsen kann jede Frau jederzeit selber entscheiden, ob sie aktiv mit-wirken möchte, indem sie eine Mitwirkungserklärung unter-schreibt. Wir laden Dich herz-lich ein, an diesem wichtigen Er-eignis persönlich teilzuhaben!

Ohne Frauen ist kein Staat zu machen

Queer - DIE LINKE. Sach-sen: 1. Diskriminierungsverbot ins Grundgesetz. Kein Mensch darf wegen ihrer / seiner „se-xuellen Identität“ diskrimi-niert werden, deshalb unter-stützen wir die Aufnahme des Merkmals „sexuelle Identität“ in den Gleichheitsartikel des Grundgesetzes (Artikel 3 Abs. 3 GG).2. Lebenspartnerschaft = kei-ne Ehe light! – Letzte Hürden überwinden! Wir stehen für die Gleichstellung aller Le-bensweisen. Die eingetrage-ne Lebenspartnerschaft muss der Ehe in allen Bereichen gleichgestellt werden - insbe-sondere im Einkommensteu-errecht, Erbschaftsteuerrecht und Adoptionsrecht.3. Aufklärung an Schulen. Wir fordern eine Verbesse-rung der Aufklärungsarbeit an Schulen und die Berücksichti-gung sexualpädagogischer In-halte in der Aus- und Weiterbil-dung von Pädagogen/innen.4. Ein Personenstandsrecht für alle. Wir fordern, das Per-sonenstandsrecht dahinge-hend zu ändern, dass es auch den Ansprüchen von Interse-xuellen und Transsexuellen ohne Sondergesetze gerecht

wird. Gesetze wie das TSG und LPartG grenzen Gruppen von Menschen aus und diskrimi-nieren sie.5. Verfolgung auf Grund se-xueller Identität ist ein Asyl-grund. Wir fordern, die An-erkennung der Verfolgung aufgrund sexueller Orientie-rung / Identität als Asylgrund und Zuzugsregelungen für Le-benspartner/innen.Mehr Informationen findet ihr unter: www.dielinke-sachsen.de/queer/ Darüber hinaus organisieren in vielen Städten in und außer-halb von Sachsen Vereine, In-itiativen und Einzelpersonen Veranstaltungen zur Aufklä-rung und zum Abbau homo-phober Vorurteile. Wir laden Euch ein - beteiligt Euch, da-mit unsere gemeinsamen For-derungen Realität werden! Hier die nächsten Termine in Sachsen:CSD in Leipzig „Hinter dem Horizont geht‘s weiter ...“07. - 14. Juli 2012 - www.csd-leipzig.deTüdelü in Chemnitz „Hetero, Homo, Bi oder Trans? - Chem-nitz, die Stadt der Vielfalt kann s!“ 21. Juli 2012 - www.tüdelü-chemnitz.de

Fünf Forderungen für eine bessere Zukunft

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Seite 7 6/2012 Sachsens Linke!

ParlamentsreportParlamentsreportDIE LINKE im Europäischen Parlament

Frankreich liegt links von uns – Mit Sicherheit nicht!

An die Kameraden (Genossen) von SYRIZALiebe KameradInnen und Ka-meraden, (Genossinnen und Genossen),in diesem kritischen Mo-ment für Griechenland und die Menschen in der Europä-ischen Union bekunden wir unsere tiefe Solidarität und Unterstützung für den poli-tischen Kurs von SYRIZA. Ihr großer Erfolg bei den letz-ten Wahlen ist ein Zeichen der Hoffnung für viele Men-schen, welche die neolibe-ralen Experimente in Grie-chenland und die autoritäre Politik der EU-Regierungen stoppen wollen.Wir möchten Ihnen für Ihre klare und feste Position in den Verhandlungen zur Bil-dung einer Regierung dan-ken. Wir lehnen die Angrif-fe der anderen griechischen Parteien, sowie der meisten Medien und verschiedener europäischer Regierungen gegen die Koalition der Radi-

kalen Linken entschieden ab. Auf der einen Seite beschul-digen einige linke Gruppen SYRIZA wegen des Willens, Griechenland als Mitglied des Euro und der EU zu hal-ten. Auf der anderen Seite wird SYRIZA weithin als anti-europäisch dargestellt, weil sie das Interesse des grie-chischen Volkes vertritt und die diktierten Memoranden ablehnt. Die oft wiederholte Befürch-tung, SYRIZAS Vorschläge würden zum Austritt Grien-lands aus der Eurozone füh-ren ist ungeheuerlich, zumal dies den Ausstieg aus der EU bedeuten würde.Es scheint, dass Frau Merkel und der Rest der EU-Führung nicht bereit sind zu akzeptie-ren, dass die demokratische Führung in Griechenland entscheiden kann, ob und wie die griechischen Schul-den bezahlt werden sollten.

Das verhinderte Papandre-ou-Referendum war dazu bestimmt, die Sparmaßnah-men-Politik durch die Ge-genüberstellung mit der Al-ternative eines Ausstiegs aus der EU zu legitimieren. Nun gibt die bevorstehende Wahl dem griechischen Volk die Möglichkeit, die brutale Sparpolitik zu stoppen, die Verletzung der Arbeitneh-merrechte zu beenden und ein neues politisches Projekt in der EU zu beginnen, das Antworten auf die tiefe po-litische und wirtschaftliche Krise findet. Wir senden Ih-nen unsere herzlichsten und aufrichtigsten Wünsche für einen großen Erfolg von SY-RIZA bei den Wahlen und ermutigen Sie zum Voranschreiten auf Ih-rem Weg, eine Regierung in Griechenland zu bilden, eine Schuldenprüfung zu schaf-fen und die tief verwurzelten

Probleme des europäischen Bankensystems anzugehen. Wir appellieren an alle lin-ken Kräfte in Griechenland, SYRIZA bei der Herausfor-derung zu unterstützen, eine Regierung zu bilden, die sich tatsächlich den Menschen gegenüber verantwortlich fühlt.Wir werden hier unser Bes-tes tun, um Merkel, Schäub-le und der deutschen Politik von Super-Sparmaßnahmen, Arbeitslosigkeit und sozialer Zerstörung entgegenzutre-ten. DIE LINKE wird ihre na-tionalen und europäischen Anstrengungen vorantreiben und die enge Zusammenar-beit mit SYRIZA fortsetzen. Wir wollen auf europäischer Ebene nach einer Lösung su-chen, die finanzielle, wirt-schaftliche und politische Krise Europas zu überwin-den.Mit unseren herzlichsten und

solidarischen Grüßen,

Andrej Hunko - MP und Mit-glied der Parlamentarischen Versammlung des Europara-tesClaudia Haydt - Mitglied des Vorstandes der Europäi-schen Linken

Tobias Pflüger - Mitglied des Vorstandes der LINKEN

…meint Dominic Heilig Geografisch stimmt es: Frank-reich liegt links von Deutsch-land. Zumindest wenn man auf einen Globus schaut. Auf den Kopf gedreht betrachtet hin-gegen mancher das politische Frankreich seit den Präsident-schaftswahlen. Einige Teile der deutschen LINKEN haben übereilt den Wahlsieg des so-zialistischen Bewerbers Fran-cois Hollande in der Stichwahl vom 6. Mai mit einem linken Wahlerfolg gleichgesetzt. Dies muss angesichts der pro-grammatischen Forderungen der Parti Socialiste (PS) ver-wundern. Die Abwahl von Nicolas Sar-kozy ist ein Erfolg gegen die Rechte. Vor allem in Hinblick auf die europäische Austeri-tätspolitik und die Ausland-seinsätze französischer Trup-pen sind Veränderungen durch Hollande zu erwarten. Ein Linksschwenk in der fran-zösischen Politik bedeutet das aber nicht. Gleichzeitig steht fest, dass ohne die Unterstüt-zung der Linksfront aus Par-ti de Gauche (PdG) und Parti Communiste (PCF) der knap-pe Wahlsieg der Sozialisten nicht möglich gewesen wäre. Um den Kontext der Entste-hung des Linksbündnisses Front de Gauche zu verste-hen, muss man ins Jahr 2005 zurückgehen. Damals erlebte Frankreich eine große Politi-sierung über die Auseinander-

setzungen um den Europäi-schen Verfassungsvertrag. Anders als in Deutschland wurde diese Debatte vor al-lem außerhalb der Parlamente geführt. Nach langen Diskus-sionen sprach sich die PS für den EU-Vertrag aus und stell-te damit ihren linken Flügel ins Abseits. Die ideologische An-näherung der Partei an die po-litische Mitte führte 2008 zum Austritt des PS-Abgeordne-ten Jean-Luc Mélenchon und zur Gründung der PdG. Diese, nur durch wenige Aktivisten geführte Partei formte zu den Europawahlen 2009 ein Wahl-bündnis mit der großen, aber stark geschwächten PCF. Ei-nen ersten Erfolg lieferte das Wahlbündnis bei den Kreis-wahlen 2011 mit zehn Prozent der Stimmen ab. Die entstan-dene Dynamik nutzend, ent-schieden sich PCF und PdG dafür, auch bei den Präsident-schaftswahlen 2012 gemein-sam mit Melenchon anzutre-ten. In einer Basisbefragung wurde dieser mit überwälti-gender Mehrheit bestätigt und konnte so, die zu Beginn des Jahres mageren Umfrage-werte von fünf Prozent schnell nach oben korrigieren. Kurz vor dem ersten Wahlgang wur-de er gar mit 15 Prozent und mehr taxiert. Den Auftakt sei-ner Kampagne legte der Links-kandidat auf den Place de la Bastille, einem symbolträch-tigen Ort, denn von diesem

ist nahezu jede (revolutionä-re) Umwälzung des Landes ausgegangen. 100.000 Men-schen folgten diesem Signal und hörten wie Melenchon die klare Linksausrichtung sei-ner Politik, z.B. die Forderung nach einer Erhöhung des Min-destlohns auf 1.700 Euro, die zugespitze Auseinanderset-zung mit dem rechtspopulis-tischen Front Nationale (FN) und die Absage an die europä-ische Austeritätspolitik, deut-lich machte. Letztlich erreich-te der Kandidat der Linken elf

Prozent der Stimmen. Ange-sichts der Situation der radi-kalen Linken nach den letz-ten Parlamentswahlen – nur knapp konnte die Fraktions-stärke erreicht werden - ein deutliches Aufbruchssignal. Mehr aber nicht. Um einen Wahlsieg der Rechtskonservativen unter Mithilfe des FN zu verhindern, rief Melenchon nach dem ers-ten Wahlgang im April sogar dazu auf, in der Stichwahl für Hollande zu stimmen. Die ge-scheiterten Verhandlungen

um die Aufteilung der Wahl-kreise innerhalb des »linken« Lagers für die Parlaments-wahlen zwischen PCF, PdG, Sozialisten und Grünen zeigen aber, dass die radikale Linke von Hollande kein Entgegen-kommen zu erwarten hat. Zum zweiten zeigt dieser Vorgang, dass die PS an ihrem einge-schlagenen Kurs Richtung »Mitte« festhalten wird. Ob Frankreich also politisch nach links rückt, wird sich erst bei den Parlamentswahlen im Ju-ni zeigen.

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Seite 8Sachsens Linke! 6/2012

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DIE LINKE im Bundestag

Abgezockte Verbraucherinnen und Verbraucher

Eurokrise: deprimierende Aussichten aus dem Bundestag

Manchmal muss es raus! Man mag mitunter nicht glau-ben, zu welch schlechtem Be-nehmen sich ausgerechnet manch honorige Herren mit Schlips und Kragen von CDU/CSU und FDP im Plenum des Bundestages hinreißen lassen. Ein besonders unangeneh-mer Vertreter dieser Art ist der FDP-Abgeordnete Martin Lind-ner, eine Art Sturmgeschütz des Neoliberalismus mit Gelfri-sur, der für seine Zwischenru-fe berüchtigt ist. Als er neulich die Rede meines Kollegen Jan van Aken störte, brach aus die-sem sonst ruhigen Mann her-aus, was sich wohl lange ange-staut hatte: „Jedes Mal, wenn hier eine Frau redet, dann macht dieser Macho arrogante Zwischenrufe und krault sich seine Eier. Das ist wenig zu er-tragen. Das geht überhaupt nicht.“ Während LINKE, SPD und Grüne lachend applaudier-ten, entschuldigte sich Jan bei der Sitzungspräsidentin - für die „Eier“, nicht für den „Ma-cho“, wie er auf Nachfrage er-klärte. Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe

Die Koalition plustert sich der-zeit wieder einmal auf und ver-sucht, alle anderen Parteien im Bundestag als unverant-wortliche Schuldenmacher hinzustellen. Der konkre-te Anlass ist die Debatte um Eurobonds. Nach Beschluss der Koalition haften die deut-schen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber bereits mit über 200 Milliarden Euro für Schulden anderer Staaten, da-zu kommen noch Risiken aus den Anleihenaufkäufen der Europäischen Zentralbank. Die Koalition sollte daher nicht scheinheilig über alle herfal-len, die Schulden vergemein-schaften wollen.Worin liegt aber gerade das Problem? Wir dürfen nicht immer nur auf Griechenland schauen und daraus Rezepte für die ganze Eurozone ent-wickeln. Inzwischen erleben wir einen Abschwung in der gesamten Eurozone. Es geht auch um Spanien, Italien und Frankreich, um Deutschland, Holland und Österreich. Die reine Sparpolitik ist geschei-tert, weil die Wirtschaft stot-tert und deshalb die Schulden trotz Sparen steigen.Die Präsidentschaftswahl in Frankreich und die Parla-mentswahlen in Griechen-land waren eine Absage an die radikale und ökonomisch dumme Sparpolitik. In den Niederlanden ist daran die Re-gierung zerbrochen, die bis-her der wichtigste Verbündete

der Bundesregierung war. Die Strategie der Bundesregie-rung wird inzwischen weltweit als Bedrohung wahrgenom-men. Beim letzten G 8-Gipfel stand die Bundesregierung wieder einmal isoliert da. In Wahrheit sind die Koalitions-abgeordneten und die Bun-desregierung die Radikalen in Europa.Jeder Mensch mit ökonomi-schen Sachverstand weiß inzwischen, dass die Wäh-rungsunion in der jetzigen Form keine Zukunft hat. Vie-le fordern nun, Staaten aus der Währungsunion rauszu-schmeißen. Die Währungsuni-

on würde daran zerbrechen und wir stünden vor einem Scherbenhaufen. Alterna-tiv müssen wir dafür sorgen, dass sich die Staaten der Wäh-rungsunion wieder aufeinan-der zu entwickeln. Dazu muss die Eurozone eine gemeinsa-me Wirtschafts- und Sozialpo-litik betreiben.Jeder, der ernsthaft darüber nachdenkt, verlangt dann ei-ne neue Steuerpolitik, etwa bei der Besteuerung von Un-ternehmen und von Vermö-gen, oder aber endlich eine europäische Finanztransakti-onssteuer. Dazu gehört dann aber auch, dass die Bundes-

regierung nicht weiter andere Staaten durch ihre Lohnpoli-tik niederkonkurriert und sich nicht um die langfristigen Fol-gen schert.Dazu gehören aber auch neue Instrumente wie Eurobonds. Dabei lässt sich über aller-lei Kompromisse reden: Wer die Anleihen zu welchen Be-dingungen bekommt, wie die Zinsvorteile aufgeteilt werden, wie stark die Haftung ausfällt. Was aber nicht geht, ist diese Debatte zu verweigern und zu-zulassen, dass Finanzinves-toren die Staaten der Wäh-rungsunion gegeneinander ausspielen. Aus der jetzigen

Situation kommen wir nur her-aus, wenn wir die Staaten der Währungsunion von den Fi-nanzmärkten abschirmen. Da-für brauchen wir sowohl eine Form von Eurobonds als auch die Europäische Zentralbank. Genau hier fehlt der Koalition aber jedes Verständnis von pragmatischer Politik.Der Fiskalpakt kann nur durch eine Grundgesetzänderung in Kraft treten, wozu Stimmen der Opposition notwendig sind. Die SPD hält damit ein Druckmittel in der Hand. Sie könnte einen Kurswechsel er-zwingen oder die Notbremse ziehen. Nur ist sie bisher der-maßen ungeschickt und un-entschlossen vorgegangen, dass sie diese Chance ver-spielen wird. Die SPD-Rech-ten werden eher Willy Brandt verstoßen, als dass sie dem Fiskalpakt die Zustimmung verweigern. Damit behalten die Radikalinskis aus der Ko-alition aber weiter freie Bahn.Axel Troost

Unseriöse Inkasso-Unternehmen machen fette BeuteDie meisten Verbraucherin-nen und Verbrauchern shop-pen regelmäßig oder ab und zu im Internet, schließen on-line Verträge ab, abonnie-ren Zeitungen oder lassen sich per Telefon für Produk-te, Dienstleistungen und Ge-winnspiele werben. Häufig im gutem Glauben, sich in-formiert und evtl. sogar das Kleingedruckte gelesen zu ha-ben, erschrecken sie sich um so mehr, wenn sie Post von einem Inkasso-Büro bekom-men. Drei von vier Adressaten von Inkasso-Schreiben füh-len sich dann laut einer Studie der Verbraucherzentralen be-

droht, verängstigt und einge-schüchtert. Das ist auch kein Wunder, wenn man sich Ton, Aufmachung, Warnungen und vermeintliche Konsequenzen solcher Schreiben genau an-schaut. Die angedrohten Kos-ten sind oft enorm. Schließlich treibt die Einschaltung eines Inkassobüros die Kosten im-mer in die Höhe. Besonders dreist agieren manche Inkas-so-Unternehmen bei Forde-rungen über Kleinstbeträge. In den Büros der Verbraucher-zentralen landen immer häufi-ger Beschwerden, bei denen es um Forderungen von unter einem Euro geht. Laut Studie verteuerten sich die eigent-lichen Forderungen für die Verbraucherinnen und Ver-braucher durch die Inkassodi-enste um durchschnittlich 50 Prozent, bei überschuldeten Menschen bisweilen gar um 266 Prozent.

Unseriöses Inkasso und hohe Inkassogebühren sind seit lan-gem eine Plage für Verbrau-cherinnen und Verbraucher. Und offenbar ein Massenphä-nomen. Trotz der bekannten, oft rechtlich fragwürdigen Methoden vieler Inkassofir-men wurden bisher erst zwei Inkasso-Zulassungen auf-grund verbraucherschädigen-der Geschäftspraxis entzo-gen. Behördliche Aufsicht und Kontrolle gibt es so gut wie gar nicht. Unseriöse Inkas-sounternehmen können un-gehemmt Kasse machen und die lückenhafte Rechtslage schamlos ausnutzen. Die Bun-desregierung hat die massen-hafte Abzocke der Verbrau-cherinnen und Verbraucher bisher ignoriert und Forderun-gen des Bundesrates und der Verbraucherschutzminister-konferenz nicht aufgegriffen. Die Schließung der Rechts-

lücken im Inkassobereich ist längst überfällig, deshalb macht DIE LINKE der Bundes-regierung Druck. In unserem Antrag im Deutschen Bun-destag fordern wir, dass die Gebühren für Inkassodiens-te müssen klar geregelt, d.h. beschränkt werden. Es muss eine Aufsicht über die Bran-che geben, die klar und wirk-sam gesetzlich geregelt ist. Und bevor überhaupt eine Genehmigung für das Betrei-ben eines Inkassobüros erteilt wird, müssen Behörden jeden sorgfältig prüfen. Nicht zu-letzt muss es natürlich einen Sanktionskatalog für unseri-öse Inkassopraktiken geben, der empfindliche Bußgelder und Schadensersatzansprü-che bei ungerechtfertigter Ab-mahnung vorsieht. Caren Lay

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Einer von Wenigen

Geschichte

Hilfe als Selbsthilfe: Der Marshall-Plan

Es gibt nicht viele Persönlich-keiten, die den Lauf der Ge-schichte entscheidend hät-ten verändern können – wäre ihnen nur mehr Zeit geblie-ben. Walther Rathenau zählt dazu. 1867 als Sohn des spä-teren AEG-Gründers Emil Ra-thenau in Berlin geboren, stu-dierte er Physik, Philosophie, Chemie und Maschinenbau. Obwohl er sich zunächst ge-weigert hatte, in der 1887 gegründeten »Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft« seines Vaters Karriere zu ma-chen, übernahm er seit der Jahrhundertwende leitende Funktionen. Zur Zeit des ers-ten Weltkrieges war Rathenau Aufsichtsratsvorsitzender; bis 1915 leitete er erfolgreich die Kriegsrohstoffabteilung (KRA) im preußischen Kriegsminis-terium. Danach kehrte er zwar zur AEG zurück, blieb aber in

die deutschen Kriegsanstren-gungen involviert: In einem Brief an den Chef der »Obers-ten Heeresleitung«, Erich Lu-dendorff, forderte er 1916 die Deportation belgischer Zivilis-ten zur Zwangsarbeit und be-fürwortete die Bombardierung Londons mit Zeppelinen. 1918 sprach er sich überdies gegen einen Waffenstillstand aus, damit Deutschland in Frie-densverhandlungen eine bes-sere Position einnehmen kön-ne.Nach dem Krieg gelang dem diplomatisch geschickten Ra-thenau rasch der Aufstieg in hohe politische Ämter. Er gründete die linkslibera-le Deutsche Demokratische Partei mit und nahm 1920 als Wirtschaftssachverständiger an der Konferenz von Spa teil, auf der man sich unter ande-rem darauf einigte, die deut-

schen Kohle-Reparationen an die Alliierten abzusenken. Ein Jahr später wurde Rathenau Wiederaufbauminister und erreichte 1922 bei der Konfe-renz von Cannes die Reduzie-rung der laufenden Reparati-onszahlungen. Im selben Jahr zum Außenminister ernannt, erbrachte er im April 1922 seine größte außenpolitische Leistung: Den Rapallo-Vertrag mit Sowjetrussland, der unter anderem zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und zum Verzicht auf Repara-tionsleistungen führte. Diese »Erfüllungspolitik« ziel-te auf eine ehrliche Beglei-chung der Reparationsschuld und sollte langfristig die Vo-raussetzungen für eine Ver-ständigung mit den Alliierten schaffen. Rathenaus Wille, die Forderungen der West-mächte zunächst zu erfüllen,

machte ihm die Anhänger der »Dolchstoß«-Lüge zu unerbitt-lichen Feinden. Obwohl Rathe-nau den Krieg unterstützt hat-te, wurde er zur Zielscheibe rechtsradikaler Kräfte, nicht zuletzt wegen seines Juden-tums. Der Antisemitismus, schrieb er, sei »die vertika-le Invasion der Gesellschaft durch die Barbaren«.Rathenau spielte in den An-fangsjahren der Weimarer Re-publik eine staatstragende Rolle, und er hätte sicherlich auch später zur Stabilisierung der ersten deutschen Demo-kratie beigetragen. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Bereits seit 1920 kursierte ein Hetz-lied, das sich dezidiert gegen Rathenau richtete: »»Knallen die Gewehre – tak, tak, tak/Aufs schwarze und aufs ro-te Pack./Auch Rathenau, der Walther,/Erreicht kein hohes

Alter,/Knallt ab den Walther Rathenau/Die gottverdamm-te Judensau!« Vor 90 Jahren, am 24. Juni 1922, traten Fe-memörder der faschistischen »Organisation Consul« an der Berliner Kreuzung Erdener-/Wallotstraße an den offenen Fond von Rathenaus Wagen heran und erschossen ihn. Am Tage nach der Ermor-dung Rathenaus formulierte Reichskanzler Joseph Wirth im Reichstag: »Da steht der Feind, der sein Gift in die Wun-den eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!« Mit stärkerer Beachtung dieses Satzes hät-te die zeitgenössische Lin-ke den Gang der Geschichte zweifellos geändert. Kevin Reißig

Der »Marshall-Plan« (»Euro-pean Recovery Program«, ERP) erhielt seinen Namen nach dem amerikanischen Au-ßenminister George C. Mar-shall (1880-1959). Dieser hatte am 5. Juni 1947 in ei-ner Rede vor einem Audito-rium der Harvard University vorgeschlagen, den landwirt-schaftlichen und industriellen Wiederaufbau des kriegszer-störten Europa durch ameri-kanische Kredite zu fördern. Das Ziel müsse darin beste-hen, schnell politische Stabi-lität, eine gesunde Wirtschaft und das Wohlbefinden der Menschen herbeizuführen. Am 12./13. Juli 1947 tagte in Paris eine Europa-Konferenz, an der von den eingeladenen 22 Staaten acht nicht teilnah-men. Bereits im Vorfeld war es zwischen den USA und der Sowjetunion wegen der dis-kriminierenden Rahmenbe-dingungen zu Meinungsver-schiedenheiten gekommen. Die antisowjetische Ausrich-tung des »Marshall-Planes« konnten die mit der Sowjet-union verbündeten osteuro-päischen Länder und Finnland nicht übersehen, so sehr sie Kredite für den Wiederaufbau ihrer Wirtschaft auch benötigt hätten. Die finnische Regie-rung begründete ihre Absage mit dem Hinweis darauf, dass Finnland noch nicht über ei-nen Friedensvertrag verfüge und dass der »Marshall-Plan« unter den Großmächten Un-stimmigkeiten hervorgerufen habe. Die bürgerliche Regie-rung der Tschechoslowakei sagte ihre Teilnahme ab, weil letztere als eine Handlung in-terpretiert werden könnte, die

sich gegen die Freundschaft mit der Sowjetunion und an-dere ihrer Alliierten richte. Anders entschied Österreich. Es einigte sich mit der Sowje-tunion, die in Österreich ne-ben den Westmächten Be-satzungsmacht war, an der Pariser Konferenz teilzuneh-men. Die Konferenz beschloss die Gründung der »Organi-sation für europäische wirt-schaftliche Zusammenarbeit« (OEEC), die seit dem 16. Ap-ril 1948 agierte und die im September 1961 in die OECD überführt wurde. Die Pariser Konferenz stellte die Weichen für die politische Stabilisie-rung Westeuropas als kapita-listischer Bündnispartner der USA, die »Eindämmung« der sozialistischen Sowjetunion und die Gewinnung neuer Ab-satzmärkte für die amerikani-sche Überproduktion. US-Präsident Harry S. Truman (1884-1972) brachte 1948 den »Marshall-Plan« als Vorschlag in den Kongress ein. Am 3. Ap-ril unterschrieb er den »Econo-mic Cooperation Act of 1948«, der sofort in Kraft trat und auf einen Zeitraum von vier Jahren ausgelegt war. Die USA leiste-ten den Mitgliedsländern der OEEC bis 1952 Hilfen im Wert von 13,1 Milliarden Dollar. Et-wa 10 Prozent der ERP-Mittel, 1,4 Millarden Dollar, wurden den deutschen Westzonen als Kredite zur Verfügung ge-stellt. Zu den Vorbedingun-gen zählte die Durchführung einer separaten Währungsre-form, die Deutschlands und Berlins wirtschaftliche Einheit zerriss. Ökonomen berechne-ten, dass die Marshallplan-Kredite von 1948 bis 1951 nur

eine Steigerung des Brutto-inlandsproduktes von 0,5 Pro-zent bewirkten. Das dennoch schnelle Wirtschaftswachs-tum in Westeuropa wird auch auf andere Stimuli zurückge-führt. Die Gründung der ers-ten westeuropäischen Ins-titution, der OEEC, war eine Voraussetzung für den Abbau von Zollbarrieren in Westeu-ropa. Aus der amerikanischen Emigration zurückkehrende Wirtschaftsfachleute führ-ten in den Betrieben moderne amerikanische Management- und Marketing-Methoden ein, die in der Zeit vor dem Zwei-ten Weltkrieg in Deutschland noch nicht angewandt worden waren.Die Ostzone beziehungsweise die im Oktober 1949 gegrün-dete DDR hatte keine Chance, ERP-Mittel für den Wiederauf-

bau zu bekommen. Diese hät-ten auch wegen der amerika-nischen Vorbedingungen nicht angenommen werden kön-nen. Jeder Partner des Mar-shall-Planes musste genaues-tens den Stand der Zerstörung der Wirtschaft dokumentie-ren und an die USA berichten, was die staatliche Souveräni-tät verletzte. Die DDR machte aus der Not eine Tugend. Sie fasste ihren Standpunkt in ei-nem Plakat zusammen: »Wir brauchen keinen Marshall-Plan, wir kurbeln selbst die Wirtschaft an!« Die Bedeu-tung des Marshall-Planes für die Systemauseinanderset-zung wurde zunächst weder von der DDR noch von der So-wjetunion richtig erfasst. Bei-de waren sich zunächst einig, dass Westdeutschland durch die USA in eine koloniale Ab-

hängigkeit gebracht werde. Es würden Schulden angehäuft, die in Jahrzehnten nicht zu-rückgezahlt werden könnten. Diese Fehlbewertung hatte Folgen. Der Stopp von öko-nomisch unsinnigen Demon-tagen seitens der UdSSR zum Beispiel vollzog sich nicht so schnell, wie er angesichts der antisozialistischen Offensi-ve der USA in Westeuropa er-forderlich gewesen wäre. Erst im Januar 1949 wurde auf Be-schluss einer Wirtschafts-beratung von Vertretern der UdSSR, Bulgariens, Ungarns, Rumäniens und der Tschecho-slowakei in Moskau der Rat für gegenseitige Wirtschafts-hilfe (RGW, engl.: COMECON) gegründet. Albanien und die DDR traten 1950 dem RGW als Mitglieder bei. Siegfried Prokop

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Seite 6Links! 6/2012

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die WeltHerausgebergremium: Dr. Mo-nika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-

denNamentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 18000 Exempla-ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.)Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84 38 9773Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelioRedaktionschluß: 22.4.2012Die nächste Ausgabe er-

scheint am 31.5.2012. Die Zei-tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Ver-sand. Abo-Service 0351-84389773Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank

Internet www.links-sachsen.de

TermineRosa-Luxemburg-Stiftung

Chemnitz, 1. Mai, ab 13 Uhr Aktion und Interventi-on Reihe: Absahnen!* /*Arbeitsbefreiungsmaß-nahmen und Sahnetört-chen*/Springbrunnen am Roten Turm, 09111 Chemnitz

Leipzig, 2. Mai, 19 Uhr Reihe: MarxExpedition 2012 Anonyme Herrschaft und Fetischismus. Moder-ne Machtverhältnisse und ihre SelbstverrätselungMit Dr. Ingo ElbeUniversität Leipzig, Hörsaal-gebäude Universitätsstraße 1, Hörsaal 8, 04109 Leipzig

Dresden, 2. Mai, 19 Uhr Vortrag und Diskussion ACTA und der Kampf um das „Geistige Eigentum“Mit Tobias Schröter, Referent für Forschungs- und Technolo-giepolitik bei der Fraktion DIE LINKE. im BundestagWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 3. Mai, 20 Uhr Lesung und Gespräch Rei-he: Absahnen!* /*Eine Schaarschmidt-Lesung*/Satirische Kolumnen zur Ar-beitskritik.Mit Uwe Schaarschmidt, Dres-denLokomov, Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz

Leipzig, 3. Mai, 18 Uhr Vortrag und Vernissage »Kein Ort. Nirgends« Ver-nissage zur Christa-Wolf-AusstellungMit Prof. Dr. Klaus Schuh-mann, Literaturwissenschaft-ler und Dr. Christel Hartinger, LiteraturwissenschaftlerinRosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

Chemnitz, 4. Mai, 20 Uhr-Vortrag und Gespräch Rei-he: Absahnen!* /*Dann lie-ber gleich arbeiten*/Mit Gregor Henker, LeipzigLokomov, Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz

Chemnitz. 7. Mai, 20 Uhr Öffentliches Treffen Reihe: Absahnen!*

/*Einstweilen wird es Mit-tag*/Lokomov, Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz

Chemnitz, 8. Mai, 20 Uhr Filmlounge Reihe: Absah-nen!* /*Viereckige Au-gen*/Kurzfilmprogramm zum Wan-del der ArbeitLokomov, Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz

Dresden, 9. Mai, 19 Uhr Linke Streitkultur? Heillos zerstritten?Eine Diskussionsveranstal-tung zur politischen Kultur der Partei DIE LINKEMit Bernd Wittich, Philosoph und freischaffender AutorWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 10. Mai, 18 Uhr Linke Streitkultur? Heillos zerstritten?Eine Diskussionsveranstal-tung zur politischen Kultur der Partei DIE LINKEMit Bernd WittichRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 15. Mai, 18 Uhr Zwickauer Zelle, NPD, freie Kameradschaften – Nazi-strukturen in SachsenMit MdL Kerstin KöditzRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 15. Mai, 18 Uhr Reihe: Absahnen!* /* Klasse Bewußtsein! */Galerie für zeitgenössische Kunst (GfzK) Leipzig, Neubau, Karl-Tauchnitz Str. 9-11, 04107 Leipzig

Dresden, 15. Mai, 18 Uhr Reihe: Junge Rosa Kritische Theorie – was ist das eigentlich?Mit: Steffen Juhran, LeipzigWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 22. Mai, 18 Uhr Die neue „große Trans-formation“ – vom radika-len Marktsystem zu einer nachhaltigen Solidarge-sellschaft?Mit Prof. Dr. Rolf Reißig,

Rosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 Leipzig

Chemnitz, 22. Mai , 19 Uhr Hightech-Kapitalismus in der KriseMit Prof. Wolfgang Fritz HaugKulturkaufhaus DAStietz, Gro-ßer Saal, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz

Leipzig, 22. Mai, 18.30 Uhr Reihe: Absahnen!* /* Klas-se Bewußtsein! */ Teil IIGalerie für zeitgenössische Kunst (GfzK) Leipzig, Neubau, Karl-Tauchnitz Str. 9-11, 04107 Leipzig

Leipzig, 23. Mai, 19 Uhr Reihe: MarxExpedition 2012 Marx und die Gren-zen der DialektikMit Prof. Dr. Christoph TürckeUniversität Leipzig, Hörsaal-gebäude Universitätsstraße 1, Hörsaal 8, 04109 Leipzig

Dresden, 23. Mai, 19 Uhr Karl Marx im 21. Jahrhun-dert?Mit Martin Runow, gesell-schaftswissenschaftlicher Beirat der LINKEN DresdenWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Dresden, 30. Mai, 20 Uhr Filmvorführung mit an-schließendem Gespräch Fernes Land - pakistanisch-deutsches RoadmovieMit Kanwal Sethi, Regisseur LeipzigSchauburg, Königsbrücker Straße 55, 01099 Dresden

Leipzig, 31. Mai, 18 Uhr-Die politische Situation in Russland nach den Präsi-dentschaftswahlen***Mit Boris Krumnow, Mitglied AG Russland der Rosa-Luxem-burg-StiftungKlub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig

Leipzig, 31. Mai, 19 Uhr Reihe: MarxExpedition 2012 Entfremdung. Die Schizophrenie im Kapita-lismusMit Prof. Dr. Christian SchmidtUniversität Leipzig, Hörsaal-gebäude Universitätsstraße 1, Hörsaal 8, 04109 Leipzig

Provinz muss nicht provinziell sein

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Seite 7 6/2012 Links! Rezensionen

Alternde Achtundsechziger

Zwischen Empörung und AktionSeit einigen Jahren findet in Berlin am Vorabend des 1. Mai die antikapitalistische Wal-purgisnacht statt, eine Veran-staltung zwischen Empörung, Jugend und Aktion. Eine Mi-schung, die einen interessan-ten Abend verspricht, wenn da nicht das schlechte Wetter wäre. Also, so der Entschluss, wird die Kapitalismuskritik zu-hause bei Wein, auf dem So-fa betrieben. Als Feigenblatt dient mir der vor kurzem auf Deutsch erschienene Essay-band von David Graeber. Der Autor, Professor für Ethnolo-gie am Goldsmiths College in London, veröffentlichte diese Sammlung von Essays 2011 unter dem Titel Revolutions in Revers: Essays on Politics, Violence, Art and Imaginati-on, deren deutsche Ausgabe den Titel des letzten Essays Kampf dem Kamikaze-Kapi-talismus erhielt und den inte-ressierten Leser etwas in die Irre führt, wenn er eine Anlei-tung im Kampf gegen und eine Ausarbeitung von Alternativen zum bestehenden System er-wartet. Vielmehr entwirft der Autor zu verschiedenen ge-sellschaftlichen und mensch-lichen Aspekten eigene theo-retische Konzepte, die nicht nur für Aktivisten interessant sind. David Graeber schreibt aus der Sicht eines Amerika-ners und mit dem Impetus ei-nes Anarchisten. Gleich zu Beginn bilanziert Graeber die Ziele und Erfolge verschiede-ner globalisierungskritischer und direkt-demokratischer Bewegungen und Gruppie-

rungen der letzten Jahre. Für den in der direkten Aktion un-geübten Leser ist die Analyse der Antiglobalisierungsbewe-gung, zumal von einem Ideen-geber der Occupy-Bewegung unternommen, durchaus reiz-voll, auch wenn er der bemer-kenswerten These, dass die globalisierungskritischen Pro-teste gegen die WTO den Frei-handel blockiert oder die Glo-balisierungsgegner gar den Kampf gegen den Terror pro-voziert hätten, nicht so leicht folgen mag. Nach dem bewe-gungsgeschichtlichen Rück- und Einblick der ersten beiden Essays werden in den folgen-den Essays die einzelnen Kon-zepte des Autors entfaltet. Die Ausführungen im dritten Es-say »Revolution rückwärts« zu Innovation und Revolution überraschen, da sie ein fast republikanisches Kolorit zei-gen. David Graeber bringt hier mit Leichtigkeit Fragen zu Ge-walt, Imagination und Kreati-vität zur Sprache, über die ein jeder Revolutionär vor Projekt-beginn reflektiert haben soll-te. Ebenso bemerkenswert sind seine anthropologischen Ausführungen zum Dualismus von Egoismus und Altruismus des Menschen im folgenden Essay. So seien beide durch-aus keine natürlichen Triebe, sondern vielmehr Ergebnis-se des Sozialen, insbesondre Resultat eines Bildungspro-zesses, der je nach politischer Ausrichtung auf eine Auswei-tung (so die Rechte) oder ei-ne Überwindung (so die Linke) dieses Dualismus zielt.

Im letzten Essay kommt Grae-ber auf die aktuelle Wirt-schaftskrise zu sprechen oder vielmehr Schuldenkrise. Die Krise des Kapitalismus wird dem Versagen des Neolibe-ralismus zugeschrieben, des-sen Ziel nur die Erhaltung des eigenen Systems ist. Der Au-tor plädiert für eine neue Art des Politischen, für Fanta-sie und einen strategischen

Schuldenerlass. Dieses Buch lädt zu vielerlei Gedankenex-perimenten ein, auch wenn einige Argumentationen und Thesen wenig nachvollziehbar scheinen. Die Stärke dieses Buches liegt vor allem in der Beschreibung der verschie-denen globalisierungskriti-schen Bewegungen sowie de-ren Aktionen, so dass man auf das neue, ebenfalls in diesem

Jahr erschienene Buch »Inside Occupy« vom selben Autor ge-spannt sein kann. Verfasst am 1. Mai!Andreas Haupt

David Graeber: Kampf dem Ka-mikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschen-den SystemPantheon Verlag ISBN-10: 3570551970, 12,99 €

Roman mémoire lautet der Untertitel von Bernd Cailloux neuem Buch. Und das nicht zu Unrecht, schildert Callioux doch ein sehr deut-sches Leben im 20 Jahrhun-dert, das mit seinem eigenen viel gemein hat. Entlang der 68er Befreiungen, entlang sei-ner zahlreichen Liebschaften tritt ein Schicksal zutage. Ein Schicksal, das viele in seiner Generation – der Ich-Erzähler ist 61 – teilen. Als Flüchtlings-kind geboren in der Nähe von Erfurt, im Alter von vier Wo-chen von seiner Mutter verlas-sen, flieht er im Zuge des Jah-res 1968 in die »freie« Stadt Berlin. Westberlin konkreter. Frei deswegen, da sie ja von den Westallierten diesen Sta-tus zugeschrieben bekam, aber auch wahrscheinlich deswegen frei, da in den 60er und 70er Jahren die Jugendli-chen aus der alten BRD dort-hin flohen. Alles war ein biss-

chen freier, das geteilte Berlin blieb Großstadt. Die Subkul-turen der 68er, Musik, Mode, Kunst: Berlin hatte Glamour. Und der Icherzähler blieb in diesen Subkulturen hängen, auch wenn sich das Leben seitdem gewandelt hat. Was er übrigbehalten hat als Anti-Bougeois? Die rebellische Hal-tung. Ironisch, ja teilweise zy-nisch, wird das beschrieben, etwa wenn die vormaligen Ge-fährten oder Geliebten ins Ei-genheim am Rande der Stadt ziehen. Er hat nichts, was die-sem Klischee entsprechen würde: kein Eigenheim, keine Rentenansprüche. Beklemmend die Szenen, wenn er als Zauberlehrling der Drogenexperimente ledig-lich den Virus zurückbehält. Mitte der 70er war das noch nicht AIDS, oder HIV, sondern Hepatitis, HBV. Mehr als 40 Jahre danach holen ihn seine Eskapaden ein. Doch mit wel-

cher ironischen Distanz er sei-ne Krankengeschichte erzählt, ist großartig. Weniger großar-tig ist die Beschreibung der aktuellen Liebe. Auch wenn Frauen eine große Rolle in sei-nem Leben spielen – nach Ber-lin folgte er einer Frau – wird nicht klar, was das reizvolle an dieser Liebschaft ausmacht. Im Vergleich hat er dennoch Glück gehabt. Den Nachbar, der seit 20 Jahren zu Hause

ist und von einer kleinen In-validenrente lebt, hat es ver-gleichweise schlimmer getrof-fen. Wieder die Liebe. Beim Verfolgen seiner Freundin, die vermutlich fremdging, stürz-te er von den Klippen Ibizas – auch ein schönes Klischee, aber so passend die Hippie-Insel. Dem folgten nach 6 Wo-chen Krankheit die Kündigung und dann nichts mehr. 20 Jah-re zu Hause in dauerhafter Einsamkeit. Nur noch das Mu-sikhören der Hits dieser Tage – the green leaves of summer, they are gone. Er wird eingeladen, die 68er werden akademisch aufge-arbeitet. Was haben sie dem Land gebracht? Die Scheck-karte – wirft er völlig zu Recht in der Podiumsdiskussion der Uni Konstanz, zu der er geladen wird, ein. Doch gegen den ehe-maligen Bombenbauer der RAF – auch eine Folge von 68 – ist damit kein Ankommen. »Wer

so bildhaft mit dem unsterbli-chen Bedürfnis nach Anarchie spielte, wer die heimlichen Sehnsüchte nach Rebellentum so direkt ansprach, dem lag je-des Publikum zu Füßen.« Seine Stimme geht unter. Was bleibt? Ein sehr deut-sches Schicksal, alleingelas-sen in den Wirren des letzten Weltkrieges, auf der Suche nach Liebe und Sinn mitten in den wilden 60ern, ein ko-metenhafter Aufstieg als lin-ker Unternehmer 1986 und ei-ne ziemliche Stille nach 1989. Nicht untypisch, aber …Bernd Cailloux kann großar-tig vom Altern erzählen, von Krankheit, vom Herumsitzen in Cafes und von Bindungsun-fähigkeit, kurz: Aus einem Le-ben. Lesenswert.Rico SchubertBernd Cailloux: Gutgeschrie-bene Verluste - Roman mé-moire, 21,95 €, ISBN: 978-3-518-42279-3

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Trotz alledem und alledem!Kultur

Film

Alt, aber nicht veraltet: »Kuhle Wampe«

Hannes Wader zum Siebzigsten

Hannes Wader wurde 1942 als Sohn einer Arbeiterfa-milie in Bielefeld geboren. Er erlernte den Beruf Dekora-teur und machte erste musi-kalische Erfahrungen in einem Mandolinenorchester. Später spielte er Saxophon und Kla-rinette in einer Dixielandband. Seine ersten eigenen Lie-der entstanden 1960, doch da lebte er bereits in West-berlin, wohin es ihn, wie so viele andere junge Bun-desbürger hingezogen hat. In den unzähligen Musikknei-pen traten Sänger und Bands auf, die die Folksongs von Tom Paxton, Pete Seeger oder Bob Dylan vortrugen, die ihn an-fänglich beeinflußten, wie übrigens auch die Lieder des vom linken Anarchismus ge-prägten französischen Chan-sonsängers Georges Brassens. Wader begann nun eigene Songs zu schreiben, jedoch, und das war für die damalige Zeit neu,deutschsprachig im Straßen- bzw. Gaunerjargon, vielleicht eines Francois Villon. 1966 trug er erstmalig diese Lieder auf der Burg Waldeck vor (vergleiche Links! 07/08 2011), wo er Kollegen wie Dieter Süverkrüpp, Franz Jo-sef Degenhardt und auch den Kabarettisten Hans Die-ter Hüsch kennen lernte. Seine schlichte, unverblüm-te folkige Vortragsart, sei-ne brisante Stimme, die

Klarheit seiner Sprache und das Fingerpicking auf der Gitarre beeindruck-ten die Waldecker sehr. So ein vielseitiges Talent kann-te man in der damaligen Lie-dermacherszene noch nicht. 1969 erschien seine ers-te Langspielplatte, die ihm den Ruf »singender Bürgerschreck«einbrachte. Seine frühen Songs handelten von schrägen, unangepaßten Typen, Aussteigern, die sich in der spießbürgerlichen Gesell-schaft unwohl fühlten und ihren eigenen Weg gehen wollten. Später bekamen seine Texte gesellschaftskritischere In-halte. Auch war Hannes Wader am sogenannten deutschen Folkrevival aktiv geworden. Es handelte sich um die Zeit der Wiederentdeckung des de-mokratischen Liedguts (u.a. Lieder der 48er Revolution). Gruppen wie »Zupfgeigen-hansel«, Hein und Oss, Hel-mut Debus, Peter Rohland, um nur einige aufzuzählen, hatten sich bereits in diesem Genre einen Namen gemacht. Seine LP »Volkssänger« galt als Maßstab zahlreicher Fol-kinterpreten, auch in der DDR. Waders politische Haltung ließ ihn kämpferisch wer-den. Das dokumentierte seine LP »Arbeiterlieder«. Er wurde Mitglied der DKP und ein Medienverbot blieb nicht aus. Trotzdem sang er weiter, denn er war bereits so populär, dass er reinen Ge-wissens auf Radiosendungen und Fernsehauftritte verzich-

ten konnte. Seine Konzerte waren gut besucht und seine Schallplatten erreichten hohe Auflagen. Im Zuge der Verän-derungen im Jahre 1989 ver-ließ er die DKP, blieb jedoch ein streitbarer linker Künstler. Gemeinsam mit Konstan-tin Wecker konnte man ihn auf Konzerten gegen rechte Gewalt erleben. Sein 2001 erschienenes Al-

bum »Wünsche« mit Lie-dern wie »Vaters Land« oder »Victor Jara« ließen keinen Zweifel aufkommen, dass er weiterhin seinem politischen Weg treu bleibt. Im Februar 2003 gab er zu-sammen mit Reinhard Mey und Konstantin We-cker während der Großde-monstration gegen den Irak-Krieg in Berlin ein Konzert.

Heute ist er oft mit Kon-stantin Wecker auf den Bühnen zu erleben. Am 23. Juni feiert Han-nes Wader seinen sieb-zigsten Geburtstag. Die Gitarre wird er nie able-gen, seine Stimme weiter tre-molieren lassen, voll Wut und Zärtlichkeit. Seine Songs blei-ben zeitlos - trotz alledem und alledem! Jens-Paul Wollenberg

Die rücksichtslose Kritik al-les Bestehenden ohne Furcht vor ihren Resultaten oder den herrschenden Mächten sei die gegenwärtige Aufgabe, schrieb Karl Marx 1844. Die Mittel, um diese Kritik aus-zudrücken und zu verbreiten, sind vielfältig – Filme gehören seit langem dazu. Neben Fritz Langs monumentalem Meis-terwerk »Metropolis« (1926), das mit einigem Recht als Startpunkt gelten kann, sind in den vergangenen Jahren zahlreiche weitere Produktio-nen entstanden – »Kapitalis-mus: Eine Liebesgeschichte« (Michael Moore), »Let’s make money« (Erwin Wagenhofer) und »bread and roses« (Ken Loach) sollen als Beispiele ge-nügen. Nicht zu vergessen sind auch Filme über die Geschichte der Arbeiterbewegung. Werke wie

Kurt Maetzigs zweiteiliges Portrait über Ernst Thälmann oder Verfilmungen von Ost-rowskis »Wie der Stahl gehär-tet wurde« sind hier zu nennen, und besonders ein Klassiker, der vor 80 Jahren – im Mai 1932 – uraufgeführt wurde: »Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?«. Im Gegen-satz zum heute oft gebräuch-lichen Genre Dokumentarfilm gehört er zur Gattung des pro-letarischen Films und drückt wie »Metropolis« seine Kritik an den Verhältnissen aus, in-dem er eine Geschichte er-zählt – und die Schicksale sei-ner Protagonisten nutzt, um das Wesen des Bestehenden herauszuarbeiten. Im Vorder-grund steht das Leben einer Arbeiterfamilie zur Zeit der Weltwirtschaftskrise: Weil der arbeitslose Sohn erfährt, dass seinem ebenfalls arbeitslosen

Vater die Unterstützung ge-kürzt wird, begeht er Selbst-mord. Die Familie verliert ih-re Wohnung, Tochter Anni (Hertha Thiele) – als einzige noch berufstätig – kann dies nicht verhindern. Ihr Freund Fritz (Ernst Busch) besorgt ein Quartier in der Laubenko-lonie »Kuhle Wampe«. Als Anni ihm mitteilt, dass sie schwan-ger ist, fordert er erst eine Ab-treibung, will sie dann aber heiraten. Als er auf der Hoch-zeitsfeier erklärt, dass die Ehe erzwungen sei, verlässt sie ihn. Als Mitglied eines Ar-beitersportvereins nimmt An-ni an einem Sportfest der lin-ken Gewerkschaften teil, trifft Fritz dort wieder und sie ver-söhnen sich. Auf dem Heim-weg stimmen die jungen Arbeiter (u. a. Erwin Geschon-neck) in der U-Bahn nach ei-nem Meinungsstreit mit Bür-

gern das Solidaritätslied an.Regie führte der Bulgare Slátan Dudow, das Drehbuch stammt unter anderem von Bertolt Brecht. Die Produk-tion des Films erfolgte unter Geld- und Zeitnot. Kurze Zeit nach der Uraufführung ver-bot die Berliner Filmprüfstel-

le das Werk, da es geeignet sei, »die öffentliche Sicherheit und Ordnung und lebenswich-tige Interessen des Staates zu gefährden«. Brechts Kom-mentar dazu: »Der Inhalt und die Absicht des Films geht am besten aus der Aufführung der Gründe hervor, aus de-nen die Zensur ihn verboten hat«. Nachdem der Film nach öffentlichen Protesten un-ter Auflagen wieder zugelas-sen worden war, folgte am 26. März 1933 erneut das Verbot.Gleichgültig, ob sie die herr-schenden Verhältnisse auf do-kumentarische oder narrative Weise kritisieren – alle kapi-talismuskritischen Filme ant-worten mit Anni auf die am Ende von »Kuhle Wampe« ge-stellte Frage danach, wer die Welt verändern werde: »Die, denen sie nicht gefällt!«Kevin Reißig

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